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ID1100514200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 Inhalt: Wahl der Schriftführer — Drucksache 11/58 (neu) — 137 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Apel SPD 137 B Carstens (Emstek) CDU/CSU 144 D Frau Vennegerts GRÜNE 148 C Dr. Solms FDP 150D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 155A Dr. Spöri SPD 164A Krollmann, Staatsminister des Landes Hessen 166C Dr. Wallmann, Bundesminister BMU . . . 171 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 177 B Mischnick FDP 178 C Dr. Hauff SPD 180D Dr. Laufs CDU/CSU 184 B Frau Garbe GRÜNE 186D Baum FDP 188D Frau Rust GRÜNE 191 A Weiermann SPD 193A Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195A, 221 B Frau Unruh GRÜNE 206 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 207 A Frau Fuchs (Köln) SPD 210B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 216B Floss GRÜNE 219C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 222 B Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG . 225 C Frau Wilms-Kegel GRÜNE 231B Dr. Hirsch FDP 232 C, 246 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 233 D Dr. Penner SPD 236 A Dr. Miltner CDU/CSU 241 A Wüppesahl GRÜNE 244 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 249B Namentliche Abstimmungen 192D Ergebnisse 203 A, 204 C Präsident Dr. Jenninger 149 B Vizepräsident Cronenberg 244 B Vizepräsident Frau Renger 219B, 246C Nächste Sitzung 251 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 252 * A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1987 137 5. Sitzung Bonn, den 19. März 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 20. 3. Egert 19. 3. Frau Eid 20. 3. Dr. Götz 20. 3. Grünbeck 20. 3. Grüner 19. 3. Grunenberg 20. 3. Haack (Extertal) 19. 3. Klein (München) 20. 3. Kolb 20. 3. Lenzer * 20. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 20. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 19. 3. Reuschenbach 20. 3. Dr. Rumpf ' 20. 3. Seehofer 20. 3. Frau Simonis 19. 3. Strauß 20. 3. Frau Trenz 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Dr. Wilms 19. 3. Frau Zutt 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Bitte schön.


Rede von Rudolf Dreßler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Bundesminister, dürfen wir, nachdem Sie unseren Kollegen Weiermann so herzlich begrüßt haben, erwarten, daß Sie sich im Verlaufe Ihrer weiteren Ausführungen auch noch mit den
Inhalten der Rede des Kollegen Weiermann auseinandersetzen?

(Zurufe von der CDU/CSU: Warte doch mal ab, Junge! — Das ist doch albern!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Dreßler, ich weiß schon, daß Sie sich durch Übereifer auszeichnen. Ich rede jetzt gerade 60 Sekunden. Ich hatte mir vorgenommen, längere Zeit zu reden, um zu Inhalten Stellung zu nehmen. Ich weiß, das ist Ihre Schwäche. Aber ich bleibe dabei: eins nach dem anderen. Die Themen, die die Sozialpolitik berühren, will ich so behandeln, wie sie sich aus unserer Sicht darstellen. Deshalb fangen wir gleich an. — Sie können sich setzen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben nach der Zukunft des Stahls gefragt. Ich will Ihnen in Erinnerung bringen — ziehen Sie doch endlich die Wahlkampfstiefel aus; aber wenn Sie es unbedingt hören wollen —: 140 000 Stahlarbeiter haben ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, drei Viertel unter sozialliberaler Regierung. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich das Thema gar nicht erwähnen. Ich wilde vor Scham rot werden. Aber Sie sind ja schon rot.
    Nun aber auch zu dem, was wir getan haben. Wir müssen unser Licht doch nicht unter den Scheffel stellen. Ich stehe — damit wir uns nicht mißverstehen — vor Ihnen nicht selbstzufrieden da, die Hände im Schoß. Aber wir müssen das, was wir gemacht haben, nicht verstecken. Von 1983 bis 1985 hat die Stahlindustrie insgesamt 5 Milliarden DM von Bund und Ländern erhalten: Stahlinvestitionszulage nach dem Stahlhilfeprogramm, Strukturverbesserungshilfen nach dem Stahlhilfeprogramm, Forschungsförderung, Beihilfen, beispielsweise für Saarstahl Völklingen, soziale Beihilfen nach Art. 56 des Montanunionsvertrages. Wir haben das Kurzarbeitergeld für die Stahlarbeiter verlängert. Das ist nicht Hilfe mit Worten — da sind Sie unüberbietbar — , die Verlängerung des Kurzarbeitergelds für Stahlarbeiter ist ganz konkrete Hilfe.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben auch viele Betriebe, die in Not geraten waren, aus der Erstattungspflicht nach § 128 AFG entlassen. Wenn wir das Arbeitslosengeld jetzt noch einmal verlängern, dann hilft das auch den Unternehmen, und da gibt es auch einen Zusammenhang mit der Sozialhilfe. Sehen Sie, das ist konkrete Politik und nicht Politik der Überschriften; davon haben wir genug.
    Ich weiß auch, daß die Stahlkocher unserer Solidarität bedürfen, daß sie eine faire Chance in einem europäischen Stahlmarkt brauchen. Sie wollen ja gar keine Almosen, da stimmen wir doch überein. Sie wollen nur, daß der Wettbewerb nicht durch Subventionen verzerrt wird. Das hat gestern auch der Bundeskanzler klargestellt. Wir sind bereit, in Brüssel gegen Subventionsverzerrungen auf den Tisch zu schlagen. Wir brauchen allerdings Beweise, je mehr Beweise auf



    Bundesminister Dr. Blüm
    den Tisch gelegt werden, um so stärker können wir in Brüssel auftreten.

    (Müntefering [SPD]: Wer soll denn das machen? Herr Bangemann?)

    Auch beim Stahlstandorteprogramm sind wir mit von der Partie. Die sozialen Flankierungen bei Stahl bleiben erhalten, sie werden verbessert. Ich setze auf den praktischen Sinn vieler Kolleginnen und Kollegen an Rhein und Ruhr und an der Saar, die sich nicht an Worten, sondern an Taten orientieren. Ich sage noch einmal: In einem rot-grünen Bündnis haben auch die Stahlarbeiter keine Zukunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das schlimmste Programm für die Arbeiter ist rotgrüne Konfusion. Also, mit Windmühlen wird mit Sicherheit kein Hochofen betrieben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir brauchen das Bekenntnis zu einer modernen Industriegesellschaft. In einer Aussteigergesellschaft haben die Arbeiter überhaupt keine Zukunft.
    Meine Damen und Herren, das gilt auch für die Bergleute. Sie haben in schwerer Zeit Deutschland vor Erfrieren und Verhungern bewahrt.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Courths-Mahler!)

    Das darf hier auch von den revierfernen Ländern nicht vergessen werden. Die Bergleute haben Treue verdient.
    Wir brauchen die Kohle auch für unsere energiepolitische Unabhängigkeit. Deshalb wiederhole ich es: Der Jahrhundertvertrag wird in seinem Kern erhalten.

    (Zuruf von der SPD: Was heißt denn „in seinem Kern"?)

    Ich will allerdings auch hinzufügen: Wer aus der Kernenergie aussteigt, der steigt auch aus dem großen energiepolitischen Konsens aus. Drehen Sie also die Sache nicht um. Wer auf Kernenergie verzichtet, der verzichtet auf das, was Jahrzehnte gegolten hat: auf einen großen energiepolitischen Konsens.
    Ich halte es auch für ein Stück Schizophrenie von den Ländern, die sich gegen Kernenergie und damit auch gegen eine kostengünstigere Energieform aussprechen, sich den Kohlepfennig bezahlen zu lassen und anschließend die Demonstranten nach Wackersdorf zu schicken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das ist so ähnlich, als würde einer im Pelzmantel gegen Tigerjagd in Afrika protestieren.
    Ich bleibe dabei: Die Kumpels können sich auf uns verlassen. Ich sage das auch im Zusammenhang mit dem Thema, das gerade für Stahl und Kohle ganz wichtig ist, der Montan-Mitbestimmung. Ich sage es voller Stolz: Wir werden die Montan-Mitbestimmung vor dem Versickern bewahren, und zwar durch eine rechtsstaatlich saubere Sicherung. Sehen Sie, da werden Sie ganz ruhig. Die wäre nämlich nicht notwendig gewesen, wenn Sie 1981 das geschaffen hätten, was wir 1987 schaffen. Damit wäre die Montan-Mitbestimmung nie ins Gerede gekommen. Deshalb wundere ich mich, daß der Kollege Urbaniak, der Auslauf-Urbaniak, den Sicherungs-Blüm beschimpft. Ich kann nur sagen: Wir verdanken doch der Pfuscharbeit aus dem Jahre 1981, daß wir jetzt nachbessern müssen.
    Die Montan-Mitbestimmung steht für uns auch für eine uralte Erfahrung, nämlich, daß man schwere Zeiten durch Zusammenstehen besser meistert. Das ist auch eine Erinnerung für die Zukunft. Wir sind ja ein relativ junger Staat mit deshalb relativ sparsamen Traditionen. Aber zu den großen sozialstaatlichen Traditionen gehört die Montan-Mitbestimmung. Deshalb, auch in Erinnerung an die großen Gestalten Konrad Adenauer und Böckler, die aus ganz unterschiedlichen Lagern kamen, die aber wußten, daß Zusammenarbeit dem Volk und der Arbeitnehmerschaft bessertut als Konfrontation — und diese Erinnerung ist wichtiger als je zuvor — , auch deshalb unser Bekenntnis zur Montan-Mitbestimmung.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Herr Blüm, was ist los? Irgendwie ist das alles matt, was Sie heute reden!)

    — Warten Sie doch einmal ab. Ich werde noch mehr in Fahrt kommen, als Ihnen lieb ist.

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Ich habe ja manchmal wirklich den Eindruck, daß wir am Ende einer Legislaturperiode stehen. Hier ist eine Stimmung, als müßte pausenlos abgerechnet werden. Mir geht es nicht um Rückblick, mir geht es mehr um Ausblick. Es geht nicht um Vergangenheitsbewältigung, es geht um Zukunftsbewältigung: Arbeit für alle, nicht nur für die Jungen und Gesunden, soziale Sicherheit, Rentensicherheit bei zurückgehender Bevölkerung, Geborgenheit in einer anonymen Massengesellschaft.
    Aber, meine Damen und Herren, es kommt nicht nur darauf an, Probleme zu nennen, es müssen auch die Wege zu ihrer Lösung beschrieben werden. Es genügt nicht, Grundsätze zu feiern, aber die Praxis der Verwirklichung anderen zu überlassen. Es genügt nicht, das Gute zu wollen, man muß auch das Richtige tun. Deshalb: Politik hat immer mit ganz konkreten Vorhaben zu tun. Mich stört ein neumodischer, narzistischer Moralismus, der sich immer nur selbst bewundert, sich aber um die Folgen einen Dreck kümmert. Zufrieden mit sich selbst werden Gesinnungen vor sich hergetragen, ohne sich darum zu kümmern, wie die konkreten Probleme heute, hier und jetzt gemeistert werden, grüne Politik — Sie sind doch geradezu ein Muster — vollzieht sich nach dem Vorbild: Wir brauchen keine Mülldeponie, wir haben ja unseren Mülleimer im Haus.

    (Zurufe von der SPD: Quatschmacher! — Sind Sie der Rudi Carell?)

    — Wissen Sie, wenn ich da noch fortfahren soll: Was mich auch stört, ist ein moralischer, ist ein neudeutscher Überzeugungsexhibitionismus,

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    ein Exhibitionismus, der sich ja auch gerade bei Ihnen
    zeigt. Da laufen Sie mit Ihren Votivtafeln durch die
    Gegend. Wer seine Gesinnung nicht im Kopf hat, muß



    Bundesminister Dr. Blüm
    sie sich offensichtlich auf die Brust stecken, kann ich da nur sagen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Ich finde diese Art von pausenlosem Überfallen mit Gesinnungen ohne die Anstrengung zum Detail, ohne die Kalkulation der Detailarbeit, eine Flucht aus der Politik.

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Eine andere Form der politischen Verniedlichung, um nicht zu sagen: der Primitivierung hat gestern ja auch Jochen Vogel vorgeführt. Der Bundeskanzler, so meint er anklagend, habe das Wort Arbeitslosigkeit in seiner Regierungserklärung nur dreimal genannt.

    (Frau Eid [GRÜNE]: Jetzt kommen Sie einmal zum Thema!)

    Also wäre denn den Arbeitslosen geholfen, wenn er es neunmal genannt hätte? Wäre ihnen da 300 % mehr geholfen? Dieser Wortfetischismus der Sozialdemokraten

    (Frau Eid [GRÜNE): Thema!)

    steht in proportional umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Realitätsbewältigung. Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns zu den Sachen reden, lassen Sie uns hier ringen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    — Ich danke für den Beifall. Jetzt will ich zur Sache „Rentenversicherung" reden.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Zur Arbeitslosigkeit wollen wir etwas hören! Wie wollen Sie die Arbeitslosigkeit beseitigen? — Zuruf von der SPD: Zum Spitzensteuersatz! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Auch darauf komme ich zurück. Darf ich noch die Reihenfolge selbst bestimmen, Frau Fuchs? Aber wenn Sie eine andere Reihenfolge haben wollen, rede ich auch in einer anderen Reihenfolge. .

    (Zurufe von der SPD)

    Also: Die Bevölkerung geht zurück. Selbst unter der Annahme, daß die Geburtenrate nicht noch weiter absinkt und die Lebenserwartung im Umfang der letzten Jahre steigt, wird die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik von rund 61 Millionen 1986 in gut 40 Jahren auf rund 48 Millionen abnehmen. Diese Zahlen sind mehr als nur ein statistischer Zündstoff. In ihnen ist sozusagen ein großes Umwälzungspotential enthalten. Deshalb droht nach dem Klassenkampf der Generationenkampf.
    Man muß die Bevölkerungsentwicklung ja nicht wie ein Naturgesetz hinnehmen. Wir bestimmen unsere Geschichte. Ob Familienfreundlichkeit oder Familienfeindschaft, das ist eine Bestimmung über die Zukunft unserer Gesellschaft. Ob Kinder in unserer Gesellschaft Platz haben oder nicht, entscheidet auch über Rentensicherheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In der Tat: Zukunftsangst oder Zukunftszuversicht
    entscheiden über Aufstieg oder Abstieg in unserer
    Gesellschaft. Wer ständig Angst verbreitet, wer von
    Angst lebt, wer die Produktion von Angst zu seiner bevorzugten Politik macht, muß sich nicht wundern, wenn in unserer Gesellschaft Familien- und Kinderfeindschaft entsteht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer sich an den alten marxistischen Frontlinien zwischen Kapital und Arbeit eingegraben hat, bemerkt womöglich gar nicht, wo die neuen Problemfälle abgesteckt sind. Sie werden sich wundern. Es zeigt sich, wie oberflächlich Sie die Rentenpolitik betrachten, wenn Sie den Kern der Rentenproblematik nicht in der Veränderung der Bevölkerungsstruktur erkennen. Das zeigt, wie oberflächlich Sie bisher die Rentenversicherung gehandhabt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich will es noch einmal exemplifizieren: Heute bezahlen 100 Beitragszahler 56 Renten. Im Jahre 2030 werden, wenn nichts geschieht, 132 Renten von 100 Arbeitnehmern bezahlt werden müssen. Ein Arbeitnehmer wird mehr als eine Rente mitfinanzieren und seinen Lohn teilen müssen. Das ist das Ergebnis von Zukunftsblindheit und Kinderfeindschaft.

    (Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    — Frau Unruh, ich habe Sie gestern schon mit Ihrem Dazwischenschreien bewundert. Nomen est omen. Wenn es nach Ihrem Schreien geht, würde ich Sie Frau Schreier nennen. Das wäre eigentlich viel besser.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Beitragszahler schaffen es nicht alleine. Sie müßten sonst in die Rentenversicherung mehr einzahlen, als sie herausbekämen. Wir brauchen in der Tat zur Bewältigung des Bevölkerungsrückganges auch die Beteiligung des Bundes. Das ist die große rentenpolitische Weichenstellung dieser Koalitionsvereinbarungen. Daß sich der Bund dazu bekannt hat, daß er Beteiligter an der Bewältigung der demographischen Veränderung ist, daß er den Bundeszuschuß über das geltende Gesetz hinaus erhöhen muß, ist in der Tat ein Kontrastprogramm zu ihrer Praxis. Sie haben sich aus der Verantwortung für die Rentenversicherung mit einer Verkürzung der staatlichen Pflichten des Zuschusses von 3,5 Milliarden DM verabschiedet.
    Wir bekennen uns ausdrücklich zur gestiegenen Verantwortung, und zwar zu einer Verantwortung in Mark und Pfennig mehr Bundeszuschuß. Wir lassen die Rentenversicherung nicht im Stich. Sie bleibt die verläßliche Zusage für ein sicheres Alter.
    Strukturreform der Rentenversicherung heißt allerdings nicht Rentenrevolution. Wir stellen die Rentenversicherung nicht auf den Kopf, sondern wollen ihre Weiterentwicklung. Es bleibt bei der Beitrags- und Lohnbezogenheit. Ich sehe in der Leistungsbezogenheit der Rente auch das emanzipatorische Element unseres Sozialsystems. Altersrente spiegelt die Lebensarbeit wider. Rente ist keine Fürsorge, sondern Gegenleistung für Lebensarbeit. Deshalb ist die Rente auch nichts anderes als ein Alterslohn für Lebensarbeit. Dieses Prinzip werden wir mit Zähnen und



    Bundesminister Dr. Blüm
    Klauen, ich hoffe, in Übereinstimmung mit den Sozialdemokraten, erhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dreßler [SPD]: Genauso wie den Spitzensteuersatz!)

    Es ist ja ganz fraglos, daß es natürlich außerhalb des Zusammenhanges Arbeit/Rente auch noch Leistung gibt, daß also Leistung nicht nur in der Erwerbsarbeit steckt: Kinder zu erziehen ist eine bedeutsame Leistung, die nicht weniger Wert ist als Erwerbsarbeit. Deshalb muß Kindererziehung im Rentenrecht anerkannt werden. Wir waren es, die diesen Grundsatz durchgesetzt haben, freilich nicht vom Beitragszahler, sondern von der staatlichen Gemeinschaft finanziert. Denn die Rentenversicherung kann nicht alle sozialen Fragen lösen und finanzieren, sonst würden die Beitragszahler den Sozialstaat überproportional finanzieren. An den allgemeinen sozialen Fragen, auch an der Bekämpfung der Altersarmut, müssen sich alle beteiligen, nicht nur die Beitragszahler der Rentenversicherung.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das erste wahre Wort!)

    Es bleibt dabei, daß die Alterssicherung nicht die Aufgabe hat, das Existenzminimum abzusichern, sondern sie hat die Aufgabe, den Lebensstandard zu sichern. Das ist ein wichtiger Unterschied, der sie auch von der Sozialhilfe abgrenzt.
    Es bleibt bei unserer Einladung zum großen Rentenkonsens. Zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Bundesregierung gibt es bereits eine breite Übereinstimmung in der Rentenfrage. Das könnte auch der Kristallisationskern für die Renteneinigung sein. Ich bedanke mich auch bei der Sozialdemokratischen Partei für ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Was soll diese Drohung?)

    Der Beginn der Diskussion über die Rentenstrukturreform läßt hoffen, daß sie auch ein gutes Ende nehmen wird. Meine Damen und Herren, ich denke, das gehört auch zu unserer politischen Kultur. Darin muß die Fähigkeit zu beidem enthalten sein, zu Konflikt und Konsens. Es wird noch genügend Spielraum, auch in diesem Hause, zum Konflikt, zum Streit geben. Laßt uns nicht aus jeder Frage eine Streitfrage machen! An Renten-Streit kann niemand interessiert sein. Er würde nur die Angst unserer älteren Mitbürger erhöhen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch deshalb bin ich für eine große Renten-Einigung aller Parteien.
    Auch in der Krankenversicherung löst der Bevölkerungsrückgang Belastungsverschiebungen aus. Die Rentner zahlen zwar ihren Beitrag zur Krankenversicherung — das entspricht auch dem Gebot der Solidarität, alt für jung, aber auch jung für alt — , aber die Kosten der Krankenversicherung der Rentner wachsen schneller als die Beiträge. Der Abstand zwischen Beitrag und Leistung betrug 1986 rund 25 Milliarden DM. Jeder Beitragszahler hat das im Jahr mit 1 000 DM Beitrag ausgleichen müssen. Das wollen wir
    nicht ändern. Es gehört zur Generationensolidarität, daß die Jungen für die Alten einstehen; denn schließlich werden ja auch die Jungen mal alt — es wird niemand übervorteilt — , und die Alten waren auch mal jung. Trotzdem bleibt es dabei: Bevölkerungsrückgang heißt, daß weniger Beitragszahler die Rentnerkrankenversicherung finanzieren müssen.
    Auch deshalb müssen wir in der Krankenversicherung umschichten. Wir können nicht einfach so weitermachen. Wir würden zu Beitragssätzen kommen, die niemand mehr zahlen könnte. Wir haben gar nicht die Wahl, weiterzumachen wie bisher oder Veränderung. Das Kunststück wird nur sein, sich zu entscheiden: Was ist wichtig, und was ist wichtiger? Die Kunst der Krankenversicherungsreform wird der Mut zur Prioritätensetzung sein.
    Wir werden Überversorgungen abbauen müssen — Gewohnheiten aufzugeben ist immer schmerzhaft — , um damit Spielräume zu gewinnen, Unterversorgungen auszugleichen, umzuschichten. Es gibt sicherlich in unserem Krankenversicherungssystem Überversorgungen.
    Wir haben beispielsweise viel zuviele Krankenhausbetten, aber zuwenig Pflegebetten.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Abschaffen!)

    Also wird doch die Kunst darin bestehen, sozusagen das Überangebot zurückzunehmen, um das Unterangebot an einer anderen Stelle auszugleichen. Nicht alles, was uns lieb und teuer ist, muß von Krankenversicherungsbeiträgen bezahlt werden, nicht jede Bagatelle, nicht jeder Luxus. Sonst würde doch der mit bescheidenen Ansprüchen mit seinem Pflichtbeitrag den Luxus des anderen mitfinanzieren. Also müssen wir uns auf einen Grundkern der Krankenversicherung verständigen, der solidarisch abgedeckt wird.
    Dabei muß über jeden Zweifel erhaben sein: Wer krank ist, muß geheilt werden, ohne Rücksicht darauf, ob er reich oder arm ist. Dieser Grundsatz kann nicht zur Disposition gestellt werden.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Das ist ja schon mal was!)

    Ich wünsche uns gemeinsam Mut und Phantasie bei der Krankenversicherungsreform,

    (Zuruf von der SPD: Das haben Sie nötig!)

    Mut, um den tausendfüßigen Lobbyismus zu besiegen, und Phantasie, um neben den ausgelatschten Trampelpfaden der Gewohnheit neue Wege zu finden.

    (Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

    Ich habe über den Bevölkerungsrückgang gesprochen. Allerdings, meine Damen und Herren, betrachte ich dieses Phänomen nicht lediglich als ein Zahlenphänomen, sondern als eines, das Auskunft über den Zustand einer Gesellschaft gibt, die in Gefahr ist, eine Summe von Egoismen zu werden. Wenn jeder nur an sich selber denkt, denkt niemand mehr über seine Existenz hinaus. In einem so vernagelten Individualismus gibt es keine Chance für Zukunft und Kinder.
    Ich glaube, daß der Rückgang der Kinderzahl etwas damit zu tun hat, daß ein Programm von Selbstver-



    Bundesminister Dr. Blüm
    wirklichung verkündet wird, das bei Licht betrachtet nichts anderes ist als Alleinverwirklichung, als eine neue Flucht aus solidarischen Pflichten: daß mit Emanzipation verwechselt wird, was nichts anderes ist als Egoismus. Für Kinder arbeiten heißt doch auch, für die, die nach uns kommen, zu arbeiten, über die eigene Existenz hinauszudenken. Etwa wie ein Bauer Wälder anpflanzt, die er nie roden kann, so muß unsere Gesellschaft fähig sein, sich selber zu transzendieren.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Was soll sie?)

    Ich sehe — ich wiederhole mich — : Selbstverwirklichungsprogramme neumodischer Art sind nichts anderes als ein Tanz um sich selber.

    (Frau Ganseforth [SPD]: Ellenbogengesellschaft!)

    Das Verhältnis der Generationen zueinander wird, da bin ich sicher, eines der großen Themen der Sozialpolitik der Zukunft.
    Das Thema Alter stellt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Meine Damen und Herren, wir sind in Gefahr, eine jugendwahnsinnige Gesellschaft zu werden: jung, gesund, ausgebildet.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Mit sehr hoher Jugendarbeitslosigkeit!)

    — Verehrte Frau Kollegin, den harten Kern der Arbeitslosen bilden die älteren Arbeitnehmer. Dort sind die Langzeitarbeitslosen. Eine Politik, die sich um die konkreten Notlagen kümmert, muß die unterschiedlichen Lebenslagen berücksichtigen. Die Härte der Arbeitslosigkeit hängt keineswegs nur von der Höhe der Arbeitslosenzahl ab, sondern auch von der Dauer. Ein 50jähriger, der seinen Arbeitsplatz verliert, hat es viel, viel schwerer, wieder Arbeit zu finden, als ein 20jähriger. Darauf antworten wir, weil wir keine Gesellschaft wollen, in der nur die Jungen, Gesunden, Ausgebildeten Arbeit haben und die anderen mit Unterstützung abgefunden werden. Das ist nicht unsere Gesellschaft. Das wäre eine neue Klassengesellschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Alte, Kranke, Ungelernte — denen müssen wir uns zuwenden. Die Zahl derer, die solche Handicaps haben, wächst. Das ist der harte Kern der Arbeitslosigkeit, der durch konjunkturelle Maßnahmen zunächst auch gar nicht aufgelöst werden kann. Fachleute schätzen, daß es eine Million ist. Deshalb geht eine gezielte Arbeitsmarktpolitik nicht mit der Gießkanne vor, nicht mit großen Beschäftigungsprogrammen, sondern konzentriert sich auf diejenigen, die am meisten Hilfe brauchen.
    Wir brauchen Qualifikation. Auch berufliche Bildung, meine Damen und Herren, muß von der Scheuklappe befreit werden, Bildung hätte — erstens — nur etwas mit der jungen Generation zu tun, sei nur etwas für das erste Drittel des Lebens, oder hätte — zweitens — nur etwas mit Aufstieg zu tun.

    (Frau Dr. Götte [SPD]: Deshalb gibt es keinen Bildungsurlaub!)

    Berufliche Bildung ist auch Sache der Älteren. Es geht
    nicht nur um Aufstieg, Diplome und Prüfungen. Ein
    50jähriger Dreher darf nicht „verschrottet" werden, wenn eine neue Maschine kommt. Er muß in die Lage versetzt werden, eine Maschine, die es in seiner Lehrzeit noch gar nicht gab, zu beherrschen. Dafür sind auch die Unternehmer verantwortlich. Ein moderner, sozialer Unternehmer ist nicht nur für Investitionen, für neue Maschinen verantwortlich, sondern auch für die berufliche Bildung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht nicht nur darum, Maschinen zu warten. Menschen müssen gepflegt werden. Zu dieser Pflege gehört Bildung. Wir unterstützen Weiterbildung und Umschulung mehr als je zuvor,

    (Frau Dr. Götte [SPD]: Ist ja gar nicht wahr!)

    mehr auch als zu Ihrer Zeit. — Es ist nicht wahr, Frau Fuchs. Gegen Adam Riese kommen selbst Sie mit Ihrem Charme nicht an. Zu Ihrer Zeit gab es in einem Jahr 260 000 Umschüler. Im letzten Jahr waren es 530 000. Fragen Sie einmal bei Adam Riese, was mehr ist: 530 000 oder 260 000.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Briefs [GRÜNE]: So verstecken Sie Ihre Arbeitslosen!)

    Über Zahlen können wir uns nicht streiten. Es gibt keine katholischen oder evangelischen, keine grünen, roten oder schwarzen Zahlen.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Natürlich gibt es rote Zahlen!)

    — Ja, rote Zahlen in einem ganz bestimmten Sinn. Dazu haben Sie eine gewisse Nähe. Rote Zahlen sind die Bankrottzahlen.

    (Dr. Briefs [GRÜNE]: Wo sind die offenen Stellen?)

    Meine Damen und Herren, zwei Drittel der Teilnehmer hatten spätestens ein halbes Jahr nach der Bildungsmaßnahme einen Arbeitsplatz. Sie sehen, das ist nicht Bildung ins Blaue hinein — um eine weitere Farbe zu nennen —, sondern Bildung mit der Chance, wieder Arbeit zu finden. Ich fand es gestern ganz rührend, als der Oppositionsführer der SPD gesagt hat: „Bei der Qualifizierungsoffensive machen Sie nur, was wir in Anträgen gefordert haben." — Ja, das ist Ihre Stärke: Anträge stellen, Papier bedrucken. Warum haben Sie das nicht umgesetzt, als Sie die Mehrheit hatten? Wir haben es gemacht. Wir helfen den Leuten. Wir sorgen für Umschulung und Fortbildung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Qualifizierung ist auch deshalb notwendig, weil Arbeitsplätze der Ungelernten stärker wegfallen. Es gibt Fachleute, die sagen, daß in den nächsten zehn Jahren drei Millionen Arbeitsplätze für Ungelernte wegfallen. Technische Neuerungen führen zur Höherqualifikation. Von zehn Arbeitsplätzen, die durch Technologie verändert werden, erfordern neun



    Bundesminister Dr. Blüm
    eine Höherqualifizierung. Auch daran können Sie sehen, daß Ihre Technikfeindschaft falsch ist.

    (Dr. Briefs [GRÜNE]: Und wo kommen drei Millionen höhenqualifizierte Arbeitsplätze her? So ein Quatsch!)

    Es führt zu qualitativ höherwertiger Arbeit. Um so mehr müssen wir uns um diejenigen kümmern, die nur schwer bildungsfähig sind.

    (Dr. Briefs [GRÜNE]: Das bestimmen Sie!)

    Wir wollen mit Lohnkostenzuschüssen helfen, und zwar in einer großzügigen Form und nicht degressiv wie bisher. Wir wollen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf diese Langzeitarbeitslosen konzentrieren.
    Ich gebe zu: Das ist ein Programm mit vielen Details. Aber jene großsprecherischen Programme, die man in einem einzigen Satz beschreiben kann, haben den Menschen nie geholfen. Detailliert ist die Lage der Betroffenen. Deshalb gibt es nur eine detaillierte Antwort.

    (Zuruf des Abg. Dr. Briefs [GRÜNE]) — Ach, wir zahlen Geld dafür.

    Ich appelliere an die Arbeitgeber, zuerst die Behinderten einzustellen. Oft scheitert die Einstellung nicht daran, daß ein Behinderter überfordert wäre. Der Leistungswille, der Wille mitzuarbeiten ist bei vielen behinderten Mitbürgern stärker als bei manchem, den wir herkömmlich als nicht behindert betrachten. Es scheitert manchmal einfach daran, daß ein Arbeitsplatz nicht mit ein paar Handgriffen oder mit einer Zusatzeinrichtung behindertengerecht gemacht wird.
    Ich appelliere ganz besonders an die öffentlichen Arbeitgeber, mit gutem Beispiel voranzugehen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Günther [CDU/CSU]: An Herrn Rau! Nordrhein-Westfalen!)

    Neun von elf Ländern erfüllen nicht ihre Beschäftigungspflicht. Das ist ein Armutszeugnis. Deshalb mein Apell an die Länder, an die Kommunen, mit gutem Beispiel voranzugehen.

    (Dr. Briefs [GRÜNE]: Und der Bund?)

    — Der Bund geht mit gutem Beispiel voran. Der Bund hat seine Beschäftigungspflicht über Gebühr erfüllt.
    Zur Beschäftigungslage insgesamt: Wir sollten uns nicht überschätzen. Ich glaube nicht, daß der Staat selber Unternehmen ersetzen und Arbeitsplätze schaffen könnte. Wir wollen keine Funktionärs-, Bürokraten- und Bonzenwirtschaft.
    Mut, Risiko, Einfallsreichtum, Fleiß können nicht befohlen werden.

    (Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Fleiß muß sich lohnen. Das merkt doch selbst Gorbatschow. Freie Arbeitnehmer, freie Unternehmer, Gewerkschaften und Arbeitgeber müssen zusammenarbeiten. Das ist eine der wichtigsten Bedingungen dafür, daß neue Arbeitsplätze entstehen.
    Arbeit und Wohlstand gibt es nur in einer modernen Wirtschaft. Mit den Methoden einer Aussteigergesellschaft kann das Wohlstandsniveau einer Industriegesellschaft nicht gehalten werden.

    (Zuruf des Abg. Dr. Briefs [GRÜNE])

    Ich sage noch einmal: Das größte Arbeitsplatzvernichtungsprogramm ist eine rot-grüne Konfusion.

    (Schreiner [SPD]: Das ist der größte Schwachsinn!)

    DIE GRÜNEN und die Arbeiterbewegung passen zusammen wie ein Parasit und sein Wirtstier.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Peter [Kassel] [SPD])

    — In Köln haben Ihre Freunde doch gefordert, die Automobilproduktion auf Fahrradproduktion umzustellen. Die Opel-Arbeiter in Rüsselsheim lassen grüßen, kann ich nur sagen.
    In der Tat, das Bekenntnis zu moderner Technik ist eine der Voraussetzungen, daß wir auf der Höhe der Zeit bleiben.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Genau!)

    Ich stelle die moderne Technik nicht als Idylle dar. Natürlich hat sie immer zwei Seiten. Aber es ist doch die politische Kunst, die Chancen zu nutzen und die Gefahren zurückzudrängen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Und Geld zu verteilen!)

    Am dümmsten ist es, Chancen nicht zu nutzen. Und hat sich nicht viel gebessert gegenüber Ihrem Katastrophenszenario?
    Mein Großvater

    (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

    hat die Urlaubsplätze, zu denen seine Enkel fahren, noch nicht einmal auf der Landkarte gefunden. Hat sich nicht die Lage der Bergleute, die mit der Spitzhacke in der Hand die Kohle abbauten, gebessert? Mit 40 Jahren hatten sie Staublunge. Wie war das mit den Webern? Hauptmann hat doch keine Fiktion geschrieben;

    (Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    das war Reportage. Wie war das mit den Naßschleifern, mit den Maurern, die den Speis schleppen mußten? Hat der Kran uns nicht Arbeit abgenommen?

    (Zuruf der Abg. Frau Brahmst-Rock [GRÜNE])

    Nein, jene aus der spätbürgerlichen Bewegung der Zivilisationsmüden — das nämlich ist die grüne Bewegung — können nicht die Freunde der Arbeiterbewegung sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Herr Blüm, die Ideale des Bürgertums bilden keine Bewegung!)

    Natürlich hat die Technik — ich sage es noch einmal — zwei Gesichter. Aber ich sehe in der Technik keineswegs die Fratze des Teufels, sondern auch die helfende Hand des Dieners. Sie hat uns Arbeit abgenommen. Am Anfang des Jahrhunderts war die durchschnittliche Jahresarbeitszeit 3 000 Stunden; heute sind es 1 600, die Hälfte. Die Lebenserwartung



    Bundesminister Dr. Blüm
    hat sich in den letzten 40 Jahren um 35 Jahre erhöht.
    Wenn die Welt so schlecht, so vergiftet, so katastrophenhaltig wäre, frage ich mich, warum die Leute alle älter werden. Vor 50 Jahren war eine Blinddarmoperation noch eine lebensgefährliche Operation.

    (Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    — Ich bin sicher, Frau Unruh: Wenn Sie eine Blinddarmoperation haben, werden Sie zu einer modernen Hochleistungsmedizin gehen, die alle Angebote der modernen Errungenschaften der Wissenschaft in Anspruch nimmt.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Kindersterblichkeit: Vor hundert Jahren starben von 1 000 neugeborenen Kindern 400 im ersten Lebensjahr; sie erreichten gar nicht ihren ersten Geburtstag. Heute sind es 7.
    Ja, meine Damen und Herren, Sie können über vieles klagen: Ich sehe in der Technik die helfende Hand für menschlichen Fortschritt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)