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ID1102405000

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    Plenarprotokoll 11/24 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 24. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Jahn (Marburg) 1563 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Vogel SPD 1563 a Dr. Waigel CDU/CSU 1576 D Ebermann GRÜNE 1586 B Ronneburger FDP 1590 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1593 B Dr. Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 1602 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 1602 C Frau Geiger CDU/CSU 1607 C Frau Hensel GRÜNE 1610 B Genscher, Bundesminister AA 1611 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 1615 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 1618 C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 1620 A Frau Seiler-Albring FDP 1622 D Kühbacher SPD 1624 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 1626 D Horn SPD 1632 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 1633 D Dr. Penner SPD 1636 B Möllemann, Bundesminister BMBW 1642 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 1643 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 1646D Dr. Hirsch FDP 1649 B Bernrath SPD 1651 C Engelhard, Bundesminister BMJ 1653 C Dr. de With SPD 1655 B Dr. Wittmann CDU/CSU 1658 D Häfner GRÜNE 1660 D Lüder FDP 1663 C Nächste Sitzung 1664 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1665* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 1563 24. Sitzung Bonn, den 10. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Bühler (Bruchsal) * 10. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Eigen 11. 9. Dr. Feldmann ' 11. 9. Großmann 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Lemmrich * 10. 9. Frau Luuk * 11. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Dr. Unland ** 10. 9. Volmer 11. 9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, ich möchte keine Fragen beantworten. — Und ich weise mit der gleichen Entschiedenheit zurück, daß eine freigewählte Regierung, die Bundesregierung im Jahre 1969, und ein frei gewähltes Parlament, der Deutsche Bundestag, den Atomwaffensperrvertrag nicht aus eigener Überzeugung und in freier Entscheidung, sondern unter Druck von außen beschlossen hätten.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Sie sind Mitglieder des Deutschen Bundestages. Sie sollten selbst daran interessiert sein, daß die Freiheit, die Unbefangenheit unserer Entscheidung von niemandem bestritten werden kann.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Gucken Sie doch da hinüber, gucken Sie doch dahin!)

    Meine Damen und Herren, zur politischen Auseinandersetzung in einer parlamentarischen Demokratie gehört ganz gewiß das offene Wort, das klare Aufzeigen auch der Unterschiede. Aber die böswillige Unterstellung, das Säen von Mißtrauen, das ist ein Tiefschlag gegen die politische Kultur in unserem Lande. Es ist in Wahrheit eine politische Umweltverschmutzung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wer so etwas tut, der zerstört das geistige Klima des Friedens, das wir in unserer geographischen und politischen Lage, in unserer Verantwortung brauchen. Wer das tut, zeigt, daß ihm der innere Frieden wenig wert ist. Die Fähigkeit zum inneren Frieden ist nun einmal die Voraussetzung für den äußeren Frieden.
    Wir können es nicht stehen lassen; ich wiederhole: Wir sind keine Atommacht, wir wollen es auch nicht sein. Ich würde mir aber wünschen, daß alle Fraktionen des Bundestages mit uns gemeinsam, mit der Regierungskoalition als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages den Anspruch immer wieder bekräftigen, daß die Großmächte mit der Reduzierung der strategischen Potentiale auch in ihrem Wechselverhältnis mit den Defensivwaffen ernst machen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Jawohl!)

    Meine Damen und Herren, der Kollege Dregger hat im Zusammenhang mit dem Besuch des Staatsratsvorsitzenden Honecker davon gesprochen, daß man das Rad der Geschichte nur nach vorn bewegen kann. Ein gutes Wort. Es bedeutet die Absage an den untauglichen und gefährlichen Versuch, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Es ist auch eine Absage an eine Politik des Stillstands und der Verweigerung. Es ist eine Hinwendung zu einer Politik der Zukunftsgestaltung, die bedeutet: Wir sind nicht bereit, uns mit dem abzufinden, was ist, sondern wir wollen es verbessern.
    Aus diesem Besuch heraus muß sich jene Dynamik ergeben, die wir durch die Grundentscheidungen der deutschen Politik möglich gemacht haben: durch den Beitritt zum westlichen Verteidigungsbündnis, zur Europäischen Gemeinschaft, durch den deutschfranzösischen Vertrag, durch die Ost-Verträge und durch die Schlußakte von Helsinki. Jede dieser Entscheidungen hat uns ein Stück weitergebracht. Jede dieser Entscheidungen hat die Handlungsmöglichkeiten für unseren Staat erweitert. Sie hat unser Ansehen vermehrt und Vertrauen gewonnen.
    Wir stehen auch heute wieder am Beginn einer dynamischen Phase in der europäischen Politik, die sich deutlich ausdrückt in der Entwicklung des Ost-WestVerhältnisses. Wir haben dabei die Verantwortung, diese West-Ost-Beziehungen zukunftsfähig zu machen, nicht gegeneinander, sondern durch kooperative Sicherheitsstrukturen, die wir zu schaffen haben, und durch Verabredungen über Krisenbeherrschungen.
    Wir lassen keinen Zweifel, daß dabei die deutschsowjetischen Beziehungen für das West-Ost-Verhältnis eine zentrale Bedeutung haben. Wir sind uns bewußt, daß die neue sowjetische Führung nicht nur wirtschaftlich, aber auch wirtschaftlich ein schweres Erbe übernommen hat. Die Beschleunigung von Wachstum und technologischem Fortschritt muß daher ihr Ziel sein. Das kann man nicht allein durch eine Wirtschaftsreform erreichen, dazu braucht man Menschen, die zu Leistungen motiviert, zur Verantwortung bereit und die kreativ sind. Das verlangt eine offenere Politik, eine offenere Informationspolitik, konstruktive Kritik, Verbesserung der Rechtssicherheit, Entbürokratisierung, schrittweise Entmachtung der Apparate, und man braucht, um diese wirtschaftliche Entwicklung möglich zu machen, gute auswärtige Beziehungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Deshalb muß der Westen die darin liegende Chance erkennen. Wer sich nicht aus altem Denken, aus alten Feindbildern lösen kann, wer im Falle der Sowjetunion immer nur einzig und allein den schlimmsten Fall annimmt, würde sich selbst politik-



    Bundesminister Genscher
    unfähig machen. Zur Abrüstung gehört auch die Abrüstung der Feindbilder, und das auf beiden Seiten.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Meine Damen und Herren, die innere Entwicklung in der Sowjetunion ist nicht nur ein innenpolitischer Vorgang ohne Wirkung nach außen, die innere Entwicklung der Sowjetunion stärkt die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, und mehr Offenheit bildet Vertrauen.
    Da haben wir gar keinen Anlaß, kleinmütig in diese Entwicklung einzutreten, sondern wir haben allen Anlaß, selbstbewußt den Nutzen aus dieser Entwicklung für die Verbesserung der Lage in Europa zu ziehen. Wir tun das in diesen Tagen — und haben es hier in Bonn getan — auch in den Gesprächen mit der Führung der DDR. Heute zeigt der Honecker-Besuch, daß die deutsch-deutschen Beziehungen zu den Wachstumsfaktoren von Entspannung und Zusammenarbeit in Europa gehören. Das ist eine dramatische Umkehr der Bedeutung der deutsch-deutschen Beziehungen für das West-Ost-Verhältnis. Aus dem Hemmschuh des West-Ost-Verhältnisses ist heute ein Impulsgeber für bessere Verständigung zwischen West und Ost geworden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD sowie der GRÜNEN)

    Wir deutschen haben die europäische Perspektive dieser Politik erkannt. Vielleicht haben wir es uns in unserer Geschichte sehr schwer gemacht, die europäische Einbettung unseres Schicksals in Europa zu erkennen. Wir haben einen langen Weg mit schlimmen Katastrophen und großen Irrtümern zurückgelegt. Der frühere Bundespräsident Heinemann hat davon gesprochen, daß wir Deutschen ein schwieriges Vaterland haben. Bundespräsident von Weizsäcker hat zu Recht festgestellt, daß uns unsere Geschichte nie allein gehört hat. Das zeigt in dramatischer Weise die europäische Verantwortung, die wir sehen müssen.
    Es ist doch ganz offenkundig, daß alles, was Europa betrifft, uns mehr betrifft. Die Grenze durch Europa ist eben nicht die Grenze durch irgendein anderes europäisches Land. Es ist die Grenze mitten durch Deutschland.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ehrlich?)

    Alle Probleme, die heute auf Europa lasten, bündeln sich hier auf deutschem Boden in West und Ost.
    Diese Beziehungen zur DDR sehen wir deshalb auch in einem europäischen Gesamtzusammenhang, im Gesamtzusammenhang auch des West-Ost-Verhältnisses, auch in der Wechselwirkung unserer Beziehungen zu den anderen Staaten des Warschauer Paktes und eingebettet in den KSZE-Prozeß.
    Meine Damen und Herren, in einer sich so dynamisch verändernden Lage in Europa darf die Dynamik nicht auf die Entwicklung des West-Ost-Verhältnisses beschränkt bleiben, sondern wir brauchen die gleiche
    Dynamik auch für die Gestaltung der Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Europas.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist notwendig, daß wir erkennen, daß die europäische Politik nur in ihrem auch politischen Gleichgewicht bleibt, wenn es in der westlichen Einigung genauso vorwärts geht wie in der Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses. Ja, ich behaupte, größere westliche Einigung macht uns zukunftsfähiger auch für die Gestaltung des West-Ost-Verhältnisses. Deshalb ist es notwendig, daß wir eine gemeinsame Außenpolitik in der Europäischen Gemeinschaft schaffen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Das wollen wir ganz dringlich. Wir haben gute Ansätze für die Mitwirkung im KSZE-Prozeß geschaffen. Wir brauchen die umfassende gemeinsame Außenpolitik.
    Meine Damen und Herren, wenn wir unsere geschichtliche Rolle in der Gestaltung des West-OstVerhältnisses hier in Europa als Deutsche wahrnehmen, wenn wir unsere europäische Friedensverantwortung erkennen, dann wollen wir das nicht allein tun; wir wollen es zusammen mit unseren europäischen Partnern. Ja, wir rufen unseren europäischen Partnern zu: Laßt uns nicht allein bei dieser Aufgabe; es ist eine Aufgabe des ganzen europäischen Westens.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Zu diesen Fortschritten gehört es auch, daß wir im Ausbau der Europäischen Gemeinschaft die notwendigen Fortschritte machen. Dazu gehört, daß wir von der bemerkenswerten Feststellung Kenntnis nehmen, die der Präsident der Deutschen Bundesbank vor kurzem gemacht hat. Er hat gesagt: Ich bin der Meinung, daß ein voll integrierter Markt ohne Schranken für Waren, Dienstleistungen und Kapital, wie er für 1992 vorgesehen ist, von der Logik her auch eine Art Währungsunion, vielleicht sogar noch eine gemeinsame Währung erfordert. Er hat dann fast resignierend hinzugefügt: Aber davon sind wir leider noch weit entfernt.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ja!)

    Das ist wahr, meine Damen und Herren, und trotzdem sage ich: Wir haben die Aufgabe, als erstes unser Europäisches Währungssystem zu einem Stabilitätsfaktor, zu einer Stabilitätsgemeinschaft zu machen, und das bedeutet — —

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Mal mit der Bundesbank reden!)

    — Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, Herr Kollege Ehmke, daß der Präsident der Bundesbank diese Notwendigkeit erkennt. Hier ist eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit notwendig.
    Wir werden diese Funktion als Stabilitätsgemeinschaft allerdings nur verwirklichen können, wenn wir uns auch darüber im klaren sind, daß die Ziele des Wachstums- und Stabilitätsgesetzes nicht auf die nationale Politik beschränkt bleiben können, sondern dann auch Aufgabe einer solchen Wirtschafts- und



    Bundesminister Genscher
    Währungsunion im europäischen Maßstab sein müssen.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, wenn wir das schrittweise erreichen, indem die Staaten beitreten, die dazu — wie Großbritannien — in der Lage sind — und wir begrüßen, daß das zu einem Gegenstand der Diskussion in Großbritannien wird — , ist das ein bedeutender Fortschritt. Unser Beitrag muß es sein, auch hier über den Gemeinsamen Markt für 1992 hinaus die wirtschaftliche Kraft des europäischen Marktes und der Gemeinschaft wirklich voll zur Geltung zu bringen.
    Dasselbe gilt für die Schaffung der europäischen Technologiegemeinschaft, für die Herbeiführung auch einer engeren Kooperation bei Großforschungsvorhaben, damit nicht parallel und nebeneinander gewirtschaftet wird. Eureka hat gezeigt, daß es Erfolg haben kann. Der Kollege Riesenhuber hat in diesen Tagen eine eindrucksvolle Bilanz dieses europäischen Unterfangens vorgelegt.
    Meine Damen und Herren, es ist auch notwendig, daß wir mit einer europäischen Sicherheitspolitik sowohl in der Europäischen Gemeinschaft als auch in der Westeuropäischen Union den europäischen Pfeiler für das westliche Bündnis schaffen. Wenn wir das tun, wird niemand der Vorstellung nachhängen, es könnte durch die Politik der Zusammenarbeit und des Ausgleichs das Gleichgewicht der europäischen Politik durch die Dynamik in der Entwicklung der WestOst-Beziehungen in Gefahr geraten. Hier muß es unser Ziel, das der Deutschen, sein, daß wir die Impulsgeber bei diesem Prozeß der europäischen Einigung sind, daß wir die Impulsgeber auch im Prozeß der Annäherung zwischen West und Ost sind und daß wir die Impulsgeber auch für die Vorhaben der Abrüstung sind, für die für uns das Abkommen über die Mittelstreckenraketen ein bedeutsamer Anfang ist, aber eben nur ein Anfang. Es ist nur ein Einstieg in die Abrüstung; dennoch ist es wichtig, zu erkennen, daß ein solches Abkommen die Bedrohung durch 1 500 atomare Sprengköpfe von uns nehmen würde. Dabei klingt das Wort „Sprengköpfe" durch seine technokratische Definition eher verharmlosend. Jeder dieser Sprengköpfe auf SS-20-Raketen hat die zehnfache Vernichtungskraft der Atombombe von Hiroshima. Wer sich das vergegenwärtigt, wer sich das vor Augen hält, der wird verstehen, daß man über die Beseitigung dieser Bedrohung nur Erleichterung empfinden kann.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    Ich denke, daß die gleiche Erleichterung unsere Mitbürger in der DDR, daß die gleiche Erleichterung das schwer geprüfte polnische Volk, daß die gleiche Erleichterung die Völker der Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg große Opfer zu bringen hatten, empfinden werden, wenn durch dieses Abkommen auf westlicher Seite zwar weniger, aber immerhin doch über 500 Sprengköpfe mit ähnlicher Vernichtungskraft beseitigt werden. Ich bin ganz sicher, meine Damen und Herren — da mögen uns Systemunterschiede trennen, ja da mögen uns politische Überzeugungen in dem einen oder anderen Fall trennen — : In dem Willen der Völker und der Menschen in Europa, in West und Ost, sind wir uns ganz gewiß einig, daß Fortschritte hier in Europa sich zum Segen für die Völker in West und Ost auswirken werden.
    Das gilt insbesondere bei uns, weil sich hier bei uns auf deutschem Boden alle Probleme, die unsere Welt und unsere Zeit so kompliziert, aber auch gefährlich machen, darstellen. Zwei unterschiedliche politische Systeme, von denen Herr Honecker sagt, sie seien unterschiedlich wie Feuer und Wasser, stehen sich auf deutschem Boden gegenüber. Zwei hochgerüstete Paktsysteme stehen sich auf deutschem Boden gegenüber: eine Konzentration von atomaren und konventionellen Waffen auf deutschem Boden und auch eine Addition der Umweltprobleme.
    Wer also kann größeren Nutzen ziehen aus der Politik, die der Westen und der Osten in ihren Vorstellungen zum Gegenstand von Verhandlungen machen, oder, was die Raketen kürzerer Reichweiten, Herr Kollege Ehmke, angeht, noch machen werden? Sie haben die Bundesregierung in dieser Frage gerügt, aber auch Verständnis für unsere Besorgnis gezeigt. Sie wissen, daß es bei der Außenministerkonferenz in Reykjavik im Frühsommer dieses Jahres auf unseren Antrag hin möglich geworden ist, daß wir die Absicht der Verhandlungen über die Raketen kürzerer Reichweite in die Politik des westlichen Bündnisses aufgenommen haben. Das Verhandlungsmandat dafür wird erarbeitet. Sie werden erleben, daß wir dafür auch unsere Verhandlungsvorschläge zu gegebener Zeit vorlegen.

    (Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ich möchte so weiterreden; entschuldigen Sie bitte. Ich habe einem anderen Kollegen gleichfalls eine Frage nicht beantwortet.
    Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig, daß wir die Abrüstung in der ganzen Breite vorantreiben.
    Wir sind dabei auch ganz offen, Herr Kollege Ehmke, mit der DDR über diese Fragen zu sprechen. Aber wenn wir mit der DDR über Fragen der Abrüstung sprechen, dann kann das doch nicht automatisch bedeuten, daß wir Abrüstungspositionen übernehmen, von denen wir der Meinung sind, daß sie nicht zukunftsträchtig sind, mit denen Sie sympathisieren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Nehmen Sie ein Beispiel. Sie haben — auch hier — lange darum gerungen, daß wir einer chemiewaffenfreien Zone in Europa zustimmen sollen. Wir haben Ihnen von Anfang an gesagt: Das Problem der schrecklichen Vernichtungswaffen, der chemischen Waffen, kann nur weltweit gelöst werden, weil gerade in diesem Bereich die Frage der Nachprüfbarkeit — nicht so sehr für die Lagerung, als vielmehr für die Produktion — nur total geregelt werden kann. Wenn wir regionale Verbote haben, werden einige Länder weiter für sich das Recht beanspruchen, chemische Waffen zu produzieren. Sie sehen dem Produktions-



    Bundesminister Genscher
    vorgang nicht an, für welches Gebiet diese Waffen bestimmt sind.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Aber das eine schließt doch das andere nicht aus, Herr Kollege!)

    Deshalb sage ich Ihnen: Das Problem der Verifikation, in dessen Überwindung wir ja begriffen sind, wird sich bei einem weltweiten Verbot leichter regeln lassen. Wir sind ja ganz nahe bei einer Regelung.
    Meine Damen und Herren, wenn ich die Opfer des schrecklichen, zum Teil mit chemischen Waffen geführten irakisch-iranischen Krieges sehe, dann bin ich der Meinung, daß wir unserer moralischen Verantwortung gegenüber der Dritten Welt nicht gerecht würden, wenn wir sagten: Es reicht uns, wenn die chemischen Waffen hier verboten sind.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das haben wir nicht gesagt!)

    Sie müssen weltweit verschwinden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    — Herr Kollege Ehmke, wenn das Ihre Meinung ist — es ist ja Ihre Meinung — , dann gehen Sie doch jetzt nicht mehr der kleinen Lösung nach, da alle Beteiligten in Genf bei der Diskussion über die große umfassende Lösung der weltweiten Beseitigung der chemischen Waffen nahe an einem Ergebnis für diese weltweite Beseitigung angelangt sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Hoffentlich!)

    Diese Auffassung, weltweit die Probleme der Vernichtungswaffen anzupacken, hat sich doch auch bei den Mittelstreckenwaffen als richtig erwiesen. Wir haben hier immer wieder gesagt, es wäre das Beste, wenn wir die weltweite Beseitigung aller Mittelstreckenwaffen erreichten.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wir auch!)

    Da hatten die Großmächte zunächst noch in Aussicht genommen, hundert im asiatischen Teil der Sowjetunion und hundert in den Vereinigten Staaten zu behalten. Ich glaube, daß wir durch unsere Politik, auch durch unser Beharren auf unserem Standpunkt der weltweiten Lösung wesentlich dazu beigetragen haben, daß die ganze Menschheit diese Vernichtungswaffen in Gestalt der Mittelstreckenraketen loswerden kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deshalb ist es wichtig, daß wir, wenn weltweite Regelungen erreichbar sind, dann auch tatsächlich zupakken. Darüber mit der DDR zu reden sind wir bereit.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Da sind wir ja auch einig!)

    Wir sind auch entschlossen, zusammen mit der DDR im Rahmen der KSZE-Konferenz in Wien, wenn es möglich ist, gemeinsame Initiativen zu ergreifen. Warum eigentlich nicht? Muß es nicht der Ehrgeiz beider deutscher Staaten sein, bei der Durchführung der Schlußakte einen höchsten Standard zu erreichen und diesen Standard auch in neue ergänzende Beschlüsse für den KSZE-Prozeß umzusetzen?
    Wenn es darum geht, sich auch im Rahmen der Vereinten Nationen über gemeinsame Initiativen zu verständigen: Wir sind dazu bereit, und wir sind da genauso realistisch wie die DDR. Wir wissen, daß wir unsere Grundsatzpositionen so wenig wie unsere Positionen in unseren Bündnissen und den Wertegemeinschaften, denen wir angehören, aufgeben werden.
    Was ich für besonders wichtig halte — und damit komme ich zu Bemerkungen am Anfang zurück, meine Damen und Herren — , ist die Tatsache, daß wir nicht nur erkennen, daß Friedenssicherung in Europa mehr ist als Abrüstung, daß Zusammenarbeit notwendig ist, daß Vertrauensbildung notwendig ist. Es ist wichtig, daß wir die Zusammenarbeit nicht einschränken auf Fragen der Wirtschaft, der technologischen Zusammenarbeit, so wichtig das alles ist, auch für den politischen Dialog. Ich messe der kulturellen Zusammenarbeit, dem kulturellen Austausch eine ganz entscheidende und friedensbildende Wirkung zu. Es ist wichtig, daß sich jeder bei uns bewußt ist, daß die große europäische Kultur von allen Europäern geschaffen worden ist, daß alle europäischen Völker dazu ihren Anteil geleistet, ihren Beitrag erbracht haben. Daraus ergibt sich unsere Achtung vor den anderen Völkern — unsere friedensbildende Achtung.
    Meine Damen und Herren, wer Achtung vor einem anderen Volk hat, den kann man nicht mehr gegen dieses Volk aufhetzen. Das ist die eigentliche Bedeutung der kulturellen Zusammenarbeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn wir die friedensbildende Wirkung dieser Achtung vor anderen Völkern haben, erkennen, im Bewußtsein haben, wenn wir uns auch bewußt sind, daß innerer und äußerer Friede nicht trennbar sind, daß sie zusammengehören, die Friedensgesinnung nur eine umfassende Friedensgesinnung sein kann, dann allerdings müssen wir uns auch bewußt sein: Die Achtung vor den anderen Völkern darf nicht erst jenseits der Grenzen beginnen, sie muß auch den ausländischen Mitbürgern bei uns hier gehören. Hier beginnt die Achtung vor dem Nächsten.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heidemarie Wieczorek-Zeul


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Kohl und auch Außenminister Genscher haben hier gesagt, daß die Verwirklichung der Einheitlichen Europäischen Akte und des gemeinsamen Binnenmarktes die besonderen Ziele der Bundesregierung seien. Der vorliegende Bundeshaushalt widerspricht dieser Behauptung aber eklatant; denn gerade in diesem Bereich ist der Entwurf der Bundesregierung unsolide, unehrlich und ist der Finanzplan bis 1991 reine Makulatur.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das nehmen Sie aber sofort zurück!)

    Ich will das am Beispiel der Leistungen, die nicht für
    die Europäische Gemeinschaft im Haushalt berück-



    Frau Wieczorek-Zeul
    sichtigt worden sind, deutlich machen. Dabei betreibt die Bundesregierung ein unwürdiges Doppelspiel. Sie beschließt nämlich im Rahmen der EG-Ministerräte unter Ausschluß der Öffentlichkeit alles mit. Bei der nationalen Umsetzung aber beruft sie sich dann auf die Beschlüsse der EG, oder sie will von ihnen nichts mehr wissen.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Ich möchte mit meinen Ausführungen einen Beitrag dazu leisten, dieses Doppelspiel durchschaubarer und es für die Zukunft schwieriger — hoffentlich unmöglich — zu machen;

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Jetzt gehen Sie aber zu weit!)

    denn die finanzpolitische Doppelmoral der Bundesregierung ruiniert den Haushalt der EG und bürdet damit auch dem Bundeshaushalt massive Folgekosten auf.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Sie sind aber nicht durch eine abstrakte Europäische Gemeinschaft verschuldet, sondern sie sind selbst verschuldet durch die EG-Politik dieser Bundesregierung.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Mit Billigung und aktiver Beteiligung der Bundesregierung schiebt die Europäische Gemeinschaft einen riesigen Berg von Ausgabeverpflichtungen vor sich her, deren Einlösung bislang nur durch fragwürdige Finanzierungstricks und Manipulationen hinausgeschoben wurde. Die Finanzprobleme, die im wesentlichen durch höhere Agrarausgaben entstanden sind, wurden bisher nur mühsam durch haushaltstechnische Manipulationen verdeckt. Die Konsequenzen dieser Politik müssen aber die deutschen Steuerzahler und Steuerzahlerinnen tragen; denn die so entstehenden Haushaltsrisiken der Europäischen Gemeinschaft können ja schließlich nur durch zusätzliche Finanzierungsleistungen der Mitgliedsländer gedeckt werden. Und daran ist die Bundesrepublik mit einem Anteil von rund 28 % beteiligt.
    Das ist — ich wiederhole es — keine Kritik der Institution der Europäischen Gemeinschaft, sondern eine Kritik am Ministerrat, d. h. an den Regierungen und an der Bundesregierung.
    Die SPD-Fraktion weiß, daß wir die Europäische Gemeinschaft auch künftig mit mehr Finanzmitteln ausstatten müssen, damit sie ihre Aufgaben des Ausgleichs zwischen wirtschaftsstärkeren und wirtschaftsschwächeren Mitgliedsländern wirklich leisten und damit sie Selbstbehauptung der Europäer auch wirklich durchsetzen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wollen eine starke Europäische Gemeinschaft, und wir wollen den gemeinsamen Binnenmarkt. Das setzt aber voraus, daß auch die Bundesregierung die wirklichen finanziellen Konsequenzen offen darstellt und endlich eine Revision ihrer total verfehlten und gescheiterten Agrarpolitik einleitet.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Verhalten der Bundesregierung jedenfalls, sich hinter der EG zu verstecken, führt dazu, daß die Europäische Gemeinschaft in deh Augen der deutschen Bevölkerung fälschlicherweise als unkalkulierbare, unsinnige Finanzforderungen stellende Behörde oder Zentrale erscheint. Damit wird die EG in den Augen der Bevölkerung abgewertet. Da nutzen dann auch die besten europäischen Sonntagsreden nichts, diesen falschen Eindruck zu korrigieren.
    Dabei bringt die EG gerade der Bundesrepublik Vorteile. Über 60 % der Exporte der Bundesrepublik gehen in die Länder der EG. Unser Leistungsbilanzüberschuß betrug 1986 23 Milliarden DM. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Sonderprogramm zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik, das wir auch wieder ausgleichen müssen dadurch, daß wir der Aufstockung der Strukturfonds der EG für die wirtschaftsschwächeren Länder in der Europäischen Gemeinschaft zustimmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Haushaltstricks und Manipulationen — unter Beteiligung des deutschen Finanzministers — hat der EG-Ministerrat jedenfalls angewandt, um die Lücken des EG-Haushalts 1987 durch einen sogenannten Berichtigungshaushalt zu schließen. So wurde eine Lücke von 9 Milliarden DM schlicht und einfach ins Jahr 1988 verschoben. Diese Probleme haben auch die europäischen Christdemokraten erkannt und kritisiert. Sie haben nämlich im Europäischen Parlament gegen diesen entsprechenden Berichtigungshaushalt gestimmt. Der Kollege Langes (CDU) hat das bei seiner Stimmerklärung deutlich gemacht und vor „Tricks und Haushaltsbasteleien" gewarnt. Dem kann man nur zustimmen.
    Im übrigen an die Adresse des Finanzministers — : hier geht es wieder um die Differenz zwischen Worten und Taten. Was nutzen die besten Worte zur Verwirklichung der Einheitlichen Europäischen Akte und für mehr Rechte des Europäischen Parlaments, wenn in einem derartig unwürdigen Haushaltsverfahren der Finanzminister die schon geringen Rechte des Europäischen Parlaments mit Füßen tritt?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Der Gipfel der Heuchelei und des Doppelspiels des Finanzministers und der Bundesregierung wird aber beim EG-Haushaltsplan für 1988 deutlich. Finanzminister Stoltenberg hat gestern in der Debatte gesagt, man wisse noch nicht, wieviel Finanzmittel notwendig seien, um die neuen Eigenmittel der EG zu finanzieren. Im übrigen seien sich die zwölf Regierungen in dieser Frage überhaupt nicht einig. Das hat er hier im Bundestag gesagt.
    Im Juni, auf EG-Ebene, war aber für die Bundesregierung alles klar. Beim Gipfel Ende Juni in Brüssel hat sie mit zehn europäischen Regierungen das neue Finanzierungssystem akzeptiert — ausweislich des Bulletins der Bundesregierung. Nur Großbritannien stand abseits. Dieses Übereinkommen wurde im Juni von der Bundesregierung als großer Erfolg gefeiert,



    Frau Wieczorek-Zeul
    von dem Stoltenberg jetzt beim Haushalt nichts mehr wissen will.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Dieser feine Herr macht all die Sachen, die Sie hier sagen, Frau Kollegin?)

    — Man möchte es nicht glauben. Aber ich habe in meiner Tätigkeit als Europaabgeordnete noch Schlimmeres erlebt, was Bundesregierungen da vertreten.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das ist richtig! Bei den früheren Regierungen war es noch viel schlimmer!)

    Im übrigen hat die Bundesregierung im Ministerrat ein Verfahren akzeptiert, liebe Kolleginnen und Kollegen, das man sich überhaupt nicht vorstellen kann: daß der Haushaltsplan der EG für 1988 nach dem neuen Finanzierungssystem erstellt wird, dessen Verwirklichung aber durch Ratifikation in den nationalen Parlamenten erst Ende 1988, vielleicht sogar erst 1989 zustande kommen wird. Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf gut deutsch: Man weiß bereits, wieviel Kosten entstehen. Nur wie sie finanziert werden sollen, wie sie aufgebracht werden sollen, das sagt man nicht.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Dr. Schummelberg!)

    Herr Stoltenberg weiß also längst, was es uns kosten wird. Unterstellt man, daß er beim Gipfel im Juni dieses Jahres einen Zustand der Bewußtlosigkeit hatte, so kann man nur hoffen, daß er bis zum Haushaltsministerrat am 17. September, in einer Woche, das Bewußtsein wiedergefunden hat.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Im übrigen weise ich darauf hin, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß eine Einigung über das EG-Haushaltsvolumen in Höhe des jetzigen Vorentwurfs der EG-Kommission bereits jetzt eine Überschreitung der Grenze von 1,4 % der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage bedeutet und eine Ausschöpfung von 1,64 %. Unterstellt man, daß die geltende Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage von jetzt 1,4 % 1988 nur auf 1,6 % aufgestockt würde, so führt das im Bundeshaushalt zu zusätzlichen Ausgaben von mindestens 2 Milliarden DM jährlich. Hierfür sind aber keinerlei Kosten

    (Dr. Apel [SPD]: So ist es richtig!)

    im Haushaltsentwurf 1988 und im Finanzplan bis 1991 eingesetzt.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Unglaublich!)

    Ferner mache ich darauf aufmerksam — das hat Kollege Apel gestern in der Debatte schon getan — , daß die Europäische Gemeinschaft Mehrbelastungen von rund 16 Milliarden DM aus aufgelaufenen Verpflichtungen vor sich herschiebt. Wenn wir das alles morgen bezahlen müßten, brauchten wir eine sofortige Erhöhung der derzeitigen Obergrenze der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage von jetzt 1,4 % auf 2 %, und dies nur, um die bereits aufgelaufenen Kosten decken zu können.
    Bei dieser Haushaltsdebatte zur Außenpolitik steht auch die Europapolitik der Bundesregierung auf dem Prüfstand. Die Europapolitik dieser Bundesregierung — das können wir schon an der finanziellen Seite erkennen — ist unklar, widersprüchlich. Es ist nicht klar, wer sie formuliert und wer sie koordiniert oder ob sie überhaupt koordiniert wird. Das macht deutsche Europapolitik gegenüber unseren Partnern unkalkulierbar. Der Landwirtschaftsminister klammert sich verzweifelt an das System der Preissubventionierung, während andererseits der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in einer Presseerklärung im Juli dieses Jahres laut darüber klagt, daß im EG-Haushalt 1987 und im neuen Haushaltsentwurf die Mittel für die Entwicklungshilfe gesenkt seien. Das ist eine direkte Konsequenz der Beschlüsse, auch der Agrarministerbeschlüsse vom Juni dieses Jahres. Es ist richtig, je mehr der Agraranteil im EG-Haushalt steigt, um so weniger Mittel sind für die Länder der Dritten Welt vorhanden, zum Beispiel für ein Mittelamerikaprogramm, das den Frieden in der dortigen Region abzusichern versucht, was dringend notwendig wäre.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

    Aber wo ist die Koordinierung zwischen diesen beiden Positionen? Jedenfalls würde sich der Kollege Parlamentarischer Staatssekretär am besten an den eigenen Agrarminister wenden, der sich seit Monaten weigert, sich an den Agrar-Reformplänen der EG-Kommission und des Rates auch nur zu beteiligen — mit dem Ergebnis, daß sich die Bundesregierung vor dem Europäischen Gipfel in die absolute Isolation manövriert hatte und die Pläne zur Agrarreform völlig an ihr vorbeiliefen.
    Wenn die Bundesregierung die deutsche EG-Ratspräsidentschaft ab 1. Januar 1988 wirklich nutzen will, muß sie wichtige Korrekturen ihrer eigenen Politik vornehmen. Sie muß endlich die deutschen Interessen in und an der EG richtig gewichten. Da heißt es, Worte und Taten wieder in Zusammenhang bringen und die Widersprüche dazwischen aufheben.
    Bundeskanzler Kohl hat heute morgen gesagt: Wir sind für den Vorrang des Binnenmarktes. In der Praxis widersetzt sich aber die Regierung des Industrielandes Bundesrepublik den konkreten Vorschlägen der EG-Kommission zur Reform der Agrarpreispolitik,

    (Dr. Ehmke [Bonn [SPD]: Leider!)

    obwohl genau dieser Irrsinn der Agrarpreissubventionierung die EG und damit die Verwirklichung des Binnenmarktes zu sprengen droht. Vom gemeinsamen Binnenmarkt aber profitieren gerade die Industrie-Exporte der Bundesrepublik.
    Worte und Taten, dazu kann ich viel sagen. Bundeskanzler Kohl sprach heute morgen von der „Umweltgemeinschaft", die die Regierung auf EG-Ebene anstrebe. Gleichzeitig weigert sich die Bundesregierung aber, einem EG-Kommissionsvorschlag eines Programms „Arbeitsplätze durch Umweltschutz" zuzustimmen.

    (Zuruf von der SPD: Ungeheuerlich!)




    Frau Wieczorek-Zeul
    Wer im übrigen das Festhalten an der unsinnigen EG-Agrarpolitik zum obersten Ziel macht, der darf sich nicht wundern, wenn es in der EG beim umweltfreundlichen Auto nicht vorangeht.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Bundesregierung muß meines Erachtens die wirklichen deutschen Interessen in die EG einbringen und die sind: hohe Umweltstandards, eine neue Initiative, die Automobilabgase zu entgiften, was dringend notwendig ist, um den Wald zu retten, und sie muß sich mit aller Kraft dem Versuch widersetzen, die EG-Grenzwerte für Radioaktivität hochzusetzen.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Das sind die Forderungen zu Umweltfragen, deren Erfüllung notwendig wäre.
    Ein letztes: Europa muß mit einer Stimme reden. Das habe ich hier mehrfach gehört. Dem ist voll zuzustimmen. Nur, ich habe erlebt, daß gerade in den Situationen, in denen die elf europäischen Nachbarn bereit waren, mit einheitlicher Stimme zu sprechen, die Bundesregierung gebremst hat — so geschehen bei den Sanktionen gegen Südafrika, so geschehen bei der Ablehnung von SDI. Wer also die einheitliche europäische Stimme verhindert hat, wird sehr deutlich. Auch ein Beitrag zum Widerspruch zwischen Worten und Taten.
    Die Bundesregierung muß den strategisch wichtigen Stellenwert der EG deutlich machen, und ihr Verhalten in der Frage der Benennung des Nachfolgers für den verstorbenen EG-Kommissar Alois Pfeiffer wird dafür ein Test sein. Wird die Position in Brüssel als ein Verschiebeposten im Poker zwischen CDU, FDP und CSU zur vermutlich unmöglichen Ruhigstellung von Franz-Josef Strauß verstanden, oder wird sie als eine wichtige Möglichkeit zur Gestaltung europäischer und deutscher Innenpolitik verstanden?

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das Letztere ist der Fall!)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine offene innenpolitische Diskussion über die Chancen und Begleiterscheinungen des großen EG-Binnenmarktes. Der große Gemeinsame Markt wird für die Bundesrepublik wie ein riesiges Konjunkturprogramm wirken. Es muß aber auch klar werden, daß die Vollendung des Binnenmarktes nicht Aushöhlung des Mitbestimmungsrechts in der Bundesrepublik oder Senkung bestehender Standards im Lebensmittelrecht oder beim Verbraucherschutz bedeuten darf.

    (Beifall bei der SPD)

    Unsere Fraktion fordert die Bundesregierung auf: Schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, daß die EG wirklich funktionieren kann, daß sie genutzt werden kann! Machen Sie Schluß mit der verschleppten Finanzkrise! Verwirklichen Sie eine neue EG-Finanzordnung, und widersetzen Sie sich nicht länger einer sinnvollen und vernünftigen Reform der EG-Agrarpolitik!
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)