Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir die Situation bewältigen wollen, sollten wir uns zunächst einmal über die Voraussetzungen einigen, die wir bestehen müssen, um überhaupt etwas tun zu können. Ich knüpfe an das an, was gerade zur europäischen Stahlpolitik gesagt worden ist. Da muß ich Ihnen zunächst sagen — ich nehme an, Sie wissen das — , daß Sie trotzdem solche Äußerungen hier machen, ist gefährlich; denn wenn Sie es wissen, müßten Sie eigentlich versuchen, der Bundesregierung zu helfen.
— Ich hoffe, daß Sie es wissen.
Ich will Ihnen sagen, wie die Ausgangslage ist. Die Kommission hat bereits erklärt, sie werde keinen Vorschlag unterbreiten, der eine Verlängerung der Quotenregelung für drei Jahre enthält, was wir gefordert haben, wofür wir beim letzten Stahlrat auch eine informelle Mehrheit hatten, allerdings unter der Voraussetzung, daß das von einer Reduzierung der Kapazitäten begleitet wird, um die Kapazitäten der Nachfrage anzupassen. Nun sage ich Ihnen, das hat alles gar keinen Sinn. Ich finde, wenn Sie diese Aktuelle Stunde im Interesse der Betroffenen wirklich nutzen wollen, dann sollten wir uns jetzt mal ruhig über die Voraussetzungen unterhalten, die bestehen, damit man zu Hilfe kommt.
Wenn die Kommission keinen Vorschlag zur Verlängerung der Quotenregelung macht — das wird sie nicht machen, wie sie bereits angekündigt hat —, dann brauchen Sie im Ministerrat, wenn Sie eine andere Entscheidung haben wollen, die gegen diese Haltung der Kommission durchgesetzt werden kann, nicht nur eine Mehrheit, dann brauchen Sie Einstimmigkeit. Ich muß alle zwölf Regierungen zusammenbringen; die müssen einstimmig die Verlängerung der Quotenregelung beschließen. Das ist die Ausgangslage. Es hat gar keinen Sinn, daß wir uns daran vorbeimogeln.
— Herr Vogel, ich beschreibe das nicht, weil mich das freut; denn das macht meine Aufgabe sehr schwer.
Wir haben mindestens zwei Mitgliedsländer, die durch eigene erhebliche Anstrengungen die Kapazitäten in ihrem Land so reduziert haben, daß ihre Stahlindustrie so wie die unsrige heute — jedenfalls in weiten Teilen — wettbewerbsfähig ist. Diese beiden Mitgliedsländer werden niemals einer Verlängerung der Quotenregelung zustimmen,
wenn wir nicht gleichzeitig auch ein Gesamtkonzept zur Reduzierung von Kapazitäten woanders zustandebringen. Darum bemühen wir uns. Wir haben bei der letzten Sitzung des Stahlrats in dieser Beziehung schon ganz entscheidende Fortschritte erzielt.
Ich will Ihnen noch einmal vortragen, was nötig ist; nicht deshalb, weil die Bundesregierung oder irgendeiner hier in diesem Hause das will, sondern weil sich die Nachfrage verändert hat. Nach einer Prognose des Internationalen Eisen- und Stahlinstituts wird der Stahlverbrauch in der Europäischen Gemeinschaft bis 1995 auf 92 Millionen Tonnen zurückgehen. Das sind innerhalb von zehn Jahren zehn Millionen Tonnen weniger. In den Vereinigten Staaten wird zur gleichen Zeit ein Rückgang um 12 Millionen Tonnen und in Japan um 8 Millionen Tonnen stattfinden. Die Schwellenländer bauen ihre Kapazitäten auf.
Herr Ministerpräsident Rau war vor kurzem in Indien und hat sich dort ein Stahlwerk angesehen, das mit deutscher Hilfe gebaut worden ist und jetzt mit deutscher Hilfe, mit der Hilfe von deutschen Anlagenbauern, die auch aus Nordrhein-Westfalen kommen, modernisiert werden soll. Herr Ministerpräsident Rau, Sie haben das unterstützt, wenn ich den Presseberichten glauben darf. Man kann doch nicht erwarten, daß das, was wir dort auch mit deutscher Hilfe machen, die Stahlproduktionsmengen nicht vergrößert. Das ist doch wohl logisch und selbstverständlich.
Wir haben weltweit einen Rückgang der Stahlproduktion in den klassischen Stahlländern, weil in den Schwellenländern neue Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Warum ist das so? Weil dort die Produktionskosten geringer sind. Ich sage das nicht anklagend.
Ich nehme ein anderes Beispiel, das niemand bestreiten kann, nämlich die Energiekosten. Wir haben
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1987 3135
Bundesminister Dr. Bangemann
hohe Energiekosten. Das ist übrigens, wenn ich das nebenbei erwähnen darf, auch deshalb so, weil wir den Versuch machen, die Energieerzeugung bei uns gegen die Produktionskosten in anderen Ländern zu unterstützen. Deswegen sind unsere Energiekosten hoch. Das macht sich bei der Stahlproduktion bemerkbar. Wir haben wegen der Energiekosten beispielsweise nicht mehr die gleiche Nachfrage nach Stahlrohren wie früher. Die Stahlrohre sind ein besonders düsteres Kapitel, weil dort die Nachfrage zurückgegangen ist.
Meine Damen und Herren, wir müssen von diesen unbezweifelbaren Tatsachen ausgehen. Es nützt niemandem etwas, wenn Sie jetzt den Versuch unternehmen, die Regierung an den Pranger zu stellen, schon gar nicht den betroffenen Arbeitern.
— Sehen Sie, das ist es ja, was ich an Ihren ganzen politischen Aktivitäten so fürchterlich erschütternd finde: Sie stellen sich hier hin, im Brustton der Überzeugung, mit einem Pathos, das man kaum anhören kann, wecken Sie Hoffnungen, und Sie unterstützen die Regierung nicht, sondern Sie zeigen durch Ihre Zwischenrufe, daß Sie einzig und allein daran interessiert sind, das zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung zu machen. Das ist das Erschütternde daran.
Es ist auch nicht wahr — ich sage das auch im Interesse der Kollegen in der Europäischen Gemeinschaft, die zu Ihrer Partei oder jedenfalls Ihrer Parteifamilie gehören — , daß diese Stahlkrise in Europa ausschließlich auf dem Rücken der deutschen Stahlindustrie ausgetragen worden ist.
— Auch nicht überproportional. Ich sage Ihnen noch einmal die Zahlen. In Großbritannien hat seit Beginn der Krise Anfang 1975 bis heute die Stahlindustrie 71 % der Arbeitsplätze verloren. Das waren in Großbritannien 134 000 Arbeitsplätze.
In Frankreich waren es 60 %, in Belgien und Luxemburg 55 % und bei uns 41 % — das entspricht 95 000 Arbeitsplätzen.
Das ist schwer genug. Aber die Behauptung, hier bei uns in Deutschland werde stillgelegt, damit anderswo die Stahlarbeiter ihre unrentablen Arbeitsplätze behalten können, ist schlicht falsch. Es liegt auch im Interesse der europäischen Solidarität mit diesen Stahlarbeitern, daß Sie die Verbreitung dieser Unwahrheiten endlich einmal einstellen.
Was werden wir jetzt machen, und was müssen wir machen?
— Ja es tut mir leid. Ich hätte auch allein das vortragen können, wenn Sie hier nicht ständig Unwahrheiten behaupteten. Das ist das Problem.
Ich werde mich beim Stahlrat am 8. Dezember dafür einsetzen, daß wir eine gemeinsame Konzeption erarbeiten, die die Fortführung des Quotensystems über drei Jahre erlaubt. Ich sage Ihnen aber: Diese Konzeption wird nicht erreichbar sein — aus Gründen, die ich hier vorhin angeführt habe —, wenn nicht alle Länder bereit sind, Kapazitäten stillzulegen, weil wir auf andere Weise das Problem nicht lösen können.
Diese Stillegung von Kapazitäten muß nach zwei Prinzipien vor sich gehen: erstens nach der Wettbewerbsfähigkeit — es ist wahr, daß die Wettbewerbsfähigkeit bei einer Stillegung ausschlaggebend sein muß — , zweitens aber auch nach einer gerechten Verteilung zwischen den einzelnen stahlproduzierenden Ländern. Es kann niemand erwarten, daß ein Land allein die Stillegungen auf sich nimmt.
Wenn wir das geschafft haben, dann brauchen wir in der Tat Ersatzarbeitsplätze, diese Ersatzarbeitsplätze können wir schaffen, wenn wir das zusammen mit den Ländern in Angriff nehmen. Meine Damen und Herren, ich kann nur doppelt unterstreichen, was Graf Lambsdorff hier gesagt hat. Mit dem Ton, in dem Sie diese Debatte führen, hier in diesem Hause und im nordrhein-westfälischen Landtag, mit dem Ton, mit dem Sie auch dazu beitragen, daß diese Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen eben nicht stattfindet,
laden Sie eine Verantwortung auf sich, die ich nicht auf mich laden würde.
Wir können den Strukturwandel nur bestehen, wenn wir das gemeinsam anpacken, so wie das in der Frankfurter Erklärung gemeinsam mit der IG Metall, mit der Wirtschaftsvereinigung, also der Industrie, angegangen worden ist. Da hilft — das sage ich hier auch im Interesse von Managern, die den Mut haben, einmal zu sagen, was notwendig ist — keine billige Polemik gegen solche Leute; denn die brauchen Sie auch zum Strukturwandel.