Rede von
Bärbel
Rust
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Umweltminister, als ich Sie heute morgen über Atomenergie reden hörte, in wohlgesetzten Worten über sichere Arbeitsplätze, als Sie uns dann versicherten, daß Sie auch weiterhin ein Anhänger der Atomenergie seien, und uns zusicherten, auch Sie hätten jetzt begriffen, daß Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit miteinander zu tun hätten, dachte ich plötzlich: Du bist hier auf der falschen Veranstaltung.
Worum geht es hier eigentlich? Reden wir von einem Chemiebaukasten für Heranwachsende? Nein, Herr Minister, wir reden über Atomtechnik, die unsere Gesundheit und unsere Umwelt schon durch einfache Anwendung unzumutbar belastet, über eine Technik, bei der ein Fehler uns alle vom Leben zum Tode befördern kann. Im Mai letzten Jahres fragte Emnid im Auftrag des „Spiegel" Bürgerinnen und Bürger nach ihrer Meinung zur Atomenergie. Das Ergebnis wurde in einem Artikel veröffentlicht, der die Überschrift trug: „Neue Mehrheit für den Ausstieg" . Eine satte Zweidrittelmehrheit sagte damals: Die Gefahren sind zu groß. Seit der Katastrophe von Tschernobyl hat also die Atompolitik der Bundesregierung keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung.
Dieses sprunghafte Anwachsen der Antiatombewegung war der Anlaß für die Gründung Ihres Ministeriums, Herr Wallmann. Es war damals eine Zeit großer Sorgen. Wir hatten Mühe, für uns und unsere Kinder das Notwendigste an unverstrahlter Nahrung zusammenzusammeln. In Ihrer Antrittsrede sagten Sie:
Mir liegt am Gespräch mit den Bürgern, deren Ängste und Sorgen ich sehr ernst nehme. Die Menschen sollen erfahren, welche Bedeutung die Bundesregierung dem Umweltschutz beimißt.
Das haben Sie gesagt, Herr Wallmann. Und was haben Sie getan? Ein Gesetz mit dem unsäglichen Namen Strahlenschutzvorsorgegesetz verabschiedet. Als gäbe es Vorsorge oder Schutz vor Strahlenschäden! Die einzige wirksame Vorsorge für die Menschen wäre Beseitigung der Ursache, nämlich Abschalten der Atomkraftwerke.
Doch davon keine Rede. Im Gegenteil: Mit diesem Gesetz gestehen Sie ein, daß die atomare Katastrophe auch bei uns vorstellbar ist. Es ist ein Ermächtigungsgesetz, mit dem Sie die Grenzwerte an die jeweilige Strahlensituation anpassen können und das Informationsmonopol für die Bundesregierung bunkern.
Inzwischen, Herr Minister, haben wir eine relativ breit gestreute radioaktive Belastung unserer Lebensmittel mit Cäsium und Strontium. Das ist ein ernstes Problem für die Gesundheit der Bevölkerung, besonders für Kinder, Schwangere, Alte und Kranke.
In Berlin kommen neun Monate nach Tschernobyl häufiger Babies mit Trisomie 21 auf die Welt. Das ist Mongolismus. Die Häufung ist „statistisch signifikant" ; so der seelenlose Fachausdruck für dies Meer an Leid und Tränen, mit dem die Betroffenen die Folgen dieser mörderischen Technologie tragen müssen.