Rede von
Dr.
Alfred
Mechtersheimer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Meine verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Der Präsident hat zu Beginn der gestrigen Sitzung des ehemaligen Alterspräsidenten des Hauses William Borm gedacht. Kurz vor dessen Tod sollte sich der 92jährige vor der Kriminalpolizei wegen einer Unterschrift unter einen Blockadeaufruf rechtfertigen. Er hatte zusammen mit 99 anderen Persönlichkeiten der Friedensbewegung zur Sitzdemonstration vor der Cruise-Missile-Basis Hasselbach aufgerufen. Das Treiben dieser Bonner Staatsanwaltschaft ist beschämend.
Unter der Verantwortung eines SPD-Justizministers werden im Augenblick überall in Nordrhein-Westfalen jene Menschen verfolgt, die sich in besonderem Maße für die Beseitigung dieser atomaren Mittelstrekkenraketen eingesetzt haben. Nichts charakterisiert die moralische Qualität dieser Regierungspolitik besser als die Verfolgung jener Menschen, die durch ihren Einsatz erst jene Abrüstungschance eröffnet haben, die die Regierung jetzt zur Tarnung ihrer wahren Politik als ihre Abrüstungsleistung verkauft.
Es mutet wie eine Rache der Herrschenden an der Friedensbewegung an, wenn Sitzblockaden jetzt „bombensicher" durch eine Änderung des Strafgesetzbuchs kriminalisiert werden sollen. Dies ist ein Teil verschärfter Militarisierungstendenzen, die im Schatten der hitzigen Abrüstungsdebatte auf allen Ebenen stattfinden. Ich erinnere an die Verlängerung der Wehrpflicht, an die massive Ausweitung der Reserveübungen. Jetzt ruft die FDP auch noch die Frauen zu den Waffen.
— Ich freue mich über jeden Widerspruch aus der FDP-Fraktion. — Ihr Beschluß ist eine unglaubliche Pervertierung des Gleichheitsideals.
Was treibt Sie von der FDP dazu, nun auch noch Frauen das kollektive Töten in staatlichem Auftrag einüben zu lassen? Ist es nicht ein großer Besitzstand, daß sich die Frauen bereits in jenem waffenlosen Zustand befinden, in den die Männer erst noch gebracht werden müssen?
In der Rüstungsindustrie schreitet die Konzentration fort. Der Einfluß der Rüstungsinteressen — hören Sie von der CSU und der CDU zu! — , eng verknüpft mit der Macht der Banken, wird immer größer, was sich auch in der wachsenden politischen Protektion des Waffenexports niederschlägt. Die Daimler Benz AG ist auf dem Weg, zum größten Rüstungsgiganten Europas zu werden. Jetzt hat sie sich auch noch bei dem französischen Rüstungskonzern Matra eingekauft. Vielleicht ist der Zynismus der Manager der Industrie so groß, daß man sagt: Es ist eh' egal, ob sich die Leute mit dem Auto oder mit den Waffen umbringen, Hauptsache, es vergrößert unseren Konzern und wirft Profit ab. So weit scheint das Denken dieser Verantwortlichen zu gehen, denn sonst könnte man die Rücksichtslosigkeit, mit der man diese ursprünglich
zivil orientierte Firma ins Rüstungsgeschäft hineinschleust, nicht erklären.
— Das ist ein Thema, das in der SPD hoffentlich diskutiert wird.
Ungeachtet der Abrüstungsdiskussion wird ganz Europa auch in diesem Herbst wieder mit Manövern überzogen. In der nächsten Woche beginnt in Süddeutschland — pikanterweise unter Ausschluß der NATO — die erste deutsch-französische Großübung, an der 75 000 Soldaten beteiligt sind. Wir protestieren mit aller Schärfe gegen die Verstärkung der Militärachse Bonn — Paris und die Militarisierung der deutsch-französischen Beziehungen.
Wir werden die Besiegelung der deutsch-französischen Waffenbrüderschaft mit ihrer gefährlichen nuklearen Dimension, die am 24. September von Präsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl in Kehlheim vorgenommen werden soll, nicht tatenlos hinnehmen. Ist das, was ich hier skizziere, ein Land, und ist das die Politik in einem Land, das sich auf eine Ära der Abrüstung einrichtet? Nein. Die mögliche Beseitigung der Mittelstreckenwaffen ist nicht Resultat dieser Politik, sondern wurde dieser Regierung aufgenötigt. Wir leben in einem Land, dessen an Abrüstung interessierte Bürger froh sein müssen, daß dieses Land nicht souverän ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch Herrn Ehmke zurückgeben, der vorhin den GRÜNEN eine unklare Position anlastete. Wir waren die ersten, die damals, als das Ja zur einfachen Null-Lösung von der Regierung kam, gefordert haben: Pershing I muß dazu, mit aller Konsequenz. Das war die Position der GRÜNEN. Heute haben wir die Position, wo Sie auch noch nicht mitwollen, nämlich die sofortige Abrüstung der Pershing I. Denn alle Gründe, die bisher genannt wurden, Faustpfand und was auch immer, sind hinfällig. Wenn es also nur noch Aufgabe dieser deutschen Beteiligung an dem Prozeß ist, das Ganze zu fördern, wirkt die Förderung nur durch eine sofortige Verzichtserklärung zur sofortigen Verschrottung dieser Waffen.