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ID1104101200

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    Plenarprotokoll 11/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 11/1051, 11/1081) 2689B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 11/1052, 11/1081) 2689B Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 11/1053, 11/1081) 2689 C Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen 11/1054, 11/1081) Dr. Vogel SPD 2689 D Seiters CDU/CSU 2699 C Frau Rust GRÜNE 2709B Dr. Bangemann FDP 2712D Dr. Kohl, Bundeskanzler 2720 B Koschnick SPD 2729 D Austermann CDU/CSU 2732 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 2735 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 2739 C Frau Simonis SPD 2741B Vizepräsident Westphal 2740 D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksachen 11/1055, 11/1081) Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 2742 B Dr. Rose CDU/CSU 2745 A Voigt (Frankfurt) SPD 2747 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2750 D Stobbe SPD 2753 D Genscher, Bundesminister AA 2756 C Rühe CDU/CSU 2760 D Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksachen 11/1064, 11/1081) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksache 11/1076) Walther SPD 2764B, 2774A, 2781C Dr. Friedmann CDU/CSU 2766 D Frau Schilling GRÜNE 2768 D Frau Seiler-Albring FDP 2771B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2774B Jungmann SPD 2778 D Müller (Wadern) CDU/CSU 2780 D Frau Beer GRÜNE 2381 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksachen 11/1069, 11/1081) Esters SPD 2783 B Borchert CDU/CSU 2785 B Volmer GRÜNE 2786 D Frau Folz-Steinacker FDP 2789 A Klein, Bundesminister BMZ 2790 A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen (Drucksachen 11/1071 11/1081) Hiller (Lübeck) SPD 2791 D Dr. h. c. Lorenz CDU/CSU 2793 B Frau Hensel GRÜNE 2796 B Hoppe FDP 2798 B Sielaff SPD 2799 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 2801D Nächste Sitzung 2803 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2804* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1987 41. Sitzung Bonn, den 24. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Dr. Adam-Schwaetzer 24. 11. Dr. Ahrens * 27. 11. Antretter * 24. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Haack 27. 11. Haar 24. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Höffkes 24. 11. Hörster 26. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ibrügger 24. 11. Kiechle 25. 11. Klose 27. 11. Kreuzeder 27. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 24. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 24. 11. Oesinghaus 24. 11. Paintner 27. 11. Paterna 24. 11. Petersen 27. 11. Reddemann * 26. 11. Reimann 24. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schmidbauer 26. 11. von Schmude 24. 11. Dr. Schöfberger 24. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Seiters


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein, danke.
    Ich möchte auch daran erinnern, daß im Jahre 1982 unter Federführung eines sozialdemokratischen Familienministers die Kindergeldsätze für das zweite und dritte Kind um je 20 DM gekürzt wurden, die Altersgrenze für den allgemeinen Kindergeldbezug von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt wurde, das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche über 18 Jahre gestrichen wurde. Weitere strukturelle Kürzungen am Kindergeld erfolgten. Frau Matthäus-Maier, da sagen Sie: Was macht ihr für die Familie?
    Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß Aufgabe verantwortlicher Politik darin bestehen muß, für ein Klima in unserer Gesellschaft zu sorgen, das der Familie ihren zentralen Platz sichert, das kinderfreundlich ist und das der Frau die persönliche, ungeschmälerte und undiskriminierte Wahlfreiheit zwischen Berufstätigkeit und der Aufgabe als Mutter läßt.
    Herzstück der von uns beschlossenen Politik ist das Bundeserziehungsgeldgesetz. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub werden heute bereits von 96 % der Bezugsberechtigten in Anspruch genommen. Diese Gesetzgebung wird ausgebaut. Wir haben die Kinderfreibeträge um 2 484 DM erhöht. Im Rahmen der Steuerreform werden Familien mit Kindern weniger Steuern zu zahlen haben als früher. Wir planen darüber hinaus die Erhöhung des Kindergeldes ab dem zweiten Kind. Wir haben das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche wieder eingeführt. Wir haben das Baukindergeld auch auf erste Kinder ausgeweitet. Wir haben den Elternfreibetrag und den Freibetrag für mitverdienende Kinder beim Wohngeld eingeführt, die Einführung eines Kindergeldzuschlages von bis zu 46 DM je Kind für Familien mit geringem Einkommen, die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung

    (Jungmann [SPD]: Für wen?)

    und schließlich auch die Erhöhung der Mittel für die Stiftung Mutter und Kind, Schutz des ungeborenen Lebens. In über 70 000 Fällen haben wir hier eine schnelle und flexible Hilfe gewähren können. Ich begrüße nachdrücklich den Gesetzentwurf der Koalition, der die Aufstockung der Mittel für diese Stiftung pro Jahr von 80 Millionen auf 110 Millionen DM bedeutet. Aber ich bedaure ebenso nachdrücklich, daß sich die SPD-geführten Bundesländer nach wie vor weigern, entsprechende Mittel für in Not geratene schwangere Frauen bereitzustellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Unzutreffend!)

    Ungeborenes Leben hat den gleichen Schutz des Staates wie geborenes Leben verdient. Das ist unser Standpunkt. Wir werden auch in dieser Legislaturpe-



    Seiters
    riode daran arbeiten, den Schutz des ungeborenen Lebens zu verbessern und immer wieder das Bewußtsein dafür zu schärfen, daß die hohe Zahl von 200 000 mit sozialer Not und sozialer Indikation begründeten Abtreibungen in einem der reichsten Länder der Welt einen Skandal darstellt, den wir nicht hinzunehmen bereit sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das von der Koalition angekündigte Beratungsgesetz ist Teil einer praktizierten lebensbejahenden Politik mit dem Ziel, die erschreckend hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen aus Indikation sozialer Notlage zu senken.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sozialhilfemüttern nehmt Ihr das Kindergeld weg!)

    Nun, meine Damen und Herren, noch ein abschließendes Wort zum Thema innere Sicherheit. Nach dem Mord in Frankfurt an zwei Polizeibeamten haben Bundesregierung und hessische Landesregierung angekündigt, mit den verantwortlichen Polizeiführern die Erfahrungen auszuwerten, wie der Mißbrauch des Demonstrationsrechts zur Vorbereitung und Durchführung gewalttätiger Straftaten durch gesetzgeberische Maßnahmen und durch administrative und polizeiliche Maßnahmen beendet werden kann.
    Ich möchte für meine Fraktion ausdrücklich den Handlungsbedarf unterstreichen, den wir auch in die Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben haben, daß alles getan werden muß, um das von Gewalttätern bedrohte Recht auf friedliche Demonstration zu gewährleisten, gewalttätige Demonstrationen zu verhindern und den Terrorismus wirksam zu bekämpfen. Wir haben das freiheitlichste Demonstrationsrecht, das es jemals in der deutschen Geschichte gegeben hat. Daran wird sich nichts ändern. Aber unser Standpunkt ist unverändert: Wer demonstriert, soll sein Gesicht zeigen und nicht die Möglichkeit haben, unter der Maske und aus der Vermummung heraus strafbare Handlungen zu begehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich möchte — ich komme auf das zu sprechen, was Herr Vogel hier auch mit Blick auf Hamburg angeführt hat — doch generell meine Sorge darüber zum Ausdruck bringen, daß wir in bestimmten Teilen der Bundesrepublik Deutschland eine Erosion des Rechtsbewußtseins erleben, die ich für außerordentlich gefährlich halte, und zwar auch deshalb, weil hier das Rechtsempfinden rechtstreuer Bürger schwer verletzt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Die Hafenstraße ist dafür ein besonders schlimmes Beispiel.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr! — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wollen Sie die Knüppel-Lösung?)

    Meine Damen und Herren, wer Hausbesetzungen, Rechtsbrüche, die Gefährdung von Leib und Leben, wer das Faustrecht bestimmter Gruppen zunächst damit beantwortet, daß er soziales Verständnis äußert,
    die Gewalt verharmlost und in der Verteidigung von Rechtsgrundsätzen wankelmütig wird,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Pfui, Herr Seiters!)

    der schafft rechtsfreie Räume, der zerstört das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat und ermutigt diejenigen, die ihre politischen Ziele mit rechtswidrigen und undemokratischen Mitteln durchsetzen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich glaube, ähnlich denkt auch der sozialdemokratische Innensenator von Hamburg.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!) Ähnlich denken auch andere in Ihren Reihen.

    Ich habe hier ein Interview des Vorsitzenden des Innenausschusses, des Kollegen Bernrath von der SPD, vor mir, der folgendes gesagt hat:
    In den Städten und Gemeinden der gesamten Bundesrepublik Deutschland wächst die Unzufriedenheit der Bevölkerung über Unberechenbarkeit und Nachgiebigkeit der Hamburger Landesregierung. Die Bürger sehen nicht mehr ein, warum sie für falsches Parken bezahlen sollen, wenn man in Hamburg ungestraft gleich dutzendweise fremde Autos anzünden darf. Weil die Rechtsordnung bundesweit Schaden nimmt, sollte sich auch der Bundestagsinnenausschuß damit befassen.
    Recht hat er, der Kollege!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bitte, auch folgendes zu bedenken, weil wir ja nicht Politik für uns, sondern für diejenigen machen, die uns Verantwortung übertragen haben: Die Bürger in unserem Lande — das zeigen alle Umfragen — sind tief beunruhigt über die Ausbreitung von Gewalt und auch darüber, daß es ja schon in diesem Hause keinen Konsens mehr gibt, wo die Grenze zwischen Gewaltfreiheit und Gewalt verläuft und auch wie wir mit der Verfassung und mit dem Recht umzugehen haben.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Seien Sie ja vorsichtig!)

    Ich habe an früherer Stelle einmal gesagt: Das Recht ist die Waffe der Schwachen. Recht und Gesetz sind dazu da, das Recht der Schwachen, das Recht des einzelnen Bürgers vor Übergriffen und Gewalt des anderen und den inneren Frieden in einem rechtsstaatlichen System zu schützen. Deswegen dürfen wir das Recht und seine Anwendung nicht zum Spielball für opportunistische Überlegungen machen. Darauf hat gerade auch der rechtstreue Bürger einen Anspruch.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)

    Meine Damen und Herren, wenn es möglich wäre, die Ziele unserer Politik in einem Satz zusammenzufassen, dann könnte man vielleicht sagen: Unsere Aufgabe als Politiker besteht darin, unserer Bevölkerung und der nachwachsenden Generation eine Zukunft zu sichern — was nicht selbstverständlich ist — in einer freiheitlichen Demokratie, in einer Welt des



    Seiters
    Friedens, in einem Land, das wirtschaftlichen Wohlstand und den Schutz der Umwelt sinnvoll miteinander verbindet, in einem Staat, der dem einzelnen die Chance gibt, sein Leben in Eigenverantwortung selbst zu gestalten, in einem Staat, der die Familie schützt und christliche Grundwerte achtet, in einer Gesellschaft mit menschlichem Gesicht. Wir sind sicher nicht immer und bei jeder Entscheidung diesen hohen Ansprüchen gerecht geworden. Aber wenn wir heute in dem freiheitlichsten und friedlichsten Staat leben, den es jemals auf deutschem Boden gegeben hat, dann haben christlich-demokratische und christlich-soziale Politiker daran einen beachtlichen Anteil. Das ist auch ein wichtiger Ansporn für unsere Arbeit in der Zukunft.
    Wenn wir uns in der Politik dann auch noch an die Devise von Altbundespräsident Karl Carstens in seiner Abschiedsrede im deutschen Parlament erinnern — „Wer frei ist, trägt Verantwortung, wer Rechte hat, hat auch Pflichten, und wer Ansprüche stellt, vor allem Ansprüche an den Staat, muß auch bereit sein, Leistungen zu erbringen" —, dann werden wir auch künftig in der Lage sein, Politik zu machen im Interesse der Menschen unseres Landes.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Rust.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Bärbel Rust


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zum Etat des Bundeskanzleramtes ist traditionell eine Generaldebatte über die Grundtendenzen der Politik der Regierung. Heute geht es nicht um die vielen — sicherlich wichtigen — Einzelheiten des Haushalts, heute geht es darum, ob die gesamte Richtung der Politik stimmt.
    In den letzten Tagen haben wir alle ein beeindrukkendes Beispiel für Politik in die richtige Richtung erlebt: die friedliche Beilegung eines Konflikts, der lange Zeit ein Synonym für die Eskalation von Gewalt und Gegengewalt in unserer Gesellschaft war. Diese friedliche Lösung in der Hamburger Hafenstraße wurde möglich, weil beide Seiten bereit waren, aufeinander zuzugehen.
    Auf der einen Seite hat der Hamburger Senat den langen Schatten einer engstirnigen und ausgrenzenden staatlichen Politik übersprungen. Hervorzuheben ist auf dieser Seite besonders die Rolle von Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der dem bundesweiten Druck der Law-and-order-Politiker widerstand — dafür haben wir ja gerade ein Beispiel gehört — und auch dem Druck der Rechten aus der eigenen Partei. Diese Haltung war ein Vorbild für jede Demokratie. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um ihn zu seiner Entschlossenheit zu beglückwünschen.
    Auf der anderen Seite möchte ich auch die Besetze-rinnen und Besetzer der Hafenstraße zu ihrer Entscheidung beglückwünschen, die Barrikaden abzureißen und damit den Weg freizumachen für Deeskalation und eine friedliche Weiterentwicklung. Auch sie hatten einen langen Schatten zu überspringen, einen Schatten von Wut, Haß, Enttäuschung und Mißtrauen. Auch dazu gehören Mut und Entschlossenheit. Auch das ist ein beeindruckendes Beispiel für richtiges Verhalten in einer hochbrisanten Situation.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Beide Seiten, die Besetzer und der Hamburger Senat, haben einen Weg gefunden, um den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen, einen Weg, der zukunftsweisend ist.
    Nun ist der „Frankfurter Rundschau" von heute zu entnehmen, daß die CDU-Opposition in der Hansestadt angekündigt hat, sie werde alle Register ziehen, um gegen diese Vertragslösung vorzugehen.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Ungeheuerlich!)

    Herr Perschau sagt, die Koalitionsfraktionen sollten mit einem Antrag gezwungen werden, sich zu dem — Zitat — „verantwortungslosen Kurs von Bürgermeister von Dohnanyi entweder zu bekennen oder sich davon zu distanzieren" . Ich kann nur sagen: Ich wünsche auch den Fraktionen in der Hamburger Bürgerschaft den Mut und die Entschlossenheit, diesen richtigen, verantwortungsvollen Weg weiterzugehen und damit ein weiteres gutes Zeichen für die weitere Entwicklung in unserer Gesellschaft zu setzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Hafenstraße hat eine echte Chance. Sie hat vor allem dann eine Chance, wenn wir Politiker sie als Signal für uns verstehen. Unsere Aufgabe muß es sein, Brücken zu bauen. Die Ausgrenzung eines immer größeren Teils der Jugend aus dieser Gesellschaft muß ein Ende haben. Viele sehen ihr Leben geprägt durch abnehmende Chancen zur gleichberechtigten Teilnahme am Leben, durch wachsende Armut, Arbeitslosigkeit und fehlende berufliche Perspektiven. Gleichzeitig müssen sie mit ansehen, wie ihre natürliche Umwelt vergiftet und ihre städtische Lebenswelt zerstört wird. „No future", Herr Kanzler, ist kein Modewort, sondern eine verdammt ernstzunehmende Antwort auf eine katastrophale Politik.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wer angesichts dieser Situation nur mit dem moralischen Zeigefinger reagiert, der hat nichts begriffen.
    „Die RAF zum Beispiel", so schrieb Helmut Schmidt kürzlich in der „Zeit", „ist damals wesentlich der enttäuschten Liebe zur Demokratie entsprungen. " Ich hätte ihm diese Einsicht früher gewünscht. Trotzdem bleibt der Satz richtig, und ich möchte ihn weiterdenken. Was wird der enttäuschten Liebe zum Leben entspringen, wenn wir uns keine Mühe geben, den Jugendlichen wieder eine Lebenschance zu eröffnen? Wenn wir das tun, werden wir auf offene Ohren treffen. Allerdings ist die Politik insgesamt und insbesondere die Politik dieser Regierung davon noch weit entfernt.
    Wenn wir heute Ihre Regierungszeit beurteilen, Herr Bundeskanzler, dann müssen wir an erster Stelle ein Problem nennen, zu dessen Lösung diese Regierung nichts beigetragen, ja dessen Lösung sie sogar behindert hat. Ich meine das Problem der Massenerwerbslosigkeit und die damit zusammenhängende zunehmende Verarmung eines wachsenden Teils un-



    Frau Rust
    serer Bevölkerung. Sichere Arbeitsplätze — mit diesem Versprechen haben Sie sich und Ihrer Partei vor gut vier Jahren den Weg in die Regierung geebnet. Heute müssen Sie sich mit den Wahlkampfslogans von einst an der bitteren Wirklichkeit messen lassen.
    Nichts ist es geworden mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil, 2,3 Millionen Sozialhilfeempfänger gibt es schon nach offiziellen Zahlen und eine ebenso große Zahl Arbeitsloser in dieser reichen Republik. Doch da es ja nicht um die Beurteilung von Zahlenkolonnen auf weißem Papier geht, sondern um das Leben der Menschen, müssen wir auch diejenigen mitrechnen, die Sie durch die groben Maschen der statistischen Erfassung durchrutschen lassen. Einschließlich Dunkelziffer liegen die Zahlen beider Gruppen zusammen bei weit über 6 Millionen. Das sind mehr als 10 % der Bevölkerung der Bundesrepublik, Herr Bundeskanzler, die für das Scheitern Ihrer Politik ein trauriges Zeugnis ablegen.

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Und 5 Millionen Schwarzarbeiter!)

    Getreu Ihrer Selbstbeschreibung, Herr Kohl, als Enkel Adenauers haben Sie auch in der Wirtschaftspolitik auf die Rezepte der 50er Jahre gesetzt. Wirtschaftswachstum ist der Dreh- und Angelpunkt Ihres haushalts- und wirtschaftspolitischen Konzepts, obwohl spätestens seit Beginn der 80er Jahre unbezweifelbar klar ist, daß ein Wachstum wie in den 50er und 60er Jahren niemals mehr erreicht werden kann. Alle Wirtschaftswissenschaftler, auch die Ihrer Couleur, sind sich einig, daß ein wirksamer Abbau der Arbeitslosigkeit ein Wachstum von ca. 6 % erfordern würde. Bei den in unserer Wirtschaft üblichen Produktivitätsfortschritten von etwa 3 % pro Jahr wäre also ein Wachstum von 3 % gerade ausreichend, um die Massenerwerbslosigkeit nicht noch zu verschlimmern. Aber selbst eine solche Zahl ist heute unerreichbar.
    Für 1987 ist eine Wachstumsrate in der Größenordnung von 1,5 °A° zu erwarten, für das Jahr 1988 noch erheblich weniger; ja, es könnte sogar zu einer Rezession kommen, wenn sich die derzeitige Wirtschafts- und Börsensituation und der Kursverfall des Dollars fortsetzen.
    Bei der starken Exportorientierung der hiesigen Wirtschaft ist es durchaus realistisch, im nächsten Jahr mit einer Ausweitung der Arbeitslosigkeit um 200 000 bis 500 000 zu rechnen. Hierbei ist ein wirtschaftliches Desaster noch gar nicht einkalkuliert.
    Offenbar haben Ihre Wirtschaftsstrategen, allen voran die Herren Bangemann und Stoltenberg, kein Gefühl mehr dafür, was Arbeitslosigkeit für die Betroffenen eigentlich bedeutet; sonst könnten sie nicht so gleichgültig und stur an ihren überholten Konzepten festhalten. Arbeitslosigkeit bedeutet in der Regel eine bedrückende Veränderung des gesamten Lebens. Gefühle der Ohnmacht, der Mutlosigkeit und der Depression treten auf. Der Verlust an materieller Sicherheit geht einher mit dem Verlust an sozialen Kontakten und an persönlichem Ansehen in Familie und Nachbarschaft. Nicht selten sind Angst, Apathie, Alkoholismus oder auch Aggressivität die Folge.
    Wer nach mehr als fünf Jahren verfehlter Wirtschaftspolitik immer noch ein Wachstumsrezept anpreist, das sich als untauglich erwiesen hat, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß es ihm gar nicht ernsthaft um die Lösung von Arbeitslosigkeit und wachsender Armut geht, sondern um griffige Slogans zu Wahlkampfzeiten, die nach der Wahl in der Ablage „Material für Sonntagsreden" ein beschauliches Dasein fristen. „Die Forderung nach der 35-StundenWoche ist dumm und töricht" — Originalton Kohl. Der Finanzminister geht auf der gleichen Linie. Wo sich Gewerkschaften mit Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungen mucksen, greift er sie in aggressiver Weise an, wie in den letzten Tagen wieder geschehen. Unsere Vorschläge, wenigstens für einen konsequenten Abbau von Überstunden zu sorgen, werden im Bundestag unerbittlich niedergestimmt. Das ist nach den Regeln dieses Parlaments Ihr gutes Recht. Aber Sie müssen sich dann auch sagen lassen: Allein der rigide Abbau des Überstundenwildwuchses würde 300 000 neue Arbeitsplätze schaffen. Doch nicht einmal dazu sind Sie bereit. Niemand, der die Sorgen und Nöte der Arbeitslosen wirklich ernst nimmt, kann so handeln. Eine Million Arbeitsplätze könnten durch eine schnelle Verwirklichung der 35-Stunden-Woche geschaffen werden. Das zeigen alle Untersuchungen und Erfahrungen. Durch längst überfällige umweltpolitische Maßnahmen könnten Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Es gibt Konzepte gegen die Arbeitslosigkeit. Diese Regierung ist nur nicht bereit, sie anzuwenden; das ist das Problem.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nun sind wir weit davon entfernt, Ihnen pure Untätigkeit, generelle Konzentration auf kosmetische Operationen oder gar Geiz aus Prinzip vorzuwerfen. Während auf der einen Seite jede Million, die z. B. für dringend erforderliche Umweltschutzpolitik ausgegeben werden soll, vom Finanzminister schon fast als nicht mehr finanzierbar hingestellt wird, ist die Regierung bereit, 25 Milliarden DM Mindereinnahmen pro Jahr via Steuerreform hinzunehmen, um damit dem gut betuchten Teil ihrer Wählerklientel ein erquickliches Steuergeschenk zu machen. Hier heißt es dann: nicht kleckern, sondern klotzen. Sozialhilfeempfänger, Rentner und alle, die keine Steuern zahlen, werden von diesem Geschenk keine müde Mark sehen. Im Gegenteil, die Steuerreform wird dazu führen, daß die öffentlichen Kassen leer sind und für eine Rentenerhöhung oder eine Erhöhung der Sozialhilfe kein Geld mehr da ist. Eine Erhöhung der Mindestrente auf 1 200 DM pro Person und 1 800 DM pro Ehepaar, wie sie in einem Antrag von den GRÜNEN gefordert wird, kostet etwa 13 Milliarden DM. „Nicht finanzierbare Tagträumerei" heißt dann der Kommentar. Die Steuerreform kostet dagegen das Doppelte: 25 Milliarden DM Mindereinnahmen pro Jahr. Dieses Beispiel zeigt deutlich, für wen hier Politik gemacht wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Für Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger ist kein Geld da, während Sie die Begüterten und Reichen mit der Steuerreform noch reicher machen. Sie wollen es einem Spitzenverdiener, der 1 Million DM verdient, nicht zumuten, daß er davon 56 % Steuern für die Allgemeinheit zahlt. Deshalb haben Sie in Ih-



    Frau Rust
    rem übergroßen Mitleid den Spitzensteuersatz gesenkt. Aber Hunderttausenden Rentnerinnen muten Sie es zu, mit 650 DM Rente leben zu müssen. Da regt sich Ihr Mitleid nicht, und das ist ein zum Himmel schreiender Skandal, Herr Kohl, den Sie auch mit schönfärberischen Sonntagsreden nicht mehr vertuschen können.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir GRÜNEN haben einen Antrag zu den Haushaltsberatungen eingebracht, wonach mit Hilfe eines Sofortprogramms das drängende Problem der Jugendarbeitslosigkeit angegangen werden soll. Alle Jugendlichen bis 25 Jahre sollen einen Ausbildungsplatz und einen Arbeitsplatz erhalten. Mehrkosten für den Bundeshaushalt: Ca. 5 Milliarden DM — wenn alle einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz erhalten. Das ist etwa ein Fünftel der Kosten der Steuerreform. Auch dieser Antrag wurde von der Regierungsmehrheit eiskalt abgeschmettert. Ich frage Sie: Halten Sie uns für so dumm, daß wir Ihnen Ihre angebliche Sorge um die Arbeitslosen auch dann noch glauben, wenn Sie Hunderttausende von Jugendlichen zu einem Leben ohne berufliche Perspektive verdammen?

    (Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Sehen Sie eigentlich keinen Zusammenhang zwischen der zunehmenden Aggression, dem Alkoholismus, der zunehmenden Jugendkriminalität und einer solchen Politik? Viele hochrangige Wissenschaftler sehen diesen Zusammenhang, aber Sie weigern sich, davon überhaupt Kenntnis zu nehmen. Sehen Sie keine Verbindung zwischen den Krawallen in Kreuzberg, dem Widerstand in der Hafenstraße in Hamburg und Ihrer Politik, die der Jugend keine Chance läßt, gleichberechtigt am Leben unserer Gesellschaft teilzunehmen?
    Ebenso wie für die Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz und Arbeit, für die Rentner und für die sozial Schwachen wird auch für die Umwelt nach dieser Steuerreform noch weniger Geld da sein, und das nicht nur im Bundeshaushalt, sondern auch in den Haushalten der Länder und Kommunen, denen Sie mit Ihrer Steuerreform, Herr Kohl, das bißchen Luft, das sie für ihre Investitionen noch haben, auch noch abschnüren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der Spielraum für dringend notwendige ökologische Investitionen und soziale Stützungsmaßnahmen seitens der Kommunen und Länder wird durch die Steuerreform in drastischer Weise eingeschränkt.
    Nun argumentieren Sie ja, die Steuerreform sei notwendig, um der Wirtschaft neue Wachstumsimpulse zu geben. Wir müssen Ihnen sagen: Auch dieses Argument ist an den Haaren herbeigezogen, denn wenn Sie wirklich wollten, daß die gesparten Steuern wieder in den Wirtschaftskreislauf eingespeist werden, dürften Sie dieses Geld nicht an die verteilen, die genug haben, sondern müßten es denen geben, denen es fehlt; nur bei diesen ist nämlich nach allen vorliegenden wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen sicher, daß das Geld im Lande bleibt und wieder in den Wirtschaftskreislauf hineingegeben wird. Bei Ihrer Klientel ist dagegen sicher, daß sie einen Großteil der Steuerersparnis ins Ausland transferiert oder damit die Sparquote erhöht. Der Wachstumsimpuls für die inländische Wirtschaft läge bei diesen Geldern dann bei Null.
    Wenn Sie denn schon meinen, daß der Staat Milliardenbeträge zur Verfügung stellen müßte, um in den Wirtschaftsprozeß aktiv einzugreifen, wäre es sinnvoll, diese Milliarden gezielt in solche Bereiche fließen zu lassen, in denen es einen dringenden Investitionsbedarf gibt und in denen gleichzeitig zukunftsorientierte Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Die Milliarden wären für einen Umbau der Energiewirtschaft sinnvoll eingesetzt. Allein für diese Umorientierung weg von der menschenfeindlichen Atomenergie, für eine Umorientierung, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung ausdrücklich gewünscht wird, Herr Kohl, für diese Umorientierung hin zu einer zukunftsweisenden, modernen sanften Energie wären ca. 300 000 Arbeitsplätze erforderlich. Auch viele andere Beispiele drängen sich hier auf: Ausbau des schienengebundenen Verkehrs statt der weiteren Betonierung der Landschaft usw. usf.
    Brauchbare Konzepte zum Abbau der Massenerwerbslosigkeit liegen auf dem Tisch. Sie können sich heute nicht mehr mit dem dummen Satz, niemand habe ein Patentrezept gegen die Arbeitslosigkeit, herausreden.
    Ihre gesamte Politik, die ich oben beschrieben habe, ist ein ständiger Beweis dafür, daß Sie nicht nur gefühllos und sozial kalt sind, sondern auch auf der falschen Seite stehen. Sie machen eine ganz konsequente Interessenpolitik, bei der die Interessen der Industrie und der Reichen ganz klar an erster Stelle stehen, und was dann noch übrigbleibt, ist für die Habenichtse. Ihre Maxime heißt: Umweltpolitik ja, aber nur, wenn sie der Industrie nicht wehtut, Beschäftigungspolitik auch, aber nur, solange die Gewinnspannen der Unternehmen nicht berührt werden, und Sozialpolitik, ja, ja, aber nur, nachdem die Besserverdienenden bedient sind. Die Arbeitslosen liegen Ihnen keineswegs — wie Sie immer vorgeben — am Herzen, sondern Sie stehen eindeutig auf der anderen Seite, sonst hätten Sie Ihre Politik längst geändert.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    In einem weiteren wichtigen Bereich der Innen- und der Außenpolitik hat diese Regierung ebenfalls ein trauriges Bild abgegeben. In zwei Wochen soll ein Abkommen unterzeichnet werden, das die Abrüstung atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa vorsieht. Das ist ein großes Ereignis in der Geschichte der Rüstungskontrolle, das insbesondere wegen der mutigen Angebote von seiten der Sowjetunion zustanden kommen wird. Trotz des Widerstandes der Europäer und trotz der beharrlichen Bemühungen der Bundesregierung, dieses Abkommen zu verhindern, wird es zu einer Unterzeichnung kommen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: So war es doch! — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Wider besseres Wissen sagen Sie das! Die Schamröte müßte Ihnen ins Gesicht treten!)




    Frau Rust
    Es ist eine traurige Bilanz, daß unsere Regierung nicht mit vereinten Kräften dazu beigetragen hat und beitragen will, daß Ihre Parole, Herr Bundeskanzler — wieder so ein Wahlkampfslogan -, ,,Frieden schaffen mit immer weniger Waffen", Wirklichkeit wird. Im Gegenteil, da wird zuerst auf der Pershing I a beharrt, die auf Grund ihrer Reichweite selbstverständlich in die Verhandlungen mit einbezogen werden muß; es wird auf dieser Waffe beharrt, da sie angeblich ein Drittstaatensystem ist. Erst im allerletzten Moment hat Bundeskanzler Kohl entgegen seiner Art doch noch ein Machtwort gesprochen, aber nicht etwa auf Grund seines Friedenswillens, nein, weil sonst die gesamte Regierung Kohl gefährdet gewesen wäre. Innenpolitisch war die weitere Störung der Verhandlungsplanungen von Ost und West nicht mehr durchsetzbar — das war das Problem —; ein später, aber großer Erfolg der Friedensbewegung, die sich — teilweise unter sehr schwierigen Bedingungen — stets für Abrüstung und Frieden eingesetzt hat und die der Bundesregierung stets ein Dorn im Auge war.
    Die Friedensbewegung ist jedoch gerade jetzt vor große Aufgaben gestellt. Mit den Verhandlungen, die den Abzug von nur 3 % der gesamten Sprengköpfe — nur 3 % ! — vorsehen, ist doch nicht das Ziel „Frieden schaffen ohne Waffen" erreicht. Da wird von der Regierung weiterhin eine verstärkte Militärkooperation zwischen der Bundesrepublik und Frankreich angestrebt. Da wird — wie aus der mittelfristigen Finanzplanung, aus diesem Haushalt gut ersichtlich — über konventionelle Aufrüstung gesprochen. Da betont Wörner die stete Invasionsfähigkeit der Sowjetunion. Und man könnte zwar glauben, daß abgerüstet werden soll, nur, alle haben Angst davor. Deshalb sind ernst gemeinter Friedenswille, Zähigkeit und listige Klugheit von Demokratinnen und Demokraten weiterhin gefragt. Der bevorstehende Erfolg im Bereich der Mittelstreckenwaffen sollte Ansporn für unsere weitere Arbeit sein und uns ermutigen, weiterhin für Frieden ohne Waffen in dieser Welt einzutreten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Doch Friedenspolitik, Herr Kanzler, ist nicht nur für den internationalen Abrüstungsprozeß von Bedeutung, sie ist auch innerhalb der BRD für einen friedlichen, gewaltfreien Weg in die Zukunft von entscheidender Bedeutung.
    In der Reaktion auf den Tod der zwei Polizisten in Frankfurt haben — in einem breiten Spektrum, bis hin zu Ihnen in der CDU — die Nachdenklichen und Besonnenen bisher die Übersicht behalten. Herrn von Dohnanyis mutige Entscheidung, in Hamburg auf die Räumung zu verzichten, ist Ausdruck dieser politischen Vernunft. Allein Herr Zimmermann und seine politischen Freunde klammern sich auch weiterhin an ihr Mißtrauen gegenüber den Menschen, die nicht weniger, sondern mehr Demokratie wollen. Deswegen wollen Sie, Herr Zimmermann, den Straftatbestand des Landfriedensbruchs schon seit 1970 verschärfen. Sie polemisieren beständig gegen die Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, weil Sie von Ihrer aseptischen Vorstellung von Demokratie gefesselt sind. Leider — leider! — droht nun auch die FDP Ihnen auf den Leim zu gehen. Wenn Sie Polizei und Justiz dazu zwingen wollen, zu entscheiden, ob sich ein vermummter Demonstrant strafbar gemacht hat oder nicht, wenn Sie also das Legalitätsprinzip im Strafrecht zugunsten des Opportunitätsprinzips aufweichen wollen, dann ändern Sie nicht nur eine Norm, sondern Sie verraten auch klassischliberale Grundsätze.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die sind doch schon dabei!)

    Zum Schluß ein Wort zur Skandalchronik der letzten Jahre: Das Beunruhigende an den Affären wie Flick und Barschel ist, daß deutlich wird, daß sich die Parteien von ihrer institutionellen Aufgabe, nämlich den Konsens aller Menschen zu suchen, gelöst haben. Die Parteien werden zunehmend als Selbstbedienungsläden für brutale Karrieristen verstanden, die ihre Pfründe mit kriminellen Methoden sichern.
    Als Antwort darauf muß die Rolle der Parteien verändert werden. Die Menschen müssen einen direkten Einfluß in die Parteien hinein bekommen, ohne Parteigänger sein zu müssen. Es stünde uns allen hier gut an, angesichts der 1989 bevorstehenden „40 Jahre Grundgesetz" und „200 Jahre französische Revolution" über diese Zusammenhänge zu debattieren und Konsequenzen daraus zu ziehen.
    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei den GRÜNEN)