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    Plenarprotokoll 11/24 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 24. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Jahn (Marburg) 1563 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Vogel SPD 1563 a Dr. Waigel CDU/CSU 1576 D Ebermann GRÜNE 1586 B Ronneburger FDP 1590 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1593 B Dr. Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 1602 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 1602 C Frau Geiger CDU/CSU 1607 C Frau Hensel GRÜNE 1610 B Genscher, Bundesminister AA 1611 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 1615 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 1618 C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 1620 A Frau Seiler-Albring FDP 1622 D Kühbacher SPD 1624 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 1626 D Horn SPD 1632 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 1633 D Dr. Penner SPD 1636 B Möllemann, Bundesminister BMBW 1642 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 1643 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 1646D Dr. Hirsch FDP 1649 B Bernrath SPD 1651 C Engelhard, Bundesminister BMJ 1653 C Dr. de With SPD 1655 B Dr. Wittmann CDU/CSU 1658 D Häfner GRÜNE 1660 D Lüder FDP 1663 C Nächste Sitzung 1664 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1665* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 1563 24. Sitzung Bonn, den 10. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Bühler (Bruchsal) * 10. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Eigen 11. 9. Dr. Feldmann ' 11. 9. Großmann 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Lemmrich * 10. 9. Frau Luuk * 11. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Dr. Unland ** 10. 9. Volmer 11. 9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine kurze Bemerkung zu den Darlegungen des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, des Kollegen Vogel. Es ist ganz natürlich, daß in der Generalaussprache über den Etat alle Themen angesprochen werden. Kein Regierungschef kann erwarten, daß er dabei von seiten der Opposition Unterstützung bekommt. Aber, Herr Kollege Vogel, das Katastrophengemälde, das Elendsbild der Bundesrepublik Deutschland, das Sie
    heute gezeichnet haben, hat nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit unseres Landes zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie müssen sich beim Anhören der Ausführungen des Sprechers der GRÜNEN doch gefragt haben, in welche Nachbarschaft Sie eigentlich geraten sind.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Frau Unruh [GRÜNE]: Werden Sie geistreicher!)

    Wenn Sie davon sprechen, daß bei uns breite Schichten der Bevölkerung geschröpft werden, dann frage ich mich wirklich, was Sie unter breiten Schichten verstehen. Natürlich weiß jeder von uns, daß auch in der Bundesrepublik noch viel zu tun ist, daß es mancherlei Sorgen und Not gibt.

    (Zuruf von der SPD: Aha!)

    Aber wenn Sie sich einmal die Ausgaben der Bundesbürger in diesem Jahr allein für den Urlaub vor Augen führen, die auf deutlich über 30 Milliarden DM geschätzt werden, dann werden Sie doch nicht im Ernst sagen können, daß Sie mit Ihren Neidtiraden, die Sie hier vorbringen, die Wirklichkeit der Bundesrepublik schildern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Für die Unredlichkeit Ihrer Argumentation, Herr Abgeordneter Vogel, steht ja — ich nehme dieses Beispiel, weil es dazu auch einen Zwischenruf gab — Ihr Hinweis, daß wir nicht fähig seien, jetzt einen Bericht zur Lage der Nation abzugeben.

    (Zuruf von der SPD: Richtig! — Dr. Vogel [SPD]: Ja, so ist es doch!)

    Herr Abgeordneter Vogel, wie kann man so unverfroren mit der Wahrheit umgehen? Sie wissen so gut wie ich — ich sage es Ihnen ganz ruhig — —

    (Dr. Vogel [SPD]: Fragen Sie doch Herrn Mischnick hier!)

    — Hören Sie doch einmal zu. Das ist doch keine Frage, die Sie jetzt auf die Geschäftsführer abschieben können. Sie haben doch die Behauptung aufgestellt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Herr Mischnick ist doch licht Geschäftsführer!)

    Es ist doch einfach unwahr, was Sie hier sagen. Sie wissen so gut wie ich, daß man nicht einen Bericht zur Lage der Nation abgibt, bevor Generalsekretär Honecker seinen Besuch hier abschließt. Das ist doch nur vernünftig und die selbstverständlichste Sache.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Nächste Woche war vereinbart!)

    Zum zweiten wissen Sie, daß ich sofort für die erste Oktoberwoche einen Termin angeboten habe. Also tun Sie nicht so,

    (Dr. Vogel [SPD]: Geändert haben Sie ihn!)

    als würden wir um dieses Thema herumreden. Was Sie hier machen, ist schlicht und einfach eine Verfälschung von Tatsachen, und Sie arbeiten hier mit der Unwahrheit. Das ist der Stil Ihrer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Dann kommen Sie uns doch nicht damit und sprechen ganz am Ende davon, daß Sie Gemeinsamkeit wünschen. Es hat noch nie einen Oppositionsführer in diesem Haus gegeben, der so wenig an Gemeinsamkeit interessiert war wie Sie. Das muß man klar und deutlich aussprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Was im übrigen Ihre Wünsche für die Zukunft betrifft, so ist das Ihre Sache. Gehen Sie davon aus — Sie werden es erleben; andere haben das eben schon gesagt — , daß diese Koalition ihre Absprachen einhalten

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das sehen wir Tag für Tag!)

    und ihre gute Arbeit fortsetzen wird. Herr Kollege Vogel, machen Sie sich auch keine Hoffnungen, daß Sie bei der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands irgend etwas erben könnten. Wir sind und bleiben die große Volkspartei, und Sie müssen das erst noch werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte dem neu gewählten Vorsitzenden der SPD wünschen, daß er auf den Bundesversammlungen der Jungsozialisten

    (Dr. Vogel [SPD]: Jetzt haben wir wieder eine historische Bemerkung! Ein Historiker!)

    ein ebenso offenes Gespräch mit seiner Jugendorganisation führen kann, wie dies der Vorsitzende der CDU ganz selbstverständlich tun kann.

    (Dr. Vogel [SPD]: Mit Herrn Strauß, ja!) Meine Damen und Herren, ich denke,


    (Dr. Vogel [SPD]: Mit den Beschimpfungen!)

    wir sollten uns heute mit den wirklich bewegenden Themen beschäftigen, die die Bürger der Bundesrepublik Deutschland verständlicherweise gerade in diesen Tagen anrühren. In dieser Woche ist Generalsekretär Erich Honecker zu einem offiziellen Besuch in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. In unseren ausführlichen Gesprächen haben wir in großer Offenheit alle Probleme im Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland behandelt. Schon heute kann ich mit Befriedigung feststellen: Die Ergebnisse dieses Besuches sind beachtlich. Ich bin zuversichtlich, daß dies in den nächsten Monaten noch deutlicher werden wird.
    In einer ersten Bilanz halte ich fest: Wir haben Fortschritte zum Wohle der Menschen beider Staaten in Deutschland erzielen können. Die Bundesregierung ist damit ein wichtiges Stück in dem Bemühen vorangekommen, die schmerzlichen Folgen der Teilung unseres Vaterlandes zu lindern.
    Wir haben bedeutende Fortschritte in der politischen Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten in Deutschland erreicht. Beide Seiten haben viele praktische Probleme miteinander zu lösen, unbeschadet der gegensätzlichen Standpunkte in Grundsatzfragen.
    Wir haben einen wichtigen Beitrag zum West-OstDialog geleistet. Die Beziehungen beider Staaten in Deutschland sind eingebettet in den Gesamtzusammenhang der West-Ost-Beziehungen. Umgekehrt gilt aber auch, daß sie der Zusammenarbeit zwischen Ost und West Impulse geben können und, wie ich denke, auch müssen.
    Der Verlauf des Besuches hat gezeigt, daß das Bewußtsein für die Einheit der Nation so wach ist wie eh und je. Mehr noch: Ich bin davon überzeugt, dieser Besuch hat dazu beigetragen, dieses Bewußtsein zu schärfen, indem er eindrucksvoll deutlich machte, daß Begegnungen wie die zwischen Generalsekretär Honecker und mir etwas anderes sind als Begegnungen zwischen Vertretern verschiedener Nationen. Es ist für alle offensichtlich geworden, daß dieser Besuch eine besondere menschliche und politische Qualität hatte, daß bei unserer Begegnung deutlich wurde, daß wir in einer fortdauernden gemeinsamen Geschichte stehen.
    Gleichzeitig hat dieser Besuch die deutschlandpolitische Linie dieser Bundesregierung bestätigt. Wir streben eine enge Zusammenarbeit und konkrete Fortschritte zum Wohle der Menschen an. Aber wir bekennen uns auch unbeirrt zu unseren Grundsätzen und verbergen sie eben nicht hinter beschwichtigenden Formeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Beides, meine Damen und Herren, ist richtig und notwendig. Nur indem wir beides miteinander verbinden, dienen wir gleichermaßen der Einheit unserer Nation wie auch den Menschen in Deutschland.
    Die Grundlagen unserer Deutschlandpolitik habe ich in meiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 dargelegt und in der Regierungserklärung vom 18. März dieses Jahres erneut bekräftigt. Wir stehen zum Auftrag des Grundgesetzes, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir können und werden uns auf Dauer nicht mit der unnatürlichen Teilung unseres Vaterlandes, nicht mit Mauer und nicht mit befestigter Grenze abfinden.
    Im Grundlagenvertrag, der vor fast 15 Jahren geschlossen wurde, ist der Wille bekräftigt worden, zum Wohle der Menschen in beiden Staaten in Deutschland zu einem Verhältnis guter Nachbarschaft zu kommen. Der Vertrag zusammen mit dem Brief zur deutschen Einheit macht aber auch deutlich, welche Fragen unter den bestehenden Bedingungen nicht gelöst werden können. Dies gilt insbesondere für die noch offene deutsche Frage. Wir halten fest an der Einheit der Nation und an der einen deutschen Staatsangehörigkeit. Die DDR ist für uns nicht Ausland.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Besuch von Generalsekretär Honecker erfolgt im Rahmen und auf der Basis des Grundlagenvertrages. Das heißt, weder besiegelt er die Teilung noch öffnet er neue Wege zur Lösung der nationalen Frage.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Unser deutschlandpolitischer Kurs verbindet Grundsatztreue mit Realismus und Augenmaß. In diesen Tagen ist deutlich geworden, daß wir mit diesem Kurs richtig liegen.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, besonders erfreulich sind die Fortschritte, die es in den letzten Jahren bei der Erweiterung und Verbesserung der Kontaktmöglichkeiten zwischen den Menschen aus beiden Staaten in Deutschland gegeben hat. Allein in diesem Jahr kam es bis jetzt, Anfang September, zu über drei Millionen Besuchen aus der DDR in der Bundesrepublik Deutschland, darunter fast 900 000 Besucher unterhalb des Rentenalters. Demgegenüber kamen bis Anfang der 80er Jahre — neben Rentnern — jährlich nur einige zehntausend Besucher. Hier hat es also nach Übernahme der Amtsführung durch diese Bundesregierung einen grundlegenden Wandel gegeben. Es bleibt unser Ziel, daß alle Deutschen frei und ungehindert reisen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ungehinderte Kontakte, offene Grenzen dienen den Menschen, dienen einem friedlichen Miteinander, und sie fördern das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Deutschen.
    Zur Erleichterung des Reiseverkehrs haben die Verkehrsminister beider Staaten vereinbart, die Tarife im Eisenbahnverkehr für Rentner und Reisende in dringenden Familienangelegenheiten aus der DDR und für Inhaber von Senioren- und Familienpässen aus der Bundesrepublik Deutschland auf den beiderseitigen Strecken einschließlich des Transitverkehrs nach Berlin (West) um 50 % zu ermäßigen.
    Im Interesse der Reisemöglichkeiten unserer Landsleute aus der DDR hat die Bundesregierung bereits vor dem Besuch von Generalsekretär Honecker beschlossen, das Begrüßungsgeld für Besucher aus der DDR auf 100 DM pro Jahr zu erhöhen. Dies soll ein Zeichen praktischer Solidarität mit unseren Landsleuten sein, die uns besuchen.
    Meine Damen und Herren, ungenutzte Chancen gibt es noch beim Tourismus. Es besteht zwischen beiden Seiten Übereinstimmung, neue Möglichkeiten für eine Entwicklung des touristischen Reiseverkehrs zu schaffen. Positiv ist festzustellen, daß sich die Abfertigungspraxis an den Grenzübergängen der DDR seit Jahren trotz gelegentlicher Klagen verbessert hat.
    Im Postverkehr werden demnächst Erleichterungen für den Geschenkpaket- und Päckchenverkehr in Kraft treten. Die DDR hat zugesagt, im Fernmeldebereich zusätzliche Leitungen zu schalten, womit die Telefonverbindungen zur DDR weiter verbessert werden könnten.
    Die Bundesregierung strebt in allen Bereichen mehr Begegnungen und einen verstärkten Austausch an. Wir begrüßen deshalb, daß der Jugendaustausch in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Gemessen an den Wünschen der jungen Leute diesseits und jenseits der Grenze gibt es aber noch erhebliche Möglichkeiten der Ausweitung. Dies gilt ganz besonders für Jugendreisen von Ost nach West. Erfreulich ist die kürzlich getroffene Vereinbarung, die jetzt auch Berliner Jugendliche in den Jugendaustausch einbezieht.
    Eine positive Tendenz gibt es bei den partnerschaftlichen Verbindungen mit Städten in der DDR, die Raum für vielfältige Begegnungsmöglichkeiten eröffnen. Die Bundesregierung legt allerdings Wert darauf, daß dies nicht nur Begegnungen von Offiziellen sein werden, sondern daß vor allem breite Schichten der Bevölkerung die Chance der Begegnung erhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    In den Gesprächen mit Generalsekretär Honecker haben wir erneut gefordert, daß auch andere Beschränkungen und Behinderungen im Reiseverkehr abgebaut werden. Dies gilt insbesondere für den Mindestumtausch. In den letzten Jahren wurde immer mehr Menschen die Einreise in die DDR verweigert. Daher begrüße ich die Mitteilung, daß ab 1988 grundsätzlich alle Personen, die vor dem 1. Januar 1982 aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, wieder zu Besuch in die DDR reisen dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ich spreche hier die Erwartung und die Hoffnung aus, daß diese Verbesserung bald auch auf jene ausgedehnt wird, die seit 1982 aus der DDR zu uns gekommen sind.
    Ein Hindernis für zwischenmenschliche Begegnungen in Deutschland sind immer noch die zahlreichen Kontaktverbote, denen Bewohner der DDR unterliegen. Wir haben die DDR erneut zum Abbau dieser für die betroffenen Menschen belastenden Maßnahmen aufgefordert.
    Meine Damen und Herren, es bleibt für uns unerträglich, daß an der Grenze mitten durch Deutschland und Berlin noch immer auf Menschen geschossen wird. Wir haben auch dies deutlich angesprochen. Nach dem Abbau von Minen und Selbstschußanlagen ist die Aufhebung des Schießbefehls überfällig.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Verständlicherweise nahmen in unseren Gesprächen die Frage der Menschenrechte und humanitäre Fragen einen breiten Raum ein. Wir haben ganz offen über alle Themen gesprochen, die sich auch aus der KSZE-Schlußakte ergeben. Die Bundesregierung wird sich auch weiter und, wenn es notwendig ist, auf diskrete Weise um die Lösung von Härtefällen bemühen. Für uns steht dabei immer das Einzelschicksal im Vordergrund.
    Möglichkeiten zur Ausweitung und Verbesserung der Zusammenarbeit gibt es im Bereich des Handels und auf dem Gebiet der Wirtschaft. Wir haben vereinbart, Gespräche über die Bildung einer Gemischten Kommission aufzunehmen. Dabei sollen die bestehenden Regelungen und die bewährten Verfahren nicht berührt werden. Insbesondere die Interessen Berlins sind voll zu wahren.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Ein erfolgreicher Abschluß zeichnet sich bei den kommerziellen Verhandlungen über einen Stromverbund mit der DDR ab, in den Berlin (West) einbezogen werden soll.
    Begegnung und Austausch, meine Damen und Herren, werden nicht zuletzt durch Abkommen und Verträge ermöglicht. Das im letzten Jahr abgeschlossene Kulturabkommen mit der DDR hat, wie jeder erkennen kann, den kulturellen Austausch belebt. Hier läßt sich noch manches weiterentwickeln und intensivieren.
    Im Beisein von Generalsekretär Honecker und mir haben die zuständigen Minister beider Seiten drei weitere Verträge unterzeichnet: ein Abkommen über einen Informations- und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des Strahlenschutzes, ein Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, ein Abkommen über Umweltschutz. Ich halte gerade diese Umweltschutzvereinbarung für ungeheuer wichtig, weil wir damit der gemeinsamen Verantwortung für die nachwachsende Generation in Deutschland gerecht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, für die Bundesregierung ist es unverzichtbar, daß Berlin in die Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten in Deutschland in vollem Umfang einbezogen wird. Deutschlandpolitik ist immer — so wurde sie auch von allen Bundesregierungen verstanden — Verpflichtung für Berlin. Das freie Berlin bleibt auf die Solidarität der Schutzmächte und des ganzen Atlantischen Bündnisses angewiesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Es gehört mit der Bundesrepublik Deutschland unwiderruflich zur westlichen Welt. Für uns gibt es keine Deutschlandpolitik an Berlin vorbei. Die Einbeziehung Berlins in die Zusammenarbeit wird auch und gerade in Zukunft die Qualität unserer bilateralen Beziehungen wesentlich bestimmen. Berlin war daher auch ein zentrales Thema unserer Gespräche. Berlin darf insbesondere im Bereich der Reise- und Besucherregelungen nicht zurückstehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Die von der DDR mitgeteilten Erleichterungen begrüßen wir, aber leider fehlt immer noch die Zwei-TageRegelung auch für die Berliner.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die Bundesregierung sieht weiterhin eine überragende Aufgabe darin, die Lebensfähigkeit Berlins zu stärken, seine geistige, kulturelle und vor allem auch wirtschaftliche Anziehungskraft zu fördern und die Bindungen zwischen Berlin und dem Bund, wie es im Viermächteabkommen festgelegt ist, aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Im Interesse Berlins und der Verkehrsanbindung an das Bundesgebiet werden Gespräche mit dem Ziel aufgenommen, die Eisenbahnverbindungen zu verbessern.
    Generalsekretär Honecker und ich haben schließlich vereinbart, daß sich die Kontakte der führenden Politiker aus beiden Staaten verstetigen. Wir werden unsere Gespräche, die wir jetzt geführt haben, zu gegebener Zeit fortsetzen. Wir wollen und müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um zu einer Verbesserung der Lage in Deutschland und damit der Menschen in unserem geteilten Land zu kommen. Es geht, meine Damen und Herren, um mehr Menschlichkeit im geteilten Deutschland. Das ist immer auch ein Dienst am Frieden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dabei ist für uns selbstverständliche Basis unserer Deutschlandpolitik die feste Verankerung der Bundesrepublik Deutschland im Atlantischen Bündnis und in der Europäischen Gemeinschaft. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein „Wanderer zwischen den Welten". Wir wissen, die Deutschen können nur zueinanderfinden, wenn die Gegensätze zwischen Ost und West in einer stabilen europäischen Friedensordnung aufgehoben werden. Eine solche Friedensordnung erfordert ihrerseits die Überwindung der deutschen Teilung. Deshalb bleibt die deutsche Frage ein Thema der internationalen Politik. Aus der bitteren Erfahrung der Geschichte unseres Volkes müssen wir uns aber vor Ungeduld und unrealistischen Erwartungen hüten.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben bei unseren Bemühungen, die Beziehungen zu allen Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas auf breiter Grundlage zu entwickeln, im laufenden Jahr deutliche Fortschritte erzielt. Wir haben intensiv an der Verbreiterung der vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn gearbeitet. Im Mittelpunkt standen dabei Abkommen über wirtschaftliche, wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit sowie über den Umweltschutz. Weitere Abkommen sind ausgehandelt oder in Vorbereitung. Gleichzeitig suchen wir nach neuen Wegen wirtschaftlicher Zusammenarbeit, nicht zuletzt bei der Zusammenarbeit von Unternehmen.
    Seit einigen Monaten haben wir eine erfreuliche Zunahme von Ausreisegenehmigungen zum Zwecke der Familienzusammenführung aus osteuropäischen Staaten. Dies gilt insbesondere für die Sowjetunion.
    Ich will nur zwei Zahlen miteinander vergleichen. Waren es im Jahre 1986, also im letzten Jahr, noch 753 Personen, die aus der Sowjetunion aussiedeln konnten, so sind es in der Zeit vom 1. Januar bis 31. August dieses Jahres rund 7 000 Personen gewesen. Das ist eine beachtliche Veränderung, für die wir dankbar sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe allen Grund zu der Annahme, daß die Aufwärtsentwicklung in den West-Ost-Beziehungen insgesamt sowie in den bilateralen Beziehungen zu den Staaten des Warschauer Pakts anhalten wird.
    Meine Damen und Herren, die Chancen für einen friedlichen und langfristig stabilen Interessenausgleich zwischen West und Ost stehen gut. Im Bereich der Rüstungskontrolle stehen wir vor Entwicklungen, die weitreichende Auswirkungen auf das West-OstVerhältnis haben werden. Ich bin zuversichtlich, daß die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen über die nuklearen Mittelstreckensysteme in diesem Jahr



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    erfolgreich abgeschlossen werden. Von dem Abschluß eines INF-Abkommens erwarten wir Impulse auch für alle anderen Verhandlungsbereiche, die für unsere Sicherheit genauso wichtig sind.
    Die Bundesregierung hat auf dem gesamten Feld der Abrüstung und Rüstungskontrolle von Anfang an eine aktive Rolle übernommen. Durch unsere feste Haltung vor allem bei der Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses haben wir einen entscheidenden Anteil am Zustandekommen der Genfer Verhandlungen und an den dort erreichten Fortschritten.
    Ich habe erst vor wenigen Tagen hier vor dem Plenum zu diesen Fragen Stellung genommen, insbesondere auch zu dem Thema Pershing I a. Ich habe meinen damaligen Ausführungen heute nichts hinzuzufügen. Ich betone nur noch einmal: Mit der weltweiten Beseitigung amerikanischer und sowjetischer Mittelstreckenwaffen allein ist es natürlich nicht getan. Weitere Abrüstungsschritte müssen folgen. Garant unserer Sicherheit und unserer Freiheit bleibt das Atlantische Bündnis, das durch Vertrauen und engste Zusammenarbeit gewachsen ist und das die Lebensgrundlage der Solidargemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika bildet.
    Meine Damen und Herren, die Amerikaner erwarten allerdings zu Recht, daß wir, die Europäer, im Bündnis nicht nur unsere Interessen vertreten, sondern daß wir auch Verantwortung übernehmen und die mit der Wahrung unserer Sicherheit verbundenen Lasten voll mittragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer also von europäischer Verantwortungsbereitschaft in der Sicherheitspolitik spricht, der muß den Worten auch Taten folgen lassen. Europa kann sich nur dann weltweit Gehör verschaffen, wenn es zunehmend mit einer Stimme spricht. Für mich ist daher die Erarbeitung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Zukunft.
    Diesem Ziel dienen auch unsere Bemühungen, die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Frankreich, bei der wir seit 1982 ja beachtliche Fortschritte erreicht haben, substantiell fortzuentwickeln. Diese Frage wird bei meinem bevorstehenden Zusammentreffen mit Staatspräsident Mitterrand und bei den 50. deutsch-französischen Konsultationen in diesem Herbst eine sehr wichtige Rolle spielen.
    Bei allen sicherheitspolitischen Initiativen sind wir uns bewußt, daß ein sicherer Friede — das ist immer auch ein gerechter Friede — nie allein das Werk von Rüstungskontrolle und Abrüstung sein wird. Wir alle sind aufgerufen, an einer großen Aufgabe mitzuwirken, nämlich eine Friedensordnung zu gestalten, die die Spaltung Europas überwindet, die Völker und Staaten in Freiheit zusammenführt und Grenzen öffnet. Die Achtung der Menschenrechte, der Schutz der Menschenwürde und die Herrschaft des Rechts gehören zu den entscheidenden Voraussetzungen einer friedlichen internationalen Ordnung. Herr Kollege Vogel, ich denke, wir sollten darüber wirklich nicht streiten,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    wo immer wir hier in diesem Haus parteipolitisch stehen mögen: Für uns Deutsche ist die Achtung der Menschenrechte eine der entscheidenden Lehren aus diesem schlimmen Jahrhundert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Deutsche Außenpolitik kann und darf nicht wertneutral sein. Auch darauf sollten wir uns doch verständigen können.
    Dies ist auch eine der Grundlagen unserer Europapolitik. Sie ist ja Ausdruck dieser Wertentscheidung. Wir wollen die Gemeinschaft der EG im Innern stärken. Leitfaden hierbei ist die Einheitliche Europäische Akte, und dies ist für die Bundesregierung jetzt ganz besonders wichtig, weil wir ja turnusmäßig ab 1. Januar des kommenden Jahres eine besondere Verantwortung übernehmen werden. Wir werden die Arbeit an der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes energisch vorantreiben, und wir wollen alles daransetzen, daß dieses Ziel bis 1992 auch tatsächlich erreicht wird.
    Natürlich weiß ich, meine Damen und Herren, daß in vielen Bereichen unserer Gesellschaft — das gilt nicht nur für die Landwirtschaft — manche Ängste umgehen, ob dieses Experiment nicht zuviel Opfer im eigenen Land kosten werde. Ich kann nur sagen: Dies ist die große Chance für uns alle in Europa und die größte Chance für die Deutschen. Es gibt keine verantwortbare Alternative zu einer vernünftigen Integration Europas.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Das heißt, wir werden auch die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung und Technologie intensivieren, um gemeinsam mit unseren Nachbarn unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten zu erhalten.
    Schließlich muß sich Europa mehr als bisher zu einer Umweltgemeinschaft entwickeln. Tschernobyl und die Unglücksfälle am Rhein haben drastisch vor Augen geführt, daß nationale Maßnahmen allein nicht ausreichen.
    Wir wollen unsere Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1988 aktiv nutzen, um die Gemeinschaft voranzubringen. Dies gilt insbesondere auch für die Verwirklichung der Reformansätze, die im sogenannten Delors-Paket enthalten sind. Es geht hier u. a. darum, die Gemeinschaftsfinanzen auf eine solide und gerechtere Grundlage zu stellen und die Fehlentwicklungen der 70er Jahre im Bereich der europäischen Agrarpolitik zu überwinden.
    Auch hier ein Wort zu dem, was jetzt in der Debatte schon gesagt wurde. Ich kann einen Teil — ich sage: einen Teil — der öffentlichen Kampagne deswegen nicht verstehen, weil in irgendeiner Form alle politischen Organisationen an der Gesamtentwicklung beteiligt waren, und nicht nur sie, sondern auch die Berufsverbände. Ich denke, der eine oder andere, der aus beruflicher Sicht auf Verbandstagungen zur EG-Agrarpolitik spricht, täte gut daran, gelegentlich ein-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    mal seine eigenen Reden vor 10 oder 15 Jahren nachzulesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kühbacher [SPD]: Das ist aber wechselseitig!)

    — Das habe ich ja gerade gesagt.
    Ich glaube auch, daß die Existenzangst der Bauern in der Bundesrepublik Deutschland so ernst ist, daß wir uns da nicht in eine billige parteipolitische Polemik begeben sollten. Ich könnte es mir leicht machen
    — Herr Kollege Kiechle auch — , könnte den Kalender hervorziehen und sagen, wann welche Beschlüsse durch wen herbeigeführt worden sind. Nur: Hilft das den Bauern draußen in ihrer Sorge? Ich glaube dies nicht. Die Bauern brauchen eine Zukunftshoffnung, die realistisch ist, eine Zukunftsperspektive und die Gewißheit, daß die Solidargemeinschaft des Landes sie nicht im Stich läßt. Die meisten Bauern wissen sehr genau, daß sie eine Durststrecke vor sich haben, und deswegen bekenne ich mich auch nachdrücklich dazu
    — Theo Waigel und andere haben das gesagt — , daß wir mit den Bauern offen und ehrlich über ihre Situation reden. Aber zu diesem offenen und ehrlichen Reden gehört auch, daß man nicht eine Verelendungstheorie auftischt, sondern sagt: Wenn wir es gemeinsam anpacken, haben wir eine gute Chance.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

    Mit den Mitteln natürlich, die Sie anbieten, hat weder die Industriegesellschaft noch der bäuerliche Familienbetrieb irgendeine Chance.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Stratmann [GRÜNE]: Jetzt sind Sie auf dem Niveau von Bangemann!)

    Meine Damen und Herren, wir haben die Pflicht, nicht zu resignieren, obwohl wir wissen, daß gerade die Preisentwicklung auf den europäischen Agrarmärkten völlig unbefriedigend ist. Sie reicht nicht aus, um unseren Betrieben ein akzeptables Einkommen zu sichern. Sie kennen die Gründe; sie liegen in der Überschußproduktion bis in die frühen 80er Jahre.
    Genau hier haben wir angesetzt. Wir haben uns gegen die Kommission zur Wehr gesetzt, die über Preissenkungen die Märkte in Ordnung bringen wollte. Wir haben bei Milch eine Regelung gefunden, die die Preise und damit auch weitgehend die Einkommen der Milchbauern sichert. Die ersten Erfolge auf den Märkten sind erkennbar. Bei Getreide sind erste Extensivierungsmaßnahmen beschlossen worden. Wir haben nicht nur darüber geredet, sondern in Niedersachsen wird ein Großversuch mit Flächenstillegungen durchgeführt. Die Bauern erhalten dafür einen vollen Einkommensausgleich. In Brüssel wird zur Zeit über EG-weite Flächen- und Betriebsstillegungen beraten. Wir müssen — dies weiß jeder — zu einer EG-weiten Mengenreduzierung kommen, damit der Preisdruck nachläßt und die Betriebe wenigstens wieder in die Nähe vernünftiger Preise kommen können.
    Ich glaube, wir haben für die EG-Agarpolitik den richtigen Weg gezeigt.
    Wir haben in der nationalen Agrarpolitik alle Möglichkeiten zur Erhöhung der Einkommen ausgeschöpft. Statt die Ausgaben in der Agrarsozialpolitik zu kürzen, wie Sie es ja in Ihrer Regierungszeit getan haben, haben wir diese Ausgaben kräftig — immerhin um 35 % — erhöht. Wir haben gegen Ihre Stimmen und gegen den massiven Widerstand in Brüssel auch eine 5 %ige Vorsteuerpauschale für die deutsche Landwirtschaft erreicht. Wir haben ein Währungsausgleichssystem durchgesetzt, das trotz aller Schwierigkeiten, die darin enthalten sind, alles in allem eine Berücksichtigung der deutschen Landwirtschaft auf Dauer bei den Brüsseler Preisfestsetzungen ermöglicht. Auch dies ist gegen massiven Widerstand in der Kommission durchgesetzt worden. Und wir haben die Förderung der Bauern in benachteiligten Gebieten unter anderem durch Erhöhung der Einkommensbeihilfen weiter ausgebaut. Wir werden in diesem Jahr im Rahmen des Möglichen angesichts der Witterungsentwicklung mit steuerlichen Erleichterungen da helfen, wo Ernteverluste Hilfen notwendig machen.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Aber erst muß man ein Einkommen haben!)

    Diese Hilfen kommen an. Es sind gezielte Hilfen. Diese Art Agrarpolitik ist Ausdruck unserer Solidarität mit einer Berufsgruppe, die unter der weltweiten Agrarkrise leidet und unsere Hilfe braucht.
    Wenn ich dies sage, heißt das überhaupt nicht, daß wir Strukturen konservieren wollen. Wir wollen durch soziale Flankierung den sich vollziehenden notwendigen Strukturwandel unterstützen. Ziel dieser Politik bleibt, eine leistungsfähige, bäuerlich strukturierte deutsche Landwirtschaft mit dem Leitbild des Familienbetriebes zu sichern.
    Es hat gestern und heute bereits eine breite Debatte über die wirtschaftliche Lage unseres Landes stattgefunden. Herr Kollege Vogel, Sie haben viel von dem vorgetragen, was draußen im Land tagaus, tagein und überall von den Rednern der SPD entgegen den wirklichen Bedingungen des Landes vorgetragen wird.
    Die jetzt vorliegenden Wirtschaftsdaten — und daran führt kein Weg vorbei — unterstreichen, daß die Konjunktur auch nach dem schwierigen Winterhalbjahr wieder Tritt gefaßt hat. Dies ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir wissen, daß wir durch die drastische Abwertung der DM gegenüber dem Dollar enorme Probleme hatten und auch noch haben. Daß diese zusätzliche Belastung verkraftet werden konnte, ist eine hervorragende Leistung von Unternehmensführern, Belegschaften, Betriebsräten, die unseren gemeinsamen Respekt und unsere Anerkennung verdient.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben heute im Rahmen Ihres Krisengemäldes auch die wirtschaftliche Lage als besonders bedenklich im Blick auf die nächste Zukunft geschildert. Herr Abgeordneter Vogel, Sie wissen so gut wie ich, daß dies nicht stimmt. Alle Fachleute stimmen darin überein, daß wichtige Daten und Rahmenbedingungen auch im fünften Jahr der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung für eine Fortsetzung der positiven Entwicklung sprechen, trotz der veränderten außenwirtschaftlichen Bedingungen, die natürlich weiterhin un-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    sere Aufmerksamkeit erfordern. Die Aktivposten, die wir vorzuzeigen haben, haben Gewicht. Mit dem kräftigen Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal dieses Jahres ist es gelungen, wieder an die wirtschaftliche Dynamik des vergangenen Jahres anzuknüpfen. Die Inlandsnachfrage — —

    (Dr. Jens [SPD]: 1,5%)

    — Ich würde den Zwischenruf nicht machen. Sie haben uns Nullwachstum hinterlassen. Sie sind die allerletzten, die über diesen Zusammenhang eine öffentliche Äußerung machen sollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Und Sie haben uns ja nicht nur Nullwachstum hinterlassen. Sie haben das ja noch ideologisch überhöht und als einen besonders wichtigen Beitrag zu einer modernen Volkswirtschaft bezeichnet.

    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Dummes Zeug!)

    Die Inlandsnachfrage zeigt sich unverändert stabil. Vor allem vom privaten Verbrauch, der im Augenblick über 50 % des Bruttosozialprodukts ausmacht, gehen deutlich expansive Impulse aus.
    Bei den Preisen — darüber reden Sie überhaupt nie — registrieren wir weiterhin ein ungewöhnlich hohes Maß an Stabilität, auch wenn die jetzt auslaufenden Wirkungen der niedrigeren Ölpreise außer Betracht bleiben.
    Ich nenne dann ein Thema, das Sie überhaupt nicht mehr in den Mund nehmen, weil Sie damit ja zu Beginn der Arbeit dieser Regierung Ihre politischen Geschäfte machen wollten. Ich spreche von den Mieten. Bei den Mieten haben wir den niedrigsten Anstieg seit Bestehen der Mietenstatistik überhaupt.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Erinnern Sie sich noch an die Krisengemälde, die Sie hier zu Beginn der Arbeit dieser Bundesregierung entworfen haben? An den wenigen Beispielen sieht man, daß nichts, aber auch gar nichts von Ihren Voraussagen eingetroffen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Und, Herr Abgeordneter Vogel, wenn Sie die Reallöhne der Arbeitnehmer betrachten, dann können Sie feststellen: Diese Entwicklung nach vorwärts und aufwärts findet eben nicht nur in Wirtschaftsstatistiken statt, sondern auch und gerade bei den Einkommen breiter Schichten unserer Bevölkerung; und das — ich sage dies noch einmal — bei einer Preisstabilität, die Vertrauen schafft und die damit die wirtschaftliche und private Zukunftsplanung auf eine realistische und stabile Grundlage stellt.
    Herr Abgeordneter Vogel, Sie haben hier auch heute wieder den für einen sozialdemokratischen Sprecher obligaten Vertrauenserweis gegenüber dem Deutschen Gewerkschaftsbund bekundet. Es wäre vielleicht einmal nützlich gewesen, dem Hohen Hause darzulegen, ob es nicht auch ein Vertrauenserweis ist, daß ausgerechnet die IG Metall und die IG Chemie einen Drei-Jahres-Tarifvertrag abgeschlossen haben, weil sie eben auf die Stabilität der wirtschaftlichen Ordnung unseres Landes vertrauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Arbeitszeitverkürzung ist das!)

    Meine Damen und Herren, wir wissen auch, daß im Bereich des Arbeitsmarkts und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit noch viel zu tun ist. Aber es ist doch nicht zu übersehen, daß die Aufwärtstendenz bei Beschäftigung und Arbeitsplätzen trotz der außenwirtschaftlichen Belastung seit nunmehr vier Jahren zu keinem Zeitpunkt unterbrochen wurde. Im Gegenteil: Die jüngsten Zahlen dokumentieren mit großer Klarheit, daß in der deutschen Wirtschaft inzwischen 650 000 neue, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wurden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sie haben wieder den Stand von 1981!)

    Was das bedeutet, sollten Sie doch wissen. Denn Sie haben es unter Ihrer Verantwortung ja zuletzt fertiggebracht, in nur zwei Jahren mehr als 800 000 Arbeitsplätze auf der Verlustseite abbuchen zu müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Sie sind jetzt wieder bei 1981!)

    Meine Damen und Herren, Theo Waigel sagte schon, als er über Arbeitslosigkeit sprach, daß wir hier natürlich Probleme ganz besonderer Art hatten. Die Zahl derjenigen, die einen Arbeitsplatz wünschen, ist in den letzten Jahren — anders als früher — erheblich angestiegen, und zwar seit 1982 um mehr als 600 000. Geburtenstarke Jahrgänge, steigendes Interesse vieler Frauen — die zu Ihrer Zeit schon die Hoffnung aufgegeben hatten, noch einmal berufstätig sein zu können — an einer Erwerbstätigkeit und die hohe Zahl von Arbeitslosen ohne eine qualifizierte Berufsausbildung erfordern von allen Beteiligten, Unternehmen, Gewerkschaften und natürlich auch von der Politik, entsprechende Anstrengungen.
    Ich will heute nicht noch einmal erwähnen, was aus Ihren negativen Darstellungen des Lehrstellenproblems geworden ist. In wenigen Jahren hat sich die Sache total verändert.

    (Dr. Penner [SPD]: Ja, ja!)

    Alles das, was Sie hier von dieser Stelle in diesen Jahren gesagt haben, war falsch

    (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

    und diente nur dazu, junge Leute draußen im Land in Resignation zu treiben. Wir haben uns mit unserem Programm durchgesetzt.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, es ist kein Zufall — und das sagt etwas über die Leistungskraft unserer Wirtschaft und im übrigen auch über die Qualität des dualen Systems aus — ,

    (Kühbacher [SPD]: Herr Bundeskanzler, Sie sind hier nicht im Wahlkampf!)

    daß die Bundesrepublik Deutschland unter allen EG-
    Ländern die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit auf-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    weist, ein Aktivposten, der es wert ist, auch hier erwähnt zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Das war nie anders!)

    Meine Damen und Herren, da im Verlauf auch dieser Debatte die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft hier wieder so beiläufig — ohne allerdings ganz klar Position zu beziehen — in Frage gestellt worden sind,

    (Dr. Vogel [SPD]: Ach du lieber Gott, so etwas Langweiliges!)

    will ich doch noch einmal sagen: Es ist schon bemerkenswert, daß das Prinzip von Markt und Wettbewerb, also von zwei wichtigen Eckpfeilern unserer Wirtschaftsordnung in den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft zunehmend akzeptiert und realisiert wird; daß also nicht wir unsere wirtschaftspolitischen Leitlinien verändern, sondern daß sich andere in ihren Grundüberlegungen uns angenähert haben.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    — Das weiß ich. Wenn Sie über Monopole reden, dann haben Sie einen Lustgewinn. Aber Sie haben keine Ahnung, was das letztlich bedeutet.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP — Widerspruch bei den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, um diese Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft kraftvoll in die Zukunft zu führen, brauchen wir eine strikte Begrenzung der Staatsausgaben. Hier bestëht allerdings ein elementarer Unterschied zwischen Ihnen, der Opposition, und uns, der Regierungskoalition. Denn hier und nirgendwo sonst liegt der Schlüssel zu dem zentralen wirtschaftspolitischen Anliegen dieser Legislaturperiode: der nachhaltigen Senkung der Steuerbelastung 1988 und 1990. Gerhard Stoltenberg und andere haben viel dazu gesagt;

    (Dr. Vogel [SPD]: Aber nicht genug!)

    ich will es deswegen nur kurz ansprechen. Diese knapp 50 Milliarden DM Steuerentlastung kommen Bürgern und Unternehmen ungeschmälert und in voller Höhe zugute,

    (Dr. Vogel [SPD]: Wie werden sie finanziert?)

    und zwar völlig unabhängig davon, wie die darüber hinausgehenden Umschichtungen im Steuersystem im einzelnen aussehen.

    (Zuruf von der SPD: Was heißt Umschichtung? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau — das möchte ich Ihnen noch einmal ruhig sagen — : Dieses Programm, das ich in der Regierungserklärung angekündigt habe, wird durchgezogen wie alle anderen Punkte auch.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Zur Sache!)

    Ich habe Ihnen in den ersten vier Jahren meiner Amtszeit klargemacht, daß wir das, was wir zusagen, auch einhalten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Eine Million Arbeitslose weniger! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Wir haben auch unpopuläre Entscheidungen getroffen. Denken Sie daran, daß wir zum Beispiel die Wehrpflicht verlängert haben, obwohl Sie bezweifelt haben, daß wir den Mut zu solchen Entscheidungen hätten.
    Die geplante Steuerreform ist eine der Bevölkerung hochwillkommene Maßnahme.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Wer bezahlt das denn?)

    Wir vertrauen darauf, daß der einzelne Bürger besser als der Staat weiß, wo und wie er den Ertrag seiner Arbeit verwendet und einsetzt.
    Wir werden an dieser Linie festhalten. Die vor uns liegenden Aufgaben werden wir nur bewältigen können, wenn wir den übermächtigen Zugriff des Staates auf die erarbeitete gesamtwirtschaftliche Leistung weiter zurücknehmen, wenn wir also die Bevormundung des Bürgers durch den Staat abbauen, wenn wir den Spielraum für private und eigenverantwortliche Entscheidungen der Bürger erweitern.
    Das heißt für uns in der Konsequenz, daß die Steuerreform 1990 dringend geboten ist und daß wir sie durchsetzen. Sie ist dringend geboten aus unserer internationalen Verantwortung. Niemand in der westlichen Welt würde verstehen, wenn wir diesen notwendigen Schritt jetzt nicht unternähmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aus wirtschaftlichen und aus sozialen Gründen besteht ebenfalls Handlungsbedarf im Bereich der Steuerpolitik. Gehen Sie deswegen, was immer Sie lesen, hören und in der Diskussion aufnehmen, davon aus:

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Glauben Sie es nicht!)

    Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien werden die Steuerreform durchsetzen und verwirklichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine andere wichtige Herausforderung nennen.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Noch eine?)

    Ich glaube nicht, daß sich Ihnen eine Herausforderung stellt, außer der, diesen Staat und diese Republik madig zu machen, eine Republik, deren Ressourcen Sie in Anspruch nehmen,

    (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Wir diskutieren mit dem Kanzler, nicht mit dem Staat!)

    wobei Ihr Ziel bleibt, dieser Republik zu schaden, wo es Ihnen überhaupt nur möglich ist. Dies war heute wieder deutlich spürbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Dafür sorgen Sie ja schon!)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Mit dieser Herausforderung meine ich den anhaltenden Strukturwandel, den wir in vielen Bereichen unserer Wirtschaft durchlaufen und der in einer ganzen Reihe von Regionen zu starken Belastungen für den Bürger, für den Arbeitnehmer und für die Unternehmen führt. Ich denke, es besteht hier Einigkeit darüber, daß wir unabänderliche strukturelle Entwicklungen nicht verhindern können und dürfen, wenn wir Arbeitsplätze, die wir morgen brauchen heute nicht aufs Spiel setzen wollen.
    Ich habe zu Beginn dieser Legislaturperiode hier in meiner Regierungserklärung gesagt: „Am Markt vorbei können dauerhafte Arbeitsplätze weder geschaffen noch gesichert werden. Staatliche Planung kann den Markt nicht ersetzen. " Ich habe auch hinzugefügt, Herr Abgeordneter Vogel: „Der Staat ist und bleibt aber gefordert, bei schwierigen strukturpolitischen Anpassungsprozessen Hilfe zu leisten."

    (Dr. Vogel [SPD]: So mutig haben Sie formuliert?)

    Wissen Sie, Herr Kollege Vogel: In der Zeit, als Sie in der Regierung saßen, sind die schwerwiegendsten Strukturprobleme bei Stahl und Kohle entstanden, und Sie haben in dieser Zeit nichts getan — nichts!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Das ist aber kühn!)

    Wenn die Bundesregierung sich dazu bekennt, daß der Staat bei schwierigen strukturpolitischen Anpassungsprozessen Hilfe leistet, dann selbstverständlich auch in der Annahme, daß Unternehmen und Gewerkschaften ihren angemessenen Beitrag zur Bewältigung der Probleme leisten, und zwar nicht nur in wortreichen Erklärungen.
    In diesem Sinne haben wir mit Unternehmen und Gewerkschaften über die schwierige Situation in der Stahlindustrie gesprochen. Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden EG-Ministerrat werden diese Gespräche auch in den nächsten Tagen fortgesetzt.
    Die besonderen Schwierigkeiten im Schiffbau haben die Bundesregierung veranlaßt, die bisherigen Förderungsmaßnahmen auf eine neue und wirksame Grundlage zu stellen. Darüber hinaus haben wir zusätzliche Hilfen bereitgestellt, und zwar im Rahmen der Regionalpolitik für die besonders betroffenen Regionen, damit dort in verstärktem Maße Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden können.
    Diese Bemerkung zur Strukturveränderung gilt auch für viele andere Gebiete. Ich nenne etwa meine engere Heimat mit den Anpassungsproblemen in der Schuhindustrie, wo ebenfalls die aktive Regionalpolitik zu verstärken ist.
    Meine Damen und Herren, besondere Aufmerksamkeit erfordert ganz ohne Zweifel heute die Situation im Bereich Kohle. Der Bundeswirtschaftsminister wird Anfang Oktober die hier entstandenen Probleme mit allen Beteiligten im Rahmen einer weiteren Kohlerunde erörtern und sich dabei um eine wirtschaftlich vertretbare und zugleich sozial verträgliche Lösung bemühen.
    In diesem Zusammenhang halte ich auch das von der IG Bergbau und Energie vorgelegte Überbrükkungskonzept für eine gute und wichtige Verhandlungsgrundlage, wobei allerdings, meine Damen und Herren, niemand die Finanzierungsfrage aus dem Auge verlieren darf.
    Den bevorstehenden Gesprächen beim Bundeswirtschaftsminister kann ich heute nicht vorgreifen. Aber ich sage mit Deutlichkeit: Voraussetzung für die Verstromung heimischer Kohle — und das ist eine Frage an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition — bleibt auf absehbare Zeit die Nutzung der Kernenergie. Wer in diesem Zusammenhang aus welchen Gründen auch immer der Meinung ist, daß er hier aussteigen kann,

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Muß!)

    der entzieht auch dem heimischen Steinkohlebergbau — und Sie wissen das genau — die Existenzgrundlage.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Umgekehrt ist es doch!)

    Im Verlauf der jetzt natürlich intensiver werdenden Kohledebatte wird die Bundesregierung beispielsweise die Regierungen des Saarlandes und Nordrhein-Westfalens immer wieder fragen, wie sie es sich vorstellen, Kohle und Kohlearbeitsplätze zu retten und gleichzeitig eine Politik des Ausstiegs im Bereich der Kernenergie zu betreiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn, meine Damen und Herren, in diesen Tagen die SPD in Schleswig-Holstein die Abschaltung aller drei Kernkraftwerke dieses Bundeslandes binnen Jahresfrist vorschlägt, dann zeigt dies — und das müssen die Kumpel an Rhein und Ruhr wissen — ,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Die wissen das besser als Sie!)

    wie es konkret um sozialdemokratische Solidarität mit den Bergleuten bestellt ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Diesen Zusammenhang müssen Sie einmal erklären!)

    Meine Damen und Herren, was für die Bauern gilt, gilt für den Stahlkocher und gilt für den Bergarbeiter und für all jene Bereiche, die durch Strukturveränderung in Bedrängnis geraten sind — eine Strukturveränderung, die wir nicht in der Form abbremsen wollen, daß überfällige Veränderungen jetzt gestoppt werden. Wir brauchen neue Strukturen in vielen Bereichen der Bundesrepublik.
    Dazu gehört auch — und ich sage das ausdrücklich — , daß wir in unserem föderalen Staat, die wir stolz sind auf diese Ordnung, stets auch bedenken, daß sich das gesamtstaatliche Prinzip auch darin zeigt, daß wir keine unterschiedliche Entwicklung zwischen Nord und Süd in der Bundesrepublik zulassen dürfen.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wieso tun Sie es dann?)

    Es hat keinen Sinn, heute darüber zu meditieren, warum das gekommen ist. Man hätte gestern sehr viel zu den Ausführungen des Bürgermeisters von Bremen hier sagen können. Wir haben vor 20 Jahren eine Ent-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    wicklung gehabt, in der die Dinge genau umgekehrt waren. Man kann sehr darüber nachdenken, wer rechtzeitig das Richtige im Bereich der Strukturpolitik getan und wer weitsichtig gearbeitet hat.
    Bloß, ich finde, hier gilt das gleiche, was ich vorhin im Blick auf die Bauern sagte: Es nützt dem Stahlkocher, es nützt dem Bergmann, es nützt dem Werftarbeiter — und Sie können viele andere Bereiche ansprechen — jetzt überhaupt nichts, wenn wir uns vor allem und ausschließlich mit Schuldzuweisungen wegen der letzten 20 oder 30 Jahre beschäftigen,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Erblast!)

    sondern es ist vernünftig, daß die Verantwortlichen in der Wirtschaft, die Unternehmen, die Gewerkschaften und die Politik — unter Politik verstehe ich die Politik auf allen Ebenen, also Bund, Länder und Gemeinden — in einem vernünftigen Gespräch diese Abläufe diskutieren und dann zu guten Lösungen für alle Betroffenen kommen.
    Ich sage noch einmal: Solidarität ist für die Bundesregierung keine Einbahnstraße. Sie ist ein Grundprinzip unserer Arbeit, und die Koalition der Mitte wird ihre erfolgreiche Politik auch in Zukunft nach diesem Prinzip ausrichten.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Bundesminister Stoltenberg, ich bitte Sie einen Moment um Gehör. Mir liegt gerade das Sitzungsprotokoll der gestrigen Sitzung vor. Danach haben Sie einen Teil des Hauses volksdemokratischer Methoden bezichtigt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!)

Ich könnte das genau vorlesen, aber Sie dürfen es auch nachlesen. Ich muß dies für dieses Haus ausdrücklich zurückweisen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Unruhe bei der CDU/CSU — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Aber als „Spinner" darf man einen schon bezeichnen?)

— Meine Damen und Herren, ich möchte doch nicht annehmen, daß irgendein Abgeordneter dieses Hauses männlichen oder weiblichen Geschlechts in diesem Hause eine solche Bemerkung machen wird,

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ein Verhalten wurde gerügt!)

um so mehr, als wir uns ausdrücklich auch im Präsidium darauf verständigt haben,

(Seiters [CDU/CSU]: Der Zusammenhang war ein völlig anderer, Frau Präsident!)

Ausdrücke dieser Art, die ja auch noch anders zu bezeichnen sind, hier zu rügen. Ich bitte nachdrücklich darum, daß hier kein Abgeordneter dieses Hauses dieser Methoden bezichtigt wird.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Nun, meine Damen und Herren, unterbreche ich die Sitzung bis 14 Uhr.

(Unterbrechung von 12.57 bis 14.00 Uhr)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heinz Westphal


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
    Zu der Debatte des heutigen Vormittags möchte der Vorsitzende der Fraktion der SPD, Herr Dr. Vogel, eine Erklärung abgeben.