Rede von
Dr.
Rose
Götte
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer könnte etwas dagegen haben, daß schwangeren Frauen aus einer Notlage geholfen wird!
Schon gar nicht die Sozialdemokraten, die sich schon zu Zeiten um Hilfen für Schwangere gekümmert haben, als dieses Thema für andere Parteien und sogar für die Kirchen noch weitgehend tabu war.
Einigkeit in der Hilfsbereitschaft zwischen den Fraktionen hier im Bundestag muß aber nicht auch Einigkeit über die Wahl der richtigen Maßnahmen bedeuten. Die Stiftung „Mutter und Kind" ist sicherlich gut gemeint, aber sie kann den Zweck, der ihr zugedacht war, nämlich die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu senken, nicht erfüllen, weil ihre Begründer von einem falschen Grundgedanken ausgehen. Die schwere Notlage, von der im § 218 die Rede ist, besteht nämlich nicht darin, daß einer schwangeren Frau 1 600 DM oder 1 800 DM fehlen.
„Schwere Notlage " entsteht im Blick auf eine ungewisse Zukunft, wo nach zwölf Monaten Erziehungsgeld 50 DM Kindergeld warten, die zudem noch auf die Sozialhilfe angerechnet werden.
„Schwere Notlage" kann heißen, einfach nicht mehr die Kraft zu haben für ein weiteres Kind, nachdem man schon eine ganze Reihe von Kindern unter schwierigsten Bedingungen großgezogen hat.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1987 3171
Frau Dr. Götte
„Schwere Notlage" kann auch bedeuten — ich bin dankbar, daß Frau Männle auch darauf hingewiesen hat —, vom Partner vor die Entscheidung: „Kind oder ich" gestellt zu werden,
kann Abhängigkeit von einem zerrütteten Elternhaus auf unbestimmte Zeit bedeuten, kann Abbruch der Ausbildung oder Verlust des Arbeitsplatzes beinhalten. Alle diese und viele andere schwere Notlagen können durch die Stiftung „Mutter und Kind" nicht beseitigt, noch nicht einmal wesentlich gemildert werden.
Wir haben in der SPD-Fraktion eine ganze Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die notwendig sind. Wenn Sie die Rede von Frau Männle noch genauer nachlesen, werden Sie merken, daß eine ganze Reihe von Übereinstimmungen darin stehen. Sie hat nur keine Schlüsse daraus gezogen. Sie hat aber die Punkte aufgezeigt, auf die auch wir mit dem Finger weisen, was getan werden muß, um diesen Frauen besser zu helfen. Da meine Kollegin Renate Schmidt das hier zum gleichen Thema schon ausführlich dargestellt hat, möchte ich wegen der Kürze der Zeit darauf jetzt nicht noch einmal im einzelnen eingehen.
Nun weist die Bundesregierung ja auch immer gerne darauf hin, daß die Stiftung „Mutter und Kind" und die Landesstiftungen „Familie in Not" nicht die einzigen familienpolitischen Maßnahmen seien;
denn schließlich habe die Bundesregierung ein 10Milliarden-DM-Paket an zusätzlichen Finanzhilfen zur Verfügung gestellt.
— „Genau", sagen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, und nicken begeistert mit dem Kopf. Sie sind da leider — ich wäre dankbar, wenn Sie mir jetzt einmal zuhören würden; denn es ist mir sehr wichtig — einem Märchen aufgesessen.
Auch wenn der Arbeitsminister in seiner bekannt unbekümmerten Art im Plenum vom 16. Oktober ausgerufen hat:
In welchem Jahr wurden jemals 10 Milliarden für die Familie ausgegeben? Es ist das Jahr 1986.
entspricht das leider nicht der Wahrheit.
Die familienpolitischen Leistungen für dieses Jahr, für 1986, das auch Sie, Herr Zwischenrufer, gerade noch einmal gerühmt haben, betragen einschließlich des Erziehungsgeldes nämlich genau 7,35 Milliarden DM, denen aber Kürzungen und Streichungen von nicht weniger als 4,452 Milliarden DM gegenüberstehen. Das heißt: Das sogenannte 10-Milliarden-DM-Paket besteht in Wirklichkeit aus genau 2,883 Milliarden DM für das Jahr 1986. Wenn man von diesem Betrag nun noch die Minderausgaben abzieht, die dadurch
entstanden sind, daß weniger Kindergeld für weniger Kinder bezahlt werden muß, dann bleiben von dem angekündigten 10-Milliarden-DM-Paket für 1986 noch genau 1,308 Milliarden DM übrig. Das ist die Wahrheit.
Für das Jahr 1984, in dem neben der Stiftung „Mutter und Kind" auch der Mythos ins Leben gerufen wurde, die CDU sei besonders familienfreundlich, sah es noch viel schlimmer aus. Einzige zusätzliche Ausgabe in diesem Jahr für den Bereich Familie war die Ausstattung der Stiftung „Mutter und Kind" mit 25 Millionen DM. Dem standen Einsparungen in der Familienpolitik von genau 3,087 Milliarden DM gegenüber, d. h. es wurden Leistungen eingespart, die die sozialliberale Koalition geschaffen hatte, und Sie haben sie nun wieder zurückgenommen.
— Ja, ja, aber dann dürfen Sie nicht solche Märchen verbreiten, Sie hätten ein 10-Milliarden-DM-Paket für die Familien geschnürt, jetzt gehe die Familienpolitik erst los, nachdem die Wende in Wirklichkeit auch eine Abkehr von der Familienpolitik war.
Ich will nur einige dieser Einsparungen nennen: Kinderfreibetrag statt Kinderbetreuungskosten, Einsparung: 470 Millionen DM; Reduzierung des Kindergeldes: 980 Millionen DM; Einsparungen beim Schüler-BAföG: 600 Millionen DM; Kürzung des Mutterschaftsurlaubs: 310 Millionen DM; Halbierung des Ausbildungsfreibetrages: 300 Millionen DM; Ersetzung des Kinderzuschusses in der Rentenversicherung durch das Kindergeld: 48 Millionen DM usw. So kommt dieser Betrag allein für das Jahr 1984 zustande, in dem Sie die Stiftung „Mutter und Kind" ins Leben gerufen haben, womit Sie den Eindruck erwekken wollten, nun beginne die familienfreundliche Zeit. Das ist durch und durch einfach nicht wahr.
Ich würde Ihnen, liebe Kollegen von der CDU, raten, in Zukunft etwas bescheidenere Töne anzuschlagen, wenn von Familienpolitik die Rede ist.
Die Stiftung „Mutter und Kind" und die Tatsache, daß die vorhandenen Mittel in keinem Jahr ausgereicht haben, um alle berechtigten Anträge zu bewilligen, machen eines deutlich: Es gibt in unserem Land viel zu viele arme Mütter, und es gibt viel zu viele arme Familien, die von der Stiftung „Mutter und Kind" überhaupt nicht und von der Stiftung „Familie in Not" nur in Ausnahmefällen profitieren.
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Frau Dr. Götte
Dazu würde ich gern ein Beispiel aus meinem Bürgerbüro anführen, das ich selber erlebt habe: Eine Mutter von vier kleinen Kindern hat bei mir angerufen. Ich merkte am Telefon schon am Ton der Stimme, daß diese Frau am Ende ihrer Kräfte war. Ich konnte sie dann mit Mühe dazu bewegen, ins Bürgerbüro zu kommen. Dort zeigte sie mir den Gehaltsstreifen ihres Mannes, aus dem ersichtlich war, daß ein Großteil des Lohns gepfändet wurde, weil die Familie bis über beide Ohren verschuldet war. Es blieben der sechsköpfigen Familie noch knapp 1 000 DM zur Deckung des laufenden Lebensunterhalts. Ich begleitete diese Frau, die nervlich auch völlig am Ende war, dann zu „Pro familia". Dort fand ein längeres Gespräch mit einer Mitarbeiterin statt, die dann auch einen Antrag — gerichtet an die Stiftung „Familie in Not" — ausgestellt und ein zweiseitiges Begleitschreiben dazugelegt hat, um den Fall zu begründen. Von der Stiftung „Mutter und Kind" konnte die Frau leider nichts bekommen, weil sie ja zur Zeit nicht schwanger war.
Einige Wochen darauf bekam die Frau den Bescheid: „Ihr Antrag wurde dem Vergabeausschuß in seiner Sitzung vom 24. März vorgelegt. Die Mitglieder sehen sich nicht in der Lage, aus der Stiftung ,Familie in Not' oder aus der Stiftung ,Mutter und Kind' einen finanziellen Zuschuß zu bewilligen. " Das wurde damit begründet, daß die Stiftung in solchen Fällen, in denen die Verarmung durch Verschuldung herbeigeführt wurde, nicht helfen kann. „Wir bedauern, keine andere Entscheidung mitteilen zu können. " Die Mutter hat inzwischen einen Selbstmordversuch hinter sich und befindet sich zur Zeit in einer psychiatrischen Klinik.
An dieser Stelle sollten wir auch einmal über die Belastungen der Beratungsstellen sprechen, die nun die Anträge alle bewilligen sollen. Ich finde es nicht in Ordnung, daß die Sorgen der Beratungsstellen, zuviel Zeit für das Aufstellen von Verträgen aufwenden zu müssen und deshalb zuwenig Zeit für die eigentliche Beratung zu haben, einfach vom Tisch gewischt werden. Es kommen zu diesen Beratungsstellen ja unglaublich viele Frauen, die gar keinen Anspruch auf Mittel aus der Bundesstiftung haben und trotzdem nach einem Weg suchen, wie sie aus ihren Schwierigkeiten herauskommen. Diese Art von Beratung, die sich nur um die Frage dreht: „Sind Sie berechtigt, einen Antrag zu stellen? Hat es einen Sinn, einen Antrag zu stellen, oder nicht?", geht in die Statistik der Beratungsstellen gar nicht ein und schon gar nicht in die Statistik der Bundesstiftung, weil die Beratungsstellen ja nur die Anträge, die Aussicht auf Erfolg haben, überhaupt weiterleiten.
Höhere Stiftungsmittel, die der Stiftung nun zugebilligt werden sollen, bedeuten auch eine größere Zahl von Anträgen. Es wäre deshalb nur recht und billig, wenn sich der Bund mit diesen Mitteln auch an den Verwaltungskosten der Beratungsstellen beteiligen würde.
Sie wollen die Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind" um 30 Millionen DM erhöhen.
Wir werden nicht dagegenstimmen. Aber hüten Sie sich, in diesen 30 Millionen DM ein neues Ruhmesblatt im Lorbeerkranz familienpolitischer Leistungen zu sehen, den Sie sich so gern aufsetzen.
— Das Erziehungsgeld war in all diesen Berechnungen, die ich vorgelegt habe, mit enthalten. Eine Woche nachdem Sie beschlossen haben, die Mittel um 30 Millionen DM zu senken, hat der Finanzausschuß bereits beschlossen, daß Ihre Planungen mittelfristig schon wieder über den Haufen geworfen werden.
— Ja, das können Sie hier gern einmal öffentlich sagen, daß Sie die Mittel mittelfristig erhöhen wollen. Wir nehmen das dann zur Kenntnis und zu Protokoll.
— Wie schwierig das Geben und Nehmen bei dieser Regierung ist . . .