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    Plenarprotokoll 11/24 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 24. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Jahn (Marburg) 1563 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Vogel SPD 1563 a Dr. Waigel CDU/CSU 1576 D Ebermann GRÜNE 1586 B Ronneburger FDP 1590 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1593 B Dr. Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 1602 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 1602 C Frau Geiger CDU/CSU 1607 C Frau Hensel GRÜNE 1610 B Genscher, Bundesminister AA 1611 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 1615 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 1618 C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 1620 A Frau Seiler-Albring FDP 1622 D Kühbacher SPD 1624 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 1626 D Horn SPD 1632 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 1633 D Dr. Penner SPD 1636 B Möllemann, Bundesminister BMBW 1642 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 1643 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 1646D Dr. Hirsch FDP 1649 B Bernrath SPD 1651 C Engelhard, Bundesminister BMJ 1653 C Dr. de With SPD 1655 B Dr. Wittmann CDU/CSU 1658 D Häfner GRÜNE 1660 D Lüder FDP 1663 C Nächste Sitzung 1664 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1665* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 1563 24. Sitzung Bonn, den 10. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Bühler (Bruchsal) * 10. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Eigen 11. 9. Dr. Feldmann ' 11. 9. Großmann 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Lemmrich * 10. 9. Frau Luuk * 11. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Dr. Unland ** 10. 9. Volmer 11. 9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johannes Gerster


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich habe zuwenig Zeit; ich bitte um Nachsicht. Sie haben ja Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.
    Wer sich in Sachen Menschenrechte nicht einmischt, kneift gegenüber den Mächtigen in totalitären Staaten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Sie können hier Lehrstunden bei Norbert Blüm und Helmut Kohl nehmen.

    (Kuhlwein [SPD]: Ausgerechnet!)




    Gerster (Mainz)

    Beide haben Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen die Wahrheit ins Gesicht gesagt und sich nicht hinter Nichteinmischungsvorwänden versteckt. Lernen Sie aus diesem Verhalten! Sie können viel lernen.

    (Zuruf von der SPD: Wie denkt denn Herr Zimmermann darüber?)

    Das Koordinatenkreuz innenpolitischer Grundfragen und Grundwerte in der SPD ist verschoben und verbogen. In dieser Wahlperiode hat sie in einem Rausch Aktueller Stunden, Innenausschuß-Sondersitzungen, künstlich aufgebauschter Bundestagsdebatten Nebenkriegsschauplätze eröffnet und sich um die wirklich wesentlichen Fragen herumgedrückt. Dabei saßen in der Regel die Ideengeber in den Reihen der Fraktion der GRÜNEN, und Sie haben sich lediglich auf das Trittbrett, immer etwas zeitversetzt, von Provinznebenbahnen aufgeschwungen und sind mitgefahren.
    Die wirklich wichtigen Fragestellungen der Innenpolitik lauten doch heute und für diese Wahlperiode:
    Erstens. In diesen Wochen jähren sich zum zehntenmal die schrecklichen Terrormorde der RAF an Buback, Ponto, Schleyer und sechs Begleitern. In den letzten zwei Jahren haben Terroranschläge deutscher Terroristen sieben Menschenleben gefordert. In den letzten Monaten wurden im Bundesgebiet Hunderte politisch motivierte Brand- und Sprengstoffanschläge begangen. Während Herr von Dohnanyi mit einer RAF-Sympathisantin und militanten Hausbesetzern über die Verlängerung eines Unrechtszustandes parliert und der Bremer Innensenator Kröning von der Polizei sagt, sie könne nur wenig mehr leisten, als Konflikte festzustellen und vorläufig oder ergänzend zu regeln, polemisieren einzelne SPD-Innen- und Rechtspolitiker hier in Bonn dagegen, daß diese Koalition im letzten Jahr Gesetzeslücken im Bereich der Terrorismusbekämpfung geschlossen hat. Wir werden darauf drängen, daß die Fahndungsbemühungen nicht nachlassen, und werden das Instrumentarium zur Bekämpfung des Terrorismus nach gründlichen Beratungen weiter verbessern.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Mit Kronzeugen!)

    Sie sollten in diesen Fragen zu dem Konsens früherer Jahre zurückfinden.
    Zweitens. Es gibt zahlreiche Indizien, daß das Rechtsbewußtsein in unserem Land wie auch in anderen europäischen Ländern zurückgeht. Die allgemeine Kriminalität hat seit Beginn der 70er Jahre bis heute erschreckend zugenommen. Wir werden die Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere die Verfolgung von Rauschgiftdelikten, zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit machen. Herr Kollege Penner, ich bin gespannt, welche ökonomischen Vorschläge Sie eigentlich für die Not in den Ländern haben, wo Rauschgift angebaut wird. Ich meine Vorschläge, die Sie beim Innenminister eingefordert haben.
    Drittens. Gewalt ist kein Mittel der Politik. Dies gilt auch für Demonstrationen, deren friedlicher Verlauf gesichert werden muß. Wie drei Viertel unserer Bevölkerung — das haben Umfragen ergeben — sehen wir
    auf diesem Gebiet Handlungsbedarf. Wir werden auf einer Verwirklichung der Koalitionsvereinbarungen bestehen und bieten dazu unserem verehrten Koalitionspartner gern die erwünschte und notwendige Nachhilfe an. Ich vertraue darauf, daß die FDP nicht nur belehrt, sondern auch lernfähig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Viertens. Aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts sind Konsequenzen mit zahlreichen Gesetzesvorhaben zu ziehen. Wir wollen diese schwierige Materie gründlich parlamentarisch beraten und erwarten, daß die Bundesregierung entsprechende Gesetzesentwürfe nun bald vorlegt.
    Fünftens. Die besten Gesetze nützen wenig, wenn sie nicht von einer effizienten Verwaltung ausgeführt werden. Unser öffentlicher Dienst nimmt im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein. Wer wie die Irsee-Grundsatzdenker der SPD offenbar nach Weisung des DGB das Beamtenrecht abschaffen will,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das ist nicht schlecht!)

    so in einem Entwurf für ihr Grundsatzprogramm, läuft in die Irre und wird an uns scheitern. Der öffentliche Dienst braucht vielmehr Entbürokratisierung, mehr Flexibilität, Anpassung an die Rahmenbedingungen der Wirtschaft, z. B. mehr Teilzeitbeschäftigung und Möglichkeit zur Beurlaubung, und dadurch neue Attraktivität für qualifizierten Nachwuchs. Dazu gehören die Teilnahme an der allgemeinen Einkommensentwicklung und die Beseitigung der in SPD-Regierungszeiten geschaffenen Strukturfehler.

    (Bernrath [SPD]: Was ist denn seit 1982 geschehen?)

    Wir fordern, den angekündigten Strukturbericht nun möglichst bald vorzulegen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und meine Herren von der SPD, ich finde es ein bißchen merkwürdig, daß ausgerechnet Herr Penner sich heute hier hinstellt und glaubt, Anklagen in Richtung § 55 Beamtenversorgungsgesetz erheben zu können. Ich meine, auch hier gilt der Satz: Die Brandstifter sind als Feuerwehrfrauen oder Feuerwehrmänner die denkbar Ungeeignetsten. Denn unter Ihrer Regierungszeit ist — mit Zustimmung einiger unionsregierten Bundesländer, zugegeben — dieses Problem ja immerhin geschaffen worden.

    (Lachen bei der SPD)

    Ich finde es merkwürdig, Herr Penner, daß ausgerechnet Sie hier mit einem fast drohenden Unterton die Lage des einfachen öffentlichen Dienstes beschreiben. Hier gibt es Probleme. Aber ist es denn nicht die Wahrheit, daß wir im Gegensatz zu Ihren letzten acht Regierungsjahren in der vorigen Wahlperiode eine Strukturverbesserung gerade für den einfachen Dienst durchgesetzt haben, zu der Sie nicht fähig waren?

    (Zuruf von der SPD: Wo denn?)

    — Beim einfachen Dienst! — Ist es nicht die Wahrheit,
    daß auch der einfache Dienst — natürlich bei stabilem



    Gerster (Mainz)

    Geld und einer Einkommensverbesserung von 3 bis 4 % — viel besser dasteht als in Ihren Regierungszeiten, wo die Inflationsraten größer als die Einkommenszuwächse waren?

    (Zurufe von der SPD)

    Und ist es nicht die Wahrheit, daß gerade durch die Steuerreform insgesamt rund 500 000 Geringverdienende aus der Steuerbelastung herausfallen und daß dies eine steuerliche Entlastung gerade für den einfachen öffentlichen Dienst sein wird?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bernrath [SPD]: Wenn die herausfallen, müssen die aber sehr wenig verdienen: 2 500 DM brutto!)

    — Sie sind die letzten Ratschlaggebenden, gerade was den einfachen öffentlichen Dienst angeht.
    Sechstens. Wir drängen auf eine Novellierung des Zivilschutzgesetzes, weil die Bürger darauf Anspruch haben, daß der Staat zeitgemäße Vorkehrungen gegen Katastrophen und andere Gefährdungslagen trifft. Wer schützen will, will eben nicht gefährden. Also bleibt die Verteufelung des Zivil- und Katastrophenschutzes substanzloses Gerede.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Für was denn dann? Erzählen Sie mal!)

    Siebentens. Die Bundesregierung wird in Kürze das Deutsche Historische Museum in Berlin gründen. Wir wollen, daß sich die Bürger in ihrer Geschichte, aber auch in den Denkmälern früherer Epochen wiederfinden. Nur wer weiß, woher er kommt, wird auch die richtigen Weichen für die Zukunft stellen. Daher wollen wir vor allem den Denkmalschutz, soweit der Bund zuständig ist, weiter verstärken.
    Achtens. Auch wenn die Auftritte deutscher Spitzensportler in letzter Zeit alles andere als berauschend waren:

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Niederlagen!) Wir werden den Spitzensport weiterhin fördern,


    (Bernrath [SPD]: Und den Breitensport?)

    dabei aber auch nach neuen Wegen und mehr Effizienz suchen.
    Damit das klar ist: die Koalition wird zusammen mit der Bundesregierung nichts tun, was die Funktions-
    und Arbeitsfähigkeit der gemeinnützigen Vereine beeinträchtigt. Werfen Sie, Herr Penner, getrost Ihre Desinformationstraktätschen in den Abfall! Wir werden den Vereinen beweisen, wer ihre ehrenamtlichen Leistungen anerkennt. Damit auch das deutlich ist: Mit der CDU/CSU wird eine Streichung von Freibeträgen für Übungsleiter nicht stattfinden. Bitte hören Sie auf, der Öffentlichkeit die Unwahrheit zu sagen!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kuhlwein [SPD]: Und was ist mit der Aufstockung? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Diese keinesfalls vollständige Aufzählung verdeutlicht — ich lasse das Thema Ausländerrecht weg; hierzu hat der Innenminister Äußerungen gemacht, die ich im wesentlichen teile — , daß es in der Innenpolitik ein weites Betätigungsfeld gibt.
    Die SPD — das konnten Sie auch dem Beitrag des Kollegen Penner entnehmen — hat eigene Vorschläge auf diesen wichtigen Feldern nicht gemacht. Sie hat sich durch eigene Alternativen nicht hervorgetan. Statt dessen haben Sie das letzte halbe Jahr benutzt, nachrangige Fragen propagandistisch aufzupolieren, wohl, um Ratlosigkeit in sehr wesentlicheren Fragen zu überspielen.
    Am 12. Juni 1925, also vor über 60 Jahren, sagte in der Haushaltsdebatte des Reichstags der SPD-Abgeordnete Sollmann:
    Nächst dem Reicharbeitsministerium gibt es wohl kaum ein Ministerium, das so viele Beziehungspunkte mit den Aufgaben meiner Partei hat wie das Reichsministeriums des Innern.
    Das waren noch Zeiten, als die SPD sich den Auf gaben der Innenpolitik noch voller Überzeugung und mit Leidenschaft stellte. Heute müßte der Satz lauten: Nächst der Sozialpolitik, bei der die SPD ihr Versagen in den 70er Jahren dauerhaft unter Beweis gestellt hat, gibt es keinen Politikbereich, in dem die geistige Verwirrung der SPD die Sachkompetenz deutlicher verdrängt als in der Innenpolitik.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Antje Vollmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Möllemann, was Sie eigentlich getrieben hat, uns in dieser Debatte in die Quere zu kommen, habe ich überhaupt nicht richtig begriffen. Aber ich mach's einmal so: Ich hüpfe über Sie und über die Fettnäpfchen, in die Sie getapst sind, einfach so hinweg und schließe bei Herrn Zimmermann an. Der hat seine Rede mit scharfen Worten zur Lage der inneren Sicherheit begonnen. Nun ist das natürlich nicht zufällig so. Man weiß, daß Ihr Herz, Herr Zimmermann, in dieser Frage mit besonderer Leidenschaft schlägt. Aber ich weiß auch, daß das eine sehr gefährliche Leidenschaft ist, der Sie da verfallen sind. Wir aber nehmen diese Herausforderung sehr gerne an, über diese Frage möchten wir mit Ihnen auch diskutieren. Ich denke, wir sollten uns auf eines einigen, daß nämlich als Voraussetzung für diese Debatte Pflichtlektüre das ist, was im „Spiegel" steht:

    (Dr. Probst [CDU/CSU]: Aha!)

    an Berichten über die Zeit vor zehn Jahren, über die Debatten im Krisenstab. Und ich sage Ihnen auch: Wir freuen uns auf diese Auseinandersetzung. Diesmal gehen wir in diese Auseinandersetzung nicht geschichtslos, sondern mit sehr genauen, sehr detaillierten Kenntnissen über die Zeit damals hinein. — Und, Herr Gerster: So schön war die Zeit nicht, als die SPD damals die Verantwortung für diese Politik der inneren Sicherheit hatte. —

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie waren damals noch nicht da! Das war ein positiver Aspekt!)




    Frau Dr. Vollmer
    Wir gehen in diese Debatte aber auch mit einem bestimmten Maßstab, und an dem werden wir Sie messen, Herr Zimmermann. Und dieser Maßstab ist, daß die Frage der Liberalität und der Freiheit einer Gesellschaft nicht etwa daran gemessen werden darf, wie fähig sie ist, Ausgeschlossene zu jagen, und wie gut sie sich gegenüber Ausgeschlossenen abschließen und betonieren kann, sondern daran gemessen wird, wie fähig sie ist, diese zu integrieren und sich damit selbst zu verändern. Das ist die entscheidende Frage.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nun komme ich zu dem, was ich vorbereitet habe, und da wollte ich mit einer kleinen Geschichte, mit einer kleinen und boshaften Geschichte anfangen. Es ist eine Geschichte, die nahezu überall passieren könnte. Sie könnte sich z. B. auf dem Frankfurter Hauptbahnhof zugetragen haben. Sie könnte sich auch — darüber ist ja schon gesprochen worden — nachts in der chinesischen Staatsbahn erster Klasse zugetragen haben. Das wäre sogar ein sehr schöner, exotischer Rahmen für eine solche typisch deutsche Geschichte. Denn wir wissen ja, daß in der letzten Zeit sehr viel nach China gereist wird.
    Also, die Geschichte geht so: Ein Jude sitzt da nachts in der chinesischen Staatsbahn, erster Klasse, und er sitzt drei Deutschen gegenüber. Der Jude hat vor, in den Speisewagen zu gehen, hat aber dieses Problem mit seinem Koffer, den er im Abteil zurücklassen will. Da sitzt also dieser Jude nachts in der chinesischen Staatsbahn, erster Klasse, und beginnt, mit den Deutschen zu reden. Er sagt zu dem ersten: „Mein Herr, sind Sie ein Antisemit?" „Wo denken Sie hin", sagt der Deutsche. „Ich doch nicht, ganz im Gegenteil: Ich bin ein großer Freund des Beitrags der Juden zur deutschen Kultur."
    Der Jude fragt den nächsten Deutschen: „Mein Herr, sind Sie ein Antisemit?" „Ach, wissen Sie", sagt der zweite Deutsche, „das ist doch lange her, und damals war eine andere Zeit. Heute haben wir sowieso ganz andere Verhältnisse, und die meisten Deutschen sind sowieso Spätgeborene."
    Der Jude versucht es bei dem dritten Deutschen, nachts in der chinesischen Staatsbahn, erster Klasse, und sagt: „Mein Herrn, sind Sie ein Antisemit?" „Aber sicher", sagt der dritte. „Sie sind ein ehrlicher Mann", sagt der Jude. „Würden Sie die Freundlichkeit haben, auf meinen Koffer aufzupassen?"
    Diese kleine, böse Geschichte soll ein Beispiel sein. Natürlich ist der Oberbürgermeister von Frankfurt, Brück, kein Antisemit, der auf dem Börneplatz, wo das alte Judenviertel war, lieber eine Kaufhalle bauen läßt. Natürlich ist auch der Oberbürgermeister von Bonn, Herr Daniels, kein Antisemit, der auf dem Platz der ehemaligen jüdischen Synagoge ein Luxushotel und einen Parkplatz bauen läßt. Natürlich ist auch Herr Stoiber kein Antisemit, der heute den GRÜNEN in Bayern verboten hat, mit Herrn Honecker zusammen Dachau zu besuchen. Natürlich sind auch Herr Stoltenberg und Herr Zimmermann keine Antisemiten, die in diesem Haushaltsentwurf etwas vergessen haben, nämlich die Gelder für die Entschädigung der
    vergessenen Opfer des Nationalsozialismus jetzt schon auszuweisen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Trotzdem würde ich weder Ihnen, Herr Stoltenberg — der nicht da ist —, noch Ihnen, Herr Zimmermann, meinen Koffer anvertrauen, wenn ich Betroffene Ihrer Politik wäre. Ich will dies an drei Beispielen aus dem Bereich der Innenpolitik verdeutlichen.
    Erstes Thema: Die Frage der Entschädigung der Verfolgten des NS-Regimes. Noch kurz vor der Sommerpause am 24. Juli 1987 fand zu diesem Thema eine Anhörung des Innenausschusses im Deutschen Bundestag statt. Das war eine Anhörung, wie sie nicht alle Tage stattfindet. Alle die dabei waren, werden sich an die besondere Stimmung gerade dieser Anhörung erinnern. Alle werden wissen, daß es damals einen ganz bestimmten Höhepunkt gab, wo alles auf des Messers Schneide stand. Das war zu dem Zeitpunkt, als nach sehr eindringlichen Berichten vieler Betroffener deutlich wurde, wie beschämend, wie unwürdig, wie ganz und gar unverständlich für viele dieser vergessenen Opfergruppen der Prozeß gewesen war, in dem sie um so etwas wie Gerechtigkeit gekämpft hatten. Sie hatten viel weniger um Geld gekämpft, sondern viel mehr um die Anerkennung ihrer Leiden und um so etwas wie eine ehrenvolle Stellung in einer Gesellschaft, die versprochen hatte, demokratisch zu sein und wirklich gründlich mit den nationalsozialistischen Vorurteilen und Diskriminierungen abzurechnen.
    Als damals durch die Fülle der Aussagen immer deutlicher wurde, daß es gerade an dieser Anerkennung z. B. für die Sinti und Roma, z. B. für die Kommunisten, z. B. für die Zwangssterilisierten, z. B. für die Homosexuellen gefehlt hatte, entstand der Eindruck, daß es wenig Grund zum Stolz gebe über die bisherige sogenannte Wiedergutmachungspraxis.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Gerade an dieser Stelle wurde, ich glaube von Ihnen, Herr Hirsch, der Vertreter des Zentralrats der Juden, Herr Werner Nachmann, als Zeuge aufgerufen. Er sollte folgendes dokumentieren: Er sollte sagen, es sei viel geleistet worden, es hätte viel Geld gegeben aus den Bundeshaushalten für das Bundesentschädigungsgesetz. Genau in diesem Moment ist etwas sehr Besonderes passiert, was in diesem Parlament nicht oft passiert: Werner Nachmann hat natürlich anerkannt, daß es umfangreiche Entschädigungsleistungen gegeben hat, aber er hat sich nicht als Zeuge gegen die anderen Opfergruppen aufrufen lassen. Er hat folgendes gesagt:
    Bedenken Sie, meine Damen und Herren, den ungeheuren Schritt, den es bedeutet hat, daß wir Juden überhaupt dieses Projekt der sogenannten Wiedergutmachung für etwas, was gar nicht wiedergutzumachen ist, akzeptiert haben. Unsere Bereitschaft, sich darauf einzulassen, das war der Grund dafür, daß den Deutschen überhaupt ein Weg in die Gemeinschaft der Völker nach Auschwitz wieder eröffnet worden ist.
    Es ist also wirklich zu fragen: Wer hat eigentlich von
    dieser ganzen Entschädigungspraxis mehr profitiert?



    Frau Dr. Vollmer
    Es ist heftig jenen zu widersprechen, die meinen, dieses Problem sei irgendwann einmal auch haushaltspolitisch mit einer Null-Summe abzuschließen. Diese Erkenntnis war damals, kurz vor der Sommerpause — das will ich ausdrücklich vermerken —, Erkenntnis aller vier Parteien. Es gab Erklärungen von allen vier Fraktionen, daß möglichst bald eine Lösung gesucht werden sollte. Es sind damals Hoffnungen erweckt worden, nicht so sehr Hoffnungen im Sinne der geldlichen Leistungen, sondern Hoffnungen im Sinne der schnellen Abwicklung dieser Frage.
    Wer das will, wer den vergessenen Opfern, wenn auch spät, Gerechtigkeit verschaffen will, der muß genau eines tun: Er muß schon in den jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf den Etat für die Entschädigung der vergessenen Opfer, der jüdischen und der nichtjüdischen Opfer, einplanen.
    Wenn wir erst abwarten, bis der Innenausschuß zu einer endgültigen Regelung der Einzelfragen käme, dann wäre dieser Haushalt abgeschlossen, und das hieße konkret, die Gelder würden erst im übernächsten Jahr, wenn überhaupt, eingeplant werden können. Das hieße wiederum, ein gut Teil der Anspruchsberechtigten wäre darüber gestorben.
    Die Frage des Juden in der chinesischen Staatsbahn hieße also in diesem Fall — sagen Sie es jetzt ehrlich — : Herr Stoltenberg und Herr Zimmermann, wollen Sie diesen Posten jetzt einplanen? Dann tun Sie es auch, und dann berücksichtigen Sie dafür 800 Millionen in diesem Etat. Das ist die Summe, die wir mit den Verfolgtengruppen, auch mit dem Zentralrat der Juden als realistisch und notwendig abgesprochen haben. Sonst seien Sie wenigstens so ehrlich, und sagen Sie, was Sie vorhaben. Verschieben Sie das aber nicht auf einen Zeitraum, wo niemand mehr lebt, der heute noch hofft.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie wissen genau, daß wir etwas anderes im Innenausschuß vereinbart haben!)

    Zweites Beispiel: die Ausländerpolitik. Dieses Mal muß die Frage des Juden in der chinesischen Staatsbahn in folgende Frage übersetzt werden: Herr Zimmermann, sind Sie eigentlich ausländerfeindlich? Haushaltspolitisch hieße dies: Haben Sie z. B. Gelder für ein Antifolterzentrum eingeplant, wie es dies in Schweden gibt? Wo stellen Sie Gelder für Flüchtlinge zur Verfügung, die Hilfe benötigen, um die Bundesrepublik überhaupt zu erreichen? Wie erklären Sie, daß der Sozialhilfesatz gerade für Asylsuchende um 20 % gekürzt wurde? Wo stellen Sie Gelder für die Qualifizierung von Jugendlichen und von Kindern der Flüchtlinge zur Verfügung? Es ist natürlich klar — von daher ist so ein Haushaltsentwurf immer ausgesprochen ehrlich, weil man mit Zahlen weniger lügen kann als mit Worten — ,

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    daß, wenn man keine Flüchtlinge haben will, diese dann auch nichts kosten. Das ist eine schlichte Wahrheit, und das wird in Ihrem Entwurf dokumentiert.
    Dabei hätten wir auch Sparvorschläge zu machen. Zum Beispiel könnte man die vorgesehenen Abschiebungsgelder sparen, wenn wir den Leuten ermöglichen würden, hierzubleiben. Sparen könnte man auch die völlig unnötigen Gelder für die Begleitung durch den Bundesgrenzschutz, der bei Abschiebeaktionen die Betreffenden bis nach Zypern begleiten muß. Das sind völlig unnötige Kosten.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Toilettenpapier haben Sie vergessen! Das kann man auch noch einsparen!)

    Drittes Beispiel: die Kulturpolitik. In diesem Falle hieße modifiziert die Frage des Juden in der chinesischen Staatsbahn: Lieben Sie die Kultur, Herr Zimmermann? Ich gebe zu: Wenn ich Ihre Person so betrachte, ist das schon eine etwas komische Frage.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Probst [CDU/CSU]: Was soll das denn?)

    Auch hier gibt der vorliegende Haushaltsentwurf eine ziemlich eindeutige Antwort, die schon fast ehrlich zu nennen ist. Das allseits bekannte Selbstbewußtsein, daß die Deutschen eine große Kulturnation zu nennen seien, weist sich im Haushalt mit kläglichen zwei Prozent Anteil für den Kulturbereich am Gesamtetat aus.

    (Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Von den Ländern haben Sie noch nie etwas gehört!)

    — Ich kenne das mit den Ländern.
    Das ist denkbar wenig, wenn man bedenkt, daß auch die Künstler ganz entgegen ihrem Ruf nicht allein von der Luft und der Liebe leben können.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die leben von ihrem Können!)

    Erschwerend kommt aber auch hinzu, daß Sie ja tatsächlich im Bereich der Kultur regelrechte nationale Großtaten vorhaben. Es gibt da die Planung — der Bundeskanzler hängt sehr daran — für die Museumsneubauten in Berlin und Bonn. Das soll ja so etwas werden wie ein „Centre Helmut Kohl"; das soll das deutsche nationale Museum sein. Ich wundere mich zwar immer, warum dieser Bundeskanzler das für seine Repräsentation braucht. Denn Joschka Fischer hat ja einmal zu Recht gesagt, daß der Bundeskanzler an sich schon nicht nur ein pfälzisches, son-dem auch ein deutsches Gesamtkunstwerk sei. Aber er will dieses nationale Museum haben, so wie es das Centre Pompidou in Paris gibt. Es steht sehr zu befürchten, daß er ausgerechnet die Gelder für diese seine nationale Großtat aus den Fonds nehmen will, die wir für andere Zwecke dringend brauchen, z. B. für die Künstlersozialversicherung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dazu kann man aus der Dokumentation für diese Stiftung einiges zitieren; das erspare ich mir jetzt. Aber ich weise darauf hin, daß dieses eine sehr gefährliche Konsequenz hat. Das heißt nämlich, daß nur noch die Kunst akzeptiert wird, die sozusagen regierungskonform und im Sinne der nationalen Größe arbeitet.

    (Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Riesenquatsch!)




    Frau Dr. Vollmer
    Damit wird ein entscheidendes Lebenselixier von Kunst, nämlich daß sie gerade im Widerspruch zur Regierungspolitik und auch zum Zeitgeist existiert, vernichtet.

    (Kühbacher [SPD]: Das stimmt doch nicht! — Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Definieren Sie doch mal, was Sie unter Kunst verstehen!)

    — Kunst kommt auch von kontern.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Dazu allerdings brauchen die Künstler auch so etwas wie existentielle Unabhängigkeit — was Sie für sich als Abgeordnete immer beanspruchen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    So denke ich denn, daß man für den Bereich der Kulturpolitik ungefähr zu folgendem Schluß kommen muß: Das Volk der Dichter und Denker scheint heute — jedenfalls wenn man den Kulturetat betrachtet — dabeizusein, seine zeitgemäße Aufgabe in der Errichtung jener beiden Museumskolosse zu finden. Es wäre dies zwar eine ehrliche Antwort, aber lassen Sie mich dazu auch noch folgendes sagen: Das heißt dann auch, daß sich das Volk der Dichter und Denker zur Zeit eine Sendepause im Bereich „Kunst und Kultur" genehmigt und damit beschäftigt ist, das Wunschbild seiner eigenen nationalen Größe ebenso in Beton zu gießen, wie es weiland Kaiser Wilhelm II. mit seiner Flotte gemacht hat.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die derzeitigen Kulturaufgaben für das gemeine Volk übernehmen danach der Tennissport, das Skatspiel und das ununterbrochene, ununterscheidbare graue Rauschen der Videokassetten.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: So einen Stuß haben wir lange nicht gehört!)