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    Plenarprotokoll 11/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 11/1051, 11/1081) 2689B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 11/1052, 11/1081) 2689B Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 11/1053, 11/1081) 2689 C Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen 11/1054, 11/1081) Dr. Vogel SPD 2689 D Seiters CDU/CSU 2699 C Frau Rust GRÜNE 2709B Dr. Bangemann FDP 2712D Dr. Kohl, Bundeskanzler 2720 B Koschnick SPD 2729 D Austermann CDU/CSU 2732 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 2735 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 2739 C Frau Simonis SPD 2741B Vizepräsident Westphal 2740 D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksachen 11/1055, 11/1081) Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 2742 B Dr. Rose CDU/CSU 2745 A Voigt (Frankfurt) SPD 2747 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2750 D Stobbe SPD 2753 D Genscher, Bundesminister AA 2756 C Rühe CDU/CSU 2760 D Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksachen 11/1064, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksache 11/1076) Walther SPD 2764B, 2774A, 2781C Dr. Friedmann CDU/CSU 2766 D Frau Schilling GRÜNE 2768 D Frau Seiler-Albring FDP 2771B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2774B Jungmann SPD 2778 D Müller (Wadern) CDU/CSU 2780 D Frau Beer GRÜNE 2381 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksachen 11/1069, 11/1081) Esters SPD 2783 B Borchert CDU/CSU 2785 B Volmer GRÜNE 2786 D Frau Folz-Steinacker FDP 2789 A Klein, Bundesminister BMZ 2790 A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen (Drucksachen 11/1071 11/1081) Hiller (Lübeck) SPD 2791 D Dr. h. c. Lorenz CDU/CSU 2793 B Frau Hensel GRÜNE 2796 B Hoppe FDP 2798 B Sielaff SPD 2799 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 2801D Nächste Sitzung 2803 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2804* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 41. Sitzung Bonn, den 24. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Dr. Adam-Schwaetzer 24. 11. Dr. Ahrens * 27. 11. Antretter * 24. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Haack 27. 11. Haar 24. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Höffkes 24. 11. Hörster 26. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ibrügger 24. 11. Kiechle 25. 11. Klose 27. 11. Kreuzeder 27. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 24. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 24. 11. Oesinghaus 24. 11. Paintner 27. 11. Paterna 24. 11. Petersen 27. 11. Reddemann * 26. 11. Reimann 24. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schmidbauer 26. 11. von Schmude 24. 11. Dr. Schöfberger 24. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11.
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    Rede von Dr. Martin Bangemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat richtig, daß diese Debatte in einer Zeit stattfindet, die viel Anlaß zur Nachdenklichkeit bietet. Ich denke, daß diese Nachdenklichkeit nicht auf bestimmte Politikbereiche beschränkt sein sollte. Denn wir leben in einem Strukturwandel, der weit mehr als nur die Grundlagen wirtschaftlichen Handelns erfaßt. Dieser Strukturwandel erfaßt politische Organisationsformen. Er erfaßt die Einstellung der Menschen zu diesen Formen, zu denen natürlich auch das Verhalten der Menschen gehört, die in diesen Strukturen handeln. Er erfaßt vor allen Dingen auch die Überlegungen und Anstrengungen zum Frieden, aber nicht zuletzt auch das, was wir zur Wirtschaft zu sagen haben und was wir tun müssen, damit die materielle Grundlage politischen Handelns erhalten bleibt. Insofern ist es richtig, wenn wir alle den Versuch unternehmen, uns einmal mit diesen grundsätzlichen Wandlungen zu befassen.
    Wenn ich mit der Wirtschaft beginne und dazu Ausführungen mache, dann tue ich es deswegen, weil ich glaube, daß die Unsicherheiten und die damit verbundenen Ängste, die entstanden sind, uns in allererster Linie herausfordern. Wir müssen wissen, daß diese Unsicherheit immer wieder eilfertige Propheten kommenden Unheils anlockt und daß diese eilfertigen Propheten uns manchmal unfähig machen, das Mögliche
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24, November 1987 2713
    Dr. Bangemann
    zu tun. Es gibt nicht die geringste Gewähr dafür, daß diese Propheten des Unheils recht behalten.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Im Gegenteil!)

    Wenn ich mich in diesem Zusammenhang auf den Sachverständigenrat beziehe, so tue ich das, weil er nicht nur vor ganz kurzer Zeit — gestern erst — sein Jahresgutachten übergeben hat, sondern weil er ein Beispiel dafür geboten hat, wie man sich angesichts dieser Schwierigkeiten einstellen sollte, um sie zu lösen. Er sagt in seinem Gutachten, und zwar in der nötigen Klarheit, aber auch mit der nötigen Ruhe: Im Kursverfall sehen wir nicht den Vorboten einer Weltrezession. Er fährt fort: Eine Korrektur spekulativer Übertreibungen war früher oder später unausweichlich.

    (Westphal [SPD]: Das hat er vorher nicht gesagt!)

    Ich zitiere das nicht, um mich nun umgekehrt in die Reihe derer zu stellen, die mit vordergründigem Optimismus versuchen, eine Stimmung zu verbreiten, in der man dann auch nichts tun würde, sondern ich sage das, um zunächst einmal dafür zu werben, daß wir mit der nötigen Ruhe und Besonnenheit das Notwendige überlegen.
    Natürlich wird an den Unsicherheiten an der Börse der letzten Woche zunächst einmal ein Stück Strukturwandel deutlich. Es gibt schon seit Jahren eine Auseinanderentwicklung zwischen dem Kapital- und Geldbereich der Wirtschaft und der Güterwirtschaft. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, daß auf den Geld- und Kapitalmärkten, d. h. auch an den Wertpapierbörsen, nach wie vor der Vorgang der Kapitalbeschaffung für die Wirtschaft abläuft. Wir dürfen aber ebensowenig die Augen davor verschließen, daß diese Geld- und Kapitalwirtschaft, der Geldmarkt, sich in großen Teilen verabsolutiert hat, daß er seine Verbindung zur Güterwirtschaft verloren hat, daß er Eigengesetzen gehorcht hat, die ihn in eine Bewegung getrieben haben, die nur noch ganz am Rande mit der Güterwirtschaft zusammenhing. Das ist der tiefere Grund, warum diese aufgeblähte Entwicklung in sich zusammenfiel, warum wir in den vergangenen drei Wochen nicht nur das Ende mancher Träume erlebt haben, sondern auch eine Desillusionierung, die uns allerdings auch guttun kann, insofern nämlich, als wir uns darauf besinnen, daß die Grundlagen der Wirtschaft, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, der vorhandene Produktionsapparat, die Fähigkeit der Menschen in den meisten Ländern dieser Welt, sich diese Grundlage zu erhalten, davon nicht berührt worden sind. Es wäre ein Fehler, Wohl und Wehe wirtschaftlicher Entwicklungen vom Erfolg oder Mißerfolg von Spekulanten abhängig zu machen. Das dürfen wir nicht tun.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deswegen ist diese nüchterne Bestandsaufnahme zugleich eine Überlegung, die uns auf das zurückführt, was wir selber tun müssen, um diese Lage zu stabilisieren.
    Dabei muß man zunächst einmal vermeiden, unbedachte Worte zu sprechen. Jedes unbedachte Wort
    kann zu einer zusätzlichen Verunsicherung beitragen. Wie sehr das möglich ist, haben wir in den vergangenen Wochen ja erfahren.
    Die Entscheidung, die in Amerika getroffen worden ist, das US-Haushaltsdefizit um 30 und danach um 45 Milliarden Dollar zu verringern, ist ein erster Schritt auf dem richtigen Weg. Sicher ist, daß diese Entscheidung noch nicht allzusehr Wirkung auf den Märkten gezeigt hat. Sie wird aber diese Wirkung nicht verfehlen, wenn der Kongreß diese Entscheidung mitträgt. Wir können alle nur hoffen und an den Kongreß appellieren, sich dieser internationalen Verantwortung und auch der zentralen Rolle gerecht zu zeigen, die der Dollar als internationale Währung spielt. Wer in der internationalen Politik an erster Stelle mit in der Führungsgruppe der Nationen steht und auf diese Weise politischen Einfluß ausübt, muß wissen, daß das auch mit wirtschaftspolitischer Verantwortung verbunden ist. Wer umgekehrt sich dieser wirtschaftspolitischen Verantwortung entledigen will in einem zentralen Bereich der Wirtschaftspolitik, nämlich der Währungspolitik, wer den Dollar bewußt verfallen lassen will nur aus eigensüchtigen wirtschaftspolitischen Überlegungen, der muß wissen, daß er damit auch die Axt an die Wurzel seiner politischen Geltung legt. Ich hoffe, daß sich der amerikanische Kongreß seiner weltpolitischen Verantwortung bewußt bleibt.

    (Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Vogel [SPD])

    Natürlich ist es richtig, was Herr Vogel gesagt hat, daß wir hier nicht eine Methode anwenden sollen, bei der die Verantwortung hin und her geschoben und das eigentliche Problem verdeckt wird. Herr Vogel, es ist aber auch richtig — das muß man nun angesichts des Verwirrspiels sagen, das sich abgespielt hat —, daß die amerikanische Haushaltspolitik im Kern dieser Schwierigkeiten steht. Das läßt sich nicht bestreiten. Wir haben das auf vielen Weltwirtschaftsgipfeln zusammen mit den amerikanischen Freunden festgestellt. Ich denke, daß wir diese Schwierigkeit nennen müssen, wenn wir die Probleme beseitigen wollen. Um so mehr begrüßen wir es, wenn jetzt am weiteren Defizitabbau ernsthaft gearbeitet wird. Das bleibt die zwingende Voraussetzung für eine internationale Koordination der Wirtschafts- und Währungspolitik, die wir wollen und die jetzt auch dringend geboten ist.
    Ich darf hier auch für die Bundesbank sagen, die ja keine Gelegenheit hat, sich in geeigneter Form gegen Vorwürfe öffentlich zur Wehr zu setzen, daß ich es nicht richtig finde, daß man den Versuch unternommen hat, sie zum Buben in einem Schurkenstück zu machen. Die Bundesbank hat eine eigene Verantwortung für die Stabilität der Währung. Sie ist dieser Verantwortung gerecht geworden und hat Beschlüsse gefaßt, die vor dem Hintergrund der Vermehrung der Geldmenge in der Bundesrepublik durchaus verständlich waren. Es wäre falsch, nun zu sagen: Diese Bundesbank ist es gewesen, die das ganze in Bewegung gesetzt hat. Ich will mich jetzt wirklich nicht an dem Versuch beteiligen, diese Schuld festzumachen. Daß es aber die Bundesbank nicht war, daß die Bundesbank mit ihrer verantwortlichen Politik dafür ge-



    Dr. Bangemann
    sorgt hat, daß die D-Mark zu einer der stabilsten Währungen der Welt geworden ist, sollte hier einmal unumwunden festgestellt werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich will aber durchaus auch uns fragen, ob wir alles getan haben, was notwendig ist, um unserer weltwirtschaftlichen Verpflichtung gerecht zu werden. Die Bundesrepublik ist zwar nicht das größte Land, das in der Weltwirtschaft seinen Part zu übernehmen hat, aber sie ist eines der wichtigen Länder, und sie hat eine eigene Verantwortung.

    (Sellin [GRÜNE]: Größter Exporteur!)

    — Sie ist im vergangenen Jahr der größte Exporteur geworden — das ist korrekt — , was wieder einmal beweist, wie gut die Politik dieser Bundesregierung dazu beiträgt, daß die wirtschaftliche Kraft unserer Industrie zur Geltung kommt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der Sachverständigenrat hat auch zu dieser Frage Stellung genommen und gesagt:
    Was die Bundesrepublik für einen schrittweisen Abbau des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts tun konnte, hat sie getan.
    Meine Damen und Herren, ich darf daran erinnern, daß wir auf den letzten drei Weltwirtschaftsgipfeln die Hausaufgaben sehr genau und richtig verteilt hatten, nämlich für die Japaner ein besserer Zugang zu ihrem eigenen Markt, für die Amerikaner die Beseitigung des Haushaltsungleichgewichts und damit auch die Beseitigung einer der grundlegenden Ursachen für die Dollar-Schwäche und für Europa — nicht für die Bundesrepublik allein — wirtschaftliches Wachstum, das stärker sein sollte, als wir es bis dahin zustande gebracht hatten.
    Insbesondere der Bundesrepublik wurde immer wieder gesagt: Tut etwas, um euren Handelsbilanzüberschuß zu reduzieren. Meine Damen und Herren, der reale Exportüberschuß ist bereits wegen der hohen Importsteigerungen 1987 gesunken. Das wird 1988 nicht anders sein. Dort wird sich zum ersten Mal in den Zahlen dieser Rückgang des Exportüberschusses bemerkbar machen. Wir haben also das, was an uns lag, gemacht, und wir haben das, was wir in den internationalen Währungszusammenkünften versprochen hatten, nämlich das Vorziehen eines Teils der Steuerreform, beschlossen. Insofern kann es keine Vorwürfe an die Bundesregierung geben.
    Ich denke, daß wir nur unterschreiben können, was der Sachverständigenrat gesagt hat: Grundsätzlich ist diese Politik richtig. Sie hat die Bundesrepublik nach wir vor auf dem Expansionspfad gehalten, wenn auch der Sachverständigenrat für das nächste Jahr eine geringere Aufstiegsrate prognostiziert. Ich sage hier: Wir werden dieses Gutachten in den Beratungen der nächsten Wochen und Monate sehr genau untersuchen und für unsere eigenen Überlegungen heranziehen. Die Bundesregierung selbst muß sich darüber klarwerden, was sie zusätzlich zu tun hat, um die 1,5 %, die der Sachverständigenrat prognostiziert, auf einen höheren Prozentsatz zu bringen, den wir dann nicht nur prognostizieren, sondern als ein wirtschaftspolitisches Ziel für das nächste Jahr vorgeben. Wir sind nicht an die 1,5 % gebunden, sondern wir sind frei, das zu tun, was notwendig ist, um darüber hinauszukommen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Daß wir das auf einer guten und gesunden Grundlage tun können, haben andere in den letzten Tagen bestätigt: Die Bundesbank hat erst vor kurzem noch einmal festgestellt, daß wir im dritten Quartal dieses Jahres saisonbereinigt 5 % mehr Aufträge hatten als im zweiten Vierteljahr 1987. Das ist eine gute Entwicklung, die übrigens nicht allein auf Inlandsaufträge beschränkt geblieben ist. Trotz des schon sehr niedrigen Dollarkurses ist es möglich gewesen, mehr Exportaufträge zu bekommen. Diese Zahlen stammen aus der Zeit vor den Unruhen an den Börsen, das ist richtig. Neuere gibt es noch nicht; deswegen kann ich sie noch nicht vortragen. Es gibt nur eine neuere Info-Umfrage, die auch nach den Kurseinbrüchen für Dollar und Wertpapiere von einer bemerkenswerten Zuversicht der Befragten in die zukünftige konjunkturelle Entwicklung zeugt. Selbst wenn man diesen Test nicht für die ganze, endgültige Wahrheit nehmen will, zeigt er zumindest, wie falsch manche Äußerungen aus Unternehmen und Verbänden sind, daß wir hier von einer verzweifelten Stimmung sprechen müßten. Richtig ist, daß in den Betrieben durchaus Zuversicht herrscht.
    Meine Damen und Herren, das ist eine gute Ausgangslage, um ruhig und realistisch wirtschaftspolitische Entscheidungen zu treffen. Wir haben nichts von Hektik und Panik, sondern wir können alles Heil nur von dieser ruhigen, realistischen, allerdings dann auch Entscheidungen zugewandten Haltung verlangen. Ich denke, die Bundesregierung wird sich dem gewachsen zeigen.
    Ich denke auch, daß die starke inländische Nachfragekomponente, die sich schon 1986 gezeigt hat, uns, aber auch den ausländischen Exporteuren zugute kommt. Die Einkommensentwicklung und die weitere Beschäftigungszunahme sind eine Verstärkung der inländischen Kaufkraft.
    Ich sage aber genauso deutlich, daß wir auf die Bereitschaft der Unternehmen setzen müssen, dieser gewachsenen Konsumneigung nicht mit einer schwindenden Investitionsneigung die Zuversicht zu nehmen. Wir brauchen nicht nur den Konsum, sondern wir brauchen in gleicher Weise und noch mehr die Investitionen, um die Zahl der Arbeitslosen zu vermindern.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Tun Sie doch etwas dafür!)

    — Die Steuerreform, verehrte Kollegin Matthäus, fördert ja die Bereitschaft, Investitionen vorzunehmen. Doch sie allein reicht nicht aus.
    Ich habe vor kurzem an dieser Stelle von der Attraktivität der Bundesrepublik als Investitionsplatz gesprochen, zum großen Entsetzen einiger Mitglieder der Oppositionsfraktion der SPD, die meinten, so etwas könne man doch öffentlich nicht sagen. Ich verstehe das Demokratieverständnis nicht, das dahintersteht. Ich sage deswegen noch einmal öffentlich: Wir



    Dr. Bangemann
    müssen mehr tun, damit die Bundesrepublik ein attraktiver Platz für Investitionen bleibt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die schwache, gesamtwirtschaftlich unzureichende Investitionsneigung deutscher Unternehmen wie auch ausländischer Investoren bei uns hängt z. B. damit zusammen, daß die Besteuerung der Unternehmen noch zu groß ist, auch nach der Steuerreform. Das widerlegt alles das, was immer wieder behauptet wird, daß nämlich diese Steuerreform sozial unausgewogen sei. In Wahrheit ist es eine Steuerreform, die die berechtigten Interessen der Unternehmen zu wenig berücksichtigt,

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    die die Steuerlast der deutschen Unternehmen im Verhältnis zu Unternehmen im Ausland nicht genügend senkt.

    (Abg. Sellin [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Kollege, würden Sie mir gestatten, daß ich das auch im Zusammenhang vortrage? Ich weiß, es ist angenehmer, wenn man mal eine Zwischenfrage stellen kann. Aber ich biete Ihnen die nächste Gelegenheit an: Wenn ich zu meinem Haushalt rede, dann können Sie Ihre Zwischenfrage stellen. Sie wird ja den Zusammenhang nicht verlieren.

    (Sellin [GRÜNE]: Die Reingewinne der Unternehmen sind im letzten Jahr um 13 % gestiegen!)

    — Das bestreitet niemand. Daß die Reingewinne der Unternehmen 1986 um 13 % gestiegen sind, ist überhaupt nicht zu bestreiten. Die Unternehmen, verehrter Herr Kollege, haben diese Steigerung in erster Linie nicht für Investitionen verwendet, sondern — hören Sie jetzt gut zu — für die Verbesserung ihrer Eigenkapitalquote.

    (Sellin [GRÜNE]: Das ist Finanzspekulation!)

    Die durchschnittliche Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen liegt bei 25 %, und wir haben Branchen, wie in der Bauindustrie, wo die Eigenkapitalquote 1 °A) ausmacht. Daß dann ein Unternehmer einen gestiegenen Gewinn zunächst mal benutzt, um sich ein Polster zu verschaffen, um auch schwierige Zeiten zu überstehen, muß man doch verstehen können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das trägt übrigens auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei; denn von einem kranken Unternehmen hat niemand etwas, am allerwenigsten diejenigen, die in dem Unternehmen arbeiten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, deswegen ist die Fortsetzung dieser Steuerreform mit Blick auf eine Erleichterung der Steuerlast gerade auch der Unternehmen eine wichtige Aufgabe der nächsten Jahre. Wir dürfen das nicht übersehen. Ich wiederhole das noch einmal; ich habe es schon einmal gesagt, aber man kann es nicht oft genug sagen, damit endlich die Bedeutung dieses Strukturwandels für das Wohl und Wehe der Menschen in der Bundesrepublik deutlich wird: Wir sind das Land, das mit wenigen anderen Ländern zusammen, mit Luxemburg und auch den Vereinigten Staaten, in der Spitzengruppe der Löhne liegt. Wir sind das Land, das nach Schweden das beste und damit auch das teuerste Sozialversicherungssystem hat mit hohen Lohnnebenkosten, und wir sind das Land — weit vor all unseren Konkurrenten, insbesondere Japan — mit den kürzesten Arbeitszeiten in der Welt. Nun sage ich — möglicherweise findet das einige Überraschung auf den Bänken der Opposition — : Das ist gut.
    Niemand kann doch dagegen sein, daß die Menschen in der Bundesrepublik gut verdienen, niemand kann dagegen sein, daß wir ein gutes Sozialversicherungssystem haben. Allerdings müssen wir dafür sorgen, daß die mißbräuchliche Ausnutzung dieses Systems abgestellt wird. Da werden wir uns dann wiedersehen. Niemand kann etwas dagegen haben, daß die Menschen weniger arbeiten müssen, weil sie dann eben die Möglichkeit haben, sich nicht nur zu erholen und anderen Tätigkeiten nachzugehen, sondern auch die Grundlage dafür zu legen, was wirklich in den nächsten Jahrzehnten über Wohl und Wehe der Wirtschaft entscheiden wird, nämlich sich mal Gedanken zu machen über den Fortgang der Dinge, innovativ, kreativ zu werden; denn das, meine Damen und Herren, entsteht immer nur noch aus Muße. Insofern wünsche ich auch der Opposition mehr Muße.

    (Beifall bei der FDP — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ CSU] : Mehr geht gar nicht!)

    Aber alles das ist nur möglich, und wir werden es nur aufrechterhalten können, wenn wir die dafür notwendige Leistung erbringen. Es ist nicht möglich, in einem Land, das außerdem noch zu einem Drittel seines Bruttosozialprodukts vom Export abhängig ist, das sich auf dem Weltmarkt mit Konkurrenten auseinandersetzen muß, die einem nichts schenken, diese Leistung, hohe Löhne, geringe Arbeitszeit und soziale Absicherung, zu erringen, ohne daß wir alle zu einer ungewöhnlichen Leistung bereit sind. Das ist das entscheidende Problem.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Hier, meine Damen und Herren, sagt der Sachverständigenrat auch ein sehr wichtiges Wort, und ich würde mich sehr freuen, wenn die Opposition, auch unsere Gewerkschaften, einmal diese Kapitel sehr sorgfältig durchlesen würden. Das entscheidende Moment, das entscheidende Element wirtschaftlicher Entwicklung der nächsten Jahre und damit auch für mehr Menschlichkeit in der Wirtschaft ist folgendes. Für mich sollte die Wirtschaft nicht nur als materielle Basis gewürdigt werden, sondern in der Wirtschaft vollzieht sich das alltägliche Leben der meisten Menschen. Die meisten Menschen unter uns arbeiten oder bereiten sich auf ein Berufsleben vor und sind deswegen darauf angewiesen, daß dieses Wirtschaftsleben menschlich bleibt, daß sie dort ihre Chancen finden und wahrnehmen können. Aber wir können das nur erreichen, wenn wir von den verkrusteten schematischen Abläufen Abschied nehmen, von den Strukturen, die aus dem 19. Jahrhundert unbesehen heute übernommen werden, wenn wir nicht mehr wie bisher von geregelten Arbeitszeiten, die alle zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnen und zu einem bestimm-



    Dr. Bangemann
    ten Zeitpunkt enden, das soziale Wohl und Wehe abhängig machen, wenn wir bereit sind, den Menschen auch mal die Möglichkeit zu geben, die Freiheit zu nutzen, die mit der modernen Technik verbunden ist. Wir haben heute Maschinen und Produktionsmechanismen, die praktisch rund um die Uhr arbeiten könnten und den Menschen entlasten könnten. Wir könnten zu viel weniger Arbeitszeit als 35 Stunden in der Woche kommen, wenn endlich mal die Gewerkschaften diese großen Chancen vorurteilsfrei nutzen und nicht an den Maßstäben des 19. Jahrhunderts hängenbleiben würden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich sage nicht — ich möchte jetzt nicht mißverstanden werden; das wird sicherlich eingewandt werden; ich weiß es nicht — , daß an liberaleren Ladenschlußregelungen das Wirtschaftswachstum der nächsten Jahre hängt. Das ist natürlich Unsinn.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist wohl wahr!)

    Wer das in Hamburg einmal gesehen hat, wer insbesondere gesehen hat, was es für den kleineren und mittleren Fachhandel bedeutet,

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Vielleicht ist der kleine und mittlere Fachhandel etwas ganz anderes!)

    wer gesehen hat, in welcher Befreiung die Menschen das akzeptiert haben, was ihnen an neuen Chancen geboten worden ist, der muß doch endlich einmal einsehen, daß es weder für den Verbraucher noch für die Beschäftigten, noch für den Handel, noch für das wirtschaftliche Wachstum gut ist, daß wir an starren Ladenschlußzeiten festhalten, die allen Chancen rauben, statt ihnen neue zu geben.

    (Beifall bei der FDP)

    Diese Aufgabe der Deregulierung wird ein Leitmotiv des wirtschaftlichen Strukturwandels werden. Das gilt nicht nur für Ladenschlußzeiten, das gilt für manche Bereiche der Wirtschaft, die in Zukunft von großer Bedeutung werden. Wir werden in der Telekommunikation d e n Wachstumsbereich moderner Wirtschaft erleben. Meine Damen und Herren, ich bin froh, das uns die Postkommission bestätigt hat, daß die augenblickliche Struktur der Bundespost diesen modernen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Ich sage nicht, daß die Bundespost keine Leistungen erbracht hat. Ich sage nicht, daß die Bundespost nicht manche Leistungen übernimmt, die in einem marktwirtschaftlichen System jedenfalls höher bezahlt werden müssen. Das ist sicherlich anzuerkennen. Ich wehre mich aber dagegen, daß man die jetzige, überholte Struktur der Bundespost als Bürgerpost bezeichnet und alles das, was uns andere Länder vorgemacht haben, was mehr Freiheit, geringere Kostenbelastung des Bürgers bedeutet,

    (Widerspruch bei der SPD) diskreditiert wird.


    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, viele sagen, wir leben
    schon in der postindustriellen Zeit. Es wird Zeit, daß
    die Bundespost das merkt, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir müssen diese Deregulierung im Interesse des Wirtschaftswachstums, auch im Interesse von niedrigeren Kosten durchführen. Damit bin ich bei dem Thema, das uns in den vergangenen Wochen schon mehrfach beschäftigt hat, nämlich bei dem Thema Steinkohle, Stahl, Werften, all die Industriebereiche, die besonders unter dem Strukturwandel leiden. Ich wiederhole: Die volkswirtschaftlichen Kosten, die die Erhaltung von Arbeitsplätzen in diesen Industriebereichen verursacht, die wir dann letzten Endes doch nicht erhalten können, sind ungleich höher als der Aufwand, den wir sicherlich erbringen müssen, um diesen Strukturwandel rechtzeitig in Gang zu setzen und zu unterstützen. Wir dürfen nicht zulassen, daß die Kosten in diesen Bereichen die übrige wirtschaftliche Leistung erdrosseln, strangulieren.

    (Beifall bei der FDP)

    Das ist das eigentliche Problem.
    Wir werden uns damit in den nächsten Monaten, sogar in den nächsten Wochen beschäftigen müssen, wenn der Kohlepfennig festgesetzt wird. Ich werde einen Vorschlag machen, der deutlich machen wird, daß diese Belastung der Stromverbraucher sinken muß. Ich werde allerdings genauso einen Vorschlag machen, der das Mengengerüst der deutschen Steinkohle bei der Verstromung erhält. Denn eines ist ganz sicher: Ohne die Erhaltung diese Mengengerüstes bis 1995 kann man eine sozialverträgliche Anpassung nicht zustande bringen.

    (Beifall bei der FDP)

    Genauso wie es wichtig ist, diese Probleme gemeinsam anzugehen und sie so zu lösen, daß sie nicht zu einer Belastung der übrigen Wirtschaft werden, genauso wichtig ist es, die soziale Absicherung zu garantieren, damit den Menschen dieser Strukturwandel persönlich leichter fällt als ohne einen solchen Beistand.
    In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, muß noch einmal die Steuerreform genannt werden. Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß mehr und mehr Menschen erkennen, daß diese Steuerreform notwendig ist. Es ist höchst unerfreulich, daß wir darüber wechselnde Äußerungen aus der Opposition hören. Denn es ist sicherlich sehr widersprüchlich, zu sagen: Wir brauchen eine Entlastung des Lohnsteuerzahlers, und sich auf der anderen Seite gegen diese Steuerreform zu wenden, die in ihren großen Teilen eine Entlastung des kleinen und mittleren Einkommen- und Lohnsteuerzahlers ist und nichts anderes.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Daß sich jetzt auch die Landesregierung von Baden-Württemberg dieser Erkenntnis anschließt, spricht für sie.
    Meine Damen und Herren, wir müssen auch, um diese Strukturen aufzulockern, die Privatisierung weitertreiben.

    (Beifall bei der FDP)




    Dr. Bangemann
    Wenn es der Markt erlaubt, müssen die vorgesehenen Privatisierungsschritte schnell getan werden, beim Volkswagenwerk, bei der VIAG, bei der Deutschen Pfandbriefanstalt und bei der DSLB.

    (Sellin [GRÜNE]: Bei fallenden Kursen?)

    Wir erwarten auch von Ländern und Gemeinden, daß sie ein viel weiter verzweigtes Privatisierungspotential, das sie haben, nutzen, um dem Bund auf diesem Wege zu folgen; denn allem Gezeter ewig gestriger Funktionäre zum Trotz: Das, was der Staat — und da beziehe ich die Gemeinden und die Länder mit ein — tun kann, tut er in diesem Bereich von Dienstleistungen weniger effektiv als Private, er tut es mit höheren Kosten, er tut es mit einem größeren Regulierungsbedarf, und er tut es entgegen den Interessen der Benutzer. Deswegen ist Privatisierung nicht nur im Interesse des Wirtschaftswachstums nötig, sondern das ist ein Schritt für eine verbraucherfreundliche Befriedigung der Bedürfnisse in diesem Bereich.

    (Beifall bei der FDP)

    Dabei kann eine Kartellnovelle nützlich sein. Sie wissen, daß wir uns gegen vorschnelle Festlegungen gewehrt haben. Die Untersuchungen, die wir mit Verbänden, mit vielen anderen aus der Wirtschaft jetzt vorangebracht haben, zeigen, daß eine Kartellnovelle bei der Beseitigung oder Einschränkung jener Ausnahmen vom Wettbewerbsgebot, die heute noch für Banken, für Versicherungen, für den Güterkraftverkehr oder in der Versorgungswirtschaft existieren, eine notwendige Befreiung sein kann.
    Sie wird auch notwendig sein, um Unzuträglichkeiten im Handel abzubauen. Es ist wahr, daß wir hier mehr Wettbewerb, und zwar fairen Wettbewerb, brauchen. Und die Novelle wird auch diesen Gesichtspunkt mit auf greif en.
    Aber ich sage ebenso eindeutig: Eine Novelle, die sich ausschließlich als Handelsgesetznovelle mißversteht, kann es nicht geben. Wir müssen auch die Ausnahmebereiche aufgreifen, die es heute noch gibt und die den Wettbewerb beeinträchtigen. Da wird es dann auch wieder Zeter und Mordio geben, wie immer, wenn man das tut. Wir werden das ebenso überstehen wie alle anderen grämlichen und hoffnungslosen Versuche, uns beibringen zu wollen, daß die Marktwirtschaft im Grunde genommen ein System sei, das weniger geeignet sei als andere.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier eindeutig sagen, auch mit Blick auf den Strukturwandel, den wir in der internationalen Politik erleben: Eigentlich, wenn wir unklug genug wären, darüber zu triumphieren, hätten wir allen Anlaß dazu. Es ist ja nicht so, daß nichtmarktwirtschaftliche Vorstellungen in der Welt an Boden gewönnen; das Gegenteil ist der Fall. Das, was wir hier tun und was wir seit Jahren auch gegen Widerstand in der Bundesrepublik verteidigen, wird ja mehr und mehr zum internationalen Gesetz des Wirtschaftens. Wenn große sogenannte Staatshandelsländer, Länder mit einer zentralisierten Verwaltung der Wirtschaft, dazu übergehen, wenigstens Elemente der Marktwirtschaft in ihre Wirtschaft einzuführen, wenn das auch Schwierigkeiten macht, unterschiedliche je nach der Verkrustung ihrer Struktur, dann sollte das doch einige Menschen nachdenklich machen, die bei uns in der Bundesrepublik immer noch andere Rezepte empfehlen, als wir sie mit Erfolg anwenden.
    Ich sage in allem Ernst: Wenn wir das alles nicht schnell ändern, wenn wir diese Strukturaufgaben nicht bewältigen, dann werden wir allerdings mit dem Problem der Arbeitslosigkeit nicht fertig werden. Es wird immer wieder verkannt, daß das Problem der Arbeitslosigkeit heute bei uns nicht nur konjunkturelle Elemente enthält. Die wesentlichen Gründe der Arbeitslosigkeit heute bei uns sind struktureller Art.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    In dieser Wirtschaft, die auf hohem Niveau produzieren muß, werden Menschen immer einen Arbeitsplatz finden, die diese Suche mit der nötigen Qualifikation antreten. Das Drama besteht darin, daß mehr und mehr Arbeitslose diese Qualifikation nicht haben, daß wir die Ursachen, die in der Verkrustung liegen, nicht genügend beseitigen, daß wir immer noch glauben, ein Teilzeitarbeitsplatz sei ein geringwertiger Arbeitsplatz — jedenfalls viele Gewerkschaften bei uns glauben das —, daß wir immer noch glauben, die Differenzierung von Lohnabschlüssen sei ein sozialer Schaden; in Wahrheit ist es eine gute Möglichkeit, um in den Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, Menschen wenigstens einen Arbeitsplatz zu geben. Alle diese Starrheiten tragen heute zu 80 % zur Arbeitslosigkeit bei,

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Quatsch!)

    und nur der Rest ist das, was man mit Konjunktur beleben und beheben könnte.

    (Jungmann [SPD]: Ihre schlechte Wirtschaftspolitik!)

    Wir brauchen nicht nur eine Qualifikationsoffensive, die ja schon zusammen mit der Bundesanstalt unternommen worden ist, sondern wir brauchen das gesellschaftliche Bewußtsein dafür, daß in einem Land mit hohem Lohnniveau die Leistung diesem Lohnniveau entsprechen muß. Diese Leistung bietet dann Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Das ist das eigentliche Problem. Sich da zurückzuziehen und die Verantwortung für eine Struktur, die verkrustet und unfähig ist, Arbeitsplätze zu schaffen, bei der Regierung abzuladen, das ist zu einfach, das ist zu billig, und das sollten wir nicht zulassen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Kollege Vogel hat den Versuch unternommen, einen neuen Ton in diese Debatte zu bringen, indem er gesagt hat, er wolle nicht abrechnen, sondern er wolle den Versuch machen, in einer solchen Debatte gemeinsam die Auf gaben zu beschreiben und dann vielleicht die verschiedenen Lösungsalternativen gegenüberzustellen. Ich will dahingestellt sein lassen, ob ihm dieser Versuch gelungen ist.

    (Zuruf von der FDP: Nein, er ist nicht gelungen!)

    Es wäre sicherlich nicht richtig, vorschnell darüber zu urteilen, wenn er dieses Angebot macht.
    Aber, verehrter Herr Kollege Vogel, als Sie über die Frage der Abrüstung und über die Frage der Entwick-



    Dr. Bangemann
    lung der internationalen Politik und der Sicherung des Friedens sprachen, da haben Sie mit Recht gesagt, daß die Aussichten erfolgversprechender geworden seien, daß wir nicht nur zwischen den beiden sogenannten Supermächten Kontakte hätten, sondern daß diese Welt ja auch von dieser Bipolarität abrücke und multipolar werde und daß in dieser Welt die Europäische Gemeinschaft und viele Entwicklungsländer und auch die Bundesrepublik als Einzelstaat eine Rolle spielten. Es hätte Ihnen gut angestanden, wenn Sie in diesem Zusammenhang gesagt hätten: Wie sehr ich auch das eine oder andere bei der Bundesregierung tadeln kann — aber sie hat eine wesentliche Voraussetzung für diesen Abrüstungsprozeß in eigener, für manche mühsamer Entscheidung getroffen,

    (Zuruf von der SPD: Wo?)

    in ihrem Ja zum Doppelbeschluß und in ihrem Beschluß zu Pershing. Das hätten Sie erwähnen müssen, wenn Sie Ihrem eigenen Anspruch hätten gerecht werden wollen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir wollen wirklich nicht rechten, aber eines ist doch wahr: Die Tatsache, daß wir mit der DDR in Beziehungen gekommen sind, die wesentlich mehr und bessere Ergebnisse für die Menschen in der DDR und bei uns erbracht haben, ist unbestreitbar. Der Besuch des Staatsratsvorsitzenden war ja nur der äußerliche Ausdruck für diese Verbesserung der Beziehungen. Daß die Bundesrepublik in allen Ländern des RGW, des COMECON, ein gesuchter nicht nur Wirtschaftspartner, sondern politischer Partner geworden ist, daß die Menschen, nicht nur die. Regierungen, in Polen, in Bulgarien, in Rumänien, in Ungarn, in der Tschechoslowakei und in anderen Ländern, die eigentlich unter von uns völlig verschiedenen Regierungssystemen leben, Zutrauen zur Bundesrepublik entwickelt haben, das liegt natürlich auch ein bißchen mit daran, verehrter Herr Vogel, daß sich diese Regierung um diese Kontakte und um diese Möglichkeiten ernsthaft und offen bemüht hat.

    (Urbaniak [SPD]: Wer hat denn die Voraussetzungen dazu geliefert? Das war doch Schmidt!)

    Ich denke, verehrter Herr Kollege, es gehört, wenn Sie denn eine anständige und offene Debatte führen wollen — ich nehme Ihnen das ja ab — dazu, daß man das einmal bemerkt und daß man dies hier feststellt. Ich stelle das nicht fest für die Regierung oder die Regierungsparteien, auch nicht für die FDP, sondern ich stelle es als Mensch fest, der an dieser friedlichen Entwicklung in dieser Welt interessiert ist, der daran einen großen Anteil nimmt und der einen kleinen persönlichen Anteil daran auch erbracht hat. Ich stelle fest: Es ist gut, daß es auf dieser Welt ein wachsendes Bewußtsein dafür gibt, daß die technischen Vernichtungsmittel so gewaltig geworden sind, daß wir auf einem Planeten leben und alle zusammen diesen Planeten bewohnbar machen und halten müssen. Daß daran die Bundesregierung einen Anteil hat, ist unbestreitbar.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn ich von dieser Multipolarität gesprochen habe, meine Damen und Herren, dann möchte ich hier erwähnen, daß die Bundesregierung ernsthafte Anstrengungen unternommen hat und unternehmen wird, um die Europäische Gemeinschaft zu einer weiteren erfolgreichen Bewegung für europäische Einheit zu machen. Diese regionale Zusammenarbeit ist ein Beispiel dafür, wie auf dieser Welt das alte Konzept des Nationalstaates überwunden werden muß, um zu neuen Formen der Zusammenarbeit zu kommen. Ich sage das insbesondere auch unseren Ländern, die da ihre strukturellen Schwierigkeiten haben, weil sie befürchten, daß in einem Bundesstaat diese Kompetenzverlagerung auf die Europäische Gemeinschaft auch ihre Kompetenzen beeinträchtigen könnte. Natürlich wird das eine Kompetenzverlagerung von den nationalen Regierungen zu der Europäischen Gemeinschaft bedeuten. Natürlich wird das auch eine Verlagerung der Kompetenzen von den Ländern bedeuten. Aber wer die europäische Einigung unter dem Gesichtspunkt von Kompetenzverlust betrachtet, der verkennt die historische Bedeutung dieses Unternehmens. Das sollten wir nicht tun.

    (Beifall bei der FDP)

    Diese Multipolarität wird auch dazu führen, daß der überwältigende Einfluß der beiden großen Staaten Sowjetunion und Vereinigte Staaten abnehmen wird. Wir dürfen dort nicht ein Vakuum entstehen lassen. Die Aufgabe der Europäer wird es sein, diese Chance zu nutzen, damit sie zur friedlichen Entwicklung selber mehr beitragen können, als sie das bisher getan haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist der eigentliche tiefe Sinn der europäischen Einigung. Daß wir auf dem Wege dahin einige Nachteile abbauen müssen, die die europäische Einigung heute für manche Menschen hat, will ich nur am Rande erwähnen. Europa ist nicht eine im Ansatz sicherlich gut gemeinte, aber verfehlte Agrarpolitik. Europa ist nicht ein finanzielles Faß ohne Boden. Europa ist ein Beitrag der Menschen auf diesem Kontinent zu einer neuen, friedlichen Entwicklung in der Welt. Das sollte man sehen, wenn man Europa kritisiert.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Sätze zu dem Thema sagen, das auch der Kollege Vogel angesprochen hat. Das betrifft die Frage — auch das ist eine Frage des Strukturwandels in einer demokratischen Gesellschaft — : Wie stellen wir uns gegenüber den zunehmenden Anzeichen von Gewalt ein? — Man muß sehen, und wir haben das immer wieder gesagt: Gewalt ist der Feind jeder Demokratie. Eine Demokratie, die Gewalt gewähren läßt, wird zu Ende sein. Eine Demokratie, die nicht erkennt, daß das Prinzip einer gewaltsamen Lösung von politischen Fragen im Kern undemokratisch ist, gibt sich auf.

    (Rühe [CDU/CSU]: Wie ist das mit der Hamburger FDP?)




    Dr. Bangemann
    Deswegen haben wir, die FDP, immer wieder Wert darauf gelegt,

    (Rühe [CDU/CSU]: Auch in Hamburg?)

    daß man, so wichtig Einzelfragen auch sind — ich komme noch auf einige Einzelfragen — das Problem der Gewalt in der Demokratie im Kern aufgreift. Erst dann, wenn man das im Kern tut und wenn man diese Diskussion dahin führt, wohin sie geführt werden muß — zu den Grundsätzen und Hintergründen — , eröffnet sich ein Zugang zu einzelnen Maßnahmen.
    Meine Damen und Herren, ich sage hier unumwunden und ich sage das als Vorsitzender der FDP: Ich habe Respekt vor dem, was Herr von Dohnanyi gemacht und auf sich genommen hat. Aber ich sage genausogut: Er hätte sich diese schwierige Situation, die er persönlich gut überstanden hat, ersparen können, wenn er vorher nicht zugelassen hätte, daß sich diese Gewalt, die sich gegen die Demokratie richtet, so ausbreitet, wie das in der Hafenstraße möglich gewesen ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deswegen ist wichtig, daß wir eines erkennen, und dies ist wahr: Wenn wir Gewalt, unter welchem Deckmantel auch immer, zulassen, dann geben wir dieser Demokratie auch einen falschen Anschein. In der Auseinandersetzung um Gewalt im politischen Leben wird ja deutlich, daß man Gewalt gegen Diktaturen, gegen eine unerträgliche Herrschaft, die Menschenrechte verletzt, vielleicht dulden, akzeptieren kann. Das ist eine Frage, die auch Demokraten unterschiedlich beantworten werden. Aber wer in einer Demokratie Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung zuläßt, der gibt zu und räumt ein, daß diese Demokratie vielleicht solche Fehler aufweist, wie sie Diktaturen haben, denn nur dann ist die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt. Wir leben in einer Demokratie. Die Bundesrepublik ist ein Staat, der so viel Freiheiten und Menschenrechte garantiert, in der Praxis schützt, wie noch nie ein deutscher Staat es geschafft hat. Wir haben keinen Anlaß, diesen Staat durch die Anwendung von Gewalt gefährden zu lassen. Wir müssen ihn verteidigen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Dazu gehören auch gesetzgeberische Maßnahmen. Meine Partei — das wissen Sie — tut sich mit gesetzgeberischen Maßnahmen aus einem klaren Verständnis der liberalen Politik heraus besonders schwer, das immer besagt: Wir müssen prüfen, ob ein Übermaß von Gesetzen nicht schädlich ist. — Wir werden diese Prüfung vornehmen. Ich darf alle Kollegen hier im Hause bitten, sich einer Kommentierung zu enthalten, die darin besteht zu sagen: Nun schaut euch die Freien Demokraten, die Liberalen an, sie ändern ihre Meinung.

    (Conradi [SPD]: Die fallen wieder einmal um!)

    — Ja, genau. Ich habe das Wort nicht benutzt. Aber Sie sagen es, und Sie zeigen damit, wie wichtig es ist, daß man das einmal erwähnt. Daß Sie die Tatsache, daß sich eine Partei auf einem Parteitag in einem sehr demokratischen Verfahren diese Sache nicht leichtmacht, mit diesem Wort belegen, zeigt, wie wenig Sie
    von diesem Strukturwandel, der da notwendig ist, und von der liberalen Besonnenheit, die auch notwendig ist, verstanden haben.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich habe das schon mehrfach öffentlich gesagt, ich sage es hier noch einmal: Ich persönlich glaube, daß die Vermummung am Anfang nur ein Anzeichen von Feigheit war. Am Anfang der Demonstrationen waren Leute, die vielleicht irgendeine Karriere machen wollten zu feige, ihr Gesicht zu zeigen. Heute ist die Vermummung eine Vorbeugung zur Gewalt geworden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Weil das so ist, muß man sie unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Demokratie neu bedenken. Das werden wir tun. Zu überlegen, nachzudenken, etwas zu machen, was übrigens auch der Polizei erspart, von Anfang an eine noch friedliche Demonstration unfriedlich zu machen, wenn man eingreift und gegen Vermummte vorgeht, das ist das Problem. Das war ja auch der Grund, warum wir gemeinsam mit CDU und CSU gesagt haben: erst Ordnungswidrigkeit, dann Straftat, weil wir einen Freiraum für eine polizeiliche Entscheidung erhalten wollten.
    Aber ich räume ein: Die Vermummung von Anfang an strafbar zu stellen, ist auch ein Zeichen dafür, daß dieser Staat das Rechtsbewußtsein seiner Bürger ernst nimmt.

    (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

    Ich kann und ich will nicht daran vorübergehen, daß sich Bürger darüber aufregen, daß das vom Staat unterschiedlich bewertet wird. Aber wir müssen gemeinsam eine Möglichkeit finden, um der Polizei die Freiheit zu belassen, einzugreifen oder nicht einzugreifen, denn das ist im Rahmen dessen, was in der Demokratie auch in der Auseinandersetzung mit Gewalt bedacht werden muß.
    Wenn Sie das bitte ernsthaft prüfen wollen. Ich bitte Sie darum. Ich sage Ihnen das als Vorsitzender einer Partei, die im Wettstreit mit Ihnen allen steht. Aber ich bitte Sie darum — das gehört zu dieser demokratischen Prüfung unser aller Positionen — , das nicht hämisch zu begleiten, sondern uns diese Entscheidung nach den Maßstäben, die wir selber an unsere eigene Politik anlegen wollen, zu gestatten. Wir anerkennen die Maßstäbe anderer Parteien, und ich bin weit davon entfernt, irgendeiner Partei, die hier vertreten ist, ihr Existenzrecht zu bestreiten, das sie sich in einer demokratischen Auseinandersetzung erkämpft hat. Aber Liberale können das auch für sich in Anspruch nehmen. Wir wollen uns nicht überschätzen und unseren Anteil an der Herstellung demokratischer Ordnungen auch nicht. Aber daß diese Art von Nachdenklichkeit auch zur Demokratie gehört, sollte in einer solchen Debatte unbestritten bleiben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn wir das gemeinsam tun und wenn wir diese Debatten in diesem Sinne führen, dann werden Menschen in der Tat wieder Zutrauen zur Politik haben.



    Dr. Bangemann
    Meine Damen und Herren, das Schlimmste, was wir jetzt in dieser Situation, in der Menschen nach der politischen Kultur fragen, tun könnten, wäre, uns selbst heuchlerisch zu verhalten. Zur Heuchelei und zum Pharisäertum gehören zwei Fehler. Der eine ist, sich über alle Fehler und Möglichkeiten des Versagens zu erheben. Das wird sicher niemand tun wollen. Jeder wird hier bekennen, daß er auch Fehler machen kann. Aber die andere Form der Heuchelei und des Pharisäertums ist, zu behaupten, daß man alles falsch gemacht habe, daß nichts an der Politik stimme, daß alle Menschen, die Politik beginnen, ein schmutziges Geschäft betreiben. Meine Damen und Herren, Sie alle kennen Menschen — jeder hier in diesem Raum könnte Beispiele nennen — , die in der Demokratie unter Hintansetzung ihrer eigenen Möglichkeiten und auch unter Einsatz ihres Lebens für die Demokratie eingetreten sind. Daß wir in dieser Demokratie — so wie sie heute ist — leben, verdanken wir auch diesen Menschen. Lassen wir nicht zu, daß diese zweite Form von Heuchelei und Pharisäertum um sich greift und daß die Menschen das Gefühl haben: In der Politik geht es mit anderen Maßstäben zu, als man sie im menschlichen Leben normalerweise anlegen würde. Dies ist eine freiheitliche Demokratie geworden, weil es in der Geschichte der Bundesrepublik viele Menschen aus der Opposition, aus den Regierungsparteien gab, die diese Aufgabe auf sich genommen haben, und dabei soll es bleiben. Wir sollten uns den Staat, den wir wünschen, auch nicht dadurch kaputtmachen, daß wir selber nicht mehr an uns glauben und unsere Möglichkeiten trotz unserer Fehler unterschätzen. Der Mensch macht Fehler, aber er ist zur Besserung in der Lage. Wenn das der Leitspruch dieser Diskussion wird, dann haben wir auch der Demokratie geholfen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/ CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir zum Ende dieses Jahres in einer Generalaussprache über die Politik unseres Landes debattieren, ist es unerläßlich — ich tue das auch als Vorsitzender der CDU Deutschlands — , zu jenen — vor allem uns — bedrükkenden Vorgängen in Kiel zu sprechen, die viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zutiefst betroffen gemacht haben. Ich habe vor ein paar Tagen auf dem Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union in Bonn zu diesem Thema bereits eingehend Stellung genommen. Aber ich glaube doch, es ist richtig, daß ich zu Beginn meiner Ausführungen auch hier einige Bemerkungen zur Sache mache.
    Das erste ist: Wir alle in der CDU sind zutiefst betroffen von diesen sehr bitteren Erfahrungen. Viele von uns — ich sage das auch für mich ganz persönlich — sind nach mancherlei Erfahrungen im politischen Leben mit Erfahrungen einer Dimension konfrontiert worden, die für uns in dieser Form nicht faßbar war. Die Fragwürdigkeit menschlichen Handelns ist hier offenbar geworden. Wir sind derselben Meinung wie alle, die da sagen: Wir wollen rückhaltlose Aufklärung. Unser Freund Henning Schwarz hat in einer bewegenden Rede bei der Trauerfeier im Dom zu Lübeck gesagt: „Wir wollen die Wahrheit, auch wenn sie Schmerzen bringt. Wir wollen Recht und Menschenwürde. "
    Wir alle — das sage ich auch für meine politischen Freunde — müssen aus diesen Ereignissen Konsequenzen ziehen. Im politischen Leben, im Leben unserer Republik, unserer Demokratie muß es harte Auseinandersetzungen geben. Aber zwischen Demokraten darf es kein Freund-Feind-Verhältnis geben. Auch in der Politik heiligt der Zweck nicht die Mittel. Macht gehört zur politischen Gestaltung in der Demokratie, aber sie ist nicht Selbstzweck, und sie lohnt schon gar nicht jeden Preis.
    Demokratie, so meine ich —ich denke, ich darf sagen: so meinen wir — , braucht Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Sie lebt aber auch von einem Vertrauensvorschuß, den sich alle Beteiligten gegenseitig einräumen. Wo allgemeines Mißtrauen das alles beherrschende Prinzip ist, kann, so bin ich überzeugt, ein freiheitliches Gemeinwesen nicht gedeihen. So müssen wir — ich will das für meine politischen Freunde sagen — durch besondere Sensibilität und auch Besonnenheit immer wieder neues Vertrauen begründen.
    Ich glaube, auch angesichts der Tatsachen, die jetzt bekannt sind — ich vertraue darauf, daß der Untersuchungsausschuß und die Justizbehörden in Schleswig-Holstein zügig arbeiten und daß das Verfahren mit rückhaltloser Offenheit abgeschlossen werden kann — , und angesichts der Fragen, vor denen wir stehen, ist kein Grund zu irgendeiner Selbstgerechtigkeit gegeben. Deswegen — ich sage das in Form einer Bitte und nicht in einer scharfen Formulierung — würde ich es schon begrüßen, Herr Kollege Vogel, wenn Sie diese Debatte zum Anlaß nähmen — auch nach dem, was mein Freund und Kollege Rudi Seiters gesagt hat — , von diesem Pult aus noch einmal zu erklären, daß die Art und Weise der Vorwürfe, die Sie gegen Gerhard Stoltenberg erhoben haben und die im Namen Ihrer Partei erhoben worden sind, nicht akzeptabel sind und daß Sie sie bedauern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Dr. Penner [SPD]: Nach diesen Vorgängen in Kiel kommen Sie mit einer Forderung nach einer Entschuldigung des SPD-Vorsitzenden! Entschuldigen Sie sich erst einmal bei Herrn Engholm!)

    Herr Kollege Vogel, Sie haben dann eine Reihe von Äußerungen zur Christlich Demokratischen Union gemacht. Es ist ganz selbstverständlich, daß man sich mit dem politischen Gegner beschäftigt. Aber die Sorge um die Zukunft der Christlich Demokratischen Union aus ihrem Munde klingt zumindest leicht heuchlerisch.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Ich finde, Herr Kollege Vogel, wir sollten uns beide als Parteivorsitzende um die jeweiligen Aufgaben in der eigenen Partei kümmern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Das gilt für andere Parteivorsitzende übrigens auch.
    Bei der Betrachtung von CDU und SPD haben wir beide — Sie und ich — genug zu tun.
    Weil dies so ist, sollten wir nicht gegenseitig in dieser Form vorrechnen, welche Parteiprogramme mehr aus einer breiten Diskussion der Partei hervorgegangen sind und welche nicht. Sie wissen, daß es in Wahrheit einfach abwegig ist, was Sie hier gesagt haben. Die SPD hat sich im Jahr 1959 ihr Godesberger Programm gegeben. Sie ist aus gutem Grund — das respektiere ich — nach 25 Jahren zu der Überzeugung gekommen, daß sie dieses Programm fortentwickeln und fortschreiben will.
    Die Christlich Demokratische Union hat sich im Jahr 1978 nach zweijähriger, intensiver Diskussion in der Partei ihr Grundsatzprogramm gegeben. Niemand auf dem Bundesparteitag vor ein paar Tagen hat etwa die Forderung erhoben, daß dieses Grundsatzprogramm jetzt geändert werden müßte, sondern immer wieder ist gesagt worden: Wenn neue Aufgaben auftreten, werden wir uns den neuen Herausforderungen stellen.
    Herr Kollege Vogel, daß Sie hier unseren Kollegen und Freund Böhr, den Vorsitzenden der Jungen Union, erwähnen, war ja zu erwarten. Was meinen Sie, wieviel Stunden ich damit verbringen könnte, Zitate aus dem Bereich der Jusos, Ihrer Jugendorganisation, vorzutragen!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Gruppierung hat Urteile über die Mutterpartei gefällt, die so vernichtend waren, wie sie es überhaupt nur sein konnten.
    Die Christlich Demokratische Union ist eine offene Volkspartei. Bei uns wird diskutiert, bei uns wird kritisiert — genauso wie bei Ihnen übrigens auch. Da gibt es berechtigte Kritik, und da gibt es gänzlich unberechtigte Kritik. Aber ein Parteivorsitzender muß beides ertragen, und ich habe es im Laufe von jetzt 14 Jahren ganz gut ertragen.
    Meine Damen und Herren, nur eines nehmen Sie bitte auch im Blick auf das Jahr 1990 mit nach Hause: Wir sind eine Partei, die aus klaren Prinzipien Probleme von heute und morgen lösen will. Wir haben dafür überzeugende Lösungen, und Sie sind die letzten, die uns dabei Ratschläge geben können.
    Herr Kollege Vogel, es klingt doch aus Ihrem Munde schon eigenartig, wenn Sie hier einen Nachholbedarf an Umweltschutz und Umweltpolitik konstatieren.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das war Herr Böhr! Schimpfen Sie mit Herrn Böhr!)

    Sie haben in Ihrer Zeit nichts, aber auch gar nichts getan, um auf diesem Feld voranzukommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben hier mit betroffener Miene die Entwicklung in der Gesundheitspolitik aufgezeigt. Herr Kollege Vogel, Sie hatten lange genug Zeit, angesichts der Kostenexplosion im Gesundheitswesen in diesem
    Feld die notwendigen Schritte zu tun. Sie haben nichts, aber auch gar nichts getan.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wie lange sind Sie denn schon Bundeskanzler?)

    Rudi Seiters hat Ihnen nachgewiesen, wie Sie , die Familie ganz bewußt aus Ihrer ideologischen Verirrung heraus in die Sackgasse getrieben haben. Ich kann die Liste beliebig fortsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Kompletter Unsinn! — Zuruf der Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD])

    Der absolute Höhepunkt — Herr Bangemann, Herr Seiters, alle haben es Ihnen gesagt — war Ihre Behauptung hinsichtlich der Abrüstungs- und Friedenspolitik. Sie sind die einzigen in Deutschland — vielleicht noch Ihre fellow-travellers aus dem Bereich der GRÜNEN —, die nicht erkannt haben, daß die Verwirklichung des von Ihrem früheren Kanzler Helmut Schmidt herbeigeführten NATO-Doppelbeschlusses durch diese Regierung dazu führte, daß wir jetzt, wie wir alle hoffen, zu dem INF-Vertrag kommen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Warum haben Sie sich denn so endlos gesträubt?)

    Meine Damen und Herren, wir haben uns doch nicht dagegen gesträubt, wie haben ihn herbeigeführt. Ihr Beitrag hat darin bestanden, aus der Angst der Menschen vor Krieg politische Geschäfte zu machen. Das war Ihr Beitrag in diesen Jahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Von ähnlicher Qualität waren Ihre Bemerkungen zum Thema innere Sicherheit. Nach den beiden Morden an der Startbahn West fragen doch viele im Lande, und zwar zu Recht: Wie konnte es dazu kommen, daß die Täter nicht davor zurückschreckten, gezielte Schüsse auf Polizeibeamte abzugeben? Das ist ja eine Frage an uns alle. Wir sind bereit — ich hoffe Sie auch — und entschlossen, die erforderlichen Konsequenzen aus den Frankfurter Ereignissen zu ziehen. Wir wollen dem zunehmenden Mißbrauch des Grundrechts auf friedliche Versammlung Einhalt gebieten, und wir wollen unsere Polizeibeamten besser schützen. Sie und ihre Familien haben Anspruch auf unsere Fürsorge.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Abgeordneter Vogel, es kommt schon ein seltsamer Staatsbegriff zutage, wenn einer der Sprecher Ihrer Partei, der dafür zuständige Abgeordnete, vor ein paar Tagen die Bundesregierung davor warnte, „die Spirale der Gewalt ein Stückchen weiterzudrehen". Hier werden der Selbstbehauptungswille des freiheitlichen Rechtsstaates und die Zerstörungswut von Gewalttätern auf eine Stufe gestellt, und das ist ein völlig unerträglicher Vorgang.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Abgeordneter Vogel, Sie preisen die Entscheidung in Hamburg. Wie wollen Sie eigentlich verantworten, daß in der Hamburger Hafenstraße die Entwicklung eines gleichsam rechtsfreien Raumes jahrelang hingenommen wurde? Wie konnten Sie es zulassen, daß sich hier ein Herd der Gewalt entwickelte, der aller Rechtsstaatlichkeit hohnspricht? Eine Demo-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    kratie — das ist nicht zuletzt die Erfahrung der Weimarer Republik — kann auch dadurch ausgehöhlt werden, daß sie sich vor aller Augen von ihren Feinden als hilflos vorführen läßt. Hier ist doch immenser Schaden entstanden, und der wird nicht dadurch wiedergutgemacht, daß in letzter Minute ein rechtswidriger Zustand legalisiert wurde. Ingo von Münch hat, glaube ich, mit seiner Bewertung Recht, daß die vorläufige Lösung des Konflikts an der Hafenstraße kein Erfolg für den Rechtsstaat ist.

    (Zuruf von der SPD: Der Bundespräsident ist da anderer Meinung! — Schily [GRÜNE]: Haben Sie einmal mit dem Bundespräsidenten diskutiert?)

    — Es ist gut, daß dieser Zwischenruf kommt. Ich finde es schon ziemlich ungehörig — um kein anderes Wort zu gebrauchen — , daß Sie, Herr Abgeordneter Vogel, und andere — den Abgeordneten der GRÜNEN möchte ich in diesem Zusammenhang nicht ansprechen —

    (Dr. Vogel [SPD]: Ich habe keinen Zwischenruf gemacht! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    jetzt fortdauernd den Bundespräsidenten in die Debatte einbeziehen. Das ist ein Stil der Auseinandersetzung, der bislang in der Geschichte der Bundesrepublik nicht üblich war.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Das paßt Ihnen nicht! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Der SPD-geführte Hamburger Senat hat durch jahrelanges Gewährenlassen schuldhaft eine ausweglose Situation herbeigeführt,

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist der neue Stil!)

    in der er nur noch die Wahl zwischen schlimmen Ausschreitungen und der Kapitulation des Rechtsstaates hatte.

    (Conradi [SPD]: Die hätten Sie gern gehabt!)

    Meine Damen und Herren, es täusche sich niemand: Wer nach den Polizistenmorden von Frankfurt an einem Haus der Hafenstraße ein Transparent mit der Aufschrift „Zwei Tote sind nicht genug" anbringt, dem kann wohl kaum die Absicht unterstellt werden, auf Dauer Frieden zu halten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)