Rede von
Franz
Müntefering
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie hatten hier die Gelegenheit, sich von dem zu distanzieren, was der Kollege Erhard als Staatssekretär gesagt hat. Sie haben diese Möglichkeit nicht genutzt. Sie haben deutlich gemacht: Die Mieter in unserem Lande haben in Ihnen keinen Vertreter und keinen Freund.
Sie haben — um dieses Stichwort aufzunehmen — als Bundesregierung auf die Frage, was denn mit den Mietern der Neuen Heimat geschehe, was denen passieren könne, geantwortet, denen passiere zunächst einmal gar nichts, weil das Mietrecht — das die Sozialdemokraten gemacht haben -- so gut sei.
Das war auch richtig. Jetzt gehen Sie daran und machen das Mietrecht kaputt, das wir gemacht haben. Auch das ist wahr. Das ist der Versuch, mit dem Sie im Augenblick beginnen.
Die Menschen sollen preiswert, sicher und so wohnen, wie es ihren Bedürfnissen entspricht.
Das kann die Politik nicht garantieren. Aber die Politik kann die nötigen Rahmenbedingungen dafür setzen.
Die Sozialdemokraten jedenfalls halten den Schutz der Mieter für ein hohes Gut und für nicht verhandelbar.
Es gibt seit Jahren diese Kluft zwischen den beiden Seiten dieses Parlaments. Das wurde in der Politik dieser Legislaturperiode deutlich: Der Bund beteiligt sich nicht mehr an der Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus.
Er fördert nicht mehr die Modernisierung. Jetzt kommt. von Staatssekretär Erhard diese Attacke gegen das Mietrecht.
Seit gestern laufen alle rückwärts. Der Bauminister will so weit nicht. Der Justizminister erklärt über dpa, er distanziere sich.
Eben drückte er sich so aus, daß man nicht genau verstehen kann, was er eigentlich will.
Ich fordere Sie auf, Herr Minister Dr. Schneider, Herr Justizminister, Herr Staatssekretär Erhard, noch heute in dieser Aktuellen Stunde hierher zu kommen und klipp und klar zu sagen, daß die Rede von Herrn Erhard ein Irrtum war und Sie sich davon distanzieren.
Das machen Sie einmal klar, dann wissen wir, woran wir sind.
Das Hin und Her bei Ihnen erklärt sich ganz einfach: Der Herr Staatssekretär hat in die falsche Schublade gegriffen, als er die Rede gehalten hat.
Diese Rede war in einer Schublade, die erst nach
der Wahl aufgemacht werden sollte. Jetzt haben Sie
18722 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 242. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1986
Müntefering
Angst, die Wähler könnten vor der Wahl etwas merken.
Aus jeder Zeile der Rede von Herrn Erhard guckt die Marktideologie. Mietrecht soll kleinergemacht werden. Was in den Klauseln der Juristensprache von Herrn Erhard steckt, sind schon Bomben. Die Vergleichsmiete soll weg.
Die Orientierung und die sinnvolle Deckelung gemäß der ortsüblichen Miete soll verschwinden. Das will die Koalition so. Anders kann man das, was Erhard dazu sagt, nicht interpretieren. Der Kündigungsschutz soll aufgeweicht werden. Wir kommen dem Prinzip des Heuerns und Feuerns auch beim Wohnen ein Stück näher.
Wir lehnen das ab. Es darf nicht möglich sein, daß der Vermieter dem Mieter kündigt, weil ihm dessen Nase nicht gefällt oder weil er jemanden findet, der eine höhere Miete zahlt. So hatten wir das nämlich früher einmal.
Wir wollen nicht, daß das wieder kommt. Deshalb muß ganz eindeutig klargestellt werden, daß daran nicht gerüttelt wird. Herr Erhard hat etwas anderes angekündigt, ist zumindest mißverständlich, und der Justizminister hat nicht dazu beigetragen, daß hier Klarheit gekommen wäre. Wohnrecht muß aber in aller Regel Dauerwohnrecht sein.
Mit den Änderungen des Mietgesetzes 1983 haben Sie Mieterhöhungen verstärkt.
Während die Einkommen 1983/84/85 im Schnitt der Jahre um 2 % gestiegen sind, sind die Mieten im Durchschnitt um 4 % gestiegen. Das können Sie nachlesen. Sie sind doch ganz stolz darauf und weisen darauf hin, daß das Gesetz, das Sie damals beschlossen haben, erfolgreich gewesen sei.
Jetzt wollen Sie die Mietpreisbewegung neu in Schwung bringen. Ihr Vorschlag, die Wohnungen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft von der Kostenmiete zu lösen und sie an die Marktbedingungen anzupassen, bedeutet eines: Mieterhöhungen. Lesen Sie genau durch, was Herr Erhard gesagt hat. Wenn sie die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen von der Kostenmiete lösen und an Marktbedingungen heranführen, dann passiert das, was ich Ihnen jetzt sage: Mieterhöhungen.
Wir Sozialdemokraten wollen das nicht. Wir wenden uns gegen die Versuche der Koalition, in diesem Stadium der Legislaturperiode nicht mehr ganz
deutlich zu sagen, was man denn eigentlich will, aber im Hinterkopf und in den Schubladen das zu haben, was Herr Erhard dankenswerterweise einmal deutlich gemacht hat. Seit heute wissen wir und die Mieter und Mieterinnen draußen, woran sie mit Ihnen sind, meine Damen und Herren von der Koalition.