Rede:
ID1100516800

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Metadaten
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    12. Gesundheit.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 Inhalt: Wahl der Schriftführer — Drucksache 11/58 (neu) — 137 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Apel SPD 137 B Carstens (Emstek) CDU/CSU 144 D Frau Vennegerts GRÜNE 148 C Dr. Solms FDP 150D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 155A Dr. Spöri SPD 164A Krollmann, Staatsminister des Landes Hessen 166C Dr. Wallmann, Bundesminister BMU . . . 171 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 177 B Mischnick FDP 178 C Dr. Hauff SPD 180D Dr. Laufs CDU/CSU 184 B Frau Garbe GRÜNE 186D Baum FDP 188D Frau Rust GRÜNE 191 A Weiermann SPD 193A Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195A, 221 B Frau Unruh GRÜNE 206 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 207 A Frau Fuchs (Köln) SPD 210B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 216B Floss GRÜNE 219C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 222 B Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG . 225 C Frau Wilms-Kegel GRÜNE 231B Dr. Hirsch FDP 232 C, 246 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 233 D Dr. Penner SPD 236 A Dr. Miltner CDU/CSU 241 A Wüppesahl GRÜNE 244 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 249B Namentliche Abstimmungen 192D Ergebnisse 203 A, 204 C Präsident Dr. Jenninger 149 B Vizepräsident Cronenberg 244 B Vizepräsident Frau Renger 219B, 246C Nächste Sitzung 251 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 252 * A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 137 5. Sitzung Bonn, den 19. März 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 20. 3. Egert 19. 3. Frau Eid 20. 3. Dr. Götz 20. 3. Grünbeck 20. 3. Grüner 19. 3. Grunenberg 20. 3. Haack (Extertal) 19. 3. Klein (München) 20. 3. Kolb 20. 3. Lenzer * 20. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 20. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 19. 3. Reuschenbach 20. 3. Dr. Rumpf ' 20. 3. Seehofer 20. 3. Frau Simonis 19. 3. Strauß 20. 3. Frau Trenz 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Dr. Wilms 19. 3. Frau Zutt 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Renate Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wenn Politiker und Politikerinnen Optimismus verbreiten, wenn sie Hoffnungen erwecken, anstehende Probleme auch lösen, die Verbesserung der Lebensverhältnisse herbeiführen zu können, dann halte ich das für richtig. Derartige Hoffnungen, Herr Blüm, haben die Frauen, vor allen Dingen die 1 033 895 — weil Sie Zahlen so sehr lieben — arbeitslosen Frauen, die Sie mit keinem Wort erwähnt haben, weil Frauen für Sie nur im Zusammenhang mit Familie vorkommen, nötig.

    (Beifall bei der SPD)

    Derartige Hoffnungen haben die 1,4 Millionen alleinerziehenden Frauen, die 95 % Rentnerinnen, die
    bisher kein Kindererziehungsjahr anerkannt bekommen haben, die Frauen, die wieder zurück wollen in den Beruf und vor verschlossenen Türen stehen, die Familien, die seit 1982 Jahr für Jahr weniger Geld zur Verfügung haben, derartige Hoffnungen hätten sie alle bitter nötig.
    Die Hoffnung, der Optimismus, den Sie, Frau Ministerin, Sie von der Koalition jenen zu bieten haben, sind aber entweder auf das Leugnen der Probleme gegründet oder auf Reden, ohne diesen Reden entsprechendes Handeln folgen zu lassen.
    Nun kann man Ihnen, Frau Süssmuth, etwas garantiert nicht vorwerfen, nämlich nicht Ignoranz. Diese kann „frau" z. B. Herrn Kroll-Schlüter wegen seiner letzten Interviews vorwerfen. Nein, Ihnen, Frau Süssmuth, ist vorzuwerfen, daß zwischen Ihrem Denken, Ihrem Reden und Ihrem konkreten Handeln keine oder viel zuwenig Einheit besteht,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    daß Ihren häufig ganz richtigen Analysen der Situation der Frauen, Ihren sympathischen Reden mit teilweise richtigen Lösungen kein adäquates Handeln gegenübersteht.
    Sie, Frau Süssmuth, haben nicht die Fähigkeit — vielleicht kommt sie ja noch —, zu erkennen, wann sie die Macht haben, sich durchzusetzen. Diese Chancen hätten Sie meiner Einschätzung nach letztes Jahr gehabt, aber Sie haben nicht das notwendige Stehvermögen.

    (Beifall bei der SPD)

    Hoffnung und Optimismus, die auf nichts gegründet sind, sind Mogelpackungen. Wer sich für so etwas hergibt, dient lediglich als Aushängeschild, als Köder für bestimmte Wählergruppen; die Mohrin hat ihre Schuldigkeit getan, sie kann wieder in den Hintergrund treten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich darf Ihnen ganz ehrlich und ohne irgendwelche Einschränkungen sagen: Ich freue mich nicht darüber, daß Sie zu scheitern drohen, weil wir alle ja nicht nur Parteipolitikerinnen sind, sondern weil wir alle auch Frauen sind, egal, woher wir kommen, und weil wir einen gut Teil gemeinsame Interessen haben.
    So werden Sie uns leider auch heute wieder genauso wie vier Tage vor der Wahl erzählen — ich nehme das zumindest an —, was Sie tun wollen; ich sage: wollen, und nicht etwa, was Sie tun werden. Sie werden uns erzählen, daß Sie das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub verbessern wollen. Was haben Sie eigentlich in dieser Frage erreicht? Nichts außer einer vagen Absichtserklärung. Wo haben Sie die Kompetenzen? Wo haben Sie die Mittel? Wo steht das in den sonst so detaillierten Koalitionsvereinbarungen, wo in der mittelfristigen Finanzplanung, und nur die ist maßgebend?

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Unruh [GRÜNEI)

    Sie werden uns heute wieder einmal Ihre Absicht, die Pflegetätigkeit in der Rentenversicherung abzusichern, mitteilen. Auch hierfür findet sich für die vielen



    Frau Schmidt (Nürnberg)

    Frauen, die sich diese schwere Aufgabe aufgeladen haben, nichts Konkretes in den Koalitionsvereinbarungen, weil Sie auch hier weder Kompetenzen haben, noch Mittel dafür eingesetzt sind.

    (Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, was Sie geleistet haben!)

    Sie werden uns etwas von der Verbesserung des Familienlastenausgleichs mit einem Schwerpunkt für Alleinerziehende erzählen. Nur leider, leider wurde die Mühe, die man sich mit der Ausformulierung der Senkung des Spitzensteuersatzes gemacht hat, hier nicht aufgewandt. Für die Verbesserung des Familienlastenausgleichs fehlen die Mittel. Die sind für den Spitzensteuersatz längst verfrühstückt. Ihr Vorgänger, Herr Geißler, hat ganz richtig gesagt: Erst kommt der Kassensturz. — Da wird so arg viel nicht zu stürzen sein, das wissen wir beide. Dennoch versuchen Sie nach wie vor krampfhaft, den Anschein zu erwecken, Sie hätten die Kompetenzen und die Mittel, ihre Ziele durchzusetzen.
    Sie werden uns wieder von Ihrem Wollen berichten, wie in Ihrem Zwölf-Punkte-Programm — wie gesagt, vier Tage vor der Wahl — , das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz zu verschärfen, Teilzeitarbeit sozialversicherungsrechtlich abzusichern, die versicherungsfreien 430-DM-Arbeitsverhältnisse abzuschaffen oder einzuschränken, den Schutz der Frauen vor Gewalt zu verstärken, der Frauenförderung im öffentlichen Dienst einen neuen Stellenwert zu verschaffen. Nur leider auch hier Fehlanzeige in den Koalitionsvereinbarungen; auch hier kein Geld, keine Kompetenzen, ja, teilweise noch nicht einmal Absichtserklärungen.
    Was haben Sie nun eigentlich erreicht? Zwölf Zeilen Frauenpolitik in den Koalitionsvereinbarungen, vage formuliert und mit einer deutlichen, auch heute schon absehbaren Verschlechterung. Auch die Kollegin Fuchs hat das schon angesprochen. Das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen soll aufgehoben werden. Wenn so der Fortschritt für die Frauen aussieht, wenn das Frauenförderung ist, die die Möglichkeiten für Frauen in schlecht bezahlten Berufen, im DreiSchicht-Betrieb zu arbeiten, erweitert, wenn das familienfreundliche Arbeitszeiten sein sollen — tags versorgt Mutti Kinder und Haushalt, nachts geht sie ans Fließband schuften — , dann kann ich im Namen aller dieser Frauen nur sagen: Nein, danke.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wir Sozialdemokraten wollen gesundheitsschädigende und mit diesem Schwerpunkt familienfeindliche Schichtarbeit einschränken, für Männer und Frauen, und sie nicht etwa erweitern.
    Den zwölf Zeilen in den Koalitionsvereinbarungen unter der Überschrift Frauenpolitik stehen immerhin zwei Seiten detailliert ausformuliert zum Beratungsgesetz zum § 218 gegenüber. Sie und auch Frau Adam-Schwaetzer behaupten, damit sei keine Aushöhlung der sozialen Indikation verbunden. Von Herrn Kroll-Schlüter und Herrn Stoiber hört man es anders. Leider scheinen beide Herren besser zu wissen, wie die Schwangerschaftskonfliktberatung künftig aussehen wird. Leider haben Sie sich nicht gegen die ungeheure Diffamierung der Pro-Familia-Beratungsstellen durch diese und andere Herren gewandt.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Diese Beratungsstellen weisen nämlich selbstverständlich auf alle Hilfsmöglichkeiten hin, stimmen selbstverständlich ihre Informationsmaterialien mit Ihrem Ministeriums ab. Leider haben Sie sich nicht für die Vielfalt der Beratungsstellen ausgesprochen, sondern sehen tatenlos zu, wie ihnen der Geldhahn zugedreht und damit ihre Existenzmöglichkeit und ihre verdienstvolle und anerkannte Tätigkeit vernichtet werden sollen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Leider haben Sie nicht klargemacht, daß die unsinnige Teilung der Beratung in eine medizinische und in eine soziale das Ziel einer frühzeitigen Entscheidung unmöglich macht. Leider haben Sie in den Grundzügen dieses Beratungsgesetzes nicht klargemacht, daß es ein Fehler ist — ich dachte immer, daß wir darin übereinstimmen — , die soziale Notlage mit einer materiellen Notlage gleichzusetzen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Das ist der herausragende Fehlschluß dieses sogenannten Beratungsgesetzes, der Verweis der Frauen auf die Sozialhilfe, auf Erziehungsgeld, auf lebenslange Sozialhilfe für viele dieser Frauen, das Drohen mit Strafe, statt der Intention des Gesetzes zu entsprechen und wirkliche Hilfe anzubieten.
    Leider haben Sie es in diesen Koalitionsvereinbarungen nicht einmal geschafft — Sie waren ja auch im wesentlichen nicht dabei — , die Sprache in Ordnung zu bringen. So gibt es nur Berater und keine Beraterinnen, nur Ärzte und keine Ärztinnen in diesen Texten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ach je! — Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    — Da sagen Sie: Ach je! Wir Frauen sind für Sprache inzwischen sehr sensibel.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die Handschrift der Männer in einem Bereich, der uns Frauen so sehr angeht, ist unverkennbar.
    Leider haben Sie auch zugestimmt, die systemwidrige Honorarkürzung, wenn Ärzte ihrer Meldepflicht nicht genügen, in dieses Gesetz aufzunehmen, und wissen dabei genau, daß davon nur Kassenärzte und damit nur Kassenpatientinnen betroffen sind. Mit dieser eigenartigen Konstruktion wird Ihre Absicht vollkommen deutlich: Weniger Ärzte sollen legale Schwangerschaftsabbrüche über die Krankenkasse abrechnen. Das bedeutet: Die Privatpatientin hat — wie schon immer — alle Möglichkeiten, der Kassenpatientin wird mit finanziellem Druck ein legaler, indizierter Schwangerschaftsabbruch verweigert.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Schoppe [GRÜNE]: Zweiklassenrecht!)

    So werden garantiert Schwangerschaftsabbrüche nicht verhindert

    (Zuruf des Abg. Gattermann [FDP])




    Frau Schmidt (Nürnberg)

    — ich erkläre es Ihnen gerne hinterher —, sondern nur durch eine frauen-, kinder-, familienfreundliche Politik, die Hilfe nicht auf das Existenzminimum reduziert. Genau das ist es, was wir an und für sich bräuchten.
    Ich kündige Ihnen deshalb den entschiedenen Widerstand der Sozialdemokraten und der Sozialdemokratinnen und der Mehrheit der Frauen gegen dieses Gesetz an.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Sie werden heute, Frau Süssmuth, vielleicht auch wieder von den Erfolgen der letzten Legislaturperiode und vom Erziehungsgeld erzählen sowie die Anerkennung der Kindererziehungszeiten erwähnen.
    Lassen Sie mich auf den letzten Punkt eingehen. Sie beteiligen sich an dem Etikettenschwindel des Herrn Blüm, wenn Sie den Frauen erzählen, alle würden diese Leistungen erhalten. Im Jahre 1986 waren es nicht einmal 5 % aller Rentnerinnen über 65 Jahre, die etwas von den Kindererziehungszeiten merkten. Auch dann, wenn das horrende Unrecht beseitigt sein wird, die älteren Rentnerinnen von den Kindererziehungszeiten auszuschließen, werden es 20 bis 25 % gar nicht mehr erleben, daß sich ihre Rente wegen ihrer früheren Leistung der Kindererziehung erhöht.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Was haben Sie in den 12 Jahren gemacht?)

    Sie haben nichts dafür getan, die Ungereimtheiten, den Unsinn, die Ungerechtigkeiten dieses Gesetzes wenigstens jetzt zu beseitigen. Vielleicht hätten Sie es sogar gewollt, daß die Frauen, die sich freiwillig weiterversichert haben, Frauen, die evakuiert waren, die vertrieben wurden oder die nur von ihrer Witwenrente leben müssen, die bei diesen Kindererziehungszeiten alle nichts bekommen, auch ihre Kindererziehungszeiten gutgeschrieben erhalten. Durchsetzen allerdings könnten Sie es nicht, weil Sie zwar den Titel „Frauenministerin" tragen, aber nicht die Mittel haben, nicht das Geld und nicht die Kompetenzen.
    Ich habe das Wort „Kompetenzen" in diesem Beitrag bisher sehr häufig verwendet und erinnere an unsere Diskussionen zum Ende der letzten Legislaturperiode und erneuere meinen Vorwurf: Frau Süssmuth, Sie haben sich zu billig verkauft. Kein Mann hätte sich das gefallenlassen und sich so gezielt benutzen lassen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    So haben Sie mit Ihrem öffentlich gemachten Vorschlag recht, daß der Titel „Frauenministerin" am besten aus Ihrem Titel zu streichen wäre.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Die Idee ist nicht von mir, sondern von Frau Süssmuth selber.
    Leider sagen uns die Koalitionsvereinbarungen auch zu vielem anderen nichts Konkretes, z. B. zum Abbau der Frauen- und Jugendarbeitslosigkeit. Die gestern angekündigte Weiterführung der Qualifizierungsoffensive muß durch ein Angebot an sicheren, zukunftsorientierten Arbeitsplätzen begleitet werden, sonst wird das strukturelle Problem der Frauen-,
    Jugend- und vor allen Dingen Mädchenarbeitslosigkeit nur verschoben und nicht gelöst. Hier sollten Sie, Frau Süssmuth, arbeitsmarktpolitische Konzeptionen zugunsten der arbeitslosen Frauen und Mädchen vorlegen und durchsetzen.
    Es ist z. B. nicht von der von uns immer wieder geforderten Aufhebung des Beschäftigungsförderungsgesetzes in seinen frauenfeindlichen, arbeits- und sozialrechtlich verfehlten Teilen die Rede,

    (Beifall bei der SPD)

    ebensowenig von der Aufhebung der schrankenlosen Zulassung befristeter Arbeitsverhältnisse, dem Unterlassen der gesetzlichen Förderung sozialwidriger Formen von Teilzeitarbeit wie Jobsharing oder kapazitätsorientierter variabler Arbeitszeit. Im Gegenteil: Anscheinend wird sogar die Verlängerung dieses sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetzes erwogen. Hier sollten Sie, Frau Süssmuth, einschreiten und die Erhebungen der Gewerkschafterinnen zur Kenntnis nehmen. Sie sollten die Sorgen der Kolleginnen und Kollegen ernst nehmen und etwas dagegen tun, daß Frauen beinahe nur noch befristete Arbeitsverhältnisse — ohne Mutterschutz, wenn sie schwanger werden — erhalten. Aber nichts dergleichen ist von Ihnen zu hören.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ferner erfahren wir in diesen Vereinbarungen nichts zu familienpolitischen Maßnahmen, die Sie in vielen Reden genannt haben und die über materielle Leistungen hinausgehen, nichts zur dringend überfälligen Reform der Sozialhilfe, nichts zur Jugendhilfe, nichts zur Hilfe für ausländische Frauen.
    Dort, wo etwas Ihr Ressort Betreffendes steht, ist es das Falsche, wie bei der Verlängerung des Zivildienstes auf 24 Monate. Ihre Zustimmung als engagierte Katholikin auch zu dieser Maßnahme mutet seltsam an. Nicht nur Sozialdemokraten, sondern z. B. auch die Caritas befürchten ein Absinken der Motivation der Zivildienstleistenden und sehen bei dem schweren Dienst, den viele zu leisten haben, nicht verantwortbare psychische Belastungen auf die jungen Menschen zukommen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ebenso unverantwortlich ist es, daß das Ihnen unterstehende Bundesamt für Zivildienst zugesehen hat, daß Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende beim Wintex-Manöver eingesetzt waren und daß die Schwerstbehindertenbetreuung durch Zivis eingeschränkt wird. Hier hätten Sie Kompetenzen, und hier nutzen Sie sie nicht.
    An dieser Stelle noch ein Wort zur FDP. Da haben sich doch namhafte Vertreter dieser Partei, z. B. Frau Adam-Schwaetzer und Herr Bangemann, im Herbst 1985 gegen die Verlängerung um sechs Monate ausgesprochen. Herr Eimer hat am 16. Januar 1986 im Plenum des Bundestages für seine Fraktion — die ist ja im wesentlichen nicht so ganz unterschiedlich von der heutigen — gesagt: Dei Verlängerung um ein Drittel findet nicht statt. Er hat von der äußersten Grenze von fünf Monaten gesprochen. Bahnt sich hier vielleicht ein weiterer Umfall an? In den Koalitionsver-



    Frau Schmidt (Nürnberg)

    einbarungen heißt es nämlich ganz einfach und lapidar: Beim Zivildienst bleibt es bei der Drittel-Regelung.
    Vielleicht wollen Sie, Frau Ministerin, uns auch die Änderung des Ladenschlufigesetzes als Erfolg für die Frauen verkaufen. Ich behaupte, daß hier nur die eine Gruppe erwerbstätiger Frauen gegen die andere ausgespielt wird, daß sich mit dieser Änderung die Versorgungssituation von älteren Frauen und von Frauen mit kleinen Kindern verschlechtern wird,

    (Beifall bei der SPD)

    daß das Ladensterben der kleinen Tante-EmmaLäden, die nicht umsonst so heißen, also das Sterben von Arbeitsmöglichkeiten für selbständige Frauen, rapide voranschreiten wird, daß Streß und familienfeindliche Arbeitszeiten für Verkäuferinnen an der Tagesordnung sein werden.
    Auch in einem weiteren sehr, sehr wichtigen Bereich der Frauenpolitik ist Fehlanzeige zu vermerken: die Diskriminierung von Frauen im gesellschaftlichen Leben. Sie haben zu Recht beklagt, daß in diesem Parlament zu wenig Frauen sitzen, in Ihrer eigenen Fraktion sogar eine Frau weniger als in der letzten Wahlperiode,

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nicht mehr!)

    während alle übrigen Fraktionen ihren Frauenanteil erhöhen konnten. Wo sind jene Absichten, das Wahlrecht zu ändern, wo Ihre Ambitionen sich z. B. für eine Absicherung der Finanzierung von Frauenhäusern einzusetzen? Wo ist die Vereinbarung, frauendiskriminierende Werbung zu verbieten, an erster Stelle die unsägliche Werbung von Heiratsinstituten mit reizenden Thai-Mädchen, sauberen Philippininnen und Polinnen? Überall Fehlanzeige. Wir — das darf ich Ihnen versichern, Frau Süssmuth — werden Ihren mangelnden Kompetenzen, Ihrer nicht vorhandenen Durchsetzungsfähigkeit unserer Kompetenz entgegensetzen.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU)

    — Ich habe das Lachen so erwartet, daß ich hier sogar eine Pause einkalkuliert habe.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Dann sind wir sehr beruhigt!)

    Wir werden dabei einen Teil Ihrer Forderungen aufgreifen und prüfen, wieviel hinter Ihren Reden eigentlich steht. Wir werden dabei fünf gleichwertige Schwerpunkte setzen: erstens die Gleichstellung der Frau im Berufsleben, zweitens die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf für Frauen und Männer, drittens die Wiedereingliederung von Frauen ins Erwerbsleben, viertens die Beseitigung von Diskriminierung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen, fünftens die gesellschaftliche Anerkennung von Familien- und Hausarbeit. Wir werden zu jedem dieser Bereiche konkrete Gesetzentwürfe und Anträge vorlegen. Wir brauchen nämlich keine neuen Berichte. Frauenpolitik darf sich nicht in Frauenforschung erschöpfen. Wir müssen das, was wir an Erkenntnissen über Frauen in allen Lebenssituationen haben und auch selbst als Mütter, Großmütter, Politikerinnen, Berufstätige erfahren haben, endlich in konkrete Politik umsetzen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Frau Süssmuth, Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

(Zurufe von den GRÜNEN: Bundesministerin!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rita Süssmuth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach so viel düsterem Szenario und scheinbarer Nachhilfe, die ich nun wirklich nicht nötig habe,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD: Doch!)

    möchte ich an den Anfang stellen, daß es auch notwendig ist, Frau Schmidt, Zuversicht auf erzielte Ergebnisse zu stellen. Ich brauche sicherlich nicht Sie, um meine Forderungen durchzusetzen. Das kann ich hinreichend mit unserer Fraktion und mit der anderen Koalitionsfraktion. Und dabei ist eine Menge erzielt worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Blunck [SPD]: Das sieht man an der Koalitionsvereinbarung!)

    Ich werde auch nicht daran denken, wenn Sie mich wie gerade auf sprachliche Unrichtigkeiten und mangelnde Sensibilität in der Frauen-Sprache verweisen — , mich als Frau zu verkaufen. Ich bitte auch Sie, das aus Ihrem Vokabular zu streichen; denn das gehört einer anderen Sprache an.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn man Koalitionsvereinbarung und Regierungserklärung liest, kann man das auch aus der Position des ständigen Nein-Sagers tun und auch Erreichtes oder Vereinbarungen nicht wahrhaben wollen. Sie möchten nicht wahrhaben, daß seit Bestehen der Bundesrepublik noch nie so viele Frauen an der Regierungsverantwortung beteiligt waren wie in der jetzt begonnen Legislaturperiode.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf der Abg. Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD] — Frau Unruh [GRÜNE]: Verdienst der GRÜNEN!)

    Jedenfalls habe ich dazu kein Wort gehört; im Gegenteil ist gestern angemahnt worden — —

    (Anhaltende Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Vielleicht wäre es möglich, daß auch wir Frauen uns mal als Zuhörerinnen verhalten können.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das ist aber bei manchen schwierig!)

    — Herr Waigel, darüber sollten wir beide uns nicht unterhalten.

    (Zuruf von der SPD: Was sollte denn das?)

    Statt dessen fragten Sie gestern nur, welche Qualifikationen Frau Wilms denn für dieses Amt aufweise. Ich denke, daß wir als Frauen mal gemeinsam



    Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
    beschlossen haben, daß Frauen für jedes Amt qualifiziert sind und nicht nur in den traditionellen Frauenbereichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Blunck [SPD]: Das ist richtig!)

    Wenn heute mehr Frauen als je zuvor in nichttraditionellen Frauenbereichen tätig sind, sollten Sie besser die Biographie von Frau Wilms studieren, um festzustellen, zu welchem Zeitpunkt sie just in der Deutschlandpolitik gearbeitet hat, um nicht zu fragen, was sie dafür qualifiziere. Ich denke, auch das gehört zur Frauensolidarität.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sie ist aber abgeschoben worden!)

    — Bei uns wird niemand abgeschoben,

    (Zuruf von den GRÜNEN: Doch!)

    und Frau Wilms ist stark genug, sich nicht abschieben zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich frage: Wo waren denn die Frauen während der Kanzlerschaft Helmut Schmidts, und wo ist die große Zahl der Frauen in den von der SPD geführten Landesregierungen? Ich finde da nicht viel zu zählen.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Die Frage ist sehr berechtigt!)

    Ich habe nie bestritten, daß ich mir mehr Frauen in unserer CDU-Fraktion wünsche und daß wir dazu entsprechende Beschlüsse gefaßt haben. Aber es gilt auch das Erreichte zu sehen und nicht nur ständig darauf zu verweisen, was denn bisher nicht erreicht sei.
    Nun haben Sie gesagt, Sie machen sich Sorgen um meine Position. Um die brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Sie haben das selbst gemacht!)

    Ich empfehle Ihnen, sich mehr Sorgen um die Position Ihres Parteivorsitzenden zu machen. Da haben Sie im Augenblick mehr zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Bohl [CDU/ CSU]: Was ist denn mit der Griechin?)

    Nun erklären Sie, wir begnügten uns mit Absichtserklärungen in der Familienpolitik.

    (Frau Blunck [SPD]: Wir bestimmen leider nicht die Politik dieses Landes, und wir machen uns Sorgen um diese Politik!)

    — Ich werde zur Politik schon Hinreichendes sagen, damit die Frauen Perspektiven haben und nicht nur düstere Szenarien hören, die für sie wenig hilfreich sind.
    Deswegen möchte ich zunächst erklären: Es ist selbstverständlich, daß bei einer seriösen Haushaltspolitik Leistungsgesetze nur im Rahmen der haushaltlichen Möglichkeiten verabschiedet werden können. Gerade Sie haben heute morgen noch einmal erklärt, wir gingen in der Haushaltspolitik einen gefährlichen Gang. Der Finanzvorbehalt in der Regierungserklärung 1983 war sehr viel deutlicher und stärker formuliert. Was war das Ergebnis? 10 Milliarden DM mehr für die Familien und mit dem Erziehungsurlaub und der Beschäftigungsgarantie ein Durchbruch in der Familienpolitik und ein durchschlagender Erfolg dazu. 95 % der Betroffenen nehmen das in Anspruch.

    (Frau Teubner [GRÜNE]: Es ist keine Arbeitsplatzgarantie!)

    — Es ist eine Beschäftigungsgarantie. Ich möchte hier und heute nicht zum x-ten Mal wiederholen, woran die Arbeitsplatzgarantie bei dem Mutterschaftsurlaub gelegen hat: nämlich bei der Umgehung des Bundesrates.
    Ein Markenzeichen unserer Politik ist, daß wir mehr halten, als wir versprechen, während ich von der SPD zwar eine Menge Forderungen, eine Menge Versprechungen höre. Offenbar versprechen Sie stets mehr, als Sie dann halten können.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Blunck [SPD]: Da ist ein Unterschied! Sie reden nur und machen keine Taten!)

    Nun haben Sie gesagt: Wo sind die Leistungen für die Erziehungszeiten der älteren Frauen? Ich habe mir nicht vorzuwerfen, mich dort zu wenig engagiert zu haben.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Aber ohne Erfolg! — Frau Blunck [SPD]: Leider Gottes erfolglos!)

    Immerhin ist es ein Beitrag von 10 Milliarden DM, der für die Erziehungszeiten zusätzlich bereitgestellt worden ist. Jeder, der über Verbesserungen in der sozialen Sicherung der älteren Frauen spricht, muß auch sagen, woher er die Mittel nimmt, um sie zu finanzieren.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Jedenfalls hat es vorher trotz einer langen Wohlstandsentwicklung keinerlei Leistungen in der Bundesrepublik gegeben. So und nicht anders sind die Tatbestände.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zum anderen. Ich sehe wie Sie, daß es noch einer langen Zeit bedarf, um die Benachteiligung der Frauen im Ausbildungssektor, im Arbeitsleben, in der sozialen Sicherung und in der Familie zu beseitigen.

    (Frau Teubner [GRÜNE]: Wir wollen nicht mehr warten!)

    Ich glaube, ich brauche keinerlei zusätzliche Ermahnung, um auf diese Tatbestände hinreichend aufmerksam zu sein und für ihre Beseitigung zu kämpf en.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Frau Ganseforth [SPD]: BAföG haben Sie beseitigt!)

    Nur, denke ich, hilft es nicht, daß wir ständig nur
    erklären, wie die Welt wäre, wenn es keine Probleme
    gäbe, sondern konkret hilft uns nur ein Abbau der



    Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
    bestehenden Benachteiligungen in Teilschritten weiter.

    (Frau Blunck [SPD]: Richtig! — Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]; Sehr richtig!)

    Wann je zuvor hat es in Koalitionsvereinbarungen überhaupt Vereinbarungen zur Frauenpolitik gegeben?

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Aber selbstverständlich!)

    Ich habe einmal nachgesehen. Ich habe sie nicht gefunden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es ist erstmalig, daß hier Maßnahmen zur Frauenpolitik aufgenommen worden sind.

    (Dr. Hauchler [SPD]: Die Geschichte entwikkelt sich weiter!)

    Wenn Sie fragen, warum Vorhaben wie EG-Anpassungsgesetz oder Jugendhilfe nicht enthalten sind, dann antworte ich: Es sollte Ihnen nicht entgangen sein, daß z. B. zur Jugendhilfe in der Regierungserklärung ausdrücklich Stellung genommen war.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Aber wo ist das Geld dafür, Verehrteste?)

    — Entschuldigen Sie, Frau Schmidt, das Geld ist in dem Rahmen zu ermitteln, wie wir die Jugendhilfe einbringen. Jeder, der in der Jugendhilfe tatig war, weiß, daß wir Jugendhilfe — die die Länder angehen — nur mit den Ministerpräsidenten und den zuständigen Ministern der Länder durchsetzen können. Deswegen tue ich nicht den zweiten Schritt vor dem ersten.
    Deshalb wiederhole ich hier: Die Jugendhilfe gehört zu den Vorhaben der nächsten Legislaturperiode, die ich in Aussicht gestellt habe und die ich auch durchführen werde.
    Ich komme auf den Punkt zurück: Wir haben Beschlüsse zur Erleichterung gefaßt: zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Offensive für sozialversicherungsrechtlich abgesicherte Teilzeitarbeitsplätze im öffentlichen Dienst und durch eine Offensive mit Wiedereingliederungsprogrammen für Frauen. Wenn ich mir Ihre letzten fünf Punkte ansehe, muß ich sagen: Wir haben in der Koalition die Maßnahmen für einen wesentlichen Teil des Programms festgelegt,

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: „Festgelegt" genügt nicht!)

    das Sie am Ende als Ihr Programm vorgestellt haben. Das sind für mich Tatsachen und nicht Worte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gattermann [FDP]: So machen die das immer: Plagiate! — Frau Blunck [SPD]: So billig hätten sich die Landwirte nicht abspeisen lassen!)

    — Die Landwirte haben ebensowenig wie alle anderen exakte Zahlen bekommen. Diese sind im Rahmen des Haushalts auszuhandeln.
    Ich meine, daß wir in der Familienpolitik konsequent den Weg weiter beschreiten, den wir in der vorigen Legislaturperiode begonnen haben.
    Sie mögen eine Menge Vorbehalte gegen Kinderfreibeträge haben. Dennoch gilt, daß wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu den Grundprinzipien des Steuerrechts und der Steuerpolitik gehört und daß daher Familien mit Kindern weniger Steuern als Ehepaare ohne Kinder zu zahlen haben. Das soll auch für die Zukunft gelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Blunck [SPD]: Nur, der Verkäuferin hilft das nichts!)

    — Ich bin in der Steuerpolitik inzwischen versiert genug, um zu wissen, was eine Tarifsenkung für die Familien und die Einkommensbezieher allgemein und was Kinderfreibeträge für die Familien im besonderen bringen.

    (Gilges [SPD]: Aber es geht im Steuersystem doch auch um Gerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit!)

    Aber es ist doch wohl unbestritten, daß die Senkung des Einkommensteuertarifs zu einer deutlichen Senkung der Steuerbelastungen und damit zur Erhöhung des verfügbaren Einkommens führt. Wir können doch nicht so tun, als ob die Tarifreform an den Familien vorbeiginge.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Weiter muß ich Ihnen sagen, daß die Steuerschwelle für Familien mit Kindern deutlich gehoben wird: für Ehepaare mit einem Kind um rund 3 500 DM, so daß sie bis 21 000 DM steuerfrei bleiben, für Ehepaare mit zwei Kindern um rund 4 000 DM — also bis ca. 25 000 DM steuerfrei — und für Ehepaare mit drei Kindern um rund 4 800 DM — auf rund 29 000 DM —; und über dieser Schwelle zahlen Familien mit Kindern gegenüber Kinderlosen erheblich weniger Steuern. Wir können also durchaus festhalten, daß das durchschnittliche Familieneinkommen im Jahr 1990 mit 1 000 DM weniger Steuern belastet sein wird.
    Da aber bei einer solchen Tarifreform eines der Standbeine die Kinderfreibeträge sind, habe ich mit den Koalitionären — wie der Ausdruck heißt — um mehr Kindergeld gefochten. Man war sich auch sehr bald einig, daß im Bereich der Kindergelderhöhung ein Weiteres notwendig ist. Ich muß Ihnen sagen: In unserem Wahlprogramm stand nicht: Erhöhung des Kindergelds vom zweiten Kind an. Das ist ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen; es ist von allen Koalitionspartnern getragen und verfochten worden. Ich meine, diese Leistungen und geplante deutliche Anhebungen für drei und mehr Kinder führen zur Entlastung in der Familienpolitik.
    Kein Mensch hätte angenommen, daß innerhalb weniger Jahre entschieden werden würde, Erziehungsgeld zu erhöhen und Erziehungsurlaub zu verlängern. Das ist für einen großen Teil der jungen Familien gerade für die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine ganz entscheidende Leistung.



    Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
    Sie kritisieren immer wieder, es gebe keine Arbeitsplatzgarantie. Mir ist aus Eingaben nicht bekannt, daß die jungen Frauen und Männer — es sind inzwischen über 3000 — nicht an ihre Arbeitsplätze zurückkehren können. Selbst bei den Kleinstbetrieben haben sich bis auf ganz wenige Fälle — die Zahl liegt bisher unter 15 — keine Probleme in der Beschäftigung dieser Frauen ergeben, wenn sie zurückkehren. Also, ich denke, man darf hier nicht ständig nur darauf schauen, was nicht ist, sondern muß darauf schauen, was bereits erzielt ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie mögen gegen Teilzeitarbeit operieren. Aber ich denke, für einen Großteil der Frauen ist das eine wichtige Arbeitszeitform, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. Und wenn in der Arbeitsmarktstatistik vom Februar 1987 erneut gesagt wird, daß nur ein Zehntel derjenigen Frauen, die Teilzeitarbeit nachfragen, auch Teilzeitarbeitsplätze bekommen, dann zeigt das, wie dringend die Erweiterung des Angebots ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß es uns darum geht, diese Arbeitsplätze sozialversicherungsrechtlich abzusichern, mögen Sie auch daraus entnehmen, daß wir an das Problem geringfügig Beschäftigter erneut herangehen und hier die Mißbrauchstatbestände zu ändern versuchen. Die Einschätzung, daß dies eine schwierige Aufgabe ist, teile ich mit Ihnen. Trotzdem müssen wir an diese Aufgabe heran.
    Ich möchte ein Weiteres benennen, was mir wichtig ist: Was die Wiedereingliederung von Frauen angeht, so habe ich bisher nirgendwo gefunden, daß Qualifizierungsoffensiven auch verstärkt den ländlichen Raum einbeziehen, um die Benachteiligung des ländlichen Raums gegenüber dem städtischen erheblich zu verringern. Überhaupt meine ich, daß wir, was den Bereich Stadt und Land angeht, die Lebenssituation der ländlichen Familien erheblich vernachlässigt haben, was wir auf Grund des sich verschärfenden Drucks in der Landwirtschaftspolitik erst allmählich wieder begreifen,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zustimmung der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE])

    sei es, daß es sich um abhängig Beschäftigte, sei es, daß es sich um Selbständige oder in der Landwirtschaft tätige Frauen handelt.

    (Zurufe von der SPD)

    — Das ist ganz massiv vernachlässigt worden. Da brauchen wir uns gegenseitig keine Vorhaltungen zu machen. Aber ich denke, es ist wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu ermitteln, um hier ein Umdenken vorzunehmen und den Kurs zu ändern.
    Ich möchte ein Weiteres sagen: Mir scheint, daß in der hier geübten Kritik an dem § 218 StGB offenbar noch weniger an Gemeinsamkeit übriggeblieben ist, als in vielen Verlautbarungen zu erkennen ist. Ich distanziere mich ganz energisch von den Verlautbarungen, die da lauten, wir planten ein Beratungsgesetz, das Frauen bevormunde, unterdrücke, mit Zwangsmaßnahmen konfrontiere.

    (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Was denn sonst?! — Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Heißt das, daß Sie sich z. B. von Herrn Kroll-Schlüter distanzieren?!)

    Ich möchte hier an das erinnern, was Sie selbst
    — ich zitiere hier Frau Däubler-Gmelin — gesagt haben. In einer Entschließung vom 26. April 1974, die Sie gemeinsam mit der FDP verfaßt haben, hieß es:
    In vielen Fällen, in denen die Fortsetzung der Schwangerschaft wegen einer persönlichen oder sozialen Notlage der Schwangeren bedroht ist, wird das Leben des Ungeborenen durch eine einfühlsame und helfende Beratung erhalten werden können.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Ja, das ist völlig richtig, das können wir heute wieder schreiben!)

    Und Frau Kollegin Däubler-Gmelin hat am 21. Mai 1986 klargestellt, daß Beratung und Hilfe in den Vordergrund des staatlichen Bemühens treten, während die notwendigen strafrechtlichen Verbote den Rahmen dafür bilden sollten.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Da sind wir uns völlig einig!)

    Ich möchte ein Drittes hinzunehmen, was immer wieder kritisiert worden ist, auch in Verbindung mit der „Stiftung Mutter und Kind" : daß die Beratungsstellen nicht über ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen verfügen, um Beratung und Vermittlung von Hilfen wahrnehmen zu können. Wenn wir in der Frage Leben der Frau und ungeborenes Leben wirklich ernsthaft weiterkommen wollen, dann kann es doch wohl nicht angehen, daß Verbesserungen in der Beratung verteufelt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Wenn es die nur wären! — Frau Schoppe [GRÜNE]: Es handelt sich dabei doch um eine organisatorische Belastung! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Also, ich bitte Sie, lassen Sie mich bei diesem Thema erst einmal aussprechen; kritisiert haben Sie mich schon im Vorfeld genug.

    (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Zu Recht!)

    — Ob es zu Recht geschah, mag sich zeigen. Warten Sie doch erst einmal ab, worum es geht.

    (Catenhusen [SPD]: Wir kennen doch den Text!)

    — Ich kenne den Text am besten, denn ich war dabei, und ich kenne auch die Intentionen. Wir unterscheiden uns allerdings, wenn Sie eine Fristenlösung wollen, wo die Beratung entfällt oder nur Beiwerk und lästig ist.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das hat niemand gesagt!)

    — Das unterstelle ich Ihnen auch nicht. Wenn wir dies
    nicht wollen — das muß ich sagen —, dann wäre doch
    der allerwichtigste Schritt in einer solch lebenswichti-



    Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
    gen und lebenserhaltenden Frage, die Beratung so gut wie nur möglich auszustatten.

    (Zuruf von der SPD: Keine Einwände!)

    Jetzt sage ich Ihnen noch einmal: Es geht nicht gegen die Frau, sondern es geht um die Frau und um das ungeborene Kind; es geht um beide.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Die Frauen wissen doch am besten, mit wem sie sich beraten wollen!)

    Hier geht es darum, daß diese Frauen nicht nur mal eben punktuell eine Beratung erfahren,

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das ist eine Diskriminierung jeder Beratungstätigkeit, die bisher stattgefunden hat! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Beratung auch privat und nicht nur bei staatlichen Institutionen!)

    sondern in ein Beratungsgesetz sollte aufgenommen werden, daß in die Beratung auch die Hilfen aufgenommen werden, die den Frauen während und nach der Schwangerschaft zur Verfügung stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schoppe [GRÜNE]: Das machen die Beratungsstellen doch schon, Frau Süssmuth!)

    Hinsichtlich der Beratung sollten Sie zumindest die Information entgegennehmen, daß es drei Typen von Ratsuchenden gibt: diejenigen, die zum Abbruch entschlossen sind, die Ambivalenten und diejenigen, die nicht, auf keinen Fall den Abbruch vornehmen möchten, aber durch die Umstände, durch Partner, Eltern oder andere gezwungen werden. Ich denke, die Beratung ist der Ort, wo die größtmögliche Hilfe erfolgen muß.

    (Frau Schoppe [GRÜNE]: Frau Süssmuth, sie machen sich was vor: Sie wissen, daß sich die meisten Frauen, die in die Beratungsstellen kommen, schon entschieden haben! Das sagen auch die katholischen Beratungsstellen! Die haben sich entschieden, so oder so!)

    — Ich muß Ihnen sagen: Just das Gegenteil hat gerade in diesen Tagen selbst die Vorsitzende der Pro Familia ausdrücklich bestätigt. Ich glaube, hier ist der Wunsch Mutter des Gedankens und nichts anderes. Wenn wir wirklich den Auftrag ernst nehmen, daß Beratung darin besteht, den Frauen die Möglichkeit zu geben, sich zu öffnen und ihre Situation darzulegen,

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das haben sie doch heute!)

    wenn wir ihnen zweitens nicht nur in dieser kurzen Situation Rat erteilen, sondern ihnen konkrete Hilfen an die Hand geben,

    (Zuruf von der SPD: Sozialhilfe!)

    bis hin zu den Fragen, wo das Kind betreut wird, welche Hilfen die Mutter erhält, wenn das Kind geboren ist,

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Damit müßte man mal anfangen: Kindertagesstätten!)

    was mit der Nachsorge, mit der Wohnungssuche ist, was mit dem Erhalt des Arbeitsplatzes ist

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das wird auch heute gemacht!)

    — das wird heute nicht gemacht, weil überhaupt keine Zeit und keine Mittel dafür zur Verfügung stehen —,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    dann hätte ich eigentlich erwarten können, daß Sie zumindest in diesem Punkt einer personellen und finanziellen Verbesserung entscheidend zustimmen.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Dagegen habe ich auch nichts gesagt!)

    Das hätte ich als das Mindeste erwartet, wenn es um das Leben von Kindern und Frauen geht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte ein Zweites nennen. Ich glaube, daß es eine Selbstverständlichkeit ist, wenn wir halbwegs menschlich und logisch an die Beratungssituation herangehen, daß die Beratung vor der Indikation erfolgt und daß nicht der Arzt oder die Ärztin, die die Indikation vornehmen, die Frau daran hindern, überhaupt offen ihre Motive, ihre Probleme, ihre Lebenssituation darzustellen. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt, daß ich in der Beratungssituation die Chance habe, mich so frei wie möglich äußern zu können, ohne daran die Gefahr zu knüpfen, daß das möglicherweise die Indikation beeinträchtigt.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das meint Herr Kroll-Schlüter aber ganz anders!)

    Auch hier glaube ich also, daß heute schon weitestgehend so beraten wird.
    Wenn wir drittens festhalten, daß wir eine entsprechende fachliche Voraussetzung gerade auch bei den Ärzten brauchen, dann gibt es überhaupt keinen Unterschied in den Auffassungen, daß es über das Medizinische hinaus gerade an psychologischem, sozialem und auch sozialrechtlichem Wissen fehlt. Selbst der Vorsitzende der Gynäkologen, Herr Professor Beck, oder die Beratungsstelle in Düsseldorf teilen immer wieder mit, daß hier dringend zusätzliche Fortbildung erforderlich ist.