Rede von
Hubert
Kleinert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist alles andere als einfach, nach dem Kollegen Dr. Weng hier das Wort ergreifen zu müssen. Wer nach vier Tagen Haushaltsdebatte hier eine Bilanz versucht, wer Revue passieren läßt, was in dieser Woche über die angeblich so grandiose Leistungsbilanz dieser Regierung alles gesagt worden ist, der könnte fast meinen, wir lebten in der Bundesrepublik in einem Schlaraffenland.
Wer hier gehört hat, wie sich diese Regierung einmal mehr selbst gefeiert hat, wer dieses Ritual eines frohsinnigen Regierungsoptimismus erlebt hat, der kann nur feststellen: Gesundbeterei, Schönfärberei und all die anderen Formulierungen, die wir diese Woche schon gehört haben, sind noch viel zu schwache Begriffe für das, was Sie uns hier vorgaukeln wollen. Mögen die Fakten auch noch so gegen Sie sprechen, mögen die Haushaltslöcher des Finanzministers noch so groß, die Bilanzen der Arbeitslosenstatistik noch so deprimierend und die umweltpolitischen Perspektiven noch so düster sein, Sie übertönen das alles mit lauter und mit anmaßender Selbstgerechtigkeit.
Diese Selbstgerechtigkeit ist für mich in zwei Reden dieser Woche ganz besonders deutlich geworden: in der Rede des Bundeskanzlers am Dienstag und im Beitrag des Bundesfinanzministers am Mittwoch.
Bundeskanzler Kohl hat mit Tremolo in der Stimme am Dienstag in seiner Stellungnahme zu den Vorgängen in Kiel einen neuerlichen Beweis für seine unübertroffene Fähigkeit zur Darstellung inszenierter Betroffenheit geliefert. Er hat von „bedrückenden Vorgängen" gesprochen. Er hat dabei weiter ausgeführt:
Wir alle in der CDU sind zutiefst betroffen von diesen sehr bitteren Erfahrungen. Viele von uns — ich sage das auch für mich ganz persönlich — sind nach mancherlei Erfahrungen im politischen
Leben mit Erfahrungen einer Dimension konfrontiert worden, die für uns in dieser Form nicht faßbar war. Die Fragwürdigkeit menschlichen Handelns ist hier offenbar geworden.
Was immer gerade das letzte, „die Fragwürdigkeit menschlichen Handelns", bedeuten mag.
Ich will gewiß niemandem die Fähigkeit zur Nachdenklichkeit absprechen, auch Ihnen nicht, Herr Kohl. Es mag ja sogar sein, daß auch in der CDU Bestürzung und Betroffenheit über das empfunden wird,
was unter dem Stichwort vom „Waterkantgate" seit Monaten Schlagzeilen macht.
Wenn aber in diesem Bundestag schon wohlvorbereitete Nachdenklichkeit und Betroffenheit demonstriert werden sollen, wenn die Stunde der Bekenntnisse anbricht, daß der Zweck nicht die Mittel heilige, daß in der Politik kein Freund-Feind-Verhältnis sein dürfe, und all die anderen Erbaulichkeiten vorgetragen werden, dann muß schon etwas genauer nachgefragt werden, was da eigentlich abläuft, allemal dann, wenn es in der veröffentlichten Meinung von politischen Moralisten mittlerweile nur so wimmelt, die treuherzig versichern, so etwas wie Kiel dürfe nie wieder sein. Nachgefragt werden muß nach den tatsächlichen Chancen für wirkliche Konsequenzen. Nachgefragt werden muß nach den tieferen Ursachen, nach den Möglichkeiten für Konsequenzen jenseits wohlfeiler Lippenbekenntnisse.
Dabei drängen sich dann Fragen auf, die auch hier im Bundestag endlich einmal gestellt werden müssen.
— Herr Vorsitzender Walther, wenn Sie vielleicht ein bißchen ruhiger wären.