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ID1104102500

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 11/1051, 11/1081) 2689B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 11/1052, 11/1081) 2689B Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 11/1053, 11/1081) 2689 C Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen 11/1054, 11/1081) Dr. Vogel SPD 2689 D Seiters CDU/CSU 2699 C Frau Rust GRÜNE 2709B Dr. Bangemann FDP 2712D Dr. Kohl, Bundeskanzler 2720 B Koschnick SPD 2729 D Austermann CDU/CSU 2732 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 2735 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 2739 C Frau Simonis SPD 2741B Vizepräsident Westphal 2740 D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksachen 11/1055, 11/1081) Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 2742 B Dr. Rose CDU/CSU 2745 A Voigt (Frankfurt) SPD 2747 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2750 D Stobbe SPD 2753 D Genscher, Bundesminister AA 2756 C Rühe CDU/CSU 2760 D Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksachen 11/1064, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksache 11/1076) Walther SPD 2764B, 2774A, 2781C Dr. Friedmann CDU/CSU 2766 D Frau Schilling GRÜNE 2768 D Frau Seiler-Albring FDP 2771B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2774B Jungmann SPD 2778 D Müller (Wadern) CDU/CSU 2780 D Frau Beer GRÜNE 2381 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksachen 11/1069, 11/1081) Esters SPD 2783 B Borchert CDU/CSU 2785 B Volmer GRÜNE 2786 D Frau Folz-Steinacker FDP 2789 A Klein, Bundesminister BMZ 2790 A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen (Drucksachen 11/1071 11/1081) Hiller (Lübeck) SPD 2791 D Dr. h. c. Lorenz CDU/CSU 2793 B Frau Hensel GRÜNE 2796 B Hoppe FDP 2798 B Sielaff SPD 2799 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 2801D Nächste Sitzung 2803 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2804* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 41. Sitzung Bonn, den 24. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Dr. Adam-Schwaetzer 24. 11. Dr. Ahrens * 27. 11. Antretter * 24. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Haack 27. 11. Haar 24. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Höffkes 24. 11. Hörster 26. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ibrügger 24. 11. Kiechle 25. 11. Klose 27. 11. Kreuzeder 27. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 24. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 24. 11. Oesinghaus 24. 11. Paintner 27. 11. Paterna 24. 11. Petersen 27. 11. Reddemann * 26. 11. Reimann 24. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schmidbauer 26. 11. von Schmude 24. 11. Dr. Schöfberger 24. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11.
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    Rede von Dietrich Austermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Koschnick, einer von den vier SPD-Abgeordneten, die bisher als Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gezeigt haben, daß sie es nicht können,

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    hat hier darzustellen versucht, was in einem Staat zur geistig-moralischen Führung notwendig ist.
    Er hat gleichzeitig eine Rede gehalten, die in schlimmer Weise gezeigt hat, wie man politisch-mora-



    Austermann
    lisch miteinander nicht umgehen sollte. Sein Versuch, eine Verbindung vom Bundeskanzler zur Pfeiffer-Affäre herzustellen, ist so abenteuerlich, als ob wir sagten, Herr Koschnick sei an Herrn Pfeiffer schuld, weil er aus Bremen stammt.
    Wenn wir uns über politische Moral unterhalten, dann muß auch die Frage erlaubt sein, ob ein Regierungschef politisch-moralisch gehandelt hat, in dessen Bundesland nach Ablauf seiner Regierungszeit — in Bremen — die höchste Arbeitslosigkeit aller Bundesländer bestand. Ist es politisch-moralisches und ethisches Handeln — wenn man es als ethische Aufgabe ansieht, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen — , daß er die Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der bremischen Häfen offensichtlich zugelassen hat, daß er es zugelassen hat, daß in diesem Bundesland das geringste Wirtschaftswachstum herrschte,

    (Widerspruch bei der SPD)

    daß die Bürger aus diesem Bundesland abgewandert sind und abwandern? Zeigt dies eine Politik mit geistig-moralischer Führung? Ich glaube es nicht.
    Dem, was Sie zu Afrika gesagt haben, will ich das Zitat eines alten Bundeskanzlers, bezogen aus Südafrika, entgegenhalten:
    Durch Pathos ist noch keinem Verfolgten und keiner bedrückten Minderheit, geschweige denn einer unterdrückten Mehrheit geholfen worden. Hier geht es um Augenmaß auch bei Protesten, und es geht um die Frage, ob man in erster Linie anderen helfen will oder ob man sich lieber durch Deklamationen selbst helfen will.
    Diesen Eindruck erweckte aber Ihre schlimme Rede eben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, es geht bei dieser Debatte heute um die sogenannte Generalabrechnung. Es geht darum, den grundsätzlichen Unterschied zwischen Regierung und Opposition darzustellen, und darzustellen, wie die Alternative aussieht, wer führt und wer nicht führt.
    Sind das die Fragen, die die Bürger heute beschäftigen?
    Der Jahreszeit entsprechend bereiten sich unsere Mitbürger auf das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel vor. Wenn es ihnen heute um Politik geht, geht es natürlich auch um die Affäre von Kiel, die schlimmen Aktivitäten aus der Pressestelle der dortigen Staatskanzlei hinaus, aber auch um eine Opposition, die sich heute einen Heiligenschein aufsetzt. Es geht um die Brüskierung aller gesetzestreuen Bürger durch die Duldung der Gewalt, quasi um eine Begünstigung im Amt durch Pachtverträge mit Gesetzesbrechern in Hamburg. Es geht unseren Bürgern heute aber vor allen Dingen um die Sicherheit des Arbeitsplatzes, um den Blick in die Zukunft. Zur Jahreswende stellt sich die Frage, ob es Sicherheit für die Erhaltung des Wohlstands geben kann. Ich sage ja, denn dieses Land wird ordentlich regiert.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Die Koalition aus drei Parteien hat bisher in ungezählten wesentlichen Fragen der Nation Einigkeit erzielt. Probleme oder problematisierte Entscheidungen, die oft monatelang die öffentliche Diskussion bestimmt haben, sind entschieden und vergessen.
    Die Antwort auf die Frage nach der Führung ist die Hypothese: was wäre, wenn es den Regierungswechsel vor fünf Jahren nicht gegeben hätte.
    Es hätte keinen NATO-Doppelbeschluß gegeben. Weil es ihn gegeben hat, sind Frieden und Freiheit sicherer geworden. Ohne die Wende vor fünf Jahren hätt es weniger gute Ergebnisse für die Menschen im geteilten Deutschland gegeben. Der Regierungswechsel hat ihnen mehr Erleichterungen gebracht, mehr rechtliche Verbindung, mehr Zusammenarbeit und mehr Begegnungen. Ohne die Wende vor fünf Jahren hätte es weiterhin Technologiestopp gegeben, einen Ausstieg aus der Industriepolitik. Wir haben den Technologiestopp beendet; Deutschland hat sich auf dem Weg zu einer modernen Industrienation weiterentwickelt.
    Von wesentlichen Teilen der damaligen Regierung wurde wirtschaftliches Wachstum schon vor 1982 als nicht wünschenswert bezeichnet; das muß man immer wieder deutlich sagen. Wirtschaftliches Wachstum wird auch jetzt — das ergibt sich aus Ihrem Programm vom vorigen Jahr — als nicht wünschenswert bezeichnet. Heute haben wir seit fünf Jahren wirtschaftliches Wachstum, und auch für nächstes Jahr wird zwar bescheidenes, aber eben wirtschaftliches Wachstum prognostiziert. Das ist dann Wachstum im sechsten Jahr.

    (Dr. Apel [SPD]: Gebt ihm doch mal eine Lesebrille!)

    Unsere Regierungsvorgänger hinterließen das Land in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise.

    (Dr. Vogel [SPD]: Reden Sie von SchleswigHolstein?)

    Wir haben die öffentlichen Finanzen neu geordnet, sinkende Zinsen ermöglicht, haben stabiles Geld, niedrige Energiepreise und eine sinkende Steuerlast. Neue Schulden waren unter Finanzminister Stoltenberg in den letzten fünf Jahren nur erforderlich, um Zinsen für die alten Schulden unserer Regierungsvorgänger zu zahlen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Was, Sie zahlen Zinsen mit Schulden? Das ist ja unglaublich! Das ist ein Bankrotteur!)

    — Neue Schulden, etwa 120 Milliarden DM in den letzten fünf Jahren, waren nur erforderlich, um die Zinsen für die Schmidt-Altlasten zu zahlen. Ich erwähne auch, daß der Haushalt jeweils vor dem Beginn des Jahres verabschiedet wird und daß es Nachträge in den letzten fünf Jahren nicht zu geben brauchte.

    (Dr. Vogel [SPD]: Welcher schleswig-holsteinische Medienreferent hat dem denn die Rede geschrieben? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Die grundsätzliche Problematik der 70er Jahre, nämlich das Leben über die eigentlichen Verhältnisse, das ja weltweit stattgefunden hat, zeigt sich heute mit ihrer ganzen Brutalität. Jetzt, wo Impulse gebraucht werden, wo sich neue Aufgaben stellen,



    Austermann
    sind in den meisten Ländern die Kassen leer. In der Bundesrepublik sind wir dank der Konsolidierungspolitik in einer anderen Situation, auch wenn die Zinsen der Schulden aus der Vergangenheit uns drücken.
    Wir haben für das Jahr 1988 eine Steuersenkung in der Größenordnung von 14 Milliarden DM, eine Steuersenkung am 1. Januar 1988, die allen Bürgern hilft, vorgesehen. Dies ist der einzige Grund, aus dem die Neuverschuldung angehoben wird, obwohl wir gewollte Mehrausgaben beim Erziehungsgeld, beim Erziehungsjahr, bei der Rentensteigerung, beim Wohngeld und bei mehr Hilfen für Landwirtschaft, Kohle, Werften sowie Luft- und Raumfahrt haben. Es wurden in den letzten Wochen eine Fülle von Entscheidungen getroffen, die zeigen, daß diese Regierung handlungsfähig ist, daß sie gehandelt hat und auch in Zukunft handelt.
    Zu Beginn der 80er Jahre gab es Probleme mit dem Ansturm von Wirtschaftsflüchtlingen, mit ungelösten Aufgaben in der Rechts- und Innenpolitik. Jetzt sind Freiheit und Recht im Innern gesichert, wenn dann auch die nächsten Aufgaben beim Versammlungsrecht gelöst werden, wie Herr Bangemann es auch für die FDP angekündigt hat.
    Über viele Jahre hinweg wurden in den 70er Jahren die Probleme strukturschwacher Regionen — dafür hätte Herr Koschnick beredte Beispiele bringen können — vernachlässigt. Die absehbare Krise der Stahl-und Kohleregionen wurde nicht angepackt, Lösungen wurden verschlafen. Wir haben jetzt, auch mit diesem Haushalt, eine Wettbewerbshilfe für die Werften eingeführt, die sicherstellt, daß die Aufträge bei den Werften eine vernünftige Strukturanpassung ermöglichen. Derzeit gibt es Anträge für ein Volumen von 3 Milliarden DM. Das Programm ist erfolgreicher, als wir zu hoffen gewagt haben.
    Über Umweltschutz wurde bis 1982 nur geredet. Heute ist die Bundesrepublik in der EG Vorreiter in Sachen Umweltschutz.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP] — Dr. Vogel [SPD]: Das ist ein Saboteur, der da klatscht!)

    Mehr Steuergeld wird für die Eingliederung der Aussiedler und für Besuche unserer Landsleute aus der DDR ausgegeben.
    Neben all diesen Erfolgen, die ohne klare Führung nicht möglich gewesen wären, gibt es allerdings zwei Problembereiche, die nicht geleugnet werden sollen. Da ist einerseits die seit vielen Jahren bestehende Problematik in der Landwirtschaft, die man wohl eher als eine Problematik des ländlichen Raumes bezeichnen muß, und da ist andererseits die Tatsache, daß unser Volk zahlenmäßig abnimmt, wenn es nicht gelingt, unser Land kinderfreundlicher zu machen. Es kann nicht hingenommen werden, daß eines der reichsten Länder der Welt die meisten Abtreibungen zu beklagen hat — mit der Begründung: soziale Notlage. Hingenommen werden kann auch nicht, daß es im Fernsehen selbst in der Vorweihnachtszeit mehr Reklame für Hunde- und Katzenfutter als für Kinderspielzeug gibt.

    (Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: Und das unter Ihrer Regierung!)

    Aus dem Haushalt des Bundeskanzleramtes werden Gutachten und Analysen initiiert, die in die Zukunft gerichtet sind. Die Themen lauten: Wie verbessern wir die Lebensbedingungen im ländlichen Raum? Wie stellen wir im Lande wieder ein einheitlich bejahtes Mindestmaß an Staatsräson und Gesetzestreue, einen sozialen Grundkonsens, her? Wie reagieren wir auf die zunehmende Freizeit im dritten Lebensabschnitt, wie gestalten wir das Leben im Alter? Wer gewinnt den Wettbewerb um den beruflichen Nachwuchs? Was tun wir, um unser Land kinderfreundlicher zu machen?
    Im Bundeskanzleramt wird in der Gegenwart geführt und für die Zukunft gearbeitet. Dabei muß allerdings zugegeben werden, daß es bei der Darstellung dieser Arbeit, die durch Momentaufnahmen von Meinungsbefragungen bestätigt wird, Schwierigkeiten gibt, die vielfältige Gründe haben. Ich will hier ein Beispiel erwähnen, das vielleicht Ihren Hochmut angesichts der Situation in Kiel etwas dämpft. Da fällt mir ein Zitat von Wolfgang Clement, der ja bis vor kurzem, als er sein Amt aus Ihnen allen bekannten Gründen niedergelegt hat, Sprecher Ihrer Partei war, aus der „Zeit" in die Hand. Er wird dort mit der Aussage erwähnt:
    Zu unserer Regierungszeit
    — also der Regierungszeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt —
    wurden die Wahlkämpfe vom Bundespresseamt bestritten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Da sind Sie nach Karlsruhe marschiert!)

    Was an Schwächen da war, wurde durch Schmidt und Regierungstätigkeit überlagert.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    Nun, ich erwähne das auch deshalb, weil ja auch andere Aktivitäten bekannt sind. Da gibt es z. B. einen Mitarbeiter des Bundespresseamtes, vom Bundespresseamt besoldet, der seit einem halben Jahr beurlaubt ist, um Helmut Schmidt bei den Aufräumungsarbeiten zu helfen, und Wahlkampf in Schleswig-Holstein macht — bezahlt von diesem, unserem Bundespresseamt.

    (Jungmann [SPD]: Herr Austermann, ich würde Ihnen empfehlen, sich genauer zu informieren! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Ich glaube, wenn man dies sieht, wenn man diese Beispiele hört, dann steht es Ihnen gut an, über Mißbrauch der Öffentlichkeitsarbeit, über die Selbstdarstellung dieser Regierung etwas weniger hochmütig zu reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und da ist schließlich die Diskussion zwischen den Koalitionspartnern, die von mir natürlich nicht geleugnet werden soll. Aber sie ist demokratisch notwendig, auch wenn sie das Harmoniebedürfnis der



    Austermann
    Bürger offensichtlich stört. Geht man nach den letzten Wahlen, dann wollen unsere Bürger merkwürdigerweise keine absolute Mehrheit. Sie wollen aber gleichwohl klare Konturen der Politik, Richtlinienentscheidung, straffe Organisation und die Faust auf dem Tisch des Kanzleramtes.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Aber sie wollen Sie auch nicht!)

    Ich sage, daß dies in einer Koalition mit drei Partnern kaum möglich ist. Unter unseren Vorgängern in der Regierung war dies ja noch nicht einmal bei zwei Koalitionsparteien möglich.
    Der Haushalt 1988 — lassen Sie mich zum Schluß kommen —,

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Au ja!)

    die Finanzpolitik, alle Bereiche der Politik haben heute klare Konturen. Innere und äußere Sicherheit werden im kommenden Jahr verbessert, der wirtschaftliche Wohlstand wird wachsen, die Arbeitslosigkeit wird entschlossen bekämpft,

    (Widerspruch bei der SPD)

    die Zahl der Beschäftigten wird, wie der Sachverständigenrat gesagt hat, weiter steigen — das Ganze bei stabilem Geld und steigenden Einkommen.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Jetzt reicht's!)

    Dieses Land — das zeigt die Debatte um den Kanzleretat — wird ordentlich geführt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute! — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das war eine große Rede!)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.

(Zuruf von der SPD: Sei lieb, schön langsam! — Koschnick [SPD]: Ganz langsam, wie ich! — Heiterkeit bei der SPD)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herta Däubler-Gmelin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Austermann, ich halte das Parlament eigentlich für eine Stätte des Dialogs. Ich hätte mich sehr gern mit dem auseinandergesetzt, was Sie gesagt haben.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das geht gar nicht!)

    Nachdem ich erfahren hatte, daß Sie Mitglied der CDU Schleswig-Holsteins sind, hatte ich auch gehofft, daß Sie etwas sagen würden, mit dem man sich auseinandersetzen kann, sozusagen als neuer Anfang, als neuer Stil. Ich muß sagen, ich bin enttäuscht darüber,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das sieht man Ihnen an!)

    daß es eigentlich nichts gab als wieder die alten Platitüden. Deswegen werde ich mich nur mit einem einzigen Punkt dessen, was Sie gesagt haben, auseinandersetzen: Das, was Sie zu Hans Koschnick gesagt
    haben, war nicht nur ungehörig, sondern auch dumm.

    (Austermann [CDU/CSU]: Koschnick hat eine schlimme Rede gehalten!)

    Mit seiner Politik hat Herr Koschnick in Bremen eine strahlende, absolute Mehrheit bekommen, und die CDU — Entschuldigung — liegt jetzt in Bremen bei etwa 23 %.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Sie sollten sich wirklich überlegen, ob so etwas angemessen ist.
    Aber, meine Damen und Herren, ich möchte eigentlich einen anderen Schwerpunkt herausgreifen, und zwar das, was so nach fünf Jahren Politik von Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihrer Bundesregierung, auffällt. Wir können heute hinschauen, wohin wir wollen: Politik erfreut sich keines guten Ansehens. Die Kritik an Bonn, gerade auch an Bonn, kommt — das stellen wir fest, wenn wir in die Leserbriefspalten von Zeitschriften und Zeitungen sehen, oder wenn wir Reden oder auch Umfragen durchschauen — nicht nur tröpfchenweise, nein, es hagelt geradezu Kritik.
    Und was wird da gesagt? Da wird gerügt, mangelnde Rationalität bestimme die Politik. An ihre Stelle sei übertriebene Rücksichtnahme auf oftmals nur vermutete Strömungen und Emotionen getreten. Wissen Sie, wer das gesagt hat? Es war der ausscheidende Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der gleichzeitig mit einem gewissen Stolz, Herr Bundeskanzler, auf das hohe Ansehen blicken konnte, das das Bundesverfassungsgericht in unserer Gesellschaft genießt.
    „Das Vertrauen in die Politik nimmt ab", und „Noch nie seit 1951 war das Vertrauen der Bundesbürger so gering" — so lauten Schlagzeilen. Und das sind Schlagzeilen, Herr Bundeskanzler, die doch nicht nur uns beunruhigen, zumal wir gar nicht im Zentrum der Kritik stehen, sondern die auch Sie beunruhigen sollten. Übrigens auch das, was der Vorsitzende der Jungen Union, Herr Böhr, den Sie heute morgen gar nicht so gern mochten, Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat, nämlich die mangelnde Dialogbereitschaft von CDU und CSU.

    (Beifall bei der SPD)

    Das alles — das weiß ich auch — ergibt kein schönes Bild. Das möchten Sie natürlich verdrängen, das möchten Sie nicht wahrhaben. Sie stellen sich lieber — wer täte das nicht, und wer hätte dafür kein Verständnis — als den erfolgreichen Staatslenker dar, Herr Bundeskanzler. Ich verstehe das. Und dennoch ist diese Kritik berechtigt; dennoch ist diese Kritik realistisch. Das werden Ihnen auch Ihre Parteifreunde sagen, wenn sie den Mut dazu haben. Denn auch sie lesen Umfragen, auch sie werden an den Wochenenden von ihren Nachbarn und in Versammlungen ebenfalls darauf angesprochen.
    Wissen Sie: Die Vorgänge in Kiel haben tiefe Spuren hinterlassen; kein Zweifel. Das ist auch verständlich. Da wird noch viel getan werden müssen, um das in Ordnung zu bringen. Und ich sage hier ausdrücklich: Ich teile den Widerwillen und den Abscheu vieler



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    Bürgerinnen und Bürger gegen das, was da passiert ist.

    (Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Was da an Machtmißbrauch einer Staatskanzlei im Dienste einer Regierungspartei vorgefallen ist, ist widerwärtig. Was da an „schmutzigen Wahlkampftricks" angewandt wurde! So nennt man das offensichtlich heute, wenn der politische Gegner, also hier Björn Engholm, systematisch und gezielt aus der Staatskanzlei bespitzelt, verleumdet und als Person zermürbt werden soll, oder wenn um Wählerstimmen konkurrierende Parteien oder Wählergruppen „zersetzt" und madig gemacht werden sollen. Das ist schon schlimm. Und was da, Herr Bundeskanzler, mit der professionellen Hilfe eines extra dafür angeworbenen Springer-Journalisten inszeniert wurde, und vor allem, was da an Vertuschungsmanövern versucht wurde,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jansen!)

    als alles herauszukommen drohte, das ist nicht nur unzulässig; das ist unglaublich.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Lassen Sie mich hinzufügen: Wie da mit Menschen umgegangen wurde, Herr Bundeskanzler, auch mit anständigen, unbescholtenen Menschen, mit treuen Mitarbeitern und politischen Gegnern, das kann man an der Art und Weise ablesen, wie ein so unbescholtener Mann wie der langjährige Fahrer von Uwe Barschel behandelt wurde, dem man eine nicht zutreffende eidesstattliche Erklärung zur Unterschrift vorgelegt hat. Herr Bundeskanzler, das ist schäbig. Das ist mehr als schäbig. Das muß nicht nur aufgeklärt werden, das darf nie wieder passieren. Ich füge hinzu: Es darf nicht der Schatten eines Zweifels bleiben, daß auch CDU und CSU dies wollen. Ich sage Ihnen: Ich hätte es begrüßt, wenn Sie heute morgen mehr, ausführlicher und anders dazu geredet hätten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

    — Es ist nicht unglaublich, sondern ich habe Ihnen diese Bitte schon einmal vorgetragen.

    (Zurufe der CDU/CSU: Das ist infam!)

    Herr Stoltenberg, lassen Sie mich hinzufügen: Es wäre ein guter Neuanfang gewesen, wenn Sie es endlich über sich gebracht hätten, sich persönlich als CDULandesvorsitzender bei Björn Engholm und seiner Familie zu entschuldigen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ich darf es Ihnen noch einmal sagen: Als ich das schon einmal erbeten hatte, habe ich dann gehört und in den Zeitungen gelesen: Ach was; das sei doch eine recht altmodische Anregung. Wissen Sie, Herr Stoltenberg: Diese altmodische Anregung hätten Sie aufnehmen sollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Ich finde: Diesen Zug menschlichen Anstands

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat denn Engholm gewußt und seit wann? — Gegenruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]: Pfui Teufel!)

    hätten Sie sich als Person leisten können, ganz egal, was Ihre Kolleginnen und Kollegen im Augenblick dazu sagen.

    (Abg. Dr. Stoltenberg [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ja; gern, Herr Stoltenberg. Ich möchte das Thema nur ganz gern erst fertigbehandeln.
    Das hätte Mißtrauen abgebaut.

    (Bohl [CDU/CSU]: Nilius, Engholm, Jansen!)

    Das hätte Mißtrauen abgebaut, Mißtrauen von Bürgerinnen und Bürgern.

    (Austermann [CDU/CSU]: Arme ahnungslose Opfer!)

    — Herr Austermann, Sie sollten eigentlich daran interessiert sein, auch solche Stimmen zur Kenntnis zu nehmen, die jetzt in Leserbriefen schreiben: „Die Suche nach anderen politischen Umgangsformen" — so heißt es da — „wird sich wohl darin erschöpfen, daß die CDU bei der Auswahl ihrer Medienreferenten demnächst etwas vorsichtiger sein wird." — Wissen Sie, Herr Austermann, ich bin der Auffassung, diese Resignation, diese zynische Haltung der Bürger, die

    (Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Das ist so gehässig; das ist nicht mehr glaubwürdig! Pfui!)

    kann sich überhaupt niemand leisten, der Mitglied dieses Parlaments ist.

    (Austermann [CDU/CSU]: Unglaublich ist das!)

    Und jetzt sage ich Ihnen noch eines: Es ist doch keineswegs eine bestimmte Gruppe allein, die das fordert — trotz Ihrer wirklich erstaunlichen Zurufe —

    (Bohl [CDU/CSU]: Mitwisserschaft! Reden Sie davon!)

    — Herr Bohl, Sie haben es gerade nötig! Hören Sie einmal zu, was Ihnen ein Konservativer wie Golo Mann ins Stammbuch schreibt, von dem Sie doch viel mehr halten müßten als ich, weil er Ihnen näher steht als mir! Golo Mann hat in der vorigen Woche ein Interview gegeben, Herr Bundeskanzler. Er wurde von einem Journalisten gefragt: „Haben Sie von Helmut Kohl in der Affäre Barschel/Pfeiffer eine andere Haltung erwartet?" Da sagte er: „Ich hätte sie mir gewünscht; hier hätte ein schärferes Abrücken erfolgen müssen." — Herr Bundeskanzler, ich teile die Auffassung von Golo Mann. Sie haben das bisher nicht getan. Ich finde das bedauerlich.

    (Austermann [CDU/CSU]: Haben Sie von Herrn Jansen die Wahrheit erwartet?)

    — Herr Austermann, dieser Einwurf ist — nehmen Sie mir's bitte nicht übel — einfach zu tief unter dem Standard. Wenn Sie einen anderen machen, gehe ich gern darauf ein.

    (Austermann [CDU/CSU]: Er ist noch weit über dem Niveau Ihrer Rede!)

    Herr Bundeskanzler, die Glaubwürdigkeit Ihrer Politik leidet allerdings nicht nur an den Folgen von



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    Kiel, auch das gehört zu dem Gesamtbild. Nein, der rapide Abfall der Glaubwürdigkeit reicht weiter zurück, sogar weiter als bis zu Ihrem diesjährigen Sommertheater, obwohl natürlich vielen Bürgern das ständige Hin und Her, das ewige Gezerre um Selbstverständlichkeiten in der CDU/CSU, in der Koalition, gegen Frau Süssmuth, von der CSU gegen die FDP und umgekehrt schon stark auf die Nerven gefallen ist. Das aber wissen Sie selber.
    Nehmen wir aber die Raketenfrage. Wie mußten die Weltmächte ziehen, wie mußten wir Sozialdemokraten und viele Bürgerinnen und Bürger drücken und schieben, damit Sie sich endlich bequemten, dem Abbau der Pershing Ia zuzustimmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das wollen Sie dann auch noch als Machtwort und Führungsstärke hinstellen, auch heute wieder!
    Nein, der Mangel an Glaubwürdigkeit reicht tiefer. Immer mehr Menschen haben es satt, daß dieses Hin und Her, dieses taktische Finassieren und Ihr ständiger Koalitionspoker, den wesentlichen Teil Ihrer Politik ausmachen.
    Nehmen wir Ihre Steuerpläne, Herr Bundeskanzler. Es hat sich doch entgegen dem, was Sie heute morgen sagten, längst herumgesprochen — das zeigen uns alle Umfragen bis in die Reihen Ihrer Anhänger —, daß gerade die Normalverdiener von Ihren Steuerplänen nichts zu erwarten haben.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist Demagogie! Sie sind zum Opfer Ihrer eigenen Propaganda geworden!)

    Das sieht doch auch die Mehrheit Ihrer Anhänger so.
    Hören Sie gut zu: Vor einigen Tagen hat sich jemand aus dem Fernsehen verabschiedet, den ich sehr schätze. Das war Hans Joachim Kulenkampff, nicht nur ein sehr guter Showmaster, sondern ein sehr kluger Mann.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    — Da Sie jetzt lachen, hoffe ich, daß die vielen Millionen, die ihn im Fernsehen immer gesehen haben, Ihre Haltung richtig zur Kenntnis nehmen.
    Hans Joachim Kulenkampff hat sich in Abschiedsworten in einem Interview ebenfalls zu der Frage „Steuern" geäußert. Das finde ich gut. Dazu hat er als Bürger nämlich auch das Recht. Er hat an so an sich selbstverständliche Grundsätze erinnert wie an den, daß derjenige im Rahmen der Steuer am meisten beitragen soll, der das meiste Geld hat. Recht hat der Mann, kann man nur sagen. Er hat auch da recht, Herr Bundeskanzler, wo er beklagt, daß Ihre Politik „den Kontakt mit dem Normalverbraucher" einfach verliert.
    Nehmen wir die Arbeitslosigkeit! Was soll das ganze Gerede hin und her? Sie wissen doch selber genau, daß die Menschen schon längst bemerkt haben, daß die Arbeitslosigkeit steigt, außer in wenigen industriellen Zentren. Herr Blüm ist doch für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuständig. Leider ist er im Moment nicht da. Ich sage es dennoch: Ich finde es gut, daß er sich in Chile und Südafrika für Menschenrechte einsetzt. Es wäre mir natürlich noch lieber, Herr Bundeskanzler, er würde Sie und die Regierung auch dazu bekommen, jetzt endlich einmal wirksame Sanktionen gegen Südafrika zu beschließen und international dafür einzutreten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich finde es bedauerlich, daß er es nicht einmal schafft, die ständige Kampagne gegen Flüchtlinge und Ausländer aus Ihren eigenen Reihen zu stoppen.
    Ich finde, die Arbeitslosigkeit, genau das Feld, für das Herr Blüm zuständig ist, ist das Gebiet, auf dem sich das Versagen dieser Bundesregierung am deutlichsten zeigt. Ich darf die Frage anschließen: Sind es nicht eigentlich Menschenrechte von Arbeitslosen, um die es hier geht? Nehmen Sie Menschenrechte nur dann ernst, wenn sie weit weg von uns und weit weg von unserem Einflußgebiet auftauchen?

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wir haben schon vielmals Vorschläge gemacht, wie man Arbeitslosigkeit abbauen könnte. Sie waren immer so arrogant, diese Vorschläge abzulehnen. Wirtschaftsinstitute, die Bundesanstalt für Arbeit haben unsere Vorstellungen von Arbeit und Umwelt jetzt sogar auf ihre Fahnen geschrieben.

    (Dr. Blank [CDU/CSU]: Wer hat uns denn 1,8 Millionen Arbeitslose hinterlassen?)

    Ich denke, Sie werden nicht mehr sehr viel Zeit haben, diese Vorschläge zu übernehmen. Sie sollten sie nutzen.
    Meine Damen und Herren, Sie könnten damit auch in einem weiteren Punkt zu der Glaubwürdigkeit Ihrer Politik beitragen, nämlich in der Umweltpolitik. Sie können doch sagen, was Sie wollen: Die Menschen, gerade die jungen Menschen, sehen, daß die Wälder weiter sterben. Sie sehen auch, daß die Nordsee kurz vor dem Umkippen ist, allen Ihren Beschönigungen zum Trotz. Herr Bundeskanzler, das sind nun wirklich keine Probleme, die noch lange erforscht werden müssen, wie beispielsweise die Klimaveränderungen oder die dünner werdende Ozonschicht. Hier muß gehandelt werden. Dazu würde aber gehören, daß man sich nicht hinter kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen versteckt. Dazu würde gehören, daß man die Aufforderungen von Golo Mann und auch von Zeidler ernst nimmt.
    Das sehen die Bürger übrigens auch über die Parteigrenzen hinweg draußen genauso. Ich sage Ihnen eines: Wenn wir auf Bundesebene vergleichbare ergänzende, direkte Einflußmöglichkeiten auf die Arbeit dieses Hauses in Form von direkten Elementen der Demokratie hätten, wie wir sie beispielsweise in einigen Bundesländern oder auch in der Gemeindeordnung Baden-Württembergs, woher ich komme, haben, dann wäre sehr schnell Schluß mit dieser Politik des Laufenlassens und auch der mangelnden Kompetenz.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Lassen Sie mich ein anderes Stichwort aufgreifen, und zwar das der fehlenden Gerechtigkeit, die Ihrer Politik vorgeworfen wird. Sie wird bei den Steuerplänen deutlich, aber auch zum Beispiel im Umgang die-



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    ser Bundesregierung mit dem Finanzausgleich: Wie Sie strukturschwache und benachteiligte Regionen behandeln, daß Sie Probleme der Finanzverteilung sozusagen am schwarzen Tisch des Adenauer-Hauses aushandeln, obwohl das eigentlich in dieses Haus und offen in den Bundesrat gehört, das geht nicht an. Und was Sie jetzt im Rahmen der Krankenversicherung vorhaben, nämlich Rentnern, Arbeitnehmern und Angestellten nicht nur höhere Beiträge, sondern auch zusätzliche Lasten für Brillen und für Hörgeräte ganz oder teilweise aufzubürden, das steht, meine Damen und Herren, mit Gerechtigkeit nicht mehr in Einklang.
    Was die Mütter, gerade die über 65jährigen, an Behandlung von Ihnen erfahren mußten, Herr Bundeskanzler, brauche ich hier nicht mehr in Erinnerung zu rufen, weil die Frauen draußen das noch wissen. Was hatten Sie denn vor, was hatten Sie beschlossen? Alle Mütter über 65 Jahre sollten weggeschoben werden, sollten eben keine Anerkennung für Kindererziehungszeiten bekommen. Das hatten Sie beschlossen.
    Auch jetzt, nachdem wir, die Frauen selber, die Gewerkschaften, die Verbände und die Sozialdemokraten, Sie dazu gezwungen haben, diese Pläne abzuändern, ist die Gerechtigkeit für die über 65jährigen Mütter noch nicht verwirklicht. Wir werden Sie auch hier nicht aus der Verantwortung entlassen, nein, wir werden nicht ruhen, bis auch hier Gerechtigkeit eingetreten ist.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Jetzt noch ein dritter Punkt, Herr Bundeskanzler, ein Punkt, den ich Ihnen persönlich übelnehme: Gerechtigkeit als Maxime einer Bundesregierung verlangt, daß bei uns NS-Opfer nicht mehr länger auf moralische Anerkennung oder auf materielle Hilfe warten müssen. Seit Jahren mahnen wir über die Fraktionsgrenzen hinweg an, daß die Haltung der Union und die Haltung der Regierung sich ändern möge. Wir wollen jetzt nicht mehr warten, und die Opfer können nicht mehr lange warten, sonst sind sie nämlich gestorben. Deswegen sagen wir Ihnen auch an dieser Stelle: Helfen Sie endlich mit, daß in den kommenden Monaten wenigstens dieser Schandfleck beseitigt werden kann!

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, ich will jetzt noch einiges zur inneren Sicherheit sagen, weil heute morgen viel darüber geredet wurde. Innerer Frieden in unserem Land: Herr Bundeskanzler, wenn man an die Haltung der Union und an die Politik der Bundesregierung hierzu die Maßstäbe anlegt, über die ich gerade gesprochen habe, nämlich, wie Zeidler sagte: die der Sachgerechtigkeit und Rationalität, dann sieht es dort düster aus.
    Herr Bangemann hatte schon recht — ich hoffe, Sie sagen es ihm, wenn er wiederkommt —, als er auf dem letzten Parteitag der FDP ausrief — wenn auch für meinen Geschmack etwas zu pathetisch — : Wir lassen uns nicht vom Stammtischgerede beeindrucken; oder so ähnlich. Na ja! Damals gab es bereits genügend Skeptiker, die gesagt haben, die FDP würde wohl nicht lange bei dieser Auffassung bleiben; und so ist es dann auch gekommen.
    Meine Damen und Herren, sachgerecht ist das nicht, was Sie vorhaben, denn die Morde in Frankfurt kann man doch nicht nur dann bestrafen, wenn man eine schärfere Betrafung von Vermummten einführen würde. Das in Frankfurt war gemeiner Mord; das ist strafbar. Das ist ebenso zu Recht und schwer strafbar wie andere Gewalttaten, die — vermummt oder nicht — an Polizeibeamten unter Ausnutzung von Demonstrationen begangen werden. Das wollen wir hier festhalten, und dabei wollen wir es auch belassen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Vermummung ist heute verboten; auch das sagen Sie draußen nicht. Als ob nicht alle hier im Hause diesen schwarzen Block vermummter Gewalttäter ablehnen würden! Nein, auf dem Gebiet der inneren Sicherheit — das sage ich zu den Kolleginnen und Kollegen der FDP — sind Sie im Moment mehr denn je in Gefahr, sich Emotionen anzuschließen, Emotionen nachzugeben und unter Druck des Koalitionspartners und taktischer Rücksichtnahme wieder einmal umzufallen.
    Wie gesagt, das ist gefährlich, weil Sie damit Gewalt nicht wirksam bekämpfen können. Sie werden nicht einmal die Bilder der schwarz vermummten Blocks vom Bildschirm wegbekommen. Das alles haben Ihnen die Sachverständigen sogar während des einseitig handverlesenen Anhörungsverfahrens von Herrn Zimmermann vorletzte Woche vorgetragen. Mir liegt auch ein Papier der Union vor, in dem dies ausdrücklich festgehalten ist.
    Vor allen Dingen sind aber Ihre jetzigen neuen Pläne, Herr Dregger, gefährlich für die Polizei selbst, die vor Ort handeln muß, die mit Demonstrationen, auch mit Gewalt zu tun hat. Wir Sozialdemokraten halten nichts davon, Entscheidungen an Stelle von unmittelbar Verantwortlichen vor Ort am grünen Tisch, sozusagen im Warmen zu treffen. Darauf hat Herr Innenminister Schnoor aus Nordrhein-Westfalen immer hingewiesen, und Sie wissen ganz gut, daß der Erfolg des bedächtigen und klugen Vorgehens der NRW-Polizei ihm recht gibt. Er hat auch recht — das sage ich jetzt zu Herrn Zimmermann — , wenn er die Polizei — jetzt ist es die Unabhängigkeit der Polizeiakademie Hiltrup — vor den Eingriffen in Schutz nimmt, die Herr Zimmermann offensichtlich vorhat.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Zur FDP noch ein Wort: Wenn die FDP nachgibt — und das sage ich zu den Erörterungen von Herrn Bangemann heute vormittag — , hat die Polizei nicht mehr die Freiheit, einzugreifen oder auch nicht — die Worte „die Freiheit, einzugreifen oder auch nicht" stammen von Herrn Bangemann — , es sei denn, Sie lassen es zu, daß am Verfassungsprinzip, am Legalitätsprinzip gekratzt oder daß es durchbrochen wird. Aber das machen wir nicht mit.
    Nein, wir sagen, an die Bundesregierung gerichtet, das Gleiche, was wir sagen, wenn es um die Bekämpfung von Terrorismus geht: Die Anwendung der geltenden Vorschriften ist wichtig, Fahndungserfolge



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    müssen her. Da hapert es bei Ihnen. Wer statt dessen Gesetzesänderungen fordert, führt die Bürgerinnen und Bürger an der Nase herum.
    Jetzt noch ein Wort zur Hafenstraße. Da hat mir das, was Herr Bangemann heute morgen sagte, besser gefallen, als seine sonstigen Worte zur Vermummung. Nur eines: Bürgermeister von Dohnanyi kennt das Risiko wie jeder, der sich vor Ort erkundigt hat, ganz genau. Er braucht nicht von Ihnen darauf aufmerksam gemacht zu werden, welche politische Verantwortung er trägt. Er hat sie übernommen, und er hat damit den Mut bewiesen, den wir gerade an vielen in der Bonner Politik Tätigen vermissen. Die CDU greift ihn an. Und jetzt will ich Sie ganz direkt fragen, Herr Bundeskanzler, oder auch die anderen Ratgeber von heute morgen: Hätten Sie einen Polizeieinsatz angeordnet, wie Sie mit Ihren Reden glauben machen wollen?

    (Austermann [CDU/CSU]: Vor sechs Jahren schon!)

    — Sie haben von Opportunismus geredet. Ist das nicht menschlich mies, wenn andere die Verantwortung für die Folgen zu tragen haben? Herr Austermann, ich habe diese Form der Scharfmacherei vor 20 Jahren erlebt. Da war alles zu finden: CDU-Besserwisser, scharfmacherische Unterstützung à la Fromme und Löwenstern, alles war da, und das hat dann zu gravierenden Fehleinschätzungen der Lage geführt. Dann lag da ein junger Mann tot auf der Erde, damals Benno Ohnesorg, ein Student. Heinrich Albertz hat daraus Konsequenzen gezogen. Daß er heute Bürgermeister Dohnanyi Mut macht, das ehrt ihn.
    Herr Bundeskanzler, ich denke, unser Staat vergibt sich nichts, wenn er den Hamburger Versuch wagt. Ich denke, Sie sollten mit uns an alle Beteiligten, gerade auch an die Bewohner der Hafenstraße, appellieren, diesen Versuch zum Erfolg zu führen. Glaubwürdigkeit, Herr Bundeskanzler, fehlt dieser Politik von Klaus von Dohnanyi am allerwenigsten. Er hat ein Signal gesetzt.
    Ich darf jetzt mit einem Zitat schließen. Das Zitat kommt aus dem „Spiegel" dieser Woche. Da schreibt Erich Böhme:
    Seit den Sudelwochen in Kiel galt das Politikerwort weniger in Deutschland ... Verdruß an der Politik und ihren Politikern war aufs neue begründet. Am Donnerstag abend um 20.06 Uhr hat von Dohnanyi mit seiner Unterschrift unter den Pachtvertrag der Hafenstraße die deutschen Politiker rehabilitiert.

    (Zurufe von der CDU/CSU) Jetzt hören Sie gut zu!

    Und insofern mag selbst die CDU davon profitiert
    haben, nur bemerkt hat sie es noch nicht.
    Ich finde, er hat recht. Ganz herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Schulhoff [CDU/CSU]: Das war eine schäbige Rede!)