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    Plenarprotokoll 11/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 Inhalt: Wahl der Schriftführer — Drucksache 11/58 (neu) — 137 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Apel SPD 137 B Carstens (Emstek) CDU/CSU 144 D Frau Vennegerts GRÜNE 148 C Dr. Solms FDP 150D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 155A Dr. Spöri SPD 164A Krollmann, Staatsminister des Landes Hessen 166C Dr. Wallmann, Bundesminister BMU . . . 171 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 177 B Mischnick FDP 178 C Dr. Hauff SPD 180D Dr. Laufs CDU/CSU 184 B Frau Garbe GRÜNE 186D Baum FDP 188D Frau Rust GRÜNE 191 A Weiermann SPD 193A Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195A, 221 B Frau Unruh GRÜNE 206 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 207 A Frau Fuchs (Köln) SPD 210B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 216B Floss GRÜNE 219C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 222 B Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG . 225 C Frau Wilms-Kegel GRÜNE 231B Dr. Hirsch FDP 232 C, 246 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 233 D Dr. Penner SPD 236 A Dr. Miltner CDU/CSU 241 A Wüppesahl GRÜNE 244 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 249B Namentliche Abstimmungen 192D Ergebnisse 203 A, 204 C Präsident Dr. Jenninger 149 B Vizepräsident Cronenberg 244 B Vizepräsident Frau Renger 219B, 246C Nächste Sitzung 251 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 252 * A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 137 5. Sitzung Bonn, den 19. März 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 20. 3. Egert 19. 3. Frau Eid 20. 3. Dr. Götz 20. 3. Grünbeck 20. 3. Grüner 19. 3. Grunenberg 20. 3. Haack (Extertal) 19. 3. Klein (München) 20. 3. Kolb 20. 3. Lenzer * 20. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 20. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 19. 3. Reuschenbach 20. 3. Dr. Rumpf ' 20. 3. Seehofer 20. 3. Frau Simonis 19. 3. Strauß 20. 3. Frau Trenz 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Dr. Wilms 19. 3. Frau Zutt 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Gertrud Unruh


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Blüm hat ganz toll geredet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nur, ob die Rentner draußen ihm das glauben, ich weiß es nicht.
    Ich habe die große Ehre, heute hier als Parteilose eine Altjungfernrede zu halten. Ich glaube, es ist nötig, daß eine Parteilose wie ich in diesem Hause zwischen den Fronten, auch den Männerfronten, etwas Erfreuliches bewirken kann. Ich heiße leider nicht Frau Schreier, ich bin die schlichte Trude Unruh, und das genügt auch für die Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Heiterkeit — Zurufe von der SPD)

    Ich wirke seit zwölf Jahren. — Guckt mal, ich habe doch nur sechs Minuten. Seid mal friedlich, Freunde!
    Seit zwölf Jahren wirke ich ganz, ganz einsam, hart, aber mit immer größeren Mehrheiten unter den alten
    Menschen, die wollen, daß diese Bundesrepublik Deutschland eine andere Altenpolitik einleitet, nämlich für eine existenzsichernde Rente.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich könnte jetzt zehn Seiten lang darüber reden, daß es sie heute nicht gibt. Volksvertreter und -vertreterinnen, Frau Präsidentin — ich habe vorhin vergessen, Sie zu begrüßen — , ich gehe davon aus, daß Sie Volksvertreter und -vertreterinnen sind, und möchte auch in diesem Sinne zu Ihnen reden: Nach über 40 Jahren Schufterei gibt es — man höre und staune; auch die SPD war dran — eine Eckwertrente von ca. 1 300 DM, Herr Blüm, und die Witwe bekommt davon 60 % . Und dann suchen Sie seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland die armen Leute! Vor lauter Armut sehen Sie sie nicht. Nur weil sie zum Friedhofsgemüse geworden sind, meinen Sie, sie könnten sich nicht mehr wehren. Damit ist Schluß, seitdem es die Grauen Panther gibt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir werden Ihnen noch mehr Feuer unter dem Hintern machen, bis Sie letztlich erkennen, daß Sie die Alten von morgen sind, daß andere Konzepte kommen müssen und kommen werden. Wir werden es nicht zulassen, daß unsere Arbeitnehmerkinder und -kindeskinder an Sozialbeiträgen ersticken. Die Volksversicherung ist überfällig, die Beteiligung aller am Risiko des Lebens. Es lebt nicht jeder in einem Himmelbett wie die Herren und Damen Abgeordneten in diesem Haus.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Millionen Menschen, Herr Blüm, leben nun einmal in Armut. Sie haben nie gedacht, daß sie durch Arbeitslosigkeit, durch Nichtanrechnungszeiten usw. einmal so tief fallen könnten, daß sie in die sogenannte Sozialhilfe abrutschen, von der wir Grauen Panther immer nur sagen: Eine Schande für Deutschland.
    Ich bin dem Herrn Bundeskanzler gar nicht böse, daß er mir gestern Erbärmlichkeit des Denkens vorwarf. Mir hat der liebe Gott zu der Einsicht verholfen, daß es andere Konzepte geben kann. Es liegt nur an Ihrem guten Willen, zu erkennen, daß ein neues Zeitalter angebrochen ist. Die Erbärmlichkeit des Denkens war und ist immer noch auf dieser Regierungsbank zu finden.
    Frau Süssmuth, bis heute haben Sie meinen offenen Brief nicht beantwortet. Ich verstehe nicht, warum nicht. Die Altmütter sind ausgeklammert. Gut, Sie haben damit angefangen, aber, Herr Blüm, wenn Sie vor sich selbst ehrlich wären, dann hätten Sie mit Blick auf Lebensleistung und Alterslohn zuerst den Altmüttern Ihre mickrigen 25 Mark zugestanden. Aber Sie können sich ja noch ändern.
    Ich bitte Sie wirklich: Die Menschen draußen warten darauf, ob Christliche, ob Sozialdemokraten, egal, wo sie stehen, sie warten fraktionsübergreifend, daß Sie helfen, die jetzige Altersarmut, die jetzige Altersrechtlosigkeit, die jetzigen Altersdiskriminierungen zu überwinden, abzubauen, damit die Alten, auch die in den Alten- und Pflegeheimen, ihren Wohnort selbst



    Frau Unruh
    bestimmen können, damit ein Einzelzimmer zur Pflicht wird. Denken Sie an Ihre eigenen Eltern, dann kommen wir zu einem Zustand, der der reichen Bundesrepublik Deutschland würdig ist.
    Jetzt kommt mein Kollege Hoss. Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.

(Zuruf: Ich denke, der heißt Hoss!)


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    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure, hier nicht im Namen des Kollegen Hoss sprechen zu können. Er wird sicher zur geeigneten Zeit das Wort ergreifen.

    (Weitere Zurufe)

    — Nein, mein Verhältnis zum Kollegen Hoss war menschlich immer durchaus in Ordnung.
    Meine Damen und Herren, für die Liberalen ist Sozialpolitik Dienst am und für den Menschen. Wir bekennen uns zur solidarischen Aufgabe für die Mitbürger, die in Not geraten sind, die die großen Risiken nicht alleine tragen können. Für uns hat Sozialpolitik einen hohen Stellenwert.

    (Schreiner [SPD]: Wieder geheuchelt! — Weiterer Zuruf von der SPD: Ja, glatt geheuchelt!)

    Die vier Säulen unserer sozialen Sicherheit — Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung — sind zusammen mit der Sozialhilfe als Auffangnetz eine bewährte Organisationsstruktur, und es ist keine Schande, sondern das gute Recht - im eigentlichen Sinne des Wortes „gutes Recht" —, die Solidarität anderer in Anspruch zu nehmen. Aber diese Inanspruchnahme setzt die Bereitschaft zur Eigenverantwortung und zur Eigenvorsorge derjenigen, die dazu in der Lage sind, voraus.
    Nur solide finanzierte Sicherungssysteme sind fähig, auf die künftigen Herausforderungen angemessen zu reagieren. Die Sozialpolitik wird aus den Versicherungsbeiträgen und Steuern der Bürger finanziert. Steuern und Versicherungsbeiträge werden von offizieller, von legaler Arbeit geleistet, nicht von Schwarzarbeit. Ausreichend abgabenpflichtige Arbeit haben wir aber nur dann, wenn wir im Export wettbewerbsfähig sind und wenn wir den Preis für die Arbeit auch nicht durch zu hohe Personalzusatzkosten zu hoch treiben, auch nicht, meine Damen und Herren, durch Arbeitszeitverkürzung, denn jedermann weiß, daß von kürzerer Arbeitszeit und von mehr Urlaub keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.
    Meine Damen und Herren, für das Funktionieren unserer Alterssicherungssysteme ist die Akzeptanz der ganzen Bevölkerung bedeutsam. Frau Unruh, Gott sei Dank wird ja auch von der überwiegenden Mehrheit der Rentner unser Rentensicherungssystem akzeptiert. Nicht zuletzt deswegen, weil diese Akzeptanz erforderlich ist, wollen wir mit den Sozialdemokraten in einen ernsthaften Dialog über diese Problematik kommen. Ich meine, die jetzt von der Koalition formulierten Grundsätze sind bewußt so formuliert, daß sie als Einladung zur Mitverantwortung und Mitgestaltung verstanden werden können. Dabei gehe ich — wie Sie sicher auch — davon aus, daß Konkretisierungen erforderlich sein werden.
    Da weder unerträgliche Steigerungen der Beitragssätze noch ein beachtliches Absinken des Rentenniveaus zumutbar sind, müssen wir dafür sorgen, daß künftige Belastungen von allen Beteiligten angemessen getragen werden. Deswegen habe ich von dieser Stelle aus immer gesagt: Weder Beitragssatz noch Rentenniveau noch Bundeszuschuß sind für uns tabu.
    Inzwischen herrscht erfreulicherweise in einem Punkt Einigkeit, der vor nicht zu langer Zeit noch umstritten war, nämlich darin, daß sich die Rentenanpassungen nettoähnlich orientieren müssen. Als ich dies 1979 zum erstenmal gefordert habe, haben mich noch beide großen Parteien der sozialen Demontage bezichtigt. Heute ist dies Gott sei Dank Allgemeingut.

    (Egert [SPD]: Nein!)

    Froh bin ich auch darüber, daß Klarheit über Funktion und Höhe des Bundeszuschusses besteht. Wir begrüßen ausdrücklich, daß Sie, Herr Bundesfinanzminister, zu der Einsicht gekommen sind, daß der Bundeszuschuß erhöht werden muß. Die FDP ist der Auffassung, daß eine verläßliche prozentuale Festlegung des Bundeszuschusses unerläßlich ist. Unserer Ansicht nach muß er möglichst bald kontinuierlich Jahr für Jahr um 1 % steigen, um dann insgesamt auf ein Volumen von 20 % der Rentenausgaben zu kommen. Damit — und wir interpretieren die Koalitionsvereinbarungen auch so — dürfte ein Großteil der versicherungsfremden Leistungen abgedeckt sein.
    Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, insbesondere den Bundesfinanzminister, daß eine solche Steigerung unter Berücksichtigung der Kriegsfolgelasten, die ja sinken werden, keinen zwangsläufigen Anstieg der Gesamtausgaben für die sozialen Leistungen im Bundeshaushalt bedeutet.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD): Aha! Das ist ja

    interessant, Herr Kollege!)
    Meine Damen und Herren, wichtig und notwendig ist die Neubewertung der beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten. Mit Rücksicht auf die Zeit erspare ich mir hier Einzelheiten. Aber ich weise auf meine Ausführungen in diesem Zusammenhang hin: Beitragsgeminderte Zeiten müssen neu bewertet werden. Die Bemessung der Beitragshöhe für die Arbeitslosen und die Bemessung der Rente müssen dekkungsgleich sein.
    Ich möchte noch auf ein anderes Problem im Zusammenhang mit der Rentenversicherung aufmerksam machen. Späterer Berufseintritt, vorzeitiger Rentenbeginn, längere Lebenserwartung belasten auf Dauer die Finanzen der Rentenversicherung sehr stark. Unsere Konsequenz daraus ist: Wir wollen die Wahlfreiheit des einzelnen, wann er in die Rente gehen will, erweitern, nach unten wie auch nach oben. Aber dies darf nicht auf Kosten derjenigen gehen, die län-



    Cronenberg (Arnsberg)

    ger oder bis zum Ende der Regelarbeitszeit ihre Beiträge zahlen. Hier sind entsprechende Zu- und Abschläge, wie wir sie seit langem fordern, notwendig. Berücksichtigt man darüber hinaus, daß ab Mitte der neunziger Jahre, verstärkt nach der Jahrtausendwende demographische Belastungen auf die Rentenversicherung zukommen, so ist langfristig — „langfristig" unterstrichen — die Verlängerung der Lebensarbeitszeit meiner Meinung nach unvermeidbar.

    (Zuruf von der SPD: Für Sie trifft das nicht zu!)

    Wer jetzt den Eindruck zu erwecken versucht, das sei sozusagen Ausgeburt einer liberalen Phantasie, der lese einmal nach, was einer der geistigen Väter der Rentenreform, Professor Wilhelm Schreiber, 1957, als die Menschen noch bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet haben, gefordert hat. Er hat damals gesagt: Wenn die Menschen länger leben, ist es durchaus zumutbar und vernünftig, die Dauer des Arbeitslebens ein wenig heraufzusetzen. Wenn wir mehr Flexibilität beim Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand haben wollen, müssen wir dafür auch die Voraussetzungen schaffen. Ich erwähne deswegen noch einmal eine Uraltforderung der Liberalen in diesem Zusammenhang: Teilrente und Teilzeitarbeit, zur Erleichterung des gleitenden Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand.
    Meine Damen und Herren, ich wünsche mir in der Rentenpolitik — und das ist eine ehrlich gemeinte Aufforderung — eine sachliche Diskussion aller Beteiligten. Polemik, Verdächtigungen, Geschimpfe sind für die Akzeptanz unseres Rentenversicherungssystems ebenso schädlich wie revolutionäre Vorschläge, die sich nicht immer durch Sach- und Detailkenntnis auszeichnen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das sagen Sie mal Herrn Blüm!)

    — Frau Kollegin Fuchs, man kann dem Norbert Blüm viel vorwerfen; aber revolutionäre Vorschläge im Zusammenhang mit der Rentenversicherung hat er bestimmt nicht gemacht.

    (Zuruf von der SPD: Die hat er nie gemacht! Er hat überhaupt keine gemacht!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme nun zur Gesundheitspolitik. Unser Gesundheitswesen hat trotz des hohen medizinischen Leistungsstandards seine Schwächen. Es fehlen vernünftige Anreize zu mehr Wirtschaftlichkeit und zu mehr Eigenverantwortung aller Beteiligten. Es fehlt an Flexibilität im Leistungs- und im Beitragsrecht. Zu viel hat der Gesetzgeber vorgegeben. Der Leistungskatalog ist immer weiter ausgeweitet worden. Das Sachleistungssystem fördert die Mitnahmementalität und schwächt die Eigenverantwortung, und — das soll nicht geleugnet werden — die Überkapazitäten in nahezu allen Versorgungsbereichen gefährden letztendlich auch die Qualität der Versorgung. Soweit es überhaupt Wettbewerb zwischen den einzelnen Sparten der gesetzlichen Krankenversicherungen gibt, trägt er eher zur Leistungsausweitung denn zur Beitragssenkung bei. Das alles sind Mängel im System, die nur durch eine umfassende Strukturreform beseitigt werden können. Deswegen begrüße ich es, daß
    sich die Koalition verpflichtet hat, eine solche Strukturreform kurzfristig anzupacken.
    In den Koalitionsverhandlungen sind die Grundpositionen für die Strukturreform festgelegt worden. Ziel ist die Sicherstellung der Finanzierbarkeit einer hochwertigen Versorgung bei Erhalt der freiheitlichen Strukturen im Gesundheitswesen. Wir wollen kein Gesundheitswesen, in dem der Staat vorgibt, zu welchem Arzt man gehen darf. Die freie Arztwahl ist für uns unantastbar.
    Auch wollen wir dem Arzt nicht vorschreiben, welche Medikamente er verordnen darf. Die Therapiefreiheit hat für uns einen sehr hohen Stellenwert. Dabei versteht es sich von selbst, daß auch in diesem Zusammenhang dem Gebot der Wirtschaftlichkeit Folge zu leisten ist.
    Wir brauchen mehr Wettbewerb und vor allen Dingen gleiche Wettbewerbschancen innerhalb des gegliederten Systems der gesetzlichen Krankenversicherung. Allerdings müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß der Wettbewerb die Beiträge mehr nach unten hin „schaukelt" und nicht die Leistungen nach oben. Mir sitzt immer noch der Wettbewerb bei den Ersatzkassen mit der Kur für den Auszubildenden im Nacken.
    Eine Strukturreform kann nur gelingen, wenn alle -- ich unterstreiche: alle — Beteiligten ihren Beitrag dazu leisten. Die Leistungserbringer müssen sich nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse mehr als bisher für die Kosten der Gesundheitsversorgung in die Pflicht nehmen lassen. Durch sozial abgefederte Selbstbeteiligungsregelungen muß das materielle Interesse der Versicherten am sparsamen Umgang mit den Ressourcen und vor allen Dingen am vorsichtigen Umgang mit der eigenen Gesundheit gefördert werden. Gesundheitserhaltung und -vorsorge müssen sich lohnen.
    Dabei ist klar, das Selbstbeteiligungsregelungen von den Versicherten nur akzeptiert werden, wenn Kosten und Leistungsspektrum transparent sind. Experimentierklauseln sind unserer Auffassung nach ein geeignetes Instrument, den Krankenkassen Spielräume für Änderungen im Beitrags- und im Leistungsrecht zu eröffnen.
    Die Orientierung an medizinischen Prioritäten bei begrenztem Spielraum erfordert auch eine kritische Durchforstung des Leistungskataloges. Dabei darf das medizinisch Notwendige selbstverständlich nicht in Frage gestellt werden.
    Wirtschaftlichkeitsreserven sehe ich auch bei der stationären Versorgung. Ein Drittel der GKV-Ausgaben sind Kosten für das Krankenhaus. Ich persönlich halte den De-facto-Rechtsanspruch auf Abschluß von Pflegesatzvereinbarungen auf der Basis nachgewiesener Kosten für einen Kardinalfehler. Kosten produzieren, sie anschließend nachweisen, um sie sich dann erstatten zu lassen: Das ist im Grunde genommen viel zu einfach.
    Wir werden deswegen in der Kommission, die sich mit den Fragen beschäftigen wird, besondere Aufmerksamkeit auf die Frage legen, wie wir das Eigeninteresse der Krankenhäuser an kostensparenden



    Cronenberg (Arnsberg)

    Organisationsformen fördern können. Damit da keine Mißverständnisse auftauchen: Für mich ist das Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht sakrosankt.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Aufgaben unterbringen will, wer ihr zusätzliche Ausgaben aufbürden will, der muß uns auch sagen, woher das Geld dafür zu nehmen ist. Die Übernahme von Zuständigkeit bei der Versorgung Pflegebedürftiger, die ja heute bei den Ländern und Kommunen liegt, zu Lasten der Krankenkassen ist meines Erachtens nicht zu verantworten. Wir müssen hier nach anderen Lösungsmodellen Ausschau halten und dieselben auch praktizieren, denn niemand leugnet das Problem.
    Meine Damen und Herren, erfolgreiche Reformpolitik innerhalb der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung ist aktive Beschäftigungspolitik. Bleiben diese Reformen ohne Erfolg, dann werden die Entlastungen aus der Steuerreform wieder abkassiert und die Leistungsanreize, die wir gesetzt haben, zugeschüttet.
    Wir brauchen keine Beschäftigungsprogramme à la SPD, und wir brauchen keine generellen Lohnsubventionen. Vielmehr brauchen wir nicht mehr und nicht weniger als eine vernünftige, ordentliche, praktizierbare Wirtschaftspolitik und eine vernünftige Sozialpolitik. Wir brauchen eine vernünftige Wirtschaftspolitik, wie sie der Sozialdemokrat und Vorstandsvorsitzende von Hoesch, Karsten Rohwedder, nicht besser, als ich es könnte, mit folgenden Worten charakterisiert hat:
    Wenn man der Wirtschaft die Möglichkeit gibt, sich möglichst ungehindert zu entfalten, technologische Entwicklungen mitzumachen, so ist das für mich die beste Rezeptur zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Ich halte es für einen Fehler, daß die SPD wieder den Glauben pflegt an die Befähigung des Staates, den Strukturwandel und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch entsprechende Haushaltsprogramme bewirken zu können. So, wie sich die SPD darstellt, hat sie die wirtschaftlichen Realitäten nicht mehr im Auge.
    Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dreßler [SPD]: Unerhört! — Egert [SPD]: So ein netter Mensch und dann so eine Boshaftigkeit!)

    Was wir brauchen, sind bezahlbare Personalkosten, vernünftige Rahmenbedingungen. Dafür ist eine verantwortungsvolle Tarifpolitik erforderlich, eine Tarifpolitik, die stärker als bisher an die Arbeitslosen denkt. Wer den Preis für Arbeit unbezahlbar macht — egal, ob die Tarifvertragsparteien oder dieses Parlament — , der gefährdet leichtsinnig Arbeitsplätze, der schadet den Arbeitslosen.

    (Dreßler [SPD]: Na, na!)

    Ausdrücklich möchte ich begrüßen, daß die Koalitionsparteien vereinbart haben, das Arbeitsförderungsgesetz und die Arbeit der Bundesanstalt für Arbeit zu vereinfachen, zu entbürokratisieren. Ebenso begrüßen wir die Vereinbarung — Herr Arbeitsminister Blüm möchte an dieser Stelle bitte aufpassen —, das Arbeitslosengeld entsprechend der Beitragsdauer zu staffeln. Das ist ein alter Mischnick-Vorschlag. Ich kann Sie, Herr Bundesminister, nur auffordern und noch einmal ermahnen, in diesem Punkt an Stelle zögerlicher Absichtserklärungen endlich die Voraussetzungen zu schaffen, damit wir auf Dauer zu individuellen Beitragskonten in der Arbeitslosenversicherung kommen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Um Gottes willen!)

    Arbeitslosigkeit kann nicht par ordre de mufti beseitigt werden. Arbeit muß erarbeitet werden. Dazu muß es in der Wirtschaft, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen, die notwendigen Freiräume geben.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Und die Pleiten!)

    Wir dürfen, Herr Kollege Weiermann, nicht nur auf die Großbetriebe schauen. Gerade die Krisenbranchen Kohle und Stahl zeigen uns, daß trotz einer speziellen Form der Mitbestimmung die Probleme, die Sie eindrucksvoll geschildert haben, ungelöst geblieben sind.

    (Dreßler [SPD]: Wenn die Regierung versagt, kann die Mitbestimmung natürlich nicht helfen! Das ist klar!)

    — Mein lieber Rudolf Dreßler, wir haben lange genug zusammengearbeitet und uns in dieser Frage Mühe gegeben. Es ist schon richtigerweise gesagt worden, daß zwei Drittel der Arbeitsplätze zur Zeit der sozialliberalen Koalition, zu unserer Zeit — ich bekenne mich zu der Verantwortung — abgebaut worden sind. Wir wollen die Dinge doch objektiv sehen.
    Wir wollen einmal ehrlich sein, Herr Kollege Weiermann. Auch ich bin — um Ihre Worte aufzugreifen — als Unternehmer für einen Betrieb mit Strukturproblemen verantwortlich. Dabei handelt es sich nur um eine kleine Bude mit 70 Beschäftigten, die niemand interessiert und wo wir einmal Sensen geschmiedet haben. Niemand vom Staat hat sich dafür interessiert, hat uns geholfen. Wir mußten uns selber helfen, umstellen. Der Stahlindustrie wird in einem großen Umfang geholfen. Aber wir können doch nicht Kapazitäten aufrechterhalten, um — mit Verlaub zu sagen — uns Stahlhalden hinter jedes Haus zu packen.
    Die Textilindustrie, die dort tätigen Menschen — ich erinnere z. B. an Gronau; Herr Kollege Buschfort, Sie kommen aus der Gegend — sind nicht so behandelt worden wie die Stahlarbeiter und wie die Bergleute. Wer in diesem Zusammenhang die Gleichberechtigung will, muß auch an diese Menschen denken. Wir müssen den Strukturwandel fördern

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das tun Sie doch nicht!)

    und nicht alte Kapazitäten erhalten. Dafür bitte ich um Unterstützung. Meine Damen und Herren, wenn wir nicht eine so drückende Abgabenbelastung bei den kleinen und mittleren Unternehmen gehabt hätten, dann wären nicht zigtausende von Betrieben Pleite gegangen, dann hätten wir mehr Arbeitsplätze. Bitte interessieren Sie sich doch nicht nur für die Großen. Bei 1 mal 10 000 Menschen sind alle auf den Barrika-



    Cronenberg (Arnsberg)

    den, aber 1 000 mal 10 Menschen interessieren niemanden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Überbelastung der kleinen und der mittleren Unternehmen sind doch Ursache für unser Dilemma. Ich flehe Sie geradezu an, doch nicht dagegen zu meutern, daß wir in diesem Bereich Steuerentlastungen insbesondere durch den Abbau des sogenannten Mittelstandsbauchs vorgenommen haben. Entschuldigen Sie, wenn ich mich gerade an dieser Stelle ein wenig errege, aber es ist wirklich entnervend, daß immer nur von der Großindustrie die Rede ist und die kleinen und mittleren Unternehmen nicht die entsprechende Berücksichtigung finden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, solide finanzierte Sozialpolitik ist im Grunde genommen Voraussetzung für eine aktive, erfolgreiche Politik, die uns mehr Beschäftigung bringt.
    Lassen Sie mich, weil das rote Licht auch für mich gilt, am Schluß noch einmal deutlich machen: Mehr Beschäftigung ist ebenso Voraussetzung für eine solide finanzierte Sozialpolitik wie der sparsame Umgang mit den sauer erarbeiteten Versicherungsbeiträgen der Versicherten. Deshalb möchte ich mit einem Zitat von Abraham Lincoln schließen, der einer neuen Regierung einmal ins Stammbuch geschrieben hat:
    Ihr könnt den Menschen nie auf Dauer helfen, wenn ihr für sie tut, was sie selber für sich selber tun sollten und tun könnten.
    Ich bedanke mich für Ihre Geduld.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)