*) Anlage 3
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht
Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich
Dr. Ahrens * 26. 9.
Amling 26. 9.
Antretter * 26. 9.
Dr. Apel 26. 9.
Bastian 26. 9.
Berger * 26. 9.
Böhm (Melsungen) * 26. 9.
Boroffka 26. 9.
Buckpesch 26. 9.
Büchner (Speyer) * 26. 9.
Carstensen (Nordstrand) 26. 9.
Curdt 26. 9.
Frau Dempwolf 26. 9.
Dr. Ehrenberg 26. 9.
Frau Eid 26. 9.
Eigen 26. 9.
Dr. Enders * 26. 9.
Frau Fischer * 26. 9.
Fischer (Bad Hersfeld) 26. 9.
Franke (Hannover) 26. 9.
Dr. Friedmann 26. 9.
Frau Fuchs (Verl) 26. 9.
Ganz (St. Wendel) 26. 9.
Genscher 26. 9.
Glos * 26. 9.
Dr. Götz 26. 9.
Grünbeck 26. 9.
Grunenberg 26. 9.
Dr. Haack 26. 9.
Haase (Fürth) * 26. 9.
Dr. Häfele 26. 9.
Handlos 26. 9.
Hanz (Dahlen) 26. 9.
Dr. Hennig 26. 9.
Freiherr Heereman von Zuydtwyck 26. 9.
Frau Hönes 26. 9.
Hoffie 26. 9.
Dr. Hupka 26. 9.
Ibrügger 26. 9.
Jäger (Wangen) * 26. 9.
Jungmann 26. 9.
Kalisch 26. 9.
Frau Kelly 26. 9.
Kiechle 26. 9.
Kittelmann * 26. 9.
Dr. Klejdzinski * 26. 9.
Dr. Köhler (Duisburg) 26. 9.
Dr. Köhler (Wolfsburg) 26. 9.
Dr. Kreile 26. 9.
Kroll-Schlüter 26. 9.
Dr. Laermann 26. 9.
Lemmrich * 26. 9.
Lenzer * 26. 9.
Lowack 26. 9.
Dr. Müller * 26. 9.
Nagel 26. 9.
Neumann (Bramsche) * 26. 9.
Frau Pack * 26. 9.
Porzner 26. 9.
Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich
Rapp (Göppingen) 26. 9.
Rappe (Hildesheim) 26. 9.
Reddemann * 26. 9.
Regenspurger 26. 9.
Reuschenbach 26. 9.
Dr. Riedl (München) 26. 9.
Rode (Wietzen) 26. 9.
Roth (Gießen) 26. 9.
Rühe 26. 9.
Dr. Rumpf * 26. 9.
Sauter (Ichenhausen) 26. 9.
Scharrenbroich 26. 9.
Dr. Scheer * 26. 9.
Schmidt (Hamburg) 26. 9.
Schmidt (München) * 26. 9.
von Schmude 26. 9.
Schröer (Mülheim) 26. 9.
Schulte (Unna) * 26. 9.
Frau Dr. Segall 26. 9.
Dr. Soell * 26. 9.
Dr. Solms 26. 9.
Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 26. 9.
Dr. Spöri 26. 9.
Dr. Stavenhagen 26. 9.
Stobbe 26. 9.
Dr. Stoltenberg 26. 9.
Frau Dr. Timm 26. 9.
Dr. Unland * 26. 9.
Voigt (Sonthofen) 26. 9.
Dr. Voss 26. 9.
Dr. Waigel 26. 9.
Dr. Warnke 26. 9.
Dr. von Wartenberg 26. 9.
Werner (Dierstorf) 26. 9.
Wilz 26. 9.
Wimmer (Neuss) 26. 9.
Wissmann 26. 9.
Dr. Wulff * 26. 9.
Zierer * 26. 9.
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Anlage 2
Amtliche Mitteilung
Die in Drucksache 10/6065 unter Nummer 3.3 aufgeführte EGVorlage
Vorschlag für eine elfte Richtlinie des Rates aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen - KOM (86) 397 endg. - Rats-Dok. Nr. 8741/86
wird als Drucksache 10/6066 verteilt.
18100* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zu Zusatzpunkt 8 der Tagesordnung (Entwurf eines
Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und
Kind — Schutz des ungeborenen Lebens")
Schlottmann (CDU/CSU): Die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" hat sich bewährt und überstieg alle bisherigen Erwartungen. 60 000 Frauen und Familien konnten mit Hilfe der Stiftung umfassende Hilfen erfahren — ergänzt durch beachtliche Leistungen der CDU-geführten Bundesländer, CDU-geführten Kommunen, mannigfache Hilfen caritativer Verbände und beispielhafte Unterstützung durch die Bischofsfonds der großen Kirchen.
Aus Mitteln der Bundesstiftung konnte 1984 9 925 und 1985 26 974 Frauen wirkungsvoll geholfen werden; in diesem Jahr sind es bislang 23 845 Hilfsleistungen.
Wir stellen fest, daß die erfolgreiche Arbeit der Bundesstiftung besonders in Verbindung mit den Beratungsstellen und die damit verbundene zunehmende Bekanntheit in der Bevölkerung dazu geführt hat, daß sich auch 1986 noch mehr schwangere Frauen um Hilfe an die Bundesstiftung gewandt haben.
Um die Möglichkeiten der Hilfe auszuweiten, sollen die Mittel, die der Bund der Stiftung zur Verfügung stellt, erhöht werden, und zwar auf jährlich 80 Millionen DM — rückwirkend für 1986 und zunächst bis 1988. Damit bringen wir unsere Bereitschaft zum Ausdruck, den Schutz des ungeborenen Lebens zu verstärken und weiter zu verbessern. Die Bundesstiftung ist in jedem Fall im Rahmen unserer neuen familienpolitischen Gesamtkonzeption zu sehen und zu beurteilen und das insbesondere in Zusammenhang mit der Verbesserung des Familienlastenausgleichs durch die Erhöhung des Kinderfreibetrages, durch die Einführung eines Kindergeldzuschlages für einkommensschwache Familien, durch die Einführung eines Erziehungsgeldes von 600 DM, das nicht auf Sozialhilfeleistungen angerechnet wird, durch die Einführung des Erziehungsurlaubs sowie einer Reihe weiterer Maßnahmen, die insbesondere die Lage der Alleinerziehenden und Eltern verbessert. In Ergänzung zur Bundesstiftung stehen auch die familienpolitischen Leistungen insbesondere der CDU-geführten Bundesländer, vieler Gemeinden im Lande, die beispielhaften Leistungen der Kirchen, Verbände und — was ich betonen möchte — die zahlreichen Hilfsleistungen einzelner Personen und privater Initiativen, wie beispielsweise die mir kürzlich bekanntgewordene Aktion eines Kolping-Verbandes, der in Eigenleistung den Beratungsstellen dringend benötigte Kinderbetten zur Verfügung stellte. Wir begrüßen solche Initiativen, weil sie beredtes Zeugnis zum „Ja" des Lebens sind.
Besonders hervorheben möchte ich auch die Leistungen der vielen Beratungsstellen, die mit dem Ziel der Lebenserhaltung den Betroffenen mit großem Engagement zur Seite stehen und die deshalb in besonderem Maße unser aller Unterstützung brauchen. Den Mitarbeitern und Trägern der Beratungsstellen spreche ich im Namen der Unionsfraktion Dank und Anerkennung aus. Die Bundesländer sind aufgefordert, das Netz der Beratungsstellen so zu verdichten, daß Beratungen in erreichbarer Wohnungsnähe, in der Vielfalt der Träger und in guter, fachlicher Weise durchgeführt werden können.
Landesstiftungen „Familie in Not" und „Mutter und Kind" müssen die Bundesstiftung ergänzen und damit für eine bessere finanzielle Ausstattung hilfesuchender Frauen sorgen. Beispiel hierzu sind die CDU-regierten Bundesländer, die erfolgreich helfen.
Bund, Länder und Kommunen müssen mehr noch als bisher zusammenarbeiten, die SPD-geführten Länder sollten ihren Widerstand aufgeben, so daß so schnell wie möglich ein großes Gesamtkonzept öffentlicher Hilfen zum Schutz des ungeborenen Lebens entsteht. Es gibt schon viele Kommunen, die weit über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus die Familien und die familienfördernde Arbeit caritativer Verbände unterstützen und Sondermittel zum Schutz des Lebens bereitgestellt haben.
Von den Kinderkrippen, Kindergärten bis zu den Sozialstationen können entscheidende Beiträge für eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft geleistet werden.
Wir verurteilen aber auch die Versuche von Sozialämtern, die Frauen zur Schonung städtischer Mittel an die Bundesstiftung zu verweisen oder, was noch schlimmer ist, die Mittel der Bundesstiftung auf die Sozialhilfe anzurechnen. Insgesamt gesehen, entsteht immer deutlicher der Eindruck, daß unsere Gesellschaft in den letzten Jahren wieder kinder- und familienfreundlicher geworden ist. Dazu hat unsere Familienpolitik entscheidend beigetragen.
Die SPD lehnt unsere Hilfen ab. So verweigert sie nach wie vor die Bundesstiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens. Sie verhindert in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg entsprechende Landesstiftungen sowie fortschrittliche, zukunftsbezogene Maßnahmen für die Familien.
Kanzlerkandidat Rau muß sich an diesem Verhalten seiner Partei und an seiner Familienpolitik in NRW messen lassen. Hier verweigert er seit Jahren die Landesstiftung „Familie in Not" und unterläßt auch als Landesvorsitzender Aufforderungen an die Ratsfraktionen seiner Partei, Hilfsfonds zu unterstützen. Seine Familienpolitik — und das ist mittlerweile bekannt — zeichnete sich bisher durch leere Worte, schlimmer noch durch Mittelkürzungen im Bereich seiner Jugend-, Familien- und Altenpolitik aus. In seinem in diesen Tagen veröffentlichten Regierungsprogramm ist diese Haltung ebenfalls erkennbar. Dieses Regierungsprogramm
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 18101*
enthält im Hinblick auf den Schutz des ungeborenen Lebens nicht eine einzige konkrete Maßnahme. Der dort niedergeschriebene Satz ,Hilfe statt Strafe' muß deshalb als rhetorische Floskel ohne besondere Bedeutung und nur auf den Wahltag bezogen gewertet werden.
Frauen in dieser Notsituation ist aber mit leeren Versprechungen und Wahlkampfparolen nicht geholfen. Hier zählen das Ja zur Familie, das Ja zum Kind und eine Familienpolitik insgesamt, die Kinderwünsche der Eltern ebenso erfüllbar macht wie sie in notgeratenen Frauen tatkräftige Hilfen anbietet.
Unsere Familienpolitik ist wirklichkeitsnah und zukunftsbezogen. In ihrer Bilanz, das zeigt die Bundesstiftung, ist sie erfolgreich.
Frau Weyel (SPD): Die Abgeordneten dieses Bundestages sind in ihrer großen Mehrheit darin einig, daß das ungeborene menschliche Leben nach Kräften zu schützen ist. Wir wollen uns mit der zu hohen Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht abfinden und fühlen uns verpflichtet, Frauen in Konfliktsituationen zu helfen, die nicht nur bei ungewollter Schwangerschaft entstehen können, sondern auch in Situationen der Gefährdung wie dem Unfall von Tschernobyl.
Der Schutz des ungeborenen Lebens soll durch Hilfe für werdende Mütter in Notlagen verbessert werden, um ihnen die Fortsetzung der Schwangerschaft zu erleichtern.
Die Koalition behauptet im vorliegenden Änderungsentwurf, dies könne durch Aufstockung der Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind" von jährlich 60 Millionen DM auf 80 Millionen DM bewirkt werden.
Die SPD-Fraktion unterstreicht die Annahme, daß Schwangerschaftsunterbrechungen verhindert werden können durch wirkungsvolle Maßnahmen gegen Notlagensituationen von Frauen, die ein Kind erwarten. Wir sehen eine Beseitigung der Notlage aber nicht in einmaligen oder wiederholten materiellen Leistungen im Zusammenhang mit der Geburt.
Nach wie vor vertreten wir die Auffassung, daß die langfristigen Aussichten für die Zeit, in der das Kind die Fürsorge der Mutter beansprucht, für deren Entscheidung maßgeblich sind. Dies wurde bereits 1980 von der Kommission zur Auswertung der Erfahrungen mit der Reform des § 218 StGB hervorgehoben. Dazu gehören nicht nur die materiellen Bedingungen zur Zeit der Geburt, sondern die voraussehbaren Chancen der Familie auf 10 bis 20 Jahre sowie die sozialen Beziehungen. Hierbei darf die Rolle und Einstellung des Vaters nicht unterschätzt werden.
Die Stiftung „Mutter und Kind" leidet vor allem immer noch unter ihrem „Geburtsfehler" in § 2: „Auf Leistungen auf Grund dieses Gesetzes besteht kein Rechtsanspruch." Damit sind krasse Abweichungen bei der Vergabe der Stiftungsmittel vorprogrammiert, die regional, aber auch innerhalb einer Beratungsstelle sichtbar werden. In einigen Beratungsstellen wird die Bereitschaft zur Hilfe in Notlagen beträchtlich eingeschränkt, wenn die Fristen für einen legalen Schwangerschaftsabbruch abgelaufen sind.
Berichte über die bisherigen Erfahrungen ergeben, daß von den Antragstellerinnen fast die Hälfte von eigener Arbeitslosigkeit oder Arbeitslosigkeit des Partners betroffen war, jede zweite Sozial- oder Unterhaltsleistungen anderer Art bezog und etwa ein Drittel alleinstehend war.
Es mehren sich aber auch die Fälle von Familien, in denen bereits Kinder leben und die Frauen befürchten, den Anforderungen eines weiteren Kindes nicht gewachsen zu sein. Ebenso spielt die Oberschuldung von Familien durch langfristige Arbeitslosigkeit und manchmal verantwortungslose Kreditvergabe eine Rolle.
In allen diesen Fällen kann die kurzfristige Hilfe für Erstausstattung des Kindes, die Weiterführung des Haushalts oder Wohnung und Einrichtung nicht dauerhaft helfen. Die Ursachen für die Notlage müssen beseitigt werden, wenn der Schutz des ungeborenen Kindes ernst gemeint ist. Wo dieses nicht möglich ist, kann das Bundessozialhilfegesetz bei entsprechender Anpassung mit festgelegtem Rechtsanspruch wirkungsvoller und gerechter helfen als die Stiftung.
Eindrucksvoll sind Angaben der Deutschen Liga für das Kind zu den familienpolitischen Leistungen in den achtziger Jahren:
Bei ca. 5 % Geburtenrückgang von 1981 bis 1985 sind die Ausgaben für das Mutterschutzgesetz um 50 % gesunken.
Ausgaben bzw. Steuermindereinnahmen für den Familienlastenausgleich sind von 1981 bis 1985 bis auf 80 % gesunken und erreichen plötzlich 1986 wieder den alten Stand bei ständig steigenden Haushaltsausgaben des Bundes insgesamt. Die Schere bleibt offen.
Für die Schwangerschafts-Beratungsstellen, die gleichzeitig die Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind" verteilen, ergibt sich ein weiteres Problem: Ein Teil der Beratungskapazität für die Schwangerschaftsberatung wird durch die Beratung zur Verteilung der Stiftungsmittel und die notwendigen Kontakte zu anderen helfenden Stellen abgezogen, die Beratungsstellen werden zu Hilfsorganen der Sozialämter. Dadurch leiden ursprüngliche und zur Verminderung von Schwangerschaftskonflikten notwendige Aufgaben der präventiven Arbeit, Ehe- und Familienberatung, Sexualpädagogik und -beratung bis zur Wirkungslosigkeit. Die Träger der Verteilung der Bundesmittel werden außerdem durch die Verwaltungskosten belastet, und das beklagen selbst große Einrichtungen wie Caritas und Diakonie.
Bei der Beurteilung der Bundesstiftung und ergänzender Einrichtungen der Länder sollte man auch einen Blick in die Statistik werfen, wobei nur die gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche erfaßt
18102* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986
werden: Bundesweit ist ein Rückgang von rund 91 000 Abbrüchen im Jahre 1982 auf 83 500 im Jahre 1985 festzustellen, wobei vom Inkrafttreten des Gesetzes Mitte 1984 an keine eklatante Abweichung zu sehen ist.
Auffallend ist, daß in Bayern nach einem Rückgang 1983 die Zahl der Abbrüche wieder angestiegen ist, besonders nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Bundesstiftung (1984 auf 1985 fast 23 %). Ob das Gesetz also seinen Zweck erfüllt, ist bisher nicht festzustellen.
Ich darf die Forderungen der SPD-Fraktion so zusammenfassen: Die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik müssen kinderfreundlicher werden, und die Frauen müssen bessere und besser abgesicherte Lebenschancen erhalten. Dies verlangt nicht nur den Einsatz von Bund, Ländern und Gemeinden, sondern verpflichtet auch Kirchen, Verbände, Arbeitgeber und Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Kräfte zu verstärkten Anstrengungen.
Wenn die Bundesstiftung „Mutter und Kind" dabei helfen soll, müssen die Leistungen umgestaltet werden.
An die Stelle der gegenwärtigen, von der Höhe der jeweils zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel abhängigen und dazu ganz unterschiedlichen Verteilungspraxis muß — insbesondere für jüngere Frauen in schlechten finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnissen — ein gesicherter Anspruch auf finanzielle Hilfe treten. Die Arbeit der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen darf durch die Mittelverteilung nicht länger beeinträchtigt werden.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer (FDP): Die FDP-Fraktion wird der Erhöhung der Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind" zustimmen. Wir wollen alle Anstrengungen unternehmen, um schwangeren Frauen das Ja zu ihrem Kind zu erleichtern. Deshalb ist es ganz selbstverständlich, daß materielle Sorgen nicht der Grund für eine Abtreibung sein dürfen. Niemand kann bestreiten können, daß hier in den letzten Jahren eine Menge getan wurde. Der Vorwurf des Abbaus von Familienleistungen ist völlig unberechtigt. Allein in diesem Jahr sind die Familienleistungen um 10 Milliarden DM gestiegen. Statt von Sozialabbau zu reden, sollte die SPD ihren Kanzlerkandidaten endlich dazu bringen, durch eine Landesstiftung einen eigenen Beitrag für in Not geratene schwangere Frauen zu leisten. Andere Bundesländer haben das getan. Nordrhein-Westfalen läßt die Familien und Frauen in dieser speziellen Konfliktsituation allein. Das ist im Gegensatz zu dem Gerede vom Sozialabbau eine Tatsache.
Niemand will bestreiten, daß auch die beste Familienpolitik und die beste Sozialpolitik nicht werden verhindern können, daß schwangere Frauen in eine materielle Notlage geraten können. Deshalb haben wir die Stiftung „Mutter und Kind" gegründet. Damit wurde eine Lücke geschlossen. Wir haben eine Ergänzung zur Fürsorgeleistung der Sozialhilfe geschaffen. Fast 37 000 Frauen haben 1984 und 1985 die auf das individuelle Problem zugeschnittenen unbürokratischen Hilfen der Stiftung erhalten.
Damit wird der § 218 in der geltenden Fassung nicht in Frage gestellt. Und das ist gut. Wir begrüßen außerdem, daß durch höchstrichterliche Entscheidung die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu Lasten der Krankenkassen für rechtmäßig erklärt worden ist. Wir werden am § 218 auch in Zukunft festhalten. Dies darf aber nicht als Alibi dafür benutzt werden, daß die Notsituation ungewollt schwangerer Frauen weiter nicht zur Kenntnis genommen wird. In den wenigsten Fällen sind es doch materielle Sorgen, weswegen Frauen sich letztlich für eine Abtreibung entscheiden. Die Not ungewollt schwangerer Frauen ist nicht durch Geld allein zu beheben.
Deshalb ist es wichtig, ungewollte Schwangerschaften möglichst zu vermeiden. Es muß uns alarmieren, wenn in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg der Sexualkunde-Unterricht an den Grundschulen gekürzt oder ganz vom Lehrplan gestrichen wird. Sexualkunde-Unterricht ist auch bei vielen Lehrern unbeliebt, weil sie darauf an den Universitäten schlecht vorbereitet werden. Die Eltern erwarten aber Unterstützung von der Sexualkunde-Aufklärung an der Schule. Dies ist ein Dilemma, das unbestritten zu vielen ungewollten Schwangerschaften bei ganz jungen Frauen führt. Die Bundesrepublik Deutschland liegt mit der Zahl der Abtreibungen bei jungen Frauen unter 20, die zwei bis drei Prozent der gemeldeten Abbrüche ausmachen, viel höher als z. B. Holland, wo ein vorbildlicher Sexualkunde-Unterricht durchgeführt wird. Ich fordere die Frauenministerin auf, sich dieses Problems anzunehmen. Dabei geht es nicht darum, zu wissen, welche Verhütungsmittel es gibt, sondern darum, daß junge Menschen lernen, mit ihrer Sexualität umzugehen und dabei sich ausreichend zu schützen. Es ist verständlich, daß Konservative sich auf diesem Feld schwertun. Aber eine humane Gesellschaft muß hier ihre Verpflichtung sehen: Vorbeugen hat auch hier Vorrang vor allen anderen Formen der Konfliktlösung.
Die Achtung vor dem Leben darf sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen und ist auch nicht durch strafrechtliche Drohungen zu erzwingen. Deshalb sind Schwangerschaftskonflikte weder durch Geld noch durch das Strafrecht allein zu lösen. Die FDP steht zu dem Kompromiß, der bei der Verabschiedung des reformierten § 218 gefunden wurde. Aber uns ist auch klar: Die ethisch-moralische Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch liegt allein bei den betroffenen Frauen. Sie dürfen wir mit ihren Problemen nicht allein lassen.
Frau Wagner (GRÜNE): Es war vorhersehbar, daß wir uns ein weiteres Mal mit der Stiftung „Mutter und Kind" beschäftigen müssen. Die Notwendigkeit der Mittelerhöhung zeigt aber nicht, Herr Schlottmann, daß sich die Stiftung weiter im Aufwind befindet. Sie zeigt, daß es den hilfesuchenden Frauen finanziell so schlecht geht, daß sie nach jedem Strohhalm greifen. Sie konstatieren einfach, daß
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 18103*
die Stiftung von so vielen Frauen angenommen wird. Sie tun dies aber ohne zu fragen, warum dies so ist. Ich will es Ihnen sagen: Weil die Frauen das Geld so dringend brauchen, daß sie sich auch von Ihnen zur Bittstellerin degradieren lassen.
Daß die Stiftungsgelder so gefragt sind, sagt also doch lediglich etwas über die Armut der Frauen aus. Hierzu höre ich aber kein Wort von Ihnen. Die Frauen, die in die Beratungsstellen kommen, brauchen dringend das Geld. Zur Fortsetzung der Schwangerschaft haben sie sich allerdings ohnehin schon entschieden.
Und was ist mit den Frauen, die in die Beratungsstellen kommen, weil sie in einem Konflikt stehen und beraten werden wollen oder müssen? Diese Beratung kommt allerdings, seit es die Stiftung gibt, zu kurz. Durch den zusätzlichen Personalbedarf für die Stiftungsgeldervergabe der nicht durch Stiftungsmittel gedeckt wird, werden die Beratungsstellen von ihren eigentlichen und wesentlichen Aufgaben abgehalten. Daß Sie dies in Kauf nehmen, legt ein Zeugnis darüber ab, daß Sie die konkreten Notlagen der Frauen nicht kennen oder nicht ernst nehmen. Statt dessen versuchen Sie, Druck auf die Frauen auszuüben und Einfluß zu nehmen auf die Beratungsstellen und die Beratungskonzepte. Dies versuchen Sie durch einschränkende Verwaltungsvorschriften für die Beratungsstellen, wie es in unionsregierten Ländern schon geschehen ist.
Die Stiftung als Teil ihrer Familienpolitik zu bezeichnen und zu behaupten, das würde die Kinder-und Familienfreundlichkeit der Regierung unter Beweis stellen, ist der größte Witz, den ich in diesem Zusammenhang gehört habe. Wenn dann auch noch gleich in einem Rundumschlag die GRÜNEN als Kinder- und familienfeindlich bezeichnet werden, weil sie diese Stiftung ablehnen, und gleichzeitig ein Hinweis auf unser Programm erfolgt, so zeigt dies entweder eine totale Unkenntnis unseres Programms und der dahinter stehenden politischen Intentionen oder ist eine bewußte Falschaussage. Richtig ist, daß die GRÜNEN andere Vorstellungen davon haben, welche Möglichkeiten des Zusammenlebens eine Regierung ihren Bürgern als Vorbild darstellen sollte, und auch davon, welches Idealbild subventioniert werden sollte. Die Entscheidung über ihre Lebensweise möchten die GRÜNEN nämlich den Bürgern selber überlassen und keine bestimmte Lebensform subventionieren. Bei der Kinderbetreuung gilt für die GRÜNEN, daß sie diese als gesellschaftlich notwendige Arbeit ansehen und deshalb auch ausreichend finanziert wissen wollen. Ebenso sollte bedarfsdeckendes Kindergeld bezahlt werden.
Aber fragen wir doch einmal nach der Kinder- und Familienfreundlichkeit der Stiftung. Was ist denn an Ihrer Stiftung so familienfreundlich, wenn dadurch die Frauen zu Bittstellerinnen degradiert werden? Was ist an einer Stiftung kinderfreundlich, wenn Frauen durch eine Einmalzahlung ohne Rechtsanspruch zur Fortsetzung einer Schwangerschaft gebracht werden sollen? Durch diese Einmalzahlung erhalten die Frauen eine kurzfristige finanzielle Verbesserung. Wie diese Frauen dann die restlichen 15 Jahre mit den Kindern finanziell klarkommen sollen, sagen sie nicht. Was ist an der Stiftung familienfreundlich, wenn Sie der anhaltenden Armut alleinerziehender Frauen nicht wirkungsvoll entgegentreten und dazu auch nicht die geringsten Ansätze zeigen? Die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, ist grundsätzlicher Art. Sie verändert das Leben von Frauen und Männern nachhaltig. Deshalb sind auch gesellschaftspolitische Lösungen notwendig. Zu denen sind sie allerdings nicht bereit.
Wir sind nicht bereit, bei Ihrer Almosenvergabe mitzumachen, und lehnen die Stiftung entschieden ab.
Müller (Düsseldorf) (SPD): Es ist gut, wenn wir hier im Parlament keinen künstlichen Streit darüber führen, wem ungeborenes Leben und der Schutz hierfür mehr wert ist. Es steht außer Frage, daß dem werdenden Leben grundsätzlich der gleiche Schutz wie dem vollendeten Leben zukommen muß. Und es steht auch für uns außer Frage, daß die sozialen Bedingungen so verbessert werden müssen, daß sich die Frauen in Konfliktsituationen zugunsten der Fortsetzung einer Schwangerschaft entscheiden.
Dazu halten wir allerdings einmalige Geburtenprämien aus Stiftungsmitteln zur Lösung von Schwangerschaftskonflikten für ungeeignet. Die überbürokratische Vergabepraxis ohne Rechtsanspruch der Bundesstiftung „Mutter und Kind" ist keine Lösung. Wir werden uns zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Erhöhung der Stiftungsmittel auf 80 Millionen DM der Stimme enthalten. Diese Stiftung bleibt für uns ein völlig ungeeigneter Weg und zudem ein unzureichendes Trostpflästerchen für den schlimmen Sozialabbau, der seit einigen Jahren von Ihnen vorgenommen wird.
Worum wir uns aber im Zusammenhang mit der Bundesstiftung „Mutter und Kind" streiten müssen, sind zweifellos unterschiedliche gesellschaftspolitische Konzepte, ein unterschiedliches Verständnis von Solidarität und unterschiedliche Auffassungen über die Verantwortung und die Aufgaben des Sozialstaates.
Unsere kritische Position wird vor allem dadurch bestätigt, daß die bisherigen Erfahrungen der Bundesstiftung sehr problematisch zu bewerten sind. Dies wird insbesondere dokumentiert durch die Antwort der Bundesregierung auf unsere diesbezügliche Große Anfrage.
Ich will aber hier nicht auf die krassen Unterschiede in der Vergabe der Stiftungsmittel, die Vorwürfe der Beratungsstellen, daß das Gesetz schludrig formuliert und die Richtlinien noch schlechter seien, die eklatanten Aufgabenverschiebungen bei den Beratungsstellen durch die Stiftungsarbeit zu Lasten der präventiven Arbeit, insbesondere der Ehe- und Familienberatung, und die zum Teil äußerst vernichtende Kritik derjenigen eingehen, die in der Praxis mit der Bundesstiftung befaßt sind.
18104* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986
Wir verkennen auch nicht, daß durch die Mittelzuweisungen im Einzelfall Individual-Notlagen gemildert worden sind. Dennoch kann man dies nicht generell sagen. In Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise von 1984 auf 1985 die Schwangerschaftsabbrüche um rund 10 % zurückgegangen. Sie von der Union greifen das Land an, weil es keine eigene Landesstiftung „Mutter und Kind" eingerichtet hat. Bayern, das eine solche Stiftung hat, ist mit einer Zunahme der Schwangerschaftsabbrüche von rund 23 % ausgewiesen. Doch ich will mich nicht an diesen Zahlen festhalten. Entscheidender scheint mir zu sein, daß Nordrhein-Westfalen 231 anerkannte Beratungsstellen mit 70%iger Landesförderung hat, während dies in CDU-regierten Ländern wesentlich schlechter aussieht: In Bayern sind es nur 31 Beratungsstellen mit 50 % Förderungszuschuß, in Niedersachsen 60 mit einem Förderungszuschuß von unter 50% und in Baden-Württemberg 124, wobei diese Einrichtungen nur zu 23 % von der öffentlichen Hand finanziert werden.
Insgesamt muß festgestellt werden, daß das mit großem propagandistischen Aufwand begleitete Einrichtungsverfahren der Bundesstiftung zwar zum Teil hohe Erwartungen geweckt hat, die in der Praxis aber nicht eingehalten werden, und letztlich nur der Ablenkung von gravierenden sozialen Verschlechterungen dient.
Folgende alarmierende Fakten machen für uns deutlich, daß Ihr politischer Ansatz falsch ist:
Die Beratungsstellen bestätigen uns, daß sich die soziale Situation vieler Frauen und Familien in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat: Nahezu die Hälfte der antragstellenden Frauen war arbeitslos oder hatte einen arbeitslosen Partner. Jede zweite werdende Mutter bekam Sozial- oder Unterhaltsleistungen aller Art. Rund ein Drittel der antragstellenden Frauen war alleinstehend.
Das Bundesinstitut ist für uns kein geeignetes Instrument, psychosoziale Notlagen zu verhindern. Dies belegt auch die Sozialstruktur der Antragstellerinnen: Es sind Frauen, denen vornehmlich Arbeits- und Verdienstchancen fehlen.
Das bedeutet: Ihr hohes Lied der angeblichen großen familienpolitischen Leistungen stimmt mit der sozialen Wirklichkeit nicht überein. Das gilt auch für das von Ihnen als Großtat bezeichnete Zehn-Milliarden-Steuerpaket. Die Arbeiterkammer Bremen hat es beispielsweise durchgerechnet und diese Ausgaben dem Sozialabbau gegenübergestellt. Lediglich zwischen 500 und 750 Millionen DM springen an tatsächlichen Mehrleistungen heraus. Dies wird mit einer strukturellen Komponente begleitet, die sich faktisch als Umverteilung zu Lasten sozial schwächerer Einkommensgruppen auswirkt.
Die Massenarbeitslosigkeit und der Sozialabbau in der Bundesrepublik haben die soziale Wirklichkeit verändert. Statt durch Reformen den Wohlfahrtsstaat zu sichern, betreiben Sie eine Politik der Demontage. Dazu gehört die Kürzung der Ausbildungsförderung ebenso wie die Reduzierung des Arbeitslosen-Geldes und die Verschlechterung von Wohngeld und Sozialhilfe.
Unser Vorwurf ist, daß Sie Kürzungen keinesfalls nur in Randbereichen unseres Sozialsystems vorgenommen haben, sondern die Sozialpolitik im Kern demontieren. Und dies gilt auch für die Frauenpolitik. Sie betreiben einen „konservativen Feminismus", der kulturelle Veränderungen ausnutzt zu einer Politik der veränderten Mängelverteilung zwischen Frau und Mann statt zur Beseitigung der Ursachen.
Wir Sozialdemokraten verkennen nicht, daß Reformen im Sozialsystem notwendig sind. Dies macht allein die Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen dringend erforderlich. Wir verkennen auch nicht, daß gerade die gesellschaftlichen Großorganisationen ein zum Teil negativ zu bewertendes Eigenleben entwickelt haben und zur Bürokratisierung und Hierarchisierung neigen. Unsere Antwort kann aber nicht der Abbau des Sozialstaates und die Beseitigung kollektiver Rechtsansprüche sein, sondern muß auf eine Weiterentwicklung des Sozialstaates durch eine Reformpolitik und Demokratisierung ausgerichtet sein. In den kollektiven Sicherungssystemen liegt tatsächlich die Voraussetzung für Wahlfreiheit und Entfaltung der Individualität.
Wir machen deshalb die Spaltung in Individualität und kollektive Sicherung, die von Ihnen immer wieder als Vorwand benutzt wird, nicht mit. Im Gegenteil lautet die geschichtliche Erfahrung, daß persönliche Freiheit, soziale Sicherheit und gesellschaftliche Verantwortung nur dann zu erreichen sind, wenn eine gesellschaftliche Solidarität vorhanden ist und die Sozialsysteme eine ausreichende Grundlage für die Entfaltung der Persönlichkeit schaffen.
Deshalb kann eine Hilfe für in Not geratene Frauen nicht heißen, ihnen eine einmalige durchschnittliche Prämie von 2 300 DM zu zahlen, sondern die sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen für die Frauen müssen insgesamt verbessert werden. Dies aber wird durch Ihren Ansatz nicht erreicht. Deshalb werden wir uns nicht auf Nebenkriegsschauplätze einlassen, sondern uns mit der dahinterstehenden Ideologie der Verkleisterung des Sozialabbaus und der restaurativen Sozialpolitik auseinandersetzen.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet Regierung und Gesetzgeber, wirksame Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens zu ergreifen. In seinem Urteil vom 25. Februar 1975 hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, daß es dabei nicht nur um einen ausreichenden Rechtsschutz des ungeborenen Kindes geht. Darüber hinaus muß im Bereich von Beratung und Hilfe das dem Staat Mögliche getan werden. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die es einer werdenden Mutter erleichtern, ihrer Verantwortung für ihr Kind gerecht werden zu können: „Es ist ... Aufgabe des Staates, in erster Linie sozialpolitische und fürsorgerische Mittel zur Sicherung des werdenden Lebens einzusetzen."
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 18105*
Im Grundsatz ist diese Auffassung auch von der damaligen Regierungskoalition vertreten worden. In einem Entschließungsantrag haben die Fraktionen der SPD und FDP schon 1974 zum Ausdruck gebracht, daß der Staat insbesondere verpflichtet ist, werdenden Müttern und Familien ausreichend Hilfe zu gewähren. Wörtlich heißt es in dieser Resolution:
Der Deutsche Bundestag nimmt sich in die Pflicht, weiter auf kinderfreundliche und kindgemäße soziale Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland hinzuarbeiten. Er appelliert an die Länder, Gemeinden, Kirchen, Verbände, freien Gruppen und alle Bürger, für den raschen Aufbau der Beratungsstellen Sorge zu tragen und — die Sozial- und Familiengesetzgebung ergänzend — Schwangeren, Müttern und Kindern zu helfen.
So weit die Absichtserklärung. Taten sind dieser Erklärung bis 1982 nicht in ausreichendem Maße gefolgt. Das gilt insbesondere für gezielte Hilfen, durch die es werdenden Müttern in Not erleichtert wird, auch dann eine Entscheidung für ihr Kind treffen zu können, wenn die allgemeinen Leistungen der Familienpolitik für die Bewältigung ihrer konkreten Notsituation nicht ausreichen.
Diese Lücke im Hilfsangebot für werdende Mütter in Not hat erst die 1984 errichtete Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" geschlossen. Wie wichtig dieses Hilfsangebot ist, zeigt schon diE Tatsache, daß bis zum 31. August 1986 mehr als 60 000 Frauen sich an die Beratungsstellen gewandt haben, um eine Zuwendung aus Mitteln der Stiftung zu erhalten. Gerade in den letzten Monaten hat sich gezeigt, daß immer mehr Frauen, die von der Stiftung erfahren, diese als wichtige Hilfe zur Erleichterung ihrer Situation ansehen. So ist die Zahl der Anträge gegenüber 1985 in Hessen um 70 % und in Nordrhein-Westfalen um 56% angestiegen. Auch Bremen und Hamburg melden einen Zugang der Antragstellerinnen um mehr als 50 %.
Diese Zahlen zeigen nicht nur, daß die Stiftung von den betroffenen Frauen als willkommene Hilfe erfahren wird, sondern auch, daß es gerade in den genannten Ländern an eigenen Landesleistungen für werdende Mütter in Not fehlt. Während in den CDU/CSU-regierten Ländern eigene Landesstiftungen „Familie in Not" eine wirksame Ergänzung der Leistungen der Bundesstiftung darstellen, verweigern sich die SPD-regierten Länder nach wie vor, auch ihrerseits die notwendigen Hilfen für schwangere Frauen in Not bereitzustellen. Statt die Erfahrungen aus der Praxis der Beratungsstellen zu akzeptieren und auch in diesen Ländern auf konkreten Hilfsbedarf mit entsprechenden Hilfen zu reagieren, wird auf dem Rücken der betroffenen Frauen weiterhin eine ideologische Auseinandersetzung um die Bundesstiftung geführt. Wie lange wollen sie es noch verantworten, daß entgegen ihren Worten Taten der Hilfe verweigert werden. Sosehr ich verstehen kann, daß man über andere Instrumente der ausreichenden Förderung von werdenden Müttern in schwierigen Lebenssituationen diskutiert, so wenig verstehe ich, daß dann bis heute in allen SPD-regierten Ländern keine einzige zusätzliche Hilfe, die man als Alternative zum Angebot der Stiftungsleistungen ansehen könnte, vorgeschlagen, geschweige denn verwirklicht worden ist.
Die Verweigerung dieser Länder erstreckt sich im übrigen nicht nur auf das Angebot zusätzlicher Hilfen. Sie drückt sich auch in einer nicht ausreichenden Unterstützung der anerkannten Beratungsstellen aus. Gerade in den Ländern ohne Landesstiftung haben die Träger der Beratungsstellen und die Beraterinnen zusätzliche Belastungen auf sich genommen, um das jetzt zur Verfügung stehende Geld der jeweiligen Bedarfssituation der betroffenen Frauen entsprechend weiterzugeben. Wie Sie wissen, sind die Länder für die Ausstattung der Beratungsstellen gesetzlich zuständig. Deshalb hätte man erwarten können, daß wenigstens diese zusätzliche Belastung der Beratungsstellen durch eine großzügige Ausweitung der Förderung dieser Stellen ein wenig gemildert worden wäre. Aber auch hier ist nichts geschehen. So bleibt mir nur, an dieser Stelle den Beraterinnen und den Trägern der Beratungsstellen, die sich im Interesse schwangerer Frauen in Not um eine adäquate Hilfe unter schwierigen Bedingungen bemüht haben, nachdrücklich zu danken. Ich frage den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Rau, wie er diese Politik seiner Partei, die ich als Unbarmherzigkeit gegenüber Menschen in Not ansehe, mit den von ihm im Wahlkampf verkündeten Zielsetzungen in Einklang bringen will.
Ich danke den Fraktionen von CDU/CSU und FDP für ihren Antrag auf Erhöhung der Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" von 1986 bis 1988 um jährlich 20 Millionen DM. Gerade in Nordrhein-Westfalen standen ja bereits im vergangenen Monat für Hilfen, die noch in diesem Jahr zu zahlen waren, keine Mittel mehr zur Verfügung. Ich begrüße es, daß es nunmehr möglich sein wird, allen, die auf Hilfe angewiesen sind, diese Hilfe auch noch in diesem Jahr zur Verfügung zu stellen.
Es ist im übrigen nicht so, wie manche zu unterstellen versuchen, daß die Stiftung die einzige Verbesserung für die Situation von schwangeren Frauen und Familien ist. Bei allen Gesprächen, die ich mit Betroffenen führe, wird deutlich: auch die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht, die Einführung des Erziehungsgeldes und insbesondere auch des Erziehungsurlaubs mit Kündigungsschutz werden als eine wesentliche Verbesserung der Entscheidungssituation von Müttern für ihre Kinder angesehen. Auch die Kritiker unserer Politik sollten deshalb endlich zur Kenntnis nehmen: die Nichtanrechnung des Erziehungsgeldes und der Hilfen der Bundesstiftung auf die Sozialhilfe sind ein Durchbruch für die Frauen und Familien, die bisher ausschließlich mit der Sozialhilfe zurechtkommen mußten.
Zu den Hinweisen, daß es nicht nur darum gehen kann, Geld zur Verfügung zu stellen, verweise ich auf zahlreiche Modellprojekte dieser Bundesregierung. Wir haben die Broschüre „Das Leben vor der
18106* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986
Geburt" herausgegeben und damit einen wesentlichen Beitrag zu einem sensibleren Umgang mit dem vorgeburtlichen Leben des Kindes geleistet.
Darüber hinaus werden Maßnahmen der Familienplanung nicht weniger gefördert als von der früheren Bundesregierung. Die Träger der Beratung sollen durch Modellprojekte verstärkt in die Lage versetzt werden, ihrer schwierigen Aufgabe noch besser als schon heute gerecht werden zu können.
In diesem Zusammenhang sind alle Bemühungen der Bundesregierung um eine größere Vereinbarkeit von Kindererziehung und außerhäuslicher Erwerbstätigkeit und ein verbessertes Angebot um ergänzende Angebote der frühkindlichen Erziehung zu nennen. Wir haben dabei auch die Selbsthilfe von Eltern und Familien verstärkt in den Blick genommen und versuchen, in Modellen Möglichkeiten und Grenzen dieser Form nachbarschaftlicher und solidarischer Hilfe weiter auszuloten.
Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung sehr wohl weiß, daß eine umfassende Familienpolitik in allen Bereichen eine wichtige Voraussetzung für den Schutz des ungeborenen Lebens ist. Deshalb werden wir in der nächsten Legislaturperiode die Leistungen des Familienlastenausgleichs weiter verbessern, mit dem Kinderfreibetrag auch den Kindergeldzuschlag weiter erhöhen, das Kindergeld für kinderreiche Familien anheben und die Leistungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes weiter ausbauen. Ich hoffe, daß auch die Bundesländer, die bisher abseits stehen, endlich erkennen: Politik für Kinder ist Politik für die Zukunft unseres Landes, und sich nicht länger weigern, die Maßnahmen des Bundes wirksam zu ergänzen und durch Ausbau der Infrastruktur wirkungsvoll zu unterstützen.