Rede:
ID1100518500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Nun: 1
    2. hat: 1
    3. das: 1
    4. Wort: 1
    5. der: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Penner.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 Inhalt: Wahl der Schriftführer — Drucksache 11/58 (neu) — 137 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Apel SPD 137 B Carstens (Emstek) CDU/CSU 144 D Frau Vennegerts GRÜNE 148 C Dr. Solms FDP 150D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 155A Dr. Spöri SPD 164A Krollmann, Staatsminister des Landes Hessen 166C Dr. Wallmann, Bundesminister BMU . . . 171 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 177 B Mischnick FDP 178 C Dr. Hauff SPD 180D Dr. Laufs CDU/CSU 184 B Frau Garbe GRÜNE 186D Baum FDP 188D Frau Rust GRÜNE 191 A Weiermann SPD 193A Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195A, 221 B Frau Unruh GRÜNE 206 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 207 A Frau Fuchs (Köln) SPD 210B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 216B Floss GRÜNE 219C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 222 B Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG . 225 C Frau Wilms-Kegel GRÜNE 231B Dr. Hirsch FDP 232 C, 246 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 233 D Dr. Penner SPD 236 A Dr. Miltner CDU/CSU 241 A Wüppesahl GRÜNE 244 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 249B Namentliche Abstimmungen 192D Ergebnisse 203 A, 204 C Präsident Dr. Jenninger 149 B Vizepräsident Cronenberg 244 B Vizepräsident Frau Renger 219B, 246C Nächste Sitzung 251 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 252 * A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 137 5. Sitzung Bonn, den 19. März 1987 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 20. 3. Egert 19. 3. Frau Eid 20. 3. Dr. Götz 20. 3. Grünbeck 20. 3. Grüner 19. 3. Grunenberg 20. 3. Haack (Extertal) 19. 3. Klein (München) 20. 3. Kolb 20. 3. Lenzer * 20. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 20. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 19. 3. Reuschenbach 20. 3. Dr. Rumpf ' 20. 3. Seehofer 20. 3. Frau Simonis 19. 3. Strauß 20. 3. Frau Trenz 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Dr. Wilms 19. 3. Frau Zutt 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Roswitha Verhülsdonk


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schmidt, ich mache Ihnen ein Angebot: Am Ende dieser Legislaturperiode, also in etwa vier Jahren, nehmen wir uns noch einmal Ihre heutige Rede vor.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Gern!)

    Dann haken wir Punkt für Punkt ab, wo Sie mit Ihren negativen Prognosen und Ihren Unterstellungen unrecht gehabt haben. Ich freue mich schon darauf.
    Im Gegensatz zu Ihnen bin ich nämlich der Meinung, daß die Regierungskoalition ein Programm vorgelegt hat, das in den Bereichen der Familienpolitik, der Politik für Frauen und für junge Menschen so gestaltet ist, daß wir mit Zuversicht das letzte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts ansteuern können. Zuversicht zu haben, fällt vielen heute schwer. Das Unglück von Tschernobyl, die Umweltkatastrophe im Rhein, die Gefährdung durch AIDS — das alles sind Bedrohungen, die von den Menschen als existentiell empfunden werden. Ich kann das verstehen, weil Rezepte, wie sie in den 60er und 70er Jahren noch Gültigkeit hatten, heute so nicht mehr stimmen.
    Manche erwarten in dieser Situation eine Politik des großen Wurfes, die praktisch mit einem Geniestreich



    Frau Verhülsdonk
    die Dinge in den Griff bekommt. Aber wir wissen, das ist Illusion. Was wir brauchen, ist eine verläßliche, glaubwürdige Politik, die die Sorgen der Menschen ernst nimmt, die die richtigen politischen Prioritäten setzt, die Lösungen in Solidarität mit den Generationen sucht, die nach uns kommen. Das, meine ich, hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung überzeugend dargestellt.

    (Büchner [Speyer] [SPD]: Sehr schwammig, ja!)

    Neben der Friedenssicherung, dem Schutz unserer Umwelt, der Strukturreform der sozialen Systeme steht der Politikbereich Familie, Frauen, Jugend und Gesundheit, den Sie, Frau Süssmuth, politisch zu verantworten haben, im Mittelpunkt unserer Bemühungen bei der Gestaltung unserer Zukunft. Darum wünschen wir Ihnen Tatkraft, das Stehvermögen und die politische Weitsicht, die Sie im vergangenen Jahr so reichlich bewiesen haben, auch für die nächsten Jahre. Wir werden Sie wie den Bundeskanzler auf diesem Weg unterstützen.
    Wir können in dieser Legislaturperiode dort ansetzen, wo wir im Dezember aufgehört haben: bei einer erfolgreichen Politik für die Familien und für mehr Partnerschaft zwischen Männern und Frauen in unserem Land. Unsere neue Politik, gekennzeichnet durch Dinge wie Erziehungsgeld, Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, Erziehungsurlaub, wollen wir in der neuen Legislaturperiode fortschreiben. So wird — das steht im Programm — der Familienlastenausgleich deutlich verbessert. Nicht nur der Kinderfreibetrag im Steuerrecht wird angehoben, auch das Kindergeld, und zwar ab dem zweiten Kind, wird erhöht. Ich halte das für unabdingbar; denn vor allem bei den Mehrkinderfamilien besteht noch immer ein großer Nachholbedarf.
    Ich räume ein — da haben Sie gar nicht unrecht —; Die von der Koalition beschlossenen Steuererleichterungen im Tarifbereich, so wichtig sie sind — auch für die Familien — , reichen allein nicht aus.
    Die Dauer der Zahlung des Erziehungsgeldes werden wir über zwölf Monate hinaus verlängern. Ich versichere Ihnen, Frau Schmidt: Wir wollen alles dafür tun, damit möglichst ein volles zweites Jahr erreicht wird.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Natürlich wird zugleich der Erziehungsurlaub verlängert. Der Ausbildungsfreibetrag wird erhöht, denn heute sind die Familien mit durchschnittlichen Einkommen, die gerade so über der BAföG-Grenze liegen und die Kinder in der Ausbildung haben, in einer schwierigeren Lage als die BAföG-Bezieher.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Wer bekommt denn überhaupt noch BAföG?)

    Natürlich müssen wir die Alleinerziehenden wesentlich mehr unterstützen, aber das ist schon gesagt worden.
    Wir wollen das Problem der Pflegebedürftigkeit anpacken. Fast 9 von 10 Pflegebedürftigen werden heute noch von ihren Angehörigen gepflegt. Die mit der Pflege verbundenen Kosten und die aufopfernde Tätigkeit der Pflegepersonen wurden bisher von der
    Gesellschaft kaum zur Kenntnis genommen. Wird stationäre Pflege in Anspruch genommen, dann entstehen hohe Kosten für die Krankenkasse. Bei Heimpflege muß in sieben von zehn Fällen die Sozialhilfe einspringen. Wir müssen die Bereitschaft der Familien zur häuslichen Pflege anerkennen und stärken. Das soll u. a. durch einen neuen Steuerfreibetrag geschehen.
    Es ist darüber hinaus notwendig, den Familien, die Angehörige pflegen, mehr fachliche Hilfe bei der Versorgung der Angehörigen zu gewähren und ihnen auch Urlaubsmöglichkeiten zu verschaffen. Ein entsprechender Gesetzentwurf lag bereits in der letzten Legislaturperiode vor.
    Wir müssen aber auch im Rahmen der großen Rentenreform Wege für eine bessere Alterssicherung von Frauen finden, die über längere Zeit Angehörige oft unter Verzicht auf eigene Berufstätigkeit gepflegt haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Hier sind wir CDU-Frauen ganz ernstlich entschlossen, dies anzupacken.
    Frauen wollen heute Familie und Beruf. Sie wollen Kinder, aber sie wollen nicht zugleich für immer auf eine Berufstätigkeit verzichten. Ich halte es für eine Gesellschaft, in der Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften gemeinsam Verantwortung tragen, für ein Armutszeugnis, daß die Abstimmung zwischen Berufswelt und Familienwelt immer noch so unvollkommen klappt.

    (Zustimmung der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

    Wer hier vernünftige, praktikable Lösungen anbietet, leistet mehr für die Zukunft unserer Gesellschaft, als dies Prozente mehr an Lohn, über die jedes Jahr monatelang gestritten wird, je tun könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Ganseforth [SPD]: Aber Arbeitszeitverkürzung!)

    Darum begrüßen wir die Ansätze zu größerer Flexibilität, wie sie im Regierungsprogramm deutlich werden. Für mich gehört zu dieser Flexibilität auch der Dienstleistungsabend.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Den Frauen größere Freiräume und eine bessere Abstimmung zwischen Familie und Arbeitswelt zu eröffnen, dazu stehen im Regierungsprogramm richtige, sehr konkrete Schwerpunkte, z. B. mehr berufliche Weiterbildungsangebote für Frauen, die in den Beruf zurückkehren wollen, und das vor allem auch im ländlichen Bereich, wo die Chancen von Frauen geringer sind als in städtischen Regionen. Es ist gut, daß die Regierung daran denkt, die Betriebe bei diesen Maßnahmen stärker mit einzubeziehen. Es ist gut, daß die Bundesregierung eine Offensive für mehr Teilzeitarbeit starten will und dem öffentlichen Dienst eine Vorreiterfunktion zuweist.
    Die Tarifparteien müssen viel phantasievoller über neue Arbeitsformen verhandeln. Warum sollen nicht Arbeitszeitverkürzungen und Teilzeitarbeitsplätze insbesondere Müttern und Vätern angeboten werden,



    Frau Verhülsdonk
    die kleine oder behinderte Kinder zu versorgen haben, die aber beide mit dem Beruf Kontakt halten wollen und gemeinsam das Familieneinkommen erwirtschaften wollen? Die vom Bundeskanzler angekündigte Offensive für Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst — auch in der Bundesverwaltung — und bessere Förderungsbedingungen für Frauen sind alles richtige Schritte. Wir dürfen hier vor dem Beamtenrecht nicht haltmachen.
    Noch eines ist wichtig. Vorübergehende Teilzeitbeschäftigung darf nicht in alle Zukunft ein Hindernis für beruflichen Aufstieg bleiben. Wir müssen mit Phantasie darangehen, dieses Problem aufzulösen.
    Die Zunahme von sozial ungesicherter geringfügiger Beschäftigung ist nicht nur zu einem großen Frauenproblem geworden. Sie hat sich mehr und mehr zum Wettbewerbsproblem entwickelt. Das kann so nicht weitergehen.
    Es gibt noch einige Beschäftigungshemmnisse, die sich einseitig gegen die Frauen auswirken, die müssen beseitigt werden. Da ist die Finanzierung des Mutterschutzes ebenso ein Thema wie das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen. Es gilt ja bekanntlich für weibliche Angestellte sowieso nicht. Es wird oft genug als Begründung für niedrigere Frauenlöhne — bis in Arbeitsgerichtsurteile hinein — mißbraucht. Arbeitsschutz muß für Männer und Frauen als individueller Gesundheitsschutz am ganz konkreten Arbeitsplatz wirksam werden und nicht als kollektiver Schutz für ganze Gruppen, für die dadurch der Zugang zur Arbeitswelt unsinnig erschwert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Ankündigung der Koalition, ein Gesetz zur Verbesserung der Beratung im Rahmen des § 218 zu erlassen, hat sogleich viele unsachliche Unterstellungen ausgelöst. Einiges dazu haben wir heute auch hier gehört. Solche Äußerungen werden dem eigentlichen Anliegen nicht gerecht.
    Wenn ich es richtig sehe, hat in den vergangenen Jahren eine Bewußtseinsänderung dem Leben gegenüber stattgefunden, durchaus verstanden als eine umfassende neue Einstellung. Diese betrifft auch das ungeborene Leben, und sie zeigt sich ebenso in wachsenden Vorbehalten gegenüber Möglichkeiten, die mit Hilfe der Genforschung verwirklicht werden können. Ich nenne Leihmütter, Samenbanken und Tiefkühlembryonen.
    Die ganze große Mehrzahl der Menschen in unserem Land erwartet vom Deutschen Bundestag, daß er alles tut, um menschliches Leben in allen Stadien und die Menschenwürde zu schützen. Dieser Erwartung müssen wir gerecht werden. Seit wir menschliche Embryonen in der Retorte zeugen und sie in den Mutterleib verpflanzen können, bestreitet niemand mehr ernstlich, daß der Mensch von Anfang an Mensch ist.
    Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, daß das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben ein hohes Rechtsgut ist. Es bestehen offenbar bis in dieses Haus hinein große Unkenntnisse über das geltende Recht, das unter einer SPD-Regierung verabschiedet worden ist. Es läßt eine Abtreibung dann straffrei, wenn eine ernsthafte Notlage für die Schwangere besteht. Es muß sich allerdings um eine Lebenssituation mit dem Charakter einer gewissen Ausweglosigkeit handeln, sagt das Bundesverfassungsgericht.
    Bei der Verabschiedung des geltenden Strafrechtsparagraphen 218 haben übrigens alle Fraktionen, die damals in diesem Hause waren, nachdrücklich bekundet, daß die soziale Notlagenindikation nicht zum Routinevorgang werden darf. Deshalb wurde vom Gesetzgeber damals schon Beratung und Vermittlung von Hilfe der Indikationsstellung vorgeschaltet.
    Männer unterstellen manchmal, daß Frauen sich leichtfertig zu Abtreibungen entscheiden. Ich habe das immer zurückgewiesen; auch Beratungsstellen weisen das zurück. Sie machen eine andere Erfahrung. Deshalb bin ich davon überzeugt, daß die allermeisten Frauen in Konfliktsituationen dankbar sind, wenn ihnen zunächst Wege gewiesen werden, wie sie aus der Notlage herauskommen können, ohne ihr Kind opfern zu müssen.
    Dabei geht es nicht nur, wie wir wissen, um die Vermittlung von Sozialhilfe und von Geldmitteln aus der Stiftung „Mutter und Kind". Oft liegen die Probleme im persönlichen sozialen Umfeld der Schwangeren. Auch das berichten uns immer wieder die Beratungsstellen. Da liegt es doch nahe, in Fällen, wo die Frau dies selbst wünscht, den Partner oder die Eltern in die Beratung einzubeziehen und zu persönlichen Hilfestellungen zu motivieren.
    Es geht uns weiter darum, daß Mütter nach Austragung einer Konfliktschwangerschaft auch nach der Geburt des Kindes begleitet werden, wenn notwendig, bis zum 3. Lebensjahr.
    Wir wollen also die Aufgaben der Beratungsstellen erweitern und die Beratung weiter qualifizieren und möglichst bundesweit einheitliche Bedingungen herstellen. Ich meine, wir sind es den Frauen schuldig, sie in ihrer Konfliktlage zu entlasten und ihnen den Zugang zu allen denkbaren Hilfen zu erleichtern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mir ist klar: Bei einem Beratungsgesetz geht es um sehr sensible Fragen. Aber für die Ausgestaltung haben wir ja die Möglichkeit umfangreicher Beratungen hier im Bundestag. Und da werden wir, wie wir es immer getan haben, alle Sachkundigen gerne zu Wort kommen lassen und ihren Rat einholen. Niemand will hier ein Gesetz, das die Frauen abschreckt, eine Beratungsstelle aufzusuchen, und sie auf illegale Wege abdrängt. Wir ändern nicht das geltende Strafrecht, aber wir wollen einen Beitrag dazu leisten, daß Frauen überall alle verfügbaren Hilfen erhalten.
    Durch die Weltseuche AIDS kommt eine Herausforderung ungeahnten Ausmaßes auf unsere Gesellschaft zu. Es geht darum, die Gesunden zu schützen und die Kranken menschenwürdig zu behandeln. Wir Christen haben die Pflicht — da stimme ich Kardinal Höffner voll zu — , die AIDS-Infizierten und AIDS-Kranken nicht in ein Ghetto abzuschieben. Die Bundesregierung hat ein Konzept gegen AIDS vorgelegt, das den gegenwärtigen Erfordernissen Rechnung trägt. Sicherlich muß es ständig weiter überprüft werden.



    Frau Verhülsdonk
    Aber auch das Parlament ist gefordert, sich intensiv an dieser Diskussion zu beteiligen und eigene Vorschläge einzubringen. Die CDU/CSU will aus diesem Grunde eine Enquete-Kommission einsetzen. Da sich die SPD und, wie wir eben hörten, auch die FDP bereits in gleicher Richtung geäußert haben, besteht gute Hoffnung, daß wir in dieser wichtigen Frage parteiübergreifend zusammenarbeiten und zu gemeinsam getragenen Lösungen kommen.
    Abschließend möchte ich feststellen — und das in bezug auf das gesamte Koalitionsprogramm, das wir in diesen Tagen diskutieren — : Es ist ein gutes Regierungsprogramm, das nicht über den Wolken schwebt. Es ist nämlich schwerer, die Dinge dieser Welt Schritt für Schritt zu verändern, als sich in großen Entwürfen oder Versprechungen zu ergehen. Unsere Politik wird den Alltag verbessern und ihn für viele Menschen, vor allem auch für die Frauen in unserem Land, erleichtern. Dafür lohnt es sich zu arbeiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nun hat das Wort der Abgeordnete Penner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Willfried Penner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Hinweises auf Beschaffenheit von Koalition und Regierung bedurft hätte: Verlauf und Verlautbarungen der Koalitionsverhandlungen nach der Wahl waren kennzeichnender als alles, was verhüllend-freundlich Regierungspropaganda oder attackierende Oppositionsrede hätte hervorbringen können.
    Gewiß: Wir Deutschen wollen auch in der Politik zu häufig das Große, das Erhabene, das Wegweisende, was das auch immer sei, und haben weniger Sinn für den politischen Alltag, das Handwerkliche, das politische Graubrot.
    Doch ist es nicht nur die Enttäuschung über ein eher farbloses Kabinett und viele blasse Kompromisse, die in den Medien, und zwar von links bis rechts, scharfe Kritik bewirkt hat. Es ist vielmehr das totale Ausbleiben der geistigen Reform, des politisch frischen Windes des Konzeptes einer politischen Führung.

    (Beifall bei der SPD)

    Was von den Koalitionsverhandlungen haften bleibt, ist dies — so ist es jedenfalls dem Bürger vorgekommen — : Sollten es nun 56 % Spitzensteuersatz sein und bleiben, oder kommen wir darunter? Wo sollte die Abflachung der Progressionskurve bei den Steuern beginnen und wo enden? Wer war für innere Sicherheit, und wer war für Datenschutz? Wer hatte mehr mit der Landwirtschaft, und wer hatte mehr gegen Europa im Sinn? Wer tauschte den Umweltschutz im Grundgesetz gegen ein bißchen weniger § 218 und ein bißchen mehr strafbewehrte Vermummung minus Gauweilers AIDS-Rezept? Welcher Generalsekretär hatte als erster im Fernsehen das Wort, entweder direkt aus dem Autofenster einer Nobelmarke oder bei der Bundespressekonferenz? War Stoltenberg der Spielball der FDP und von Strauß, oder war er nur der Spielball von einem von beiden? Und war es wirklich ein Zeichen von Freundlichkeit für die Dauer der Koalitionsverhandlungen,
    den Bonner Journalisten ein Zelt vor dem Bundeskanzleramt zur Verfügung zu stellen?
    Der Bundeskanzler war jedenfalls immer dabei. Er hat die Verhandlungen geleitet. Er hat sich zurückgehalten. Nur einmal hat er auf den Tisch gehauen; da ging es um den Spitzensteuersatz. Da ist es dann passiert: Der Blüm wurde desavouiert, sofern das überhaupt möglich war, und bis heute steht nicht fest, ob die Steuerentlastung zu finanzieren ist. Das war das Ergebnis einer Rücktrittsdrohung des Bundeskanzlers.
    Wie ist es bei den Personalentscheidungen gewesen, die ja immer delikater Natur sind? Kohl hat hier sehr viel Sinn für Eigenmacht bewiesen. Mit dem Angebot für Strauß, ihm das Innenministerium oder das Verteidigungsministerium oder das Finanzministerium plus Vizekanzlerschaft anzubieten, hat er diesen zufriedengestellt und ihn sich damit zugleich vom Leibe gehalten. Er verknüpfte damit ganz locker und ohne weiteres die Demontage Stoltenbergs, nicht ohne die Gelegenheit auszulassen, es noch einmal und zum wiederholten Male Zimmermann und Wörner einzutunken, damit die beiden auch wirklich mausetot bleiben. Da der Bundeskanzler bei sonst schwachen Gedächtnisleistungen zu erstaunlichen Erinnerungskräften bei der Abteilung Rachsucht in der Lage ist,

    (Beifall bei der SPD)

    hat es dann gleich auch bei Biedenkopf und dem von ihm geleiteten Landesverband Nordrhein-Westfalen eingeschlagen. Besonders die Kaltstellung des ebenso queren wie brillanten Kollegen Biedenkopf beweist mehr als alles andere:

    (Pfui-Rufe bei der CDU/CSU)

    Der Bundeskanzler ist kleinlich und nicht großzügig.

    (Bohl [CDU/CSU]: Ihr könnt nicht mal den Pressesprecher besetzen und nehmt den Mund so voll hier! Lächerlich! Löst doch erst mal eure Probleme!)

    Er demütigt, wo Ermutigung und Aufforderung geboten wären. Er hält Abstand vom Denken und von Denkern.

    (Beifall bei der SPD)

    Glauben Sie, es sei unbemerkt geblieben, daß der Bundeskanzler mit einem Mann am Koalitionstisch gesessen hat, der der politischen Korruption überführt ist, der als Angeklagter im Flick-Prozeß versucht hat, einen mißliebigen Staatsanwalt mittels persönlicher Einschaltung parlamentarischer Gremien ablösen zu lassen, wie das Landgericht Bonn es festgestellt hat —

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    ein einmaliger Vorgang in der Nachkriegsgeschichte der deutschen Justiz?
    Glauben Sie, es sei unbeobachtet geblieben, daß der Bundeskanzler mit der CSU einen Koalitionspartner hat, der in seinem Programm gleiches Wahlrecht für alle Südafrikaner ablehnt?



    Dr. Penner
    Der Bundeskanzler begleitet in Kenntnis des UN-Embargos das U-Boot-Geschäft mit Südafrika mit wohlwollenden Prüfungsaufträgen und zieht sich erst zurück, nachdem der Schaden eingetreten war.

    (Zuruf von der SPD: Leider!)

    Der Bundeskanzler hatte wie in der Flick-Affäre in der U-Boot-Affäre die Gelegenheit, ja die Pflicht, politisch zur Heilung eines schwierigen Komplexes beizutragen. Aber keine Spur davon!

    (Dr. Nöbel [SPD]: So ist es!)

    Verantwortung von Beamten wurde beschworen, um die eigene Haut zu retten.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Nichts von der zu fordernden politischen Gestaltungskraft eines Bundeskanzlers! Keine Rede von der beschworenen Verpflichtung, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren!

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Ist doch dummes Zeug!)

    Das Ganze mag geschickt, das Ganze mag clever sein. Die Verfassung und das Amt des Bundeskanzlers, wofür andere prägend gewirkt haben, mögen das noch eine Weile tragen.

    (Dr. Nöbel [SPD]: Der macht alles kaputt!)

    Politisch lebt der amtierende Bundeskanzler vom Glanz des Erbes seiner Vorgänger.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ach du lieber Gott!)

    Wie Kohl sich unter den obwaltenden Umständen über politische Gleichgültigkeit in unserem Volk wundern kann und politische Auffaserung, ja Zeichen der Zersetzung, für die die GRÜNEN lediglich Symptom sein mögen, nur reaktiv begleitet, ist schleierhaft.

    (Bohl [CDU/CSU]: Sie sind ein Sprachästhet!)

    Der Bundeskanzler hat dafür geradezustehen, daß der Staat keinen Schaden leidet.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Bundeskanzler trägt Verantwortung für das ganze Volk und nicht nur für die, die ihm passen.
    Wir können die vor uns liegenden Probleme nur lösen oder zumindest einer Lösung näherbringen, wenn sich möglichst alle in unserem Staatswesen wiederfinden.
    Der Bundeskanzler muß von seiner Neigung ablassen, Menschen, die ihm nicht zusagen, beiseite zu schieben, ja ab- oder auszugrenzen.

    (Dr. Nöbel [SPD]: So ist es!)

    Der Bundeskanzler muß die Möglichkeiten seines Amtes zum politischen Gestalten nutzen und nicht zum Baden in den Insignien staatlicher Macht auf Zeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Noch eines zum Grundsätzlichen: Die Koalitionsvereinbarungsklubs — das war in der Vergangenheit auch schon ansatzweise der Fall — werden mehr und
    mehr zu in der Verfassung nicht vorgesehenen Entscheidungsnebengremien ohne Transparenz — und damit zur Herausforderung für die parlamentarische Demokratie.

    (Bohl [CDU/CSU]: So wie ihr den Klose bestellt habt, so transparent! Erzählen Sie mal davon etwas!)

    Ich kann keinen Sinn darin sehen. Es ist eine ungute Entwicklung, wenn die die Regierung tragende Mehrheit zunehmend für außerhalb des Parlaments bis ins Detail vorformulierte Politik bei der Abstimmung in Anspruch genommen wird.

    (Dr. Nöbel [SPD]: Die nehmen das Haus nicht mehr ernst!)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, in der Innenpolitik, so wird gesagt, spiegeln sich unterschiedliche politische Überzeugungen besonders der Koalitionspartner FDP und CSU wider. Ich weiß nicht, ob das zutrifft. Richtig ist sicher, daß die Innenpolitik zur Verlautbarung solcher Unterschiede mit nicht geringer publizistischer Aufmerksamkeit gedient hat und auch den Zweck hat, ein unterschiedliches politisches Angebot zu simulieren und zu insinuieren.

    (Beifall bei der SPD — Gattermann [FDP]: Herr Penner, Sie waren auch schon einmal besser!)

    Soweit es um die innere Sicherheit geht, werden bei der Koalition Besessenheiten erkennbar, die sich hauptsächlich auf Fragen politischer Gewalttätigkeit konzentrieren. Die Suche nach immer neuen Lücken im ohnehin engmaschig geknüpften Regelwerk des Strafrechts feiert fröhliche Urständ. Von der Strafbarkeit der Vermummung und der passiven Bewaffnung, der Befürwortung von Gewalt, der Erweiterung und Verschärfung sonstiger Straftatbestände bis hin zu ausufernden Regeln der Strafprozeßordnung : es sind allesamt durch Sachverständige zigfach enttarnte Ladenhüter politischen Irrglaubens und zudem wohl ungewollte Bekenntnisse der Unzulänglichkeiten bei der Bekämpfung terroristischer Gewaltkriminalität.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ihre Rede ist der größte Ladenhüter! — Gegenruf von der SPD: Sie können die Wahrheit nicht vertragen!)

    Gewiß, es fehlt nicht der Hinweis auf die Notwendigkeit der Fahndung. Den Ursachen der Gewalt soll von einer Regierungskommission nachgegangen werden. Aber selbst dieser Teilaspekt der inneren Sicherheit fügt sich nicht zu einem überzeugenden Ganzen. Wir brauchen Kontinuität. Wir brauchen Konzentration. Wir brauchen Sachverstand. Wir brauchen kühle Nüchternheit bei der Verfolgung der terroristischen Gewalttäter.

    (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU] : Penner brauchen wir nicht!)

    Wir brauchen einen langen Atem und keine kurzatmige Hektik.

    (Beifall bei der SPD)

    Alle Terroristen mit Ausnahme einer Frau der ersten Generation sind verhaftet und längst verurteilt. Das wird auch künftig so sein. Auch diejenigen, die jetzt



    Dr. Penner
    terroristische Gewalttaten begehen, werden über kurz oder lang gefaßt und den ordentlichen Gerichten überantwortet werden.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Wir befürchten, daß die aus einem überholten polizeistaatlichen Denken heraus von der Union geforderten gesetzgeberischen Maßnahmen dazu führen, daß mehr, vor allem jüngere Menschen den Terroristen geradezu in die Arme getrieben werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Es gibt keinen absoluten Schutz vor Kriminalität — das müssen Sie sich einmal sagen lassen —,

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das behauptet ja auch niemand!)

    schon gar nicht in einer offenen Gesellschaft.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das behauptet ja auch niemand!)

    Die Chancen der Verhinderung und Ahndung werden nicht dadurch größer, daß pausenlos der Gesetzgeber bemüht wird und so auch Stück für Stück der freiheitlichen Substanz unserer Verfassung abgeschmolzen wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier gibt es Anlaß zur Sorge. Ich denke dabei an die Versammlungsfreiheit nach dem Grundgesetz, gemeinhin mit der inzwischen irreführenden und negativ gefärbten Vokabel Demonstrationsrecht belegt. Damit es keinen Zweifel gibt: Wir Sozialdemokraten halten ohne Wenn und Aber daran fest, daß „alle Deutschen das Recht haben, sich ... friedlich und ohne Waffen zu versammeln", wie das in Art. 8 des Grundgesetzes niedergelegt ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist die Herzkammer unserer Demokratie. Wir haben dieses Recht in der Vergangenheit erstritten, und wir haben dieses Recht in der Vergangenheit immer wieder gegen autoritäres Staatsverständnis verteidigt und werden dies auch künftig tun.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Demonstrationsrecht ist für uns unantastbar.
    Damit aber auch dies klar bleibt: Der Unfriedliche und Bewaffnete kann sich nicht auf den Schutz der Verfassung berufen. Es sollte auch gesicherte Überzeugung sein, daß nach unserer Verfassung die vollziehende Gewalt und damit auch die Polizei insonder-heit auch die Ausübung des Rechts nach Art. 8, der Versammlungsfreiheit, zu gewährleisten hat. Es ist absolut lächerlich, zu glauben, das rechtliche Besteck dafür reiche nicht aus.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Was für ein Ding?)

    Wir müssen begreifen, daß lästiges oder auch anstößiges Verhalten anderer nicht notwendig strafwürdig ist. Wir müssen akzeptieren, daß politische Entwicklungen nicht auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werden dürfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Land Nordrhein-Westfalen hat bewiesen, wie Demonstrationen bei geltendem Recht ohne Reibungen stattfinden können.

    (Dr. Struck [SPD]: Richtig! — Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Wenn die Spielregeln eingehalten werden!)

    Natürlich ist nicht unbeachtet geblieben, daß die Gesamtzahl der Demonstrationen 1986 gegenüber 1985 um 20 % gestiegen ist. Auch das ist ein Gradmesser für oder gegen politische Bewegungen in unserem Volk. Daraus kann man unterschiedliche Schlüsse ableiten und zu differierenden Einschätzungen kommen. Wir werten dies auch als Zeichen lebendiger Demokratie, nicht als etwas prinzipiell Kritikwürdiges. Im Gegenteil: Der im Grundgesetz postulierte Aktiv-Bürger ist dies auch, wenn er demonstriert.

    (Beifall bei der SPD und Unruhe)

    Von den mehr als 7 000 Demonstrationen im Jahr 1986 waren 261 unfriedlich. Das sind 3,6 %. 1985 war es nicht anders. Die Zahlen sind seit vielen Jahren konstant. Auffallend erhöht hat sich 1986 die Zahl der im Zusammenhang mit unfriedlich verlaufenden Demonstrationen verletzten Polizeibeamten. Wir bedauern die Tatsache zutiefst, daß 818 Polizeibeamte verletzt worden sind. Fast die Hälfte davon, nämlich 391, wurde aus Bayern gemeldet, offensichtlich im Zusammenhang mit den Demonstrationen in und um Wackersdorf. 1985 waren in Bayern nur 22 Polizisten bei Ausschreitungen verletzt worden. Die Frage ist erlaubt — und sie ist ja auch von vielen Polizeipraktikern gestellt worden — , ob nicht die zum Teil ungeschickte und schlechte Polizeiführung bei den Demonstrationen um Wackersdorf die Verantwortung dafür trägt,

    (Fellner [CDU/CSU]: Na, na, na!)

    die ihrerseits auf ideologisch bedingte Verspannungen der politischen Führung in Bayern zurückgeführt werden können.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Wir bedauern, daß andere Problemfelder der inneren Sicherheit unerwähnt bleiben oder nur beiläufig behandelt werden.

    (Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sprechen Sie mal über Hamburg!)

    — Auch das ist kein gutes Beispiel. — Dabei gibt die Kriminalität in unserem Land zu tiefer Sorge Anlaß.
    Schwerpunkt der Kriminalitäts-Steigerung sind die Eigentumsdelikte und dabei vor allem Diebstähle aus Kraftfahrzeugen. Die „schnelle Mark" , das leichte Geld und die immensen Gewinne, die heute aus der Kriminalität zu schöpfen sind, sind ein großes, schwieriges gesellschaftliches Problem.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Hierzu hat die Bundesregierung keinen Ton gesagt, hat sie keine Perspektive, keine Lösung anzubieten.

    (Dr. Nöbel [SPD]: Wo soll sie die hernehmen?)

    Dabei stagnieren die Aufklärungsquoten oder gehen ständig zurück. Sie schwanken zwischen



    Dr. Penner
    extrem hohen Werten von 100 % beim Totschlag und nur 7,5 % beim Diebstahl aus Kraftfahrzeugen. Einher geht mit dieser Entwicklung die Erschütterung des Rechtsbewußtseins in Teilen unserer Bevölkerung, die die Tendenz erkennen läßt, leichtere Eigentumsdelikte zu tolerieren.
    Die SPD fordert die Bundesregierung nachdrücklich auf, der Rauschgiftkriminalität, der Wirtschafts- und der Umweltkriminalität mehr Aufmerksamkeit als in der Vergangenheit zu widmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Motiv all dieser Straftaten ist letztlich immer auch
    — meist allein — Bereicherungsabsicht. In der Wirtschafts-, der Rauschgift- und der Umweltkriminalität gibt es gigantische Profitmöglichkeiten, die genutzt werden wollen. Mit schwersten Verbrechen gegen unsere Gesellschaft und gegen unsere Natur lassen sich riesige Gewinne machen. Diesem Problem sollte die Bundesregierung mehr Aufmerksamkeit widmen als der Frage, ob sich künftig wieder jemand strafbar macht, der nur zufällig und unbeteiligt bei einer gewalttätigen Demonstration angetroffen wird.

    (Beifall bei der SPD sowie der Frau Unruh [GRÜNE])

    Längst überfällig, aber offensichtlich nicht beabsichtigt ist die Überarbeitung, d. h. die Modernisierung, der beiden 1972 und 1974 verabschiedeten Programme für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist höchste Zeit daß die Auseinanderentwicklung der Länderpolizeien und der Sicherheitsorgane des Bundes ein Ende findet.

    (Fellner [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Der Stillstand auf diesem Gebiet bedeutet gleichzeitig Rückschritt, wie man u. a. an der unterschiedlichen Ausrüstung der Länderpolizeien ablesen kann. Modernisierung, Vereinheitlichung, mehr Effektivität, allgemeingültige Datenschutzbestimmungen im Sicherheitsbereich, Rechtsangleichungen sind gefordert und nicht hektische Aktivitäten zur Einschränkung des Demonstrationsrechts.
    Meine Damen und Herren, beim Datenschutz hat sich die Koalition darauf verständigt, die Entwürfe der sogenannten Sicherheitsgesetze erneut einzubringen. Einzige Variante gegenüber früher: Diesmal soll die Regierung initiativ werden und nicht — wie in der 10. Legislaturperiode — die Fraktionen. Sonst bleibt alles beim alten.

    (Fellner [CDU/CSU]: Was spricht dagegen? — Zuruf des Abg. Baum [FDP])

    Der Wettbewerb um den besten Popanz, Herr Baum
    — hier innere Sicherheit und dort Datenschutz —, kann erneut stattfinden. Typisch dafür sind entsprechende Formulierungen im Koalitionspapier, die alles bedeuten können. Es heißt da — Zitat — :
    Oberster Grundsatz für die Gesetzgebungsarbeit muß sein, das vom Bundesverfassungsgericht beschriebene Grundrecht
    — das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung —
    des einzelnen Bürgers auf den Schutz seiner persönlichen Daten in Einklang zu bringen mit den Aufgaben der Sicherheitsbehörden, das Grundrecht der Bürger auf ein Leben in Sicherheit auch durch einen gesetzlich geregelten Datenaustausch wirksam schützen zu können.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ist das denn falsch? — Beifall des Abg. Fellner [CDU/ CSU])

    Wissen Sie, um was es sich da handelt?
    Es nimmt nicht wunder, wenn es weiter heißt, daß „Datenschutz auch für die Sicherheitsbehörden gilt, dieser andererseits aber nicht zur Schwächung der inneren Sicherheit führen darf ".

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ist das denn falsch?)

    Mit Erwägungen solcher Art kann man auch die Wiedereinführung der Folter begründen.

    (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Na, na! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Daß „der Funktionsbereich der Datenschutzbeauftragten" — ich zitiere aus Ihrer Koalitionsvereinbarung — „gesetzlich umschrieben ist und Befugnisse der allgemeinen Fachaufsicht ihm nicht zustehen", mag als ebenso albern wie lapidar abgetan werden. Hingegen bedeutet die Betonung „der besonders engen Verzahnung der Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz" den Einstieg ins Schattenreich einer düsteren Vergangenheit, die bis jetzt für längst überholt gehalten wurde.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Es verstärkt unsere Skepsis gegenüber dem Vorhaben eines Zusammenarbeitsgesetzes.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Was haben Sie denn jetzt eigentlich zitiert?)

    — Alles Ihre eigenen Produkte. —

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesregierung muß den Anforderungen des Verfassungsgerichts zum Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung endlich nachkommen. Dazu gehört eine Novellierung der Strafprozeßordnung und des Datenschutzrechts. Wir wollen die sicherlich komplizierten Detailarbeiten konstruktiv begleiten.

    (Baum [FDP]: Na bitte!)

    Wir raten dazu, die Länder sehr viel intensiver als bisher in die Arbeit einzubeziehen.

    (Baum [FDP]: Jawohl!)

    Wir warnen davor, Datenschutz als Ausgeburt intellektueller Klügeleien und Symptom des Staatsverfalls zu begreifen. Die Bundesregierung selbst bekommt bitter zu spüren, was es heißt, den Eindruck eines reaktionären Datenschutzverständnisses zu vermitteln. Auf Herrn Zimmermann ist es zurückzuführen,



    Dr. Penner
    wenn politisch dafür geworben wird, die so notwendige Volkszählung zu sabotieren.

    (Fellner [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber wirklich hinterhältig!)

    Ganz traurig sieht es mit den Vorstellungen der Koalition zur Ausländerpolitik aus. Kein Wort zur Frage des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit, kein Wort zur politischen Beteiligung, kein Wort zur Integration, nichts an inhaltlichen Elementen. Die Koalition beschränkt sich — wie schon in der vergangenen Legislaturperiode — auf die markige Zusicherung: „Das Ausländerrecht wird umfassend neu geregelt." Sie begreifen nicht, wollen oder können nicht verstehen, daß es sich bei dem Kürzel „Ausländerpolitik" um Menschen, um menschliche Schicksale handelt, die ein Recht darauf haben, anständig behandelt zu werden

    (Beifall bei der SPD)

    und zu erfahren, welche persönlichen Zukunftsplanungen sie anstellen können und welche nicht.

    (Zuruf des Abg. Fellner [CDU/CSU])

    Wir werden uns mit allem Nachdruck gegen Diffamierung und Diskreditierung von Ausländern wenden, wie sie in der Asylkampagne des vergangenen Sommers einen unrühmlichen und beschämenden Höhepunkt erreicht haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Bundesinnenminister trägt auch politische Verantwortung für den Sport.

    (Zuruf von der SPD: Wirklich? Das merkt doch niemand!)

    Neben anderem vermissen wir eine klare Aussage zum Thema Sport und Steuern.

    (Dr. Struck [SPD]: Davon hat er keine Ahnung!)

    Daß Stoltenberg dabei zu Ausweichmanövern neigt und Kommissionen ans Arbeiten bringt, das mag wohl zu den Amtspflichten eines Kassenverwalters gehören. Auf Sabotage läuft das Verhalten des Präsidenten des Deutschen Turnerbundes Walter Wallmann hinaus.

    (Zuruf von der SPD: Das ist der Schlimmste! — Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist unerhört!)

    Der organisierte Sport mit über 60 000 Vereinen, 20 Millionen Sporttreibenden und ca. 2 Millionen ehrenamtlich Tätigen hat darauf gewartet, daß sich Wallmann, am Kabinettstisch in Bonn sitzend, dafür verwendet hätte.

    (Zurufe von der SPD: Keinen Ton! — Der schafft noch nicht mal die Molke!)

    Nichts davon, kein Sterbenswörtchen! Herr Bundesminister Wallmann, Sie kommen dem organisierten Sport teuer zu stehen, zu teuer, wie ich meine. Mit salbadernden Feiertagsreden ist dem Sport nicht geholfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir erwarten — das erwartet der gesamte organisierte Sport — , daß Sie kämpfen, nicht mehr und nicht weniger.

    (Bohl [CDU/CSU]: Das ist eine Vorlesung, die Sie da machen!)

    Verstecken und wegtauchen ist nicht akzeptabel.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Aber in der Regierungserklärung wurde dieser einfache Weg angewandt!)

    Wenn der Bundesminister Wallmann den Interessenkonflikt zwischen Amt und Ehrenamt nicht aushalten kann, dann muß er sich für das eine oder das andere entscheiden.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Unzulässiger Wahlkampf! — Zurufe von der SPD)

    Ich betone für meine Fraktion erneut: Die Sportvereine und -verbände haben ein Recht darauf, daß ihre dem Gemeinwohl dienende sportliche, soziale, kulturelle und pädagogische Arbeit dauerhaft von steuerlichen Abgaben befreit wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird deshalb in Kürze einen entsprechenden Antrag einbringen.

    (Dr. Struck [SPD]: Erneut! — Kittelmann [CDU/CSU]: Der wird wohl abgelehnt werden! Das tut uns leid!)

    Dies gilt auch für die verstärkte Förderung der sozialen Aufgaben des Sports. Spiel und Sport müssen mehr als bisher vor allem den 4 Millionen behinderten Mitbürgern und davon rund 800 000 Kindern und Jugendlichen als aktive und solidarische Lebenshilfe zugänglich gemacht werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, in der Bildungspolitik werden wir den neuen Minister an seinen Taten messen und uns nicht mit Vergangenem aufhalten.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Da werden Sie sehr viel zu loben haben!)

    Es bleibt abzuwarten, ob er auch nur die programmatischen Entscheidungen seiner eigenen Partei, nämlich der FDP, umsetzen kann, und dazu gehören — alles programmatische Erklärungen der FDP — erstens der Ausgleich für die hemmende Wirkung sozialer Beeinträchtigung, zweitens Neuordnung und Verbesserung der individuellen Ausbildungsförderung für Schüler, Berufsschüler und Studenten, drittens — alles Zitat aus dem FDP-Programm — schrittweiser Abbau des Numerus clausus, viertens Stellen und Mittel für die Weiterbildung an den Hochschulen und fünftens mehr Ausbildungsplätze im staatlichen und halbstaatlichen Bereich.

    (Dr. Struck [SPD]: Wo ist denn der Möllemann überhaupt?)

    Nach den Koalitionsvereinbarungen, meine Damen und Herren, sitzt Möllemann an einem ungedeckten Tisch. Aber das kann sich ja ändern, das muß sich



    Dr. Penner
    ändern. Anderenfalls ist Möllemann nur ein höchst überflüssiger Ausgabeposten im Bundesetat.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir Sozialdemokraten bleiben dabei: Bildung ist kein Privileg der wohlgefüllten Brieftaschen einzelner, Bildung ist Lebenschance für alle, ein Stück Weg zu mehr Gerechtigkeit, zu mehr Freiheit und zu mehr Gleichheit. Bildung muß deshalb auch öffentliche Angelegenheit, eine Sache der Politik sein und bleiben, und das kostet Geld. Das kostet viel Geld — wir wissen das —, aber es ist auch im Interesse unseres Volkes gut angelegt.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundesminister Möllemann hat kein einfaches Amt übernommen. Die auf ihn zukommenden Aufgaben werden nicht einfach zu lösen sein. Möllemann kann auf eine ebenso faire wie wachsame und konstruktive Opposition unsererseits rechnen.
    Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD)