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    Plenarprotokoll 11/24 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 24. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Jahn (Marburg) 1563 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Vogel SPD 1563 a Dr. Waigel CDU/CSU 1576 D Ebermann GRÜNE 1586 B Ronneburger FDP 1590 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1593 B Dr. Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 1602 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 1602 C Frau Geiger CDU/CSU 1607 C Frau Hensel GRÜNE 1610 B Genscher, Bundesminister AA 1611 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 1615 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 1618 C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 1620 A Frau Seiler-Albring FDP 1622 D Kühbacher SPD 1624 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 1626 D Horn SPD 1632 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 1633 D Dr. Penner SPD 1636 B Möllemann, Bundesminister BMBW 1642 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 1643 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 1646D Dr. Hirsch FDP 1649 B Bernrath SPD 1651 C Engelhard, Bundesminister BMJ 1653 C Dr. de With SPD 1655 B Dr. Wittmann CDU/CSU 1658 D Häfner GRÜNE 1660 D Lüder FDP 1663 C Nächste Sitzung 1664 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1665* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 1563 24. Sitzung Bonn, den 10. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Bühler (Bruchsal) * 10. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Eigen 11. 9. Dr. Feldmann ' 11. 9. Großmann 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Lemmrich * 10. 9. Frau Luuk * 11. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Dr. Unland ** 10. 9. Volmer 11. 9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, Sie haben soeben wie auch Ihr Fraktionskollege Ebermann von den GRÜNEN zur Einheit der deutschen Nation gesprochen. Ob die deutsche Nation einen getrennten Weg für immer gehen oder wieder zusammenfinden wird, das bleibt nicht allein dem Urteil der Geschichte, sondern vor allem dem Willen aller Deutschen in West und Ost vorbehalten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)




    Bundesminister Genscher
    So falsch es war, sich den Anspruch auf Alleinvertretung für alle Deutschen anzumaßen, so falsch ist es, sich den Anspruch und das Recht anzumaßen, Deutsche, die ihre Meinung dazu nicht sagen können, aus der Gemeinschaft der Nation ausbürgern zu wollen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Ebermann von den GRÜNEN hat heute morgen Feststellungen getroffen, die nicht unwidersprochen bleiben können. Er sprach von den Atommachtswünschen der Regierungsparteien

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Genau!)

    und von dem Gedanken eines deutschen Zugriffs auf die Atombombe in Teilen der Sozialdemokratischen Partei. Meine Damen und Herren, wir sind keine Atommacht, wir wollen es auch nicht sein. Wer ständig von Frieden redet und durch unverantwortliche, in der Sache falsche, bewußt unwahre Erklärungen dieser Art unser Land ins Zwielicht bringt, Mißtrauen gegen unseren Staat sät, der dient nicht dem Frieden, sondern unterminiert das Vertrauen in unser Land. Und das weisen wir mit Entschiedenheit zurück!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lippelt (Hannover)?

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    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, ich möchte keine Fragen beantworten. — Und ich weise mit der gleichen Entschiedenheit zurück, daß eine freigewählte Regierung, die Bundesregierung im Jahre 1969, und ein frei gewähltes Parlament, der Deutsche Bundestag, den Atomwaffensperrvertrag nicht aus eigener Überzeugung und in freier Entscheidung, sondern unter Druck von außen beschlossen hätten.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Sie sind Mitglieder des Deutschen Bundestages. Sie sollten selbst daran interessiert sein, daß die Freiheit, die Unbefangenheit unserer Entscheidung von niemandem bestritten werden kann.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Gucken Sie doch da hinüber, gucken Sie doch dahin!)

    Meine Damen und Herren, zur politischen Auseinandersetzung in einer parlamentarischen Demokratie gehört ganz gewiß das offene Wort, das klare Aufzeigen auch der Unterschiede. Aber die böswillige Unterstellung, das Säen von Mißtrauen, das ist ein Tiefschlag gegen die politische Kultur in unserem Lande. Es ist in Wahrheit eine politische Umweltverschmutzung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wer so etwas tut, der zerstört das geistige Klima des Friedens, das wir in unserer geographischen und politischen Lage, in unserer Verantwortung brauchen. Wer das tut, zeigt, daß ihm der innere Frieden wenig wert ist. Die Fähigkeit zum inneren Frieden ist nun einmal die Voraussetzung für den äußeren Frieden.
    Wir können es nicht stehen lassen; ich wiederhole: Wir sind keine Atommacht, wir wollen es auch nicht sein. Ich würde mir aber wünschen, daß alle Fraktionen des Bundestages mit uns gemeinsam, mit der Regierungskoalition als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages den Anspruch immer wieder bekräftigen, daß die Großmächte mit der Reduzierung der strategischen Potentiale auch in ihrem Wechselverhältnis mit den Defensivwaffen ernst machen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Jawohl!)

    Meine Damen und Herren, der Kollege Dregger hat im Zusammenhang mit dem Besuch des Staatsratsvorsitzenden Honecker davon gesprochen, daß man das Rad der Geschichte nur nach vorn bewegen kann. Ein gutes Wort. Es bedeutet die Absage an den untauglichen und gefährlichen Versuch, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Es ist auch eine Absage an eine Politik des Stillstands und der Verweigerung. Es ist eine Hinwendung zu einer Politik der Zukunftsgestaltung, die bedeutet: Wir sind nicht bereit, uns mit dem abzufinden, was ist, sondern wir wollen es verbessern.
    Aus diesem Besuch heraus muß sich jene Dynamik ergeben, die wir durch die Grundentscheidungen der deutschen Politik möglich gemacht haben: durch den Beitritt zum westlichen Verteidigungsbündnis, zur Europäischen Gemeinschaft, durch den deutschfranzösischen Vertrag, durch die Ost-Verträge und durch die Schlußakte von Helsinki. Jede dieser Entscheidungen hat uns ein Stück weitergebracht. Jede dieser Entscheidungen hat die Handlungsmöglichkeiten für unseren Staat erweitert. Sie hat unser Ansehen vermehrt und Vertrauen gewonnen.
    Wir stehen auch heute wieder am Beginn einer dynamischen Phase in der europäischen Politik, die sich deutlich ausdrückt in der Entwicklung des Ost-WestVerhältnisses. Wir haben dabei die Verantwortung, diese West-Ost-Beziehungen zukunftsfähig zu machen, nicht gegeneinander, sondern durch kooperative Sicherheitsstrukturen, die wir zu schaffen haben, und durch Verabredungen über Krisenbeherrschungen.
    Wir lassen keinen Zweifel, daß dabei die deutschsowjetischen Beziehungen für das West-Ost-Verhältnis eine zentrale Bedeutung haben. Wir sind uns bewußt, daß die neue sowjetische Führung nicht nur wirtschaftlich, aber auch wirtschaftlich ein schweres Erbe übernommen hat. Die Beschleunigung von Wachstum und technologischem Fortschritt muß daher ihr Ziel sein. Das kann man nicht allein durch eine Wirtschaftsreform erreichen, dazu braucht man Menschen, die zu Leistungen motiviert, zur Verantwortung bereit und die kreativ sind. Das verlangt eine offenere Politik, eine offenere Informationspolitik, konstruktive Kritik, Verbesserung der Rechtssicherheit, Entbürokratisierung, schrittweise Entmachtung der Apparate, und man braucht, um diese wirtschaftliche Entwicklung möglich zu machen, gute auswärtige Beziehungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Deshalb muß der Westen die darin liegende Chance erkennen. Wer sich nicht aus altem Denken, aus alten Feindbildern lösen kann, wer im Falle der Sowjetunion immer nur einzig und allein den schlimmsten Fall annimmt, würde sich selbst politik-



    Bundesminister Genscher
    unfähig machen. Zur Abrüstung gehört auch die Abrüstung der Feindbilder, und das auf beiden Seiten.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Meine Damen und Herren, die innere Entwicklung in der Sowjetunion ist nicht nur ein innenpolitischer Vorgang ohne Wirkung nach außen, die innere Entwicklung der Sowjetunion stärkt die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, und mehr Offenheit bildet Vertrauen.
    Da haben wir gar keinen Anlaß, kleinmütig in diese Entwicklung einzutreten, sondern wir haben allen Anlaß, selbstbewußt den Nutzen aus dieser Entwicklung für die Verbesserung der Lage in Europa zu ziehen. Wir tun das in diesen Tagen — und haben es hier in Bonn getan — auch in den Gesprächen mit der Führung der DDR. Heute zeigt der Honecker-Besuch, daß die deutsch-deutschen Beziehungen zu den Wachstumsfaktoren von Entspannung und Zusammenarbeit in Europa gehören. Das ist eine dramatische Umkehr der Bedeutung der deutsch-deutschen Beziehungen für das West-Ost-Verhältnis. Aus dem Hemmschuh des West-Ost-Verhältnisses ist heute ein Impulsgeber für bessere Verständigung zwischen West und Ost geworden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD sowie der GRÜNEN)

    Wir deutschen haben die europäische Perspektive dieser Politik erkannt. Vielleicht haben wir es uns in unserer Geschichte sehr schwer gemacht, die europäische Einbettung unseres Schicksals in Europa zu erkennen. Wir haben einen langen Weg mit schlimmen Katastrophen und großen Irrtümern zurückgelegt. Der frühere Bundespräsident Heinemann hat davon gesprochen, daß wir Deutschen ein schwieriges Vaterland haben. Bundespräsident von Weizsäcker hat zu Recht festgestellt, daß uns unsere Geschichte nie allein gehört hat. Das zeigt in dramatischer Weise die europäische Verantwortung, die wir sehen müssen.
    Es ist doch ganz offenkundig, daß alles, was Europa betrifft, uns mehr betrifft. Die Grenze durch Europa ist eben nicht die Grenze durch irgendein anderes europäisches Land. Es ist die Grenze mitten durch Deutschland.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ehrlich?)

    Alle Probleme, die heute auf Europa lasten, bündeln sich hier auf deutschem Boden in West und Ost.
    Diese Beziehungen zur DDR sehen wir deshalb auch in einem europäischen Gesamtzusammenhang, im Gesamtzusammenhang auch des West-Ost-Verhältnisses, auch in der Wechselwirkung unserer Beziehungen zu den anderen Staaten des Warschauer Paktes und eingebettet in den KSZE-Prozeß.
    Meine Damen und Herren, in einer sich so dynamisch verändernden Lage in Europa darf die Dynamik nicht auf die Entwicklung des West-Ost-Verhältnisses beschränkt bleiben, sondern wir brauchen die gleiche
    Dynamik auch für die Gestaltung der Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Europas.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist notwendig, daß wir erkennen, daß die europäische Politik nur in ihrem auch politischen Gleichgewicht bleibt, wenn es in der westlichen Einigung genauso vorwärts geht wie in der Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses. Ja, ich behaupte, größere westliche Einigung macht uns zukunftsfähiger auch für die Gestaltung des West-Ost-Verhältnisses. Deshalb ist es notwendig, daß wir eine gemeinsame Außenpolitik in der Europäischen Gemeinschaft schaffen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Das wollen wir ganz dringlich. Wir haben gute Ansätze für die Mitwirkung im KSZE-Prozeß geschaffen. Wir brauchen die umfassende gemeinsame Außenpolitik.
    Meine Damen und Herren, wenn wir unsere geschichtliche Rolle in der Gestaltung des West-OstVerhältnisses hier in Europa als Deutsche wahrnehmen, wenn wir unsere europäische Friedensverantwortung erkennen, dann wollen wir das nicht allein tun; wir wollen es zusammen mit unseren europäischen Partnern. Ja, wir rufen unseren europäischen Partnern zu: Laßt uns nicht allein bei dieser Aufgabe; es ist eine Aufgabe des ganzen europäischen Westens.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Zu diesen Fortschritten gehört es auch, daß wir im Ausbau der Europäischen Gemeinschaft die notwendigen Fortschritte machen. Dazu gehört, daß wir von der bemerkenswerten Feststellung Kenntnis nehmen, die der Präsident der Deutschen Bundesbank vor kurzem gemacht hat. Er hat gesagt: Ich bin der Meinung, daß ein voll integrierter Markt ohne Schranken für Waren, Dienstleistungen und Kapital, wie er für 1992 vorgesehen ist, von der Logik her auch eine Art Währungsunion, vielleicht sogar noch eine gemeinsame Währung erfordert. Er hat dann fast resignierend hinzugefügt: Aber davon sind wir leider noch weit entfernt.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ja!)

    Das ist wahr, meine Damen und Herren, und trotzdem sage ich: Wir haben die Aufgabe, als erstes unser Europäisches Währungssystem zu einem Stabilitätsfaktor, zu einer Stabilitätsgemeinschaft zu machen, und das bedeutet — —

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Mal mit der Bundesbank reden!)

    — Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, Herr Kollege Ehmke, daß der Präsident der Bundesbank diese Notwendigkeit erkennt. Hier ist eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit notwendig.
    Wir werden diese Funktion als Stabilitätsgemeinschaft allerdings nur verwirklichen können, wenn wir uns auch darüber im klaren sind, daß die Ziele des Wachstums- und Stabilitätsgesetzes nicht auf die nationale Politik beschränkt bleiben können, sondern dann auch Aufgabe einer solchen Wirtschafts- und



    Bundesminister Genscher
    Währungsunion im europäischen Maßstab sein müssen.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, wenn wir das schrittweise erreichen, indem die Staaten beitreten, die dazu — wie Großbritannien — in der Lage sind — und wir begrüßen, daß das zu einem Gegenstand der Diskussion in Großbritannien wird — , ist das ein bedeutender Fortschritt. Unser Beitrag muß es sein, auch hier über den Gemeinsamen Markt für 1992 hinaus die wirtschaftliche Kraft des europäischen Marktes und der Gemeinschaft wirklich voll zur Geltung zu bringen.
    Dasselbe gilt für die Schaffung der europäischen Technologiegemeinschaft, für die Herbeiführung auch einer engeren Kooperation bei Großforschungsvorhaben, damit nicht parallel und nebeneinander gewirtschaftet wird. Eureka hat gezeigt, daß es Erfolg haben kann. Der Kollege Riesenhuber hat in diesen Tagen eine eindrucksvolle Bilanz dieses europäischen Unterfangens vorgelegt.
    Meine Damen und Herren, es ist auch notwendig, daß wir mit einer europäischen Sicherheitspolitik sowohl in der Europäischen Gemeinschaft als auch in der Westeuropäischen Union den europäischen Pfeiler für das westliche Bündnis schaffen. Wenn wir das tun, wird niemand der Vorstellung nachhängen, es könnte durch die Politik der Zusammenarbeit und des Ausgleichs das Gleichgewicht der europäischen Politik durch die Dynamik in der Entwicklung der WestOst-Beziehungen in Gefahr geraten. Hier muß es unser Ziel, das der Deutschen, sein, daß wir die Impulsgeber bei diesem Prozeß der europäischen Einigung sind, daß wir die Impulsgeber auch im Prozeß der Annäherung zwischen West und Ost sind und daß wir die Impulsgeber auch für die Vorhaben der Abrüstung sind, für die für uns das Abkommen über die Mittelstreckenraketen ein bedeutsamer Anfang ist, aber eben nur ein Anfang. Es ist nur ein Einstieg in die Abrüstung; dennoch ist es wichtig, zu erkennen, daß ein solches Abkommen die Bedrohung durch 1 500 atomare Sprengköpfe von uns nehmen würde. Dabei klingt das Wort „Sprengköpfe" durch seine technokratische Definition eher verharmlosend. Jeder dieser Sprengköpfe auf SS-20-Raketen hat die zehnfache Vernichtungskraft der Atombombe von Hiroshima. Wer sich das vergegenwärtigt, wer sich das vor Augen hält, der wird verstehen, daß man über die Beseitigung dieser Bedrohung nur Erleichterung empfinden kann.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    Ich denke, daß die gleiche Erleichterung unsere Mitbürger in der DDR, daß die gleiche Erleichterung das schwer geprüfte polnische Volk, daß die gleiche Erleichterung die Völker der Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg große Opfer zu bringen hatten, empfinden werden, wenn durch dieses Abkommen auf westlicher Seite zwar weniger, aber immerhin doch über 500 Sprengköpfe mit ähnlicher Vernichtungskraft beseitigt werden. Ich bin ganz sicher, meine Damen und Herren — da mögen uns Systemunterschiede trennen, ja da mögen uns politische Überzeugungen in dem einen oder anderen Fall trennen — : In dem Willen der Völker und der Menschen in Europa, in West und Ost, sind wir uns ganz gewiß einig, daß Fortschritte hier in Europa sich zum Segen für die Völker in West und Ost auswirken werden.
    Das gilt insbesondere bei uns, weil sich hier bei uns auf deutschem Boden alle Probleme, die unsere Welt und unsere Zeit so kompliziert, aber auch gefährlich machen, darstellen. Zwei unterschiedliche politische Systeme, von denen Herr Honecker sagt, sie seien unterschiedlich wie Feuer und Wasser, stehen sich auf deutschem Boden gegenüber. Zwei hochgerüstete Paktsysteme stehen sich auf deutschem Boden gegenüber: eine Konzentration von atomaren und konventionellen Waffen auf deutschem Boden und auch eine Addition der Umweltprobleme.
    Wer also kann größeren Nutzen ziehen aus der Politik, die der Westen und der Osten in ihren Vorstellungen zum Gegenstand von Verhandlungen machen, oder, was die Raketen kürzerer Reichweiten, Herr Kollege Ehmke, angeht, noch machen werden? Sie haben die Bundesregierung in dieser Frage gerügt, aber auch Verständnis für unsere Besorgnis gezeigt. Sie wissen, daß es bei der Außenministerkonferenz in Reykjavik im Frühsommer dieses Jahres auf unseren Antrag hin möglich geworden ist, daß wir die Absicht der Verhandlungen über die Raketen kürzerer Reichweite in die Politik des westlichen Bündnisses aufgenommen haben. Das Verhandlungsmandat dafür wird erarbeitet. Sie werden erleben, daß wir dafür auch unsere Verhandlungsvorschläge zu gegebener Zeit vorlegen.

    (Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ich möchte so weiterreden; entschuldigen Sie bitte. Ich habe einem anderen Kollegen gleichfalls eine Frage nicht beantwortet.
    Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig, daß wir die Abrüstung in der ganzen Breite vorantreiben.
    Wir sind dabei auch ganz offen, Herr Kollege Ehmke, mit der DDR über diese Fragen zu sprechen. Aber wenn wir mit der DDR über Fragen der Abrüstung sprechen, dann kann das doch nicht automatisch bedeuten, daß wir Abrüstungspositionen übernehmen, von denen wir der Meinung sind, daß sie nicht zukunftsträchtig sind, mit denen Sie sympathisieren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Nehmen Sie ein Beispiel. Sie haben — auch hier — lange darum gerungen, daß wir einer chemiewaffenfreien Zone in Europa zustimmen sollen. Wir haben Ihnen von Anfang an gesagt: Das Problem der schrecklichen Vernichtungswaffen, der chemischen Waffen, kann nur weltweit gelöst werden, weil gerade in diesem Bereich die Frage der Nachprüfbarkeit — nicht so sehr für die Lagerung, als vielmehr für die Produktion — nur total geregelt werden kann. Wenn wir regionale Verbote haben, werden einige Länder weiter für sich das Recht beanspruchen, chemische Waffen zu produzieren. Sie sehen dem Produktions-



    Bundesminister Genscher
    vorgang nicht an, für welches Gebiet diese Waffen bestimmt sind.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Aber das eine schließt doch das andere nicht aus, Herr Kollege!)

    Deshalb sage ich Ihnen: Das Problem der Verifikation, in dessen Überwindung wir ja begriffen sind, wird sich bei einem weltweiten Verbot leichter regeln lassen. Wir sind ja ganz nahe bei einer Regelung.
    Meine Damen und Herren, wenn ich die Opfer des schrecklichen, zum Teil mit chemischen Waffen geführten irakisch-iranischen Krieges sehe, dann bin ich der Meinung, daß wir unserer moralischen Verantwortung gegenüber der Dritten Welt nicht gerecht würden, wenn wir sagten: Es reicht uns, wenn die chemischen Waffen hier verboten sind.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das haben wir nicht gesagt!)

    Sie müssen weltweit verschwinden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    — Herr Kollege Ehmke, wenn das Ihre Meinung ist — es ist ja Ihre Meinung — , dann gehen Sie doch jetzt nicht mehr der kleinen Lösung nach, da alle Beteiligten in Genf bei der Diskussion über die große umfassende Lösung der weltweiten Beseitigung der chemischen Waffen nahe an einem Ergebnis für diese weltweite Beseitigung angelangt sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Hoffentlich!)

    Diese Auffassung, weltweit die Probleme der Vernichtungswaffen anzupacken, hat sich doch auch bei den Mittelstreckenwaffen als richtig erwiesen. Wir haben hier immer wieder gesagt, es wäre das Beste, wenn wir die weltweite Beseitigung aller Mittelstreckenwaffen erreichten.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wir auch!)

    Da hatten die Großmächte zunächst noch in Aussicht genommen, hundert im asiatischen Teil der Sowjetunion und hundert in den Vereinigten Staaten zu behalten. Ich glaube, daß wir durch unsere Politik, auch durch unser Beharren auf unserem Standpunkt der weltweiten Lösung wesentlich dazu beigetragen haben, daß die ganze Menschheit diese Vernichtungswaffen in Gestalt der Mittelstreckenraketen loswerden kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deshalb ist es wichtig, daß wir, wenn weltweite Regelungen erreichbar sind, dann auch tatsächlich zupakken. Darüber mit der DDR zu reden sind wir bereit.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Da sind wir ja auch einig!)

    Wir sind auch entschlossen, zusammen mit der DDR im Rahmen der KSZE-Konferenz in Wien, wenn es möglich ist, gemeinsame Initiativen zu ergreifen. Warum eigentlich nicht? Muß es nicht der Ehrgeiz beider deutscher Staaten sein, bei der Durchführung der Schlußakte einen höchsten Standard zu erreichen und diesen Standard auch in neue ergänzende Beschlüsse für den KSZE-Prozeß umzusetzen?
    Wenn es darum geht, sich auch im Rahmen der Vereinten Nationen über gemeinsame Initiativen zu verständigen: Wir sind dazu bereit, und wir sind da genauso realistisch wie die DDR. Wir wissen, daß wir unsere Grundsatzpositionen so wenig wie unsere Positionen in unseren Bündnissen und den Wertegemeinschaften, denen wir angehören, aufgeben werden.
    Was ich für besonders wichtig halte — und damit komme ich zu Bemerkungen am Anfang zurück, meine Damen und Herren — , ist die Tatsache, daß wir nicht nur erkennen, daß Friedenssicherung in Europa mehr ist als Abrüstung, daß Zusammenarbeit notwendig ist, daß Vertrauensbildung notwendig ist. Es ist wichtig, daß wir die Zusammenarbeit nicht einschränken auf Fragen der Wirtschaft, der technologischen Zusammenarbeit, so wichtig das alles ist, auch für den politischen Dialog. Ich messe der kulturellen Zusammenarbeit, dem kulturellen Austausch eine ganz entscheidende und friedensbildende Wirkung zu. Es ist wichtig, daß sich jeder bei uns bewußt ist, daß die große europäische Kultur von allen Europäern geschaffen worden ist, daß alle europäischen Völker dazu ihren Anteil geleistet, ihren Beitrag erbracht haben. Daraus ergibt sich unsere Achtung vor den anderen Völkern — unsere friedensbildende Achtung.
    Meine Damen und Herren, wer Achtung vor einem anderen Volk hat, den kann man nicht mehr gegen dieses Volk aufhetzen. Das ist die eigentliche Bedeutung der kulturellen Zusammenarbeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn wir die friedensbildende Wirkung dieser Achtung vor anderen Völkern haben, erkennen, im Bewußtsein haben, wenn wir uns auch bewußt sind, daß innerer und äußerer Friede nicht trennbar sind, daß sie zusammengehören, die Friedensgesinnung nur eine umfassende Friedensgesinnung sein kann, dann allerdings müssen wir uns auch bewußt sein: Die Achtung vor den anderen Völkern darf nicht erst jenseits der Grenzen beginnen, sie muß auch den ausländischen Mitbürgern bei uns hier gehören. Hier beginnt die Achtung vor dem Nächsten.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)