Rede von
Klaus
Lennartz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege, es war Ihre Jungfernrede. Ich will hoffen, daß die nächste vom Inhalt her ein bißchen besser aufbereitet wird.
— Wissen Sie, wenn einer so gehässig ist gegenüber der Kollegin Unruh mit ihren Zwischenrufen, obwohl die Kollegin sich nicht wehren kann, dann muß man auch einen Satz über die Form sagen.
Meine Damen und Herren, wir halten fest: Unser Trinkwasser ist in Gefahr, weil immer mehr Pflanzenschutzmittel ins Grundwasser gelangen. Im Laufe der letzten zehn Jahre, Herr Kollege Göhner, ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Bundesrepublik um 60 % gestiegen. 60 %! Wir dürfen annehmen, daß die Verunreinigung unseres Grundwassers im selben Maße zugenommen hat.
Das Grundübel bei der drohenden Verseuchung des Grundwassers ist wieder einmal u. a. die industrielle landwirtschaftliche Produktion.
Das Glaubensbekenntnis der bundesrepublikanischen und europäischen Landwirtschaftspolitik — immer mehr, immer größer, Masse statt Klasse — zwingt nicht nur die Landwirte in einen ruinösen Wettbewerb bei der Ausbeutung der Böden; diese irrsinnige Lehre beschert uns auch Fleisch voller Chemie, Obst und Gemüse mit Wachs- und Chemieschicht. Auch bedroht sie die Trinkwasserversorgung der Menschen in den Industrienationen.
Allein in der Bundesrepublik Deutschland fördern die öffentlichen Wasserversorger jede Stunde knapp 750 Millionen Liter Wasser, von dem Menschen trinken können, sollen, müssen. Die Menschen erwarten von der Bundesregierung zu Recht, daß sie unsere Lebensgrundlagen schützt, erhält und behütet. Die Bundesregierung enttäuscht diese Erwartungen bitter. Nicht nur bei der Reinhaltung unserer Atemluft, unserer Nahrungsmittel und der Böden, auf denen die Nahrungsmittel wachsen, auch bei der Reinhaltung des Lebenselixiers Wasser versagt diese Bundesregierung. Diese Regierung und diese Koalition und ihre mangelhaften Regelwerke werden zum wiederholten Male von der Rasanz der zunehmenden Vergiftung überholt.
Was für unsere Luft das Brüsseler Katalysator-Debakel, die mangelhafte Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die butterweiche TA Luft sind, sind für unser Wasser das Wasserhaushaltsgesetz und das Pflanzenschutzgesetz:
ungenügend, zu viele Ausnahmen, kein wirksames Regelwerk zum Schutz des Trinkwassers.
Ein Großteil der Grundwasservorkommen in der Bundesrepublik Deutschland ist besonders anfällig gegen die Auswaschung von Pflanzenschutzmitteln aus den Böden, weil sie eben von stark wasserdurchlässigen Mitteln und Schichten bedeckt sind.
Was gibt es zu tun, wenn man politische Verantwortung ernst nimmt? Das hat die SPD-Bundestagsfraktion auf den Tisch gelegt. Erstens. Grundwasser muß unabhängig von den Wasserschutzgebieten vor schädlichen Auswirkungen der Pflanzenschutzmittel geschützt werden. Das sieht der Pflanzenschutzanwendungsentwurf nicht vor. Zweitens. Pflanzenschutzmittel dürfen nicht angewendet werden, wenn sie den Naturhaushalt beeinträchtigen. Drittens. Der Staat muß flächendeckend die Qualität des Grundwassers messen und die bekannten Nachweisverfahren für die Bestimmung von Pflanzenschutzmitteln im Grundwasser offenlegen lassen.
Die 6 500 öffentlichen Wasserversorger in der Bundesrepublik Deutschland bedürfen dringend dieser staatlichen Unterstützung, um ihre Arbeit vernünftig machen zu können.
684 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8 Mai 1987
Lennartz
Aber die Offenlegung der Nachweisverfahren alleine genügt nicht. Von den 300 Pflanzenschutzmitteln, die bei uns eingesetzt werden, sind zur Zeit nur knapp 50 durch Analysen nachweisbar, d. h. von 250 angewendeten Pflanzenschutzmitteln wissen wir überhaupt nicht, ob sie das Grundwasser schädigen, ob sie überhaupt im Grundwasser sind.
Die politische Konsequenz muß doch demzufolge zwingend sein: Pflanzenschutzmittel dürfen nur genehmigt werden, wenn sie auch analytisch nachweisbar sind.
Umgekehrt heißt das doch: Ein Mittel, bei dem wir nicht messen können, wie weit es uns schon vergiftet hat, gehört nicht in den Handel und darf nicht zugelassen werden. Das ist politische Konsequenz.
Alles andere ist Selbstmord auf Raten. Das gilt auch auf Ministerebene.
Bodenschutz muß auch gesetzlich unzweideutig Gewässerschutz werden. Der Bodenschutz muß eine stärkere Verankerung auch im Wasserhaushaltsgesetz erfahren. Eine vernünftige Landwirtschaftspolitik wird auch unsere Böden schonen, weil sie dann weniger Chemie brauchen. Weniger Chemie im Boden bedeutet weniger Chemie im Grundwasser und mehr Gesundheit für die Menschen.
Herr Kollege Rüttgers, bei Ihrer Rede mußte man den Eindruck gewinnen, per Verordnung bleibt das Grundwasser sauber. Jetzt zitiere ich einmal den neuen Umweltminister, den Kollegen Töpfer. Der bemerkt zum Thema Grundwasserverseuchung mit Pestiziden, daß wir in Zukunft eher mehr denn weniger haben werden. Ihre Aussage ist: weniger. Er sagt genau das Gegenteil.
Auf die Frage, ob denn nicht nur solche Stoffe zugelassen werden sollten, die auch in Spuren mit einfachen Mitteln nicht nachzuweisen sind, antwortet Töpfer: Die Nachweisanalytik sollte in das Genehmigungsverfahren einbezogen werden.
Ich kann nur hoffen, daß der Kollege Töpfer nicht wie beim Raucher-Pfennig in dieser Frage ebenfalls umkippt. Wir werden ihn prüfen.
Ich danke Ihnen.