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ID1102409700

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    Plenarprotokoll 11/24 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 24. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Jahn (Marburg) 1563 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Vogel SPD 1563 a Dr. Waigel CDU/CSU 1576 D Ebermann GRÜNE 1586 B Ronneburger FDP 1590 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1593 B Dr. Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 1602 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 1602 C Frau Geiger CDU/CSU 1607 C Frau Hensel GRÜNE 1610 B Genscher, Bundesminister AA 1611 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 1615 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 1618 C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 1620 A Frau Seiler-Albring FDP 1622 D Kühbacher SPD 1624 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 1626 D Horn SPD 1632 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 1633 D Dr. Penner SPD 1636 B Möllemann, Bundesminister BMBW 1642 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 1643 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 1646D Dr. Hirsch FDP 1649 B Bernrath SPD 1651 C Engelhard, Bundesminister BMJ 1653 C Dr. de With SPD 1655 B Dr. Wittmann CDU/CSU 1658 D Häfner GRÜNE 1660 D Lüder FDP 1663 C Nächste Sitzung 1664 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1665* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 1563 24. Sitzung Bonn, den 10. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Bühler (Bruchsal) * 10. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Eigen 11. 9. Dr. Feldmann ' 11. 9. Großmann 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Lemmrich * 10. 9. Frau Luuk * 11. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Dr. Unland ** 10. 9. Volmer 11. 9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Antje Vollmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Möllemann, was Sie eigentlich getrieben hat, uns in dieser Debatte in die Quere zu kommen, habe ich überhaupt nicht richtig begriffen. Aber ich mach's einmal so: Ich hüpfe über Sie und über die Fettnäpfchen, in die Sie getapst sind, einfach so hinweg und schließe bei Herrn Zimmermann an. Der hat seine Rede mit scharfen Worten zur Lage der inneren Sicherheit begonnen. Nun ist das natürlich nicht zufällig so. Man weiß, daß Ihr Herz, Herr Zimmermann, in dieser Frage mit besonderer Leidenschaft schlägt. Aber ich weiß auch, daß das eine sehr gefährliche Leidenschaft ist, der Sie da verfallen sind. Wir aber nehmen diese Herausforderung sehr gerne an, über diese Frage möchten wir mit Ihnen auch diskutieren. Ich denke, wir sollten uns auf eines einigen, daß nämlich als Voraussetzung für diese Debatte Pflichtlektüre das ist, was im „Spiegel" steht:

    (Dr. Probst [CDU/CSU]: Aha!)

    an Berichten über die Zeit vor zehn Jahren, über die Debatten im Krisenstab. Und ich sage Ihnen auch: Wir freuen uns auf diese Auseinandersetzung. Diesmal gehen wir in diese Auseinandersetzung nicht geschichtslos, sondern mit sehr genauen, sehr detaillierten Kenntnissen über die Zeit damals hinein. — Und, Herr Gerster: So schön war die Zeit nicht, als die SPD damals die Verantwortung für diese Politik der inneren Sicherheit hatte. —

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie waren damals noch nicht da! Das war ein positiver Aspekt!)




    Frau Dr. Vollmer
    Wir gehen in diese Debatte aber auch mit einem bestimmten Maßstab, und an dem werden wir Sie messen, Herr Zimmermann. Und dieser Maßstab ist, daß die Frage der Liberalität und der Freiheit einer Gesellschaft nicht etwa daran gemessen werden darf, wie fähig sie ist, Ausgeschlossene zu jagen, und wie gut sie sich gegenüber Ausgeschlossenen abschließen und betonieren kann, sondern daran gemessen wird, wie fähig sie ist, diese zu integrieren und sich damit selbst zu verändern. Das ist die entscheidende Frage.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nun komme ich zu dem, was ich vorbereitet habe, und da wollte ich mit einer kleinen Geschichte, mit einer kleinen und boshaften Geschichte anfangen. Es ist eine Geschichte, die nahezu überall passieren könnte. Sie könnte sich z. B. auf dem Frankfurter Hauptbahnhof zugetragen haben. Sie könnte sich auch — darüber ist ja schon gesprochen worden — nachts in der chinesischen Staatsbahn erster Klasse zugetragen haben. Das wäre sogar ein sehr schöner, exotischer Rahmen für eine solche typisch deutsche Geschichte. Denn wir wissen ja, daß in der letzten Zeit sehr viel nach China gereist wird.
    Also, die Geschichte geht so: Ein Jude sitzt da nachts in der chinesischen Staatsbahn, erster Klasse, und er sitzt drei Deutschen gegenüber. Der Jude hat vor, in den Speisewagen zu gehen, hat aber dieses Problem mit seinem Koffer, den er im Abteil zurücklassen will. Da sitzt also dieser Jude nachts in der chinesischen Staatsbahn, erster Klasse, und beginnt, mit den Deutschen zu reden. Er sagt zu dem ersten: „Mein Herr, sind Sie ein Antisemit?" „Wo denken Sie hin", sagt der Deutsche. „Ich doch nicht, ganz im Gegenteil: Ich bin ein großer Freund des Beitrags der Juden zur deutschen Kultur."
    Der Jude fragt den nächsten Deutschen: „Mein Herr, sind Sie ein Antisemit?" „Ach, wissen Sie", sagt der zweite Deutsche, „das ist doch lange her, und damals war eine andere Zeit. Heute haben wir sowieso ganz andere Verhältnisse, und die meisten Deutschen sind sowieso Spätgeborene."
    Der Jude versucht es bei dem dritten Deutschen, nachts in der chinesischen Staatsbahn, erster Klasse, und sagt: „Mein Herrn, sind Sie ein Antisemit?" „Aber sicher", sagt der dritte. „Sie sind ein ehrlicher Mann", sagt der Jude. „Würden Sie die Freundlichkeit haben, auf meinen Koffer aufzupassen?"
    Diese kleine, böse Geschichte soll ein Beispiel sein. Natürlich ist der Oberbürgermeister von Frankfurt, Brück, kein Antisemit, der auf dem Börneplatz, wo das alte Judenviertel war, lieber eine Kaufhalle bauen läßt. Natürlich ist auch der Oberbürgermeister von Bonn, Herr Daniels, kein Antisemit, der auf dem Platz der ehemaligen jüdischen Synagoge ein Luxushotel und einen Parkplatz bauen läßt. Natürlich ist auch Herr Stoiber kein Antisemit, der heute den GRÜNEN in Bayern verboten hat, mit Herrn Honecker zusammen Dachau zu besuchen. Natürlich sind auch Herr Stoltenberg und Herr Zimmermann keine Antisemiten, die in diesem Haushaltsentwurf etwas vergessen haben, nämlich die Gelder für die Entschädigung der
    vergessenen Opfer des Nationalsozialismus jetzt schon auszuweisen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Trotzdem würde ich weder Ihnen, Herr Stoltenberg — der nicht da ist —, noch Ihnen, Herr Zimmermann, meinen Koffer anvertrauen, wenn ich Betroffene Ihrer Politik wäre. Ich will dies an drei Beispielen aus dem Bereich der Innenpolitik verdeutlichen.
    Erstes Thema: Die Frage der Entschädigung der Verfolgten des NS-Regimes. Noch kurz vor der Sommerpause am 24. Juli 1987 fand zu diesem Thema eine Anhörung des Innenausschusses im Deutschen Bundestag statt. Das war eine Anhörung, wie sie nicht alle Tage stattfindet. Alle die dabei waren, werden sich an die besondere Stimmung gerade dieser Anhörung erinnern. Alle werden wissen, daß es damals einen ganz bestimmten Höhepunkt gab, wo alles auf des Messers Schneide stand. Das war zu dem Zeitpunkt, als nach sehr eindringlichen Berichten vieler Betroffener deutlich wurde, wie beschämend, wie unwürdig, wie ganz und gar unverständlich für viele dieser vergessenen Opfergruppen der Prozeß gewesen war, in dem sie um so etwas wie Gerechtigkeit gekämpft hatten. Sie hatten viel weniger um Geld gekämpft, sondern viel mehr um die Anerkennung ihrer Leiden und um so etwas wie eine ehrenvolle Stellung in einer Gesellschaft, die versprochen hatte, demokratisch zu sein und wirklich gründlich mit den nationalsozialistischen Vorurteilen und Diskriminierungen abzurechnen.
    Als damals durch die Fülle der Aussagen immer deutlicher wurde, daß es gerade an dieser Anerkennung z. B. für die Sinti und Roma, z. B. für die Kommunisten, z. B. für die Zwangssterilisierten, z. B. für die Homosexuellen gefehlt hatte, entstand der Eindruck, daß es wenig Grund zum Stolz gebe über die bisherige sogenannte Wiedergutmachungspraxis.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Gerade an dieser Stelle wurde, ich glaube von Ihnen, Herr Hirsch, der Vertreter des Zentralrats der Juden, Herr Werner Nachmann, als Zeuge aufgerufen. Er sollte folgendes dokumentieren: Er sollte sagen, es sei viel geleistet worden, es hätte viel Geld gegeben aus den Bundeshaushalten für das Bundesentschädigungsgesetz. Genau in diesem Moment ist etwas sehr Besonderes passiert, was in diesem Parlament nicht oft passiert: Werner Nachmann hat natürlich anerkannt, daß es umfangreiche Entschädigungsleistungen gegeben hat, aber er hat sich nicht als Zeuge gegen die anderen Opfergruppen aufrufen lassen. Er hat folgendes gesagt:
    Bedenken Sie, meine Damen und Herren, den ungeheuren Schritt, den es bedeutet hat, daß wir Juden überhaupt dieses Projekt der sogenannten Wiedergutmachung für etwas, was gar nicht wiedergutzumachen ist, akzeptiert haben. Unsere Bereitschaft, sich darauf einzulassen, das war der Grund dafür, daß den Deutschen überhaupt ein Weg in die Gemeinschaft der Völker nach Auschwitz wieder eröffnet worden ist.
    Es ist also wirklich zu fragen: Wer hat eigentlich von
    dieser ganzen Entschädigungspraxis mehr profitiert?



    Frau Dr. Vollmer
    Es ist heftig jenen zu widersprechen, die meinen, dieses Problem sei irgendwann einmal auch haushaltspolitisch mit einer Null-Summe abzuschließen. Diese Erkenntnis war damals, kurz vor der Sommerpause — das will ich ausdrücklich vermerken —, Erkenntnis aller vier Parteien. Es gab Erklärungen von allen vier Fraktionen, daß möglichst bald eine Lösung gesucht werden sollte. Es sind damals Hoffnungen erweckt worden, nicht so sehr Hoffnungen im Sinne der geldlichen Leistungen, sondern Hoffnungen im Sinne der schnellen Abwicklung dieser Frage.
    Wer das will, wer den vergessenen Opfern, wenn auch spät, Gerechtigkeit verschaffen will, der muß genau eines tun: Er muß schon in den jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf den Etat für die Entschädigung der vergessenen Opfer, der jüdischen und der nichtjüdischen Opfer, einplanen.
    Wenn wir erst abwarten, bis der Innenausschuß zu einer endgültigen Regelung der Einzelfragen käme, dann wäre dieser Haushalt abgeschlossen, und das hieße konkret, die Gelder würden erst im übernächsten Jahr, wenn überhaupt, eingeplant werden können. Das hieße wiederum, ein gut Teil der Anspruchsberechtigten wäre darüber gestorben.
    Die Frage des Juden in der chinesischen Staatsbahn hieße also in diesem Fall — sagen Sie es jetzt ehrlich — : Herr Stoltenberg und Herr Zimmermann, wollen Sie diesen Posten jetzt einplanen? Dann tun Sie es auch, und dann berücksichtigen Sie dafür 800 Millionen in diesem Etat. Das ist die Summe, die wir mit den Verfolgtengruppen, auch mit dem Zentralrat der Juden als realistisch und notwendig abgesprochen haben. Sonst seien Sie wenigstens so ehrlich, und sagen Sie, was Sie vorhaben. Verschieben Sie das aber nicht auf einen Zeitraum, wo niemand mehr lebt, der heute noch hofft.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie wissen genau, daß wir etwas anderes im Innenausschuß vereinbart haben!)

    Zweites Beispiel: die Ausländerpolitik. Dieses Mal muß die Frage des Juden in der chinesischen Staatsbahn in folgende Frage übersetzt werden: Herr Zimmermann, sind Sie eigentlich ausländerfeindlich? Haushaltspolitisch hieße dies: Haben Sie z. B. Gelder für ein Antifolterzentrum eingeplant, wie es dies in Schweden gibt? Wo stellen Sie Gelder für Flüchtlinge zur Verfügung, die Hilfe benötigen, um die Bundesrepublik überhaupt zu erreichen? Wie erklären Sie, daß der Sozialhilfesatz gerade für Asylsuchende um 20 % gekürzt wurde? Wo stellen Sie Gelder für die Qualifizierung von Jugendlichen und von Kindern der Flüchtlinge zur Verfügung? Es ist natürlich klar — von daher ist so ein Haushaltsentwurf immer ausgesprochen ehrlich, weil man mit Zahlen weniger lügen kann als mit Worten — ,

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    daß, wenn man keine Flüchtlinge haben will, diese dann auch nichts kosten. Das ist eine schlichte Wahrheit, und das wird in Ihrem Entwurf dokumentiert.
    Dabei hätten wir auch Sparvorschläge zu machen. Zum Beispiel könnte man die vorgesehenen Abschiebungsgelder sparen, wenn wir den Leuten ermöglichen würden, hierzubleiben. Sparen könnte man auch die völlig unnötigen Gelder für die Begleitung durch den Bundesgrenzschutz, der bei Abschiebeaktionen die Betreffenden bis nach Zypern begleiten muß. Das sind völlig unnötige Kosten.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Toilettenpapier haben Sie vergessen! Das kann man auch noch einsparen!)

    Drittes Beispiel: die Kulturpolitik. In diesem Falle hieße modifiziert die Frage des Juden in der chinesischen Staatsbahn: Lieben Sie die Kultur, Herr Zimmermann? Ich gebe zu: Wenn ich Ihre Person so betrachte, ist das schon eine etwas komische Frage.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Probst [CDU/CSU]: Was soll das denn?)

    Auch hier gibt der vorliegende Haushaltsentwurf eine ziemlich eindeutige Antwort, die schon fast ehrlich zu nennen ist. Das allseits bekannte Selbstbewußtsein, daß die Deutschen eine große Kulturnation zu nennen seien, weist sich im Haushalt mit kläglichen zwei Prozent Anteil für den Kulturbereich am Gesamtetat aus.

    (Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Von den Ländern haben Sie noch nie etwas gehört!)

    — Ich kenne das mit den Ländern.
    Das ist denkbar wenig, wenn man bedenkt, daß auch die Künstler ganz entgegen ihrem Ruf nicht allein von der Luft und der Liebe leben können.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die leben von ihrem Können!)

    Erschwerend kommt aber auch hinzu, daß Sie ja tatsächlich im Bereich der Kultur regelrechte nationale Großtaten vorhaben. Es gibt da die Planung — der Bundeskanzler hängt sehr daran — für die Museumsneubauten in Berlin und Bonn. Das soll ja so etwas werden wie ein „Centre Helmut Kohl"; das soll das deutsche nationale Museum sein. Ich wundere mich zwar immer, warum dieser Bundeskanzler das für seine Repräsentation braucht. Denn Joschka Fischer hat ja einmal zu Recht gesagt, daß der Bundeskanzler an sich schon nicht nur ein pfälzisches, son-dem auch ein deutsches Gesamtkunstwerk sei. Aber er will dieses nationale Museum haben, so wie es das Centre Pompidou in Paris gibt. Es steht sehr zu befürchten, daß er ausgerechnet die Gelder für diese seine nationale Großtat aus den Fonds nehmen will, die wir für andere Zwecke dringend brauchen, z. B. für die Künstlersozialversicherung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dazu kann man aus der Dokumentation für diese Stiftung einiges zitieren; das erspare ich mir jetzt. Aber ich weise darauf hin, daß dieses eine sehr gefährliche Konsequenz hat. Das heißt nämlich, daß nur noch die Kunst akzeptiert wird, die sozusagen regierungskonform und im Sinne der nationalen Größe arbeitet.

    (Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Riesenquatsch!)




    Frau Dr. Vollmer
    Damit wird ein entscheidendes Lebenselixier von Kunst, nämlich daß sie gerade im Widerspruch zur Regierungspolitik und auch zum Zeitgeist existiert, vernichtet.

    (Kühbacher [SPD]: Das stimmt doch nicht! — Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Definieren Sie doch mal, was Sie unter Kunst verstehen!)

    — Kunst kommt auch von kontern.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Dazu allerdings brauchen die Künstler auch so etwas wie existentielle Unabhängigkeit — was Sie für sich als Abgeordnete immer beanspruchen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    So denke ich denn, daß man für den Bereich der Kulturpolitik ungefähr zu folgendem Schluß kommen muß: Das Volk der Dichter und Denker scheint heute — jedenfalls wenn man den Kulturetat betrachtet — dabeizusein, seine zeitgemäße Aufgabe in der Errichtung jener beiden Museumskolosse zu finden. Es wäre dies zwar eine ehrliche Antwort, aber lassen Sie mich dazu auch noch folgendes sagen: Das heißt dann auch, daß sich das Volk der Dichter und Denker zur Zeit eine Sendepause im Bereich „Kunst und Kultur" genehmigt und damit beschäftigt ist, das Wunschbild seiner eigenen nationalen Größe ebenso in Beton zu gießen, wie es weiland Kaiser Wilhelm II. mit seiner Flotte gemacht hat.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die derzeitigen Kulturaufgaben für das gemeine Volk übernehmen danach der Tennissport, das Skatspiel und das ununterbrochene, ununterscheidbare graue Rauschen der Videokassetten.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: So einen Stuß haben wir lange nicht gehört!)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Burkhard Hirsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man alles richtigstellen wollte, was die Frau Kollegin Vollmer uns hier dargeboten hat, müßte man wirklich eine stundenlange Unterhaltung führen, und das ist sicherlich eine gar nicht so einfache Aufgabe.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie Sie wissen, nützt es nichts!)

    Nun, Sie haben uns mit einer Geschichte aus der ersten Klasse der chinesischen Staatsbahn erfreut. Manche Kollegen werden sich zu Recht fragen, was denn die Nacht in der chinesischen Staatsbahn — die erste Klasse ist übrigens sehr empfehlenswert — mit unserer Etatdebatte zu tun hat. Da gibt es Parallelen: Manches, was man hört, kommt einem ziemlich chinesisch vor; man darf sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, wie man gerne möchte; der Blick auf die Umgebung bleibt flüchtig und begrenzt; vor allem richtet er sich nur selten nach vorn; man trifft immer wieder alte Bekannte; das Ziel des Unternehmens wird auf das angenehmste beschrieben, und man wäre manchmal doch für nähere Erläuterungen durchaus dankbar.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Ein schönes Porträt von Herrn Möllemann!)

    Damit bin ich beim Haushalt: Die Zahlen sind keinesfalls atemberaubend. Die Veränderungen gegenüber dem Vorjahr halten sich in engen Grenzen, aber es gibt durchaus erläuterungsbedürftige und erläuterungswürdige Positionen: die Projekte der Öffentlichkeitsarbeit, die notwendige Präzisierung der internationalen Zusammenarbeit der Polizeien, der beachtliche Minderbedarf beim Bundeskriminalamt und beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, bei dem unseres Wissens die im Haushalt 1987 eingesetzten 86 neuen Planstellen für Entscheider nur zu einem kleinen Teil besetzt worden sind, was in einem erstaunlichen Gegensatz zu der immer wieder beschworenen „Flut politischer Flüchtlinge" steht.
    Es interessiert uns, daß die Mittel für Hilfen zur Rauschgiftbekämpfung im Ausland um eine Million steigen sollen, aber die Mittel für den Museumsbau für ostdeutsche Kulturregionen um 2,5 Millionen. Wir brauchen mehr Klarheit über die politischen und gesetzgeberischen Absichten im Bereich des Zivilschutzes, den wir wie unsere Kollegen in der Koalition für wichtig halten und bei dem wir wiederholen, daß er nur zusammen mit den freiwilligen Organisationen funktionieren kann, so daß wir uns bei einer anstehenden Gesetzgebung intensiv mit ihnen zusammensetzen müssen, wie übrigens ein vernünftiger Zivilschutz im Falle bewaffneter Auseinandersetzungen auch vernünftige humanitäre Regeln des Kriegsvölkerrechts voraussetzt.
    Wir brauchen mehr Klarheit über die strukturelle Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts. Der Kollege Gerster hat ja sehr eindrucksvoll dargestellt, was wir im Laufe der letzten Monate da schon getan haben. Wir erwarten, daß wir uns bald mit dem von der Bundesregierung angeforderten und zugesagten Bericht auseinandersetzen können.
    Schließlich, Frau Kollegin Vollmer, sind wir entschlossen, bei der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts die Folgerungen aus der Anhörung des Innenausschusses zu ziehen und noch in diesem Jahr politisch zu entscheiden. Wir bitten die Bundesregierung, d. h. alle beteiligten Ressorts, die dafür wünschenswerten Entscheidungsgrundlagen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.

    (Beifall bei der FDP — Kühbacher [SPD]: Bleiben Sie auch bei der Stange?)

    Ich habe übrigens niemals jemanden als Zeugen gegen andere Verfolgtengruppen aufgerufen. Es ging bei dieser Diskussion um eine These der Abgeordneten Vollmer — ich sehe sie im Moment nicht —,

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Es war beschämend, Herr Hirsch!)

    die wir leidenschaftlich bekämpfen müssen, nämlich
    die wirklich unverschämte Behauptung, daß die Wiedergutmachung eine Fortsetzung der rassistischen



    Dr. Hirsch
    und politischen Diskriminierung des Dritten Reiches gewesen sei.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Damit wird alles madig gemacht, was wir in diesem Bereich gemeinsam — alle Fraktionen — getan haben. Unser guter Wille, hier fortzufahren, wird in einer Weise tangiert, wie ich es weder sachlich noch menschlich für geboten und vernünftig halte.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir werden die sachbezogene, zu vielen Kollegen freundschaftliche Zusammenarbeit in der Koalition fortsetzen. Es wird uns dabei nicht irritieren, daß wir von bayerischen Landespolitikern fortgesetzt und unzivilisiert beschimpft werden, obwohl wir den politischen Sinn dieses Umgangs nicht verstehen. Eine Koalition ist kein Beschimpfungsverein auf Gegenseitigkeit.

    (Beifall bei der FDP)

    Sie bedeutet nicht die Unterwerfung des jeweiligen Partners, sondern Zusammenarbeit, Respekt vor den Grundüberzeugungen des anderen und die Fähigkeit, von unterschiedlichen Ausgangspositionen her zu einer sinnvollen Politik zusammenzukommen.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir stimmen darin überein, daß Gewalt in der politischen Auseinandersetzung nicht hingenommen werden kann. Tatsächlich sind die innere Sicherheit und unsere verfassungsmäßige Ordnung nicht ernsthaft gefährdet. Aber wir müssen uns ständig um sie bemühen. Sie ist kein Selbstzweck, sondern soll dem inneren Frieden unserer Gesellschaft dienen. Beide beruhen nicht auf der Fülle immer neuer Strafdrohungen. Ein Volk, das zu viele Gesetze hat, wird zu viele Gesetze brechen.
    Es ist entscheidend, daß das schon geltende Recht wirksam angewendet wird. Dafür besteht Handlungsbedarf .Wir haben doch schon einen ganzen Lattenzaun zum Teil außerordentlich harter Strafvorschriften beschlossen. Sie müssen angewendet werden, ehe man nach neuen Strafvorschriften ruft.
    Dazu gehören auch verbesserte polizeiliche Strategien, die verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Polizeien und der Staatsanwaltschaft bei der Beweissicherung, die Fortschreibung des gemeinsamen Programms von Bund und Ländern für die innere Sicherheit,

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Langsam!)

    um Ausrüstung, Ausbildung und Stärke der Polizei von Bund und Ländern zu entwickeln, die Beschleunigung der Strafverfahren und die Prüfung des Versammlungsrechts an Hand der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
    Natürlich halten wir uns skrupulös an die Koalitionsvereinbarung. Wenn sich alle auf die Bundespolitik Einfluß ausübenden Landespolitiker so akribisch an die Koalitionsvereinbarung halten wie der Parteitag in Kiel, dann brauchen wir uns über das imperative Mandat nicht zu unterhalten.

    (Beifall bei der FDP — Fellner [CDU/CSU]: Das ist schon leicht übertrieben!)

    Wir haben in der Koalitionsvereinbarung beschlossen, den Sinn bestimmter Gesetzgebungsvorhaben zu prüfen. Auf dem Kieler Parteitag haben wir diese Entscheidungen nicht verschoben, sondern die Fragen, deren Prüfung versprochen wurde, nach umfangreichen Anhörungen von Sachverständigen aus der Wissenschaft, der Rechtspflege und der Polizei für uns entschieden, und zwar einmütig und definitiv.
    Die Polizei muß das Demonstrationsrecht schützen, und wir wollen ihr diese Aufgabe nicht dadurch erschweren, daß wir ihr durch neue gesetzliche Regelungen die Entscheidungsfreiheit nehmen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die innere Sicherheit und der innere Frieden unserer Gesellschaft liegen nicht in Strafdrohungen, sondern in der Fähigkeit der Integration, in der Fähigkeit, die Bürger — insbesondere die Jugend — zur Mitarbeit zu gewinnen, in der Fähigkeit, diejenigen zurückzuholen, die sich abgewendet haben. Darum waren die Briefe der Brüder von Braunmühl so wichtig und so außerordentlich eindrucksvoll.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der Staat muß aktiv zum Abbau von Konflikten und Spannungen in der Gesellschaft beitragen. Dazu gehört nicht nur, seine Gesetze und Entscheidungen zu exekutieren, sondern auch, die Sorgen und Probleme der Minderheiten, auch der politischen Minderheiten, ernst zu nehmen, die ja zu unserer Gesellschaft gehören, auch weiter gehören werden.

    (Dr. Nöbel [SPD]: Sehr gut!)

    Wir sind ganz sicher, daß die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene Kommission zur Untersuchung der Ursachen der Gewalt und zur Entwicklung von Konzepten zu ihrer Vermeidung dazu wichtige Beiträge leisten wird. Sie hätte schon längst ihre Tätigkeit aufnehmen können und müssen, weil sie natürlich weitgehend entwertet wird, wenn alle politischen Entscheidungen bereits getroffen sind, wenn sie zu arbeiten anfängt.
    Wir wollen in diesem Jahr endlich in der uns vom Verfassungsgericht aufgegebenen Verpflichtung vorankommen, die Privatsphäre der Bürger durch gesetzliche Regeluñgen des Datenschutzes zu sichern. Es geht nicht länger an, daß wir immer neue Dateien feststellen, die eigentlich eine gesetzliche Regelung voraussetzen. Wir haben großes Verständnis für die Rechtsprechung, die allmählich ungeduldig wird, die auch im Sicherheitsbereich Auskunftspflichten eingeführt haben will, die notwendig sind, um das Vertrauen der Bürger in den Staat zu erhalten; denn ohne ein solches Vertrauen können Polizei und Verfassungsschutz auf Dauer keine erfolgreiche Arbeit leisten. Wir müssen hier Rechtssicherheit schaffen.
    Lassen Sie uns gemeinsam einen neuen Anlauf auch in der Ausländerpolitik unternehmen. Natürlich sind wir kein Einwanderungsland. Aber wir waren für 4 Millionen Menschen ein Einwanderungsland und



    Dr. Hirsch
    müssen ihnen ein überzeugendes Integrationsangebot machen. Wir freuen uns ja, daß nun endlich die Diskussion um den erleichterten Erwerb der Staatsangehörigkeit in Bewegung gerät. Natürlich muß das Aufenthaltsrecht verfestigt werden. Natürlich müssen wir sie von bürokratischen Kleinlichkeiten befreien. Ich freue mich über die Entscheidung des Landes Baden-Württemberg, die Ehebestandsdauer beim Nachzug von Ehepartnern auf ein Jahr herabzusetzen. Das Bundesland Bayern sollte sich nun allen anderen Bundesländern anschließen.
    Lassen Sie uns mit dazu beitragen, daß die Menschenrechtskonvention, die Antifolterkonvention ratifiziert werden,

    (Beifall bei der FDP)

    auch wenn jemand auf die Idee kommen könnte, vor der Folter nach Europa oder gar in die Bundesrepublik zu fliehen.
    Ich begrüße die Entscheidung des Landes Niedersachsen, durch die Abschaffung der Gutscheine die Sozialhilfe für politische Flüchtlinge zu verbessern. Ich hoffe, daß andere Bundesländer sich dem anschließen. Wir sollten doch nicht nur humanitäre Ansprüche stellen, sondern sie im eigenen Haus erfüllen.

    (Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

    Es ist hier etwas über die Sportförderung, über die Leichtathletik gesagt worden. In der Tat, unsere Leichtathleten sind in einem Tief. Aber der Minister läuft doch nicht selber, der Staat läuft nicht selber, sondern es sind Menschen, die einmal besser und einmal schlechter sind, denen man helfen muß, Leistungen zu vollbringen. Wir sollten nicht nur immer diejenigen darstellen, die mal nicht die Erwartungen erfüllt haben. Die Schwimmer waren hervorragend. Die Hockeyspieler waren hervorragend. Die Military-Reiter waren hervorragend. Nun sehen Sie mal die ganze Breite des Sportes an.

    (Zuruf von der FDP)

    — Boris Becker wird auch mal wieder gewinnen, natürlich.

    (Dr. Penner [SPD]: Und die Radfahrer, die Ruderer, die Kanuten und die Fechterinnen!)

    Lassen Sie mich schließlich noch einmal auf die Dienstrechtsreform zurückkommen. Wir wissen alle sehr gut, daß wir unseren Mitarbeitern Loyalität abfordern, aber auch schulden. Darum möchte ich hier in unserem gemeinsamen Interesse fordern, daß wir möglichst bald Klarheit schaffen, welche Weiterentwicklungen wir im Laufe der kommenden Jahre dieser Legislaturperiode ansteuern können

    (Beifall bei der FDP)

    und wo wir an bestimmten Entscheidungen festhalten.
    Ich möchte bei dieser Gelegenheit unseren Mitarbeitern im öffentlichen Dienst für ihre Arbeit danken.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Koalition hat in der Innenpolitik eine Fülle gemeinsamer und für die Erhaltung des Friedens in unserer Gesellschaft wichtiger Aufgaben zu erfüllen. Ich bin sicher, daß wir gemeinsam Erfolg haben werden, wenn wir den Mut und die Bereitschaft haben, unsere gemeinsamen Aufgaben im Sinne christlicher und liberaler Humanität zu erfüllen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)