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    Plenarprotokoll 11/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 11/1051, 11/1081) 2689B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 11/1052, 11/1081) 2689B Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 11/1053, 11/1081) 2689 C Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen 11/1054, 11/1081) Dr. Vogel SPD 2689 D Seiters CDU/CSU 2699 C Frau Rust GRÜNE 2709B Dr. Bangemann FDP 2712D Dr. Kohl, Bundeskanzler 2720 B Koschnick SPD 2729 D Austermann CDU/CSU 2732 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 2735 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 2739 C Frau Simonis SPD 2741B Vizepräsident Westphal 2740 D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksachen 11/1055, 11/1081) Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 2742 B Dr. Rose CDU/CSU 2745 A Voigt (Frankfurt) SPD 2747 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2750 D Stobbe SPD 2753 D Genscher, Bundesminister AA 2756 C Rühe CDU/CSU 2760 D Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksachen 11/1064, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksache 11/1076) Walther SPD 2764B, 2774A, 2781C Dr. Friedmann CDU/CSU 2766 D Frau Schilling GRÜNE 2768 D Frau Seiler-Albring FDP 2771B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2774B Jungmann SPD 2778 D Müller (Wadern) CDU/CSU 2780 D Frau Beer GRÜNE 2381 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksachen 11/1069, 11/1081) Esters SPD 2783 B Borchert CDU/CSU 2785 B Volmer GRÜNE 2786 D Frau Folz-Steinacker FDP 2789 A Klein, Bundesminister BMZ 2790 A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen (Drucksachen 11/1071 11/1081) Hiller (Lübeck) SPD 2791 D Dr. h. c. Lorenz CDU/CSU 2793 B Frau Hensel GRÜNE 2796 B Hoppe FDP 2798 B Sielaff SPD 2799 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 2801D Nächste Sitzung 2803 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2804* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 41. Sitzung Bonn, den 24. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Dr. Adam-Schwaetzer 24. 11. Dr. Ahrens * 27. 11. Antretter * 24. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Haack 27. 11. Haar 24. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Höffkes 24. 11. Hörster 26. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ibrügger 24. 11. Kiechle 25. 11. Klose 27. 11. Kreuzeder 27. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 24. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 24. 11. Oesinghaus 24. 11. Paintner 27. 11. Paterna 24. 11. Petersen 27. 11. Reddemann * 26. 11. Reimann 24. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schmidbauer 26. 11. von Schmude 24. 11. Dr. Schöfberger 24. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11.
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    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir zum Ende dieses Jahres in einer Generalaussprache über die Politik unseres Landes debattieren, ist es unerläßlich — ich tue das auch als Vorsitzender der CDU Deutschlands — , zu jenen — vor allem uns — bedrükkenden Vorgängen in Kiel zu sprechen, die viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zutiefst betroffen gemacht haben. Ich habe vor ein paar Tagen auf dem Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union in Bonn zu diesem Thema bereits eingehend Stellung genommen. Aber ich glaube doch, es ist richtig, daß ich zu Beginn meiner Ausführungen auch hier einige Bemerkungen zur Sache mache.
    Das erste ist: Wir alle in der CDU sind zutiefst betroffen von diesen sehr bitteren Erfahrungen. Viele von uns — ich sage das auch für mich ganz persönlich — sind nach mancherlei Erfahrungen im politischen Leben mit Erfahrungen einer Dimension konfrontiert worden, die für uns in dieser Form nicht faßbar war. Die Fragwürdigkeit menschlichen Handelns ist hier offenbar geworden. Wir sind derselben Meinung wie alle, die da sagen: Wir wollen rückhaltlose Aufklärung. Unser Freund Henning Schwarz hat in einer bewegenden Rede bei der Trauerfeier im Dom zu Lübeck gesagt: „Wir wollen die Wahrheit, auch wenn sie Schmerzen bringt. Wir wollen Recht und Menschenwürde. "
    Wir alle — das sage ich auch für meine politischen Freunde — müssen aus diesen Ereignissen Konsequenzen ziehen. Im politischen Leben, im Leben unserer Republik, unserer Demokratie muß es harte Auseinandersetzungen geben. Aber zwischen Demokraten darf es kein Freund-Feind-Verhältnis geben. Auch in der Politik heiligt der Zweck nicht die Mittel. Macht gehört zur politischen Gestaltung in der Demokratie, aber sie ist nicht Selbstzweck, und sie lohnt schon gar nicht jeden Preis.
    Demokratie, so meine ich —ich denke, ich darf sagen: so meinen wir — , braucht Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Sie lebt aber auch von einem Vertrauensvorschuß, den sich alle Beteiligten gegenseitig einräumen. Wo allgemeines Mißtrauen das alles beherrschende Prinzip ist, kann, so bin ich überzeugt, ein freiheitliches Gemeinwesen nicht gedeihen. So müssen wir — ich will das für meine politischen Freunde sagen — durch besondere Sensibilität und auch Besonnenheit immer wieder neues Vertrauen begründen.
    Ich glaube, auch angesichts der Tatsachen, die jetzt bekannt sind — ich vertraue darauf, daß der Untersuchungsausschuß und die Justizbehörden in Schleswig-Holstein zügig arbeiten und daß das Verfahren mit rückhaltloser Offenheit abgeschlossen werden kann — , und angesichts der Fragen, vor denen wir stehen, ist kein Grund zu irgendeiner Selbstgerechtigkeit gegeben. Deswegen — ich sage das in Form einer Bitte und nicht in einer scharfen Formulierung — würde ich es schon begrüßen, Herr Kollege Vogel, wenn Sie diese Debatte zum Anlaß nähmen — auch nach dem, was mein Freund und Kollege Rudi Seiters gesagt hat — , von diesem Pult aus noch einmal zu erklären, daß die Art und Weise der Vorwürfe, die Sie gegen Gerhard Stoltenberg erhoben haben und die im Namen Ihrer Partei erhoben worden sind, nicht akzeptabel sind und daß Sie sie bedauern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Dr. Penner [SPD]: Nach diesen Vorgängen in Kiel kommen Sie mit einer Forderung nach einer Entschuldigung des SPD-Vorsitzenden! Entschuldigen Sie sich erst einmal bei Herrn Engholm!)

    Herr Kollege Vogel, Sie haben dann eine Reihe von Äußerungen zur Christlich Demokratischen Union gemacht. Es ist ganz selbstverständlich, daß man sich mit dem politischen Gegner beschäftigt. Aber die Sorge um die Zukunft der Christlich Demokratischen Union aus ihrem Munde klingt zumindest leicht heuchlerisch.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Ich finde, Herr Kollege Vogel, wir sollten uns beide als Parteivorsitzende um die jeweiligen Aufgaben in der eigenen Partei kümmern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Das gilt für andere Parteivorsitzende übrigens auch.
    Bei der Betrachtung von CDU und SPD haben wir beide — Sie und ich — genug zu tun.
    Weil dies so ist, sollten wir nicht gegenseitig in dieser Form vorrechnen, welche Parteiprogramme mehr aus einer breiten Diskussion der Partei hervorgegangen sind und welche nicht. Sie wissen, daß es in Wahrheit einfach abwegig ist, was Sie hier gesagt haben. Die SPD hat sich im Jahr 1959 ihr Godesberger Programm gegeben. Sie ist aus gutem Grund — das respektiere ich — nach 25 Jahren zu der Überzeugung gekommen, daß sie dieses Programm fortentwickeln und fortschreiben will.
    Die Christlich Demokratische Union hat sich im Jahr 1978 nach zweijähriger, intensiver Diskussion in der Partei ihr Grundsatzprogramm gegeben. Niemand auf dem Bundesparteitag vor ein paar Tagen hat etwa die Forderung erhoben, daß dieses Grundsatzprogramm jetzt geändert werden müßte, sondern immer wieder ist gesagt worden: Wenn neue Aufgaben auftreten, werden wir uns den neuen Herausforderungen stellen.
    Herr Kollege Vogel, daß Sie hier unseren Kollegen und Freund Böhr, den Vorsitzenden der Jungen Union, erwähnen, war ja zu erwarten. Was meinen Sie, wieviel Stunden ich damit verbringen könnte, Zitate aus dem Bereich der Jusos, Ihrer Jugendorganisation, vorzutragen!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Gruppierung hat Urteile über die Mutterpartei gefällt, die so vernichtend waren, wie sie es überhaupt nur sein konnten.
    Die Christlich Demokratische Union ist eine offene Volkspartei. Bei uns wird diskutiert, bei uns wird kritisiert — genauso wie bei Ihnen übrigens auch. Da gibt es berechtigte Kritik, und da gibt es gänzlich unberechtigte Kritik. Aber ein Parteivorsitzender muß beides ertragen, und ich habe es im Laufe von jetzt 14 Jahren ganz gut ertragen.
    Meine Damen und Herren, nur eines nehmen Sie bitte auch im Blick auf das Jahr 1990 mit nach Hause: Wir sind eine Partei, die aus klaren Prinzipien Probleme von heute und morgen lösen will. Wir haben dafür überzeugende Lösungen, und Sie sind die letzten, die uns dabei Ratschläge geben können.
    Herr Kollege Vogel, es klingt doch aus Ihrem Munde schon eigenartig, wenn Sie hier einen Nachholbedarf an Umweltschutz und Umweltpolitik konstatieren.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das war Herr Böhr! Schimpfen Sie mit Herrn Böhr!)

    Sie haben in Ihrer Zeit nichts, aber auch gar nichts getan, um auf diesem Feld voranzukommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben hier mit betroffener Miene die Entwicklung in der Gesundheitspolitik aufgezeigt. Herr Kollege Vogel, Sie hatten lange genug Zeit, angesichts der Kostenexplosion im Gesundheitswesen in diesem
    Feld die notwendigen Schritte zu tun. Sie haben nichts, aber auch gar nichts getan.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wie lange sind Sie denn schon Bundeskanzler?)

    Rudi Seiters hat Ihnen nachgewiesen, wie Sie , die Familie ganz bewußt aus Ihrer ideologischen Verirrung heraus in die Sackgasse getrieben haben. Ich kann die Liste beliebig fortsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Kompletter Unsinn! — Zuruf der Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD])

    Der absolute Höhepunkt — Herr Bangemann, Herr Seiters, alle haben es Ihnen gesagt — war Ihre Behauptung hinsichtlich der Abrüstungs- und Friedenspolitik. Sie sind die einzigen in Deutschland — vielleicht noch Ihre fellow-travellers aus dem Bereich der GRÜNEN —, die nicht erkannt haben, daß die Verwirklichung des von Ihrem früheren Kanzler Helmut Schmidt herbeigeführten NATO-Doppelbeschlusses durch diese Regierung dazu führte, daß wir jetzt, wie wir alle hoffen, zu dem INF-Vertrag kommen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Warum haben Sie sich denn so endlos gesträubt?)

    Meine Damen und Herren, wir haben uns doch nicht dagegen gesträubt, wie haben ihn herbeigeführt. Ihr Beitrag hat darin bestanden, aus der Angst der Menschen vor Krieg politische Geschäfte zu machen. Das war Ihr Beitrag in diesen Jahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Von ähnlicher Qualität waren Ihre Bemerkungen zum Thema innere Sicherheit. Nach den beiden Morden an der Startbahn West fragen doch viele im Lande, und zwar zu Recht: Wie konnte es dazu kommen, daß die Täter nicht davor zurückschreckten, gezielte Schüsse auf Polizeibeamte abzugeben? Das ist ja eine Frage an uns alle. Wir sind bereit — ich hoffe Sie auch — und entschlossen, die erforderlichen Konsequenzen aus den Frankfurter Ereignissen zu ziehen. Wir wollen dem zunehmenden Mißbrauch des Grundrechts auf friedliche Versammlung Einhalt gebieten, und wir wollen unsere Polizeibeamten besser schützen. Sie und ihre Familien haben Anspruch auf unsere Fürsorge.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Abgeordneter Vogel, es kommt schon ein seltsamer Staatsbegriff zutage, wenn einer der Sprecher Ihrer Partei, der dafür zuständige Abgeordnete, vor ein paar Tagen die Bundesregierung davor warnte, „die Spirale der Gewalt ein Stückchen weiterzudrehen". Hier werden der Selbstbehauptungswille des freiheitlichen Rechtsstaates und die Zerstörungswut von Gewalttätern auf eine Stufe gestellt, und das ist ein völlig unerträglicher Vorgang.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Abgeordneter Vogel, Sie preisen die Entscheidung in Hamburg. Wie wollen Sie eigentlich verantworten, daß in der Hamburger Hafenstraße die Entwicklung eines gleichsam rechtsfreien Raumes jahrelang hingenommen wurde? Wie konnten Sie es zulassen, daß sich hier ein Herd der Gewalt entwickelte, der aller Rechtsstaatlichkeit hohnspricht? Eine Demo-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    kratie — das ist nicht zuletzt die Erfahrung der Weimarer Republik — kann auch dadurch ausgehöhlt werden, daß sie sich vor aller Augen von ihren Feinden als hilflos vorführen läßt. Hier ist doch immenser Schaden entstanden, und der wird nicht dadurch wiedergutgemacht, daß in letzter Minute ein rechtswidriger Zustand legalisiert wurde. Ingo von Münch hat, glaube ich, mit seiner Bewertung Recht, daß die vorläufige Lösung des Konflikts an der Hafenstraße kein Erfolg für den Rechtsstaat ist.

    (Zuruf von der SPD: Der Bundespräsident ist da anderer Meinung! — Schily [GRÜNE]: Haben Sie einmal mit dem Bundespräsidenten diskutiert?)

    — Es ist gut, daß dieser Zwischenruf kommt. Ich finde es schon ziemlich ungehörig — um kein anderes Wort zu gebrauchen — , daß Sie, Herr Abgeordneter Vogel, und andere — den Abgeordneten der GRÜNEN möchte ich in diesem Zusammenhang nicht ansprechen —

    (Dr. Vogel [SPD]: Ich habe keinen Zwischenruf gemacht! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    jetzt fortdauernd den Bundespräsidenten in die Debatte einbeziehen. Das ist ein Stil der Auseinandersetzung, der bislang in der Geschichte der Bundesrepublik nicht üblich war.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Das paßt Ihnen nicht! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Der SPD-geführte Hamburger Senat hat durch jahrelanges Gewährenlassen schuldhaft eine ausweglose Situation herbeigeführt,

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist der neue Stil!)

    in der er nur noch die Wahl zwischen schlimmen Ausschreitungen und der Kapitulation des Rechtsstaates hatte.

    (Conradi [SPD]: Die hätten Sie gern gehabt!)

    Meine Damen und Herren, es täusche sich niemand: Wer nach den Polizistenmorden von Frankfurt an einem Haus der Hafenstraße ein Transparent mit der Aufschrift „Zwei Tote sind nicht genug" anbringt, dem kann wohl kaum die Absicht unterstellt werden, auf Dauer Frieden zu halten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein. — Niemand von uns — alles andere ist bloße Verdächtigung — denkt auch nur im entferntesten daran, das Grundrecht auf friedliche Versammlung anzutasten. Das Problem liegt doch nicht in diesem Feld. Das Problem ist die Verharmlosung von Gewalt.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sie meinen die Berufsverbote!)

    Erinnern wir uns doch: Bei den Demonstrationen in
    Wackersdorf und Brokdorf wurden Hunderte von Polizeibeamten zum Teil schwer verletzt. In Brokdorf zertrümmerte eine abgeschlossene Stahlkugel das Gesicht eines Polizisten.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Und was ist mit den Demonstranten?)

    In Wackersdorf wurde ein Kleinbus in Brand gesetzt, in dem sich Polizisten befanden, und ohne fremde Hilfe wären sie vermutlich verbrannt.

    (Conradi [SPD]: Und Celle?)

    Sanitätsfahrzeuge wurden im Einsatz behindert. Vor diesem Hintergrund erscheinen die beiden Morde an der Startbahn West als die letzte Konsequenz der seit längerem zu beobachtenden Angriffe auf Leib und Leben von Polizeibeamten.
    Mit der Steigerung der Gewalttätigkeit geht eine Bagatellisierung der Gewalt einher.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ist ja Quatsch!)

    Sie ist mit ursächlich für die zunehmende Brutalität im Umfeld von Demonstrationen. Zu viele von uns haben sich an diese Art von Gewalt wie an etwas Alltägliches gewöhnt. Nachrichten über Anschläge auf Eisenbahnen, Strommasten, Baumaschinen, das Werfen von Molotow-Cocktails bei Demonstrationen werden kaum mehr als außergewöhnlich empfunden. Wen wundert es, daß angesichts solcher Abstumpfung gewaltbereite Kriminelle an der Gewaltspirale drehen? Hier haben viele von denen versagt, die an der Bildung des öffentlichen Bewußtseins teilhaben. Wer Gewalt verharmlost, baut Gewalthemmungen ab. Wer Gewalt gegen Sachen immer noch billigt, nimmt angesichts der bisherigen Erfahrungen Gewalt gegen Menschen in Kauf. Wer Polizeibeamte als „Bullen" bezeichnet, leistet der Menschenverachtung Vorschub.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Von unseren Polizeibeamten werden neben persönlicher Einsatzbereitschaft, Entschlußkraft und zugleich Besonnenheit in kritischer Situation gefordert. Unsere Polizei hat sich im Regelfall diesen Anforderungen gewachsen gezeigt — trotz der Gefahren für Leib und Leben, denen Polizeibeamte heute bei Demonstrationen immer wieder ausgesetzt sind.
    Meine Damen und Herren, dieser Dienst am inneren Frieden und damit an unser aller Freiheit wird von vielen nicht angemessen gewürdigt. Unsere Polizei hat ein Recht auf Unterstützung nicht nur durch die jeweilige Regierung, sondern durch alle demokratischen Parteien und durch die Öffentlichkeit. Polizeibeamte, die ihren Dienst unter persönlicher Gefährdung wahrnehmen, müssen selbstverständlich unsere Solidarität erfahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Empörung über die Verbrechen in Frankfurt muß dauerhafte Wirkungen haben. Gewalt darf nicht als etwas Alltägliches hingenommen werden.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Auch nicht von der Polizei!)

    Schon das An- und Absägen von Strommasten ist gemeingefährlich und ist kriminiell. Alle Parteien, alle
    gesellschaftlichen Kräfte müssen unzweideutig alle



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Formen der Gewalt, auch Gewalt gegen Sachen, verurteilen.
    Meine Damen und Herren, auch die Veranstalter von Demonstrationen mit friedlichen Absichten haben viele Möglichkeiten, Gewalttaten von Außenseitern vorzubeugen. Wir können und müssen von ihnen verlangen, daß sie diese Möglichkeiten nutzen. Wer an bestimmten Orten, wer zur Nachtzeit, wer in unübersichtlichem Gelände Demonstrationen veranstaltet, weiß im Regelfall sehr genau, welche Risiken er heraufbeschwört.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Bekenntnis vieler Gruppen zur Gewaltfreiheit ist unglaubwürdig, solange sie bei Demonstrationen die Zusammenarbeit mit der Polizei verweigern. Manche von ihnen scheinen sogar darauf zu spekulieren, daß Gewalt ihnen die Aufmerksamkeit der Medien sichert.
    Den inneren Frieden zu sichern ist nicht nur Aufgabe der Staatsorgane. Dazu können die Bürger selbst maßgeblich beitragen. Ich füge hinzu: Auch die Medien müssen sich immer wieder fragen lassen, ob nicht manche gewalttätige Demonstration deshalb veranstaltet wird, weil anwesende Kamerateams für Publizität sorgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesregierung und die Hessische Landesregierung erörtern mit verantwortlichen Parteiführern, welche Lehren aus den Frankfurter Vorfällen zu ziehen sind. Bei dieser Prüfung gibt es für uns keine Tabus. Die Novellierung des Versammlungsrechts, das Vermummungsverbot und der Tatbestand des Landfriedensbruchs müssen ebenso erörtert werden wie die Frage, ob die Polizeiausrüstung zu verbessern ist

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Mit dem Namensschild!)

    und ob eine Einsatzreserve des Bundesgrenzschutzes zum Einsatz bei gewalttätigen Ausschreitungen bereitgestellt werden soll. Das Bundeskabinett wird schon sehr bald die dazu notwendigen Beschlüsse fassen.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, es ist nur natürlich, daß gerade in der jetztigen Situation im Mittelpunkt der Generalaussprache Themen der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes stehen. Zwei wichtige Sachverständigengutachten haben sich in diesen Tagen mit der Entwicklung auseinandergesetzt: zu Beginn des Monats das Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute und am Montag dieser Woche das Jahresgutachten des Sachverständigenrates.
    Beide Analysen stimmen in einem wesentlichen Punkt überein: Sie gehen einvernehmlich davon aus, daß die wirtschaftliche Entwicklung auch im kommenden Jahr weiter aufwärts gerichtet bleibt. Diese Kernaussage der Sachverständigen hat gerade jetzt, angesichts der Unsicherheit auf den internationalen Finanzmärkten, ein besonderes Gewicht, denn sie macht klar, daß die realen wirtschaftlichen Bedingungen ein tragfähiges Fundament für eine gute Entwicklung darstellen.
    Richtig ist auch, daß die internationalen Turbulenzen der letzten Wochen Reaktionen auf nach die vor ungelöste Probleme in der Weltwirtschaft darstellen. Dabei ist ganz unbestritten, daß der Verringerung des amerikanischen Haushaltsdefizits größte Bedeutung zukommt. Die Bundesregierung begrüßt ganz besonders die jetzt konkret in Aussicht genommenen Maßnahmen zum Abbau dieses Defizits, auch und vor allem, weil hier feste Verabredungen für einen Zeitraum von zwei Jahren getroffen worden sind. Es kommt jetzt entscheidend darauf an, daß — dies ist unser dringender Wunsch — das amerikanische Parlament diesen Vorschlägen möglichst bald seine endgültige Zustimmung gibt.
    Meine Damen und Herren, weitere Fortschritte benötigen wir auch beim Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte. Hier stehen wir vor einer besonderen Schwierigkeit: daß nämlich nominale und reale Entwicklung bereits seit geraumer Zeit deutlich auseinanderfallen. So hat die Bundesrepulik Deutschland im vergangenen Jahr zwar auf den ersten Blick einen Rekordüberschuß in der Handelsbilanz erzielt. Bei genauem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß hierfür ausschließlich die rückläufigen Einfuhrpreise verantwortlich waren, daß also der reale Überschuß im Warenhandel 1986 nicht zugenommen, sondern — im Gegenteil — bereits um 20 Milliarden DM abgenommen hat.
    Anders ausgedrückt: Seit Mitte 1985 wachsen die realen Einfuhren bei uns erheblich schneller als unsere Ausfuhren. Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres haben unsere ausländischen Partner ihre Verkäufe auf dem deutschen Markt real um 4 steigern können, während umgekehrt die deutschen Exporteure ihren Absatz jenseits unserer Grenzen im Verkauf nur um 1 % ausweiten konnten.
    Dies bedeutet: Das reale Wirtschaftswachstum fällt bei uns gegenwärtig vor allem deshalb schwächer aus, weil das Volumen unserer Importe etwa viermal so stark zunimmt wie das unserer Exporte. An diesen Zahlen, meine Damen und Herren, wird auch deutlich, daß die deutsche Wirtschaft — und ich lege Wert auf diese Feststellung — bereits ganz Erhebliches geleistet hat und weiter leistet, damit die entstandenen internationalen Ungleichgewichte abgebaut werden können.
    Wir wissen, daß wir auch in Zukunft — in nächster Zukunft zumindest — mit diesen außenwirtschaftlichen Belastungen rechnen müssen. Und kein Zweifel besteht auch daran, daß wir aus all diesen Gründen international aufs engste zusammenarbeiten müssen.
    Auch und gerade — das will ich nach der Debatte dieses Jahres hier noch einmal besonders betonen — vor diesem Hintergrund wird ja deutlich, wie richtig die von uns frühzeitig eingeleitete konsequente Politik der Steuersenkung war, eine Politik, die heute auch eine breite internationale Anerkennung findet und die in fast allen Ländern — betrachten Sie nur die EG — Nachahmung findet. Es ist ja schon bemerkenswert, wenn die Regierung Papandreou in Griechenland — ganz gewiß nicht konservativer Umtriebe verdächtig — jetzt eine Steuerreform vorlegt, die etwa hinsichtlich des Spitzensteuersatzes Vorstellungen



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    enthält, die für die deutschen Sozialdemokraten völlig undenkbar wären.
    Meine Damen und Herren, diese Steuerreform, die wir in einem beträchtlichen Teil auf den Beginn des kommenden Jahres vorziehen, ist ein wichtiger Beitrag auch zur internationalen Politik — damit werden ja, wie jeder weiß, die Steuern am 1. Januar 1988 um knapp 14 Milliarden DM gesenkt — : ein Beitrag zur Stärkung der Inlandsnachfrage, der keinen Vergleich zu scheuen braucht.
    Ich betone noch einmal, weil dies im Ausland oft übersehen oder bewußt nicht zur Kenntnis genommen wird: Geld- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland liegen bereits seit geraumer Zeit auf einem deutlich expansiven Kurs — dies auch und gerade im Blick auf unsere Verantwortung für die internationale Wirtschaftsentwicklung. Gerade weil wir in den letzten Jahren nicht nur beim Haushalt, sondern auch in der Wirtschaftspolitik insgesamt verantwortungsbewußt und konsequent gehandelt haben, können wir jetzt unseren Beitrag zur Stabilisierung der Weltwirtschaft leisten.
    Ich füge hinzu: Wir sind auch bereit, gerade in der jetzigen Situation zu weiteren internationalen Anstrengungen, zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung aktiv beizutragen. Dies kann und darf nicht zu irgendeinem wirtschaftspolitischen Aktionismus führen, weil das von uns gewünschte Hauptziel so mit Sicherheit verfehlt würde: nämlich Vertrauen auf breiter Basis zu festigen und, wo notwendig, zu schaffen. Nicht von ungefähr, meine Damen und Herren, hat der Sachverständigenrat vor derartigem, kurzfristig orientiertem Handeln erst in dieser Woche aufs nachdrücklichste gewarnt. Entscheidend ist, daß in der internationalen Wirtschaftspolitik ein abgestimmter, ein klarer, ein überzeugender Kurs gesteuert wird. Wir werden darauf drängen, daß dies geschieht, und wir werden auch unseren Beitrag leisten.
    Und, Herr Kollege Vogel — ich sage das auch im Hinblick auf Ihre Bemerkung — : Wir sind auch bereit, öffentlichkeitswirksame Formen der internationalen Zusammenarbeit zu praktizieren. Aber ich glaube — ich denke, Sie stimmen hier sogar zu —, daß es nicht vernünftig wäre, ein Treffen in der üblichen Weise herbeizuführen, bevor nicht ganz klar ist, daß dieses Treffen zu einem Erfolg führt. Und ich will die sehr positive Rolle von Gerhard Stoltenberg ausdrücklich würdigen, der seine Aufgaben in den letzten Wochen auch im internationalen Konzert, und zwar mit aller Diskretion, immer wieder wahrgenommen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gerade vor diesem internationalen Hintergrund unterstreiche ich, daß die Perspektiven für eine weitere Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik positiv sind. Das Preisniveau ist weiterhin ungewöhnlich stabil. Einkommen, Löhne und Renten zeigen deutlich reale Steigerungsraten. Beides zusammen beweist einmal mehr, daß Politik für stabile Preise die wirksamste Sozialpolitik ist. Daß darüber hinaus breites Vertrauen in die Stabilität der Wirtschaftsentwicklung entstanden ist, wird ja nicht zuletzt dadurch deutlich, daß die großen Gewerkschaften mehrjährige Tarifverträge abgeschlossen haben. Rudi Seiters hat es schon gesagt, meine Damen und Herren von der SPD: Wer sich an das Geschrei und die Diskussionen um den § 116 AFG erinnert, der weiß, wie wenig die damalige Kampagne mit der Realität des Landes zu tun hatte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf der Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD])

    Es ist positiv festzuhalten, daß die Ausfuhren im Verlauf dieses Jahres spürbar gestiegen sind, daß die Auslandsbestellungen der deutschen Industrie sich seit dem Frühjahr ebenfalls günstig entwickelt haben und daß die weiteren Exportaussichten von den Unternehmen bis zuletzt, bis in diese Tage hinein überwiegend positiv beurteilt werden.
    Diese deutlich verbesserte Ausgangslage der deutschen Exportunternehmen ist in den letzten Wochen durch den Rückgang des Dollarkurses zweifellos sehr viel schwieriger geworden. Wir wollen deswegen alles tun, soweit wir es tun können, daß der Dollarkurs nicht zum Spielball mehr oder weniger sinnvoller Interviewäußerungen wird. Denn gerade in der Währungspolitik gilt, daß für vermeintliche kurzfristige Vorteile im Regelfall auf lange Sicht ein hoher Preis zu zahlen ist. Deswegen liegt es im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, bei öffentlichen Stellungnahmen zu Währungsfragen für Verläßlichkeit und Berechenbarkeit zu sorgen.
    Unbefriedigend bleibt die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahl von zuletzt 2,1 Millionen ist unverändert eine der großen Herausforderungen an die Politik, an die Gesellschaft, an alle Beteiligten. Ebenso unbestreitbar ist jedoch, daß es auch auf diesem Feld gewichtige Aktivposten gibt, zunächst die Schaffung von 670 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Durch diesen Zugewinn an Arbeitsplätzen ist es gelungen, in steigender Zahl Frauen, die wieder arbeiten wollen, bessere Chancen für die Berufstätigkeit zu eröffnen. Gelungen ist es auch — ich hebe es deutlich hervor — , Ausbildungs- und Arbeitsplätze für die jungen Leute der geburtenstarken Jahrgänge zu schaffen. Erstmals seit 1981 konnte in diesem Jahr wieder ein globaler Ausgleich von Angebot und Nachfrage bei den Lehrstellen erreicht werden.
    Einen konstruktiven Beitrag sehe ich auch darin, daß die Tarifparteien, beispielsweise in der chemischen Industrie, erstmals für einen großen Tarifbereich überhaupt die Teilzeitarbeit tariflich geregelt und sozialverträglich abgesichert haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Hier ist einmal mehr unter Beweis gestellt worden, daß sachliche Gespräche bei Wahrung eigener Interessen durchaus zu echten Fortschritten führen können, und dies im Interesse der vielen, die einen Arbeitsplatz suchen.
    Ob es dagegen dem Abbau der Arbeitslosigkeit dient, wenn Tarifabschlüsse aus gut verdienenden Branchen praktisch unverändert auf Industriezweige übertragen werden, die sich mitten in der Strukturkrise befinden, kann bezweifelt werden. Die Forschungsinstitute und der Sachverständigenrat haben



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    gerade dazu sehr deutliche Worte an die Adresse der Tarifpartner gesagt.
    Die Bundesregierung wird ihre Politik der Sozialen Marktwirtschaft konsequent fortsetzen. Im Mittelpunkt steht dabei in diesem Augenblick, für diese Legislaturperiode die Steuerreform 1990. Dabei geht es nicht nur um Steuersenkungen von immerhin rund 50 Milliarden DM innerhalb von vier Jahren, sondern um eine echte Reform der Steuerstruktur, mit der wir zwei wichtige Ziele erreichen: Wir wollen ein leistungsgerechteres Steuersystem, weil wir auf Leistung und Leistungsbereitschaft weniger denn je verzichten können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen zugleich auch ein sozialpolitisch zukunftsfähiges Steuersystem; denn die nachhaltige Anhebung der Besteuerungsgrenze für niedrige Einkommen ist ebenso dringend geboten wie die Besserstellung von Familien mit Kindern im Steuerrecht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, Bund, Länder und Gemeinden stehen gemeinsam vor einer weiteren zentralen Aufgabe. Es ist die Bewältigung des anhaltenden Strukturwandels. Es muß allen Beteiligten darum gehen, einerseits den Übergang in neue Strukturen nicht zu behindern, weil dadurch im Ergebnis Arbeitsplätze nicht gewonnen werden, sondern verlorengehen; andererseits aber muß dieser Übergang für die Betroffenen sozialverträglich gestaltet werden. Das heißt, als Politiker und Verantwortliche haben wir danach zu fragen, was den unmittelbar betroffenen Menschen zugemutet werden darf und wo diese Grenze überschritten wird.
    In diesem Sinne hat die Bundesregierung auf meine Initiative hin mit Unternehmen und Gewerkschaften im Frühjahr dieses Jahres Gespräche über die schwierige Situation in der Stahlindustrie aufgenommen. Diese Gespräche konnten Anfang Oktober einvernehmlich und erfolgreich abgeschlossen werden. Das dabei erzielte Ergebnis ist in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen wird der Weg freigemacht für die allseits als notwendig anerkannte Strukturanpassung in der Stahlindustrie. Der Übergang in neue Strukturen wird durch die zeitlich begrenzten Hilfen sozial flankiert, so daß die ohnehin schwierige Situation in den betroffenen Regionen nicht durch Massenentlassungen im Stahlbereich weiter verschlechtert wird. Zum anderen macht die erreichte Einigung deutlich, daß alle Beteiligten — Politiker, Arbeitgeber und Gewerkschaften — die Fähigkeit bewahrt haben, in einer schwierigen Situation zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Ich sehe darin ein positives Signal; denn auf diese grundsätzliche Bereitschaft zum Konsens und zum Gespräch bleiben wir auch in Zukunft angewiesen.
    Meine Damen und Herren, dies gilt in ganz besonderer Weise auch für die Situation im Bereich der Kohle. Die entstandenen Probleme werden von Martin Bangemann — er sprach bereits davon — und den unmittelbar Beteiligten erörtert, und zwar mit dem Ziel, bei den im Steinkohlebergbau anstehenden Kapazitätsproblemen zu einer sozialverträglichen Lösung zu kommen. Gleichzeitig geht es um eine Verringerung der Belastung durch den Kohlepfennig auf ein wirtschaftlich vertretbares Maß — und dies bei Aufrechterhaltung der im Jahrhundertvertrag vorgesehenen Kohleeinsatzmengen.
    Meine Damen und Herren von der SPD, ich füge hinzu: Sie haben sich in der Öffentlichkeit immer für eine Fortführung des Jahrhundertvertrags ausgesprochen. Weil dies so ist, scheint es mir nützlich zu sein, in diesen Vertrag einmal hineinzuschauen. Deswegen will ich Ihnen einmal den § 8 des Vertrags vorlesen. Dort heißt es:
    Elektrizitätsversorgungsunternehmen und Bergbauunternehmen sind sich darüber einig, daß der wachsende Energiebedarf in Zukunft nur gedeckt werden kann, wenn sowohl Kohle als auch Kernenergie in zunehmendem Maße zum Einsatz kommen. Sie werden daher, insbesondere in ihrer Öffentlichkeitsarbeit, alles unterlassen, was die Erreichung dieses Zieles beeinträchtigt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, diese Aussage ist für jedermann klar. Es ist klar, daß Sie von der SPD von diesem Kernelement des Jahrhundertvertrags nichts mehr wissen wollen. Erst Anfang Oktober hat sich die SPD in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich und erneut gegen die Nutzung von Kernenergie ausgesprochen. Sie hat sich damit von einer zentralen Vereinbarung des Jahrhundertvertrags, dem Konsens zwischen Kohle und Kernkraft, unmißverständlich verabschiedet. Dies zeigt deutlicher als alle Propaganda draußen, von wem Bergleute heute konkret Solidarität erwarten können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Na, na!)

    Meine Damen und Herren, niemand sollte sich täuschen lassen. Es geht jetzt vor allem darum, gerade im Ruhrgebiet, Chancen für neue, für zusätzliche Arbeitsplätze zu eröffnen. Wer sich in einer solch kritischen Übergangssituation durch Technikfeindlichkeit aus der Verantwortung für eine der bedeutendsten Industrieregionen der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet, der läßt die Betroffenen gerade dann im Stich, wenn sie am dringendsten auf Hilfe angewiesen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden uns durch dieses Verhalten nicht beirren lassen. Wir werden auch in Zukunft Hilfe zur Selbsthilfe bereitstellen. Wir werden aber auch die zuständigen Landesregierungen immer wieder an ihre besondere Verantwortung für Arbeit und Beschäftigung vor Ort erinnern. Auch hier gilt nämlich, daß die erklärten Absichten gerade im Blick auf die Beschäftigung und die Arbeitsplätze immer wieder an der Wirklichkeit des tatsächlichen politischen Handelns gemessen werden müssen. Hier gibt es in Nordrhein-Westfalen wie an der Saar eine beängstigende Lücke zwischen Worten und Taten.
    Wenn wir über Strukturentwicklungen sprechen, gehört in diesen Zusammenhang auch eine Bemerkung zur Agrarpolitik, zur europäischen wie zur nationalen. Auch hier biete ich ausdrücklich die Zusammenarbeit an, eine Zusammenarbeit, die allerdings



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    eine Profilierung mit billigen Patentrezepten verbietet. Denn die Betroffenen in der deutschen Landwirtschaft wissen nur zu gut, daß nicht in der Amtszeit dieser Regierung, sondern daß vorher, in einer Zeit, als wir nicht die Verantwortung trugen, die EG-weiten Überschüsse entstanden sind.

    (Zurufe von der SPD)

    Vor diesem Hintergrund sind Ihre heutigen Ratschläge, die Überschußproduktion durch Preissenkungen zu verhindern, schon mehr als seltsam.

    (Zurufe von der SPD)

    Die Bundesregierung wird die deutschen Bauern in ihrem sehr schwierigen Anpassungsprozeß nicht im Stich lassen. Wir setzen uns in Brüssel für eine behutsame Neuordnung und für die gleichzeitige Absicherung der Einkommen durch direkte Hilfen an unsere Bauern ein. Ein Drittel des Einkommens unserer Landwirte stammt inzwischen aus direkten Einkommensübertragungen. Wir werden mit dieser Politik der Marktsanierung und der gleichzeitigen Einkommenssicherung fortfahren. Wir werden alles tun, damit unsere Agrarpolitik so gestaltet wird, daß auch in Zukunft die deutsche Landwirtschaft in Europa wettbewerbsfähig bleibt.
    Dies ist — das möchte ich betonen — eine Aufgabe, die nicht der Bund allein, sondern die nur Bund und Länder gemeinsam bewältigen können. Ich will die Bundesländer dazu ausdrücklich einladen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, im Rahmen dieser Debatte spielen notwendigerweise Fragen der Außen-, der Sicherheits- und der EG-Politik eine große Rolle. Für uns — dies ist, glaube ich, in diesem Hause unbestritten — , für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ist eine unverzichtbare Grundlage unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Mehr als die Hälfte unserer Exporte geht in unsere EG-Partnerländer. Jeder fünfte Arbeitsplatz — das muß man auch angesichts mancher anti-europäischer Stimmungen immer wieder sagen — hängt von der Ausfuhr in diese Länder ab. Wir Deutschen haben ein elementares Interesse daran, den Weg der wirtschaftlichen und politischen Integration Europas konsequent weiterzugehen.
    In wenigen Tagen findet der nächste EG-Gipfel in Kopenhagen statt. Die Gemeinschaft steht erneut vor schwierigen Aufgaben. Wir müssen gemeinsam versuchen, die Reform der Agrar- und Strukturpolitik und der Gemeinschaftsfinanzen voranzubringen. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat dazu Vorschläge im Rahmen des sogenannten Delors-Paketes vorgelegt. Ich will aus der Sicht der Bundesregierung dazu heute einige Anmerkungen machen:
    Erstens. In der Agrarpolitik geht es darum, die Produktions- und damit die Kostenentwicklung in den Griff zu bekommen. Darin wissen wir uns mit der Europäischen Kommission und mit den anderen Mitgliedsstaaten einig. Die Lösung dieses Problems muß aber aus unserer Sicht in erster Linie durch gezielte marktentlastende Maßnahmen wie Flächenstillegungen oder Vorruhestandsregelung erfolgen. Eine Politik des Preisdrucks kann die Bundesregierung nicht mittragen. Eine solche Politik ist angesichts der Struktur unserer Landwirtschaft nicht hinnehmbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zweitens. Ein weiteres wichtiges Element des Delors-Pakets ist die Strukturpolitik. Damit soll die Leistungskraft der am wenigsten entwickelten Regionen der Gemeinschaft weiter gestärkt werden. Wir treten für eine substantielle Erhöhung der Strukturmittel ein. Sie müssen aber — ich lege Wert auf diese Feststellung — auf die wirklich Bedürftigen in der Gemeinschaft konzentriert werden.
    Drittens. Die Bundesregierung ist zu einer Aufstokkung des EG-Haushalts bereit, denn die Gemeinschaft braucht mittelfristig eine stabile finanzielle Grundlage. Das künftige System der Eigenmittel muß dem relativen Wohlstand der Mitgliedsstaaten besser entsprechen. Dabei könnte das Bruttosozialprodukt eine wichtige Bezugsgröße darstellen, die das bisherige System ergänzen kann. Ein solches Finanzierungssystem ist auch geeignet, von Ausgleichszahlungen an einzelne Mitgliedstaaten endlich wegzukommen.
    Die Gemeinschaft kann es sich nicht leisten, diese Probleme vor sich herzuschieben. Wir wollen daher alles tun, um dazu beizutragen, daß in Kopenhagen substantielle Beschlüsse erreicht werden, damit der Weg für morgen frei wird; denn der Weg für morgen heißt immer auch: Verwirklichung des einheitlichen Binnenmarktes. Wir müssen, wie versprochen, bis 1992 den gemeinsamen Wirtschaftsraum schaffen, wenn die Europäische Gemeinschaft auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben will. Wenn die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar des nächsten Jahres die Präsidentschaft der EG übernimmt, werden wir alles tun, um unseren Beitrag zur Lösung dieser Probleme zu leisten.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die 50. deutsch-französischen Konsultationen in Karlsruhe vor wenigen Tagen haben erneut den Beweis erbracht, daß es Deutschland und Frankreich immer wieder gelingt, Wege für die Weiterentwicklung der europäischen Politik zu ebnen. Wir unternehmen auch jetzt gemeinsam alles, um die notwendigen Entscheidungen in Kopenhagen herbeizuführen. Aus der Fülle der Themen, die wir in Karlsruhe diskutiert haben, will ich zwei ganz besonders herausgreifen.
    Wir haben die weiteren Maßnahmen zur Intensivierung unserer militärischen und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit erörtert. Wir wollen einen gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsrat einsetzen. Dieses wichtige Vorhaben soll am 22. Januar 1988, dem 25. Jahrestag des Elysée-Vertrages, formell verabschiedet werden. Wir haben auch große Fortschritte auf dem Weg zur Aufstellung eines deutschfranzösischen Heeresgroßverbandes erreicht.

    (Zuruf von der SPD)

    — Ich will auf diesen Zwischenruf gern eingehen: Es mag durchaus sein, daß dieser oder jener in Europa diese deutsch-französische Zusammenarbeit noch nicht begreift. Wir stehen hier vor der Situation, daß wir auf jeden Fall Schelte bekommen. Sind die



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    deutsch-französischen Beziehungen nicht optimal geregelt, dann erhalten wir den Vorwurf, wir täten nicht genug, um Europa voranzubringen. Sind die deutschfranzösischen Beziehungen optimal, dann spricht man — wie es gelegentlich heißt — von einer „Achse Paris—Bonn" . Ich halte beides gleichermaßen für falsch. Wer die Geschichte Europas kennt, der weiß, daß nur eine enge deutsch-französische Partnerschaft und Freundschaft unserem Kontinent Zukunft verheißt. Diese Partnerschaft richtet sich gegen niemanden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und des Abg. Dr. Vogel [SPD])

    Ich stelle mit Genugtuung fest, daß alle Bundesregierungen und alle Bundeskanzler in der Kontinuität dieser Aufgabe gearbeitet haben und daß es — von außen gesehen — nicht den geringsten Grund gibt, gegenüber einer solchen Politik mißtrauisch zu sein.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Verständigung der Verteidigungsminister über den gemeinschaftlichen Bau des Panzerabwehrhubschraubers der zweiten Generation stellt einen bedeutenden Schritt in der deutsch-französischen Rüstungszusammenarbeit dar.
    Einen wichtigen Schwerpunkt des Gipfels bildete die Diskussion über die wirtschaftliche Entwicklung unserer beiden Länder, natürlich immer auch die Lage der Weltwirtschaft. Es bestand zwischen uns Einigkeit darüber, daß wir alles tun müssen, um das Europäische Währungssystem zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Die aktuellen Ereignisse gerade dieser Wochen haben die Notwendigkeit bestätigt, unsere Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik weiter zu verbessern. Wir werden daher die Einberufung eines deutsch-französischen Koordinierungsausschusses im Wirtschafts- und Finanzbereich prüfen. Auch dieser Ausschuß soll anläßlich des 25. Jahrestages des Elysée-Vertrages eingesetzt werden. Ich sage noch einmal: Deutschland und Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik, schließen von ihrer Zusammenarbeit niemanden aus; aber wir verstehen uns als Motor für den Aufbau Europas.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat seit Jahren eine stärkere Rolle der Westeuropäischen Union gefordert. Die von der WEU am 27. Oktober dieses Jahres verabschiedete Plattform über europäische Sicherheitsinteressen ist ein wesentlicher Fortschritt auf diesem Weg. Vor wenigen Tagen hat Präsident Reagan die größere, enger aufeinander abgestimmte Rolle der WEU-Mitglieder bei der Verteidigung Westeuropas begrüßt. Wir wollen die Atlantische Allianz durch eine Bündelung der nationalen, europäischen Sicherheitspolitiken weiter verstärken.
    Jeder weiß, die Atlantische Allianz steht heute vor einem großen historischen Erfolg. In wenigen Tagen — dessen bin ich sicher — werden Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Washington den Vertrag über die weltweite Abschaffung amerikanischer und sowjetischer Mittelstreckenflugkörper unterzeichnen.
    Ich will noch einmal festhalten, daß es das westliche Bündnis war, das den Vorschlag für dieses erste wirkliche Abrüstungsabkommen eingebracht hat. Durch das INF-Abkommen wird es zu einem überproportionalen Abbau des sowjetischen Waffenpotentials in diesem Bereich kommen. Deshalb — und als grundlegendes Beispiel für andere Bereiche der Rüstungskontrolle — dient ein solches Abkommen unseren langfristigen Sicherheitsinteressen. Die Bundesregierung hat entscheidende eigenständige Beiträge zum Gelingen dieses Vertrages geleistet — Beiträge, die überall in der Welt Anerkennung gefunden haben.
    Das bevorstehende Abkommen darf aber auf keinen Fall isoliert bewertet werden. Zwar wird die Bedrohung Westeuropas durch die Abschaffung der SS 20 gemindert, doch wird andererseits nur ein Bruchteil aller nuklearen Sprengköpfe durch diese Vereinbarung erfaßt. Gleichzeitig — das muß betont werden — gewinnt das sowjetische Übergewicht im Bereich der konventionellen und chemischen Waffen an Bedeutung. Wir werden deshalb weiterhin darauf dringen, daß ebenfalls ein START-Abkommen zur 50 %igen Verringerung aller strategisch-nuklearen Offensivpotentiale der Großmächte in absehbarer Zeit zustande kommt. Nach Ansicht der Bundesregierung kann der Abschluß dieses Abkommens weitere Impulse auf dem Weg der Rüstungskontrolle geben, beispielsweise für ein weltweites Verbot der chemischen Waffen oder für die überfälligen Verhandlungen über ein konventionelles Gleichgewicht in Europa.
    Die Bundesregierung kann dabei nicht die Überlegungen derjenigen teilen, die kurz vor Abschluß eines Abkommens über chemische Waffen die Überprüfbarkeit eines solchen Abkommens grundsätzlich in Frage stellen. Wenn die entscheidenden Staaten, die chemische Waffen besitzen, ein solches Abkommen wollen, kann man sich doch ohne weiteres bei allen Schwierigkeiten über eine umfassende und praktikable Kontrolle einigen.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Wiener Mandatsgespräche über die Kontrolle der konventionellen Rüstung in Europa haben Fortschritte gemacht. Die Bundesregierung hofft, daß ein Verhandlungsmandat in der nächsten Zeit verabschiedet werden kann, damit die Verhandlungen so rasch wie möglich beginnen können. Wir sind dabei durchaus bereit, über militärische Strategien beider Seiten zu sprechen. Die entscheidende Frage für uns ist jedoch die tatsächliche Ausrichtung des gesamten Streitkräfte - und Ausrüstungspotentials des Warschauer Paktes.
    Ich habe oft genug gesagt — ich will es wiederholen — : Abrüstung ist für uns kein Selbstzweck. Jeder Schritt auf diesem Gebiet muß die Sicherheit erhöhen. Keine Materie der Abrüstung und Rüstungskontrolle darf isoliert betrachtet werden. Der umfassende Ansatz unserer Abrüstungs- und RüstungskontrollPolitik verbietet es, einzelne Gebiete von Verhandlungen mit der anderen Seite auszunehmen, insbesondere wenn auf diesen Gebieten Ungleichgewichte bestehen. Das krasse Ungleichgewicht bei den bodengestützten nuklearen Flugkörpern unterhalb von fünfhundert Kilometern Reichweite ist für uns Deutsche auf Dauer nicht hinnehmbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Deshalb treten wir weiterhin nachdrücklich für die Einbeziehung dieser Systeme in die Abrüstungsverhandlungen ein. Dies muß Teil eines umfassenden Konzepts sein, dessen Fortentwicklung im Kommuniqué von Reykjavik gefordert wird. Dort heißt es ausdrücklich, daß Verhandlungen über nukleare Kurzstreckensysteme im Zusammenhang mit der Herstellung eines konventionellen Gleichgewichts und der weltweiten Beseitigung chemischer Waffen stattfinden sollen. Es ist nunmehr Aufgabe der allianzinternen Diskussion, diesen Zusammenhang konkret zu gestalten und gemeinsam die Prioritäten für die weiteren Abrüstungsverhandlungen festzulegen.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, das am 7. Dezember in Washington stattfindende dritte Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow ist ein sichtbarer Ausdruck für die Verbesserungen des West-Ost-Verhältnisses. Wenn die Umgestaltung der sowjetischen Gesellschaft und Wirtschaft und das angekündigte neue Denken in der sowjetischen Außenpolitik Möglichkeiten zu einer qualitativen Verbesserung unserer Beziehungen mit der Sowjetunion bieten, sind wir dazu bereit. Es wäre ja töricht, diese Möglichkeiten nicht auszuloten. Wir haben mit Aufmerksamkeit die Ausführungen von Generalsekretär Gorbatschow am 4. November dieses Jahres zum Begriff der friedlichen Koexistenz verfolgt. Wenn — ich sage immer wieder: wenn — die sowjetische Außenpolitik tatsächlich von früheren Glaubenssätzen wie dem vom geschichtlich determinierten Sieg des Sozialismus Abschied nehmen sollte, so können wir das nur nachdrücklich begrüßen. Aber dann müssen den Worten konkrete Taten folgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der West-Ost-Konflikt kann in Wahrheit auf Dauer nur wirklich entschärft werden, wenn die politischen Beziehungen von derartigen ideologischen Dogmen befreit sind, wenn die politischen Beziehungen auf den Boden der Tatsachen gestellt werden.
    Den Beweis für sowjetisches neues Denken erwarten wir und viele in der Welt, vor allem auch das afghanische Volk, zu Recht, von einer baldigen Beendigung des Krieges in Afghanistan.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein baldiger Abzug der sowjetischen Truppen aus diesem Land ist für uns ein wichtiger Prüfstein.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche habe ich die Chance gehabt, drei Staaten Afrikas — Kamerun, Mosambik und Kenia — einen Arbeitsbesuch abzustatten. Diese Reise sollte unser Interesse an der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas südlich der Sahara unterstreichen.
    Afrika ist unser Nachbarkontinent. Es ist ein Kontinent, vielfach geprägt von Hunger- und Dürrekatastrophen, von Überbevölkerung und sozialer Ungleichheit, von Rassendiskriminierung, Krieg, von Ideologien verschiedenster Art, auch von politischer Unterdrückung. Der Ost-West-Konflikt und der NordSüd-Konflikt überlagern sich in vielfältiger Weise und verbinden sich zu explosiver Gefahr.
    Meine Damen und Herren, am Ende dieses Jahrhunderts — und das muß man sich klarmachen — werden auf diesem Kontinent i Milliarde Menschen in über 50 Staaten leben. Viele dieser Staaten umfassen mehr als 100 Stämme. Nicht wenige dieser Staaten sind erst 20 Jahre unabhängig. — Ich schildere bewußt diese Zahlen und diesen Hintergrund; denn wer will angesichts solcher Tatsachen behaupten, daß er in der Afrikapolitik über ein Patentrezept verfüge? Ich glaube, unsere Antwort auf diese Probleme muß eine vielfältige sein.
    Die Erwartungen der meisten afrikanischen Staaten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland sind viel zu hoch, als daß wir diesen Erwartungen allein gerecht werden könnten. Der Westen insgesamt, die Westeuropäer, die Europäische Gemeinschaft — alle müssen zusammenwirken, um diesem Kontinent zu helfen.
    Wir müssen gemeinsam zur Entwicklung der afrikanischen Staaten beitragen, durch Hilfe zur Selbsthilfe, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit, durch Bildungs- und Ausbildungshilfe, durch Förderung der Landwirtschaft. Hier kann es durchaus von Land zu Land, aber auch innerhalb der Länder zu einer für alle Seiten befriedigenden Arbeitsteilung kommen.
    Wir müssen die afrikanischen Staaten als Partner ernst nehmen und den politischen Dialog auf allen Ebenen fördern. Sie müssen die Chance haben, ihre eigene Identität zu finden und zu wahren, ihre Kultur, ihre Lebensgewohnheiten zu entwickeln, ihren eigenen Weg in die Zukunft zu gehen — ohne Einwirkungen von außen. Wir dürfen auf keinen Fall unsere Maßstäbe — gewachsen in einer jahrhundertelangen Entwicklung, auch mit ihren Fehlern — ohne weiteres auf die jungen Staaten Afrikas übertragen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sehr richtig!)

    Die meisten Staaten Afrikas sind noch dabei, eine gesamtstaatliche nationale Identität zu entwickeln. Sie müssen dabei vielfach noch ihre Stammesgegensätze innerhalb des eigenen Landes überwinden. Wie die Beispiele von Kamerun und Kenia beweisen, kann dies um so leichter gelingen, je weniger eine Einmischung von außen erfolgt; dies gilt für Angola und Mosambik.
    Denn, meine Damen und Herren, wenn die Widerstandsgruppen die Regierenden von heute militärisch besiegen sollten, gehen diese nach allen Erfahrungen in den Untergrund, und blutiger Bürgerkrieg setzt sich fort. Deshalb muß man versuchen, alle an einen Tisch zu bringen, um innere Befriedung zu erreichen. Terror und Gewalt von innen und außen, von welcher Seite auch immer, müssen ein Ende haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ideologien müssen abgebaut und die militärischen Interventionen von außen beendet werden. Kubaner wie Südafrikaner müssen Angola verlassen. Aber auch Mosambik, Äthiopien, Tschad, um nur einige Beispiele zu nennen, müssen ihre Chance haben, ihren Weg selbst bestimmen zu können. Unser Ziel muß sein, Hilfe zu wirklicher Blockfreiheit zu geben.
    Kamerun und Kenia, beides Staaten, die Blockfreiheit praktizieren und die eine liberale Wirtschaftspoli-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    tik verfolgen, können in ihrer Entwicklung auf beträchtliche Erfolge verweisen. Beide Staaten sind Zentren wirtschaftlicher und politischer Stabilität in ihrer jeweiligen Region.
    Ich habe mit den Präsidenten Kameruns und Kenias die Fortsetzung und die Vertiefung unserer wirtschaftlichen, unserer entwicklungspolitischen und vor allem auch unserer kulturellen Beziehungen vereinbart.
    In Mosambik habe ich ein Land kennengelernt, dessen Aufbau und Entwicklung seit Erlangung seiner Unabhängigkeit von ungünstigsten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beeinträchtigt wurden. Dazu zählen nicht nur die fortbestehende wirtschaftliche und verkehrsgeographische Abhängigkeit von einem übermächtigen Nachbarn, sondern auch die Spannungen in der ganzen Region, vor allem der fortgesetzte Terror, der das Land seit Jahren bedroht und die Existenzgrundlage der Bevölkerung systematisch vernichtet.
    In meinen Gesprächen mit Staatspräsident Chis-sano habe ich dessen großes Interesse an der Zusammenarbeit mit uns feststellen können. Es ist offenkundig, daß sich dieses Land außenpolitisch öffnet. Ich habe dem Staatspräsidenten versichert, daß die Bundesregierung eine erkennbar pragmatische und auf friedlichen Ausgleich gerichtete Politik Mosambiks immer unterstützen wird.
    In allen drei Ländern, meine Damen und Herren, habe ich meinen Gesprächspartnern unseren Wunsch nach baldiger friedlicher Überwindung von Apartheit und Rassendiskriminierung, nach substantiellen Reformen und nach dem Beginn eines umfassenden nationalen Dialogs in Südafrika erläutert. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung weiterhin das Instrument wirtschaftlicher Sanktionen zur Durchsetzung politischer Ziele ablehnt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, der südafrikanische Außenminister Botha hat in diesen Tagen, am 16. November, vor der Hanns-Seidel-Stiftung in München erklärt — ich zitiere wörtlich — :
    Wir nehmen es hin, daß die Vorherrschaft der Weißen ein Ende finden muß und daß Teilhabe an der Macht der einzige Weg ist, um Südafrika gerecht und in einer Weise zu regieren, daß auch Rechte von Minderheiten gewährleistet werden.
    Ich hoffe, daß diesen Worten Taten folgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, sowohl in Yaounde als auch in Maputo und in Nairobi habe ich für unsere Politik Verständnis, Zustimmung und vor allem Kooperationsbereitschaft gefunden.
    Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland und auch Europa, unser Kontinent — das gilt vor allem für den kleineren Ausschnitt Europas, für die Europäische Gemeinschaft — , sind nur ein kleiner Teil unserer Welt — einer Welt, in der es überhaupt nicht mehr darum gehen kann, nationalstaatliche Vorstellungen vergangener Zeiten zu verfolgen, etwa Einflußsphären zu schaffen, sondern in der es uns allen, den reichen und den armen Nationen, darum gehen muß, gemeinsame Strategien zu entwikkeln, um der Probleme, die uns heute weltweit bedrängen, Herr zu werden. Ich glaube, es ist wichtig, daß auch wir in der Bundesrepublik bei allen Sorgen und Notwendigkeiten und auch sicherlich Nöten, die wir im eigenen Land noch haben, nicht vergessen, daß viele in der Welt sehr viel, vielleicht zu viel von uns erwarten. Wir sollten uns dennoch dieser Aufgabe stellen. Es hat etwas mit der moralischen Qualität und mit der moralischen Statur unserer Republik zu tun. Es hat etwas damit zu tun, daß wir als Deutsche am Ende dieses Jahrhunderts aus der Geschichte unseres Volkes in diesem Jahrhundert Konsequenzen ziehen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)