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    Plenarprotokoll 11/24 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 24. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Jahn (Marburg) 1563 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Vogel SPD 1563 a Dr. Waigel CDU/CSU 1576 D Ebermann GRÜNE 1586 B Ronneburger FDP 1590 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1593 B Dr. Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 1602 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 1602 C Frau Geiger CDU/CSU 1607 C Frau Hensel GRÜNE 1610 B Genscher, Bundesminister AA 1611 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 1615 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 1618 C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 1620 A Frau Seiler-Albring FDP 1622 D Kühbacher SPD 1624 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 1626 D Horn SPD 1632 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 1633 D Dr. Penner SPD 1636 B Möllemann, Bundesminister BMBW 1642 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 1643 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 1646D Dr. Hirsch FDP 1649 B Bernrath SPD 1651 C Engelhard, Bundesminister BMJ 1653 C Dr. de With SPD 1655 B Dr. Wittmann CDU/CSU 1658 D Häfner GRÜNE 1660 D Lüder FDP 1663 C Nächste Sitzung 1664 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1665* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 1563 24. Sitzung Bonn, den 10. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Bühler (Bruchsal) * 10. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Eigen 11. 9. Dr. Feldmann ' 11. 9. Großmann 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Lemmrich * 10. 9. Frau Luuk * 11. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Dr. Unland ** 10. 9. Volmer 11. 9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Hans A. Engelhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsplan des Bundesministers der Justiz zeichnet sich wieder durch ein besonderes Maß disziplinierter Sparsamkeit aus. Wenn dennoch der Anteil am Gesamthaushalt von 1/700 auf 1/600 gegenüber diesem Jahr steigen soll, dann liegt das daran, daß wir nunmehr Maßnahmen durchführen, die dringend geboten sind. Endlich können jetzt die notwendigen Erweiterungsbauten beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe in Angriff genommen werden.
    Einen großen Teil der zusätzlichen Mittel benötigen wir, um beim Deutschen Patentamt eine Datenbank aufzubauen. Mit ihrer Hilfe wird das technische Wissen unserer Zeit für das Amt selbst und die Erfinder besser erschlossen. Das ist ein attraktives Angebot gerade für die mittelständische Wirtschaft und für die Einzelerfinder, die 60 bzw. 20 % aller Patentanmeldungen vornehmen.
    Meine Damen und Herren, die Debatte über den ersten Haushaltsplan, den die Bundesregierung in einer neuen Legislaturperiode einbringt, bietet traditionell eine gute Gelegenheit, die Grundzüge der Politik für die kommenden Jahre etwas zu akzentuieren. Wenn ich dabei heute nicht über die Themen der inneren Sicherheit spreche, dann mag dies hier und da überraschen. Ungeachtet der Wichtigkeit dieser Fragen geht es mir aber heute darum, den Blick auf die anderen großen rechtspolitischen Vorhaben zu lenken, denen wir uns zu stellen haben.
    Im Wandel der gesellschaftlichen und technischen Bedingungen muß gerade die Rechtspolitik auch die Rechtsordnung als Einheit bewahren. Hierzu einige mir wichtige Beispiele:
    Gerade in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit einem wachsenden Anteil älterer Mitbürger,



    Bundesminister Engelhard
    mit einer an sich erfreulich zunehmenden Lebenserwartung wird sich auch die Zahl jener Menschen erhöhen, die zum Ende ihrer Erdentage hin ihre Geschicke nicht mehr selbst allein bestimmen können. Diesen Menschen müssen wir Schutz und Fürsorge angedeihen lassen. Unsere Zuwendung für diese Bürger darf sich nicht in der Überwachung und Regelung ihrer vermögensrechtlichen Angelegenheiten erschöpfen. Die Sorge um die persönliche Situation der Betroffenen muß in den Mittelpunkt aller Bemühungen gestellt werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Um nicht ein Volk von Entmündigten zu werden, müssen wir in weit stärkerem Maße als bisher die Entfaltung der Persönlichkeit gerade älterer Menschen ermöglichen. Unser Motto lautet: Schutz für diese Mitbürger ja, Entrechtung nein. Ziel jeder Reform muß Freiheit und Stärkung des Selbstbestimmungsrechts sein.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Endlich!)

    Ich betreibe mit Nachdruck — dazu sind beträchtliche Vorarbeiten zu leisten — diese Reform des Entmündigungsrechts, des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, und ich hoffe, noch in diesem Jahr einen Entwurf vorlegen zu können.
    Wir werden den Umweltschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankern und damit seine Bedeutung für eine lebenswerte Zukunft unterstreichen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Damit allein ist es nicht getan. Eine interministerielle Arbeitsgruppe aus Vertretern des Justiz- und des Umweltministeriums wird noch dieses Jahr Verbesserungen beim Umwelthaftungs- und beim Umweltstrafrecht in Vorschlag bringen.
    Zum weiteren: Ein Hauptschwerpunkt dieser Legislaturperiode muß die Insolvenzrechtsreform sein. Die Zeit drängt. Noch dieses Jahr werde ich einen Entwurf vorlegen. Dann ist schließlich der Rechtsausschuß gefordert, diese äußerst umfangreiche und auch schwierige Materie zu bewältigen. Ich bin mir ganz sicher, daß der Ausschuß und sein Vorsitzender in der bereits etwa beim Bilanzrichtliniengesetz bewährten Weise diese Aufgabe sehr wirkungsvoll lösen wird.
    Unser Recht muß auf die Herausforderungen des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts Antwort geben. Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt müssen in den Dienst des Menschen gestellt werden. Das bedeutet, die Würde des Menschen und die Achtung vor dem Leben dürfen keinen Schaden nehmen. Im Bereich der Humangenetik und der sogenannten Reproduktionsmedizin — ich meine, schon dieser letzte Begriff verbreitet eher Kälte als ein Gefühl von Menschlichkeit —

    (Neuhausen [FDP]: Sehr wahr!)

    sind Entwicklungen möglich, denen rechtzeitig Einhalt geboten werden muß. Menschenzüchtung darf es nicht geben.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE])

    Bereits im Mai des letzten Jahres habe ich den Diskussionsentwurf eines Embryonenschutzgesetzes vorgelegt. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Fortpflanzungsmedizin wird in Kürze ihre Beratungen über die gesamte Problematik mit einem entsprechenden Bericht abschließen. Auf der Grundlage dieses Berichts werde ich sodann den endgültigen Entwurf eines Embryonenschutzgesetzes vorlegen.
    Die Methoden künstlicher Befruchtung dürfen nicht zur Einrichtung von menschenproduzierenden Maschinen führen. Miet-, Leih- oder Pachtmütter — wie immer man dies dann benennen mag — unterscheiden sich von solchen Produktionsmaschinen nur wenig, wenn das diesen Frauen zu zahlende Entgelt ausschlaggebendes Motiv für das Austragen dieser Kinder ist. Der Gesetzgeber muß klarstellen, daß nicht alles, was medizinisch machbar ist, auch verantwortbar und damit zulässig ist.
    Auch zivilrechtlich muß der Gesetzgeber in dieser Legislaturperiode eine Antwort etwa auf eine Frage geben, die durch die Jahrtausende als Frage nicht gestellt wurde, weil die Antwort klar war: Wer ist die Mutter? Heute müssen wir fragen: Ist es die genetische oder ist es die biologische Mutter? Wir haben uns in den Vorüberlegungen — wie ich meine — mit guten Gründen für die gebärende Frau, also die biologische Mutter entschieden.
    Vor allem um eine gesetzliche Klarstellung geht es auch bei der von mir beabsichtigten Änderung des Sexualstrafrechts. Schon nach geltendem Recht ist die Vergewaltigung einer Ehefrau nicht straflos. Sie ist als Nötigung und eventuell auch als Körperverletzung strafbar. Aber dies ist 41 % der Befragten nicht bekannt, wie eine von mir in Auftrag gegebene Umfrage ausgewiesen hat. Eine Einbeziehung der Ehefrau in die Vorschriften des Strafrechts expressis verbis wird diesem Irrtum entgegenwirken und damit Ehefrauen wirkungsvoller schützen. Ich meine allerdings, im Intimbereich der Ehe sollte niemals gegen den ausdrücklichen Willen der betroffenen Frau ein Strafverfahren stattfinden können.
    Um eine Neuregelung des Staatshaftungsrechts habe ich mich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1982 intensiv bemüht. Für mich ist es nicht hinnehmbar, daß Bürger nur unzureichend geschützt sind oder sogar leer ausgehen, wenn sie durch eine rechtswidrige Maßnahme des Staates oder eines seiner Organe einen Schaden erlitten haben. Ein gerechteres, bürgerfreundlicheres, bundeseinheitliches Staatshaftungsrecht droht immer noch an der Finanzierungsfrage zu scheitern. Das war auch wiederum Gegenstand der Erörterung bei der letzten Justizministerkonferenz. Dabei geht es jährlich um ganze 20 Millionen DM Mehrkosten für Bund, Länder und alle Gemeinden gemeinsam, um den Bürger besser zu sichern. Wir werden in unseren Bemühungen hier nicht nachlassen.

    (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Zum weiteren: Das Jugendgerichtsgesetz und der Jugendstrafvollzug müssen noch stärker am Erziehungsgedanken orientiert werden. Bereits 1983 habe ich einen Referentenentwurf zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes vorgelegt, der wegen finanziel-



    Bundesminister Engelhard
    ler, hauptsächlich bei den Ländern liegender Probleme nicht eingebracht werden konnte. Ich appelliere nochmals an alle, die an der Reform des Jugendgerichtsgesetzes und der Schaffung eines Jugendstrafvollzugsgesetzes mitwirken müssen: Bedenken Sie, daß Investitionen heute der beste Schutz der Gesellschaft von morgen sind.
    Ich spreche noch das Dauerproblem der Überlastung der Gerichte an. Wir werden das, was uns zu tun aufgegeben ist, erfüllen. Ich setze aber hinzu, daß es nicht damit getan sein kann, ständig Änderungen gerichtlicher Verfahrungsordnungen vorzunehmen, also von einer Gesetzesänderung gleichsam zur nächsten zu hasten.

    (Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Auch der Ruf „Stellt doch mehr Richter ein", der sich übrigens vornehmlich jeweils an die Länder richtet, kann das Problem allein nicht lösen.
    Effektiverer gerichtlicher Rechtsschutz: Dieses in unserem Rechtsstaat so überaus wichtige Instrument des Bürgers zur Verteidigung und Durchsetzung seiner Rechte verlangt nach etwas grundsätzlicheren Lösungen. Ich bin daher dabei, eine Strukturanalyse der Justiz in Gang zu setzen und in Angriff zu nehmen. Wir wollen herausfinden, wie Kapazitätsreserven in der Justiz aufgefunden und mobilisiert werden können, wie wir der Justiz mit den vorhandenen Mitteln eine modernere und leistungsfähigere Struktur geben können. Um ein anderes Beispiel zu nennen: Die gegenwärtigen Mängel unseres Strafverfahrens lassen sich durch Teilreformen hier und da nicht mehr befriedigend anpacken. Ich werde deshalb — und dies stand bereits vor nunmehr 22 Jahren im politischen Raum in der Diskussion — eine große Strafverfahrenskommission einberufen, die Vorschläge für eine Gesamtkonzeption des künftigen Strafverfahrens erarbeiten soll. Meine Damen und Herren, meinem Verständnis von verantwortlicher Politik entsprechen gründlich vorbereitete, durchdachte und vor allem an den Folgen orientierte Gesetzentwürfe, bei denen schon im Vorfeld das Pro und Kontra sorgfältig abgewogen worden ist. Darum wollen wir uns auch in dieser Legislaturperiode nachdrücklich bemühen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete de With.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans de With


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Überschrift des Leitartikels der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Tag der Eröffnung der Haushaltsdebatte lautete: „Keine Liebe für den Rechtsstaat". Fernando Wassner bescheinigt dort uns Deutschen aus im wesentlichen zwei Gründen einen Mangel an Rechtskultur. Mag man nun Wassners Argumentation folgen oder nicht, über zwei Feststellungen, meine ich, gibt es keinen Streit:
    Erstens. Wir sind wahrscheinlich der Staat mit der umfassendsten und wohl auch sichersten Rechtsgarantie. Es ist ja schon beinahe ein geflügeltes Wort, wenn ein Bedrängter ärgerlich sagt: „Und wenn ich bis nach Karlsruhe gehen muß".
    Zweitens. Mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts genießen jedoch andererseits Rechtswesen und vor allem die Rechtspolitik bei den Umfragen keineswegs das größte Vertrauen, und das, obwohl sich Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte tagtäglich redlich abmühen, Überstunden Woche für Woche als selbstverständlich hinnehmen, ja auch ihren Kopf für den Rechtsstaat hinzuhalten bereit sind, wofür wir ihnen den erforderlichen Respekt zu zollen haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Sicherlich liegt eine Ursache in unserer geschichtlichen Entwicklung. Bei uns haben die Bürger die Magna Charta und das Habeas Corpus der Obrigkeit nicht in einem schmerzlichen Prozeß wie in Großbritannien abgezwungen oder abgerungen und damit einen Bestandteil der Demokratie geschaffen. Bei uns gab es die rechtslastige politische Rechtsprechung der Weimarer Zeit und die Gleichschaltung auch der Justiz unter Hitler. Gustav Radbruch hat das von Anfang an gesehen. Thomas Dehler hat diesen Umstand temperamentvoll kritisiert, und Max Güde hat diese Vergangenheit als Motivation für seine Bundestagstätigkeit angesehen.
    Die Konsequenz für uns als Rechtspolitiker und Gesetzgeber kann nur sein, Bedacht zu nehmen, daß sich Recht und Gesetz in Einklang befinden, daß Rechts- und Justizpolitik nicht zur kleinen Münze im tagtäglichen Parteienstreit werden und der Rechtsgewährung ein gebührender Anteil gewährt wird. Die Zeit der großen Justizreformen von Gustav Heinemann über Gerhard Jahn und Hans-Jochen Vogel bis hin zu Jürgen Schmude steht dafür. Natürlich kann nicht Reform auf Reform folgen. Recht muß sich auch setzen. Aber die Defizite der Regierung Kohl, Genscher, Strauß in der Rechtspolitik sind einfach unübersehbar.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

    Da liegen seit nunmehr geraumer Zeit die beiden Berichte der Insolvenzrechtskommission zur Reform des Konkursrechts vor. Da bewegen sich seit Jahren die Zahlen der in Konkurs gegangenen Betriebe in einsamer Höhe, die Konkursquoten für die Gläubiger hingegen — meist Handwerker und Arbeitnehmer — in einsamer Tiefe. Gewinner sind fast nur die Banken mit Hilfe der Sicherung durch die sogenannten Mobiliarkredite. Ein Milliardenvermögen wird verschleudert. Tausende von Arbeitsplätzen gehen verloren.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie haben 13 Jahre Zeit gehabt, Herr de With!)

    — Danke schön, Herr Stark.
    Konkursrichter und Konkursverwalter versuchen, am Geist eines jahrhundertealten Gesetzes vorbei zu retten, was zu retten ist, und noch immer — Herr Minister, das muß ich Ihnen vorhalten — ist nicht abzusehen, was die Koalition wirklich will und wann wir ein neues Konkursrecht haben werden. Am Rechtsausschuß wird es — jedenfalls was uns angeht — wahrscheinlich nicht liegen.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

    Sie haben sich zwar in der letzen Legislaturperiode vor dem Sparkassenprüfertag geäußert und auf eine Frage noch einmal im Rechtsausschuß des Deutschen



    Dr. de With
    Bundestages am 6. Mai, heute nicht inhaltlich. Danach ist eher anzunehmen, daß die FDP zu den Banken übergelaufen ist und die Vorschläge der neutralen Expertenkommission links liegen lassen wird. Von Ausgewogenheit zwischen sozialer Verpflichtung und Sicherung des Kreditwesens kann dann nicht mehr die Rede sein.
    Wir Sozialdemokraten haben demgegenüber unseren Standpunkt zum Inhalt des neuen Insolvenzrechts — das betone ich — unter Einbeziehung der Überschuldung von Arbeitnehmern und Verbrauchern längst detailliert dargelegt. Wer unschuldig — weil arbeitslos — seine Raten nicht bezahlen kann und sich so nach mehreren Umschuldungen lebenslang im sogenannten modernen Schuldturm befindet, ist ebenso schutzwürdig wie der in Konkurs geratene Betrieb.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

    Was soll der Normalbürger denken, der seine Forderung dahinschwinden sieht, aber feststellen muß, daß die Banken — nennen wir es so — abräumen und deshalb meist zu 100 % gesichert sind?
    Am 30. August 1983, also vor fast genau vier Jahren, hatte sich Kemal Altun, ein türkischer Asylbewerber, in Berlin aus dem Fenster gestürzt. Er glaubte, daß er trotz Asylgewährung ausgeliefert werden würde, denn damals wie heute können in derselben Sache von verschiedenen Einrichtungen des Staates verschiedene Entscheidungen ergehen. Wird das Asylrecht gewährt, kann gleichzeitig eine Gerichtsentscheidung ergehen, die auf Ersuchen des Heimatstaates die Auslieferung an diesen erlaubt. Wir Sozialdemokraten haben deshalb einen Gesetzentwurf zur Harmonisierung des Asylverfahrens mit dem Auslieferungsverfahren vorgelegt und nach ständigem Drängen im Rechtsausschuß von Ihnen, Herr Justizminister, die Zusage erhalten, einer solchen Harmonisierung werde zugestimmt. Eine Verabschiedung dieses Entwurfes aber hat die Koalition bis heute ebenso verzögert, wie sie es versäumt hat, einen eigenen entsprechenden Entwurf überhaupt nur einzubringen.
    Noch immer ist es deshalb möglich, daß die skizzierten unterschiedlichen Entscheidungen getroffen werden. Natürlich will ich nicht unterstellen, daß nach dem so tragischen Freitod des Kemal Altun die Auslieferung erfolgt, wenn das Recht auf Asyl gewährt worden ist; aber was soll eigentlich der Betroffene denken, der unsere Rechtsprechung nicht verfolgt, wenn der Staat auf der einen Seite Asyl gewährt, auf der anderen Seite erklärt, daß er wohl ausgeliefert werden kann? Hier klaffen Recht, Gesetz und Rechtsanwendung deutlich auseinander.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Hier liegt eine Quelle des Unbehagens, von der ich eingangs sprach. Uneinigkeit und Unfähigkeit — Unwilligkeit will ich gar nicht unterstellen — haben die Regierungskoalition bis heute davon abgehalten, diesen offenkundigen, in der Tat — das ist nicht zu hoch gegriffen — das Leben berührenden Mißstand zu beseitigen.
    Die Sozialdemokraten hatten durch die Drohung mit einem Volksentscheid erzwungen, daß das Staatsziel Umweltschutz in der bayerischen Verfassung verankert wurde. Wir haben dementsprechend einen Gesetzesantrag zur Verankerung dieses Staatsziels auch im Grundgesetz eingebracht, nachdem sich die Regelung — so ist es — in Bayern bewährt hatte. Unsere Vorlage liegt ausformuliert vor. Ein Anhörungsverfahren hatten wir im Bundesrat. Aber noch immer ist sich die Koalition nicht im klaren — Sie haben kein Wort dazu gesagt, Herr Minister — , wo sie das Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz ansiedeln und vor allem wie sie es ausformulieren will. Die Regierungskoalition überlegt offenbar noch immer, wie sie das bereits faktisch bestehende Staatsziel Umweltschutz möglichst — lassen Sie mich das so sagen — klein und bescheiden halten kann. Eine Regelung zweiter Klasse steht zu erwarten, obwohl die Verabschiedung des SPD-Vorschlages längst möglich gewesen wäre.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist das!)

    Anspruch und Wirklichkeit klaffen auch hier auseinander.

    (Fellner [CDU/CSU]: Sie brauchen dazu eine Zweidrittelmehrheit!)

    Sie hätten Gelegenheit gehabt, dazu im Rechtsausschuß ja zu sagen, und wir haben oft darüber debattiert.
    Die Große Anfrage der SPD zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 25. April 1987 ist noch immer nicht beantwortet. Ende des Jahres soll es soweit sein, läßt die Bundesregierung verlauten, und Sie haben hier erneut eine Ankündigung gebracht, Herr Minister. Wir hatten immerhin den gigantischen Umweltskandal bei Sandoz in Basel und spüren die Folgen noch heute.

    (Dr. Langner [CDU/CSU]: Mit und ohne Grundgesetzänderung! — Fellner [CDU/ CSU]: Dafür kann das Grundgesetz nichts!)

    Aber die Koalition kann sich offenbar nicht rechtzeitig über die Weiterentwicklung der Rechtsträgerverantwortung oder z. B. die Einführung eines weiteren Straftatbestandes zum Schutz des Bodens einigen. Vertrauen kann der Bürger in seinen Staat nur fassen, wenn er den Eindruck gewinnt, daß die Verfolgung von Umweltsündern nicht nur in Sonntagsreden gefordert, sondern auch tatsächlich in gebotenem Umfang ermöglicht wird. Dazu ist es erforderlich, daß der Staat rasch reagiert.
    Nicht anders steht es mit der zur selben Zeit eingebrachten Großen Anfrage der SPD zum Datenschutz im Strafverfahren. Bisher hat es nur zu einer unrühmlichen Regelung, der sogenannten Schleppnetzfahndung gereicht, obwohl vom Bundesverfassungsgericht ein umfassender Gesetzesauftrag vorliegt. Daß sich die Minister Zimmermann und Engelhard schwertun, gemeinsam den Karren zu ziehen, ist — lassen Sie mich das im Jargon sagen — schon beinahe gerichtsnotorisch. Daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht zur Bewahrung von Freiheit, Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit so nötig ist wie der Schutz der klassischen Bürgerrechte, wissen beide und wir alle. Und daß personenbezogene Sammlun-



    Dr. de With
    gen solcher Daten ohne die gebotene gesetzliche Regelung nur „für eine gewisse Übergangszeit hingenommen werden" dürfen, müssen Ihnen nach der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juli 1985, wohlgemerkt 1985 — beide Minister sind in Bayern zu Hause — , die Beamten der Ministerien längst erläutert haben. Wie lange muß diese Übergangszeit eigentlich noch ausgedehnt werden, ist der Bundeskanzler im Kern zu fragen, wenn seine Minister nicht können, nicht wollen oder nicht mögen.
    Der Bürger wird auf die Dauer nur dann bereit sein
    — und hier stimme ich mit Herrn Hirsch überein —, Staatsanwaltschaft und Polizei rückhaltlos zu informieren, wenn er weiß, daß der Schutz seiner persönlichen Daten respektiert wird, weil ein Gesetz das befiehlt. Schon der alte Lafayette wußte, daß das geschriebene Recht, das Gesetz, das Recht des kleinen Mannes darstellt. Wie soll der Bürger dem Staat trauen, wenn er von „rechtsfreien Räumen" weiß, die geschlossen werden sollten, geschlossen werden könnten, aber bisher nicht geschlossen worden sind?
    Nein, die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß diese Koalititon in der Rechtspolitik bockt und stockt.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Was für ein Stock? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Sie können das nachher genüßlich nachlesen.
    FDP und CDU konnten sich niemals auf einen umfänglichen gemeinsamen Nenner stützen, und sie bewegen sich noch immer weiter auseinander. Das kennen wir

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    — hören Sie gut zu! — von dem ewigen Hin und Her im Bereich der Wehrstrafgerichtsbarkeit. Die Zeit ist reif, die Planspiele zu beenden und einer besonderen Wehrstrafgerichtsbarkeit endlich eine Absage zu erteilen.
    Die Zerrissenheit der Koalition ist für jedermann eine absolute Realität bei den ewigen Streitereien zum Demonstrationsstrafrecht.

    (Bohl [CDU/CSU]: Jetzt bocken aber Sie!)

    Herr Minister Engelhard hat das geflissentlich ausgelassen. Hier wollen CDU/CSU — vor allem die CSU — die Strafbarkeit der Vermummung, ja die Wiedereinführung des unseligen Landfriedensbruch-Paragraphen obrigkeitsstaatlicher Prägung.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wie bei Umweltschädigern! )

    Dabei kann die Bundesregierung keinerlei Material liefern, das die frühere und offenbar beabsichtigte weitere Verschärfung rechtfertigen würden.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wie bei Umweltschädigern!)

    Die FDP — jetzt komme ich zur FDP — weiß, daß solche Strafvorschriften nur auf dem Papier stünden,
    in der Praxis gegen Gewalttäter nichts brächten und allenfalls die Rechtstreuen abschrecken würde.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

    Männer wie Jürgen Baumann, der frühere Justizsenator von Berlin, stehen dagegen. Wie stark — das ist zu fragen — ist eigentlich noch der liberale Kern der FDP? Die Landesvorsitzenden der FDP von Bayern und Baden-Württemberg, Brunner und Döring, wollten der Richtung Zimmermann, Dregger und Strauß folgen.

    (Fellner [CDU/CSU]: Kitzeln Sie die Herrn doch nicht!)

    — Sie natürlich auch. — Der Generalsekretär, Herr Kollege Haussmann — er sitzt jetzt nicht hier — , lag auf genau der gleichen Linie. Und das schon als Vermummungsparteitag apostrophierte Treffen der FDP in Kiel konnte nach einer — wie man lesen kann — sechs- oder gar neunstündigen Dauerverhandlung im Vorstand mit Hilfe eines Formelkompromisses gerade noch aus dem schlingernden Fahrwasser gebracht werden. Die Formel, wonach „nach jetziger Sachlage" — so wörtlich — „die Gründe gegen eine Änderung der geltenden Rechtslage " überwiegen, läßt deshalb die Frage offen, wann oder unter welchen Umständen die FDP nicht doch noch umfällt und über das Stöckchen springt.