Rede von
Norbert
Mann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen dem Haushalt des Bundesministers der Justiz mit seinem bescheidenen Anteil von 0,15 % am Gesamthaushalt nicht zu. Ich denke, daß im Rechtsausschuß, insbesondere in der Sitzung vom 24. September 1986, zu diesem Haushalt ausreichend Stellung genommen worden ist. Deshalb möchte ich mich heute noch einmal grundsätzlich mit der Rechtspolitik der sogenannten liberal-konservativen Bundesregierung auseinandersetzen.
Mein bei der letztjährigen Haushaltsdebatte am 28. November 1985 erhobener Vorwurf, die Bundesregierung sei ein Sicherheitsrisiko für den freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat, ist durch
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19509
Mann
die Ereignisse der vergangenen zwölf Monate überzeugend bestätigt worden. An dieser Stelle will ich nur die Stichworte Überwachungsgesetze, Asylrecht und das sogenannte Antiterrorgesetz nennen.
Die Bilanz der Rechtspolitik der Wende-Regierung vier Jahre nach dieser Wende ist düster, Herr Marschewski. Von einem Glanzstück kann fürwahr nicht die Rede sein. Grundsätze, von denen sich der Bundesjustizminister oder gar die Bundesregierung leiten ließen, sind, Machterhalt und Koalitionsraison ausgenommen, schwerlich erkennbar. Flick-Skandal, der gescheiterte Amnestieversuch im Hinblick auf die Parteispendenverfahren, die Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Abschaffung der ersten Tatsacheninstanz bei den Verwaltungsgerichten als erstes Sondergesetz für den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, die Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts, die Einbringung der sogenannten Sicherheitsgesetze mit der am 28. Februar 1986 beschlossenen Einführung des maschinenlesbaren Personalausweises einschließlich der Schleppnetzfahndung und nun heute im Rechtsausschuß als krönender Abschluß, wenn auch ohne Kronzeugenregelung, ein sogenanntes Antiterrorgesetz bilden eine wahrhaft explosive und für die Grundlagen unserer Rechtsordnung brandgefährliche Mischung.
Bereinigt von der Kronzeugenregelung ist die Zielrichtung Ihrer angeblichen Terrorismusbekämpfung in den gestrigen und heutigen Gesetzesberatungen im Ausschuß noch einmal überdeutlich geworden. Die Antiatombewegung soll mit einem juristischen Flächenbombardement in die terroristische Ecke getrieben werden.
Herr Dr. Stark, mit der Erweiterung der Vorschriften über die terroristische Vereinigung sollen die RAF, militante Anarchisten sowie die diffuse Szene von autonomen und spontanen Chaoten, wie die „Süddeutsche Zeitung" heute die Kniebeuge der FDP gegen den Unfallvorwurf treffend kommentiert, in einen Topf geworfen werden.
Generalbundesanwalt und Bundeskriminalamt werden angesichts der Ausuferung ihrer Zuständigkeiten zu Bundessonderbehörden, die mit föderalen Grundsätzen und der Justizhoheit der Länder unvereinbar sind. Es handelt sich hier um ein weiteres Sondergesetz zur Durchsetzung des Atomprogramms und insbesondere der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf.
In einem für Ihre rechtspolitische Gesetzgebungsarbeit typischen, die kritische öffentliche Auseinandersetzung scheuenden Eilverfahren, setzen Sie sich unter Mißachtung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte der Opposition über alle Einwände hinweg. Die Forderung nach einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Ursachen des Terrorismus wischen Sie mit machtbewußter Mehrheitsgeste vom Tisch. Kohl, Bangemann, Engelhard und Zimmermann als Hüter des Rechtsstaates — wer denkt da nicht an Biedermann und die Brandstifter?
Das von diesen Herren für das gemeine Volk so gern bemühte Rechtsbewußtsein vermag ich bei Ihnen — leider sitzt nur der Bundesjustizminister auf der Regierungsbank — nicht festzustellen.
Recht als Mittel zum Machterhalt — das ist zugespitzt die Devise Ihrer Rechtspolitik. Recht als Schutz des Schwächeren und Mittel zum Erhalt oder gar zur Erweiterung bürgerlicher Freiheit ist dieser Regierung im Grunde fremd.
Die Verketzerung unserer Gesetzesinitiative für ein allgemeines Einsichtsrecht in Umweltakten durch den Kollegen Regenspurger von der CSU vor zwei Wochen ist dafür ein überzeugender Beleg.
Da ich Ihnen hinsichtlich der Dimensionen dieser Entwicklung vom freiheitlichen Rechtsstaat zum obrigkeitlichen Sicherheitsstaat nicht böse Absichten unterstellen will, empfehle ich Ihnen zur Lektüre nachdrücklich das Referat, welches der Hannoveraner Staatsrechtler Professor Hans-Peter Schneider auf dem republikanischen Anwältinnen-und Anwältetag in Berlin zum Thema „Von der Bürgerfreiheit zur Sicherheitsversorgung" gehalten hat; auszugsweise in der „Frankfurter Rundschau" vom 8. November veröffentlicht. Schneider führt überzeugend aus, daß ein Staat der Freiheit des ganzen Volkes — ich zitiere —
letztlich jedoch nur von einer demokratischen Gesellschaft hervorgebracht werden,
— kann —
die nicht der totalen Überwachung und staatlichen Kontrolle unterliegt. Denn die Selbstverwirklichung des einzelnen erfordert unabdingbar Freiräume, die einzig durch Mitbestimmung und mehr Bürgerbeteiligung nicht nur an der politischen Willensbildung, sondern in allen sozialen Lebensbereichen, namentlich im Produktionsprozeß, erkämpft werden können und müssen.
Soweit Schneider.
Wir GRÜNE setzen Ihrem obrigkeitlichen Staatsverständnis und Ihrer Fixierung auf Sicherheit unsere Alternativen für mehr Demokratie entgegen wie z. B. unsere Gesetzesinitiativen zur Einführung eines Umweltgrundrechtes, der Verbandsklage für
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Natur- und Umweltschutzverbände sowie das erwähnte allgemeine Akteneinsichtsrecht,
nicht nur für den Umweltbereich, sondern für den gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung. Dazu gehören aber auch die Forderung nach einer Stärkung des Petitionsrechtes als eines Grundrechtes der Bürgerinitiativen sowie — und jetzt hören Sie einmal gut zu — als zentrale Herausforderung für die gegenwärtige Parteiendemokratie der Bonner Republik die Forderung nach Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf allen politischen Ebenen.
Für Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ist Ruhe immer noch die erste Bürgerpflicht. Sie verwechseln inneren Frieden, Rechtsfrieden mit Friedhofsruhe.
Politische Spannungen, Kontroversen, Machtkämpfe, auch demonstrativer Druck, Widerspruch und das Recht auf Opposition bilden geradezu die Lebensluft des demokratischen Gemeinwesens. Freiheit, auch politische Freiheit, birgt immer individuelle Risiken, vor denen es keine absolute Sicherheit gibt.
Soweit noch einmal Schneider.
Wir GRÜNE nehmen den Bürgerwillen — nicht nur wie Sie in Sonntagsreden vom mündigen Bürger — tatsächlich ernst. Sie hingegen malen beispielsweise gegenüber den Hunderttausenden friedlich protestierender Demonstranten der Friedensbewegung oder der Antiatombewegung das Schreckensbild der Straße,
die ohne Legitimation Druck auf Parteien und Politiker ausübe. Das ist im Kern vordemokratisches obrigkeitsstaatliches Denken.
Eine Wurzel dieses Denkens liegt in der Verdrängung der Perversion des Rechts unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Demokratische Rechtspolitik setzt voraus, daß wir die Ursachen der Zerstörung der Rechtsordnung im Dritten Reich verarbeiten. Die Wiedergutmachung des vor allem auch von schrecklichen Juristen im Namen des Rechts — ich erinnere an Herrn Globke und Herrn Filbinger — zu verantwortenden millionenfachen Unrechts der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft ist eine grundlegende rechtspolitische Aufgabe.
Auch hier haben Sie versagt. Ich erinnere an das unwürdige Tauziehen innerhalb der Koalition hinsichtlich der Behandlung der sogenannten Ausschwitz-Lüge. In widerlicher Aufrechnungsmentalität — das zu der Frage nach der Stahlhelm-Fraktion — haben Sie, Herr Erhard, wie es der Vorsitzende des Richterbundes ausgedrückt hat, die Ermordung von sechs Millionen Juden mit der Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges zu relativieren versucht. Dieses Gesetz, der Besuch Bundeskanzler Kohls mit Reagan auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg 40 Jahre nach Kriegsende, die jüngste Beleidigung des sowjetischen Parteichefs Gorbatschow durch den Goebbels-Vergleich des Bundeskanzlers sind nicht zufällig. Das beweist die Rede des Kollegen Dregger zum Volkstrauertag. Der Bundeskanzler, von sich selbst mit der Gnade der späten Geburt ausgestattet, Schulter an Schulter mit Alfred Dregger und Franz Josef Strauß bei dem Bemühen, den äußersten rechten Rand des politischen Spektrums abzudecken: Dazu paßt die Diskussion um die Aushöhlung des im Grundgesetz verbürgten Grundrechts auf politisches Asyl in den Sommermonaten zum Zwecke des bayerischen Wahlkampfs.
Ganz auf dieser Linie liegt die Behandlung der grünen Wiedergutmachungsinitiativen und die Behandlung unseres Antrags zur Nichtigerklärung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in der letzten ordentlichen Sitzung des Rechtsausschusses. Mit dem Beschluß zur Einholung eines rechtshistorischen Gutachtens, Herr Kollege Seesing, ob und, wenn ja, inwieweit das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses Ausdruck und Ausfluß von nationalsozialistischem Gedankengut war, versuchen Sie sich um die geschichtliche Verantwortung der Deutschen für die Opfer nationalsozialistischer Gewalt- und Willkürherrschaft herumzudrücken.
Wir GRÜNE werden auch im 11. Deutschen Bundestag die konkrete Verantwortung für die deutschen NS-Juristen zum Prüfstein für die Demokratiefähigkeit aller im Bundestag vertretenen Parteien machen.
Vielen Dank.