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ID1102401400

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    Plenarprotokoll 11/24 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 24. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Jahn (Marburg) 1563 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Vogel SPD 1563 a Dr. Waigel CDU/CSU 1576 D Ebermann GRÜNE 1586 B Ronneburger FDP 1590 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1593 B Dr. Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 1602 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 1602 C Frau Geiger CDU/CSU 1607 C Frau Hensel GRÜNE 1610 B Genscher, Bundesminister AA 1611 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 1615 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 1618 C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 1620 A Frau Seiler-Albring FDP 1622 D Kühbacher SPD 1624 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 1626 D Horn SPD 1632 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 1633 D Dr. Penner SPD 1636 B Möllemann, Bundesminister BMBW 1642 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 1643 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 1646D Dr. Hirsch FDP 1649 B Bernrath SPD 1651 C Engelhard, Bundesminister BMJ 1653 C Dr. de With SPD 1655 B Dr. Wittmann CDU/CSU 1658 D Häfner GRÜNE 1660 D Lüder FDP 1663 C Nächste Sitzung 1664 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1665* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 1563 24. Sitzung Bonn, den 10. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Bühler (Bruchsal) * 10. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Eigen 11. 9. Dr. Feldmann ' 11. 9. Großmann 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Lemmrich * 10. 9. Frau Luuk * 11. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Dr. Unland ** 10. 9. Volmer 11. 9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Was ich Herrn Stoltenberg verweigert habe, kann ich nicht Ihnen zugestehen.

    (Heiterkeit)

    Ich habe von der Lage, vom Zustand unseres Gemeinwesens gesprochen. In einer parlamentarischen Demokratie ist dieser Zustand — ich füge im konkreten Fall hinzu: leider — nicht vom Zustand der Koalition zu trennen, die dieses Gemeinwesen regiert. Der Zustand unseres Gemeinwesens — das habe ich ausgeführt — gibt auf wichtigen Gebieten Anlaß zur Sorge. Der Zustand der Koalition ist nicht nur besorgniserregend, er ist — ich zitiere noch einmal Herrn Strauß — „jammervoll". Er wird für unser Gemeinwesen mehr und mehr zur Belastung.
    Ich denke dabei gar nicht einmal an die mitunter abstoßenden Beschimpfungen, mit denen CSU und FDP als Koalitionspartner — neuerdings auch CDU und CSU, ja, sogar verschiedene Flügel der CDU — übereinander herfallen. Das Schimpfwörterverzeichnis der letzten Wochen hat allein zwölf Seiten. Ich denke auch nicht daran — das ist ja nun ganz ungewöhnlich, eine absolute Premiere — , daß Herr Strauß dem Bundeskanzler wortwörtlich vorwirft, er sei in der Pershing-Frage „Lügen gestraft worden". Ich lasse auch die Frage beiseite — meine Herren, ich habe selber lange Zeit einem Kabinett angehört —, wie ein Kabinett, dessen Mitglieder sich öffentlich beschimpfen und sich spinnefeind sind, eigentlich an einem Tisch wieder vertrauensvoll zusammenarbeiten will. Wie soll dies eigentlich gehen?
    Unsere Sorge gilt vielmehr der Tatsache, daß diese Koalition auf wichtigen Feldern nicht mehr handlungsfähig, daß sie durch innere Gegensätze gelähmt ist. Da vertritt der Außenminister etwa in der Frage der Null-Lösung schon im Frühjahr eine bestimmte — nämlich unsere — Position. Dann fahren Herr Dregger und Herr Rühe mit Billigung des Bundes-



    Dr. Vogel
    kanzlers nach Washington, Paris und London, um diese Position zu konterkarieren.

    (Seiters [CDU/CSU]: Das hatten wir doch alles!)

    Da sagt Herr Zimmermann mit Zustimmung des Bundeskanzlers, es bestehe wegen der 14 Chilenen keinerlei Handlungsbedarf. Dann erweckt Herr Blüm auf Veranlassung des Herrn Geißler den Eindruck, die Lebensgefahr für die 14 Chilenen könne nur durch sein sofortiges persönliches Auftreten in Santiago behoben werden. Da erklären die FDP-Minister, eine Mehrwertsteuererhöhung komme unter gar keinen Umständen in Frage, und die CSU-Minister erhalten zugleich von Herrn Strauß die gegenteilige Order. Die Herren Kohl und Stoltenberg geben beiden Seiten recht und sagen, nichts sei völlig ausgeschlossen; und so weiter und so weiter.
    Es ist schon bedenklich genug. Noch kritischer sind die — und da greife ich jetzt Ihr Wort auf — die „geistig-moralischen" Aspekte — ich erinnere mich an Ihre Absicht, die Politik geistig-moralisch zu erneuern — einer solchen Politik.
    CDU und CSU liefern sich seit Wochen auf vielen Feldern der Politik geradzu erbitterte Auseinandersetzungen. Man muß nur jeden Mittwoch im „Bayernkurier" die neuesten Streitigkeiten verfolgen. Sie streiten über Abrüstung und die Bekämpfung von AIDS, sie streiten über Menschenrechte und Mittelstandspolitik, über Kohlepolitik und die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Ein Leitartikler der „Welt" schrieb sogar — nicht etwa der Vorrat an Gemeinsamkeiten — der Vorrat an Gemeinheiten, mit denen sich beide Parteien bedächten, sei schier unerschöpflich.

    (Beifall bei der SPD)

    Gleichzeitig behaupten Sie aber mit einer gewissen Festigkeit — man könnte auch Dreistigkeit sagen —, daß Sie in allen wesentlichen Fragen übereinstimmen und deshalb natürlich im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages weiterhin eine gemeinsame Fraktion seien. Mit der gleichen Logik könnten Sie inzwischen auch mit den GRÜNEN oder könnten alle Fraktionen dieses Hauses eine gemeinsame Fraktion bilden.

    (Seiters [CDU/CSU]: Wir mit Ihnen nicht!)

    Die beschimpfen sich auch nicht schlimmer als Sie;

    (Beifall bei der SPD — Lowack [CDU/CSU]: Mit Ihnen bitte nicht!)

    denn stärker als zwischen CDU und CSU wird zwischen ihnen auch nicht gestritten.
    Natürlich geht es den Unionsparteien auch gar nicht um Logik oder um die Beachtung der Geschäftsordnung, sondern es geht ihnen um die vielfältigen Vorteile, die der stärksten Fraktion nach der Geschäftsordnung zustehen und die sie verlieren würden, wenn CDU und CSU je eine eigene Fraktion bildeten. Das Maß an Redlichkeit aber oder auch nur an Rechtsgehorsam, das hier gefordert ist, ist offenbar eine Überforderung für die streitenden Unionsteile.

    (Beifall bei der SPD)

    Noch fragwürdiger sind jedoch bestimmte Aktivitäten des Herrn Generalsekretärs der Union und seiner Gefolgsleute. Daß Herr Geißler mit dem Erscheinungsbild der Union unzufrieden ist — genauso unzufrieden wie Herr Böhr, der ja wohl im Einvernehmen mit ihm all dies sagt — , daß er glaubt, die Union habe Profil und Wertorientierung verloren und daß er darin die Ursache für ihre hohen Stimmverluste bei den Wahlen der letzten Jahre sieht, auch wenn seine Einsichten etwas spät kommen.
    Wir haben auch nichts dagegen, daß Herr Geißler seine Partei für neue Themen zu interessieren versucht — wir beobachten, wie schwierig das ist — und daß er dabei auf Themen verfällt, mit denen wir uns schon seit langem beschäftigen. Das wundert uns gar nicht, das war schon oft so. Ob soziale Gerechtigkeit, Mitbestimmung, Umweltschutz als Staatsziel, Ost- und Deutschlandpolitik oder zuletzt der Verzicht auf die Pershing-I a-Raketen, in all diesen Fällen hat sich die Union mit jahrelanger — gelegentlich jahrzehntelanger — Verspätung unseren Positionen angeschlossen, oft allerdings halbherzig und mit schlimmen Rückfällen. Dann haben Sie immer alle Hände voll zu tun, diese Querschüsse wieder unter Kontrolle zu bekommen.
    Außer dem Thema Menschenrechte könnten wir Ihnen übrigens noch weitere Themen empfehlen, die sich für Richtungsänderungen dringend anbieten. Warum entdecken Sie nicht das Thema Massenarbeitslosigkeit?

    (Beifall bei der SPD)

    Oder den Rassismus in Südafrika? Warum eigentlich nicht? Warum entdecken Sie für wertorientierte Richtungsänderungen nicht das Asylrecht oder die Situation unserer ausländischen Mitbürger? Auf all diesen Gebieten haben Sie weiß Gott noch eine Chance, bestehende Rückstände aufzuholen.
    Daß Sie Ihre Richtung ändern, macht Herrn Haussmann besorgt, mich nicht; ich finde dies großartig. Daß Sie Ihre Richtung ändern, daß Sie alte Fehler zu korrigieren versuchen, kritisieren wir nicht, das begrüßen wir. Aber wie Sie dabei agieren, wie Sie dabei mit dem Thema Menschenrechte umspringen, fordert unsere schärfste Kritik heraus.
    Die Devise, deren sich Herr Geißler immer wieder rühmt, lautet — ich zitiere wieder wörtlich — : „Nicht die Taten bewegen die Menschen, sondern die Worte über sie. " Nicht die Taten, sondern die Worte! Getreu dieser Devise geht es konkret offenbar auch nicht so sehr um das Schicksal der 14 Chilenen, für die ja kein Handlungsbedarf besteht, sondern darum, was sich daraus machen läßt. Die Jesuiten haben den Satz „Der Zweck heiligt die Mittel" , wenn er ihnen denn überhaupt je zu Recht zugeschrieben worden ist, schon längst verworfen. Für Herrn Geißler und viele von Ihnen hat er uneingeschränkt Gültigkeit: Nicht die Taten zählen, sondern die Worte zählen, mögen sie wahrheitsgemäß, glaubwürdig und redlich sein oder nicht. Das ist Ihre Maxime.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Pfui!)

    Herr Bundeskanzler, wo sind denn die Taten hinsichtlich der 14 Chilenen? Sie wissen doch ganz ge-



    Dr. Vogel
    nau, daß sich Sozialdemokraten — ich nenne nur Hans-Jürgen Wischnewski — seit Anfang 1985 öffentlich und im stillen uni die Rettung dieser Chilenen bemühen. Sie wissen doch ganz genau, daß die Bundesregierung eine Anfrage meiner Fraktion, ob sie nun beabsichtige, zu helfen und die Chilenen aufzunehmen, noch im August nichtssagend, nein, ablehnend beantwortet hat. Sie wissen doch, daß Ihre Partei Mitte der 70er Jahre — und Sie waren dabei — den Rücktritt des damaligen sozialdemokratischen Bundesministers Matthöfer verlangte, weil er schon damals Pinochet und seine Gefolgsleute eine Mörderbande genannt hat.

    (Beifall bei der SPD sowie den Abg. Kleinert [Marburg] [GRÜNE])

    Da haben Sie gesagt, es sei unerhört, Pinochet so zu beleidigen; er müsse zurücktreten. Sie wissen doch, daß sich Herr Dregger noch 1979 positiv über die Situation in Chile äußerte, von Strauß ganz zu schweigen. Die Bilder sind uns allen doch noch in Erinnerung, wie er neben Pinochet stehend Worte der Würdigung für diese Entwicklung gefunden hat. Sie wissen doch, daß die Bundesregierung mit Ihrer Zustimmung und auf Ihren Vorschlag hin und natürlich auch mit Zustimmung des Herrn Blüm — selbstverständlich — auch jetzt noch erklärt, hinsichtlich der 14 Chilenen bestehe überhaupt kein Handlungsbedarf. Das alles wissen Sie doch. Was soll denn dann all Ihr Reden über die Chilenen? Warum ist denn dann Herr Blüm überhaupt gereist?

    (Zuruf von der SPD: Sommertheater!)

    Was hat er denn erreicht? Warum sagen Sie nicht schlicht und einfach, daß sich Ihre Partei in der Beurteilung des Pinochet-Regimes lange Jahre geirrt hat und diesen Irrtum jetzt korrigieren will?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Und warum sagen Sie nicht, daß sich jetzt ein Teil von Ihnen — Strauß und die CSU nicht; Zimmermann lehnt es ja ausdrücklich ab; er sagt, es sind Tenoristen; die will er hier nicht haben — mit uns und auch mit anderen für diese Verfolgten einsetzt? Das wäre vielleicht nicht spektakulär, aber es wäre redlich, wenn Sie so argumentieren würden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Und warum beschränken Sie sich eigentlich auf Chile? Wo bleibt denn Ihr Aufschrei gegen den Rassismus und die Appartheid in Südafrika?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Oder gegen Folter und Menschenrechtsverletzungen im Iran?

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Und Afghanistan!)

    Wann reist denn Herr Stoltenberg nach Teheran oder Herr Dregger nach Pretoria, um dort die Verantwortlichen an Ort und Stelle zur Rede zu stellen? Die Herren sind doch auch stellvertretende Parteivorsitzende. Oder reist immer gerade der, der aus innenpolitischen
    Gründen einen gewissen Profilierungsbedarf hat? Wonach richtet es sich denn, wer reist?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Außerdem, wenn Ihnen die Sache ein solches Herzensanliegen ist, warum reisen Sie eigentlich nicht selbst, Herr Bundeskanzler? Im Gegensatz zu Ihnen haben wir in diesen Fragen keinen Nachholbedarf. Herr Bundeskanzler, wir nennen Folter Folter und nicht „unfeine Behandlung". Lassen Sie uns das hier deutlich sagen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir haben uns in all diesen Fällen ebenso klar geäußert wie zu den militärischen Interventionen und den Vorgängen in Afghanistan, aber auch in Nicaragua. Aber da liegt auch der Unterschied: Wir engagieren uns in der Sache, und zwar oft genug im stillen, aber Sie wollen Begriffe besetzen, Sie wollen Richtungsstreitigkeiten austragen und innenpolitisches Profil gewinnen. Sie erklären das auch noch ausdrücklich. Herr Geißler sagt es ja, und Herr Blüm etwas leiser.

    (Lintner [CDU/CSU]: Und Sie sind einäugig!)

    Wir wollen, daß Menschen in Not überall in der Welt geholfen wird, soweit das in unseren Kräften steht. Herbert Wehner und Hans-Jürgen Wischnewski haben für diese Art von stiller Hilfe eindrucksvolle Beispiele gegeben. Wir wollen die Taten, und Sie wollen zu oft nur die Worte. Sie suchen sich die Taten danach aus, welche Worte sie für Ihre Zwecke hergeben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordenten der GRÜNEN)

    Wir könnten uns über den desolaten Zustand der Koalition, über den Verfall und die Zerrissenheit der Union freuen. Zerrissenheit ist noch ein milder Ausdruck. Wir könnten es auch mit der Sonthofener Katastrophenphilosophie des Herrn Strauß halten, der bekanntlich — seinerzeit in der Opposition — gesagt hat, alles müsse noch wesentlich tiefer sinken, bis die damalige Opposition Aussicht habe, politisch mit ihren Vorstellungen, Warnungen gehört zu werden. Das ist die Philosophie des Herrn Strauß, nicht unsere. Wir wollen nicht, daß alles immer noch schlechter wird; denn wir wissen, den Preis dafür zahlen nicht Sie, sondern den Preis zahlt unser Volk. Aber unser Volk hat einen Anspruch darauf, gut, aber auch anständig regiert zu werden.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜNEN)

    Deshalb werden wir zwar fortfahren, Ihr Versagen zu kritisieren und Initiativen zu ergreifen, die aufzeigen, was geschehen könnte und müßte, um Schaden abzuwenden und Nutzen zu mehren. Deshalb sind wir aber auch weiterhin über die Grenzen zwischen Koalition und Opposition hinweg zum gemeinsamen Handeln bereit, wo immer das möglich und sinnvoll erscheint:

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Absolute Heuchelei! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)




    Dr. Vogel
    In der Europapolitik z. B., in der wir Sie schon im Frühjahr zu einer gemeinsamen europäischen Initiative eingeladen haben, oder in konkreten Fragen der Deutschlandpolitik oder in der Reform der Agrarpolitik oder bei konkreten Hilfen für Werften, Stahl und Kohle.
    Im Saarland gibt es beispielsweise doch schon längst eine Kohle- und Stahlfraktion, die alle Mitglieder des dortigen Landtags umfaßt. Warum soll das eigentlich im Bundestag nicht möglich sein?

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Ich fordere Sie auf, insbesondere die Nordrhein-Westfalen, daß wir eine solche gemeinsame Fraktion zur Rettung dieser Region bilden,

    (Beifall bei der SPD)

    oder bei der Reform der sozialen Sicherheitssysteme oder bei der AIDS-Bekämpfung oder auch dort, wo es um die Wahrung der Menschenrechte geht.
    Bis zu den schlimmen Dingen in diesem Sommer, die ich angesprochen habe, war der Gleichklang der Parteien auf dem Gebiet der Menschenrechte einmal eine Selbstverständlichkeit. Wir sollten zu diesem Zustand zurückkehren. Ich sage es in alle Richtungen: Die Betroffenen, die Verfolgten und die Gefolterten müssen es als quälend empfinden, wenn aus ihrer Haut parteipolitsche Riemen geschnitten werden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich fordere uns alle auf, in der Frage zur Vernunft zurückzukehren. Profilieren wir uns überall, aber nicht auf diesem Gebiet!
    Ich wiederhole: Wir sind auf diesen und auf anderen Gebieten zum Gespräch und zur Zusammenarbeit bereit. Das gilt insbesondere für die Fragen, in denen sich die Koalitionsparteien gegenseitig blockieren, also etwa wenn es um konkrete Maßnahmen gegen die Massenarbeitslosigkeit oder darum geht, den finanziellen Ruin von Städten und Gemeinden zu verhindern, oder bei der Anti-Folter-Konvention, die, wenn Sie es nur wollen — Sie verlangen es ja draußen dauernd — , noch in der nächsten Sitzungswoche hier beschlossen und ratifiziert werden kann.

    (Beifall bei der SPD, bei Abgeordneten der GRÜNEN und der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

    Oder bei der Politik gegenüber Südafrika: Daß Herr Blüm aus Profilierungsgründen immer darüber redet, er fährt gegen den Willen des Kanzlers nach Südafrika, oder er fährt doch nicht, das hilft den Menschen überhaupt nicht. Wenn wir uns gemeinsam hier wenigstens auf einige Sanktionen einigen könnten und Sie das vertreten, dann würde das helfen, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Zu einem sind wir allerdings nicht bereit, nämlich beiseitezustehen und stillzuhalten. Deshalb werden wir den Menschen weiterhin die Zusammenhänge erläutern, wir werden sie ermutigen, sich selbst zu Wort zu melden und ihre Interessen mit den vom Grundgesetz — aber auch nur mit diesen — erlaubten Mitteln
    zu vertreten, auch mit dem Mittel der Kundgebung, der Protestversammlung und der friedlichen Demonstration; denn die Wohlfahrt unseres Volkes, die Erhaltung des Friedens, die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, die Bewahrung unserer rechtsstaatlichen Liberalität, das sind viel zu ernste Fragen, um sie allein einer Koalition zu überlassen, deren Gemeinsamkeit sich mehr und mehr im Streben nach Machterhalt, im Streben nach Erhalt der gegenwärtigen Positionen erschöpft.
    Unser Ziel ist und bleibt die Ablösung dieser Koalition, ist und bleibt die Übernahme der Regierungsverantwortung.

    (Lowack [CDU/CSU]: Da müßt Ihr lange warten!)

    Bis dahin werden wir Sie Woche für Woche und Monat für Monat zur Rechenschaft ziehen, so wie wir das in dieser Woche getan haben und noch tun werden.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    — Sie können noch so fröhlich lachen: Das Lachen wird Ihnen vergehen.

    (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie werden von uns keine Ruhe mehr bekommen. Sie können sich darauf verlassen.

    (Langanhaltender Beifall bei der SPD — Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Bohl [CDU/CSU]: Helau! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Oppositionsführer, Sie haben lange auf locker trainiert. Herausgekommen ist ein sehr gequälter Humor.

    (Zurufe von der SPD)

    Wenn Sie an das Schimpfwörterlexikon erinnern: (Jahn [Marburg] [SPD]: Schulmeisterei!)

    Sie finden eine viel bessere Fundgrube bei Ihrem Vorgänger Herbert Wehner. Dem ist in Sachen Humor und Schimpfwörter wenigstens noch etwas Originelles eingefallen,

    (Dr. Vogel [SPD]: Ihnen nicht, mein Lieber!)

    was bei Ihnen nie der Fall ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben, Herr Kollege Vogel, über die Umverteilung gesprochen. Ich will Ihnen dazu nur noch einmal in Erinnerung bringen: In unserer Zeit dieser Regierungskoalition sind die Realeinkommen wieder gewachsen; zu Ihrer Zeit sind die Realeinkommen der Arbeitnehmer gesunken. Das ist der große Unterschied zwischen unserer und Ihrer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Dr. Waigel
    Wir haben die Verschuldung und damit die Steuerlast der Arbeitnehmer verringert.

    (Dr. Vogel [SPD]: Erhöht!)

    Jetzt frage ich Sie einmal: Wo findet wirklich eine arbeitnehmerfreundliche Politik statt? In einer Zeit, wo die Anlage des Geldes in festverzinslichen Staatspapieren rentabler ist wie zu Ihrer Zeit — damals war es um vier bis fünf Punkte günstiger, in risikolosen Staatspapieren sein Geld anzulegen — , oder zu unserer Zeit, wo es wieder um vier bis fünf Punkte günstiger ist, sein Geld in einem Betrieb zur Schaffung von Arbeitsplätzen anzulegen? Unsere Politik ist arbeitnehmerfreundlich; Ihre Politik war arbeitnehmerfeindlich. Und das wissen die Arbeiter in der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie zitieren hier immer wieder Parteifreunde. Ich finde es keinen guten Stil,

    (Lachen bei Abgeordneten der SPD)

    wenn Repräsentanten von Organisationen, die in ihrer Unabhängigkeit etwas sagen, in dieser Form apostrophiert werden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Herr Strauß!)

    Aber tun Sie das, was Sie als Meister des Stils hier für richtig halten!
    Wenn Sie das aber tun, dann darf ich wohl daran erinnern, daß der Präsident der Bundesbank jedenfalls nicht aus den Reihen der CDU/CSU gekommen ist. Er hat zu dem, was die Verschuldung und die Nettokreditaufnahme dieser Regierung betrifft, genau diesen Kurs mit getragen und mit verteidigt.
    Wie kommen Sie eigentlich dazu, die Entwicklung der Nettokreditaufnahme des Bundes zu kritisieren, wo zu Ihrer Zeit dieser Anteil am Bruttosozialprodukt etwa 5 % betrug, während er unter der Finanzpolitik von Herrn Stoltenberg auf etwa 2 % reduziert wurde? Wenn wir damit wichtige Aufgaben, u. a. die Steuerreform, durch eine sparsame Haushaltspolitik in der Vergangenheit und in der Zukunft partiell finanzieren, in einem ganz begrenzten Umfang eine gewisse Erhöhung der Nettokreditaufnahme im Einvernehmen mit allen Wissenschaftlern, Beiräten und Instituten akzeptieren und so auf einen Prozentsatz von etwa 3 % kommen, dann stehen wir international hervorragend da, dann ist das volkswirtschaftlich vertretbar, und Ihre Kritik fällt in sich zusammen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie, Herr Kollege Vogel, sind ziemlich der letzte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Allerletzte! — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Jetzt mach erst einmal einen Punkt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    der uns Aussagen vor Wahlen und nach Wahlen vorhalten sollte.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Was Sie und Ihre Parteifreunde sich 1976 vor der letzten Bundestagswahl gegenüber den Rentnern geleistet haben, was Sie sich im Jahre 1980 gegenüber allen Bürgern hinsichtlich der Verschuldungspolitik und ihrer Voraussage geleistet haben und was Sie sich
    hinsichtlich der Voraussagen zur Raketen- und Abrüstungspolitik 1982 ganz persönlich geleistet haben, als Sie gesagt haben: „Ich stehe für die Reduzierung von Raketen, dieser Bundeskanzler steht für die Einführung von Raketen", das war damals im höchsten Grade unanständig, hat sich nicht bewahrheitet. Unter diesem Bundeskanzler werden Raketen abgebaut, während Sie sowjetische Raketen akzeptiert hätten, die zu unserer Zeit und nach diesem Abkommen nicht mehr Bestand haben werden. Das ist der große Unterschied zwischen uns und Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Seiters [CDU/CSU]: Von der Mietenlüge ganz zu schweigen!)

    Die Bibel, die Sie ja auch mehrfach zitiert haben, kennt für eine solche Verhaltensweise einen Ausdruck, den ich aus Vorsicht gegenüber dem Präsidenten bewußt nicht aussprechen möchte.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Vogel, wegen der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Machen Sie sich um Ihre Partei und Ihre Fraktion Sorgen. Ihre Partei und Ihre Fraktion haben mehr Flügel als ein Vogel verträgt.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)

    Lassen Sie mich zu Ihrer Voraussage, wie schlimm es im Lande ist, wie furchtbar sich die Situation darstellt, nur eines wiederholen, was schon gestern mein Kollege Hinsken sehr zu Recht gesagt hat und was auch ich in vielen Reden dargestellt habe: Ein in der Rhetorik Ihnen etwas überlegener Mann, der Sie schon einmal aus einer Stadt vertrieben hat, nämlich Rudi Schöfberger,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Albernes Geschwätz!)

    hat in einer wichtigen Rede vor seiner Partei folgendes gesagt:
    Was passiert eigentlich, wenn wir rund um das Münchener Oktoberfest auf unseren Plakaten vor der neuen Armut warnen

    (Zuruf des Abg. Stratmann [GRÜNE])

    und drinnen in den Bierzelten saufen und fressen sieben Millionen Durchschnittsverdiener, daß ihnen das Fett und der Bierschaum über die Lefzen herunterrinnt?

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Lintner [CDU/CSU]: Originalton SPD!)

    Das ist nicht mein Ton, das sind nicht meine Worte, das war Ihr früherer Landesvorsitzender, dem Sie sich durch die Flucht nach Berlin entzogen haben.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Nur, Sie sollten sich gut überlegen, ob Ihr Bild der Wirklichkeit entspricht oder ob Schöfberger hier nicht ausnahmsweise recht hat.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Wirtschaft — das wird niemand bestreiten können — befindet sich im fünften Jahr einer konjunkturellen Aufwärtsbewegung — und dies nach der tiefsten Re-



    Dr. Waigel
    zession zu Beginn der 80er Jahre. Die von der Opposition aus Wahlkampfgründen herbeigesehnte Stagnation bzw. Rezession ist nicht in Sicht.

    (Lowack [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

    Gegenüber dem Tiefpunkt im Jahre 1983 — das haben bereits gestern auch unsere Diskussionsredner herausgestellt — nahm die Zahl der Beschäftigten um rund 650 000 zu, während allein zu Beginn der 80er Jahre unter einer SPD-geführten Bundesregierung nahezu 1 Million Arbeitsplätze verlorengingen. Das Stabilitätsziel ist praktisch erreicht, und trotz beträchtlicher Wechselkursverschiebungen weisen Handels- und Leistungsbilanz hohe Überschüsse auf.
    Für das kommende Jahr hat die Koalition durch die Aufsteckung der zweiten Phase der Steuerreform die erforderlichen Maßnahmen zur Stärkung der Wachstumskräfte in die Wege geleitet. Ohne ein stetiges Wirtschaftswachstum sind unsere wirtschaftlichen Probleme auf die Dauer nicht zu bewältigen. Wer wie die SPD hier und heute die leichte Korrektur der Wachstumsprognose beklagt, aber draußen gemeinsam mit den GRÜNEN lautstark über die Grenzen des Wachstums philosophiert und im Grunde eine Strategie des Null-Wachstums propagiert, verdeutlicht damit lediglich die eigene wirtschafts- und finanzpolitische Inkompetenz.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das letzte Jahrzehnt hat uns gezeigt, daß es Patentrezepte und ökonomische Wundermittel nicht gibt. Jede wirtschaftspolitische Strategie muß überprüft und auch den jeweiligen Gegebenheiten angepaßt werden. Die 50er Jahre mit der Einführung der Marktwirtschaft, der Freigabe der Preise, der Währungsreform, dem Kartellgesetz, der Liberalisierung des Bankensektors, der Herstellung der freien Konvertibilität der D-Mark standen im Zeichen der Ordnungspolitik, geprägt durch den Namen Ludwig Erhard. Im Vordergrund stand der ordoliberale Imperativ der Freiburger Schule.
    In den 60er Jahren vollzog sich ein konzeptioneller Wechsel hin zu einer stärkeren Betonung der Prozeßpolitik mit den Instrumenten des Stabilitätsgesetzes, der mittelfristigen Finanzpolitik, des Deficit-spending, der Einführung des Konjunkturrats und der konzertierten Aktion. Diese wirtschaftspolitische Strategie war geprägt vom Glauben an die Fähigkeit des Staates, die wirtschaftliche Entwicklung durch Globalpolitik und Feinabstimmung, durch Übernahme einer staatlichen Vollbeschäftigungsgarantie steuern zu können.
    Das Keynesianische Konzept, in der Krise von 1966/67 noch erfolgreich, war in den 70er Jahren unter den veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der binnenwirtschaftlichen Fehler und Versäumnisse nicht geeignet, die damaligen Probleme zu bewältigen. Im Gegenteil: Trotz, vielleicht sogar wegen einer wahren Flut staatlicher Beschäftigungsprogramme kam es zur Entstehung einer bislang nicht für möglich gehaltenen Massenarbeitslosigkeit, zur Ausbreitung einer Inflationsmentalität, zu beträchtlichen Investitions- und Innovationslücken im privaten Sektor und zu einem auf einer falsch angelegten Bildungs- und Gesellschaftspolitik beruhenden
    und die Handlungsfähigkeit des Staates weit überfordernden Anspruchsdenken und schließlich — als letzte Folge — zur galoppierenden Ausweitung der Staatsverschuldung. Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung, Zurückhaltung der Investoren und gravierende Vertrauenseinbußen im Ausland waren dann die Folge.
    Die Koalition der Mitte hat einen Konzeptionswechsel vollzogen und den angebotsorientierten Elementen der Wirtschaftspolitik stärkere Beachtung geschenkt; und dies mit Erfolg. Die Haushaltskonsolidierung brachte eine spürbare Entlastung der Kapitalmärkte, führte damit zur Senkung des Zinsniveaus, ermöglichte der Deutschen Bundesbank eine stabilitätsorientierte Geld- und Kreditpolitik und war schließlich Voraussetzung für die Gewinnung jener finanzpolitischen Handlungsspielräume, die wir zur Finanzierung der Steuerreform und zur Verstetigung der öffentlichen Investitionen benötigen.
    In einem lesenswerten Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 10. Juli 1987 hat der SPD-Kollege Jens die Meinung vertreten, unsere wirtschaftlichen Probleme bestünden im wesentlichen aus einem Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Ich halte diese These für falsch. Die tatsächlichen Probleme, denen wir uns gegenwärtig und wohl auch in den kommenden Jahren gegenübersehen, sind vorwiegend struktureller Natur. Es handelt sich um strukturelle Umstellungs-, Anpassungs- und Modernisierungsprobleme.
    Das größte Problem ergab sich aus den veränderten demographischen Bedingungen, aus der Veränderung der Bevölkerung. Angesichts des Zustroms der jungen Generation auf den Arbeitsmarkt hat die Schaffung von rund 650 000 neuen Arbeitsplätzen leider nur zu einer leichten Reduzierung der Arbeitslosenquote geführt. Ferner macht die weitere demographische Entwicklung Strukturreformen in der Rentenversicherung erforderlich.
    Tiefgreifende strukturelle Anpassungsprobleme sehen wir auch in den Krisenbranchen Landwirtschaft, Werften, Stahl und Bergbau. Nur, diese strukturellen Probleme können wir nicht mit globalen Nachfrageprogrammen lösen, sondern mit einer die Wachstumskräfte des privaten Sektors stärkenden Wirtschaftspolitik, ergänzt mit flankierenden Wirtschaftsmaßnahmen des Staates.
    Entscheidend dazu gehört die Steuerpolitik. In der Zeit Ihrer Finanzminister gab es nur eine Steuerpolitik, nämlich Steuererhöhung.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Quatsch!)

    — Mit Ausnahme eines leichten Abbaus der inflationsbedingten Mehrbelastungen. Aber eine echte Steuerreform und -entlastung fand zu Ihrer Zeit nicht statt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die von Bundesfinanzminister Dr. Gerhard Stoltenberg vorgetragene Steuerentlastung ist richtig, ist notwendig und ist sozial gerechtfertigt. Sie ist wirtschaftspolitisch notwendig, denn sie verbessert die Fähigkeit der Betriebe zur Bildung von Eigenkapital,



    Dr. Waigel
    und sie stärkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nahezu alle großen westlichen Industrienationen haben in letzter Zeit die steuerliche Belastung der Unternehmen in einem Ausmaß reduziert, das weit über die von uns beschlossenen Punkte hinausgeht. Internationaler Wettbewerb besteht nicht nur zwischen Produkten und Dienstleistungen, nicht nur zwischen Unternehmen, sondern er besteht auch zwischen den jeweiligen Steuersystemen. Wenn unser Steuersystem in seiner Leistungsfähigkeit und Höhe mit den Steuersystemen anderer mit uns konkurrierender Industrienationen nicht mehr standhält, dann werden wir unsere Waren in kurzer Zeit auf den Weltmärkten nicht mehr los, und es wird noch viel mehr Arbeitslosigkeit bei uns herrschen, als wir sie gegenwärtig leider zu verzeichnen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie wissen ganz genau, meine Damen und Herren von der SPD, daß diese Steuerreform sozial ist, weil der größte Teil des Entlastungsvolumens durch die Anhebung des Grundfreibetrages und durch die Rückgängigmachung des unter einer SPD-Regierung angehobenen Eingangssteuersatzes auf die Bezieher kleinerer Einkommen entfällt. Man stelle sich einmal vor: Die Erhöhung, die wir mit dem Grundfreibetrag durchführen werden, liegt über dem, was Sie gefordert haben. Wir entlasten die Bezieher kleinerer Einkommen, indem wir den Eingangssteuersatz wieder dorthin zurückführen, wo er vor Ihrer Zeit gewesen ist; das ist eine soziale Leistung.