Rede:
ID1104102300

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. Herr: 1
    5. Abgeordneter: 1
    6. Austermann.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 11/1051, 11/1081) 2689B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 11/1052, 11/1081) 2689B Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 11/1053, 11/1081) 2689 C Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen 11/1054, 11/1081) Dr. Vogel SPD 2689 D Seiters CDU/CSU 2699 C Frau Rust GRÜNE 2709B Dr. Bangemann FDP 2712D Dr. Kohl, Bundeskanzler 2720 B Koschnick SPD 2729 D Austermann CDU/CSU 2732 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 2735 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 2739 C Frau Simonis SPD 2741B Vizepräsident Westphal 2740 D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksachen 11/1055, 11/1081) Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 2742 B Dr. Rose CDU/CSU 2745 A Voigt (Frankfurt) SPD 2747 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2750 D Stobbe SPD 2753 D Genscher, Bundesminister AA 2756 C Rühe CDU/CSU 2760 D Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksachen 11/1064, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksache 11/1076) Walther SPD 2764B, 2774A, 2781C Dr. Friedmann CDU/CSU 2766 D Frau Schilling GRÜNE 2768 D Frau Seiler-Albring FDP 2771B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2774B Jungmann SPD 2778 D Müller (Wadern) CDU/CSU 2780 D Frau Beer GRÜNE 2381 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksachen 11/1069, 11/1081) Esters SPD 2783 B Borchert CDU/CSU 2785 B Volmer GRÜNE 2786 D Frau Folz-Steinacker FDP 2789 A Klein, Bundesminister BMZ 2790 A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen (Drucksachen 11/1071 11/1081) Hiller (Lübeck) SPD 2791 D Dr. h. c. Lorenz CDU/CSU 2793 B Frau Hensel GRÜNE 2796 B Hoppe FDP 2798 B Sielaff SPD 2799 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 2801D Nächste Sitzung 2803 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2804* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 41. Sitzung Bonn, den 24. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Dr. Adam-Schwaetzer 24. 11. Dr. Ahrens * 27. 11. Antretter * 24. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Haack 27. 11. Haar 24. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Höffkes 24. 11. Hörster 26. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ibrügger 24. 11. Kiechle 25. 11. Klose 27. 11. Kreuzeder 27. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 24. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 24. 11. Oesinghaus 24. 11. Paintner 27. 11. Paterna 24. 11. Petersen 27. 11. Reddemann * 26. 11. Reimann 24. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schmidbauer 26. 11. von Schmude 24. 11. Dr. Schöfberger 24. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans Koschnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe des Saalfüllers. Ich übernehme sie hiermit. — Lassen Sie mich ohne große Vorreden über den Sinn oder die Bedeutung der Generalaussprache zum Haushalt des Bundeskanzlers folgendes sagen. Nach den grundsätzlichen Ausführungen des Vorsitzenden der SPDBundestagsfraktion scheint es mir geboten, einige Aspekte der Regierungstätigkeit, genauer gesagt, der Handlungskompetenz des amtierenden Bundeskanzlers auszuleuchten.
    Ich beginne mit den Forderungen des früheren Oppositionsführers im Deutschen Bundestag, des heute amtierenden Bundeskanzlers, nach einer geistig-moralischen Wende, nach ethisch legitimierter Führerschaft und frage, was alles sich denn in der CDU/CSUFDP-Koalition an moralisch-ethischer Grundüberzeugung geändert hat.
    Etwa der Bereinigungsversuch in der Spendenaffäre im Sinne des Unter-den-Teppich-Kehrens? Sollte nicht vieles, gar zu vieles unter dem Mantel angeblicher Unschuld dem Vergessen, zumindest dem Vergeben anheimgestellt werden? Haben nicht gerade Bundesgerichtshof und Bundesfinanzhof dem ein entschiedenes „schuldig" entgegengestellt?
    Sind nicht die immer noch aktuellen Bemühungen der Koalition, zu verhindern, daß Aufhellung in der trüben Affäre des Verkaufs von U-Boot-Bauplänen an die südafrikanische Regierung — übrigens eine Maßnahme gegen UN-Beschlüsse und gegen geltendes Bundesrecht — möglich wird, ein Symptom dafür, daß dieser Bundesregierung nicht an wirklicher Aufklärung gelegen ist? Wie anders ist sonst die permanente



    Koschnick
    Behinderung der Sachaufklärung zu verstehen? Ich spreche hier ganz bewußt den Bundeskanzler an, der zwar nicht anwesend ist, der aber wahrscheinlich hinterher erfahren wird, was ich gesagt habe.

    (Bundesminister Genscher: Er wird aber vertreten!)

    — Sehr gut, Herr Vizekanzler, ich habe es wohl verstanden! Da ich den CDU-Vorsitzenden anspreche: Den können Sie nicht vertreten.

    (Bundesminister Genscher: Nein, das will ich auch nicht!)

    Möglicherweise kann es Herr von Geldern tun. — Wie anders ist sonst die permanente Behinderung der Sachaufklärung zu verstehen? Ich spreche hier ganz bewußt den Bundeskanzler an und frage nach seinem Einfluß auf die Entwicklung der Dinge. Es kann doch nicht wahr sein, daß nur zum Schutze des angeschlagenen schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden der CDU dieser prinzipiell antiparlamentarische Verhinderungsversuch unternommen wird. In Abwandlung der bekannten Sentenz aus Schillers „Don Carlos" fordere ich von Ihnen, Herr Bundeskanzler: „Sire, geben Sie Aufklärungsfreiheit! "

    (Beifall bei der SPD)

    Zeigen Sie endlich, daß Sie sich wirklich demokratischer Offenheit und Rechenschaft verpflichtet fühlen. Lassen Sie also zu, daß der vom Bundestag eingesetzte Untersuchungsausschuß unter sachgerechten Bedingungen seinen Auftrag, Licht in das Dunkel zu bringen, auch erfüllen kann.
    Moralisch-ethische Führerschaft haben Sie früher von dem Bundeskanzler unserer Republik gefordert. Doch wo ist diese auch nur im Ansatz erkennbar, wenn man an die trüben, die demokratische Entwicklung vergiftenden Ereignisse in Schleswig-Holstein denkt? Die Barschel-Pfeiffer-Affäre, inzwischen selbst in der CDU zu einer fast unerträglichen Belastung geworden, hat manches aufgehellt, was unter den pseudoethischen Schlagworten christlich-demokratischer Propaganda verborgen gehalten wurde: Machterhalt um jeden Preis; systematische Zersetzung konkurrierender Gruppen und persönliche Diffamierung des politischen Gegners in seinem privatesten Umfeld, seiner Integrität in der eigenen Familie.
    Warum, so frage ich den Bundeskanzler, haben Sie dagegen nicht Front gemacht? Warum haben Sie zugelassen, daß der schleswig-holsteinische Landeschef der CDU an Stelle sachgerechter Säuberung die den Skandal aufdeckende Presse unqualifiziert angreifen durfte?
    Waren nicht die Machenschaften der CDU-Landesorganisation und der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei anzuprangern? Gab und gibt es für Sie nicht ein begründetes Maß kritischer, aber dennoch demokratischer Gemeinsamkeit? Müssen wir wirklich annehmen, daß nur die Aufdeckung dieses Skandals ein Ärger war und nicht die Tatsache an sich? Bedeutet das etwa, daß es nur darauf ankommt, sich nicht erwischen zu lassen, ansonsten aber alles zum legitimen Kampf zur Sicherung der bisherigen Mehrheit gehört? Fragen über Fragen.
    Nein, das kann ich mir nicht denken. Ich kenne den Bundeskanzler so lange, daß ich mich frage: War er gehindert, dazwischenzufahren und für ein Mindestmaß an Ordnung und Fairneß zu sorgen?

    (Dr. Vogel [SPD]: Richtig! — Toetemeyer [SPD]: Das kann er nicht!)

    Ich will nicht spekulieren, auch keinen der Männer aus der engeren Umgebung in der Parteiführung oder aus dem Bundeskabinett verdächtigen. Aber der Bundeskanzler muß schon sagen, warum er nicht zur rechten Zeit eingegriffen oder wenigstens hinterher sein Bedauern über die Machenschaften ausgedrückt hat.

    (Dr. Vogel [SPD]: Bis heute nicht! — Weiterer Zuruf von der SPD: Da ist er ja!)

    — Ich freue mich, daß der Bundeskanzler inzwischen auch eingetroffen ist, und begrüße ihn in herzlicher Verbundenheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Rose [CDU/ CSU]: Wir auch!)

    Ich insistiere deshalb darauf, weil ich noch im Ohr habe, was Sie, Herr Bundeskanzler, am 30. Januar 1981 als Ihr Credo im Bundestag in Replik auf Bundeskanzler Schmidt ausgeführt haben. Sie sagten damals:
    Wenn es heißt, daß Sie als Kanzler die Richtlinien der Politik bestimmen, dann ist doch da mit hineingegossen, daß Politik hinüberführt zur Staatskunst, wenn es wirkliche Politik ist. Hinüberführen zur Staatskunst beinhaltet,
    — so sagten Sie damals —
    daß Politik, wir wir sie als freiheitliche Politik verstehen, auf ethischen Normen ruht und daß diese ethischen Normen im Alltag der Politik anzuwenden und zu praktizieren versucht wird. Das ist ein zutiefst geistig bewegender Auftrag. Da brauchen wir in der politischen Verantwortung — ganz gleich, ob Regierung oder Opposition, jeder Kollege hier im Hause — möglichst viele Anregungen, da brauchen wir Offenheit, Dialogfähigkeit und Sensibilität, da brauchen wir die Demut vor der Aufgabe der Geschichte.
    So weit Helmut Kohl als Oppositionsführer.

    (Bundeskanzler Dr. Kohl: Das ist okay!)

    Sensibilität haben Sie verlangt und dennoch geduldet, daß im nördlichsten Bundesland die SPD und ihr Spitzenkandidat in übelster Weise verdächtigt und diffamiert wurden. Demut vor der Geschichte haben Sie gefordert, und heute geben Sie Ihren Parteifreunden den Rat, nur schnell zu vergessen, um sich auf den politischen Gegner — nicht auf die Selbstreinigung — zu konzentrieren. Offenheit und Dialogfähigkeit haben Sie verlangt, und herausgekommen ist der Mief der Ewiggestrigen.
    Lassen Sie sich messen an Ihrer Forderung, die ethischen Normen einer freiheitlichen Politik im Alltag anzuwenden.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)




    Koschnick
    Wenn das geschieht, müßten Sie wegen der Vorkommnisse in Schleswig-Holstein Ihr Haupt verhüllen.

    (Beifall bei der SPD)

    Was hier geschehen ist, Herr Bundeskanzler — mein Vorsitzender, Herr Dr. Vogel, hat das bereits ausgeführt — , hat geistig und moralisch mehr in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zerstört, als alle Extremisten und Gewalttäter bisher erreicht haben. Sie haben auf Ihren Amtseid genommen, Herr Bundeskanzler, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Herausgekommen ist, jedenfalls auf die Affäre in Kiel bezogen, leider — und ich sage bewußt und überzeugt: leider — der zwar von Ihnen persönlich nicht betriebene Versuch, die Macht in einem Bundesland mit allen Mitteln und um jeden Preis zu erhalten. Sie haben aber, indem Sie die Mißachtung demokratischer Spielregeln durch Ihre eigenen Parteifreunde nicht anprangerten, zugelassen, daß der innere Friede in unserem Lande nachhaltig gestört wurde.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn ich mir dann anhöre, was vorhin Herr Seiters gesagt hat — Sie haben es aufgegriffen, Herr Bundeskanzler — unter Bezugnahme auf eine Meldung von „PPP", dem sozialdemokratischen Pressedienst, dann sage ich: Ja, dieser Pressedienst hat nach meiner Meinung Herrn Stoltenberg unfair und unqualifiziert angegriffen. Aber Sie haben nicht erwähnt — weder Sie, Herr Bundeskanzler, noch Herr Seiters —, daß „PPP" bereits einige Tage später diese Meldung korrigiert, sie zurückgenommen hat; das im übrigen auch bezogen auf Herrn Vogel, obwohl er in dieser Frage nicht beteiligt war.

    (Dr. Vogel [SPD]: Zurückgenommen und entschuldigt, was Sie, Herr Bundeskanzler, nicht getan haben!)

    Ich glaube, wir dürfen in der Politik nicht weiter mit Halbwahrheiten oder Verschweigen von Wahrheiten arbeiten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Heuchelei!) Lassen Sie uns gemeinsam zusammenstehen.


    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Dr. Vogel [SPD]: Der Bundeskanzler darf das nicht!)

    Doch genug von Kiel. Lassen Sie mich auf Ihre Forderung nach moralisch-ethischer Führerschaft im Verhältnis zur auswärtigen Politik eingehen. Auch hier geht es um Wertmaßstäbe, um ethische Normen, wie Sie es genannt haben. Da frage ich mich, welche Normen Sie gemeint haben, als Sie jetzt bei Ihrem Besuch in Mosambik die eindringlichen Forderungen der durch ein weißes, rassistisches Regime gequälten und bedrängten Bevölkerung in Südafrika ablehnten, ihrem Gleichheitsanspruch, ihrem sozialen und demokratischen Lebensrecht durch die Unterstützung von wirtschaftlichen Sanktionen zu entsprechen.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Ist der Einfluß von Herrn Strauß und den ihn stützenden wirtschaftlichen Gruppen denn so stark, daß Sie
    im schwarzen Afrika den Mann Ihres Kabinetts, der
    sich für uns Deutsche dort einen glaubwürdigen Namen gemacht hat, desavouieren? Hat Herr Genscher das eigentlich wirklich verdient? Oder sind Sie auf den fahrenden Zug der FDP-Schelte der CSU gesprungen, um keine weiteren Blessuren von dem für Sie starken Mann aus München zu erfahren?
    Hätten wir auf Grund der Erfahrungen und der Betroffenheit unserer Geschichte nicht allen Anlaß, allen rassistischen Regimen zu widerstehen? Wir dürfen doch nicht mit der für mich jedenfalls unverantwortlichen Floskel von der Gnade der späten Geburt verdrängen, was an rassistischer Verfolgung, an Repression und an Morden geschehen ist. Wir müssen doch von daher aufbegehren, wenn irgendwo in der Welt rassistische Unterdrückung stattfindet.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Bundeskanzler Dr. Kohl: Herr Koschnick, das ist doch unwahr, was Sie sagen!)

    Sowenig die Ausrottung des europäischen Judentums ein Betriebsunfall der Geschichte war, wie es uns einige konservative Historiker gern weismachen wollen, sowenig ist das burische Regime in Südafrika eine zu vernachlässigende Größe.
    Wirtschaftliche Beziehungen sind gut und nützlich, aber nicht, wenn sie zu Lasten der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts der Mehrheit der betroffenen Bevölkerung gehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wann werden Sie und Ihre Freunde eigentlich nachvollziehen und mittragen, was der Herr Bundespräsident zum 8. Mai und manch anderen wichtigen Gedenktagen über Erkenntnisse und Verpflichtungen aus unserer Geschichte gesagt hat? Ich sage das nicht, um den Herrn Bundespräsidenten in den politischen Tageskampf einzubeziehen. Aber dort, wo er prinzipielle Wahrheiten ausgesprochen hat, sollten wir gemeinsam zu dem stehen, was er gesagt hat.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Wann werden die Ideen des Widerstands gegen die Hitler-Diktatur, die Vorstellungen eines anderen Deutschland wieder prägend sein für die Politik Ihrer Regierung?
    So, wie Sie hier versagt oder nur unzulänglich reagiert haben, so haben Sie, Herr Bundeskanzler, auch hingenommen, daß wir Deutsche wieder als Störenfriede einer Friedensordnung in Europa empfunden werden.
    Haben Sie keine Sorge: Ich zitiere nicht Stimmungen und Meinungen aus dem Ostblock; nein, ich spreche von Empfindungen bei unseren Partnern und Freunden. Indem Sie, Herr Bundeskanzler, es zugelassen haben, daß von Ihrem rechten Parteiflügel wie von einigen Ihnen nahestehenden Vertriebenenverbänden die heutigen Grenzen Deutschlands als noch nicht festgeschrieben bezeichnet wurden, haben Sie erreicht, daß sich selbst ausländische Freunde von Ihrer Politik absetzten. Wie anders ist nämlich die Erklärung des Vorsitzenden der Union der christdemokratischen Parteien Europas, des italienischen Außenministers Andreotti, zu verstehen, wenn er unter An-



    Koschnick
    spielung auf diese Grenzdiskussion erklären konnte, daß die Teilung Deutschlands in zwei Staaten den Frieden sicherer gemacht habe?
    Wie anders war die Unruhe im westlichen Ausland — auch und gerade bei Ihren Freunden — zu verstehen, als Sie zögerten, die von Amerikanern und Russen ausgehandelte Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen mitzutragen, um die veralteten Pershing I a zu retten?
    Und welches vorzügliche Bild hat die Bundesregierung abgegeben, als Sie den Entschluß, die Einigung der Supermächte nicht weiter zu boykottieren und die Pershing I a mit in die Null-Lösung einbeziehen zu lassen, auf einer Pressekonferenz unter Berufung auf Ihre Richtlinienkompetenz bekanntgaben, aber vorher nicht das Kabinett mit dieser in der Sache richtigen Entscheidung sich befassen ließen, weil Sie Sorge hatten, daß einer Ihrer Koalitionspartner, die Schwesterpartei, Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen würde?

    (Beifall bei der SPD)

    Das alles reiht sich würdig ein in die letzte Affäre um die künftige Politik unseres Landes in bezug auf Sicherheit und Abrüstung. Was müssen wohl die Verteidigungsminister unserer Bündnispartner gedacht haben, als sie von dem Telegramm erfuhren, das der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Dr. Dregger,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: CDU/CSU-Fraktion!)

    und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Herr Waigel, ihnen nach Montebello, ihrem Tagungsort, übermitteln ließen, in dem sie in der Sache begründete Forderungen — ich sage: in der Sache begründete Forderungen — für den weiteren Abrüstungsprozeß unter besonderer Beachtung der unbestreitbaren Sonderbedrohung beider deutscher Staaten anmeldeten, obwohl der Bundesverteidigungsminister Konferenzteilnehmer war und man annehmen mußte, daß er dort eine im Kabinett und mit den Fraktionen der Regierungskoalition abgestimmte Haltung vertrat?
    Weit gefehlt! Herr Wörner war dort als Einzelkämpfer und mangels Kabinettsfestlegung in der Lage, seine — von der Meinung der Fraktionsspitze der CDU/CSU wie des Bundesaußenministers abweichende — Meinung zu vertreten.
    Das, Herr Bundeskanzler, verstehe ich nicht unter „Vertretung der deutschen Interessen". Wie soll das nur werden, wenn Herr Wörner den Stuhl des Generalsekretärs der NATO erklimmt? Ist er heute schon — trotz Kabinetts- und Fraktionsdisziplin — ein freischwebender „Künstler" , wie wird es dann erst morgen aussehen?
    Führung, Herr Bundeskanzler, ist gefragt. Lassen Sie sich nicht länger nötigen!
    Führung auch zur Belebung eines zukunftsgerechten Dialogs mit den Staaten der südlichen Hemisphäre ist gefragt. Wenn nicht eine so potente Wirtschaftsmacht, wie wir es ja zum Glück noch sind, ernsthafte Schritte unternimmt, ihren Beitrag zur Lösung der Schuldenkrise der Dritten Welt zu leisten, dann wird in nicht allzu ferner Zeit die Dimension der
    Nord-Süd-Spannungen der des Ost-West-Konflikts gleichen.
    Wenn schon ein in öffentlichen Erklärungen so zurückhaltender Bankier wie Herr Herrhausen von der Deutschen Bank zur Überwindung der Verschuldungskrise einen prinzipiellen Verzicht auf bestimmte Rückzahlungsverpflichtungen der in Entwicklung befindlichen Staaten fordert, dann müßte doch auch bei der Bundesregierung die Alarmglocke läuten.
    Hier geht es doch nicht mehr um Wohltaten zugunsten von Schwächeren, sondern um die Wiederbelebung eines weltweiten Handelsaustauschs durch Maßnahmen zur Gesundung wirtschaftlich angeschlagener Staaten.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier — wie bei der Frage der Stimulanz des Weltmarkts durch die Verstärkung der europäischen Binnennachfrage — haben sich Bundesregierung und Bundesbank bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Es ist an der Zeit, Herr Bundeskanzler, daß Sie das Kabinett in die Pflicht nehmen, das Erforderliche zu tun. Die gegenseitigen Alibischreiben der Herren Stoltenberg und Bangemann lassen nur den desolaten Zustand unvorbereiteter Kabinettshaltung erkennen — wahrlich kein Grund zur Freude.
    Jedenfalls wollen wir Sozialdemokraten im Interesse der internationalen Zusammenarbeit einen deutschen Beitrag zur Belebung der Weltkonjunktur unterstützen; nur müßte die Bundesregierung dazu endlich ihre Schularbeiten machen. Aussitzen ist in dieser wirtschaftlich gefährlicher werdenden Welt keine adäquate Antwort, wobei offen bleibt, ob Aussitzen jemals eine hinnehmbare Antwort sein kann.
    Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, der eine oder andere mag meinen, ich sei in meiner Kritik an der Regierung zu behutsam, zu wenig offensiv gewesen. Aber ich bitte doch, meine Anmerkungen richtig zu verstehen. Solange diese Bundesregierung nicht in sich geht, ethische Normen auch für sich als verpflichtend versteht und zugleich ihren Aufgaben für einen Interessenausgleich sachgerecht nachkommt, kann sie nicht erwarten, daß wir ihre durch die Haushaltsveranschlagung konkretisierten Politikansätze mittragen. An ihr, der Bundesregierung, liegt es also, wie wir uns zukünftig verhalten.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Austermann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dietrich Austermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Koschnick, einer von den vier SPD-Abgeordneten, die bisher als Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gezeigt haben, daß sie es nicht können,

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    hat hier darzustellen versucht, was in einem Staat zur geistig-moralischen Führung notwendig ist.
    Er hat gleichzeitig eine Rede gehalten, die in schlimmer Weise gezeigt hat, wie man politisch-mora-



    Austermann
    lisch miteinander nicht umgehen sollte. Sein Versuch, eine Verbindung vom Bundeskanzler zur Pfeiffer-Affäre herzustellen, ist so abenteuerlich, als ob wir sagten, Herr Koschnick sei an Herrn Pfeiffer schuld, weil er aus Bremen stammt.
    Wenn wir uns über politische Moral unterhalten, dann muß auch die Frage erlaubt sein, ob ein Regierungschef politisch-moralisch gehandelt hat, in dessen Bundesland nach Ablauf seiner Regierungszeit — in Bremen — die höchste Arbeitslosigkeit aller Bundesländer bestand. Ist es politisch-moralisches und ethisches Handeln — wenn man es als ethische Aufgabe ansieht, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen — , daß er die Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der bremischen Häfen offensichtlich zugelassen hat, daß er es zugelassen hat, daß in diesem Bundesland das geringste Wirtschaftswachstum herrschte,

    (Widerspruch bei der SPD)

    daß die Bürger aus diesem Bundesland abgewandert sind und abwandern? Zeigt dies eine Politik mit geistig-moralischer Führung? Ich glaube es nicht.
    Dem, was Sie zu Afrika gesagt haben, will ich das Zitat eines alten Bundeskanzlers, bezogen aus Südafrika, entgegenhalten:
    Durch Pathos ist noch keinem Verfolgten und keiner bedrückten Minderheit, geschweige denn einer unterdrückten Mehrheit geholfen worden. Hier geht es um Augenmaß auch bei Protesten, und es geht um die Frage, ob man in erster Linie anderen helfen will oder ob man sich lieber durch Deklamationen selbst helfen will.
    Diesen Eindruck erweckte aber Ihre schlimme Rede eben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, es geht bei dieser Debatte heute um die sogenannte Generalabrechnung. Es geht darum, den grundsätzlichen Unterschied zwischen Regierung und Opposition darzustellen, und darzustellen, wie die Alternative aussieht, wer führt und wer nicht führt.
    Sind das die Fragen, die die Bürger heute beschäftigen?
    Der Jahreszeit entsprechend bereiten sich unsere Mitbürger auf das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel vor. Wenn es ihnen heute um Politik geht, geht es natürlich auch um die Affäre von Kiel, die schlimmen Aktivitäten aus der Pressestelle der dortigen Staatskanzlei hinaus, aber auch um eine Opposition, die sich heute einen Heiligenschein aufsetzt. Es geht um die Brüskierung aller gesetzestreuen Bürger durch die Duldung der Gewalt, quasi um eine Begünstigung im Amt durch Pachtverträge mit Gesetzesbrechern in Hamburg. Es geht unseren Bürgern heute aber vor allen Dingen um die Sicherheit des Arbeitsplatzes, um den Blick in die Zukunft. Zur Jahreswende stellt sich die Frage, ob es Sicherheit für die Erhaltung des Wohlstands geben kann. Ich sage ja, denn dieses Land wird ordentlich regiert.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Die Koalition aus drei Parteien hat bisher in ungezählten wesentlichen Fragen der Nation Einigkeit erzielt. Probleme oder problematisierte Entscheidungen, die oft monatelang die öffentliche Diskussion bestimmt haben, sind entschieden und vergessen.
    Die Antwort auf die Frage nach der Führung ist die Hypothese: was wäre, wenn es den Regierungswechsel vor fünf Jahren nicht gegeben hätte.
    Es hätte keinen NATO-Doppelbeschluß gegeben. Weil es ihn gegeben hat, sind Frieden und Freiheit sicherer geworden. Ohne die Wende vor fünf Jahren hätt es weniger gute Ergebnisse für die Menschen im geteilten Deutschland gegeben. Der Regierungswechsel hat ihnen mehr Erleichterungen gebracht, mehr rechtliche Verbindung, mehr Zusammenarbeit und mehr Begegnungen. Ohne die Wende vor fünf Jahren hätte es weiterhin Technologiestopp gegeben, einen Ausstieg aus der Industriepolitik. Wir haben den Technologiestopp beendet; Deutschland hat sich auf dem Weg zu einer modernen Industrienation weiterentwickelt.
    Von wesentlichen Teilen der damaligen Regierung wurde wirtschaftliches Wachstum schon vor 1982 als nicht wünschenswert bezeichnet; das muß man immer wieder deutlich sagen. Wirtschaftliches Wachstum wird auch jetzt — das ergibt sich aus Ihrem Programm vom vorigen Jahr — als nicht wünschenswert bezeichnet. Heute haben wir seit fünf Jahren wirtschaftliches Wachstum, und auch für nächstes Jahr wird zwar bescheidenes, aber eben wirtschaftliches Wachstum prognostiziert. Das ist dann Wachstum im sechsten Jahr.

    (Dr. Apel [SPD]: Gebt ihm doch mal eine Lesebrille!)

    Unsere Regierungsvorgänger hinterließen das Land in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise.

    (Dr. Vogel [SPD]: Reden Sie von SchleswigHolstein?)

    Wir haben die öffentlichen Finanzen neu geordnet, sinkende Zinsen ermöglicht, haben stabiles Geld, niedrige Energiepreise und eine sinkende Steuerlast. Neue Schulden waren unter Finanzminister Stoltenberg in den letzten fünf Jahren nur erforderlich, um Zinsen für die alten Schulden unserer Regierungsvorgänger zu zahlen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Was, Sie zahlen Zinsen mit Schulden? Das ist ja unglaublich! Das ist ein Bankrotteur!)

    — Neue Schulden, etwa 120 Milliarden DM in den letzten fünf Jahren, waren nur erforderlich, um die Zinsen für die Schmidt-Altlasten zu zahlen. Ich erwähne auch, daß der Haushalt jeweils vor dem Beginn des Jahres verabschiedet wird und daß es Nachträge in den letzten fünf Jahren nicht zu geben brauchte.

    (Dr. Vogel [SPD]: Welcher schleswig-holsteinische Medienreferent hat dem denn die Rede geschrieben? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Die grundsätzliche Problematik der 70er Jahre, nämlich das Leben über die eigentlichen Verhältnisse, das ja weltweit stattgefunden hat, zeigt sich heute mit ihrer ganzen Brutalität. Jetzt, wo Impulse gebraucht werden, wo sich neue Aufgaben stellen,



    Austermann
    sind in den meisten Ländern die Kassen leer. In der Bundesrepublik sind wir dank der Konsolidierungspolitik in einer anderen Situation, auch wenn die Zinsen der Schulden aus der Vergangenheit uns drücken.
    Wir haben für das Jahr 1988 eine Steuersenkung in der Größenordnung von 14 Milliarden DM, eine Steuersenkung am 1. Januar 1988, die allen Bürgern hilft, vorgesehen. Dies ist der einzige Grund, aus dem die Neuverschuldung angehoben wird, obwohl wir gewollte Mehrausgaben beim Erziehungsgeld, beim Erziehungsjahr, bei der Rentensteigerung, beim Wohngeld und bei mehr Hilfen für Landwirtschaft, Kohle, Werften sowie Luft- und Raumfahrt haben. Es wurden in den letzten Wochen eine Fülle von Entscheidungen getroffen, die zeigen, daß diese Regierung handlungsfähig ist, daß sie gehandelt hat und auch in Zukunft handelt.
    Zu Beginn der 80er Jahre gab es Probleme mit dem Ansturm von Wirtschaftsflüchtlingen, mit ungelösten Aufgaben in der Rechts- und Innenpolitik. Jetzt sind Freiheit und Recht im Innern gesichert, wenn dann auch die nächsten Aufgaben beim Versammlungsrecht gelöst werden, wie Herr Bangemann es auch für die FDP angekündigt hat.
    Über viele Jahre hinweg wurden in den 70er Jahren die Probleme strukturschwacher Regionen — dafür hätte Herr Koschnick beredte Beispiele bringen können — vernachlässigt. Die absehbare Krise der Stahl-und Kohleregionen wurde nicht angepackt, Lösungen wurden verschlafen. Wir haben jetzt, auch mit diesem Haushalt, eine Wettbewerbshilfe für die Werften eingeführt, die sicherstellt, daß die Aufträge bei den Werften eine vernünftige Strukturanpassung ermöglichen. Derzeit gibt es Anträge für ein Volumen von 3 Milliarden DM. Das Programm ist erfolgreicher, als wir zu hoffen gewagt haben.
    Über Umweltschutz wurde bis 1982 nur geredet. Heute ist die Bundesrepublik in der EG Vorreiter in Sachen Umweltschutz.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP] — Dr. Vogel [SPD]: Das ist ein Saboteur, der da klatscht!)

    Mehr Steuergeld wird für die Eingliederung der Aussiedler und für Besuche unserer Landsleute aus der DDR ausgegeben.
    Neben all diesen Erfolgen, die ohne klare Führung nicht möglich gewesen wären, gibt es allerdings zwei Problembereiche, die nicht geleugnet werden sollen. Da ist einerseits die seit vielen Jahren bestehende Problematik in der Landwirtschaft, die man wohl eher als eine Problematik des ländlichen Raumes bezeichnen muß, und da ist andererseits die Tatsache, daß unser Volk zahlenmäßig abnimmt, wenn es nicht gelingt, unser Land kinderfreundlicher zu machen. Es kann nicht hingenommen werden, daß eines der reichsten Länder der Welt die meisten Abtreibungen zu beklagen hat — mit der Begründung: soziale Notlage. Hingenommen werden kann auch nicht, daß es im Fernsehen selbst in der Vorweihnachtszeit mehr Reklame für Hunde- und Katzenfutter als für Kinderspielzeug gibt.

    (Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: Und das unter Ihrer Regierung!)

    Aus dem Haushalt des Bundeskanzleramtes werden Gutachten und Analysen initiiert, die in die Zukunft gerichtet sind. Die Themen lauten: Wie verbessern wir die Lebensbedingungen im ländlichen Raum? Wie stellen wir im Lande wieder ein einheitlich bejahtes Mindestmaß an Staatsräson und Gesetzestreue, einen sozialen Grundkonsens, her? Wie reagieren wir auf die zunehmende Freizeit im dritten Lebensabschnitt, wie gestalten wir das Leben im Alter? Wer gewinnt den Wettbewerb um den beruflichen Nachwuchs? Was tun wir, um unser Land kinderfreundlicher zu machen?
    Im Bundeskanzleramt wird in der Gegenwart geführt und für die Zukunft gearbeitet. Dabei muß allerdings zugegeben werden, daß es bei der Darstellung dieser Arbeit, die durch Momentaufnahmen von Meinungsbefragungen bestätigt wird, Schwierigkeiten gibt, die vielfältige Gründe haben. Ich will hier ein Beispiel erwähnen, das vielleicht Ihren Hochmut angesichts der Situation in Kiel etwas dämpft. Da fällt mir ein Zitat von Wolfgang Clement, der ja bis vor kurzem, als er sein Amt aus Ihnen allen bekannten Gründen niedergelegt hat, Sprecher Ihrer Partei war, aus der „Zeit" in die Hand. Er wird dort mit der Aussage erwähnt:
    Zu unserer Regierungszeit
    — also der Regierungszeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt —
    wurden die Wahlkämpfe vom Bundespresseamt bestritten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Da sind Sie nach Karlsruhe marschiert!)

    Was an Schwächen da war, wurde durch Schmidt und Regierungstätigkeit überlagert.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    Nun, ich erwähne das auch deshalb, weil ja auch andere Aktivitäten bekannt sind. Da gibt es z. B. einen Mitarbeiter des Bundespresseamtes, vom Bundespresseamt besoldet, der seit einem halben Jahr beurlaubt ist, um Helmut Schmidt bei den Aufräumungsarbeiten zu helfen, und Wahlkampf in Schleswig-Holstein macht — bezahlt von diesem, unserem Bundespresseamt.

    (Jungmann [SPD]: Herr Austermann, ich würde Ihnen empfehlen, sich genauer zu informieren! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Ich glaube, wenn man dies sieht, wenn man diese Beispiele hört, dann steht es Ihnen gut an, über Mißbrauch der Öffentlichkeitsarbeit, über die Selbstdarstellung dieser Regierung etwas weniger hochmütig zu reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und da ist schließlich die Diskussion zwischen den Koalitionspartnern, die von mir natürlich nicht geleugnet werden soll. Aber sie ist demokratisch notwendig, auch wenn sie das Harmoniebedürfnis der



    Austermann
    Bürger offensichtlich stört. Geht man nach den letzten Wahlen, dann wollen unsere Bürger merkwürdigerweise keine absolute Mehrheit. Sie wollen aber gleichwohl klare Konturen der Politik, Richtlinienentscheidung, straffe Organisation und die Faust auf dem Tisch des Kanzleramtes.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Aber sie wollen Sie auch nicht!)

    Ich sage, daß dies in einer Koalition mit drei Partnern kaum möglich ist. Unter unseren Vorgängern in der Regierung war dies ja noch nicht einmal bei zwei Koalitionsparteien möglich.
    Der Haushalt 1988 — lassen Sie mich zum Schluß kommen —,

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Au ja!)

    die Finanzpolitik, alle Bereiche der Politik haben heute klare Konturen. Innere und äußere Sicherheit werden im kommenden Jahr verbessert, der wirtschaftliche Wohlstand wird wachsen, die Arbeitslosigkeit wird entschlossen bekämpft,

    (Widerspruch bei der SPD)

    die Zahl der Beschäftigten wird, wie der Sachverständigenrat gesagt hat, weiter steigen — das Ganze bei stabilem Geld und steigenden Einkommen.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Jetzt reicht's!)

    Dieses Land — das zeigt die Debatte um den Kanzleretat — wird ordentlich geführt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute! — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das war eine große Rede!)