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    Plenarprotokoll 11/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 Inhalt: Wahl der Schriftführer — Drucksache 11/58 (neu) — 137 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Apel SPD 137 B Carstens (Emstek) CDU/CSU 144 D Frau Vennegerts GRÜNE 148 C Dr. Solms FDP 150D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 155A Dr. Spöri SPD 164A Krollmann, Staatsminister des Landes Hessen 166C Dr. Wallmann, Bundesminister BMU . . . 171 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 177 B Mischnick FDP 178 C Dr. Hauff SPD 180D Dr. Laufs CDU/CSU 184 B Frau Garbe GRÜNE 186D Baum FDP 188D Frau Rust GRÜNE 191 A Weiermann SPD 193A Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195A, 221 B Frau Unruh GRÜNE 206 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 207 A Frau Fuchs (Köln) SPD 210B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 216B Floss GRÜNE 219C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 222 B Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG . 225 C Frau Wilms-Kegel GRÜNE 231B Dr. Hirsch FDP 232 C, 246 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 233 D Dr. Penner SPD 236 A Dr. Miltner CDU/CSU 241 A Wüppesahl GRÜNE 244 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 249B Namentliche Abstimmungen 192D Ergebnisse 203 A, 204 C Präsident Dr. Jenninger 149 B Vizepräsident Cronenberg 244 B Vizepräsident Frau Renger 219B, 246C Nächste Sitzung 251 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 252 * A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 137 5. Sitzung Bonn, den 19. März 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 20. 3. Egert 19. 3. Frau Eid 20. 3. Dr. Götz 20. 3. Grünbeck 20. 3. Grüner 19. 3. Grunenberg 20. 3. Haack (Extertal) 19. 3. Klein (München) 20. 3. Kolb 20. 3. Lenzer * 20. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 20. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 19. 3. Reuschenbach 20. 3. Dr. Rumpf ' 20. 3. Seehofer 20. 3. Frau Simonis 19. 3. Strauß 20. 3. Frau Trenz 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Dr. Wilms 19. 3. Frau Zutt 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Anke Fuchs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Cronenberg, Ihre Steuerentlastung trifft ja nun den von Ihnen gewünschten Personenkreis gerade nicht in dem Maße, wie es erforderlich wäre. Deswegen ist die Stundung besser, die wir vorschlagen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Apel [SPD]: So ist es! — Günther [CDU/CSU]: Das haben Sie doch eben selbst bestätigt! — Feilcke [CDU/CSU]: Sie müssen eine Stunde nachsitzen! Sie haben das nicht verstanden!)

    Herr Kollege Cronenberg, wir wollen Arbeitsplätze erhalten. Sie haben recht, wenn Sie sagen:

    (Feilcke [CDU/CSU]: Er hat oft recht!)

    Wir brauchen jede Anstrengung zur Erhaltung der
    Arbeitsplätze. Ich komme nachher bei der Krankenversicherung noch dazu. Für die kleinen und mittleren Betriebe, die keine Chance haben, in eine Betriebskrankenkasse zu gehen, wird die Verwerfung bei unserer Krankenversicherungsstruktur allmählich beängstigend, denn die kleinen und mittleren Betriebe müssen die AOK-Beiträge von 15 % an aufwärts bezahlen. Vielleicht sind wir uns einig, daß wir an das Krankenkassensystem heranmüssen, weil sonst die Arbeitnehmer und die Meinen und mittleren Unternehmen besonders betroffen sind.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zuruf des Abg. Cronenberg [Arnsberg] [FDP])

    — So manchen Gedanken haben wir ja durchaus gemeinsam, Herr Kollege Cronenberg.
    Nun komme ich zu den Stahlarbeitern. Es ist doch wohl ein Unterschied, ob ich eine Region habe, die wie Kohle und Stahl das Nachkriegsdeutschland aufgebaut hat und die von Kohle und Stahl lebt. Wenn dort die Standorte verlorengehen, lassen Sie doch ganze Regionen verarmen, dann lassen Sie ganze Bereiche von Arbeitnehmern und ihre Familien ohne Zukunftsperspektive. Es ist für solche Regionen einschneidender, wenn diese Betriebe zumachen, als wenn kleine und mittlere Betriebe ihre Türe zumachen müssen, sosehr ich das auch bedaure.
    Deswegen reicht es nicht, Herr Minister Blüm, wenn Sie auf die Verlängerung der Montan-Mitbestimmung — ich gebe Ihnen diesen Pluspunkt — stolz sind, sondern es ist Ihre Verantwortung, Stahlarbeitern die Arbeitsplätze zu erhalten und in Europa Druck zu machen. Es ist doch keine Frage von deutscher Überkapazität, sondern es ist eine Frage des europäischen Subventionsrausches, in dem die anderen Länder sind, die unsere Stahlindustrie in dieser Frage kaputtmachen.

    (Beifall bei der SPD)

    Franz Josef Strauß hat es hinbekommen, daß die Max-Hütte in den Koalitionsvereinbarungen auftaucht. Warum eigentlich schafft das nicht der Abgeordnete Blüm aus Dortmund? Warum haben Sie eigentlich nicht dafür gesorgt, daß unter anderem Ihr Stahlstandort erhalten wird? Dies ist die typische Haltung eines Ministers, der meint, dort die Arbeitnehmer zu vertreten.
    Wenn wir schon nicht überall Arbeitsplätze schaffen können — ich könnte das jetzt lange ausführen; ich lasse es an diesem Punkt sein — , müssen wir doch wenigstens für die soziale Sicherung der Arbeitslosen sorgen. Ihre Vorschläge reichen nicht aus, Herr Minister Blüm. Es muß gelingen, die unsozialen Kürzungen des Arbeitslosengeldes rückgängig zu machen.

    (Dreßler [SPD]: Sehr wahr!)

    Darauf ist besonders die weiter steigende Zahl der Berufsanfänger angewiesen. Auch dürfen Arbeitnehmer, die langjährig Beiträge gezahlt haben, nicht länger in die Sozialhilfe abrutschen. Wir brauchen doch auch bei Arbeitslosigkeit eine soziale Grundsicherung, damit die Menschen ihre soziale Sicherung in



    Frau Fuchs (Köln)

    der Bundesanstalt für Arbeit und nicht in der Sozialhilfe finden.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Nie gab es länger Arbeitslosengeld! — Dreßler [SPD] [zu Abg. Dr. Blüm [CDU/CSU] gewandt]: Nie gab es mehr Arbeitslose!)

    — Sie seien dafür nicht zuständig, sagen Sie immer, weil Frau Süssmuth für die Sozialhilfe zuständig sei. Das ist mir egal. Ein Mensch lebt nicht von der Zuständigkeit von Ministerien der Bundesregierung, sondern ein Mensch hat Anspruch darauf, daß man ihm hilft, wenn er in eine besondere Situation hineinrutscht.

    (Beifall bei der SPD)

    In den letzten Jahren, meine Damen und Herren, ist Armut immer geleugnet worden. Der Bundeskanzler sagt: Abbau von Massenarbeitslosigkeit hat Vorrang. Steuerentlastung — Ende. Er sagt kein Wort zu der Frage: Welche Auswirkungen hat Massenarbeitslosigkeit auf die Demokratie, auf Chancengleichheit, auf die Situation in den Kommunen, in denen sich jegliche soziale Infrastruktur verändert und so manches, was wir an kommunaler Politik gemacht haben, gar nicht mehr durchgehalten werden kann? Und großspurig wird gesagt, Armut gebe es nicht.
    Aber jetzt hat sich die Bundesregierung bekannt. Sie hat sich nämlich an der Winteraktion der EG beteiligt, bei der überschüssige Produkte aus der Agrarwirtschaft an Bedürftige verteilt wurden. Die Menschen stehen Schlange, Herr Bundesarbeitsminister, um umsonst Butter, Milch oder Mehl zu bekommen. Es gibt sie also, die Armut in unserem Lande, die Sie immer geleugnet haben.
    Das Diakonische Werk in Hamburg hat von einem erschreckenden Ausmaß von Bedürftigkeit gesprochen.

    (Günther [CDU/CSU]: Wer regiert da eigentlich?)

    Wir sollten den Wohlfahrtsverbänden sehr herzlich danken, daß sie diese Aktion trotz des Kiechle-Chaos durchgeführt haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber ich finde, wir sollten auch aufwachen, meine Damen und Herren, und dafür sorgen,

    (Feilcke [CDU/CSU]: Daß in Hamburg die CDU regiert!)

    daß Menschen in diesem Land nicht auf überschüssige Butter angewiesen sind, sondern, daß sie durch eigenes Einkommen in der Lage sind, sich ihre Nahrungsmittel zu kaufen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Jetzt kommt die konkrete Alternative!)

    Und wir müssen wohl endlich mal durch eine vernünftige Agrarpolitik dafür sorgen, daß die Überschüsse gar nicht erst entstehen können.

    (Günther [CDU/CSU]: Das haben wir 1980 auch immer gesagt! — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Ihre konkrete Alternative?)

    Ich komme zurück zu den Koalitionsverhandlungen. Wenn es um Verbesserungen für die Arbeitnehmerschaft und ihre Familien geht, bleibt die Bundesregierung unbestimmt, dann ist die Koalitionsvereinbarung seltsam. Aber wenn es darum geht, Arbeitnehmerrechte abzubauen, ist die Koalitionsvereinbarung ganz präzise.
    So soll das Ladenschlußgesetz geändert werden.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Warum eigentlich müssen die Verkäuferinnen angesichts vermehrter Freizeit der Verbraucher längere Arbeitszeiten in Kauf nehmen?

    (Beifall bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Auch das ist falsch! — Feilcke [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung, aber davon reichlich!)

    Ich verstehe das nicht, meine Damen und Herren.
    Wenn Sie etwas für die Verkäuferinnen tun wollen, Herr Bundesarbeitsminister, dann schaffen Sie die Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung ab.

    (Beifall bei der SPD — Günther [CDU/CSU]: Warum haben Sie sie denn nicht abgeschafft? Sie haben die doch höherwuchern lassen!)

    Sie haben mich in dieser Forderung im Wahlkampf unterstützt. Schaffen Sie das Beschäftigungsförderungsgesetz ab, damit die Frauen vernünftige Arbeitsplätze bekommen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wir brauchen nicht mehr Kaufzeit, meine Damen und Herren, sondern viele Menschen in unserem Lande brauchen mehr Kaufkraft. Das würde übrigens auch die Binnennachfrage ankurbeln.

    (Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: So stellt sich der kleine Moritz das vor!)

    Sie wollen das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen aufheben oder lockern.

    (Frau Schoppe [GRÜNE]: Das ist ja ein starkes Stück!)

    Das ist nicht die Gleichberechtigung, die wir anstreben. Die Arbeiterinnen in der Textilbranche und in den Zulieferbetrieben der Automobilindustrie z. B. haben wahrlich schwierige Arbeitsbedingungen. Sie auch noch nachts arbeiten zu lassen würde ihre Ausbeutung nur vergrößern. Es wäre an der Zeit, darüber nachzudenken, wie man Nachtarbeit für Männer und Frauen reduzieren könnte, statt sie auf Arbeiterinnen auszudehnen bereit zu sein.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die Sicherung der Montan-Mitbestimmung ist Ihr Pluspunkt. Sie können das in allen Facetten ausmalen, Herr Bundesarbeitsminister. Das kann ich Ihnen nachempfinden. Aber Sie können mir nicht erklären, warum Sie die Sicherung der Montan-Mitbestimmung gegen eine auch von den Arbeitgebern abge-



    Frau Fuchs (Köln)

    lehnte Demontage des Betriebsverfassungsgesetzes haben eintauschen müssen.

    (Günther [CDU/CSU]: Was wird denn da demontiert?)

    Minderheiten sind nach dem geltenden Recht des Betriebsverfassungsgesetzes Minderheiten der Belegschaften, und die sind heute geschützt.

    (Dreßler [SPD]: Sehr richtig!)

    Sie wollen kleine politische Gruppierungen aufpäppeln.

    (Dreßler [SPD]: So ist es!)

    Sie wollen das Industriegewerkschaftsprinzip kaputtmachen. Sie wollen eine einheitliche Interessenvertretung verhindern.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wenn es um die Frage von mehr Mitbestimmung geht, dann bleiben Sie nebulös. Informationsrechte bei technischen Entwicklungen, das ist zu wenig. Denn es bleibt ja wohl dabei: Wer den technischen Fortschritt bejaht, der muß ihn auch gestalten wollen. Und gestalten heißt mehr Mitbestimmung, mehr Mitbestimmung auch für die Arbeitnehmer in den Betrieben.
    Sie, Herr Bundesarbeitsminister, rufen zu mehr Gemeinsamkeit auf, insbesondere in der Alterssicherung. Wir sind dazu unverändert bereit.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Aber ich habe mich, als Sie erzählt haben, was Sie so vorhaben, gefragt: Erstens. Was hat er eigentlich vor? Mir ist das nicht ganz klar geworden. Zweitens. Worin soll eigentlich die Gemeinsamkeit liegen? Gemeinsamkeit kann nicht heißen, Herr Bundesarbeitsminister, daß wir mit Ihnen gemeinsam vertagen. Gemeinsamkeit heißt doch, daß wir uns jetzt an eine Reform heranmachen, die diesen Namen auch verdient. Was Sie bisher anbieten, sind die alten Geschichten, die wir schon 1984 in Form eines Gesetzentwurfs eingebracht haben. Legen Sie also unseren Gesetzentwurf vor, dann können wir an die eigentliche Reform des Alterssicherungssystems herangehen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dreßler [SPD]: Ein guter Vorschlag!)

    Sie prahlen, mit der neuen Rentenformel ist ja alles gegessen. Neue Rentenformel, gleichgewichtige Entwicklung von Arbeitnehmereinkommen und Renteneinkommen!

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wie wäre es denn mit dem Bundeszuschuß?)

    Sie sind ganz stolz auf den verbesserten Bundeszuschuß.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Den ihr pausenlos gekürzt habt!)

    Das kann ich ja verstehen. Aber ich habe jetzt gehört, wie das finanziert werden soll. Der Herr Cronenberg hat die Katze aus dem Sack gelassen. Er hat nämlich gesagt: Die Erhöhung des Bundeszuschusses ist angesichts der sich verringernden Mittel finanzierbar, die wir für die Kriegsopferversorgung ausgeben. Der
    Bundeszuschuß kann erhöht werden, ohne daß sich der Staat mehr als bisher in den Systemen der sozialen Sicherung engagiert.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Was ist daran zu kritisieren?)

    Das, meine Damen und Herren, ist das Zynischste,
    was ich in der Sozialpolitik seit langem gehört habe.

    (Beifall bei der SPD — Günther [CDU/CSU]: Das ist ja eine Nörgelei!)

    Wir brauchen keine Kommission. Wir brauchen Ihre Taten. Ihre Vorschläge sind nicht falsch, aber nebelhaft.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Jetzt habe ich auf so viele Alternativen gewartet und höre nur heiße Luft!)

    Was Sie uns vortragen, Herr Minister, bleibt ein Miniwerk. Deswegen nenne ich Ihnen nochmals unsere Bedingungen für eine Gemeinsamkeit. Eine Rentenformel und ein nebulöser Bundeszuschuß, so gestaltet, wie Herr Cronenberg möchte, sind kein Grund zur Siegesfeier. Was wir brauchen, ist das Prinzip der Sicherung des Lebensstandards in der Rentenversicherung. Das ist richtig. Wer lange gegen Entgeld gearbeitet hat, hat Anspruch darauf, daß die Rentenversicherung seinen Lebensstandard im Alter aufrechterhält. Sagen Sie das bitte Herrn Biedenkopf, damit er das endlich begreift.
    Um das zu tun, brauchen wir die weitgehende Unabhängigkeit der Rentenversicherung von der Arbeitslosigkeit. Auch für die Rentenversicherung ist das wichtigste Gebot, daß wir Arbeitsplätze haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Arbeitnehmer sind Beitragszahler. Beitragszahler sichern die Zukunft der Rentenversicherung.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn wir Arbeitslose haben, dann brauchen wir die Wiederherstellung voller Beiträge an die Rentenversicherung. Wir wollen, daß die Frauen wieder Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen können.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir wollen uns fragen: Wie sieht eigentlich eine vernünftige Reform der Hinterbliebenenversorgung aus? Wir wollen uns dafür einsetzen, daß das Babyjahr für alle Frauen kommt. Wir wollen die Rente nach Mindesteinkommen in der Rentenversicherung einführen.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Dafür kämpfen Sie seit 1969!)

    Wir werden mit den GRÜNEN zusammen

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    verhindern, daß weiterhin die Frauen im Alter auf Sozialhilfe angewiesen bleiben. Das ist ein Unding in dieser sozialen Wirklichkeit.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Deshalb wollen wir anders konzipiert eine soziale, einkommensabhängige Mindestsicherung. Es kann nicht so sein, daß man nur diejenigen, die erwerbstätig sind und Beiträge zahlen, im Alter absichert. Das



    Frau Fuchs (Köln)

    wollen wir. Aber ergänzend dazu muß eine Verzahnung von Rente und Sozialhilfe dergestalt kommen, daß die Frauen im Alter nicht mehr zum Sozialamt gehen müssen, sondern ihre eigene soziale Sicherung in der Rentenversicherung bekommen. Das ist unser Prinzip der sozialen Grundsicherung, von Ihnen bisher nicht einmal gedanklich nachvollzogen, Herr Bundesarbeitsminister.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir brauchen Ansätze zur Harmonisierung der Alterssicherungssysteme. Es kann ja wohl auf die Dauer nicht so bleiben, daß die Rentner mit ihren Anpassungen die Zeche zahlen und die Altershilfe für Landwirte und die Beamtenversorung außen vor der Tür bleiben. Meine Damen und Herren, das kann auf Dauer so nicht weitergehen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

    Schließlich brauchen wir eine Debatte über die Frage: Welche Folgen hat die technische Entwicklung auf die Finanzierung der Alterssicherung? Wenn durch immer mehr Technik immer weniger Menschen beschäftigt werden, dann können wir auf Dauer nicht am lohnbezogenen Arbeitgeberbeitrag festhalten. Deswegen wollen wir Sozialdemokraten eine andere Bemessungsgrundlage. Deswegen sind wir für den Wertschöpfungsbeitrag.

    (Beifall bei der SPD)

    Also, Herr Bundesarbeitsminister: Lernen Sie dazu! Denken Sie nach! Wir kommen mit unseren Konzepten. Wir werden sehen, was sich da gemeinsam machen läßt.
    Ich komme zur Krankenversicherung. Jetzt gibt es Beitragserhöhungen. Ich habe Herrn Cronenberg schon darauf hingewiesen, daß besonders die kleinen und mittleren Betriebe nicht zu Betriebskrankenkassen ausweichen können. Und nun kommt es: Haben Sie einmal die Koalitionsvereinbarung dazu gelesen? Also das ist ja so was von unverbindlich! Das einzige, was ich herausgelesen habe, ist, daß Sie sich nicht zutrauen, an die Struktur heranzugehen.

    (Günther [CDU/CSU]: Sie haben falsch gelesen!)

    Sie wollen Selbstbeteiligung,

    (Dreßler [SPD]: Höhere Selbstbeteiligung!)

    als ob die Arbeitnehmer sich mit ihren Beiträgen nicht selber an ihrer Krankenversicherung beteiligten. Die Beiträge sind wahrlich hoch genug, so daß sie einen Anspruch darauf haben, dann, wenn sie krank sind, die Leistungen aus der Solidargemeinschaft zu bekommen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Erhöhung der Rezeptgebühr; Senkung der Zuschüsse: Wir brauchen eine Strukturreform! Wir haben Vorschläge gemacht. Ich nenne nur die Stichworte: Es darf doch nicht so bleiben, daß die pharmazeutische Industrie jedes Medikament zu jedem Preis zu Lasten der Versicherten verkauft. Mit diesem Mißbrauch muß ein Ende gemacht werden.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Es darf doch nicht so sein, daß medizinische Großgeräte ungeplant eingesetzt werden. Und es darf nicht so bleiben, daß das Arzthonorarsystem sich nicht am Menschen, sondern an möglichst vielen Einzelleistungen orientiert.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Was haben Sie eigentlich in den 13 Jahren gemacht, Frau Fuchs?)

    — Wir haben das versucht. Das wollte ich sagen. Es ist schwierig.

    (Günther [CDU/CSU]: Das ist ja schon vernünftig erkannt!)

    Wir sind bereit, es mit Ihnen zusammen zu machen. Aber Sie können nicht tatenlos zusehen, Herr Bundesarbeitsminister, daß Frau Adam-Schwaetzer immer noch sagt, es geht mit uns nicht, und die übrige Bevölkerung die weiter steigenden Krankenkassenbeiträge leisten muß. So kann das auf Dauer nicht weitergehen.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Ich wollte etwas noch zur Familienpolitik sagen. Aber das ist mir aus Zeitgründen nicht mehr möglich.

    (Günther [CDU/CSU]: Da wäre auch nicht viel gekommen!)

    Es ist nur so: Die Steuerentlastungen, die Sie machen, sind das Familienunfreundlichste, das es gibt. Die Kinderlosen bekommen mehr Steuerentlastung als Familien mit Kindern.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Weil sie mehr Steuern zahlen!)

    Das ist Ihnen hier wiederholt vorgerechnet worden.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Wer mehr zahlt, wird mehr entlastet! Logisch!)

    Auch uns ist bewußt, daß die finanziellen Ressourcen begrenzt sind und daß man sparen muß, wenn es nicht anders geht. Niemand von uns wird pauschale Ausweitungen von Sozialleistungen fordern. Aber daß Sie der Senkung des Spitzensteuersatzes zustimmen und zugleich sagen, soziale Leistungen gibt es — um im Bild zu bleiben — erst, wenn von der Martinsgans des Herrn Bangemann nach zwei Jahren etwas übriggeblieben ist, das ist in der Tat eine unsoziale Politik.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Blüm [CDU/CSU])

    Deswegen ist es eine Frage der politischen Prioritäten. Und ich sage: Es ist eine falsche Priorität, wenn man der Senkung des Spitzensteuersatzes zustimmt. Es ist eine falsche Priorität, wenn es in der Steuerpolitik keinen Weg gibt um entnommene Gewinne in den Betrieben anders als die Gewinne zu besteuern, die für Investitionen verwendet werden. Es ist eine falsche Priorität, zuerst zu sehen, wie man Steuerentlastung finanzieren kann, statt sich zu fragen: Welche Aufgaben habe ich für die soziale Sicherung, und wie



    Frau Fuchs (Köln)

    halte ich das Geld zusammen, damit diese sozialen Leistungen bezahlt werden können?

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sind Sie gegen Steuersenkungen?)

    Wir sind ein reiches Land. Deswegen können wir es uns leisten, die Prioritäten umzukehren. Wir brauchen kein christdemokratisches Winterhilfswerk,

    (Feilcke [CDU/CSU]: Na, na, na!)

    und wir müssen nicht zu denen gehören, die Bedürftigen Butter und Mehl anbieten.

    (Seiters [CDU/CSU]: Aber die Unruh hat doch davon gesprochen! Sie sind doch nicht gegen die Trude Unruh!)

    Wir können, wenn wir uns an das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes halten, Armut in unserem Land so auffangen, das sich jeder seine Butter selber kaufen kann und nicht auf Barmherzigkeit angewiesen ist.

    (Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Der Karneval ist doch vorbei!)

    Das Grundgesetz hat uns den Auftrag gegeben, das Sozialstaatsprinzip, das der Bundeskanzler nicht einmal erwähnt,

    (Günther [CDU/CSU]: Das ist für ihn selbstverständlich, das braucht er nicht zu erwähnen!)

    in der Wirklichkeit zu realisieren. Nein, das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ist mehr als ein Untertitel der Sozialen Marktwirtschaft. Es ist unsere Aufgabe, den schwierigen Weg zwischen zunehmender Individualisierung und der Notwendigkeit kollektiver Sicherung zu gehen. Aber eines bleibt: Die meisten Menschen mit ihren Familien leben von der Arbeit und von der durch Arbeit gewonnenen sozialen Sicherung. Deswegen behält die Schaffung von Arbeitsplätzen für uns Vorrang.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Faltlhauser.

(Feilcke [CDU/CSU]: Sehr gut! Kurt, jetzt gib's ihnen aber!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Faltlhauser


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir lesen heute in den Zeitungen, daß ein SPD-Landesvorsitzender, Herr Bruns, und einige der Kollegen, die hier auf der Seite der SPD sitzen,

    (Günther [CDU/CSU]: Frau Simonis!)

    sagen: Die SPD-Führung ist führungsschwach! Ich glaube, Frau Kollegin Fuchs, Sie haben durch Ihre Rede hier zur Sozialpolitik

    (Zuruf von der SPD: Führungsstärke gezeigt!)

    wiederum den Beleg dafür gebracht, daß diese SPD auch konzeptionsschwach ist, gerade in der Sozialpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD)

    Zur Führungsschwäche kommen noch die Konzeptionsschwäche und die Inkonsequenz hinzu.

    (Heyenn [SPD]: Da müssen Sie ja selbst lachen! Das glauben Sie doch selber nicht! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Sie reden draußen: Den Minderheiten muß geholfen werden. Aber den Minderheiten in den Betrieben, in den deutschen Betrieben wollen Sie nicht helfen, da widersprechen Sie diesem Bundesarbeitsminister.

    (Feilcke [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ich will nun etwas zu Herrn Weiermann sagen, der hier seine Jungfernrede gehalten hat. Er hat von den Problemen bei den montan-mitbestimmten Betrieben gesprochen. Ich hätte eigentlich erwartet, Herr Weiermann, daß Sie diesem Bundesarbeitsminister hier auch einen Dank abstatten. Gehen Sie raus zu Ihren Kollegen und veranstalten Sie mit ihnen gemeinsam einen Fackelzug für Norbert Blüm,

    (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

    zum Dank dafür, daß er die Montan-Mitbestimmung gerettet hat, die Sie im Jahre 1981 durch Ihre Entscheidungen verschlampt haben.

    (Günther [CDU/CSU]: Sehr richtig, Auslaufgesetz! — Zuruf von der SPD: Quatschkopf!)

    Die großen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode, die Rentenstrukturreform, die Krankenversicherungsstrukturreform und die Reform der finanziellen Absicherung des Pflegerisikos, brauchen nicht nur den festen Willen des Regierungschefs — der ist vorhanden, das haben wir gehört — , brauchen nicht nur den festen Willen und die Durchsetzungsfähigkeit der Regierung — auch die sind vorhanden — , sondern brauchen auch eine besondere Qualität der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierungsfraktionen und Opposition. Im Vordergrund dieses Ringens muß ein ganz bestimmter Ernst bei der Analyse der Probleme stehen. Wir müssen alle miteinander eine große Unvoreingenommenheit, die Bereitschaft zum Zuhören und zur Kreativität haben.
    Es nützt dem 17jährigen Lehrling, der im Jahre 2030 seine Rente beziehen will, einfach nichts, wenn wir uns in diesem Hause mit Rechthaberei, Polemik, wie soeben geschehen, und ideologischer Bunkermentalität bekriegen. Nur ein breiter Konsens der demokratischen Parteien hilft der Rente dieses jungen Mannes im nächsten Jahrhundert.
    Diesen Anforderungen an den Stil und an die Qualität der politischen Auseinandersetzung hinsichtlich der großen Reformen dieser Legislaturperiode haben Sie, Frau Kollegin Fuchs, in Ihrer Rede leider nicht genügt. Sie haben die Klamotten des Wahlkampfes noch nicht abgelegt, Frau Fuchs.

    (Günther [CDU/CSU]: Sie war falsch sortiert! — Feilcke [CDU/CSU]: Aber ein schönes Kostüm war es!)

    Man könnte bestenfalls mutmaßen, daß Sie sich dem
    Hauruck-, Zackzack-, Schmeiß-raus-Stil des Saar-



    Dr. Faltlhauser
    Napoleon annähern wollen, um auf diese Weise vielleicht Bundesgeschäftsführerin zu werden.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Haben Sie etwas dagegen? — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Da kann ich nur sagen: Mädel, bleib' sauber, bleib' bei der Sache! Dann werden wir auch für die Reformen Besseres hinbringen.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Solche Reden kannst du dir sparen! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Der Beifall für ein flottes polemisches Wort hier im Hause sollte Ihnen nicht mehr wert sein als die Inhalte von Reformen, die mehr als 20 Jahre Grundlage unseres sozialen Systems sein müssen.

    (Heyenn [SPD]: Der Faltlhauser paßt sich dem Niveau von Blüm an!)

    In der Sozialpolitik der 11. Legislaturperiode können wir auf gesichertem Boden der letzten Legislaturperiode aufbauen, und diese Konsolidierungsarbeit hat an vorderster Stelle Bundesarbeitsminister Blüm verantwortet und durchgesetzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Kleinste hat die größten Brocken vom Schuttplatz des eingestürzten Gebäudes sozialdemokratischer Sozialpolitik weggetragen.
    Frau Unruh, der Blüm hat den Rentnern, ob sie nun grau oder nicht grau sind, die Rente in der letzten Legislaturperiode sicher gemacht, und er wird die Rente auch für das nächste Jahrhundert sicher machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Grauen Panther sollten den grauen Schleier von den Augen nehmen und sehen, was etwa auch in der Sozialhilfe mit einer Steigerung um 8 % geschaffen wurde. Das haben auch dieser Arbeitsminister und diese Bundesregierung gemacht.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das glauben Sie doch alle selbst nicht, was Sie da verbraten! Es muß eine existenzfähige Grundrente geben!)

    Im Mittelpunkt der sozialpolitischen Herausforderungen dieser Legislaturperiode steht die Entwicklung des Altersaufbaus in unserer Bevölkerung. Es werden zuwenig Kinder geboren, die Kinderwagenhersteller satteln um. In den 60er Jahren kamen die 65jährigen in unsere Altersheime, in den 70er Jahren war das Durchschnittsalter etwa 75 Jahre. Heute liegt das Eintrittsalter in den Altenheimen meines Münchener Wahlkreises zwischen 80 und 82 Jahren. Die Folge: Wir werden eine langfristig wirksame Rentenversicherungsstrukturreform durchführen müssen, zu der ich hier einige Anmerkungen auf der Basis der Koalitionsvereinbarungen machen will.
    Zum einen: Zum bestehenden Rentensystem gibt es aus ordnungspolitischen, sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Gründen keine akzeptable Alternative. Wir lehnen deshalb, Frau Fuchs, jede Art staatlicher Grundsicherung, etwa die Grundrente oder Mindestrente, ab.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Dann werden die Rentner euch nicht mehr wählen!)

    Würden wir das bestehende Rentensystem durch ein völlig neues ersetzen, die Lösung der Probleme der demographischen Entwicklung, mit denen wir es zu tun haben, würden wir damit nicht erleichtern, sondern im Gegenteil erschweren. Immer wieder neue Vorschläge dieser Art schaffen lediglich ein Beunruhigungspotential für die Rentner.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Genau!)

    Wir können weder von den Beitragszahlern noch von den Rentnern ein Sonderopfer zur Finanzierung der Belastungen aus der Bevölkerungsentwicklung verlangen. Deshalb muß und wird der Bund, wird diese Bundesregierung einen erheblichen Beitrag zur langfristigen Konsolidierung der Renten leisten. Der Bundeszuschuß betrug im Jahre 1957 32 %, und heute macht er 18 % aus. Diesen Zuschußverfall hat Ihre Regierung zu verantworten, Frau Fuchs. Sie war es, die diesen Bundeszuschuß permanent abgebaut hat. Es würde aber die Leistungskraft des Bundeshaushalts übersteigen, wollte man von einem Moment zum anderen von 18 % auf, sagen wir, 23 oder 25 hinauf. Aber wir sollten versuchen — hier stimme ich dem Kollegen Cronenberg sehr zu — , den Bundesanteil etwa auf 20 % anzuheben, um ihn dann Schritt für Schritt, entsprechend dem Anstieg der Rentenausgaben, fortzuschreiben.
    Ich glaube ebenso wie Kollege Cronenberg, daß wir diese Strukturreform in der Rentenversicherung nicht ohne eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters bewältigen. Hier liegt auch das größte finanzielle Potential: Das Hinausschieben des durchschnittlichen Renteneintrittsalters von heute etwa 59 Jahren um ein Jahr würde der Rentenversicherung 6 Milliarden DM Ersparnis bringen. Wir sollten dabei aber — damit keine Mißverständnisse aufkommen — beim Grundsatz der Flexibilität bleiben. Aber wer vor einer Renteneintrittsaltersgrenze freiwillig in Rente geht, der muß eine Minderung seiner Rente hinnehmen.
    Die Rezepte der Opposition zur langfristigen Rentensicherung sind von Frau Fuchs hier auch wiederum leider nur angedeutet worden: Wertschöpfungsabgabe oder — populärer — Maschinensteuer. Natürlich liegt in diesen Vorschlägen einige Verlockung, weil man dadurch z. B. den Haushalt entlasten könnte, aber bei genauerer Prüfung lehnen wir diesen Ansatz vor allem aus drei Gründen ab.
    Zum einen, Frau Fuchs: Der hochangesehene Professor Krelle hat in einem Gutachten gezeigt, daß die wertschöpfungsbezogene Bemessungsgrundlage wegen der durch sie ausgelösten negativen gesamtwirtschaftlichen Rückwirkungen finanziell weniger ergiebig ist als die Bruttolohn- und Gehaltssumme. Ihre Maschinensteuer-Wundertüte ist also letztlich leer!

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Nicht bei sinkender Lohnquote!)

    Zweitens. Die Maschinensteuer bestraft diejenigen Unternehmen, die sich dem Strukturwandel stellen,



    Dr. Faltlhauser
    die investieren, die den technischen Fortschritt realisieren.

    (Erneuter Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD])

    Die Wertschöpfungsabgabe ist eine Investitionsstrafsteuer und damit auch eine Arbeitsplatzvernichtungssteuer. Gerade unter beschäftigungspolitischen Aspekten sind die technischen Neuerungen besonders bedeutsam.
    Drittens. Nicht zuletzt warnen wir vor dieser Scheinlösung der Wertschöpfungsabgabe, weil dadurch der Zusammenhang zwischen persönlicher Lebensleistung und Rentengewährung aufgeweicht wird. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind die individuellen Rentenansprüche eigentumsrechtlich um so weniger geschützt, je weniger sie auf individuellen Beitragsleistungen beruhen. Wer also die Wertschöpfungsabgabe will, nimmt dem Bürger ein Stück Rentensicherheit.

    (Gattermann [FDP]: Das ist richtig!)

    Ich hoffe, daß wir mit der Rentenversicherungsstrukturreform schnell vorankommen und im nächsten Jahr entsprechende Beschlüsse fassen können.
    Der schwierigere Teil der großen Reform ist ohne Zweifel die Krankenversicherungstrukturreform. Schwierig nicht nur deshalb, weil die Zusammenhänge zwischen Leistungserbringung, Kreislauf der Scheine und Kreislauf der Geldzahlungen so kompliziert sind, sondern weil es im Gesundheitsbereich offenbar nur Opfer gibt und keine Täter. Was wir im Vorfeld der anstehenden Auseinandersetzungen an Meldungen von Standesvertretern, Drohungen gegenüber Politikern und Beleidigungen gegenüber Gutachtern hören mußten, überschreitet bereits heute die Grenze des Erträglichen und läßt ahnen, welche Kanonaden wir als Begleitmusik zu diesem Reformvorhaben zu erwarten haben.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Ich möchte deshalb von dieser Stelle alle Beteiligten, die Kassen und die Verbände der Leistungserbringer, bitten, sich konstruktiv und sachlich und nicht mit polemischen Rundumschlägen an der Diskussion über die Reform des Gesundheitswesens zu beteiligen.

    (Gattermann [FDP]: Sehr gut!)

    Eines ist dabei von besonderer Bedeutung: Wir müssen diese Reform schnell über die Bühne bringen. Wir werden sie schnell über die Bühne bringen. Die Grundlagen der Koalitionsvereinbarung sind hierzu völlig ausreichend.
    Natürlich wollen wir das freiheitliche Gesundheitswesen erhalten. Das Gesundheitswesen ist aber keine heilige Kuh, die im Himmel gefüttert und auf Erden lediglich gemolken werden muß. Was nützt uns die beste ärztliche Einzelleistungsvergütung, was nützt das beste pharmazeutische Präparat, der goldene Zahn oder das modernste Krankenhaus, wenn alles unter dem Strich nicht zu bezahlen ist?

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Legen Sie sich doch mal mit der Pharmaindustrie an!)

    Es ist insbesondere dann nicht zu bezahlen, wenn wir neue Aufgaben wie z. B. die Pflegeabsicherung oder die Finanzierung der AIDS-Kranken bewältigen müssen, die nach Kassenschätzungen am Ende dieser Legislaturperiode etwa 2 Milliarden DM pro Jahr zusätzlich kosten werden. Die Vorstellung, daß man auch mit 15, 16 oder 18 % Beitragssatz leben könnte, kann mit Sicherheit nicht unsere Politik sein.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Diese Koalition wird eines nicht tun: auf der einen Seite die Bürger massiv steuerlich entlasten und ihnen auf der anderen Seite über steigende Sozialabgaben das Geld wieder aus den Taschen nehmen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das tut sie doch!)

    Das wird diese Bundesregierung und diese Koalition nicht tun!
    Im übrigen muß man allen, die es angeht, auch sagen: Es entspricht einfach nicht den Tatsachen, daß bei stabilem Beitragssatz kein Spielraum mehr für medizinischen Fortschritt bestehe. Allein im Jahre 1986 sind durch den Anstieg der Löhne und Gehälter fast 4 Milliarden DM mehr als 1985 in das Gesundheitssystem geflossen.
    Wir wollen keine Strukturrevolution, wir wollen eine Anpassung. Warum Anpassung? Weil wir wesentliche Elemente erhalten wollen: freie Arztwahl, Freiberuflichkeit der Gesundheitsberufe, Vielfalt der Träger von Krankenhäusern, Wettbewerb der Kassen, kostenlose Mitversicherung der Familienangehörigen oder die Bemessung der Beiträge nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der Versicherten und nicht nach Äquivalenzprinzip.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Patientenschutz!)

    Frau Fuchs, wenn ich mir Ihre Vorschläge so anhöre, die Sie punktuell eingestreut haben,

    (Günther [CDU/CSU]: Waren da welche?)

    muß ich sagen: Bei uns heißt Strukturanpassung nicht Gängelung und immer mehr Staat. Sie wollen gewissermaßen nur oben auf dem dampfenden Topf den Deckel festschrauben. Wir wollen mit unserer Strukturanpassung das Feuer unter diesem Topf „Gesundheitswesen" etwas zurücknehmen, und dazu bedarf es struktureller Veränderungen.
    Eugen Roth hat einmal gereimt: „Was bringt den Doktor um sein Brot? a) die Gesundheit und b) der Tod. Drum hält der Arzt, auf daß er lebe, uns zwischen beiden in der Schwebe."
    Meine Damen und Herren, das ist sicherlich das — nicht leicht zu erreichende — Ziel unserer Reform; Anreize dafür zu schaffen, daß der Patient nicht aus ökonomischen Gründen in diesem Schwebezustand gehalten werden muß.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Er soll gesund werden!)

    Im fünften Punkt der Koalitionsvereinbarung zum Gesundheitswesen steht etwas ganz Wichtiges. Da heißt es nämlich, daß der Gestaltungsspielraum für die Selbstverwaltung unter Achtung der Schutzfunktion der gesetzlichen Krankenversicherung zu erweitern ist, auch im Leistungs- und Beitragsrecht. Das ist



    Dr. Faltlhauser
    mir besonders wichtig; denn ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Bundestag ein umfängliches Gesetz mit vielen Paragraphen macht, in dem Listen stehen, in dem einzelne Deckelungen stehen und in dem irgendwelche Vergütungssysteme vorgeschrieben werden. Damit würden wir die Flexibilität der entsprechenden Steuerung beeinträchtigen, und wir würden sicherlich nicht regional und zeitlich angemessen reagieren. Wir müssen der Selbstverwaltung den Spielraum und die Steuerungsinstrumente in die Hand geben, die für ein sinnvolles Handeln notwendig sind.
    Eines der zusätzlichen Themen wird die Pflege sein. Mit Blick auf das Licht am Rednerpult muß ich meine Ausführungen dazu kürzen. Herr Kollege Cronenberg: wir werden auch dieses Problem im Zusammenhang mit der Krankenversicherung lösen müssen, und zwar in einem Zwischenweg zwischen dem, was Bundesarbeitsminister Blüm in der letzten Legislaturperiode vorgelegt hat, und dem, was der Bundesrat auf bayerische Initiative vorgelegt hat. Ich glaube, da ist ein Zwischenweg mit der Leistung „Pflegehilfe" möglich.
    Wir sollten jedoch in der Krankenversicherung nicht nur auf die Kosten sehen. Wir dürfen nicht eine gesundheitspolitische Reform machen, die nur Kostendämpfungsreform ist. Die Reform des Gesundheitswesens muß die ethischen, die menschlichen und die medizinisch-fachlichen Gesichtspunkte stärker mitberücksichtigen. Wir sehen nicht nur die Kosten, sondern den Menschen, der hinter dem Begriff „Patient" steht.
    Im Hinblick auf die großen Reformen dieser Legislaturperiode würden wir Sie, Frau Fuchs, und Ihre Fraktion gern auffordern, konstruktiv, offen und auch kontrovers mitzudiskutieren und mitzumachen. Die bisherige Debatte heute war kein gutes Omen für ein derartiges fachliches und sachliches Vorgehen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)

    Diejenigen, die es angeht, die Patienten ebenso wie die Rentner und diejenigen, die pflegebedürftig sind, haben eine solide Arbeit verdient und nicht Polemik. Wir werden mit dieser Arbeit anfangen, und wir werden die entsprechenden Reformmaßnahmen durchführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)