Protokoll:
10233

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 233

  • date_rangeDatum: 26. September 1986

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 08:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 11:50 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/233 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 233. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. September 1986 Inhalt: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur geplanten Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Cattenom (Frankreich) Tatge GRÜNE 18057 A Müller (Wadern) CDU/CSU 18058 B Schreiner SPD 18059 B Baum FDP 18060 C Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 18061C, 18072 D Dr. Wallmann, Bundesminister BMU . . 18063 A Vosen SPD 18065 C Schartz (Trier) CDU/CSU 18066 B Dr. Töpfer, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 18067 C Reimann SPD 18069 C Dr. Laufs CDU/CSU 18070 C Dr. Rumpf FDP 18071 C Engelsberger CDU/CSU 18074 C Brück SPD 18076A Schulte (Menden) GRÜNE 18077 A Schmidbauer CDU/CSU 18077 D Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste — Drucksache 10/6011 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste — Drucksache 10/6045 — Bohl CDU/CSU 18079 B Esters SPD 18080 A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 18080 D Suhr GRÜNE 18081 B Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste — Drucksache 10/6012 — in Verbindung mit Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste — Drucksache 10/6046 — 18082 A Ergebnis 18086 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Vahlberg, Schmidt (München), Dr. Schöfberger, Amling, Bamberg, Büchler (Hof), Gerstl (Passau), Dr. Glotz, Dr. Haack, Haase (Fürth), Kißlinger, Kolbow, Lambinus, Lutz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller (Schweinfurt), Porzner, Reuter, Frau Schmidt (Nürnberg), Sieler, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Stiegler, Verheugen, Wolfram (Recklinghausen), Weinhofer, Dr. Wernitz, II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 Wimmer (Neuötting), Dr. de With, Dr. Hauff, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Ökologische und ökonomische Situation im deutschen Alpenraum — Drucksache 10/5872 — Vahlberg SPD 18082 D Engelsberger CDU/CSU 18084 A Schulte (blenden) GRÜNE 18085 C Paintner FDP 18087 A Bamberg SPD 18088 B Frau Geiger CDU/CSU 18090 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 8. Juli 1985 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Verringerung von Schwefelemissionen oder ihres grenzüberschreitenden Flusses um mindestens 30 vom Hundert — Drucksache 10/5387 — Schmidbauer CDU/CSU 18092 C Lennartz SPD 18094 B Dr. Hirsch FDP 18096 B Schulte (Menden) GRÜNE 18097 A Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" — Drucksache 10/6040 — 18098 A Nächste Sitzung 18098 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 18099* A Anlage 2 Amtliche Mitteilung 18099* D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatzpunkt 8 der Tagesordnung (Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens") (Schlottmann [CDU/CSU], Frau Weyel [SPD], Frau Dr. Adam-Schwaetzer [FDP], Frau Wagner [GRÜNE], Müller [Düsseldorf] [SPD], Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit) . . . 18100* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 18057 233. Sitzung Bonn, den 26. September 1986 Beginn: 8.01 Uhr
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    *) Anlage 3 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 26. 9. Amling 26. 9. Antretter * 26. 9. Dr. Apel 26. 9. Bastian 26. 9. Berger * 26. 9. Böhm (Melsungen) * 26. 9. Boroffka 26. 9. Buckpesch 26. 9. Büchner (Speyer) * 26. 9. Carstensen (Nordstrand) 26. 9. Curdt 26. 9. Frau Dempwolf 26. 9. Dr. Ehrenberg 26. 9. Frau Eid 26. 9. Eigen 26. 9. Dr. Enders * 26. 9. Frau Fischer * 26. 9. Fischer (Bad Hersfeld) 26. 9. Franke (Hannover) 26. 9. Dr. Friedmann 26. 9. Frau Fuchs (Verl) 26. 9. Ganz (St. Wendel) 26. 9. Genscher 26. 9. Glos * 26. 9. Dr. Götz 26. 9. Grünbeck 26. 9. Grunenberg 26. 9. Dr. Haack 26. 9. Haase (Fürth) * 26. 9. Dr. Häfele 26. 9. Handlos 26. 9. Hanz (Dahlen) 26. 9. Dr. Hennig 26. 9. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 26. 9. Frau Hönes 26. 9. Hoffie 26. 9. Dr. Hupka 26. 9. Ibrügger 26. 9. Jäger (Wangen) * 26. 9. Jungmann 26. 9. Kalisch 26. 9. Frau Kelly 26. 9. Kiechle 26. 9. Kittelmann * 26. 9. Dr. Klejdzinski * 26. 9. Dr. Köhler (Duisburg) 26. 9. Dr. Köhler (Wolfsburg) 26. 9. Dr. Kreile 26. 9. Kroll-Schlüter 26. 9. Dr. Laermann 26. 9. Lemmrich * 26. 9. Lenzer * 26. 9. Lowack 26. 9. Dr. Müller * 26. 9. Nagel 26. 9. Neumann (Bramsche) * 26. 9. Frau Pack * 26. 9. Porzner 26. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Rapp (Göppingen) 26. 9. Rappe (Hildesheim) 26. 9. Reddemann * 26. 9. Regenspurger 26. 9. Reuschenbach 26. 9. Dr. Riedl (München) 26. 9. Rode (Wietzen) 26. 9. Roth (Gießen) 26. 9. Rühe 26. 9. Dr. Rumpf * 26. 9. Sauter (Ichenhausen) 26. 9. Scharrenbroich 26. 9. Dr. Scheer * 26. 9. Schmidt (Hamburg) 26. 9. Schmidt (München) * 26. 9. von Schmude 26. 9. Schröer (Mülheim) 26. 9. Schulte (Unna) * 26. 9. Frau Dr. Segall 26. 9. Dr. Soell * 26. 9. Dr. Solms 26. 9. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 26. 9. Dr. Spöri 26. 9. Dr. Stavenhagen 26. 9. Stobbe 26. 9. Dr. Stoltenberg 26. 9. Frau Dr. Timm 26. 9. Dr. Unland * 26. 9. Voigt (Sonthofen) 26. 9. Dr. Voss 26. 9. Dr. Waigel 26. 9. Dr. Warnke 26. 9. Dr. von Wartenberg 26. 9. Werner (Dierstorf) 26. 9. Wilz 26. 9. Wimmer (Neuss) 26. 9. Wissmann 26. 9. Dr. Wulff * 26. 9. Zierer * 26. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilung Die in Drucksache 10/6065 unter Nummer 3.3 aufgeführte EGVorlage Vorschlag für eine elfte Richtlinie des Rates aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen - KOM (86) 397 endg. - Rats-Dok. Nr. 8741/86 wird als Drucksache 10/6066 verteilt. 18100* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatzpunkt 8 der Tagesordnung (Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens") Schlottmann (CDU/CSU): Die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" hat sich bewährt und überstieg alle bisherigen Erwartungen. 60 000 Frauen und Familien konnten mit Hilfe der Stiftung umfassende Hilfen erfahren — ergänzt durch beachtliche Leistungen der CDU-geführten Bundesländer, CDU-geführten Kommunen, mannigfache Hilfen caritativer Verbände und beispielhafte Unterstützung durch die Bischofsfonds der großen Kirchen. Aus Mitteln der Bundesstiftung konnte 1984 9 925 und 1985 26 974 Frauen wirkungsvoll geholfen werden; in diesem Jahr sind es bislang 23 845 Hilfsleistungen. Wir stellen fest, daß die erfolgreiche Arbeit der Bundesstiftung besonders in Verbindung mit den Beratungsstellen und die damit verbundene zunehmende Bekanntheit in der Bevölkerung dazu geführt hat, daß sich auch 1986 noch mehr schwangere Frauen um Hilfe an die Bundesstiftung gewandt haben. Um die Möglichkeiten der Hilfe auszuweiten, sollen die Mittel, die der Bund der Stiftung zur Verfügung stellt, erhöht werden, und zwar auf jährlich 80 Millionen DM — rückwirkend für 1986 und zunächst bis 1988. Damit bringen wir unsere Bereitschaft zum Ausdruck, den Schutz des ungeborenen Lebens zu verstärken und weiter zu verbessern. Die Bundesstiftung ist in jedem Fall im Rahmen unserer neuen familienpolitischen Gesamtkonzeption zu sehen und zu beurteilen und das insbesondere in Zusammenhang mit der Verbesserung des Familienlastenausgleichs durch die Erhöhung des Kinderfreibetrages, durch die Einführung eines Kindergeldzuschlages für einkommensschwache Familien, durch die Einführung eines Erziehungsgeldes von 600 DM, das nicht auf Sozialhilfeleistungen angerechnet wird, durch die Einführung des Erziehungsurlaubs sowie einer Reihe weiterer Maßnahmen, die insbesondere die Lage der Alleinerziehenden und Eltern verbessert. In Ergänzung zur Bundesstiftung stehen auch die familienpolitischen Leistungen insbesondere der CDU-geführten Bundesländer, vieler Gemeinden im Lande, die beispielhaften Leistungen der Kirchen, Verbände und — was ich betonen möchte — die zahlreichen Hilfsleistungen einzelner Personen und privater Initiativen, wie beispielsweise die mir kürzlich bekanntgewordene Aktion eines Kolping-Verbandes, der in Eigenleistung den Beratungsstellen dringend benötigte Kinderbetten zur Verfügung stellte. Wir begrüßen solche Initiativen, weil sie beredtes Zeugnis zum „Ja" des Lebens sind. Besonders hervorheben möchte ich auch die Leistungen der vielen Beratungsstellen, die mit dem Ziel der Lebenserhaltung den Betroffenen mit großem Engagement zur Seite stehen und die deshalb in besonderem Maße unser aller Unterstützung brauchen. Den Mitarbeitern und Trägern der Beratungsstellen spreche ich im Namen der Unionsfraktion Dank und Anerkennung aus. Die Bundesländer sind aufgefordert, das Netz der Beratungsstellen so zu verdichten, daß Beratungen in erreichbarer Wohnungsnähe, in der Vielfalt der Träger und in guter, fachlicher Weise durchgeführt werden können. Landesstiftungen „Familie in Not" und „Mutter und Kind" müssen die Bundesstiftung ergänzen und damit für eine bessere finanzielle Ausstattung hilfesuchender Frauen sorgen. Beispiel hierzu sind die CDU-regierten Bundesländer, die erfolgreich helfen. Bund, Länder und Kommunen müssen mehr noch als bisher zusammenarbeiten, die SPD-geführten Länder sollten ihren Widerstand aufgeben, so daß so schnell wie möglich ein großes Gesamtkonzept öffentlicher Hilfen zum Schutz des ungeborenen Lebens entsteht. Es gibt schon viele Kommunen, die weit über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus die Familien und die familienfördernde Arbeit caritativer Verbände unterstützen und Sondermittel zum Schutz des Lebens bereitgestellt haben. Von den Kinderkrippen, Kindergärten bis zu den Sozialstationen können entscheidende Beiträge für eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft geleistet werden. Wir verurteilen aber auch die Versuche von Sozialämtern, die Frauen zur Schonung städtischer Mittel an die Bundesstiftung zu verweisen oder, was noch schlimmer ist, die Mittel der Bundesstiftung auf die Sozialhilfe anzurechnen. Insgesamt gesehen, entsteht immer deutlicher der Eindruck, daß unsere Gesellschaft in den letzten Jahren wieder kinder- und familienfreundlicher geworden ist. Dazu hat unsere Familienpolitik entscheidend beigetragen. Die SPD lehnt unsere Hilfen ab. So verweigert sie nach wie vor die Bundesstiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens. Sie verhindert in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg entsprechende Landesstiftungen sowie fortschrittliche, zukunftsbezogene Maßnahmen für die Familien. Kanzlerkandidat Rau muß sich an diesem Verhalten seiner Partei und an seiner Familienpolitik in NRW messen lassen. Hier verweigert er seit Jahren die Landesstiftung „Familie in Not" und unterläßt auch als Landesvorsitzender Aufforderungen an die Ratsfraktionen seiner Partei, Hilfsfonds zu unterstützen. Seine Familienpolitik — und das ist mittlerweile bekannt — zeichnete sich bisher durch leere Worte, schlimmer noch durch Mittelkürzungen im Bereich seiner Jugend-, Familien- und Altenpolitik aus. In seinem in diesen Tagen veröffentlichten Regierungsprogramm ist diese Haltung ebenfalls erkennbar. Dieses Regierungsprogramm Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 18101* enthält im Hinblick auf den Schutz des ungeborenen Lebens nicht eine einzige konkrete Maßnahme. Der dort niedergeschriebene Satz ,Hilfe statt Strafe' muß deshalb als rhetorische Floskel ohne besondere Bedeutung und nur auf den Wahltag bezogen gewertet werden. Frauen in dieser Notsituation ist aber mit leeren Versprechungen und Wahlkampfparolen nicht geholfen. Hier zählen das Ja zur Familie, das Ja zum Kind und eine Familienpolitik insgesamt, die Kinderwünsche der Eltern ebenso erfüllbar macht wie sie in notgeratenen Frauen tatkräftige Hilfen anbietet. Unsere Familienpolitik ist wirklichkeitsnah und zukunftsbezogen. In ihrer Bilanz, das zeigt die Bundesstiftung, ist sie erfolgreich. Frau Weyel (SPD): Die Abgeordneten dieses Bundestages sind in ihrer großen Mehrheit darin einig, daß das ungeborene menschliche Leben nach Kräften zu schützen ist. Wir wollen uns mit der zu hohen Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht abfinden und fühlen uns verpflichtet, Frauen in Konfliktsituationen zu helfen, die nicht nur bei ungewollter Schwangerschaft entstehen können, sondern auch in Situationen der Gefährdung wie dem Unfall von Tschernobyl. Der Schutz des ungeborenen Lebens soll durch Hilfe für werdende Mütter in Notlagen verbessert werden, um ihnen die Fortsetzung der Schwangerschaft zu erleichtern. Die Koalition behauptet im vorliegenden Änderungsentwurf, dies könne durch Aufstockung der Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind" von jährlich 60 Millionen DM auf 80 Millionen DM bewirkt werden. Die SPD-Fraktion unterstreicht die Annahme, daß Schwangerschaftsunterbrechungen verhindert werden können durch wirkungsvolle Maßnahmen gegen Notlagensituationen von Frauen, die ein Kind erwarten. Wir sehen eine Beseitigung der Notlage aber nicht in einmaligen oder wiederholten materiellen Leistungen im Zusammenhang mit der Geburt. Nach wie vor vertreten wir die Auffassung, daß die langfristigen Aussichten für die Zeit, in der das Kind die Fürsorge der Mutter beansprucht, für deren Entscheidung maßgeblich sind. Dies wurde bereits 1980 von der Kommission zur Auswertung der Erfahrungen mit der Reform des § 218 StGB hervorgehoben. Dazu gehören nicht nur die materiellen Bedingungen zur Zeit der Geburt, sondern die voraussehbaren Chancen der Familie auf 10 bis 20 Jahre sowie die sozialen Beziehungen. Hierbei darf die Rolle und Einstellung des Vaters nicht unterschätzt werden. Die Stiftung „Mutter und Kind" leidet vor allem immer noch unter ihrem „Geburtsfehler" in § 2: „Auf Leistungen auf Grund dieses Gesetzes besteht kein Rechtsanspruch." Damit sind krasse Abweichungen bei der Vergabe der Stiftungsmittel vorprogrammiert, die regional, aber auch innerhalb einer Beratungsstelle sichtbar werden. In einigen Beratungsstellen wird die Bereitschaft zur Hilfe in Notlagen beträchtlich eingeschränkt, wenn die Fristen für einen legalen Schwangerschaftsabbruch abgelaufen sind. Berichte über die bisherigen Erfahrungen ergeben, daß von den Antragstellerinnen fast die Hälfte von eigener Arbeitslosigkeit oder Arbeitslosigkeit des Partners betroffen war, jede zweite Sozial- oder Unterhaltsleistungen anderer Art bezog und etwa ein Drittel alleinstehend war. Es mehren sich aber auch die Fälle von Familien, in denen bereits Kinder leben und die Frauen befürchten, den Anforderungen eines weiteren Kindes nicht gewachsen zu sein. Ebenso spielt die Oberschuldung von Familien durch langfristige Arbeitslosigkeit und manchmal verantwortungslose Kreditvergabe eine Rolle. In allen diesen Fällen kann die kurzfristige Hilfe für Erstausstattung des Kindes, die Weiterführung des Haushalts oder Wohnung und Einrichtung nicht dauerhaft helfen. Die Ursachen für die Notlage müssen beseitigt werden, wenn der Schutz des ungeborenen Kindes ernst gemeint ist. Wo dieses nicht möglich ist, kann das Bundessozialhilfegesetz bei entsprechender Anpassung mit festgelegtem Rechtsanspruch wirkungsvoller und gerechter helfen als die Stiftung. Eindrucksvoll sind Angaben der Deutschen Liga für das Kind zu den familienpolitischen Leistungen in den achtziger Jahren: Bei ca. 5 % Geburtenrückgang von 1981 bis 1985 sind die Ausgaben für das Mutterschutzgesetz um 50 % gesunken. Ausgaben bzw. Steuermindereinnahmen für den Familienlastenausgleich sind von 1981 bis 1985 bis auf 80 % gesunken und erreichen plötzlich 1986 wieder den alten Stand bei ständig steigenden Haushaltsausgaben des Bundes insgesamt. Die Schere bleibt offen. Für die Schwangerschafts-Beratungsstellen, die gleichzeitig die Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind" verteilen, ergibt sich ein weiteres Problem: Ein Teil der Beratungskapazität für die Schwangerschaftsberatung wird durch die Beratung zur Verteilung der Stiftungsmittel und die notwendigen Kontakte zu anderen helfenden Stellen abgezogen, die Beratungsstellen werden zu Hilfsorganen der Sozialämter. Dadurch leiden ursprüngliche und zur Verminderung von Schwangerschaftskonflikten notwendige Aufgaben der präventiven Arbeit, Ehe- und Familienberatung, Sexualpädagogik und -beratung bis zur Wirkungslosigkeit. Die Träger der Verteilung der Bundesmittel werden außerdem durch die Verwaltungskosten belastet, und das beklagen selbst große Einrichtungen wie Caritas und Diakonie. Bei der Beurteilung der Bundesstiftung und ergänzender Einrichtungen der Länder sollte man auch einen Blick in die Statistik werfen, wobei nur die gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche erfaßt 18102* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 werden: Bundesweit ist ein Rückgang von rund 91 000 Abbrüchen im Jahre 1982 auf 83 500 im Jahre 1985 festzustellen, wobei vom Inkrafttreten des Gesetzes Mitte 1984 an keine eklatante Abweichung zu sehen ist. Auffallend ist, daß in Bayern nach einem Rückgang 1983 die Zahl der Abbrüche wieder angestiegen ist, besonders nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Bundesstiftung (1984 auf 1985 fast 23 %). Ob das Gesetz also seinen Zweck erfüllt, ist bisher nicht festzustellen. Ich darf die Forderungen der SPD-Fraktion so zusammenfassen: Die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik müssen kinderfreundlicher werden, und die Frauen müssen bessere und besser abgesicherte Lebenschancen erhalten. Dies verlangt nicht nur den Einsatz von Bund, Ländern und Gemeinden, sondern verpflichtet auch Kirchen, Verbände, Arbeitgeber und Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Kräfte zu verstärkten Anstrengungen. Wenn die Bundesstiftung „Mutter und Kind" dabei helfen soll, müssen die Leistungen umgestaltet werden. An die Stelle der gegenwärtigen, von der Höhe der jeweils zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel abhängigen und dazu ganz unterschiedlichen Verteilungspraxis muß — insbesondere für jüngere Frauen in schlechten finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnissen — ein gesicherter Anspruch auf finanzielle Hilfe treten. Die Arbeit der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen darf durch die Mittelverteilung nicht länger beeinträchtigt werden. Frau Dr. Adam-Schwaetzer (FDP): Die FDP-Fraktion wird der Erhöhung der Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind" zustimmen. Wir wollen alle Anstrengungen unternehmen, um schwangeren Frauen das Ja zu ihrem Kind zu erleichtern. Deshalb ist es ganz selbstverständlich, daß materielle Sorgen nicht der Grund für eine Abtreibung sein dürfen. Niemand kann bestreiten können, daß hier in den letzten Jahren eine Menge getan wurde. Der Vorwurf des Abbaus von Familienleistungen ist völlig unberechtigt. Allein in diesem Jahr sind die Familienleistungen um 10 Milliarden DM gestiegen. Statt von Sozialabbau zu reden, sollte die SPD ihren Kanzlerkandidaten endlich dazu bringen, durch eine Landesstiftung einen eigenen Beitrag für in Not geratene schwangere Frauen zu leisten. Andere Bundesländer haben das getan. Nordrhein-Westfalen läßt die Familien und Frauen in dieser speziellen Konfliktsituation allein. Das ist im Gegensatz zu dem Gerede vom Sozialabbau eine Tatsache. Niemand will bestreiten, daß auch die beste Familienpolitik und die beste Sozialpolitik nicht werden verhindern können, daß schwangere Frauen in eine materielle Notlage geraten können. Deshalb haben wir die Stiftung „Mutter und Kind" gegründet. Damit wurde eine Lücke geschlossen. Wir haben eine Ergänzung zur Fürsorgeleistung der Sozialhilfe geschaffen. Fast 37 000 Frauen haben 1984 und 1985 die auf das individuelle Problem zugeschnittenen unbürokratischen Hilfen der Stiftung erhalten. Damit wird der § 218 in der geltenden Fassung nicht in Frage gestellt. Und das ist gut. Wir begrüßen außerdem, daß durch höchstrichterliche Entscheidung die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu Lasten der Krankenkassen für rechtmäßig erklärt worden ist. Wir werden am § 218 auch in Zukunft festhalten. Dies darf aber nicht als Alibi dafür benutzt werden, daß die Notsituation ungewollt schwangerer Frauen weiter nicht zur Kenntnis genommen wird. In den wenigsten Fällen sind es doch materielle Sorgen, weswegen Frauen sich letztlich für eine Abtreibung entscheiden. Die Not ungewollt schwangerer Frauen ist nicht durch Geld allein zu beheben. Deshalb ist es wichtig, ungewollte Schwangerschaften möglichst zu vermeiden. Es muß uns alarmieren, wenn in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg der Sexualkunde-Unterricht an den Grundschulen gekürzt oder ganz vom Lehrplan gestrichen wird. Sexualkunde-Unterricht ist auch bei vielen Lehrern unbeliebt, weil sie darauf an den Universitäten schlecht vorbereitet werden. Die Eltern erwarten aber Unterstützung von der Sexualkunde-Aufklärung an der Schule. Dies ist ein Dilemma, das unbestritten zu vielen ungewollten Schwangerschaften bei ganz jungen Frauen führt. Die Bundesrepublik Deutschland liegt mit der Zahl der Abtreibungen bei jungen Frauen unter 20, die zwei bis drei Prozent der gemeldeten Abbrüche ausmachen, viel höher als z. B. Holland, wo ein vorbildlicher Sexualkunde-Unterricht durchgeführt wird. Ich fordere die Frauenministerin auf, sich dieses Problems anzunehmen. Dabei geht es nicht darum, zu wissen, welche Verhütungsmittel es gibt, sondern darum, daß junge Menschen lernen, mit ihrer Sexualität umzugehen und dabei sich ausreichend zu schützen. Es ist verständlich, daß Konservative sich auf diesem Feld schwertun. Aber eine humane Gesellschaft muß hier ihre Verpflichtung sehen: Vorbeugen hat auch hier Vorrang vor allen anderen Formen der Konfliktlösung. Die Achtung vor dem Leben darf sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen und ist auch nicht durch strafrechtliche Drohungen zu erzwingen. Deshalb sind Schwangerschaftskonflikte weder durch Geld noch durch das Strafrecht allein zu lösen. Die FDP steht zu dem Kompromiß, der bei der Verabschiedung des reformierten § 218 gefunden wurde. Aber uns ist auch klar: Die ethisch-moralische Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch liegt allein bei den betroffenen Frauen. Sie dürfen wir mit ihren Problemen nicht allein lassen. Frau Wagner (GRÜNE): Es war vorhersehbar, daß wir uns ein weiteres Mal mit der Stiftung „Mutter und Kind" beschäftigen müssen. Die Notwendigkeit der Mittelerhöhung zeigt aber nicht, Herr Schlottmann, daß sich die Stiftung weiter im Aufwind befindet. Sie zeigt, daß es den hilfesuchenden Frauen finanziell so schlecht geht, daß sie nach jedem Strohhalm greifen. Sie konstatieren einfach, daß Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 18103* die Stiftung von so vielen Frauen angenommen wird. Sie tun dies aber ohne zu fragen, warum dies so ist. Ich will es Ihnen sagen: Weil die Frauen das Geld so dringend brauchen, daß sie sich auch von Ihnen zur Bittstellerin degradieren lassen. Daß die Stiftungsgelder so gefragt sind, sagt also doch lediglich etwas über die Armut der Frauen aus. Hierzu höre ich aber kein Wort von Ihnen. Die Frauen, die in die Beratungsstellen kommen, brauchen dringend das Geld. Zur Fortsetzung der Schwangerschaft haben sie sich allerdings ohnehin schon entschieden. Und was ist mit den Frauen, die in die Beratungsstellen kommen, weil sie in einem Konflikt stehen und beraten werden wollen oder müssen? Diese Beratung kommt allerdings, seit es die Stiftung gibt, zu kurz. Durch den zusätzlichen Personalbedarf für die Stiftungsgeldervergabe der nicht durch Stiftungsmittel gedeckt wird, werden die Beratungsstellen von ihren eigentlichen und wesentlichen Aufgaben abgehalten. Daß Sie dies in Kauf nehmen, legt ein Zeugnis darüber ab, daß Sie die konkreten Notlagen der Frauen nicht kennen oder nicht ernst nehmen. Statt dessen versuchen Sie, Druck auf die Frauen auszuüben und Einfluß zu nehmen auf die Beratungsstellen und die Beratungskonzepte. Dies versuchen Sie durch einschränkende Verwaltungsvorschriften für die Beratungsstellen, wie es in unionsregierten Ländern schon geschehen ist. Die Stiftung als Teil ihrer Familienpolitik zu bezeichnen und zu behaupten, das würde die Kinder-und Familienfreundlichkeit der Regierung unter Beweis stellen, ist der größte Witz, den ich in diesem Zusammenhang gehört habe. Wenn dann auch noch gleich in einem Rundumschlag die GRÜNEN als Kinder- und familienfeindlich bezeichnet werden, weil sie diese Stiftung ablehnen, und gleichzeitig ein Hinweis auf unser Programm erfolgt, so zeigt dies entweder eine totale Unkenntnis unseres Programms und der dahinter stehenden politischen Intentionen oder ist eine bewußte Falschaussage. Richtig ist, daß die GRÜNEN andere Vorstellungen davon haben, welche Möglichkeiten des Zusammenlebens eine Regierung ihren Bürgern als Vorbild darstellen sollte, und auch davon, welches Idealbild subventioniert werden sollte. Die Entscheidung über ihre Lebensweise möchten die GRÜNEN nämlich den Bürgern selber überlassen und keine bestimmte Lebensform subventionieren. Bei der Kinderbetreuung gilt für die GRÜNEN, daß sie diese als gesellschaftlich notwendige Arbeit ansehen und deshalb auch ausreichend finanziert wissen wollen. Ebenso sollte bedarfsdeckendes Kindergeld bezahlt werden. Aber fragen wir doch einmal nach der Kinder- und Familienfreundlichkeit der Stiftung. Was ist denn an Ihrer Stiftung so familienfreundlich, wenn dadurch die Frauen zu Bittstellerinnen degradiert werden? Was ist an einer Stiftung kinderfreundlich, wenn Frauen durch eine Einmalzahlung ohne Rechtsanspruch zur Fortsetzung einer Schwangerschaft gebracht werden sollen? Durch diese Einmalzahlung erhalten die Frauen eine kurzfristige finanzielle Verbesserung. Wie diese Frauen dann die restlichen 15 Jahre mit den Kindern finanziell klarkommen sollen, sagen sie nicht. Was ist an der Stiftung familienfreundlich, wenn Sie der anhaltenden Armut alleinerziehender Frauen nicht wirkungsvoll entgegentreten und dazu auch nicht die geringsten Ansätze zeigen? Die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, ist grundsätzlicher Art. Sie verändert das Leben von Frauen und Männern nachhaltig. Deshalb sind auch gesellschaftspolitische Lösungen notwendig. Zu denen sind sie allerdings nicht bereit. Wir sind nicht bereit, bei Ihrer Almosenvergabe mitzumachen, und lehnen die Stiftung entschieden ab. Müller (Düsseldorf) (SPD): Es ist gut, wenn wir hier im Parlament keinen künstlichen Streit darüber führen, wem ungeborenes Leben und der Schutz hierfür mehr wert ist. Es steht außer Frage, daß dem werdenden Leben grundsätzlich der gleiche Schutz wie dem vollendeten Leben zukommen muß. Und es steht auch für uns außer Frage, daß die sozialen Bedingungen so verbessert werden müssen, daß sich die Frauen in Konfliktsituationen zugunsten der Fortsetzung einer Schwangerschaft entscheiden. Dazu halten wir allerdings einmalige Geburtenprämien aus Stiftungsmitteln zur Lösung von Schwangerschaftskonflikten für ungeeignet. Die überbürokratische Vergabepraxis ohne Rechtsanspruch der Bundesstiftung „Mutter und Kind" ist keine Lösung. Wir werden uns zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Erhöhung der Stiftungsmittel auf 80 Millionen DM der Stimme enthalten. Diese Stiftung bleibt für uns ein völlig ungeeigneter Weg und zudem ein unzureichendes Trostpflästerchen für den schlimmen Sozialabbau, der seit einigen Jahren von Ihnen vorgenommen wird. Worum wir uns aber im Zusammenhang mit der Bundesstiftung „Mutter und Kind" streiten müssen, sind zweifellos unterschiedliche gesellschaftspolitische Konzepte, ein unterschiedliches Verständnis von Solidarität und unterschiedliche Auffassungen über die Verantwortung und die Aufgaben des Sozialstaates. Unsere kritische Position wird vor allem dadurch bestätigt, daß die bisherigen Erfahrungen der Bundesstiftung sehr problematisch zu bewerten sind. Dies wird insbesondere dokumentiert durch die Antwort der Bundesregierung auf unsere diesbezügliche Große Anfrage. Ich will aber hier nicht auf die krassen Unterschiede in der Vergabe der Stiftungsmittel, die Vorwürfe der Beratungsstellen, daß das Gesetz schludrig formuliert und die Richtlinien noch schlechter seien, die eklatanten Aufgabenverschiebungen bei den Beratungsstellen durch die Stiftungsarbeit zu Lasten der präventiven Arbeit, insbesondere der Ehe- und Familienberatung, und die zum Teil äußerst vernichtende Kritik derjenigen eingehen, die in der Praxis mit der Bundesstiftung befaßt sind. 18104* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 Wir verkennen auch nicht, daß durch die Mittelzuweisungen im Einzelfall Individual-Notlagen gemildert worden sind. Dennoch kann man dies nicht generell sagen. In Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise von 1984 auf 1985 die Schwangerschaftsabbrüche um rund 10 % zurückgegangen. Sie von der Union greifen das Land an, weil es keine eigene Landesstiftung „Mutter und Kind" eingerichtet hat. Bayern, das eine solche Stiftung hat, ist mit einer Zunahme der Schwangerschaftsabbrüche von rund 23 % ausgewiesen. Doch ich will mich nicht an diesen Zahlen festhalten. Entscheidender scheint mir zu sein, daß Nordrhein-Westfalen 231 anerkannte Beratungsstellen mit 70%iger Landesförderung hat, während dies in CDU-regierten Ländern wesentlich schlechter aussieht: In Bayern sind es nur 31 Beratungsstellen mit 50 % Förderungszuschuß, in Niedersachsen 60 mit einem Förderungszuschuß von unter 50% und in Baden-Württemberg 124, wobei diese Einrichtungen nur zu 23 % von der öffentlichen Hand finanziert werden. Insgesamt muß festgestellt werden, daß das mit großem propagandistischen Aufwand begleitete Einrichtungsverfahren der Bundesstiftung zwar zum Teil hohe Erwartungen geweckt hat, die in der Praxis aber nicht eingehalten werden, und letztlich nur der Ablenkung von gravierenden sozialen Verschlechterungen dient. Folgende alarmierende Fakten machen für uns deutlich, daß Ihr politischer Ansatz falsch ist: Die Beratungsstellen bestätigen uns, daß sich die soziale Situation vieler Frauen und Familien in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat: Nahezu die Hälfte der antragstellenden Frauen war arbeitslos oder hatte einen arbeitslosen Partner. Jede zweite werdende Mutter bekam Sozial- oder Unterhaltsleistungen aller Art. Rund ein Drittel der antragstellenden Frauen war alleinstehend. Das Bundesinstitut ist für uns kein geeignetes Instrument, psychosoziale Notlagen zu verhindern. Dies belegt auch die Sozialstruktur der Antragstellerinnen: Es sind Frauen, denen vornehmlich Arbeits- und Verdienstchancen fehlen. Das bedeutet: Ihr hohes Lied der angeblichen großen familienpolitischen Leistungen stimmt mit der sozialen Wirklichkeit nicht überein. Das gilt auch für das von Ihnen als Großtat bezeichnete Zehn-Milliarden-Steuerpaket. Die Arbeiterkammer Bremen hat es beispielsweise durchgerechnet und diese Ausgaben dem Sozialabbau gegenübergestellt. Lediglich zwischen 500 und 750 Millionen DM springen an tatsächlichen Mehrleistungen heraus. Dies wird mit einer strukturellen Komponente begleitet, die sich faktisch als Umverteilung zu Lasten sozial schwächerer Einkommensgruppen auswirkt. Die Massenarbeitslosigkeit und der Sozialabbau in der Bundesrepublik haben die soziale Wirklichkeit verändert. Statt durch Reformen den Wohlfahrtsstaat zu sichern, betreiben Sie eine Politik der Demontage. Dazu gehört die Kürzung der Ausbildungsförderung ebenso wie die Reduzierung des Arbeitslosen-Geldes und die Verschlechterung von Wohngeld und Sozialhilfe. Unser Vorwurf ist, daß Sie Kürzungen keinesfalls nur in Randbereichen unseres Sozialsystems vorgenommen haben, sondern die Sozialpolitik im Kern demontieren. Und dies gilt auch für die Frauenpolitik. Sie betreiben einen „konservativen Feminismus", der kulturelle Veränderungen ausnutzt zu einer Politik der veränderten Mängelverteilung zwischen Frau und Mann statt zur Beseitigung der Ursachen. Wir Sozialdemokraten verkennen nicht, daß Reformen im Sozialsystem notwendig sind. Dies macht allein die Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen dringend erforderlich. Wir verkennen auch nicht, daß gerade die gesellschaftlichen Großorganisationen ein zum Teil negativ zu bewertendes Eigenleben entwickelt haben und zur Bürokratisierung und Hierarchisierung neigen. Unsere Antwort kann aber nicht der Abbau des Sozialstaates und die Beseitigung kollektiver Rechtsansprüche sein, sondern muß auf eine Weiterentwicklung des Sozialstaates durch eine Reformpolitik und Demokratisierung ausgerichtet sein. In den kollektiven Sicherungssystemen liegt tatsächlich die Voraussetzung für Wahlfreiheit und Entfaltung der Individualität. Wir machen deshalb die Spaltung in Individualität und kollektive Sicherung, die von Ihnen immer wieder als Vorwand benutzt wird, nicht mit. Im Gegenteil lautet die geschichtliche Erfahrung, daß persönliche Freiheit, soziale Sicherheit und gesellschaftliche Verantwortung nur dann zu erreichen sind, wenn eine gesellschaftliche Solidarität vorhanden ist und die Sozialsysteme eine ausreichende Grundlage für die Entfaltung der Persönlichkeit schaffen. Deshalb kann eine Hilfe für in Not geratene Frauen nicht heißen, ihnen eine einmalige durchschnittliche Prämie von 2 300 DM zu zahlen, sondern die sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen für die Frauen müssen insgesamt verbessert werden. Dies aber wird durch Ihren Ansatz nicht erreicht. Deshalb werden wir uns nicht auf Nebenkriegsschauplätze einlassen, sondern uns mit der dahinterstehenden Ideologie der Verkleisterung des Sozialabbaus und der restaurativen Sozialpolitik auseinandersetzen. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet Regierung und Gesetzgeber, wirksame Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens zu ergreifen. In seinem Urteil vom 25. Februar 1975 hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, daß es dabei nicht nur um einen ausreichenden Rechtsschutz des ungeborenen Kindes geht. Darüber hinaus muß im Bereich von Beratung und Hilfe das dem Staat Mögliche getan werden. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die es einer werdenden Mutter erleichtern, ihrer Verantwortung für ihr Kind gerecht werden zu können: „Es ist ... Aufgabe des Staates, in erster Linie sozialpolitische und fürsorgerische Mittel zur Sicherung des werdenden Lebens einzusetzen." Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 18105* Im Grundsatz ist diese Auffassung auch von der damaligen Regierungskoalition vertreten worden. In einem Entschließungsantrag haben die Fraktionen der SPD und FDP schon 1974 zum Ausdruck gebracht, daß der Staat insbesondere verpflichtet ist, werdenden Müttern und Familien ausreichend Hilfe zu gewähren. Wörtlich heißt es in dieser Resolution: Der Deutsche Bundestag nimmt sich in die Pflicht, weiter auf kinderfreundliche und kindgemäße soziale Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland hinzuarbeiten. Er appelliert an die Länder, Gemeinden, Kirchen, Verbände, freien Gruppen und alle Bürger, für den raschen Aufbau der Beratungsstellen Sorge zu tragen und — die Sozial- und Familiengesetzgebung ergänzend — Schwangeren, Müttern und Kindern zu helfen. So weit die Absichtserklärung. Taten sind dieser Erklärung bis 1982 nicht in ausreichendem Maße gefolgt. Das gilt insbesondere für gezielte Hilfen, durch die es werdenden Müttern in Not erleichtert wird, auch dann eine Entscheidung für ihr Kind treffen zu können, wenn die allgemeinen Leistungen der Familienpolitik für die Bewältigung ihrer konkreten Notsituation nicht ausreichen. Diese Lücke im Hilfsangebot für werdende Mütter in Not hat erst die 1984 errichtete Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" geschlossen. Wie wichtig dieses Hilfsangebot ist, zeigt schon diE Tatsache, daß bis zum 31. August 1986 mehr als 60 000 Frauen sich an die Beratungsstellen gewandt haben, um eine Zuwendung aus Mitteln der Stiftung zu erhalten. Gerade in den letzten Monaten hat sich gezeigt, daß immer mehr Frauen, die von der Stiftung erfahren, diese als wichtige Hilfe zur Erleichterung ihrer Situation ansehen. So ist die Zahl der Anträge gegenüber 1985 in Hessen um 70 % und in Nordrhein-Westfalen um 56% angestiegen. Auch Bremen und Hamburg melden einen Zugang der Antragstellerinnen um mehr als 50 %. Diese Zahlen zeigen nicht nur, daß die Stiftung von den betroffenen Frauen als willkommene Hilfe erfahren wird, sondern auch, daß es gerade in den genannten Ländern an eigenen Landesleistungen für werdende Mütter in Not fehlt. Während in den CDU/CSU-regierten Ländern eigene Landesstiftungen „Familie in Not" eine wirksame Ergänzung der Leistungen der Bundesstiftung darstellen, verweigern sich die SPD-regierten Länder nach wie vor, auch ihrerseits die notwendigen Hilfen für schwangere Frauen in Not bereitzustellen. Statt die Erfahrungen aus der Praxis der Beratungsstellen zu akzeptieren und auch in diesen Ländern auf konkreten Hilfsbedarf mit entsprechenden Hilfen zu reagieren, wird auf dem Rücken der betroffenen Frauen weiterhin eine ideologische Auseinandersetzung um die Bundesstiftung geführt. Wie lange wollen sie es noch verantworten, daß entgegen ihren Worten Taten der Hilfe verweigert werden. Sosehr ich verstehen kann, daß man über andere Instrumente der ausreichenden Förderung von werdenden Müttern in schwierigen Lebenssituationen diskutiert, so wenig verstehe ich, daß dann bis heute in allen SPD-regierten Ländern keine einzige zusätzliche Hilfe, die man als Alternative zum Angebot der Stiftungsleistungen ansehen könnte, vorgeschlagen, geschweige denn verwirklicht worden ist. Die Verweigerung dieser Länder erstreckt sich im übrigen nicht nur auf das Angebot zusätzlicher Hilfen. Sie drückt sich auch in einer nicht ausreichenden Unterstützung der anerkannten Beratungsstellen aus. Gerade in den Ländern ohne Landesstiftung haben die Träger der Beratungsstellen und die Beraterinnen zusätzliche Belastungen auf sich genommen, um das jetzt zur Verfügung stehende Geld der jeweiligen Bedarfssituation der betroffenen Frauen entsprechend weiterzugeben. Wie Sie wissen, sind die Länder für die Ausstattung der Beratungsstellen gesetzlich zuständig. Deshalb hätte man erwarten können, daß wenigstens diese zusätzliche Belastung der Beratungsstellen durch eine großzügige Ausweitung der Förderung dieser Stellen ein wenig gemildert worden wäre. Aber auch hier ist nichts geschehen. So bleibt mir nur, an dieser Stelle den Beraterinnen und den Trägern der Beratungsstellen, die sich im Interesse schwangerer Frauen in Not um eine adäquate Hilfe unter schwierigen Bedingungen bemüht haben, nachdrücklich zu danken. Ich frage den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Rau, wie er diese Politik seiner Partei, die ich als Unbarmherzigkeit gegenüber Menschen in Not ansehe, mit den von ihm im Wahlkampf verkündeten Zielsetzungen in Einklang bringen will. Ich danke den Fraktionen von CDU/CSU und FDP für ihren Antrag auf Erhöhung der Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" von 1986 bis 1988 um jährlich 20 Millionen DM. Gerade in Nordrhein-Westfalen standen ja bereits im vergangenen Monat für Hilfen, die noch in diesem Jahr zu zahlen waren, keine Mittel mehr zur Verfügung. Ich begrüße es, daß es nunmehr möglich sein wird, allen, die auf Hilfe angewiesen sind, diese Hilfe auch noch in diesem Jahr zur Verfügung zu stellen. Es ist im übrigen nicht so, wie manche zu unterstellen versuchen, daß die Stiftung die einzige Verbesserung für die Situation von schwangeren Frauen und Familien ist. Bei allen Gesprächen, die ich mit Betroffenen führe, wird deutlich: auch die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht, die Einführung des Erziehungsgeldes und insbesondere auch des Erziehungsurlaubs mit Kündigungsschutz werden als eine wesentliche Verbesserung der Entscheidungssituation von Müttern für ihre Kinder angesehen. Auch die Kritiker unserer Politik sollten deshalb endlich zur Kenntnis nehmen: die Nichtanrechnung des Erziehungsgeldes und der Hilfen der Bundesstiftung auf die Sozialhilfe sind ein Durchbruch für die Frauen und Familien, die bisher ausschließlich mit der Sozialhilfe zurechtkommen mußten. Zu den Hinweisen, daß es nicht nur darum gehen kann, Geld zur Verfügung zu stellen, verweise ich auf zahlreiche Modellprojekte dieser Bundesregierung. Wir haben die Broschüre „Das Leben vor der 18106* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. September 1986 Geburt" herausgegeben und damit einen wesentlichen Beitrag zu einem sensibleren Umgang mit dem vorgeburtlichen Leben des Kindes geleistet. Darüber hinaus werden Maßnahmen der Familienplanung nicht weniger gefördert als von der früheren Bundesregierung. Die Träger der Beratung sollen durch Modellprojekte verstärkt in die Lage versetzt werden, ihrer schwierigen Aufgabe noch besser als schon heute gerecht werden zu können. In diesem Zusammenhang sind alle Bemühungen der Bundesregierung um eine größere Vereinbarkeit von Kindererziehung und außerhäuslicher Erwerbstätigkeit und ein verbessertes Angebot um ergänzende Angebote der frühkindlichen Erziehung zu nennen. Wir haben dabei auch die Selbsthilfe von Eltern und Familien verstärkt in den Blick genommen und versuchen, in Modellen Möglichkeiten und Grenzen dieser Form nachbarschaftlicher und solidarischer Hilfe weiter auszuloten. Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung sehr wohl weiß, daß eine umfassende Familienpolitik in allen Bereichen eine wichtige Voraussetzung für den Schutz des ungeborenen Lebens ist. Deshalb werden wir in der nächsten Legislaturperiode die Leistungen des Familienlastenausgleichs weiter verbessern, mit dem Kinderfreibetrag auch den Kindergeldzuschlag weiter erhöhen, das Kindergeld für kinderreiche Familien anheben und die Leistungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes weiter ausbauen. Ich hoffe, daß auch die Bundesländer, die bisher abseits stehen, endlich erkennen: Politik für Kinder ist Politik für die Zukunft unseres Landes, und sich nicht länger weigern, die Maßnahmen des Bundes wirksam zu ergänzen und durch Ausbau der Infrastruktur wirkungsvoll zu unterstützen.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023300000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vorab darf ich Sie darauf hinweisen, daß sich auf den Sitzen Wahlunterlagen für die nachher stattfindende Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste befinden. Sie bestehen aus einem Wahlausweis und einer Stimmkarte. Ich bitte Sie, diese Unterlagen aufzubewahren.
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde beantragt.
Ich rufe daher den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur geplanten Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Cattenom (Frankreich)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.

Willi Tatge (GRÜNE):
Rede ID: ID1023300100
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Was wir in den letzten Tagen an Weissagungen und Glaubensbekenntnissen von der Bundesregierung wie von der Landesregierung von Rheinland-Pfalz gehört haben — so z. B. die Senkung der radioaktiven Abgabewerte von 15 auf 3 Curie pro Block in Cattenom — erinnert doch sehr an eine Erzählung aus dem Grimmschen Märchenbuch.

(Beifall des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNEI)

In dem uns erzählten Märchen treten zwei Hauptfiguren auf: ein Umweltminister und ein Ministerpräsident, wie weiland Hänsel und Gretel. Je tiefer sie in den Wald kamen, d. h. je näher die Wahlen sind, desto lauter pfeifen und tönen sie. Dabei sind beide keineswegs so liebenswerte Figuren wie Hänsel und Gretel. Die Rolle, die sie spielen, entspricht eher dem Märchen vom Schwarzkäppchen und dem bösen Vogel.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Das ist auch Ihre Welt! — Zuruf von der CDU/CSU: Welche Rolle haben Sie denn in dem Märchen?)

Denn während die einen klug und ehrlich sind, ist von Wallmann und Vogel zu erwarten, daß sie nichts unversucht lassen werden, um abzuwiegeln und die Bevölkerung zu belügen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn für die Realität gelten folgende Tatsachen:
Erstens. In einem Interview sagte der Planer des französischen Atomprogramms, Rémy Carlé, zu der „taz" auf die Frage: „Warum wollen Sie die Höchstgrenze für radioaktive Abgaben in Cattenom nicht — wie von der Bundesregierung gewünscht — von 15 Curie auf 3 Curie verbindlich heruntersetzen?" — „15 Curie" — so sagte er — „sind doch gut. Warum soll das, was für die Leute im Rhone-Tal gut ist, nicht auch für die Leute an der Mosel gut sein?"
Zweitens. Allan Malfon, Chef der Atomzentrale Cattenom, ließ in den letzten Wochen verlautbaren, daß die EdF sich allein an den genehmigten 15 Curie orientieren will. Malfon wortwörtlich: „..., weil wir Cattenom nicht gleich abschalten wollen, wenn mal mehr als 3 Curie ins Wasser abgegeben werden." Übrigens ist auch klar, daß sich ohne zusätzliche Maßnahmen zur Zurückhaltung radioaktiver Abgaben in die Mosel die von Minister Wallmann geforderten Grenzwerte ohnehin nicht erreichen lassen. Derartige zusätzliche Maßnahmen sind aber nicht vereinbart worden.
Drittens. Bei Betrachtung der tatsächlichen Abgabewerte französischer Atomkraftwerke stellt sich zudem heraus, daß sie für die Praxis ohne Bedeutung sind. Für das AKW Fessenheim wurden 25 Curie in den Rhein genehmigt und im Jahr 1980 23,7 Curie abgeleitet. Für Budey bei Lyon wurden 55 Curie genehmigt und 1980 sogar 59,3 Curie abgeleitet.
Als Fazit muß man feststellen, daß sich die rheinland-pfälzische Landesregierung lächerlich macht, wenn sie behauptet, daß für die Mammut-Anlage in Cattenom mit einem maximalen Ausstoß von 4 mal 3 Curie zu rechnen sei. Ebenso ist festzuhalten, daß es entgegen der Darstellung von Minister Wallmann allein der Willkür der EdF überlassen bleibt, bis zu 60 Curie in die Mosel abzuleiten. Und dies kann von bundesdeutscher Seite noch nicht einmal kontrolliert werden.



Tatge
So gibt es innerhalb der westlichen Welt ein neues Bündnis, die Atom-Achse Bonn-Paris. Die bundesdeutsche Regierung kann nicht frei handeln, kann sich nicht glaubwürdig mit der französischen Atompolitik auseinandersetzen, solange noch ein Atomkraftwerk in der Bundesrepublik Deutschland weiterbetrieben wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie kann es auch nicht, wenn in der deutsch-französischen Kommission ebenso liber die Wiederaufarbeitung deutscher Brennstäbe in La Hague verhandelt wird. Diese Atompolitik der Achse Bonn-Paris geht, wie seit Jahrhunderten, zu Lasten der Grenzregionen. Die Dummen sind wieder einmal die Menschen an der Mosel, an der Saar und in Lothringen. Den Preis zahlen wieder einmal die Korn-munen in diesem Gebiet, vor allem die Bauern und Winzer.
Tatsache ist auch, daß eine radioaktiv belastete Mosel für die Bewässerung der Weinberge benützt werden muß, und auf Grund der Versiegelung der Landschaft die Kellereien mit Moselwasser überflutet werden. Eine solche Politik entzieht Bauern und Winzern an der Mosel die Existenzgrundlage.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sehr wahr!)

Abschließend möchte ich noch an einem Beispiel den Filz zwischen Politik und Atomlobby verdeutlichen. Wider besseren Wissens hat der TÜV Baden ein positives sicherheitstechnisches Gutachten zu Cattenom erstellt. Im Vorstand des TÜV Baden sitzt Herr Guck. Herr Guck ist gleichzeitig Präsident des Deutschen Atomforums und Vorstandsmitglied der Baden-Werke. Und siehe da, die Baden-Werke haben 1979 ein Milliardendarlehen an die EdF gewährt, damit Cattenom gebaut werden kann, und sie wollen aus Cattenom Strom beziehen.
Da entscheidet also einer, der aus Cattenom Strom und Profit beziehen will, offiziell für die Bundesregierung über die Sicherheit der Anlage.
Die politische Konsequenz kann für uns nur lauten: Vogel muß abgewählt werden, und Wallmann muß gehen, wenn man den Filz zwischen Atomlobby und Politik herausbringen will.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich fordere die Landesregierung von RheinlandPfalz auf, sich der Klage des Saarlandes, der Stadt Trier und des Kreises Trier-Saarburg anzuschließen. Die Bundesregierung muß Sicherheitsüberprüfungen mit unabhängigen Wissenschaftlern aus ökologisch orientierten Forschungsinstituten durchführen sowie eine eigene Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023300200
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Wadern).

Hans-Werner Müller (CDU):
Rede ID: ID1023300300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer über die Haltung der Bundesregierung zu Cattenom in Frankreich spricht, muß auch über die Haltung der früheren, SPD-geführten Bundesregierungen und über die Haltung der jetzigen SPD-Landesregierung an der Saar sprechen.
Ich bin Abgeordneter des Wahlkreises direkt an der französischen Grenze, rund zehn Kilometer von Cattenom entfernt. Ich bin mit der Informationspolitik der Franzosen auch nicht zufrieden, und ich bemühe mich, mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln seit zehn Jahren hier in diesem Hause — in Frankreich kann ich das ja nicht tun — darum, die Massierung von Kernkraftblöcken an der Obermosel zu verhindern, genau wie die saarländischen CDU-Ministerpräsidenten Röder und Zeyer.

(Senfft [GRÜNE]: Das Sankt-Florians-Prinzip!)

Cattenom liegt in Frankreich. Die Franzosen haben 1978 entschieden, Block 1 und 2 zu bauen, 1979 Block 3 und 4. Am 29. November 1979, also vor sieben Jahren, habe ich in der Fragestunde hier im Deutschen Bundestag die damalige Bundesregierung gebeten, in einem Spitzengespräch mit Giscard d'Estaing eine kleinere Dimensionierung der Anlage Cattenom zu erreichen.

(Zuruf von der SPD: Bravo!)


Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1023300400
Bundeskanzler Schmidt benötige keinen Hinweis, um sich im Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten mit den Fragen zu befassen, die die Bevölkerung in meinem Wahlkreis berühren. — Lesen Sie es im Protokoll nach!

(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Wer angesichts solcher und ähnlicher Antworten auf zahlreiche Anfragen an die Regierung unter SPD-Verantwortung jetzt dieser Regierung Vorwürfe macht, der hat aber jede Glaubwürdigkeit verloren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Tschernobyl war für die SPD Saar der willkommene Anlaß vom eigenen Versagen abzulenken, ein Versagen, daß die Saarländer inzwischen mit drei Begriffen belegen: Schulsterben, Kliniksterben und Fischsterben, meine Damen und Herren.
Natürlich zwingt uns Tschernobyl zum Nachdenken. Aber, wer so kaltblütig der eigenen politischen Ziele wegen aus diesem Ereignis bei den Menschen Angst schürt, ja eine regelrechte Hysterie der Angst erzeugt, wer wie der saarländische Umweltminister falsche Tatsachen in einer Fernsehsendung unwidersprochen läßt und weiter wirken läßt, weil ihm diese Horrormeldungen ins politische Konzept passen,

(Zuruf von den GRÜNEN: Was meinen Sie denn?)

und wer gar wie der saarländische Ministerpräsident von Cattenom als der „Zentrale des Todes" spricht — ein sehr schlimmes Wort —,

(Vosen [SPD]: Das könnte wahr werden!)




Müller (Wadern)

der handelt verantwortungslos, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es sind doch einfach Fragen zu stellen: Da beschließen die beiden Landesregierungen Rheinland-Pfalz und Saar im Januar dieses Jahres ein gemeinsames Vorgehen beim Bau und beim Betrieb von Cattenom. Im Mai wird dies alles über Bord geworfen. Im Bundesrat erklärt Minister Wallmann im Juni, Cattenom sei so sicher wie das deutsche Philippsburg. Kein Widerspruch vom saarländischen Vertreter. Da tagt die deutsch-französische Kommission für Reaktorsicherheit im Mai. Der saarländische Vertreter sagt kein einziges Wort der Kritik am Sicherheitsstandard von Cattenom.
Jede Erklärung von Fachleuten, sei sie von Birkhofer oder anderen, wird als Beschwichtigung diffamiert. Die Sowjetunion wird aber gelobt, weil sie nach dem Unglück von Tschernobyl die Schlußfolgerung gezogen hat, keine Kernkraftwerke mehr in dichtbesiedelte Gebiete zu bauen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Aber dort wird weitergebaut. Welch ein Zynismus, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt nur eine einzige Erklärung: Aus Mangel an sonstigem Erfolg verlegt man sich auf Panikmache. Was macht man damit alles kaputt! Ich will nur zwei Dinge nennen: Zum einen: Das Aufwühlen der Unterschiede in der Beurteilung dieser Fragen führt zu einer Zerrüttung des deutsch-französischen Verhältnisses. Zum anderen wird die gemeinsame Geschäftsgrundlage in der bundesdeutschen Energiepolitik ohne Not aufgegeben. Noch ist der SPD offenbar nicht bewußt, was sie mit der Aufkündigung energiepolitischer Gemeinsamkeiten alles riskiert und verliert. Darüber werden wir ja hier in der nächsten Woche ausführlich zu reden haben. Mit einem Wort: Das Saarland gerät immer mehr in die Isolation, und dann soll das Saar-Memorandum zu einem Erfolg führen.
Ich darf der Bundesregierung, Bundesumweltminister Wallmann und dem rheinland-pfälzischen Minister Töpfer für ihre Besonnenheit danken.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wie bitte?)

Denn diese Besonnenheit erreicht etwas für die Bevölkerung. Ich darf Sie herzlich bitten, auf dem beschrittenen Wege weiterzufahren.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Das werdet ihr auch machen! — Duve [SPD]: Eine fulminante Rede, Herr Kollege! — Dr. Göhner [CDU/CSU]: In der Tat, er hat eure Doppelbödigkeit offengelegt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023300500
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1023300600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich im Gegensatz zum Kollegen Müller darum bemühen, dem Ernst des Themas etwas gerechter zu werden.
Die Atomzentrale am Rande des französischen Dörfchens Cattenom und in unmittelbarer Nähe der deutsch-französischen Grenze wird in mancherlei Hinsicht als besonders bedrohlich empfunden: In Cattenom sind vier Atomkraftwerke mit insgesamt 5 200 Megawatt zu erzeugenden Stromes geplant. Die Atomanlage ist damit eine der größten nuklearen Zusammenballungen auf der ganzen Welt.
Der unter Sicherheitsgesichtspunkten bedeutsame Umkreis von 50 Kilometern umgreift — auch dies ist weltweit einzigartig — vier selbständige Nationalstaaten. Schwerwiegende Bedenken bestehen, ob bei einem Störfall das System der notwendigen, länderübergreifenden Informationen und die Koordinierung von Katastrophenschutzmaßnahmen überhaupt auch nur ansatzweise funktionieren können. Im genannten Umkreis von 50 Kilometern leben mehr als 1,5 Millionen Menschen in vier Nationalstaaten. Nirgendwo sonst auf der ganzen Welt wohnen auch nur annähernd so viele Menschen im Schatten eines Atomkraftwerks. Der ehemalige Chef der französischen Reaktorsicherheitskommission, Christian de Torquat, wandte sich bereits am 5. Februar 1978 brieflich an die französische Zentralverwaltung für Kohle, Gas und Elektrizität — ich zitiere —:
Der Standort Cattenom weist besonders unter dem Gesichtspunkt der Verteilung der Bevölkerung deutlich ungünstigere Bedingungen auf als die meisten der bisher für die Errichtung von nuklearen Anlagen ausgewählten Standorte.

(Engelsberger [CDU/CSU]: Dort haben doch die Sozialisten regiert!)

Und er fährt fort:
Mir verbleibt nur, meine seit über zwei Jahren geäußerten Bedenken bezüglich des Standortes Cattenom nachdrücklich zu unterstreichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich stelle als Abgeordneter des Wahlkreises Saarlouis-Merzig-Wadern, in dessen unmittelbarer Nähe sich der Atomkoloß befindet, mit nicht geringer Verbitterung fest: Keine deutsche Bundesregierung — und schon gar nicht die jetzige — hat sich mit Cattenom auch nur annähernd so kritisch befaßt wie der ehemalige Chef der französischen Reaktorsicherheitskommission.
Eine weitere Besonderheit: Die Mosel wird der radioaktiv am höchsten belastete Fluß Europas sein.
Zur Sicherheitslage nur ein Wort: Die Anlage in Cattenom ist, was von niemandem bestritten wird, gegen den Absturz größerer Flugzeuge nicht gesichert. In der Nähe befindet sich der Großflughafen Luxemburg, befinden sich aber auch französische Militärbasen.
Noch bevor in der Atomzentrale Cattenom die nuklearen Reaktionen in Gang gebracht worden sind, kam es in den vergangenen Monaten und Jahren zu einer ganzen Serie von Störfällen.



Schreiner
Wir sorgen uns um die zukünftige Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir sorgen uns um die Natur, die radioaktive Belastungen in der Luft, im Wasser und im Boden erfahren wird. Wir sorgen uns um die Arbeitsplätze unserer Bergleute an der Saar und an der Ruhr,

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

die von einer Atomstrom-Schwemme bedroht sind. Wir fordern das Bundesland Baden-Württemberg auf, darauf hinzuwirken, daß die bestehenden Stromabnahmeverträge mit der Atomzentrale in Cattenom baldmöglichst aufgekündigt werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Spätestens nach Tschernobyl kann auch die badenwürttembergische Landesregierung den Import von Atomstrom nicht mehr so behandeln wie den Import von Käse, Rotwein oder Weißbrot. Nicht die Politiker, die vor den Gefahren der Atomenergie warnen, produzieren Angst, Angst produziert eine Technik, die versagen kann, aber nicht versagen darf — um des Überlebens der Menschen willen.
In einer gemeinsamen Erklärung zur, wie es heißt, „Herausforderung Kernenergie — Ruf in die Verantwortung" vom 3. Juni 1986 formulieren die Bischöfe von Luxemburg, Metz und Trier das wirkliche Problem so:
Das ganze Modell wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen steht auf dem Prüfstand. Der Mensch, der sich weitgehend als Herr der Welt sieht, erweist sich als unfähig, die Prozesse, die er selbst in Gang gesetzt hat, zu bewältigen. Er beherrscht die Dinge nicht mehr, die Dinge beherrschen ihn.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Unsinn! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Kardinal Höffner gab Radio Luxemburg vor wenigen Tagen am Ende des Katholikentages in Aachen ein Interview. Er sagte:
Eine Sicherheit der Atomkraftwerke von 999,9 genügt nicht, weil es dann, wenn der Ausnahmefall eintritt, eine Katastrophe für Menschen und kommende Geschlechter weit über die Grenzen der Länder hinaus gibt.

(Duve [SPD]: Das hat Strauß doch dementiert! — Gegenruf des Abg. Engelsberger [CDU/CSU])

Eben dieses von Kardinal Höffner angesprochene tödliche Risiko in Zeit und Raum wird von den Befürwortern der Atomenergie in das die wirklichen Gefahren total verharmlosende Wort vom Restrisiko verkleidet. Wer Cattenom hinnimmt, wer im eigenen Land weiterhin auf die Atomenergie vertraut, der ist zur Verantwortung für die Menschen und die Schöpfung nicht fähig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

In Frankreich wird glaubhaft die Ängste der deutschen Bevölkerung nur derjenige vortragen können, der bereit ist, auch hier im eigenen Land die Gefahren abzutragen, also den Weg in die Atomenergie zu verlassen.
Zum Abschluß: Die deutsch-französische Freundschaft ist angesichts jahrhundertelanger Erbfeindschaft ein unschätzbares Gut. Wirkliche Freundschaft verträgt nicht nur offene Worte und Kritik; wirkliche Freundschaft lebt sogar von Offenheit und vertrauensvoller Kritik.
Eine deutsche Bundesregierung, die die französische Staatsregierung über die Sorgen und Ängste der deutschen Bevölkerung, insbesondere auch der Grenzbevölkerung, nicht aufklärt und sich nicht um Abhilfe bemüht, leistet der deutsch-französischen Freundschaft einen Bärendienst. Das wirkliche Fundament dieser Freundschaft sind die Völker. Die Angst vor der zerstörerischen Gewalt der Atome kann, wenn sie nicht ernstgenommen wird und wenn nicht wirkliche Abhilfe geschaffen wird, zur Angst vor Freunden werden. Die Bundesregierung hat bislang nichts unternommen, um diese Gefahren zu bannen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie auch was Konstruktives da?)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023300700
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1023300800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich falsch, wenn gesagt wird, die Bundesregierung habe nichts unternommen. Sie ist von Anfang an, seit Cattenom geplant und gebaut wird, mit den Franzosen im Gespräch. Auch in der letzten Zeit, nach Tschernobyl, hat Umweltminister Wallmann in Frankreich Verhandlungen geführt. Ich entnehme einem Vermerk, daß Herr Dr. Wallmann seinem französischen Gesprächspartner mit großem Nachdruck die Sorgen der Bevölkerung in den grenznahen Regionen dargelegt hat und daß die französischen Partner von diesen Darlegungen beeindruckt waren.

(Tatge [GRÜNE]: Dem glaubt doch keiner! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Es stimmt also überhaupt nicht, wenn gesagt wird, wir stünden tatenlos da und sähen zu, was dort geschieht.
Sie müssen sehen, Herr Kollege: Cattenom und die anderen französischen Kraftwerke werden nach einer ganz anderen Energiephilosophie gebaut, als wir sie haben, getragen von der Mehrheit der französischen Bevölkerung.

(Zuruf von der SPD: Noch!)

Noch wählen nicht wir die französische Regierung. Es gibt souveräne Entscheidungen der französischen Regierung. Ich weiß nicht, wie wir uns verhalten hätten, wenn wir die Entscheidung über Cattenom hätten treffen müssen. Aber sie ist getroffen worden, und jetzt bleibt überhaupt nur der Weg, in gut nachbarschaftlichem Sinne mit den Franzosen zu verhandeln.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das haben wir 1980/81 gemacht. Herr Kollege Hauff, vor mir liegt eine Vereinbarung zwischen der



Baum
Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik, unterschrieben von meinem damaligen Staatssekretär Hartkopf, über den Informationsaustausch bei Vorkommnissen oder Unfällen, die radiologische Auswirkungen haben können. Dieser Weg ist weiter beschritten worden. Wir bemühen uns um Zusicherungen. Wir müssen Informationen bekommen, wir müssen gemeinsam eine Notfallplanung machen können. Die Grundlagen dafür sind vorhanden.
Wir müssen immer wieder auch die Möglichkeit bekommen, bewerten zu können, was in Cattenom geschieht. Auch das ist jetzt gesichert. Der letzte Verhandlungserfolg, nämlich daß der Betreiber niedrigere Werte bei der Einleitung in die Mosel zugesagt hat, ist doch dieser Bundesregierung zuzuschreiben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist verhandelt worden, und es ist etwas erreicht worden.
Ich habe Erfahrungen in bilateralen Verhandlungen mit allen möglichen Staaten. Ich möchte sagen: Wäre es nur immer so wie mit den Franzosen! Wir haben j a noch andere Nachbarn, welche die Kernenergie nutzen.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: So ist es!)

Manchmal bin ich selbst gar nicht so sicher, ob wir — ich denke da an Gorleben — unseren Nachbarn von Anfang an die gleichen Informationen gegeben haben, wie wir sie jetzt von den Franzosen verlangen, meine Damen und Herren.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist genauso schlimm!)

Die Sorgen der Grenzbevölkerung werden gesehen. Wir werden alles tun, um mit der gegebenen Lage fertig zu werden. Sie ist gegeben.

(Tatge [GRÜNE]: Das ist alles Wortgeklingel! — Zuruf des Abg. Lutz [SPD])

— Wir müssen mit der Lage fertig werden, daß die Franzosen entschieden haben, dort Kraftwerke zu bauen und sie in Betrieb zu nehmen. Wir sind bisher mit dieser Lage fertig geworden.
Ich verstehe, daß nach Tschernobyl ein besonderes Informations- und Diskussionsbedürfnis besteht. Nur, Herr Lafontaine: Mit Klagen werden Sie nicht weiterkommen. Das ist der falsche Weg.

(Zuruf des Abg. Schreiner [SPD])

Das ist auch nicht der Weg, der früher beschritten worden ist. Das ist eine Kraftpose, die Sie hier in Szene setzen, ohne daß Sie bis heute der Bevölkerung nachweisen können, daß Sie auf diesem Weg etwas erreichen.
Ich habe erwähnt, daß die Franzosen eine ganz andere Kernenergiephilosophie haben. Sie haben eine andere als meine Partei. Für mich und meine Partei ist Kernenergie eine Übergangsenergie. Wir wollen da heraus. Wir brauchen alternative Energien. Wir müssen nicht unrealistische Ausstiegsszenarien ausarbeiten, aber wir haben den ernsthaften Wunsch, Alternativen zu entwickeln und eines Tages an die Stelle der Kernenergie zu setzen. Das ist unsere Politik. Ich weiß nicht, wie dieses Beispiel wirkt. Wenn wir eines Tages andere Energien anbieten können, dann hoffe ich, daß die Franzosen und alle anderen Nachbarn auch diesen Weg gehen.
Es gilt also, bilateral und multinational im Sinne eines gutnachbarlichen Verhältnisses alles zu tun. Diese Konferenz in Wien, der Versuch, international zu Abmachungen über Strahlenschutz, über Katastrophenschutz, über Notfallschutz zu kommen, wird von uns unterstützt, und auf diesem Wege müssen wir weiterschreiten. Eine Alternative gibt es dazu nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von den GRÜNEN: Das ist doch nur eine Alibiveranstaltung!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023300900
Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten des Saarlandes das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023301000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Problem Cattenom will ich für die saarländische Landesregierung folgende Erklärung abgeben:
Es wird keinen Frieden geben
— schrieb der am 2. April 1976 in Luxemburg zum ersten Ehrenbürger Europas ernannte Jean Monnet —
wenn die Staaten auf der Basis nationaler Souveränität wieder hergestellt werden, mit all dem, was eine Politik des Prestiges und der wirtschaftlichen Protektion mit sich bringt.
Er verlangte damals die Europäisierung von Kohle und Stahl, weil in diesem Bereich
der Schlüssel für wirtschaftliche Macht wie auch für das Arsenal, in dem die Waffen für den Krieg geschmiedet werden, sei.
Meine Damen und Herren, was für Kohle und Stahl galt, gilt heute für die Nukleartechnologie. In der Tradition der französischen Politik begründete François Mitterrand in seiner Schrift „Ici et maintenant" die französische Militärpolitik wie folgt:
Man überläßt anderen nicht die Entscheidung, wenn Leben und Tod auf dem Spiel stehen.
Freiheit stand neben Gleichheit und Brüderlichkeit auf den Fahnen der Französischen Revolution. Freiheit ist das Recht jedes Menschen, seine eigene Existenz zu bestimmen. Freiheit ist das Recht jedes Landes, jeder Region, die eigene Existenz zu bestimmen. Dieser Idee der Freiheit verpflichtet, hat Hans Jonas in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung" gefordert, daß das Handeln nicht das ganze Interesse der mitbetroffenen anderen aufs Spiel setzen darf.
Gegen diesen dem Freiheitsbegriff verpflichteten neuen Kategorischen Imperativ des Zeitalters der Großtechnologie wird weltweit verstoßen. Der „Realpolitiker" wird uns raten, uns damit abzufinden. Er wird sein Heil im Aushandeln von Grenzwerten suchen, im Fordern international angeglichener Si-



Ministerpräsident Lafontaine (Saarland) cherheitsstandards, wobei er übersieht, daß schon der Austausch sicherheitsrelevanter Technologien Verboten unterliegt. Er fordert ein weltweit wirkendes nukleares Haftungssystem, wobei er in den Kategorien der Versicherungswirtschaft argumentiert und übersieht, daß das menschliche Leben weltweit bedroht ist und damit haftet. Er fordert das Verursacherprinzip und denkt in materiellen Kategorien. Die Überlebenden werden das Verursacherprinzip anders interpretieren. Solange die politisch Verantwortlichen die Totalität der Nukleartechnologie nicht begreifen, werden sie nicht erkennen, daß diese nicht beherrschbare Technik nicht, Herr Kollege Baum, der nationalen Souveränität unterworfen bleiben darf.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von den GRÜNEN)

So wie Jean Monnet mit der Montanunion in die Welle der nationalen Souveränität eine Bresche schlagen wollte, so gilt es heute, in das Containment der internationalen Verdrängung der atomaren Gefahr Breschen zu schlagen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Cattenom wird damit wie viele andere großtechnische Anlagen zum Testfall für die europäische Einigung. Cattenom steht daher neben anderen Anlagen dieser Art für die Frage, ob die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiterhin Grundlage der europäischen Einigungspolitik bleiben, ob jeder europäische Mitgliedstaat sie, diese Werte, auch für den Nachbarstaat gelten läßt. Diese Werte verlangen zwingend eine Änderung des Euratom-Vertrages. Die Nachbarstaaten und die Nachbarregionen müssen mitbestimmen können, wenn ihr ganzes Interesse auf dem Spiel steht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Daher ist es zu begrüßen, meine Damen und Herren, daß das Europäische Parlament, dem j a so viele verbale Sympathieerklärungen auch in diesem Hause abgegeben wurden, gefordert hat, Cattenom nicht in Betrieb zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Daher wäre es wünschenswert, wenn die Regierungen der Mitgliedstaaten, im besonderen die Regierungen Frankreichs und der Bundesrepublik, dieses Votum des Europäischen Parlaments respektieren würden. Daher kann es kein Dauerzustand sein, meine Damen und Herren, daß bisher nur die Regierungen Dänemarks, Griechenlands, Irlands, Luxemburgs und Portugals darauf bestehen, daß die Wahl der Kernkraftwerksstandorte nicht mehr der alleinigen nationalen Verfügung unterworfen sein darf. Die Feststellung: Wir haben die sichersten Kernkraftwerke der Welt, ist Ausdruck vergessen geglaubter nationaler Selbstüberschätzung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Unter diesem Gesichtspunkt ist es unverständlich, daß die Regierung Frankreichs die Mahnung des für die französische Kernkraftplanung zuständigen Direktors Christian de Torquat, der Standort Cattenom weise in bezug auf die Verteilung der Bevölkerung deutlich ungünstigere Merkmale gegenüber den bisherigen Standorten für Kernkraftwerke auf, schlicht ignoriert hat. Wie hätte Christian de Torquat geurteilt nach dem Unfall von Tschernobyl?
Die „Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke" (Biblis Block B, 1 300 MW, als Referenzanlage für die Studie) — und hier erlauben Sie mir den Einschub: Daher ist die Reduzierung der Dimensionierung der Anlage etwa von 5 200 auf 4 300, 3 000 oder 2000 MW nicht das Problem —, gibt für einen Block von 1 300 MW, wobei deren Voraussetzungen vom wissenschaftlichen Standpunkt mit vielen Fragezeichen versehen werden müssen, als größten Kollektivschaden — das können Sie alle nachlesen — somatische Spätschäden mit 104 000 Todesfällen an.
Und weil hier die Glaubwürdigkeit angesprochen ist, Herr Abgeordneter Müller: Derjenige, der die damalige Bundesregierung mit der gleichen Konsequenz kritisiert hat wie die heutige Bundesregierung, mit der gleichen Kompromißlosigkeit, der ist glaubwürdig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Derjenige, der heute die Bundesregierung in Schutz nimmt und damals kritisiert hat, der ist nach meinem Verständnis nicht glaubwürdig,

(Zuruf von der CDU/CSU: Und was halten Sie von Herrn Rau?)

um dieses Problem einmal anzusprechen. — Sehr viel, wenn Sie das wissen wollen.
Die Tatsache, daß die Mehrheit der politisch Verantwortlichen die geringe Wahrscheinlichkeit des Schadensfalls so interpretiert, daß bis zum Eintritt des Schadensfalls noch lange Zeit vergehen wird — eine völlige Verkehrung der Wahrscheinlichkeitstheorie —, macht es notwendig, immer wieder darauf hinzuweisen, daß auch die geringste Wahrscheinlichkeit heißt: Morgen kann der unwahrscheinliche Fall eintreten.
Im Geiste Jean Monnets fordere ich daher die französische Regierung auf, auch angesichts der Serie von Fehlern bei den Probeläufen, Cattenom nicht in Betrieb zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nach den Worten des EDF-Präsidenten Marcel Boiteux wurde Cattenom für den Export gebaut. Eine schöne neue Nachdenklichkeit, die sich da auftut! Man ist nachdenklich gegenüber der Produktion weiterer kernenergetischer Anlagen, aber man finanziert Anlagen in anderen Regionen, um den dort produzierten Strom zu importieren.
Ich fordere dazu auf, sich durch die Reduzierung der politischen Diskussion, auf die Belastung der deutsch-französischen Beziehungen angesichts der existenziellen Bedrohung des Mitgliedstaates Luxemburg und der Diskussion innerhalb des Europäischen Parlaments und der Europäischen Gemeinschaft nicht dem Vorwurf übersteigerter nationaler Selbstbezogenheit auszusetzen. Ich fordere dazu auf, einzusehen, daß nicht derjenige die gutnachbarlichen Beziehungen aufs Spiel setzt, der sich dagegen wehrt, daß sein ganzes Interesse



Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

durch das souveräne Handeln des Nachbarstaates betroffen ist, sondern derjenige, der durch sein Handeln das ganze Interesse der Nachbarregionen aufs Spiel setzt. Im Geiste Jean Monnets müssen Breschen geschlagen werden in das Containment der internationalen Verdrängung, der von keiner Risikostudie geleugneten Möglichkeit der Vernichtung der Lebensgrundlagen ganzer Regionen. Verantwortliche Politik, meine Damen und Herren, muß das Wort des Philosophen Günther Anders verstehen: Die Möglichkeit unserer endgültigen Vernichtung ist, auch wenn diese niemals eintritt, die endgültige Vernichtung unserer Möglichkeiten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023301100
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

(Zurufe von den GRÜNEN: Der Atomminister! — Unser Frühstücksdirektor!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023301200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in der Tat um das Prinzip Verantwortung, von dem hier eben die Rede gewesen ist, wobei man allerdings, wenn man dieses Prinzip Verantwortung von Hans Jonas zitiert, hinzufügen muß, daß er damit gleichzeitig eine Absage an das Prinzip Angst verbindet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen darf es keine Politik und keine Geschäfte mit der Angst geben.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Lafontaine [Saarland])


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023301300
Herr Ministerpräsident, es ist nicht üblich, von der Bundesratsbank aus — wie auch von der Regierungsbank aus — Zwischenrufe zu machen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das führen die alles ein! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023301400
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Herr Rau laut Meldung ddp vom 24. September 1986, also vor zwei Tagen, erklärt hat, ein sofortiger Ausstieg sei nicht zu verantworten, dann gehört das zu einer jener vielen Kehrtwendungen und Merkwürdigkeiten zum Thema friedliche Nutzung der Kernenergie, die wir von der SPD seit einiger Zeit erleben.
Daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, auch in diesem Fall gemeinsame Sache mit den GRÜNEN machen, macht mich betroffen; ich sage das in aller Offenheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei den GRÜNEN — Kuhlwein [SPD]: Sie sind herzlich eingeladen mitzumachen! — Weitere Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie unterstellen nämlich der gegenwärtigen französischen
Regierung, aber nicht nur ihr, sondern auch den sozialistischen Vorgängerregierungen — —

(Anhaltende Zurufe)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023301500
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.

(Zuruf von der SPD: Das fällt schwer!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023301600
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kenne das von Ihnen, Sie haben nichts zu sagen. Deswegen werden Sie laut und rufen in den Raum. Das sind keine Argumente!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie unterstellen der gegenwärtigen französischen Regierung, den sozialistischen Vorgängerregierungen und übrigens auch nicht zuletzt dem gegenwärtigen Staatspräsidenten Mitterand, seines Zeichens auch Sozialist, sie setzten Leben und Gesundheit der ihnen anvertrauten Menschen zynisch aufs Spiel. Ich sage Ihnen, diese Arroganz ist für mich unerträglich, und sie ist politisch unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD)

Wer sich den Thesen, die wir eben von Herrn Lafontaine über die Verantwortungs- und Skrupellosigkeit der französischen Regierung gegenüber dem eigenen Volk wie gegenüber der Bundesrepublik Deutschland gehört haben, nicht anschließt, der wird von Ihnen, aus SPD und insbesondere von der saarländischen Landesregierung, denunziert und herabgesetzt. Auch dies ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Lächerlich!)

Ich sage für die Bundesregierung mit allem Nachdruck: Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, daß die französische Regierung Leben und Gesundheit ihrer Bürger genauso ernst nimmt wie die Regierung Kohl ihre Pflichten gegenüber unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Französische Ingenieure und Techniker arbeiten genauso gewissenhaft und sorgfältig wie ihre deutschen Kollegen. Auch dies muß hier festgestellt werden.

(Senfft [GRÜNE]: Die deutsch-französische Atommafia!)

Sie von der SPD wissen dieses alles. Sie werden von den Sorgen der Menschen, ja auch gar nicht umgetrieben, sondern es geht Ihnen um ein ganz großes Vertuschungsmanöver.

(Zuruf des Abg. Dr. Hauff [SPD] — Weiterer Zuruf von der SPD: Das stimmt, aber Ihrerseits!)




Bundesminister Dr. Wallmann
Sie wollen vergessen machen, daß das Kernkraftwerk Cattenom mit dem Einverständnis einer SPDgeführten Bundesregierung gebaut worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

Sie spekulieren auf die Vergeßlichkeit der Menschen.
Und dies ist die Vorgeschichte: Das Kernkraftwerk Cattenom ist seit 1975 in Planung und im Bau. Es steht jetzt kurz vor der Fertigstellung. Block 1 soll in Betrieb gehen. Noch zu Zeiten der SPD-geführten Bundesregierung, nämlich im Juli 1979 und im März 1982,

(Seiters [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

wurden die Baugenehmigungen für die Blöcke 1 und 2, nämlich 1979, sowie 3 und 4, nämlich 1982, erteilt. Es ist daher ebenso abwegig, und ich füge hinzu, wie unredlich, die Regierung Kohl in irgendeiner Weise dafür mitverantwortlich zu machen oder im Zusammenhang mit Cattenom irgendeine Verbindung herzustellen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage ein drittes, meine Damen und Herren, woran der Bundesregierung entscheidend liegt. Die SPD-geführte Bundesregierung Schmidt hat durch ihr Verhalten auf französischer Seite einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Daran ist jede Bundesregierung, gleichgültig, von wem gestellt, nach Treu und Glauben gebunden. Dies gilt nicht nur rechtlich, sondern in erster Linie politisch. Auf uns Deutschen lastet die geschichtliche Hypothek der politischen Unberechenbarkeit und insbesondere der Wortbrüchigkeit, seit es das nationalsozialistische Regime gegeben hat. Bei unseren Nachbarn in Europa ist diese Erinnerung noch wach.

(Zuruf von der SPD: Deswegen Atomkraft?)

Deswegen können wir, die Bundesrepublik Deutschland, uns einen Zickzackkurs in der Politik, vor allem in der Außenpolitik, nicht leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bueb [GRÜNE]: Bis zum Ende!)

Wir halten uns an die Regeln des Rechts und des Anstands.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Deutsche Politik muß berechenbar bleiben. Alles andere wäre ein Verhängnis. Aus diesem Grunde werden wir das von der Regierung Schmidt in Kenntnis aller relevanten Umstände auf französischer Seite geschaffene Vertrauen in die Beständigkeit unserer Politik respektieren.
Viertens. Die Entscheidung, das Kernkraftwerk Cattenom zu bauen, ist eine französische Entscheidung; wir wollen das nicht vergessen. Wir wollen aber auch nicht vergessen, daß es deutsch-französisch zusammengesetzte Gremien gab und gibt. In ihnen sind alle anstehenden Entscheidungen in bezug auf Cattenom vorab beraten und bewertet worden.

(Duve [SPD]: Trauen Sie sich doch mal, was Kritisches zu sagen, ein kritisches Wörtchen!)

Dies gilt namentlich für die deutsch-französische Kommission, die übrigens 1976 auf Drängen der damaligen Ministerpräsidenten Kohl und Röder wegen Cattenom eingerichtet wurde.

(Hört! Hört! bei der FDP)

Dies gilt auch für viele andere Gremien. Erst nach Beratung und nach Bewertung in diesen Gremien wurden in Frankreich die jeweiligen Entscheidungen getroffen. In allen Fällen haben die Vertreter der deutschen Seite — dazu zählen auch die Vertreter des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz — nach gründlichen Beratungen ihr Einverständnis erklärt.

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

In diesen Gremien konnten Verbesserungen gerade im Interesse der grenznahen Bevölkerung erreicht werden. In ihrer Sitzung vom 26. bis 28. Mai — hören Sie genau zu — 1986, also nach Tschernobyl, hat die deutsch-französische Kommission ihre 1982 getroffene Feststellung bekräftigt, daß die Sicherheit des Kernkraftwerks Cattenom gegeben und mit der deutschen Kernkraft und ihren Anlagen vergleichbar ist.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Nichts dazugelernt!)

Gegen diese Feststellung erhob kein Mitglied der Kommission irgendwelche Einwendungen, auch nicht die Vertreter des Saarlandes.

(Senfft [GRÜNE]: Können Sie mal sagen, wer in der Kommission sitzt?)

Kommentare zum Thema „Glaubwürdigkeit der saarländischen Landesregierung" erübrigen sich damit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Auch die letzten Bewertungen der Frage der Sicherheit haben all dies bestätigt.
Unsere Gespräche und Konsultationen mit der französischen Seite haben dazu geführt — fünftens —, die radiologischen Einleitungen in die Mosel auf maximal 3 Curie pro Block und Jahr und nicht, wie immer wieder behauptet wird, auf 15 Curie pro Block und Jahr zu reduzieren.

(Tatge [GRÜNE]: Alle Quellen sprechen dagegen! — Zurufe von der SPD)

— Behaupten Sie nicht einfach etwas, sondern stellen Sie sich hierhin, und belegen Sie das! Seien Sie endlich einmal redlich vor der deutschen Öffentlichkeit und machen Sie nicht Ihre Politik mit der Angst!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

Auch innerstaatlich ist in Frankreich dafür gesorgt,
daß diese Werte eingehalten werden. Jetzt sind 40



Bundesminister Dr. Wallmann
Politiker aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz nach Cattenom eingeladen.

(Abg. Schreiner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023301700
In der Aktuellen Stunde gibt es keine Zwischenfragen, Herr Abgeordneter Schreiner.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023301800
Das heißt, sie können alles in Augenschein nehmen und mit den Verantwortlichen diskutieren.
Über das Ergebnis der Bewertungen durch die Reaktorsicherheitskommission der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs ist am vergangenen Dienstag in Mainz Rechenschaft gelegt worden.
Sechstens. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß mit dem von ihr eingeschlagenen Weg der Zusammenarbeit mit unseren französischen Nachbarn viel mehr für die deutsche Bevölkerung erreicht worden ist

(Senfft [GRÜNE]: Noch mehr Unsicherheit hat es gegeben!)

und weiter erreicht werden wird als mit dem von der Landesregierung des Saarlandes gewählten Weg der Konfrontation, leider auch der Verdächtigungen und der persönlichen Herabsetzungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frankreich ist ein souveräner Staat. Nur durch das vertrauensvolle Miteinander werden wir Fortschritte erreichen. Das gilt auch weltweit.
Wir machen uns keine Illusionen: Die SPD, vor allem die saarländische Landesregierung, hat auch nicht das geringste Interesse z. B. an einer internationalen Bewertung des Kernkraftwerkes Cattenom, etwa durch die Internationale Atomenergie Agentur in Wien. Im Gegenteil, sie will Angst verbreiten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!)

Deswegen ist das schlimme Wort von Herrn Lafontaine, Cattenom sei eine Todeszentrale, eine Gefahr für das deutsche und französische Miteinander und damit für eine gedeihliche Fortentwicklung im Interesse nicht nur dieser beiden Staaten, sondern Europas.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie von der SPD führen zuerst Entscheidungen in vielen, vielen Angelegenheiten herbei.

(Duve [SPD]: Wer hat Cattenom gebaut?)

Anschließend tun Sie so, als hätten Sie niemals etwas damit zu tun gehabt. Und schließlich verdächtigen Sie diejenigen, die jene Entscheidungen vollziehen, die Sie herbeigeführt haben.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Duve [SPD]: Der Dank des Vaterlandes ist Ihnen gewiß, Herr Wallmann, aber nicht unserer!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023301900
Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1023302000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn alles in Ordnung ist, Herr Minister, muß ich mal fragen: Weshalb haben Sie mit der französischen Regierung über Störfälle und anderes mehr überhaupt verhandelt? So in Ordnung kann es wohl nicht sein.
Meine Damen und Herren, nach Tschernobyl hat die Bundesregierung landauf, landab verkündet: Unsere Kernkraftwerke sind die sichersten; so etwas wie in Tschernobyl kann bei uns nicht geschehen. — Wer so denkt und redet, muß ja wohl dafür sorgen, daß auch die Kernkraftwerke unsere Sicherheitsstandards haben, die im Westwind genau vor unserer Haustür liegen. Was heißt das denn: „unsere Kraftwerke", Herr Wallmann und Herr Bundeskanzler? Sind das die, die wir gebaut haben, oder die, deren Ladung wir abkriegen, wenn etwas geschieht? Ich will damit sagen, daß Sie als Bundesregierung die völlig falschen Maßstäbe anlegen, wo Sie handeln müßten. Sie müssen doch dafür sorgen, daß ein Kernkraftwerk in unserem Vorgarten genauso sicher ist wie ein Kernkraftwerk, das wir in unseren eigenen Hof gesetzt haben. Und das ist bei Cattenom unstrittig nicht der Fall.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Lafontaine hört nicht mal zu!)

Cattenom ist in der Bundesrepublik nicht genehmigungsfähig. Es ist z. B. nicht gegen Flugzeugabsturz ausgelegt. Das bedeutet, daß wir hier nicht nur mit einem Restrisiko leben, sondern mit einem Echtrisiko. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie versäumt haben, diesen Punkt zum Gegenstand ernsthafter Verhandlungen mit der französischen Regierung zu machen.
Meine Damen und Herren, ich will noch einen Punkt herausstellen: Cattenom ist auch im übrigen ein unheimliches Kraftwerk. Können Sie sich vorstellen, Herr Wallmann, daß aus einem Kühlkreislauf plötzlich 400 000 cbm Wasser austreten? Wissen Sie, was das heißt, Herr Wallmann? Aber es interessiert Sie nicht; Sie unterhalten sich ja gerade.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Wie der Lafontaine! Unerträglich!)

Um 400 000 cbm zu transportieren, brauchen Sie 13 500 Tankwagen. Das ist eine Autoschlange von 400 km. Das sind 80 Freibäder von 25 mal 50 m und 4 m Tiefe oder eine Wassersäule von 25 mal 50 m, 320 m hoch. Das ist da passiert. Sehen Sie das vor sich, Herr Wallmann?
Aber allen Ernstes: Das bedeutet doch vor allem, daß der Störfall überhaupt nicht beherrscht wurde. Das bedeutet doch, daß niemand das Wasser gleich abdrehen konnte. Das muß doch zehn, zwanzig oder mehr Stunden geflossen sein. Da muß doch alles überschwemmt gewesen sein. Auch die Reaktorsicherheitsabteilung in Ihrem Ressort konnte sich gestern nachmittag dies alles noch nicht vorstellen. Das können die gar nicht. Darüber hat man anscheinend aber auch nicht nachgedacht.



Vosen
Ich bin davon überzeugt, daß ein solcher Störfall nicht Auslegungsstörfall ist, weil sich kein verantwortlicher Kernkraftwerksbauer so etwas überhaupt vorstellen kann. Einen solchen Vorfall hat es in der Geschichte der Kerntechnik überhaupt noch nicht gegeben. Menschen und Überwachungssysteme haben hier versagt. Ich kann mir nicht ausmalen, meine Damen und Herren, was passiert wäre, wenn der Reaktor in Cattenom zu diesem Zeitpunkt in Betrieb gewesen wäre. Bis heute gibt es keine klare und eindeutige Darstellung und Ursachenanalyse dieses unheimlichen Vorfalls. Das ist skandalös. Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie uns und die Bevölkerung im Grenzgebiet offiziell über diesen Störfall unterrichtet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Kernenergiegegner werden von der Bundesregierung, wie wir sehen, immer noch als Spinner, Chaoten, staatsgefährdende Kräfte klassifiziert. Sie finden sich in den Computern des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes wieder. Seit Kardinal Höffner seine Stimme mit der Mehrheit des Volkes gegen die Kernenergie erhoben hat, sehe ich für die christliche Partei nun nur noch den Weg, so rasch wie möglich aus der Kernenergie auszusteigen — trotz Strauß muß das möglich sein — und unsere französischen Freunde ebenfalls davon zu überzeugen. Im übrigen: Einen Kardinal im Polizeicomputer möchte ich mir nicht vorstellen.
Auch zu einem anderen Zeugen gegen die Kernenergie möchte ich noch ein Wort sagen: Carl Friedrich von Weizsäcker hat in seinem neuesten Buch vom Juli, „Die Zeit drängt", gesagt, daß er für die Zeit, für die wir planen können, nicht mehr zur Kernenergie als leitender Energiequelle raten kann. — Zwei Zeitzeugen, die man nicht als Chaoten und Spinner bezeichnen kann und darf!

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023302100
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1023302200
Letztes Wort. Meine Damen und Herren, ich bitte den Umweltminister, seinem Titel Ehre zu machen und nicht in den Verdacht zu geraten — da sind Sie bei mir —, Atomminister zu sein.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023302300
Das Wort hat der Abgeordnete Schartz.

Günther Schartz (CDU):
Rede ID: ID1023302400
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Meine Herren! Wir sprechen heute über das französische Kernkraftwerk Cattenom. Mir erscheint es notwendig, daß ich diese Tatsache in Erinnerung rufe. Der Standort dieses Kraftwerks ist in Frankreich. Die französische Regierung hat die Planung genehmigt; die französische Regierung hat den Bau genehmigt; die französische Regierung entscheidet, ob Cattenom in Betrieb genommen wird: ja oder nein. Ich sage dies, um deutlich zu machen, wie eng die Einwirkungsmöglichkeiten der deutschen Bundesregierung und auch der Länderregierungen auf Cattenom sind. Wir sollten nicht so tun — auch draußen nicht, Herr Ministerpräsident
Lafontaine —, als ob wir darüber zu entscheiden hätten.
Ich spreche hier als Vertreter der Bürger im Trierer Land. Meine Mitbürger und ich in der Stadt Trier und im Landkreis Trier-Saarburg sind in Sorge wegen Cattenom. Wir erwarten, daß unsere Sicherheit für jetzt und für die Zukunft gewährleistet wird. Wir erwarten, daß die französische Regierung unsere Sorgen ernst nimmt.
Dabei sehe ich durchaus das Problem, daß es für die französische Regierung schwer ist, Cattenom nicht in Betrieb zu nehmen, weil dort viele Milliarden verbaut worden sind. Ich sehe auch das Problem der französischen Regierung, daß man in Frankreich mit Unverständnis zu rechnen hat, wenn wegen der deutschen und luxemburgischen Proteste Cattenom nicht in Betrieb genommen wird, aber an 30 anderen Stellen in Frankreich die Belastung durch Kernkraftwerke, die vielfach nach dem gleichen System gebaut sind, der französischen Bevölkerung auferlegt wird. Ich glaube, daß die französische Regierung in voller Verantwortung für ihre Bürger und für die Bürger in ihren Nachbarstaaten handelt.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, lassen Sie mich etwas aus der Vergangenheit sagen: In Deutschland sind die Möglichkeiten der Einflußnahme versäumt worden. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD: Die SPD wollte Cattenom.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Sie haben es versäumt, in dem einzig möglichen Stadium der Einflußnahme, im Stadium der Planung, etwas gegen Cattenom zu tun. Ihre Regierung hat der französischen Regierung das Sicherheitsattest ausgestellt. Sie haben im Deutschen Bundestag erklärt, daß beide Systeme — das deutsche wie das französische Kernkraftsystem — die Belange und die Sicherheit der Bevölkerung sicherstellten. Sie von der SPD wollten Cattenom. Sie waren nicht bereit, einen offiziellen Protest gegen Cattenom einzulegen. Ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt war nicht bereit, mit dem französischen Staatspräsidenten über Cattenom zu sprechen. Das mußte unser Bundeskanzler Helmut Kohl tun.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! — Becker [Nienberge] [SPD]: Das ist nicht zu fassen!)

Herr Lafontaine, Sie haben eben den Standort Cattenom als falsch bezeichnet. Ich darf zitieren, was Ihre Regierung mir zu dieser Frage gesagt hat: Gegen den Standort Cattenom mit einem Kernkraftwerk von zwei Blöcken können nach den Erkenntnissen der bisherigen Beratungen keine sachlich gerechtfertigten Gründe geltend gemacht werden, jedenfalls nicht, soweit die sicherheitstechnischen Fragen und die Probleme der Moselbelastung zufriedenstellend gelöst werden. — Das hat mir Ihr Parlamentarischer Staatssekretär Sperling am 28. November 1979 im Bundestag erklärt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)




Schartz (Trier)

Lesen Sie es im Protokoll nach.

(Zuruf von der SPD: Heute meint er etwas ganz anderes!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Cattenom steht, und wir müssen mit Cattenom leben.
Ich will nur festhalten:
Erstens. Für die Menschen — im Trierer Land stelle ich die Forderung — in Cattenom wollten Sie keine Inbetriebnahme der Kernkraftwerksblöcke 3 und 4.
Zweitens. Eine erneute sicherheitstechnische Überprüfung ist notwendig. Sie muß nach den neuesten sicherheitstechnischen Erkenntnissen durchgeführt werden.
Drittens. Die Abgabe von Radioaktivität darf die nach deutschem Recht zulässigen Höchstwerte nicht überschreiten.
Viertens. Ich würde es für richtig halten, wenn dort eine internationale Kontrollstation errichtet würde. Ich weiß, daß ich dabei in den Bereich der Utopisten gerückt werde. Ich meine aber, Kernkraft ist so wichtig und für alle Länder dieser Erde so bedeutsam, daß hier ein erster Schritt getan werden sollte.
Fünftens. Wir brauchen die Einrichtung einer umfassenden betreiberunabhängigen Überwachungskontrolle.
Sechstens. Wir brauchen ein zuverlässiges Meldesystem.
Siebtens. Wir brauchen die objektive Information der Bevölkerung über Cattenom.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und über Mülheim-Kärlich!)

Das sollte die Bundesregierung tun. Das Feld der Information darf nicht politischen Kabarettisten überlassen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Cattenom ist zu ernst für politische Schaustücke. In diesen Bereich katalogisiere ich das, was der saarländische Umweltminister Leinen getan hat. Herr Ministerpräsident Lafontaine, schicken Sie sachkundige Leute an die deutsch-französische Grenze, die dort Messungen vornehmen, keine Kabarettisten mit Ministergehalt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zum Schluß möchte ich ein Wort an den Vertreter der französischen Regierung, der dieser Debatte beiwohnt, richten. Sagen Sie bitte Ihrer Regierung, daß außer den Kriegen der Vergangenheit nichts das Verhältnis der Menschen im deutsch-französischen Grenzraum so belastet hat wie Cattenom.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023302500
Abgeordneter Schartz, bitte kommen Sie zum Schluß.

Günther Schartz (CDU):
Rede ID: ID1023302600
Richten Sie sich nach unseren Sorgen. Sie sind eine alte Kulturnation; richten Sie sich nach unseren Sorgen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023302700
Das Wort hat der Minister für Umwelt und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023302800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Landesregierung von Rheinland-Pfalz darf ich hier folgende Erklärung abgeben: Die Sicherheit der Menschen und der Schutz der Umwelt sind und bleiben kompromißlos Maßstäbe, mit denen die Landesregierung von Rheinland-Pfalz jegliche friedliche Nutzung der Kernenergie beurteilt. Wer mit dieser Technologie leichtfertig umgeht, wer höchste Sicherheitsnormen nicht nachprüfbar einhält und wer überhöhte radiologische Emissionen im Wasser und in der Luft duldet, handelt verantwortungslos, ja, verbrecherisch; denn er gefährdet das Leben von Menschen, die in solchen Kernkraftwerken arbeiten oder in der Umgebung leben. Er gefährdet aber auch räumlich und zeitlich weit entfernt lebende Menschen. Dies ist für uns die zentrale und erste Konsequenz aus Tschernobyl.

(Zuruf von den GRÜNEN: Also abschalten!)

Diese bedingungslose Forderung nach Sicherheit gilt für uns ohne Einschränkung. Sie gilt vor allen Dingen weltweit,

(Demonstrativer Beifall bei der SPD)

für Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie für Kernkraftwerke in Frankreich, für Kernkraftwerke in Großbritannien ebenso wie für solche in der DDR, für die in den USA genauso wie für die in der Sowjetunion.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD — Duve [SPD]: Das ist eine Rede, Herr Wallmann!)

— Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß von derselben Seite auch gleich noch derselbe Beifall kommt.

(Zuruf von der SPD: Wir wollen es abwarten!)

— Na ja, das ist ja fein.
Die sicherheitstechnischen Anforderungen zur Errichtung und zum Betrieb von Kernkraftwerken, die in der Bundesrepublik Deutschland bindend vorgeschrieben sind und hier detailliert überprüft werden, gewährleisten die sichere Nutzung der Kernenergie. Deshalb können wir diese Energie verantworten. Wir verantworten sie bis zu einer besseren Energie, die erforscht und einsatzfähig gemacht werden kann.

(Zuruf von der SPD: Wann denn?)

Ich bin ganz sicher, daß die SPD genau dieselbe Wertung hat. Wer nämlich entscheidet, noch in zehn Jahren Kernenergie zu nutzen, der muß davon überzeugt sein, daß Kernenergie sicher genutzt werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein weltweiter Verzicht auf diese Technologie bei diesem Sicherheitsstandard wäre weder wirtschaftlich noch ökologisch, vor allem auch nicht ange-



Staatsminister Dr. Töpfer (Rheinland-Pfalz)

sichts der drängenden Weltprobleme der Zukunft vertretbar. Der Verzicht, der Ausstieg ist auch moralisch nicht zu verantworten.

(Senfft [GRÜNE]: Bei eurer Moral sicher nicht!)

Ich wende mich mit allem Nachdruck, Herr Abgeordneter Schreiner, gegen den Alleinvertretungsanspruch auf Moral bei denen, die einseitig und kopflos aus einer solchen Technologie aussteigen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vosen [SPD]: Mit der Moral haben Sie doch angefangen!)

Wir bauen und betreiben sichere Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen, daß dies auch weltweit so ist. Wir brauchen bei der Nutzung dieser Energie eine Sicherheitspartnerschaft im wahrsten Sinne des Wortes,

(Senfft [GRÜNE]: Also eine neue Lösung!)

damit die 370 Kernkraftwerke in der Welt, die wir eben nicht abstellen können, auch auf Dauer sicher betrieben werden können. Dies ist die sinnvolle und richtige Konsequenz, die der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gezogen hat und die es möglich gemacht hat, in Wien eine Konferenz über Sicherheit und Information abzuhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies ist Verantwortung.

Herr Ministerpräsident Lafontaine, wenn man hier Hans Jonas zitiert und wenn man auf die Heuristik der Furcht von Hans Jonas hinweist, dann bin ich damit sehr einverstanden. Nur muß man doch sagen, daß Hans Jonas dieses Buch nicht als eine alleinige Aussage für die Kernkraft verfaßt hat. Prinzip Verantwortung, Heuristik der Furcht — ja, aber eben in der Alternativabschätzung all dessen, was wir in diesem Leben an Risiko eingehen. Auch die Nutzung von Kohle und anderen Energieträgern ist beim besten Willen nicht ohne Heuristik der Furcht auf Dauer zu betreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hauff [SPD]: Sachverständigenrat zur Kenntnis nehmen! — Duve [SPD]: Kein Widerspruch!)

Wir fordern gleiche Sicherheit vor allem bei den Kernkraftwerken unserer Nachbarn, bei den Anlagen, die unmittelbar jenseits unserer Grenze liegen, weil wir die Sorgen, die Ängste, die Beklommenheit der Menschen in dieser Grenzregion sehr ernst nehmen, Menschen, die über viele Generationen immer in Angst, in Furcht und Beklommenheit vor Nachbarn gelebt haben.
Gleiche Sicherheit, gleiche radiologische Emissionen, gleiche Informationen, das waren und sind die Forderungen, die ab 1976 von den beiden Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, von Dr. Kohl und Dr. Vogel, direkt und mit Hilfe der jeweiligen Bundesregierung kompromißlos und hartnäckig gegenüber Frankreich vertreten worden sind. Mit der deutsch-französischen Kommission konnte ein Gremium geschaffen werden, das weltweit ohne Beispiel ist. Nirgendwo sonst, meine Damen und Herren, haben zwei souveräne Staaten so umfassend Informationen über Kernenergie ausgetauscht, haben so vorbehaltlos verhandelt wie Deutschland und Frankreich in dieser Kommission — es gibt weltweit dafür keinen anderen Beleg —, über Kernkraftwerke und ihre Sicherheit in Fessenheim und Neckarwestheim, über Cattenom und Philipps-burg II.
Durch harte, aber sachliche Informationen und Verhandlungen konnten wichtige Erfolge erzielt werden:
Erstens die Gewährleistung eines gleichen Sicherheitsstandards, durch die DFK, die deutschfranzösische Kommission und die Reaktorsicherheitskommission bestätigt. Ich halte es auch für eine wissenschaftliche Unredlichkeit, immer dann, wenn ein vorher unbestritten tätiges wissenschaftliches Gremium ein im Ergebnis nicht passendes Resultat erbringt, dieses in der Wissenschaftlichkeit herabzusetzen und seinen Rücktritt zu fordern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ein gleiches Vorgehen haben wir auch bei der Strahlenschutzkommission erlebt.

(Duve [SPD]: Und bei den Energiegutachten für die Bundesregierung haben Sie das erlebt!)

Zweitens. Wir haben die völkerrechtlich verbindliche Festlegung der Emissionen auf 3 Curie pro Block und Jahr. Das ist keine Festlegung eines Wertes, sondern der gilt zusammen mit dem Minimierungsgebot. Ich persönlich habe das 1982 zusammen mit Herrn Hartkopf in Metz durchgesetzt. Ich kann mir hier einfach nicht vortragen lassen, es sei nicht intensivst verhandelt worden. Ich persönlich habe dabeigesessen. Herr Kollege Baum hat darauf aufmerksam gemacht.
Drittens. Wir haben die Gewährleistung unmittelbarer Information. Lassen Sie mich das aufgreifen, was Herr Abgeordneter Schartz gesagt hat. Auch ich wünsche mir hier mehr. Wir sind sicher, daß wir zusammen mit der Bundesregierung dieses Mehr erreichen werden.
So danke ich der Bundesregierung. Ich danke insbesondere meinem Kollegen Herrn Bundesumweltminister Wallmann dafür, daß er in der kurzen Zeit, in der er tätig ist, mit großem Nachdruck unsere Sorgen aufgenommen und sie mit zum Erfolg geführt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies sind Erfolge von Verhandlungen zwischen freundschaftlich eng verbundenen Nationen, die nach dem furchtbaren Weltkrieg Gräben zugeschüttet und Feindschaften begraben haben.
Meine Damen und Herren, die deutschfranzösische Freundschaft ist ein wesentlicher Garant für den Frieden in Europa. Meine Damen und Herren, Frankreich hat Zusagen gemacht, und wir vertrauen darauf, daß diese Zusagen eingehalten wer-



Staatsminister Dr. Töpfer (Rheinland-Pfalz)

den, und wir können darauf vertrauen, weil Frankreich nicht zuletzt bis zur Volksabstimmung im Saarland sein einmal gegebenes Wort auch eingehalten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich ist es auch unter Freunden das gute Recht, gerichtliche Auseinandersetzungen auf ein Ziel hin zu führen. Nicht die Klage ist es also, die wir vornehmlich am Vorgehen der saarländischen Landesregierung kritisieren. Dies ist ihr gutes Recht. Dies war uns bekannt. Dies ist nicht zu kritisieren.
Was wir auf das schärfste mißbilligen und zurückweisen, ist vielmehr die Tatsache, daß die saarländische Landesregierung und daß der Ministerpräsident dieses Landes über Cattenom bewußt und in Kenntnis der weitreichenden Konsequenzen für das deutsch-französische Verhältnis einen Stellvertreterkrieg führen, das eigentliche Ziel aber die innenpolitische Wirkung in der Bundesrepublik Deutschland ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, dies ist nicht eine Behauptung. Man muß sich vielmehr die Wortwahl, das Vokabular ansehen. Dies ist immer notwendig, wenn man etwas bewerten will. Man muß nur die Worte zur Kenntnis nehmen. Da wird von der Zentrale des Todes gesprochen, da wird von der Todeszone gesprochen, da wird die deutsch-französische Grenze zu einer Giftgrenze erklärt, da wird Frankreich als eine Atommafia aus Regierung, Administration und Industrie diffamiert.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Unglaubliche Wortwahl!)

Da wird bedenkenlos die Aktualisierung des Unwahrscheinlichen — mit über 100 000 Toten — vorgenommen usw.
Meine Damen und Herren, wer so spricht, wer so außer Kontrolle gerät, der muß sich fragen lassen, ob er ein Sicherheitsrisiko ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Hier geht es doch offenbar nicht um höhere Sicherheit für das Kernkraftwerk Cattenom und damit für die Bevölkerung in diesem Raum; hier geht es um Emotionalisierung der Menschen an Saar und Mosel im Vorfeld von Wahlen.

(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

Hier wird blindlings das gefährdet, ja zerstört, was in 40 Jahren aufgebaut worden ist.
Meine Damen und Herren, dies wird um so problematischer, wenn man — wie der Abgeordnete Müller schon gesagt hat — die Einäugigkeit betrachtet, mit der das geschieht. Da wird im gleichen Artikel darauf hingewiesen, daß die Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Frankreich eine Verpflichtung sei, und gesagt, die Sowjetunion habe ihre Konsequenz aus dem Tschernobyl-Unfall gezogen. Sie hat sie nicht dadurch gezogen, daß sie die Kraftwerke mit diesem Sicherheitsrisiko abgestellt hat, sondern — so Herr Lafontaine — dadurch, daß sie in anderen Regionen weiterbaut.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat in der Vergangenheit mit allen Bundesregierungen in Verhandlungen gut zusammengearbeitet. Wir haben viel erreicht. Wir müssen weiter verhandeln im Sinne guter nachbarschaftlicher Verhältnisse.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023302900
Meine Damen und Herren, nach meinen Feststellungen hat die von der Bundesregierung bzw. vom Bundesrat in Anspruch genommene Redezeit mehr als 30 Minuten betragen. Damit verlängert sich nach den Richtlinien die Dauer der Aussprache ebenfalls um 30 Minuten. Wir fahren deshalb mit der Aussprache fort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1023303000
Meine sehr geehrten Damen! Meine sehr geehrten Herren! Mit Sorge begleitet die Bevölkerung in Rheinland-Pfalz die nunmehr über zehnjährige Planungs- und Aufbauphase des Kernkraftwerks Cattenom an der Mosel, und seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist das Projekt Cattenom zum großen Unruheherd in der Bevölkerung geworden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Geschürt von euch!)

— Ja, geschürt. — Dann nehmen Sie einmal zur Kenntnis, daß diese Skepsis gegenüber dem Projekt keine parteipolitischen Grenzen kennt. Sie müssen sich nur einmal mit Ihren Leuten unterhalten.

(Beifall bei der SPD)

Trotzdem hält nicht nur der Bundeskanzler stur an seinem Atomkurs fest. Auch die derzeitige Landesregierung in Rheinland-Pfalz verfolgt diese politische Linie trotz der überwiegenden Ablehnung der Bevölkerung im eigenen Land.

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja nicht!)

Der Sturm gegen die Inbetriebnahme von Cattenom — so geschehen in Trier — beweist die Brüchigkeit dieser Politik.
Trotz allem beläßt es die rheinland-pfälzische Landesregierung bei schönen Worten, ja mehr noch: Zur Zeit überschlagen sich die Umweltminister Töpfer und Wallmann mit Eigenlob über ihre vermeintlichen Verhandlungserfolge in Sachen Cattenom. Der Erfolg bezieht sich auf die Verpflichtung der Betreiberorganisation EdF gegenüber der französischen Regierung, jährlich pro Reaktorblock nur noch eine radioaktive Konzentration von drei Curie in die Mosel einzuleiten.
Für uns ergeben sich daraus folgende Fragen: Wer hat denn eigentlich in Paris verhandelt, wenn der sogenannte Erfolg ausschließlich eine Abspra-



Reimann
che zwischen dem Betreiber und der französischen Regierung ist?

(Duve [SPD]: Sehr wahr!)

Wieso verkauft die Bundesregierung diese Absichtserklärung als einen Erfolg, wenn sie — so scheint es — weder auf die Einhaltung der Verpflichtungen noch auf ihre Durchführung den geringsten Einfluß hat? Sollte aber über die Verpflichtung bzw. Absichtserklärung hinaus eine Vereinbarung bestehen, die Landes- und Bundesregierung Einflußmöglichkeiten sichert, dann: bitte vorzeigen, Herr Töpfer.

(Beifall bei der SPD)

Gegenseitige Erklärungen von Staatssekretären reichen da nicht aus.
Wie soll die Bevölkerung in Rheinland-Pfalz den Regierungen von Bund und Land noch Glauben schenken, auch angesichts der jüngsten Störfälle in Cattenom, die sich während des Probeablaufs ereigneten? Daraus ergeben sich neue Fragen: Kennt die rheinland-pfälzische Regierung die Höhe der Radioaktivitätsabgaben in die Mosel bei Störfällen, wie sie sicherlich in Cattenom zu erwarten sind, und sollen die zu erwartenden Radioaktivitätsabgaben nach Ansicht der Landesregierung unter den Begriff des sogenannten Restrisikos fallen, mit dem wir Rheinland-Pfälzer fertig werden müssen? Beschwichtigungsversuche durch das Vorgaukeln von Erfolgen, die keine sind, helfen niemandem.

(Beifall bei der SPD)

Wir rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten wollen zum Wohle unserer Bevölkerung die Inbetriebnahme des Pannenreaktors in Cattenom verhindern und unterstützen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Proteste der Bevölkerung, notwendig eingereichte oder einzureichende Klagen, wie z. B. die Klagen der Stadt Trier, des Kreises Trier-Saarburg, des Saarlandes und der 37 luxemburgischen Gemeinden gegen den Genehmigungsbescheid des französischen Industrieministers vom Februar 1986.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur gegen Block 3 und 4! Sie sagen die Unwahrheit!)

Die Sicherheitsstudie zu Cattenom läßt berechtigte Zweifel darüber zu, ob sich eine Reaktorkatastrophe wie in Tschernobyl nicht gerade hier wiederholen lassen kann. Deshalb meinen wir Sozialdemokraten, daß im Interesse der Menschen die künftige Energieversorgung ohne Kernenergie auskommen muß.

(Beifall bei der SPD)

Aus dieser Sorge heraus gilt insbesondere für Rheinland-Pfalz: Cattenom darf nicht ans Netz.
Ich bringe hier die Sorgen der Bevölkerung von Rheinland-Pfalz ein, die das Recht des Umdenkens für sich in Anspruch nimmt

(Zuruf von der CDU/CSU: Da sind Sie allein in der Welt!)

und Lehren aus Tschernobyl und den jüngsten Erfahrungen mit Störfällen in Cattenom zieht.
Meine Damen und Herren der CDU, wir Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz meinen, daß dieser Anspruch: Cattenom darf nicht ans Netz! der deutsch-französischen Freundschaft keinen Abbruch tut.

(Beifall bei der SPD)

Denn unter Freunden muß es möglich sein, seine Interessen klar und deutlich geltend zu machen und klar und deutlich zu vertreten.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023303100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1023303200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD führt um Cattenom einen Gesinnungskampf.

(Zurufe von der SPD)

Sie polarisiert, sie emotionalisiert und moralisiert in einer Weise, die in der Dialogunfähigkeit und in der Unfähigkeit, Realitäten nüchtern zu bewerten, enden muß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Senfft [GRÜNE]: Tschernobyl kann man ganz nüchtern bewerten!)

Die außerordentlich wichtige politische Auseinandersetzung um die technischen Risiken unserer modernen Industriegesellschaft ist keine moralistische Veranstaltung, bei der es um den Heilsweg der absolut gefahrlosen Energieversorgung oder den Weltuntergang geht.
Gefordert sind vielmehr eine sorgfältige wissenschaftliche Abwägung, Sachlichkeit, Vernunft und Augenmaß. Für uns sind dies keine Sekundärtugenden, Herr Ministerpräsident Lafontaine.
Vernunft und Erfahrung sagen uns, daß die Risiken jeder großtechnischen Energieerzeugung länderübergreifend sind. Dies gilt für die Klimaveränderungen durch den Assuan-Staudamm, die Risiken der fossilen Verbrennung mit ihrer irreversiblen Veränderung der Erdatmosphäre ebenso wie für die Risiken der Kernenergie. Die Probleme können nicht im nationalen Alleingang und schon gar nicht mit Schaum vor dem Munde und rücksichtsloser Konfrontation gegen unsere benachbarten Freunde gelöst werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie man zu wirklichen Fortschritten kommt, haben der Bundeskanzler und der Bundesumweltminister in Wien und Paris gezeigt.
Bei der SPD herrscht verkehrte Welt total.

(Lachen bei der SPD)

Es war doch nicht die SPD, es waren die damaligen CDU-Ministerpräsidenten Helmut Kohl und FranzJosef Röder, die 1976 Bundeskanzler Helmut Schmidt ihre Bedenken gegen diese Zusammenballung von Kernkraftwerken in Cattenom vortrugen.

(Zuruf von der SPD: Wieso gelten die heute nicht mehr?)




Dr. Laufs
— Ja, man muß auf die unglaublichen Polemiken der SPD hin immer wieder betonen, daß die SPDgeführte Bundesregierung damals keine Veranlassung sah, sich gegen die französischen Kernkraftpläne zu wenden. So ist noch am 29. März 1982 ein Regierungsgespräch unter der Leitung des deutschen Innenstaatssekretärs zu einer eindeutig positiven Bewertung gelangt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Das Vorhaben Cattenom war von Beginn an die zentrale Aufgabe für die 1976 gegründete deutschfranzösische Kommission für Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen. Auf ihrer Sitzung vom 26. bis 28. Mai 1986 — wir müssen das immer wieder betonen —, also nach dem Unfall von Tschernobyl, hat die Kommission die bereits 1982 getroffene Feststellung erneuert, daß die für die Kernkraftwerke Cattenom und Philippsburg II bereits verwirklichten oder vorgesehenen Sicherheits-, Strahlen-, Umwelt- und Notfallschutzmaßnahmen insbesondere im Hinblick auf potentielle grenzüberschreitende Auswirkungen vergleichbar sind und daß für die in Grenznähe lebende Bevölkerung im Hinblick auf die jeweilige ausländische Anlage ein analoger Schutz zu erwarten ist wie in der Umgebung der eigenen Anlage.
Gegen diese Feststellung hat der Vertreter des Saarlandes in der deutsch-französischen Kommission keinerlei Einwendungen erhoben. Das war vor vier Monaten.
Seit dieser Sitzung der deutsch-französischen Kommission, in der das Saarland unmittelbar, also nach dem Unfall in Tschernobyl keine Einwände gegen die Sicherheit von Cattenom erhoben hat, haben sich keine neuen Tatsachen ergeben, die die totale Kehrtwendung der SPD begründen könnten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das zeigt, man hat Tschernobyl verpaßt!)

Die Antwort, warum Cattenom bis zum Mai sicher war und danach angeblich nicht mehr, sind Sie, Herr Lafontaine, schuldig geblieben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hat die SPD elementare Sicherheitsinteressen der Bevölkerung früher vernachlässigt? Dies ist nicht anzunehmen. Richtig ist wohl, daß Sie, Herr Lafontaine, begonnen haben, die Ängste der Menschen politisch zu mißbrauchen und mutwillig aufzuputschen, um wider besseren Wissens Katastrophenstimmung zu verbreiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Unerhört!)

Dies ist zutiefst unseriös und einer verantwortlichen Landesregierung unwürdig. Diese schlimme Politik wird Sie einmal einholen, und Sie werden erbärmlich aussehen.
Uns geht es um die Sicherheit der Bürger in der wirklichen Welt, wie wir sie heute vorfinden. Die Bundesregierung hat in intensiven Gesprächen mit dem französischen Nachbarn eine Verbesserung des Strahlenschutzes erreicht. Die Bundesregierung hat erfolgreich erste Schritte zu einem höheren internationalen Sicherheitsstandard eingeleitet und durchgesetzt. Wir werden auf diesem Wege fortschreiten.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023303300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.

Dr. Wolfgang Rumpf (FDP):
Rede ID: ID1023303400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Angst vor Cattenom wurde vor allem durch den Unfall im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ausgelöst und dann von unverantwortlichen Politikern geschürt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Cattenom ist in keiner Weise mit Tschernobyl vergleichbar.

(Zuruf von der SPD: Woher wissen Sie das?)

Der Sicherheitsstandard ist unvergleichlich höher. Aber mit dieser Feststellung allein läßt sich die Angst leider nicht abbauen. Bei Probeläufen von Teilbereichen des Kraftwerkes sind Ereignisse eingetreten, die diese Angst verstärkt haben. Wir von der FDP meinen, daß beste Aufklärung und Information der Bürger, und zwar nur beste Aufklärung und Information, diesen Ängsten begegnen können.

(Duve [SPD]: Eine radikale Forderung!)

Was war geschehen? Am 3. August 1986 ist beim Abdichten eines Daches mit heißem Bitumen Teer auf den Boden gelaufen, wo Abfälle lagen, die in Brand geraten sind. Rauchentwicklung führte zu ängstlichen Fragen und Reaktionen; eine Gefahr bestand nicht.
Am 21. August 1986 wurde Kühlwasser aus der Mosel in den Kühlturm geleitet. Dieses Kühlwasser dient als Zuschußwasser zum Ausgleich der Kühlturmverluste durch Verdampfung, wenn der Reaktor in Betrieb ist. Da er noch nicht in Betrieb war, lief dieses Wasser aus der Kühlturmschüssel über
— es war im wahrsten Sinne des Wortes überflüssig — und drückte dabei Sicherheitsventile auf.

(Lachen und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

— Ja, das sind die Tatsachen. Das ist die Aufklärung, die von Ihrer Seite nicht zu erwarten ist, weil Sie einen Wahlkampfschlager daraus machen wollen. —

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es war kein Wasser aus dem Primärkreis und auch nicht aus dem Sekundärkreis des Reaktorbereiches. Mit dem Kernkraftbetrieb hatte es überhaupt nichts zu tun. Dies wurde sofort klargestellt. Leider hat aber der saarländische Umweltminister Jo Leinen die Angst weiter geschürt, als er mit einem Testwagen zur Messung von Radioaktivität anrückte und ein Presseteam herbeirief.

(Senfft [GRÜNE]: Erst Überwachung fordern und dann von Angstschüren sprechen!)




Dr. Rumpf
Er konnte dadurch von seinem Versagen bei der Vergiftung der Saar und der Mosel ablenken, das einige Wochen vorher ein riesiges Fischsterben zur Folge hatte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Duve [SPD]: Was sagen Sie da? — Weitere Zurufe von der SPD)

Am 12. September 1986, meine Damen und Herren, schmorte beim Austesten aller Einzelsysteme eine Kabelisolierung durch. Auch hier bestand keine Gefahr.

(Duve [SPD]: Herr Rumpf, Ihre Rede ist überflüssig! — Gegenruf von der CDU/ CSU: Hören Sie einmal gut zu, Herr Duve! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Herr Duve, auch Sie können manchmal noch etwas dazulernen. —

(Lachen und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Nur nicht von Ihnen!)

Die Unterrichtung durch die Betreiber erfolgte in jedem der drei Fälle routinemäßig und wie vereinbart. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun kann man aber — leider — einmal vorher geschürte Angst nicht allein durch Rationalität und durch Argumente beseitigen. Die Bevölkerung will sehen, daß zu ihrer Sicherheit noch mehr getan wird,

(Duve [SPD]: Als Ihre Rede!)

und dies ist auch unsere Forderung. Die FDP-Bundestagsfraktion appelliert hier — gemeinsam mit unseren liberalen Freunden an der Saar und an der Mosel —

(Jahn [Marburg] [SPD]: Gibt's da überhaupt welche? — Weitere Zurufe von der SPD)

an die Bundesregierung. Die Anrainer müssen erwarten können, daß die Sicherheitsdiskussion der Fachleute nicht zu einer Angelegenheit von Glaube, Zweifel und Hoffnung gerät, sondern sie müssen Sicherheit haben. Wenn das Saarland, Luxemburg, die Stadt Trier und der Landkreis Trier-Saarburg den Weg der Klage beschreiten, so muß dies zu Verhandlungen mit Frankreich über noch mehr Sicherheit führen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Cattenom muß zu einem Symbol deutsch-französischer Zusammenarbeit, der Durchsetzung größtmöglicher Sicherheit und allerbester Kooperation werden. Die Bundesregierung wird unseren Freunden dies deutlich machen, und die FDP wird sie darin unterstützen.

(Zuruf von der SPD: Große Worte!)

Im übrigen ist Cattenom bereits heute ein Beispiel sehr guter Zusammenarbeit. Die Praxis der Zusammenarbeit mit Frankreich ist schon längst viel weiter fortgeschritten als etwa das, was man in Wien auf der Konferenz versucht hat.
Wenn nun der saarländische Ministerpräsident Lafontaine keinen Strom aus Cattenom beziehen will, dann muß er eben neue Kohlekraftwerke bauen. Diese werden den Wald trotz moderner Filteranlagen weiter schädigen.

(Urbaniak [SPD]: Das ist ja unerhört!)

Auch das kann nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Es ist auch keine zukunftsorientierte und keine seriöse Politik. Denn diese Schädigung bleibt nicht auf das Saarland beschränkt, sondern wirkt sich — wie heute schon aus vielen saarländischen Emissionsquellen — auf die Wälder von RheinlandPfalz, Hessen, Baden-Württemberg und auf den Alpenraum aus. Nachher, gleich im Anschluß hieran, haben wir einen Tagesordnungspunkt zur ökologischen Situation des Alpenraumes zu behandeln.

(Engelsberger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wie wollen Sie sich denn dann in diesem Zusammenhang verhalten? Sie können doch nicht das eine so und das andere so sehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die können das, die können alles! — Tatge [GRÜNE]: Sie können den Teufel doch nicht mit Beelzebub austreiben!)

Sie können sich doch nicht immer nur die guten Seiten der Politik heraussuchen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Höchster Sicherheitsstandard und schnellste, lückenlose Informationspolitik machen Cattenom erträglich. Kooperation, nicht Konfrontation ist das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023303500
Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten des Saarlandes das Wort.

(Mischnick [FDP]: Wir haben heute zweimal die Ehre! — Bohl [CDU/CSU]: Ja, das saß wohl! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023303600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich in der Debatte so oft angesprochen wurde, werden Sie dafür Verständnis haben, daß ich noch einmal zu einigen Argumenten Stellung nehme.

(Zurufe von CDU/CSU: Nein!)

Zunächst einmal zur Versachlichung der Debatte: Bundesminister Wallmann hat hier unterstellt oder den Vorwurf erhoben, daß diejenigen, die eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der Kernenergie haben, den anderen unterstellten, sie würden in zynischer Weise das Leben der Menschen aufs Spiel setzen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ihre Vokabeln waren noch ganz andere!)

Ich stelle hier klar, daß ich der Auffassung bin, daß niemand in der Debatte das Recht hat, dem anderen dieses zu unterstellen,

(Beifall bei der SPD — Dr. Göhner [CDU/ CSU]: Dann nehmen Sie Ihre Äußerungen zurück! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/ CSU]: Draußen tun Sie es dauernd!)




Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

und daß derjenige, der solche Vorwürfe erhebt, gefälligst zitieren oder solche Vorwürfe unterlassen soll.

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: „Zentrale des Todes" stammt doch von Ihnen!)

— Ich will gern auf Ihren Zwischenruf eingehen. Der Begriff „Zentrale des Todes" stammt von mir. Ich habe nichts zurückzunehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Bewertung der Kernenergie ist ganz, ganz anders als Ihre.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie bestätigen Bundesumweltminister Wallmann!)

Es wäre doch möglich, daß Sie dies zur Kenntnis nehmen, daß Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir in der Bewertung der Kernenergie grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen haben.

(Beifall bei der SPD)

Nun will ich ein Wort des Abgeordneten Laufs aufnehmen. Er sagte: Sie verbreiten wider besseres Wissen Katastrophenstimmung, und Ihre schlimme Politik wird Sie eines Tages ganz jämmerlich oder erbärmlich — genau habe ich es nicht mitschreiben können — aussehen lassen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Einholen!)

— Oder einholen. Es kommt auf den Sinn einer Aussage an.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Und den Sinn bestimmen Sie?)

Es wäre besser, der Abgeordnete Laufs hätte im Hinblick auf seine Bewertung meiner Politik recht; denn dann würde nichts passieren. Es wird schlimm für ihn, wenn unsere Mahnungen richtig sind. Dann wird ihn seine schlimme Politik auf ganz andere Art und Weise einholen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Schlimm ist der Lafontaine!)

und er wird noch viel, viel jämmerlicher — um seine Worte zu gebrauchen — aussehen.

(Beifall bei der SPD)

Als Bundesminister Wallmann glaubte, hier auf die Philosophie von Hans Jonas eingehen zu können, sprach er davon, daß der Begriff der Angst von Hans Jonas in seiner Philosophie nicht in dem Sinne gebraucht werde, wie ich ihn hier benutzt habe.
Ich habe dann von der Bundesratsbank aus dazwischengerufen: Ist Ihnen der Begriff „Heuristik der Furcht" bekannt?

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das sollten Sie nicht tun! Ich sage Ihnen, Herr Bundesminister Wallmann, daß Sie nach meinem Urteil die Philosophie von Hans Jonas völlig falsch dargestellt haben. Dies kann eine unterschiedliche Ausgangsposition ausmachen; (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das war der Herr Töpfer!)


(Dr. Hauff [SPD]: So ist es!)

denn die Heuristik der Furcht beinhaltet j a gerade, daß man Angst nicht verdrängen, sondern daß man sie sich bewußtmachen soll, um zu richtigen Urteilen zu kommen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, nachdem ich gesagt habe, ich bin nicht berechtigt, einem anderen Zynismus bei der Behandlung des menschlichen Lebens zu unterstellen, möchte ich ein Wort des Ministers für Umwelt des Landes Rheinland-Pfalz aufgreifen und auch dieses klarstellen: Natürlich gilt das Prinzip der Heuristik der Furcht nicht nur für die Kernenergie.

(Duve [SPD]: Sehr wohl!)

Auch hier möchte ich an Ihre Adresse gerichtet einen gemeinsamen Boden beschreiben.
Meine Damen und Herren, ich bin in erster Linie von Herrn Bundesminister Wallmann in polemischer Form angegriffen worden, was mich angesichts des Auftretens in der Öffentlichkeit sehr überrascht hat. Zunächst einmal wurde uns vorgeworfen, wir hätten uns in der damaligen Sitzung der deutsch-französischen Kommission nicht erneut eingelassen, und dies sei ein besonderer Beweis unserer Unglaubwürdigkeit.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ein weiterer!)

Zur rechtlichen Bewertung der Relevanz beider Kommissionen, die hier arbeiten — es gibt j a zwei Kommissionen, und wenn man die Reaktorsicherheitszusammenkünfte hinzunimmt, gibt es drei; vielleicht gibt es auch noch mehr, die ich gar nicht kenne —, verweise ich auf die Ausführungen des saarländischen Justizministers. Diese sollten Sie mit in Ihr Urteil einbeziehen.
Aber, meine Damen und Herren, wenn der Ministerpräsident des Saarlandes im schriftlichen Verkehr mit dem Präsidenten der Französischen Republik und dem Premierminister der Französischen Republik mehrfach die Haltung des Saarlandes darlegt,

(Seiters [CDU/CSU]: Dann braucht eine Kommission nichts mehr zu sagen!)

die grundlegende Ablehnung darlegt, dann ist es wohl verständlich, daß ein Beamter in Kommissionen nicht gebetsmühlenartig die Position der saarländischen Landesregierung wiederholt.

(Lachen bei der CDU/CSU — Seiters [CDU/CSU]: Das ist ja ein tolles Stück, was Sie hier erzählen! So ein Quatsch! Eine windelweiche Erklärung, die Sie hier abgeben! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Duve [SPD]: Jetzt spielen sie alle Ministerpräsident, die jungen Leute! Göhner will Ministerpräsident des Landes Lippe werden!)




Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

Zur Sache: Es wird hier auch von dem Minister des Landes Rheinland-Pfalz sowie von dem Bundesminister Wallmann davon gesprochen, daß die französischen Kernkraftwerke den gleichen Sicherheitsstandard hätten wie die deutschen Kernkraftwerke. Dem stehen zwei Aussagen derselben Minister oder derselben Regierung entgegen: Erstens. Es gäbe eine ungleiche Sicherheitsphilosophie. Wer dies sagt und gleichzeitig darauf verweist, daß ganz andere Regelkreise geschaltet sind, ganz andere technische Geräte eingesetzt sind, um im Fall des Falles die Katastrophe zu verhindern, begibt sich auf sehr glattes Eis, wenn er behauptet, es gäbe die gleichen Sicherheitsstandards. Aber eines müssen Sie dann endgültig aufgeben, nämlich die nach Tschernobyl gebetsmühlenartig wiederholte Formel: Wir haben die sichersten Kernkraftwerke der Welt. Die läßt sich dann j a wohl mit dieser Aussage nicht mehr in Übereinstimmung bringen.

(Bohl [CDU/CSU]: Welche sind denn sicherer?)

Zweitens. Sie haben hier von einem großen Verhandlungserfolg der Bundesregierung gesprochen. Ich kann nur sagen: ach Gott, ach Gott! Was ist dieser Verhandlungserfolg? Die EdF versichert dem französischen Staat, sie wolle sich an seine Vorgaben halten. Zu deutsch: Die Geschäftsführung versichert dem Gesellschafter, sie wolle sich an seine Vorgaben halten. Nur bedenken Sie bitte, daß der Gesellschafter, der französische Staat, sich — auch nach der Kritik aus Ihren Reihen — nicht an die bestehenden Abkommen hält. Was ist das für ein Erfolg, meine sehr geehrten Damen und Herren?
Ich bedaure außerordentlich, daß Sie kein Wort zur Serie der Pannen bei den Probeläufen in Cattenom gesagt haben. Ich hätte von dem zuständigen Bundesminister heute hier in dieser Debatte ein einziges Wort der Bewertung zu diesen ganzen Pannen erwartet.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn Sie hier in polemischer Art und Weise die Formel in den Raum stellen, daß man in die Verhandlungen keine Minister oder Kabarettisten mit Ministergehalt, sondern sachkundige Leute schicken soll, dann passen Sie auf, daß diese nette Formel nicht auf Sie zurückfällt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nun etwas, was mich bei dem hier mit so großer Verve vorgetragenen Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft wirklich empört: Was berechtigt Sie eigentlich, meine Damen und Herren, auch in der heutigen Debatte wieder kein Wort zu dem Mitgliedstaat Luxemburg zu sagen?

(Zurufe des Abg. Duve [SPD])

Wo ist die Glaubwürdigkeit Ihres Bemühens um das gutnachbarschaftliche Verhältnis, wenn Sie kein einziges Wort zu den existentiellen Sorgen dieses Staates sagen? Das kann doch nur so erklärt werden, daß sich das Denken in Quantitäten verloren hat und Qualitäten nicht mehr gesehen werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Minister Wallmann hatte hier davon gesprochen, daß persönliche Herabsetzungen bei solchen Auseinandersetzungen das Mittel der Politik geworden seien. Ich sage noch einmal: Ich habe zwei Angebote für die weitere Debatte gemacht, aber ich stelle fest, Herr Bundesminister Wallmann, daß Sie eine ganze Reihe von Verbalinjurien an die Adresse anderer hier losgelassen haben. Ich hätte von Ihnen etwas anderes erwartet.

(Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Juso-Manieren! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Eine Frechheit ist das!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023303700
Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.

Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID1023303800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich wenigstens anerkennen, daß der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine, in den Bundestag gekommen ist, während es bisher der Kanzlerkandidat der SPD vermieden hat, hier im Bundestag zu den brennenden Problemen der deutschen Politik Stellung zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Roth [SPD]: Wo ist denn Herr Vogel aus Mainz, wo ist denn Herr Strauß?)

Allerdings, Herr Ministerpräsident, ist es Ihnen nicht gelungen, die Aussagen der Redner der CDU, unseres Umweltministers Wallmann und des Ministers Töpfer in irgendeiner Weise zu entkräften. Ganz im Gegenteil, trotz Ihres zweimaligen Auftritts sind Sie die Antworten schuldig geblieben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, mit Cattenom verbindet die SPD und vor allen Dingen der saarländische Ministerpräsident Lafontaine inzwischen die Grundsatzfrage, ob die friedliche Nutzung der Kernenergie überhaupt noch technisch beherrschbar und damit politisch verantwortbar ist. Die Betreiber dieses Kernkraftwerks und die für Cattenom politisch Verantwortlichen müssen deshalb Verständnis dafür haben, daß wir hier grundsätzlich die gleichen Sicherheitsmaßstäbe anlegen, wie wir dies in der Bundesrepublik Deutschland bei unseren Kernkraftwerken gewohnt sind und wir dies nach Tschernobyl sogar noch in verstärktem Maße tun.
Als Politiker will ich mich heute nicht auf technische Detailfragen einlassen. Als Politiker stelle ich aber fest, daß die von Ministerpräsident Lafontaine behaupteten sicherheitstechnischen Mängel von den mir bekannten Sachverständigen und Experten nicht bestätigt werden. So haben sich die international angesehehen Vorsitzenden der deutschen Reaktorsicherheitskommission, Professor Birkhofer, und der Kernforschungsanstalt Jülich, Professor Häfele, ausdrücklich dafür verbürgt, daß Cattenom in seinem Sicherheitsstandard den Ansprü-



Engelsberger
chen deutscher Kernkraftwerke gerecht wird. Ich weiß, Herr Ministerpräsident, Sie sind von Beruf Physiker. Aber in der Frage, ob Sie über die Kompetenz der eben genannten Herren verfügen, möchte ich meine Zweifel anmelden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die einvernehmliche Zusammenarbeit der deutsch-französischen Expertenkommission, die den Sicherheitsstandard des Kernkraftwerks Cattenom seit über zehn Jahren kritisch überprüft, hat nach Tschernobyl noch einmal ausdrücklich festgestellt, daß der Sicherheitsstandard von Philippsburg und der von Cattenom vergleichbar sind.

(Roth [SPD]: Bleiben Sie doch bei der Wasserkraft!)

Wenn aber Cattenom dem hohen Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraftwerke vergleichbar ist, dann ist Cattenom nach menschlichem Ermessen auch so sicher wie deutsche Kernkraftwerke, und dann besteht auch kein Anlaß zu Panikmache. Aber genau dies haben Sie, Herr Ministerpräsident, und hat die SPD getan!
Der KWU-Vorstandsvorsitzende Klaus Barthelt hat im „Spiegel" in dieser Woche ausdrücklich erklärt:
Wir gehen nicht davon aus, daß es Störfälle nicht geben darf. Im Gegenteil! Wir gehen davon aus, daß es technische Pannen gibt und daß menschliches Fehlverhalten passieren kann.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sehr richtig! So ist es!)

Und wir sorgen durch unsere Technik dafür, daß die Sicherheit für die Umgebung erhalten bleibt ... Ich schließe aus, daß es Tote gibt. Ich schließe aus: verwüstetes Gelände, auf Dauer unbewohnbar, wie gewisse Horror-Szenarien angelegt sind. Ich schließe also aus: eine katastrophale Wirkung wie bei Tschernobyl.
So KWU-Chef Barthelt.

(Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN — Glocke des Präsidenten)

Um jeden Zweifel auszuschließen, möchte ich deshalb die Forderung Minister Wallmanns noch einmal nachdrücklich unterstützen, daß nach der Inbetriebnahme von Tschernobyl und der Beteiligung der zuständigen internationalen Behörde in Wien auch das Kernkraftwerk Cattenom noch einmal auf seinen Sicherheitsstandard überprüft wird, so wie Minister Wallmann das für die in der Bundesrepublik Deutschland betriebenen Kernkraftwerke angeordnet hat.
Aber geht es der SPD überhaupt ernsthaft um den Sicherheitsstandard französischer oder deutscher Kernkraftwerke? Die SPD und die GRÜNEN versuchen nach Tschernobyl, sich darin zu überbieten, die deutsche Bevölkerung mit ständig neuen Hiobsbotschaften und Angstkampagnen in Furcht und Schrecken zu versetzen. Die Frage nach der politischen Akzeptanz der Kernenergie ist deshalb inzwischen längst zu einer Frage nach unser aller politischen und persönlichen Glaubwürdigkeit geworden.
Wenn ich daran denke, daß derselbe Herr Lafontaine, der wegen Cattenom angeblich keinen Schlaf mehr findet, wenige Tage nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl ausgerechnet in Moskau sein Verständnis für die unverantwortliche Informationspolitik der Sowjetregierung zum Ausdruck gebracht hat,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

dann frage ich mich, ob dieser Mann inzwischen einer paramarxistischen Bewußtseinsspaltung unterliegt

(Widerspruch bei der SPD)

oder ob er ein eiskalter Zyniker oder Machtpolitiker ist.

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023303900
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID1023304000
Meine Damen und Herren — —

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023304100
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß!

Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID1023304200
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident: Ich möchte hier zum Ausdruck bringen, daß die unverantwortlichen Parolen der SPD im Zusammenhang mit der Kernenergiepolitik

(Zuruf von der SPD: Ihre Redezeit ist um!)

letzten Endes Schaden für unser deutsches Volk und für unsere Energieversorgung als Auswirkung haben werden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023304300
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einmal zum Ablauf dieser Debatte eine Bemerkung machen. Es ist für unsere Stenographen fast unmöglich geworden, die große Zahl von Zwischenrufen und dauernden Zwischenreden aufzunehmen.

(Zurufe)

Ich bitte, auf die besondere Situation dieses Raumes Rücksicht zu nehmen.

(Weitere Zurufe)

Ich darf Sie alle — und das geht auch an die Adresse — —

(Anhaltende Zurufe)

— Wenn nicht einmal der Präsident ohne Zwischenrufe reden kann, frage ich mich, was das eigentlich soll, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)




Präsident Dr. Jenninger
Es gehört auch zur politischen Kultur eines Landes, daß man sich gegenseitig zuhören kann.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage das an die Adresse aller Seiten des Hauses.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Brück.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1023304400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Engelsberger, der Ministerpräsident des Saarlandes ist hierher in diese Debatte gekommen, weil er die Sorgen und die Ängste der Menschen im Saarland

(Zuruf von der CDU/CSU: Schüren will!) in diese Debatte einbringen wollte.


(Beifall bei der SPD)

Würde ich in Ihrem Stil argumentieren, dann müßte ich fragen: Wo bleibt denn der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz?

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: Der Minister ist doch da! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Aber ich will nicht in diesem Stile argumentieren, weil ich glaube, die Art und Weise, wie Sie, Herr Kollege Engelsberger, wie der Kollege Laufs und der Kollege Rumpf hier argumentiert haben, entspricht nicht dem Ernst der Sache, über die wir uns hier heute morgen unterhalten.

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: Blasen Sie sich nicht so auf! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich habe mich in dieser Debatte gemeldet, weil ich einem Vorwurf begegnen will, der in den letzten Wochen und auch heute wieder in dieser Debatte erhoben worden ist, daß nämlich die Proteste von Deutschen gegen das Kernkraftwerk Cattenom die deutsch-französische Freundschaft belasten.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich will dazu sehr persönlich folgendes sagen. Ich wohne mit meiner Familie 50 km Luftlinie von Cattenom entfernt. Für mich ist daher die Diskussion um dieses Kernkraftwerk keine abstrakte Diskussion. Ich wohne aber auch mit meiner Familie 15 km Luftlinie von der deutsch-französischen Grenze entfernt. Ich habe den Zweiten Weltkrieg als Kind erlebt. Ich habe danach hautnah den deutsch-französischen Streit um meine Heimat erlebt. Deshalb ist für mich auch die deutschfranzösische Freundschaft kein abstrakter Begriff. Ich empfinde es als großes Glück, daß die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich heute nicht mehr die Grenze ist, die ich als Kind erlebt habe. Ich empfinde es als großes Glück, daß die Menschen in Deutschland und in Frankreich sich freundschaftlich begegnen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Aber gerade deshalb, weil dies so ist, dürfen wir doch nicht die Probleme, die sich uns stellen, einfach unter den Teppich kehren.

(Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Niemand tut dies!)

Wenn man — das ist heute schon gesagt worden, und ich will es wiederholen — mit den Handlungen eines Freundes nicht einverstanden ist, muß man das diesem Freund ganz offen sagen.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich weiß, daß Franzosen dies für ganz selbstverständlich halten.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Beschimpfungen?)

Sie vertreten ihre Interessen mit aller Deutlichkeit, und letzten Endes achten sie nur die, die ihre Interessen ihrerseits deutlich vertreten.
Wer in der Diskussion um das Kernkraftwerk Cattenom schon eine Belastung der deutsch-französischen Freundschaft sieht, der hat im Grunde Zweifel an der Festigkeit dieser deutschfranzösischen Freundschaft.

(Beifall bei der SPD)

Wer den Deutschen, die gegen dieses Kernkraftwerk protestieren, eine antifranzösische Haltung unterstellt, der muß die dann auch dem Europäischen Parlament unterstellen;

(Beifall bei der SPD)

denn dieses hat sich am 11. September 1986 gegen eine Inbetriebnahme von Cattenom ausgesprochen. Antifranzösisches Europäisches Parlament?
Ist es antifranzösisch, vor einem französischen Gericht zu klagen, oder ist es nicht geradezu ein Zeichen für die fortschreitende Integration in Europa und auch für die deutsch-französische Freundschaft, daß Deutsche vor einem französischen Gericht gegen eine Handlung der französischen Regierung klagen können?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Müssen wir nicht von der französischen Regierung verlangen, daß sie bestehende Verträge hält? Schließlich hat das Verwaltungsgericht in Straßburg, ein französisches Gericht, in seinem Urteil vom 8. September dieses Jahres bestätigt, daß im Falle von Cattenom Frankreich gegen den Art. 37 des Euratom-Vertrages verstoßen hat.

(Dr. Hauff [SPD]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, die Diskussion um Cattenom zerstört nicht die deutsch-französische Freundschaft. Wer gute Nachbarschaft haben will, der muß dafür sorgen, daß der Nachbar auf der anderen Seite keine Angst hat, und das dient der deutsch-französischen Freundschaft mehr als ein Verschweigen der Probleme.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023304500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte (Menden).




Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1023304600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich heute morgen die Koalitionsreden angehört hat, dann entsteht der Eindruck, als hätte es Tschernobyl nie gegeben.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Leider gibt es das noch!)

Herr Wallmann, wo ist Ihre Nachdenklichkeit, die Sie hier am Anfang an den Tag gelegt haben, eigentlich geblieben?

(Tatge [GRÜNE]: Die hatte er nie!)

Sie wollten doch die Ängste und Sorgen der Bürger ernst nehmen. Nachdem wir Ihre Rede gehört haben, kann man nur feststellen: Von diesem Vorsatz ist nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben.

(Beifall bei den GRÜNEN — Vogel [München] [GRÜNE]: Das war doch auch nur vorgespielt!)

Sie haben geäußert, daß Cattenom den gleichen Sicherheitsstandard besitzt wie deutsche Kernkraftwerke. Da gibt es wirklich Parallelen: Die Risse, die in Cattenom festgestellt worden sind, haben wir auch in Krümmel, in einem deutschen Kernkraftwerk, und die Nichtabsturzsicherheit des Kernkraftwerks in Cattenom kennen wir auch von den AKWs in Würgassen oder in Brunsbüttel, und die erhöhte Jodfreisetzung, mit der wir rechnen müssen, wenn Cattenom einige Jahre in Betrieb ist, wird genauso in den Unterlagen zur Genehmigung der WAA von Wackersdorf prophezeit. Es gibt also den Vergleich, und man muß feststellen: Deutsche Atomkraftwerke sind genauso unsicher wie das französische in Cattenom.

(Beifall bei den GRÜNEN — Tatge [GRÜNE]: Leider!)

Insofern stimmt die Behauptung: Cattenom ist die Zentrale des Todes. Aber es stimmt auch die Behauptung: Jedes Atomkraftwerk, in Frankreich, in der Bundesrepublik, auf der ganzen Welt, ist eine Zentrale des Todes.

(Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

In diesem Zusammenhang fordert die CDU dann, Atomkraftwerke in alle Welt zu exportieren. Mit welcher moralischen Verantwortung können Sie mit dieser Forderung auftreten, da Sie doch ganz genau wissen, daß die Länder der Dritten Welt weder finanziell noch technisch noch umweltpolitisch in der Lage sind, diesen Atomkraftwerkeexport auszuhalten? Sie schreiten Schulter an Schulter mit der Atomlobby, und wir alle müssen befürchten, daß Sie uns, die gesamte Bundesrepublik, Europa, letztlich nach Ihrer Philosophie die gesamte Welt, in eine atomverstrahlte Zukunft reißen wollen. Diese Bundesregierung ist in Sachen Atomenergie inzwischen zu einer kleinen radikalen Minderheit geworden, die mit Gewalt ihr Atomprogramm weiterhin auf Kosten zukünftiger Generationen durchsetzen will.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie werfen — auch am heutigen Tag mehrmals — der SPD vor, sie würde sich nicht mehr an frühere Absprachen halten, sie hätte ihre Position verändert. Damit wollen Sie doch nur übertünchen, daß Sie völlig unfähig sind, auch nur einen ganz, ganz kleinen Schritt dazuzulernen. Sie haben überhaupt keine Lernfähigkeit, und das in so existenziellen Fragen wie der Atomenergie, der Energiepolitik, Fragen, die unsere Zukunft betreffen. Dies ist das Schlimme.
Ich kann nur noch einmal festhalten: Die GRÜNEN werden weiterhin alle parlamentarischen und außerparlamentarischen Möglichkeiten nutzen, damit Cattenom nicht ans Netz geht. Und wir werden fortfahren,

(Hornung [CDU/CSU]: Gewalt anzuwenden!)

so lange unruhig zu sein, gewaltfrei gegen Atomkraftwerke zu demonstrieren, bis alle Atomkraftwerke stillgelegt werden.
Nur, wir müssen in der Bundesrepublik anfangen. Wir haben letztlich erst dann das Recht, auf andere Länder einzuwirken, ihre Atomkraftwerke stillzulegen, wenn die Bundesrepublik atomkraftwerkfrei geworden ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zum Schluß möchte ich noch einen Satz zu dem Vorwurf sagen, wir hätten inzwischen das Waldsterben vergessen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Habt ihr auch!)

Ausgerechnet die Parteien, die über Jahre effektive Maßnahmen zur Luftreinhaltung verhindert haben, wollen uns dies vorwerfen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies ist meines Erachtens nicht mehr zu überbieten.

(Dr. Rumpf [FDP]: Lesen Sie einmal in Ruhe alles nach! Sie haben noch eine Chance!)

Wir haben Ihnen Studien vorgelegt — wir werden dieses noch verfeinern —, die ganz klar deutlich machen, daß man Atomkraftwerke und Waldsterben nicht gegeneinander ausspielen kann und darf.

(Dr. Rumpf [FDP]: Das hat der Fischer doch gemacht!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023304700
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß.

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1023304800
Was wir müssen, ist, sowohl alles gegen das Waldsterben zu tun als auch gleichzeitig die Atomkraftwerke abzuschalten. Beides ist möglich!

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023304900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1023305000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brück, Ihre Frage, warum der Ministerpräsident des Saarlandes hier ist, läßt sich einfach be-



Schmidbauer
antworten. Können Sie sich vorstellen, daß er seinen zuständigen Minister alleine hier nach Bonn hätte gehen lassen können, um in dieser Debatte Aussagen zu Cattenom zu machen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier hat es natürlich der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz wesentlich einfacher, wie Sie gehört haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Tatge [GRÜNE]: Der macht es sich überhaupt sehr einfach, dieser Ministerpräsident!)

Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich finde es schlimm, was Sie hier gemacht haben, indem Sie auf den Kollegen Dr. Laufs falsch eingegangen sind und ihn mit einem zukünftigen Störfall in Verbindung gebracht haben.

(Suhr [GRÜNE]: Laufs ist ein Störfall!)

Ich muß Ihnen sagen: Ihr kompromißloser Antiatomkurs ist in der Tat bei Ihren Aussagen für Sie persönlich ohne Risiko. Das ist der Unterschied zwischen denen, die in der Verantwortung stehen, verantwortlich handeln müssen, und denen, die nur Apokalypse projizieren und damit immer darauf hinweisen können: wenn heute nicht, dann vielleicht im nächsten Monat, im nächsten Jahr. — Das ist der Unterschied.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb finde ich es unfair, wenn Sie hier den Kollegen Laufs in dieser Art und Weise diffamieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Duve [SPD]: Das hat doch der Laufs gar nicht nötig, Herr Schmidbauer!)

Ich frage mich in der Tat: Was ist das für eine Politik, für eine politische Strategie, die Ängste der Menschen schürt und sie ständig, je nach Bedarf, in eine andere Richtung lenkt? Was soll eigentlich durch die Abfolge von künstlich erzeugten Angstpsychosen mit ständig wechselnden Themen erreicht werden?
Einem aufmerksamen Beobachter fällt auf — darüber konnte auch der Kollege Schulte nicht hinweggehen, der natürlich wußte, warum er das Thema Waldsterben anschnitt —, daß inzwischen hier keine Rede mehr von Dioxinen, von Formaldehyd oder gar von Waldsterben ist.

(Suhr [GRÜNE]: Wir reden schon seit zehn Jahren davon, und ihr macht nichts!)

Was gestern noch mit Sorge vorgetragen wurde, wird heute auch von Ihnen bedenkenlos über Bord geworfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogel [München] [GRÜNE]: Ist ja nicht wahr!)

Seit Tschernobyl gibt es einen neuen Trend. So, wie noch vor kurzem autofreie Sonntage als Mittel gegen das Waldsterben angepriesen wurden, heißt das neue Wundermittel, der neue Slogan: Aussteigen, Abschalten. Oder, Herr Lafontaine, was noch schlimmer ist, Kernkraftwerke werden als „Zentralen des Todes" bezeichnet. Dies ist Zynismus. Und Sie haben hier noch ausgeführt, daß Sie zu diesem Begriff stehen!

(Zuruf von der CDU/CSU: Er ist halt so!)

Die SPD steigt aus, sie mobilisiert neue Ängste, sie kocht damit ihr Süppchen, und Herr Lafontaine will auch noch auf den Fettaugen mitschwimmen. Da verliert die SPD sämtliche Glaubwürdigkeit.

(Zuruf des Abg. Dr. Hauff [SPD] und weitere Zurufe von der SPD)

— Herr Hauff, Sie sind heute zu Recht nicht in die Bütt gegangen. Es wäre fürchterlich gewesen, bei Ihrem Zickzack-Kurs hier zu demonstrieren — —

(Roth [SPD]: Das ist keine Bütt! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ich nehme den Ausdruck zurück.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Das war unparlamentarisch!)

Ich habe gerade auf Herrn Kollegen Hauff geschaut.
Was seit Jahren auch für die SPD Gültigkeit hatte, ja, was sie mit aufgebaut hat, wird heute als lästig abgestreift, ist vergessen und unrichtig. Es muß j a heute umgesteuert werden. Die SPD nennt dies Lernprozeß; ich nenne dies tagespolitischen Opportunismus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Seit vielen Jahren gibt es im Hinblick auch auf das Kernkraftwerk Cattenom gemeinsame Kornmissionen, Gutachten und eine enge Kooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Die Dichte der Informationen und das gegenseitige Vertrauen haben ständig zugenommen. Neu aufkommende Fragen wurden zusätzlich diskutiert und im gegenseitigen Einvernehmen beantwortet. Nach Tschernobyl soll dies nun nicht mehr gelten; Mißtrauen und Zweifel treten an die Stelle von Vertrauen; das Schüren von Ängsten an die Stelle des Austauschs von Sachargumenten, Ideologie an die Stelle hochqualifizierten Sachverstands unabhängiger Experten. Jo Leinen läßt — wider besseres Wissen — Meßwagen ausschwärmen, um Radioaktivität zu messen, wo keine sein kann. Jo Leinen beantwortet die Frage eines Nachrichtenmagazins: „Warum haben Sie übertriebene Zahlen so lange stehenlassen?" folgendermaßen: „Die Sendung hat Dinge an die Öffentlichkeit gebracht, die in dieser Form bisher nicht diskutiert wurden; das war dringend notwendig." Das war seine einzige Stellungnahme zu dem enormen Vorwurf, daß er, obwohl er es besser wußte, aus politischen Gründen geschwiegen hat.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023305100
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß, bitte.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1023305200
Das ist mit Sicherheit eine falsche Politik. Ich denke, daß wir auf unserem Weg, auf einem verantwortbaren Weg, mit dieser sensiblen Technologie weitergehen sollten. Herr Bundesumweltminister, wir danken Ihnen für Ihre



Schmidbauer
Gespräche, für Ihre Mühen in diesem Zusammenhang.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023305300
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 30 a:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/6011 — und Zusatzpunkt 7 a der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/6045 —
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine verbundene Aussprache und ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.
Bohl [CDU/CSU]: Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Prüfung und Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch ein besonderes Vertrauensgremium haben wir im Sommer eine neue dauergesetzliche Rechtsgrundlage in der Bundeshaushaltsordnung geschaffen.

(Suhr [GRÜNE]: Eine schöne Rechtsgrundlage ist das!)

Dadurch wird es möglich, künftig das Genehmigungsgremium zu Anfang einer Legislaturperiode für deren gesamte Dauer zu wählen und einzusetzen.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Und die GRÜNEN draußen zu halten!)

Für die Prüfung und Genehmigung der Wirtschaftspläne 1987, die in den nächsten Wochen parallel zu den Haushaltsberatungen 1987 erfolgen wird, ist es aber notwendig, heute das Vertrauensgremium noch einmal für den Rest dieser Legislaturperiode neu zu wählen und einzusetzen. Die Rechtsgrundlage der letzten, Anfang dieses Jahres durchgeführten Wahl war das Haushaltsgesetz 1986. Haushaltsgesetze sind aber Zeitgesetze und damit in ihrer Wirkung auf den jeweiligen Haushalt beschränkt. Deshalb kann das alte Vertrauensgremium nur die Wirtschaftspläne für 1986, nicht aber diejenigen für 1987 prüfen und genehmigen. Daher ist die heutige Wahl und Einsetzung nötig.
Das Kapitel Vertrauensgremium haben wir nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Januar dieses Jahres, das im übrigen die parlamentarische Praxis, die wir hier gehabt haben, voll und ganz bestätigt hat,

(Suhr [GRÜNE]: Ein skandalöses Urteil, Herr Bohl, das wissen Sie!)

bereits zweimal eingehend diskutiert, so daß ich mich auf die knappe Wiederholung unseres Standpunktes beschränken kann:
Erstens. Wir wollen, daß das Parlament sein Budgetbewilligungsrecht auch im sicherheitspolitisch sensiblen Bereich der Nachrichtendienste ausübt.

(Suhr [GRÜNE]: Ohne GRÜNE!)

Zweitens. Diese Prüfung im Detail kann ohne Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Dienste, Herr Kollege Suhr, nicht in der Öffentlichkeit oder in einem 37köpfigen Gremium, eben dem Haushaltsausschuß, erfolgen,

(Vogel [München][GRÜNE]: Das verlangt niemand!)

sondern nur in einem kleinen Gremium.
Drittens. Heute steht das Prüfungsgremium auf einem rechtlich gesicherten Fundament: a) Es beruht auf einem Gesetz, das seine Aufgaben und Befugnisse festlegt. b) Es wird vom Parlament als Ganzem und nicht mehr — wie früher — nur vom Haushaltsausschuß eingesetzt. c) Seine Mitglieder müssen bei der Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhalten.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Damit die CDU/CSU sich die Mitglieder aussuchen kann!)

Die sensible Materie macht es nämlich notwendig, daß jedes Mitglied auch das ausdrückliche Vertrauen der Mehrheit der Kollegen hier im Bundestag hat.
Viertens. Mit dieser Lösung sind die Rechte des Parlaments als Ganzem voll gewahrt. Gewahrt sind auch die Rechte der parlamentarischen Minderheit. Die Zahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums ist nämlich so gewählt, daß keine Oppositionspartei von vornherein ohne Chance ist, einen Vertreter in das Gremium zu entsenden.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Das ist unrichtig!)

Auch wenn nicht jede Fraktion bei der Wahl zum Zuge kommen sollte, bleibt die Regelung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verfassungskonform; denn der Schutz der Minderheit beinhaltet nur das Verbot des Ausschlusses der Opposition schlechthin, nicht jedoch das Gebot, jede parlamentarische Gruppierung, und sei sie auch noch so klein, an jedem Gremium zu beteiligen.

(Suhr [GRÜNE]: Sie akzeptieren nur die Ihnen genehme Opposition!)

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, daß das auch von den SPD-Kollegen im Haushaltsausschuß so gesehen wird, zeigt die Tatsache, daß diese dort der Ergänzung der Bundeshaushaltsord-



Bohl
nung in diesem Sinne im Frühsommer 1986 bereits zugestimmt hatten.

(Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger)

Erst hier im Plenum haben Sie dann dagegengestimmt, weil Sie sich offensichtlich höheren Fraktionseinsichten oder -zwängen beugen mußten. Wir bedauern das, sehen aber darin eine Bestätigung unseres Kurses. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen und unserem Wahlvorschlag zu folgen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023305400
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (SPD):
Rede ID: ID1023305500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Juni dieses Jahres wurde gegen unsere Stimmen beschlossen, das Verfahren zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste in die Bundeshaushaltsordnung aufzunehmen. Wir haben diese Änderung der Bundeshaushaltsordnung nicht aus sachlichen, sondern aus politischen Gründen abgelehnt; denn dahinter steht die Frage, ob alle Fraktionen dieses Hauses in diesem Gremium vertreten sind, und genau dieses Thema ist der Gegenstand unserer heutigen Aussprache.
Für uns Sozialdemokraten gibt es in dieser Frage auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang dieses Jahres keinen Zweifel. Die Bürger unseres Landes haben 1983 durch ihre Stimmabgabe entschieden, daß sich der Deutsche Bundestag aus fünf Parteien und vier Fraktionen zusammensetzt.

(Suhr [GRÜNE]: 2,1 Millionen Wähler für die GRÜNEN! Die werden ausgeschaltet!)

Damit ist es auch Bürgerwillen, daß vier Fraktionen an der parlamentarischen Willensbildung entsprechend ihrer parlamentarischen Stärke beteiligt werden, und damit gehört es für uns zu einer parlamentarischen Selbstverständlichkeit, daß die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste von den Mitgliedern aller vier Fraktionen geprüft und zur Genehmigung dem Bundestag vorgeschlagen werden.
Ich habe im Juni dieses Jahres angekündigt, daß die SPD auch künftig bei der Wahl des Gremiums für die Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste beantragen wird, daß alle Fraktionen dieses Hauses diesem Gremium angehören, und daß wir auch in Zukunft dafür eintreten, daß keine Entwicklung eingeleitet wird, die den in einer Demokratie gebotenen Minderheitenschutz außer acht läßt. Wir Sozialdemokraten stehen zu unserem Wort und fordern Sie deshalb auf, dieses hier zu wählende Gremium aus sieben Parlamentariern bestehen zu lassen, aus drei Mitgliedern der Fraktion der CDU/CSU, aus zwei Mitgliedern der Fraktion der SPD und je einem Mitglied der Fraktion der FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie sehr herzlich, sich noch einmal sehr sorgfältig zu überlegen, ob Sie eine Fraktion dieses Hauses von der Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste ausschließen wollen. Wenn man eine solche Entwicklung konsequent zu Ende denkt, so erkennt man, daß sie auch dazu führen könnte, daß Sie und Ihre augenblickliche Mehrheit im Ernstfall sogar bestimmen können, welche Abgeordneten der Opposition die Regierung kontrollieren dürfen. Das kann doch wohl nicht Ihre Absicht sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Vogel [München] [GRÜNE]: Doch, das ist deren Absicht!)

Meine Bitte an Sie geht dahin, dem Antrag der SPD zuzustimmen, das Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste auf sieben Personen auszuweiten. Denn die Haushaltskontrolle muß das vornehmste Recht des Parlaments und aller seiner Fraktionen bleiben.
Sollten die Koalitionsfraktionen wider Erwarten unserem Antrag nicht zustimmen, dann geht meine Bitte an alle Mitglieder dieses Hauses, den vorgeschlagenen Kolleginnen und Kollegen aus der Mitte des Haushaltsausschusses ihre Stimme zu geben. Sie haben sich in der Vergangenheit als gute Kontrolleure und Vertreter des gesamten Parlaments erwiesen. Ich bin sicher, sie werden es auch in Zukunft tun.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023305600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1023305700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Kollegen Esters muß natürlich bewußt sein, daß das Haus in seiner Mehrheit den SPD-Antrag, der in den vergangenen zwei Jahren schon zweimal gleichlautend gestellt worden war, auch heute wieder ablehnen wird, weil es für diesen Antrag keine echte Begründung gibt. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Mehrheit ein Gremium zur Prüfung und zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste beschlossen. Dieses Gremium hat sich bewährt. Eine bewährte Regelung, die noch dazu durch Wahl des Deutschen Bundestages mit qualifizierten Mitgliedern des Bundestages ausgefüllt war, einfach zu verändern, dafür gibt es sicherlich keinen Grund.
Die Fakten sind bekannt. Bis zu dieser Wahlperiode hat in einer Art Kollegialprinzip der Haushaltsausschuß die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste genehmigt. Dieses Kollegialprinzip, das rechtlich keine Grundlage hatte, war auf Grund der neuen Zusammensetzung nicht durchzuhalten,

(Vogel [München] [GRÜNE]: Warum denn nicht? Erklären Sie das mal! Da sind wir sehr gespannt!)

weswegen der Deutsche Bundestag aufgefordert war, eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Er hat diese rechtliche Grundlage geschaffen. Er hat hier Beschluß gefaßt, über die Geschäftsordnung, über die Bundeshaushaltsordnung. Er hat festgelegt, daß ein Gremium von fünf Mitgliedern aus dem Kreise



Dr. Weng (Gerlingen)

des Haushaltsausschusses, also ein Gremium von Sachkundigen, die auf jeden Fall eine Gewähr für sachkundige, für vernünftige Arbeit bieten,

(Vogel [München] [GRÜNE]: Herr Ströbele ist auch sehr sachkundig bei Geheimdiensten!)

hier im Bundestag zu wählen ist.
Dieser Beschluß des Deutschen Bundestages war vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber dem Deutschen Bundestag in seinem Urteil vom 14. Januar 1986 recht gegeben.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Ein Skandalurteil! — Suhr [GRÜNE]: Abgeordnete erster und zweiter Klasse!)

— Ich meine, meine Damen und Herren, wer das Verfassungsgericht in seiner Urteilsfindung in dieser Weise kritisiert, wie es gerade durch Zwischenrufe der GRÜNEN geschieht, der zeigt sein Verfassungsverständnis in großer Deutlichkeit.

(Suhr [GRÜNE]: Wir werden Sie beteiligen, wenn es andere Mehrheiten gibt!)

Die Wahl, der wir uns heute hier gegenübersehen, hat zwei Ziele. Zum ersten wird das Gremium auf Grund der rechtlichen Voraussetzungen in Ausgewogenheit zwischen der Mehrheit einerseits und der Opposition andererseits zu wählen sein. Zum zweiten werden wir ein Gremium zu wählen haben, das dem Anspruch dieses Hauses gerecht werden soll, die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste zu gewährleisten. Das ist j a schließlich der Grund, warum wir die heute gültigen Regelungen einführen mußten.
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß gemäß unserem Antrag, dem Antrag der Koalition auf Drucksache 10/6011, entsprechend der Gepflogenheit, entsprechend der Rechtsgrundlage dieser Wahlperiode verfahren wird, daß hier fünf qualifizierte Persönlichkeiten gewählt und mit der Aufgabe betraut werden, Persönlichkeiten, die seither schon — hier kann ich dem Kollegen Esters voll zustimmen — Gewähr dafür waren, daß die Ziele, die der Deutsche Bundestag sich in der Frage gegeben hatte, auch eingehalten wurden.
Aus genannten Gründen wird meine Fraktion dem Koalitionsantrag ebenso zustimmen, wie sie den Antrag der SPD auf Veränderung des Gremiums erneut ablehnen wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023305800
Das Wort hat der Abgeordnete Suhr. — Ich bitte um etwas mehr Ruhe, meine Damen und Herren.

Heinz Suhr (GRÜNE):
Rede ID: ID1023305900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden uns an der Wahl des Kontrollgremiums für die Wirtschaftspläne der Geheimdienste nicht beteiligen, weil wir diese Wahl für eine Farce halten, so wie sie aufgezogen worden ist und wie Sie versucht haben, mit plumpen Tricks die Haushaltsordnung so zu verändern, daß die GRÜNEN aus diesem Kontrollgremium ferngehalten werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir werden den Antrag der SPD unterstützen, daß dieses Gremium um ein Mitglied der GRÜNEN erweitert wird. Sollte dieser Antrag abgelehnt werden, werden wir das Hohe Haus verlassen und werden Sie alleinelassen bei dieser Gemeinheit der Pseudodemokraten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Grundlage für Ihr Vorgehen ist ein skandalöses Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Abgeordneten aufteilt in Abgeordnete erster und zweiter Klasse, in solche, die Geheimdienste kontrollieren dürfen, und solche, die es nicht dürfen. Sie schaffen damit eine Grundlage, auf der Sie auswählen zwischen Abgeordneten, die Ihnen genehm sind, und solchen, die Ihnen unangenehm sind. Wir verstehen natürlich, daß Ihnen die GRÜNEN als Kontrolleure der Geheimdienste unangenehm sind. Trotzdem wäre es doch ein Minimum an Demokratieverständnis, daß Sie an den Tag legen müßten,

(Zuruf von den GRÜNEN: Hier geht es um die Macht!)

daß die GRÜNEN an der Kontrolle der Geheimdienste beteiligt sind.
Sie brauchen sich nicht über Staatsverdrossenheit bei der Jugend, über Parteiverdrossenheit zu wundern, wenn Sie so vorgehen und wenn Sie so aufteilen in genehme und unangenehme Demokraten. Das ist zutiefst undemokratisch, und es ist ein Skandal, wie Sie hier vorgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hier wird ein Gremium ohne die GRÜNEN zusammengebastelt, wo aufgeteilt wird in angenehme und unangenehme Kontrolleure.
Die GRÜNEN wurden und werden zu einem Zeitpunkt aus der Kontrolle der Geheimdienste ausgeschaltet, wo Sie von der Regierungskoalition mit den Sicherheitsgesetzen eine kaum beschränkte Blankoermächtigung für Spitzeldienste im Inland ins Werk setzen.

(Zuruf von der FDP: Quatsch!)

Mit Ihrem Vorgehen, mit dem Ausbau der Zusammenarbeitsmöglichkeiten der Geheimdienste greifen Sie tief in die Persönlichkeitsrechte der Bürger ein. Dabei wollen Sie die GRÜNEN ausschalten. Sie wollen uns fernhalten von der Kontrolle dieser Vorgehensweise. Das halten wir für undemokratisch und skandalös.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023306000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/6011 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.



Vizepräsident Frau Renger
Meine Damen und Herren, ich kann wohl davon ausgehen, daß sich nach Annahme des Antrags auf Drucksache 10/6011 eine Abstimmung über den Antrag der SPD erübrigt, da er hier mit Mehrheit schon praktisch entschieden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30b und den Zusatztagesordnungspunkt 7b auf:
Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/6012 —
Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/6046 —
Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP schlagen auf Drucksache 10/6012 die Abgeordneten Carstens (Emstek), Dr. Riedl (München) und Hoppe vor. Die Fraktion der SPD benennt auf Drucksache 10/6046 die Abgeordneten Walther und Kühbacher.
Ich bitte Sie nunmehr um Ihre besondere Aufmerksamkeit für einige Hinweise. Wie bereits angekündigt, wird hier im Ersatzplenarsaal der Ablauf einer Wahl etwas anders sein müssen als bisher.
Nach dem soeben gefaßten Beschluß ist ein Gremium einzusetzen, das aus bis zu fünf Mitgliedern besteht. Die Mitglieder müssen dem Haushaltsausschuß angehören. Das ist bei den vorgeschlagenen Abgeordneten der Fall.
Nach 10 a der Bundeshaushaltsordnung ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 261 Stimmen erhält.
Auf den Sitzen haben Sie das alles schon vorgefunden und wissen nun sicherlich auch schon, wie Sie abzustimmen haben.
Ich bitte Sie, auf den Wahlausweis, der als Nachweis Ihrer Teilnahme an der Wahl gilt, Ihren Namen zu schreiben. Haben Sie das alle gemacht? — Wunderbar. Tun Sie das bitte handschriftlich und in Druckbuchstaben. Wer das nicht kann, soll sich helfen lassen.

(Heiterkeit)

Sie können auf dem Stimmzettel höchstens fünf Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmzettel, die mehr als fünf Ankreuzungen oder auch Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf dem Stimmzettel.
Eine geheime Wahl ist nicht vorgeschrieben.
Bevor Sie die Stimmzettel in die aufgestellten Wahlurnen stecken, müssen Sie Ihren Namen auf den Wahlausweis schreiben und diesen dem Schriftführer an der Wahlurne übergeben.
Die Schriftführer haben die Plätze eingenommen. Ich eröffne die Wahl.
Meine Damen und Herren, haben jetzt alle ihre Stimmkarte abgegeben?

(Zurufe: Nein!)

Kann ich die Abstimmung nunmehr schließen?

(Zurufe: Ja!)

— Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung der abgegebenen Stimmkarten.
Meine Damen und Herren, mir wurde gesagt, daß die Auszählung etwa 45 Minuten in Anspruch nehmen wird. Darauf wollen wir j a sicherlich nicht warten, so daß wir jetzt in der Tagesordnung fortfahren. Einverstanden?

(Zustimmung — Suhr [GRÜNE]: Wenn wir wieder mitreden dürfen!)

— Gut. — Sie sind hier vollwertiges Mitglied des Hauses, wie Sie wissen.

(Suhr [GRÜNE]: Leider nicht in allen Fällen!)

— Da haben Sie in gewisser Weise recht. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Vahlberg, Schmidt (München), Dr. Schöfberger, Amling, Bamberg, Büchler (Hof), Gerstl (Passau), Dr. Glotz, Dr. Haack, Haase (Fürth), Kißlinger, Kolbow, Lambinus, Lutz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller (Schweinfurt), Porzner, Reuter, Frau Schmidt (Nürnberg), Sieler, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Stiegler, Verheugen, Wolfram (Recklinghausen), Weinhofer, Dr. Wernitz, Wimmer (Neuötting), Dr. de With, Dr. Hauff, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Ökologische und ökonomische Situation im deutschen Alpenraum
— Drucksache 10/5872 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Sportausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Verteidigungsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 60 Minuten vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1023306100
Leider haben wohl alle Kolleginnen und Kollegen aus der Norddeutschen Tiefebene den Plenarsaal verlassen. Wenn Hochgebirgsprobleme dort anfallen würden, hätten wir uns dafür stark gemacht, uns auch dieser Probleme anzunehmen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im November vergangenen Jahres hat der Deutsche Bundestag die Situation der Alpen diskutiert. Anlaß der Debatte damals war eine Große Anfrage der SPD zur ökologischen und ökonomischen Situation im deutschen Alpenraum. Damals habe ich in meiner Bewertung der Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage von einem zaghaft erwachenden Bewußtsein gesprochen, das man



Vahlberg
bei der Bundesregierung feststellen könne. Ich habe damit die Hoffnung verbunden, daß aus diesem Bewußtsein auch Taten erwachsen würden.
Seitdem ist nun ein Jahr vergangen. Zum Umweltschutz hat es viel Geklappere auf seiten der Bundesregierung gegeben, auf der Ebene der unverbindlichen Sonntagsreden. Aber immer dann, wenn es mittels Anträgen aus der SPD-Fraktion oder auch von seiten der GRÜNEN zum Umweltschutz substantiell werden sollte, wenn konkrete Maßnahmen vorgeschlagen wurden, hat es auf seiten der Unionsfraktionen, auf seiten der Koalition „Bloff!" gemacht.
Ich denke an das Abfallbeseitigungsgesetz, an eine wirksame Strategie zur Müllvermeidung.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Was ist das?)

Da haben Sie sich widersetzt. Alle unsere Änderungsanträge zum Bundesverkehrswegeplan wurden von Ihnen nach dem Motto „Es lebe die Betonpolitik" weggebürstet.
Unserem Antrag auf Einführung des Tempolimits — einer Maßnahme, mit der man gerade auch dem Bergwald helfen könnte, weil, wie wir inzwischen wissen, in den Höhenlagen die Stickoxide besonders giftig wirken — haben Sie sich bisher verweigert. Das Tempolimit wäre die einzige Maßnahme, mit der man sofort wirksam helfen könnte. Diese Maßnahme würde zudem nichts kosten.
In den Bergwäldern gibt es inzwischen keinen älteren Baum mehr, der nicht geschädigt ist.

(Suhr [GRÜNE]: Wo ist der Herr Umweltminister?)

Die jungen Bäume wachsen nicht mehr so nach wie früher. Sie wissen: Sie könnten allein mit dem Tempolimit die Luft um 32 000 t Stickoxid jährlich entlasten. Aber Sie wollen dies nicht. Sie wußten schon vor dem ominösen Großversuch, daß Sie keine konkreten Konsequenzen aus diesem Großversuch ziehen würden. Der Großversuch war im Grunde genommen eine Großveralberung der Bürger dieses Landes.

(Suhr [GRÜNE]: Das ist richtig!)

Das Waldsterben ist eine Katastrophe in Zeitlupe. Wir beobachten die Schadensentwicklung auf dem Boden und mit der Scanner-Technik aus dem Weltraum. Modernste Technologie wird eingesetzt, um die Schäden zu erkennen. Aber wir müssen auch den Mut haben, nun endlich Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen.
Mit dem vorliegenden Antrag machen wir einen weiteren Versuch, die Bundesregierung zum Handeln zu animieren. Es ist ein umfassendes Programm, mit dem wir viele Probleme aufgreifen. Ich nenne beispielsweise das Problem der Bergvegetation. Ich muß hier nicht noch einmal auf den Zusammenhang zwischen dem Bergwaldsterben, der Schädigung der Bergvegetation und der Gefahr des Abrutschens von Hängen eingehen. Das haben wir schon im November des vergangenen Jahres abgehandelt. Ich will nur auf eine Untersuchung der bayerischen Staatsforstverwaltung verweisen, die feststellt, daß zwei Drittel der Berghänge in Gefahr sind zu rutschen, wenn das Bergwaldsterben so weitergeht wie bisher.

(Suhr [GRÜNE]: Jedes zweite Dorf ist bedroht! Aber das ist denen doch scheißegal!)

— Das sollte bekannt sein. Wir wissen, daß in der Schweiz ein Dorf bereits evakuiert werden mußte. Weitere, heute noch bewohnte Täler sind in Gefahr.
Wir haben das Artensterben aufgegriffen. Wir machen Aussagen zum Transitverkehr in den Alpen. Von uns werden die Probleme der weiteren touristischen Erschließung des Alpenraums behandelt. Wir müssen uns vergegenwärtigen: Es gibt — das sind alte Zahlen, die ich hier habe; die neuesten Zahlen stehen mir gar nicht zur Verfügung — zwischen Grenoble und Garmisch-Partenkirchen 13 000 Skiliftanlagen mit 40 000 Skiliften und 120 000 km Skipisten. Man hat ausgerechnet, daß man mit der in der Schweiz vorhandenen Liftkapazität alle Schweizer auf die Berge schaffen könnte.

(Frau Geiger [CDU/CSU]: Wir reden doch über den deutschen Alpenraum!)

— Das ist in Deutschland nicht viel anders, Frau Kollegin.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben doch keine Souveränität über die Schweiz!)

Werte Frau Kollegin Geiger, Sie kommen j a nach mir hier ans Rednerpult. Dann können Sie das ausführen.
Wenn man die Folgen für die Berghänge kennt — Bodenverdichtung, Schwund der Wurzelmasse, Verkürzung der Vegetationsperiode —, dann muß man sich dagegen wehren, Frau Kollegin Geiger, wenn immer noch diskutiert wird, den Wallberg, den Hochfelln oder andere Hänge durch Sprengung und Aufschüttung für den Skilauf zurechtzustutzen, weil es keine skigerechten Berge oder Berghänge sind. Ich bin auch ein begeisterter Skiläufer, ich will diesen Sport nicht niedermachen. Aber ich meine, jetzt muß mit dieser Entwicklung Schluß sein.
Viele unserer Vorschläge könnten von der Bundesregierung aufgegriffen und umgesetzt werden, viele unserer Vorschläge müssen in Zusammenarbeit mit der bayerischen Staatsregierung bearbeitet werden. Den Mut sollte der Bundesumweltminister aufbringen. Die bayerischen Alpen sind ja entgegen einer weit verbreiteten Ansicht nicht das Eigentum der CSU, sondern auch der Bundesumweltminister hat eine Zuständigkeit für den Alpenraum.
Eine Reihe von Problemen sind allerdings nur im internationalen Maßstab zu lösen: etwa eine gemeinsame Forschung, die aufgezogen werden müßte, eine gemeinsame Raumordnungsplanung im werkehrlichen Bereich, in der Industrieerschließung, soweit sie überhaupt noch erfolgen sollte, im Bereich des Tourismus. Aber auch die Schaffung grenzüberschreitender Naturschutzräume würde eine internationale Zusammenarbeit erforderlich machen.



Vahlberg
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, zu einer internationalen Alpenschutzkonferenz einzuladen.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Das haben wir vor einem Jahr schon gemacht!)

— Das haben wir schon vor einem Jahr gefordert, ich erneuere diese Forderung hiermit. Es ist völlig richtig, ich erneuere sie. Ich sage ja, auf diesem Feld ist nichts geschehen. Ich meine, daß eine solche Konferenz eine Alpenschutzkonvention erarbeiten sollte, also etwas Ähnliches, wie wir es schon in bezug auf die Nordsee geschaffen haben.
Meine Damen und Herren, die Alpen als große und großartige Natur- und Kulturlandschaft müssen so erhalten bleiben, wie wir diese Landschaft heute kennen. Wir brauchen dazu eine nationale Anstrengung, wir brauchen dazu die internationale Zusammenarbeit im Interesse der dort lebenden Bewohner und im Interesse aller Menschen, die sich an dieser Landschaft erfreuen wollen. Wir bitten Sie alle, alle Seiten dieses Hauses, unseren Antrag zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023306200
Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.

Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID1023306300
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Vahlberg hat soeben bedauert, daß die Kollegen aus der norddeutschen Tiefebene nicht anwesend wären.

(Ronneburger [FDP]: Doch!)

Ich muß Sie ergänzen, Herr Vahlberg, ich bedaure, daß nicht einmal alle Antragsteller des Antrages, den Sie vertreten haben, hier heute anwesend sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der heute vorliegende Antrag der SPD ist geradezu ein negatives Musterbeispiel dafür, was man einen parlamentarischen Schaufensterantrag nennt. Denn dieselben Themen und dieselben Probleme sind von der SPD vor knapp einem Jahr mit ihrer Großen Anfrage zum selben Betreff aufgeworfen worden. Aber die Verfasser dieses Antrages wollten offensichtlich keine Kenntnis nehmen, was in der Antwort der Bundesregierung und in der Parlamentsdebatte vom November letzten Jahres zu diesem Thema bereits gesagt wurde, denn sonst wäre ja der heutige Antrag gegenstandslos.
Ich weiß aus eigener Anschauung, wie alarmierend gerade der Zustand unseres Gebirgswaldes ist. Aber ich weiß auch, daß wir diesen Zustand nicht durch ständiges Lamentieren oder Demonstrieren, sondern nur durch wirkungsvolle umweltpolitische Maßnahmen verbessern werden.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Ich weiß vor allem, daß die SPD und die GRÜNEN mit ihrer neuerlichen Antikernkraftpolitik auf dem besten Wege sind, alle umweltpolitischen Erfolge wieder zunichte zu machen, die die unionsgeführte
Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung auf den Weg gebracht haben. Allein die Abschaltung der 19 in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke, die bundesweit 36 % zu unserer Stromerzeugung beitragen, brächte bei Ersatz durch fossile Kraftwerke eine zusätzliche Umweltbelastung von 870 000 Tonnen Schwefeldioxid, von 400 000 Tonnen NOx sowie von 75 000 Tonnen Staub.
Auf die Problematik des CO2-Belastung fossiler Brennstoffe und der damit auch den Bergwald bedrohenden irreparablen Klimaveränderung verweise ich aus Zeitgründen nur am Rande.
Es ist deshalb ein Ausdruck Ihrer politischen Unverfrorenheit, wenn Sie uns heute einen Antrag vorlegen, in dem Sie ein Sofortprogramm zur Rettung der Alpenwälder fordern und gleichzeitig bundesweit den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie propagieren. Denn dieses kernenergiepolitische Ausstiegskonzept wäre wirklich das letzte, was wir unserem Bergwald noch antun können, nachdem das von Ministerpräsident Rau im letzten Jahr in Gang gesetzte, extrem umweltschädliche Kohlekraftwerk Ibbenbüren und die hohen Schornsteine des Reviers unseren Bergwald schon genügend strapaziert haben.
Herr Kollege Vahlberg, Sie haben auf das Tempolimit hingewiesen und gesagt, daß die Temporeduzierung auf den Autobahnen 32 000 t Stickoxide einsparen würde. Das trifft zu. Aber das Kraftwerk Ibbenbüren, das Ministerpräsident Johannes Rau im Juni dieses Jahres in Betrieb gesetzt hat, spuckt zusätzlich 20 000 t Stickoxide aus. Meine Damen und Herren, mit dieser Politik wollen Sie den Bergwald retten.

(Vahlberg [SPD]: Zu dem Problem ist hier schon Stellung genommen worden, Herr Engelsberger!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023306400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger?

Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID1023306500
Bitte sehr.

Heinz Suhr (GRÜNE):
Rede ID: ID1023306600
Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie es nicht für notwendig halten, auch die 32 000 t Stickoxide zu reduzieren und deswegen für ein Tempolimit eintreten.

Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID1023306700
Die 32 000 t Stickoxide werden wesentlich reduziert durch den Einbau von Katalysatoren, den die Bundesregierung ja erfolgreich als erste in Europa und in der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt hat.

(Lachen bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023306800
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID1023306900
Nein, Frau Präsidentin, die Zeit würde nicht ausreichen. Ich habe diese Frage beantwortet.
Ich möchte mit meinem Konzept fortfahren und noch etwas zum Fremdenverkehr sagen. Die ca. 4



Engelsberger
Millionen Urlauber im Jahr sind für die Bevölkerung unserer Alpenregion nicht nur ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, sondern sie sind für uns zugleich eine Bestätigung für die Schönheit unserer Heimat und für die Liebenswürdigkeit seiner Bewohner. Das ist für uns aber auch eine Verpflichtung, die Attraktivität dieser Landschaft und das ökologische Gleichgewicht dieses gegenüber Umwelteinflüssen besonders sensiblen Biotops zu erhalten. Aber hierzu wird meine Fraktionskollegin Geiger sicher noch im einzelnen Stellung nehmen.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Zur Liebenswürdigkeit?)

— Dazu trägt es in besonderm Maße bei, Herr Kollege Pfeffermann.

(Beifall bei der CDU/CSU) — Ich danke für den Beifall.

Ich möchte abschließend auf ein gerade meinen Wahlkreis betreffendes Sonderproblem hinweisen, nämlich die von den GRÜNEN und von der SPD gegen alle Regeln der Vernunft bekämpfte Bewerbung der Region Berchtesgaden und des Chiemgaus um die Olympischen Winterspiele 1992. Meine Damen und Herren, was Sie hier praktizieren, ist ein absolutes Hinterwäldlertum und ist kennzeichnend für die zunehmende Provinzialität Ihrer politischen Perspektiven. Wie ist die Lage?
Die verkehrstechnische Anbindung durch ein internationales Fernstraßen-, Eisenbahn- und Flughafennetz ist in der Region in hervorragender Weise gelöst. Die Flughäfen Salzburg und München liegen in unmittelbarer Nähe, und auch die Straßenverkehrsbelastung durch die Olympischen Winterspiele würde nicht über diejenige eines verkehrsreichen Sommertages im Juli oder August hinausgehen. Irreparable Naturzerstörungen oder Landschaftsschäden sind nicht zu erwarten. Es ist eindeutig erwiesen, daß die bereits erschlossenen Skigebiete am Jenner und Unterberg für die Durchführung alpiner Damen- und Herrenwettbewerbe grundsätzlich geeignet sind. Darüber hinaus stehen in der Region adäquate Alternativstrecken zur Verfügung. Auch die notwendigen Veränderungen an Sprungschanzen und Langlaufloipen sind aus ökologischer Sicht vertretbar, Herr Vahlberg. Landschaftszerstörende Eingriffe sind auch da nicht zu erwarten, wo die Anpassung an die internationalen Standards noch herbeigeführt werden muß. Wohl aber würde dadurch die Attraktivität dieser Wintersportregion wesentlich gesteigert.

(Zuruf von den GRÜNEN: Mit welchen Folgen?)

Ohne jetzt aus Zeitgründen auf weitere Details eingehen zu können, möchte ich abschließend feststellen, eine unverantwortliche Zerstörung oder Beeinträchtigung der Natur ist deshalb durch die Olympischen Winterspiele insgesamt nicht zu erwarten. Im Gegenteil, ein umfassendes Konzept während der Spiele und danach hätte sogar eine umweltpolitische Pilotfunktion, so wie der von der bayerischen Staatsregierung bereits 1972 auf den Weg gebrachte Alpenplan für die gesamte Alpenregion eine inzwischen international anerkannte Pilotfunktion erlangt hat.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten Ihre ökologischen Vorschläge für den deutschen Alpenraum besser noch einmal im stillen Kämmerlein überdenken. Denn, wie schon Ihre Große Anfrage gezeigt hat, praktizieren Sie nicht nur den Ausstieg aus der modernen Industrie- und Wohlstandsgesellschaft, sondern wenn es nach Ihnen und Ihren heute wieder propagierten Umsteuerungsplänen ginge, dann könnte sich die Bundesrepublik Deutschland nicht einmal mehr um die Ausrichtung internationaler Sportwettbewerbe, geschweige denn um Olympische Spiele bewerben.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023307000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte (Menden).

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1023307100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe selten eine Rede gehört, die so strotzte von politischer Ignoranz und Dummheit.

(Graf von Waldburg-Zeil [CDU/CSU]: Unverschämt!)

Herr Engelsberger, nur eine Zahl, weil Sie das Thema AKW und Waldsterben angesprochen haben: Durch Ihre Politik wird die Reduzierung der Stickoxidemissionen bis zum Jahre 2000 bestenfalls auf eine Million t Jahresausstoß möglich sein. Durch die Vorschläge der GRÜNEN, die AKW 's abzuschalten und gleichzeitig drastisch etwas zur Bekämpfung des Waldsterbens zu tun, erreichen wir eine Senkung auf unter 130 000 t pro Jahr. Beides ist möglich. Nehmen Sie das bitte einmal zur Kenntnis.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Natürlich, bei einem Ausstieg aus der Industriegesellschaft können Sie alles erreichen!)

Zum drittenmal innerhalb von einem Jahr debattieren wir hier im Bundestag über die ökologische Situation in der Alpenregion. Alle Redner der Regierungsparteien versuchen den Eindruck zu erwecken, nichts läge ihnen mehr am Herzen als die Rettung der Alpenwälder. Der Tenor war: Die Probleme sind erkannt und alle Gegenmaßnahmen bereits getroffen. Über den Wahrheitsgehalt solcher Lobhudeleien kann sich jeder ein Bild machen, der sich vor Ort über das aktuelle Ausmaß der Waldschäden informiert.

(Frau Geiger [CDU/CSU]: Stellen Sie sich vor, wir wohnen dort!)

— Ja, manchmal hat man den Eindruck, Sie wohnen dort nicht.
Das Hochwaldsterben schreitet dramatisch fort, immer mehr Baum- und Pflanzenarten sind betroffen. Latschenbestände sterben inzwischen großflächig ab. Daß angesichts dieser Katastrophe gerade jene Politiker, die mit ihrer schadstofffreundlichen Lobby-Politik hierfür verantwortlich sind, sich heuer als Alpenretter aufspielen, muß schon als



Schulte (Menden)

Gipfel des zynischen Heuchlertums bezeichnet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU)

— Ja, man muß das so kraß sagen.
Bis zum heutigen Tag weigert sich diese Bundesregierung genauso wie die Bayerische Staatsregierung, dringend notwendige Rettungsmaßnahmen durchzuführen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Trifft überhaupt nicht zu! — Engelsberger [CDU/CSU]: Sagen Sie doch nicht die Unwahrheit!)

Seit Jahren liegen detaillierte Forderungen der Naturschützer vor. Der Deutsche Alpenverein hat eine Katastrophenkarte erarbeitet, der Bund Naturschutz einen umfassenden Forderungskatalog vorgestellt. Die GRÜNEN haben verschiedenste Anträge in den Bundestag eingebracht. Die SPD macht sich noch rechtzeitig vor der Landtagswahl einige Forderungen für ihren Antrag zu eigen.
Doch, was nützt dies alles? In diesem Jahr steigen die giftigen Stickoxidemissionen weiter an. In den Alpen stammen diese Abgase zu 70 bis 80 % aus dem Straßenverkehr, nicht aus Ibbenbüren. Man weiß inzwischen, daß besonders die hohen Ozonkonzentrationen den Bergwäldern stark zusetzen. Da die Ozonbildung besonders durch Stickoxide gefördert wird, muß der Verkehr als Hauptverursacher des Waldsterbens im Alpenraum betrachtet werden.

(Zuruf von der SPD: Völlig richtig! — Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für die Alpen wird es sich als besonders fatal auswirken, daß Stickoxide aus dem Verkehr noch jahrelang steigen sollen.
Meine Damen und Herren, schuld daran ist diese Bundesregierung.

(Zuruf von den GRÜNEN: So ist es! — Zurufe von der CDU/CSU)

Ihr ist es gelungen, das Tempolimit und die Einführung des Katalysators zu verhindern.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wieso? — Wir haben ihn doch eingeführt!)

— 0,9% der jetzigen Fahrzeuge sind mit einem Katalysator ausgerüstet, mehr nicht, 0,9 %!
Man kann nur feststellen: neben dem Energiesektor gibt es wohl keinen anderen Bereich der Umweltpolitik, in dem diese Bundesregierung so erbärmlich versagt hat. Dabei sind Tempolimit-Großbetrug und Katalysatorpleite wohl die zwei größten Beiträge der beiden CSU-Minister Dollinger und Zimmermann, die hier auch wieder durch Abwesenheit glänzen, zur Beschleunigung des Bergwaldsterbens, wobei der Verkehrsminister zusätzlich mit zahlreichen neuen Bundesstraßen und Autobahnen dafür sorgt, daß auch immer mehr und immer schneller katalysatorfrei im Alpenraum gefahren wird.

(Zuruf von der FDP: Straßen abschaffen, Autos abschaffen!)

Schnelle Pisten sind auch notwendig: schließlich will die Regierung den Lkw-Verkehr

( Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

bis zum Jahre 2000 noch um 50 % anwachsen lassen. Auch die Zuschauermassen, die alljährlich zu den Motorsportveranstaltungen in den Alpen- und Alpenvorraum strömen, brauchen neue Straßen, ebenso die vielen neuen Skipisten, Liftanlagen und Hotels. Für die Winterolympiade in Berchtesgaden macht sich die CSU — wir haben es hier wieder gehört — besonders stark. Schließlich braucht man den Massenskitourismus in den Alpen und will ihm einen neuen Wachstumsschub geben. Als wenn es nicht genug Skizirkus, nicht genug Hotels, nicht genug Pisten, nicht genug Straßen, Wilddichte und Schadstoffe in den Alpen gäbe!
Meine Damen und Herren, wir können uns hier noch so viele Reden von der Koalition anhören, was zählt, ist einzig und allein die Politik, die betrieben wird. Da steht fest: An der Alpenzerstörungspolitik halten CDU/CSU und FDP gleichermaßen fest.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Grenzen des Wachstums werden in den Ökosystemen am ehesten sichtbar, die wie die Alpen besonders sensibel auf Umwelteingriffe reagieren. Die ungebrochene Wachstumsideologie — Herr Engelsberger, Ihre Rede war dafür ein Paradebeispiel — wird dort am ehesten zu dem Zusammenbruch ganzer Lebensregionen führen. Wenn viele Alpentäler unbewohnbar werden, hat dies weitreichende soziale, ja existentielle Folgen für hunderttausende Alpenbewohner. Ich hoffe, daß besonders diese Menschen nicht länger bereit sind, jene zu wählen, die hierfür die Verantwortung tragen.

(Suhr [GRÜNE]: Die nächste Landtagswahl kommt bestimmt!)

Ich hoffe, daß die Alpenbewohner den gleichen Mut aufbringen wie die Oberpfälzer und der CSU die Stirn zeigen, und ich fordere alle Bayern auf: Unterstützt die notwendigen Maßnahmen zur Rettung der Alpen, wählt am 12. Oktober diese Alpenzerstörerparteien, CSU vorneweg, ab!
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023307200
Herr Kollege Schulte, ich möchte Sie bitten, daß Sie sich bei Ihrer nächsten Rede der sehr unkollegialen Redeweise, die Sie am Anfang gebrauchten, enthalten. Vielleicht erinnern Sie sich, was Sie gesagt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich darf jetzt noch das Ergebnis der Wahl bekanntgeben: abgegebene Stimmen 322, davon gültig 322, keine Enthaltungen, keine ungültigen Stimmen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Carstens 300 Stimmen, auf den Abgeordneten Riedl 300 Stimmen, auf den Abgeordneten Hoppe 300 Stimmen, auf den Abgeordneten Walther 283 Stimmen, auf den Abgeordneten Kühbacher 284 Stimmen. Die genannten Abgeordneten haben nach § 10 a der Bundeshaushaltsordnung die erforderliche Mehrheit von 261 Stimmen erreicht, sind damit



Vizepräsident Frau Renger
als Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste gewählt.
Jetzt hat der Herr Abgeordnete Paintner das Wort.

Johann Paintner (FDP):
Rede ID: ID1023307300
Frau Präsident! Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Mein Kollege Engelsberger hat kritisiert, daß die einbringende Fraktion sehr schlecht vertreten ist. Ich möchte den Stiel umdrehen und feststellen, daß mir mein Fraktionsvorsitzender vorhin noch ins Ohr geflüstert hat: Die FDP ist die alpenfreundlichste Fraktion: Vizepräsident, Fraktionsvorsitzender, Fraktionsvorstand, Professor.

(Seiters [CDU/CSU]: Aber wir haben den Geschäftsführer!)

Ich meine, dies soll auch mal festgehalten werden. Ich möchte nicht in das Horn der GRÜNEN stoßen, aber ich meine, daß unsere Bevölkerung im Alpenraum dies sicherlich auch zur Kenntnis nimmt.
Meine Damen und Herren, der Inhalt des SPD-Antrages ist nicht neu. In den Antworten zu verschiedenen Anfragen hat die Bundesregierung bereits ausführlich zu den angesprochenen Problemen Stellung genommen, und, was noch viel wichtiger ist, die Bundesregierung und auch die bayerische Staatsregierung haben bereits gehandelt.
Lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen: Sie fordern ein Sofortprogramm zur Rettung der Alpenwälder. Das wirksamste Sofortprogramm ist die drastische Minderung der Schadstoffimmissionen.

(Suhr [GRÜNE]: Sehr gut!)

Diese Regierung hat die entscheidenden Maßnahmen durchgesetzt.

(Suhr [GRÜNE]: Aber viel zuwenig!)

— Mein Kollege von den GRÜNEN, ich nehme an, daß Sie auch den „Spiegel" lesen.

(Suhr [GRÜNE]: Ich schon, der Kanzler nicht!)

Genau dieser „Spiegel" hat am 15. September geschrieben — das können Sie nachlesen —:
Die von der Bundesregierung gesetzten Ziele und die teilweise eingeleiteten Maßnahmen sind im europäischen Vergleich ohne Beispiel.
Und darum, meine ich, können Sie hier sehr vieles reden, aber die Bevölkerung draußen sieht, was geschieht. Das ist eine klare Aussage eines Nachrichtenmagazins, das sicherlich uns als FDP nicht gerade so nahesteht.
Natürlich müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, durch forstliche Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit der Waldbestände zu verbessern und den Schadensverlauf zu mildern. Bereits 1984 — ich wiederhole: 1984 — hat diese Bundesregierung auf Grund der Waldschäden neue forstliche Förderungsmaßnahmen in die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" aufgenommen und die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe immerhin um 20 Millionen DM aufgestockt.
Die Sanierung von Alpenschutzwäldern — und für diese Aufgabe ist das Land zuständig, wie Sie wissen — wird schon seit langer Zeit von der bayerischen FDP immer wieder gefordert.

(Senfft [GRÜNE]: Gibt es die in Bayern?)

Wir wissen, daß dabei standort- und herkunftsgerechte Baumarten auch den höchstmöglichen Schutz vor Lawinen und Muren bieten. Es ist die Aufgabe der bayerischen Landesregierung, entsprechend zu handeln.
Die im Antrag der SPD geforderte generelle Anpflanzung von Pioniergehölzen ist der falsche Weg, weil Pioniergehölze nicht die gleiche Schutzwirkung entfalten. Sie kommen nur in Frage, wenn eine Wiederbestockung mit den Hauptbaumarten zunächst nicht möglich ist. Derzeit gibt es nach Ansicht der Fachleute keine Veranlassung, vom bewährten Konzept der Bewirtschaftung und Sanierung der Schutzwälder abzugehen. Die für die nächsten Jahre geplanten Maßnahmen müssen nach Auffassung der bayerischen FDP in einem umfassenden Schutzwaldsanierungsprogramm zusammengestellt werden. Natürlich müssen für diese Programme erhebliche Mittel von den Ländern aufgewendet werden.
Die Verbißschäden durch das Schalenwild sind gravierend und gefährden in vielen Teilen der Alpen die notwendige Verjüngung der Schutzwälder. Durch eine konsequente Anwendung der jagdrechtlichen Vorschriften können die Schalenwildbestände reduziert werden. Die bayerischen Behörden haben bereits Maßnahmen eingeleitet, die eine Anpassung der Wildbestände zum Ziel haben.

(Senfft [GRÜNE]: Warum wird denn weniger gejagt?)

Ich appelliere, nicht an Sie, sondern an die bayerischen Jäger, die hier eine große Verantwortung tragen — —

(Zuruf von den GRÜNEN: Alle, die FDP wählen! — Zuruf von der SPD: Das sind die größten Waldschädlinge!)

— Ja, wissen Sie, wenn ich an Sie appellieren müßte, wäre das sowieso schon gefährlich.
Hier sage ich nur: Ich appelliere an die bayerischen Jäger. Sie haben eine große Verantwortung.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Sie kuschen doch vor der Jagdlobby!)

— Das müssen Sie sagen.

(Zuruf von der SPD: Franz Josef Strauß ist der oberste Jäger! Da können Sie viel appellieren!)

Ich sage Ihnen nur das eine: Es ist der Stolz eines Jägers, große Wildbestände im Revier zu haben. Aber die Erhaltung des Naturgutes Wald, insbesondere des Schutzwaldes, hat, meine ich, hier Vorrang. Die Schalenwildbestände sind größer denn je. Die



Paintner
Reduzierung auf einen waldverträglichen Bestand ist unumgänglich.

(Lambinus [SPD]: Sehr gut!)

Auch die Ablösung des Waldweiderechts ist eine bayerische Angelegenheit.

(Abg. Senfft [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich danke.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu.

(Suhr [GRÜNE]: Sie Demokrat! — Senfft [GRÜNE]: Jetzt ist auch noch Ihr letzter Liberalismus den Bach runtergegangen!)

Die Aktivitäten zur Ablösung dieser Rechte müssen verstärkt werden, dies aber so, daß unsere Almbauern — und wenn Sie auch davon eine Ahnung haben, gehen Sie mal hinauf, und reden Sie mal mit den Almbauern — keinen finanziellen Schaden erleiden.
Sie sehen also, meine Damen und Herren: Der SPD-Antrag — von den GRÜNEN rede ich gar nicht
— geht ins Leere. Die Bundesregierung kann weiterhin bei ihren Maßnahmen zur Erhaltung der Bergwälder mit der FDP-Fraktion in diesem Hause und, dessen bin ich sicher, mit der zukünftigen FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag rechnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von den GRÜNEN: So kommt die FDP nie in den Landtag!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023307400
Das Wort hat der Abgeordnete Bamberg.

Georg Bamberg (SPD):
Rede ID: ID1023307500
Herr Präsident! Verehrte Anwesende! Gaston Rebuffat, ein berühmter französischer Bergführer, soll einmal auf die ewige Bergsteigerfrage, warum Menschen denn auf die Berge stiegen oder auf die Berge gingen, geantwortet haben: „Viele Wege führen zu Gott, einer davon über die Gipfel der Berge." Ein anderer, dessen Name Ihnen möglicherweise geläufiger ist, nämlich Luis Trenker, hat auf dieselbe Frage weniger pathetisch geantwortet: „Weil sie halt da sind, die Berg'."
In der Tat, sie sind immer noch da, „die Berg"`, die Voralpenlandschaft, die Alpenlandschaft und alles, was dazu gehört. Aber: in den 30 Jahren, die seit diesen Aussprüchen vergangen sind, hat es eine halbe Generation Menschen — wie in anderen Bereichen übrigens auch, wenn ich an die Meere denke — geschafft, diesen Lebensraum Alpen zumindest zur Zerstörung frei zu geben. Ich bin der Meinung: Wenn wir nicht radikal umschalten, werden die Anhänger des Philosophen-Bergführers Rebuffat ihren Weg zu Gott nicht mehr über die Berge finden, weil sie zwar noch da sind, aber anders, als jener sie uns mit seinem Ausspruch nahebringen wollte.
Mein Anliegen ist es einerseits, einmal mehr auf die bekannten, immer wieder zur Verharmlosung gebrachten Katastrophen — es ist ja heute wieder zum Ausdruck gekommen, wie verharmlost wird — wie z. B. das Sterben der Bergwälder, hinzuweisen und Folgerungen zum Erhalt und zur Rettung vorzuschlagen, andererseits, ganz einfach persönliche Beobachtungen und Erfahrungen zu erzählen, an denen erkennbar wird, wie sehr sich die ökonomische und ökologische Situation — mir ist der Ausdruck im übrigen zu geschwollen —, ich meine: der Zustand des gesamten Alpenraumes in dem vorhin angesprochenen Zeitraum, verändert hat. Ich erzähle das als einer, der nicht nur mit dem Auto, mit dem Bus oder mit der Seilbahn oder sonstigen Aufstiegshilfen im Alpenraum — nicht nur im deutschen Alpenraum — unterwegs war und der vieles kennenlernen konnte. Ich meine den unsachgemäßen Gebrauch der Natur durch die Bergsteiger oder solche, die sich für Bergsteiger halten.
Natürlich — das weiß ich — ist das nicht die Hauptursache der jetzigen Dimension der Erschütterung — im übrigen meiner Meinung noch am ehesten zu reparieren —, aber es ist symptomatisch für die gesamte Zerstörungsspirale: Um immer mehr Menschen Regionen zu erschließen, die noch zu meiner aktiven Bergsteigerzeit einer ganz winzigen Elite vorbehalten blieben — natürlich spielen hier die wirtschaftlichen Erwägungen die große Rolle —, baute man immer mehr Bergstraßen, Bergbahnen, Aufstiegshilfen, erschloß immer grandiosere Gletscherregionen

(Tatge [GRÜNE]: Skiläufer!)

— auch die Skiläufer, selbstverständlich —, ging immer höher hinauf. Ein Beispiel: Weil Chamonix z. B. mit seiner Seilbahn nur auf 3 805 m kommt, muß Zermatt das kleine Matterhorn — Egi de Midi
— erschließen und kommt dann auf 4 000 m, ein Konkurrenzdenken, das meiner Meinung nach unmöglich ist.
Im übrigen — auch das gehört festgestellt —: Es sind grandiose Leistungen, dank denen es nicht mehr nur den ehemals reichen Abenteurern und Weltenbummlern vorbehalten blieb, eine Traumwelt zu genießen bzw. sich mit der unbändigen Natur zu messen, sondern sich die Bergwelt auch „den kleinen Leuten" erschloß, übrigens auch zu einem Preis: Wer weiß schon, daß im gesamten Alpenraum jährlich 1 000 Menschen — 900 davon durch eigene Schuld — ums Leben kommen.
Auch die Kalkulation der Marktanalytiker im Fremdenverkehr ging auf: Sie kamen in Scharen, mit steigender Tendenz. Es sei allen vergönnt, verehrte Anwesende. Aber die Frage stellt sich doch, ob der Preis nicht zu hoch ist. In mancher einst einsamen Region — ob in den West- oder Ostalpen, ob im deutschen Alpenraum oder woanders — sind z. T. fast mehr Abfälle als Steine zu finden. Ich könnte von Wänden erzählen, die früher nur von wenigen begangen worden sind. Voriges Jahr war ich z. B. in der Watzmann-Ost-Wand: Abfälle über Abfälle, oder am Mont Blanc oder wo sonst auch immer.
Ich mache mir die These vom Vorsitzenden des Deutschen Alpenvereins, Dr. Fritz März, zu eigen, der folgendes gesagt hat: „Wenn wir die bergsteigerische Entwicklung nicht mehr beherrschen, sie



Bamberg
nicht mehr kennen, ihr nicht mehr gewachsen sind, dann sind wir auch nicht mehr in der Lage, Umweltschutz in den Alpen zu treiben." Diese Entwicklung allerdings scheint mir gerade noch steuerbar. Hier, so glaube ich, wird auch durch die verantwortungsvolle Arbeit der Alpenvereine — des Deutschen und anderer Alpenvereine — gebremst.

(Zuruf von der SPD: Und weitere Alpenverbände!)

— Alpenverbände und alle, die sich halt damit befassen.
Die wirklich drohende, meiner Meinung nach lebensbedrohende Zustandsveränderung des gesamten Alpenraumes macht ja auch nicht vor den Grenzen halt: Das Sterben der Bergwälder mit all den Folgen wegen mangelnden Schutzes vor Lawinen, Erosionen — alles ausgeführt — geht von der Luftverschmutzung aus. Der Bergwald stirbt vor allem am Moloch Verkehr. Deswegen kann man, Herr Engelsberger, nicht oft genug darüber reden. Das sind keine Schauanträge. Ich bin der Meinung, man muß immer wieder darüber reden. Das Land Baden-Württemberg hat meines Wissens als erstes Land
— in diesem Fall ist Bayern nicht vorn — in dieser Woche den Waldschadensbericht 1986 vorgelegt. Nach diesem Bericht sind die Waldschäden in der Fläche um 1% leicht zurückgegangen, haben aber in den Hochlagen drastisch zugenommen — Befürchtungen, die wir alle seit langem hegen. Den gleichen Schadensanstieg werden wir übrigens im gesamten Alpenraum in der nächsten Zeit erleben können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023307600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?

Georg Bamberg (SPD):
Rede ID: ID1023307700
Wenn sie mir, da ich nicht so viel Zeit habe, nicht angerechnet wird, j a bitte.

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1023307800
Georg, ist dir bekannt, daß der Waldschadensbericht in Bayern erst nach der Landtagswahl veröffentlicht werden soll, und siehst du nicht darin auch, daß man hier unbequeme Fragen einfach hinter den Wahltermin drükken will?

Georg Bamberg (SPD):
Rede ID: ID1023307900
Das war mir zwar bis jetzt nicht bekannt, aber das wundert mich nicht, weil diese Dinge, die unangenehm sein werden, erst nach der Landtagswahl kommen dürfen — leider Gottes! Aber auch da werden wir — hoffe ich — den Menschen nahebringen, was drinsteht.

(Dr. Rumpf [FDP]: Lassen Sie den Bamberg mal, der ist ganz ordentlich!)

— Danke schön; ich brauche aber wirklich keine Beihilfe von der FDP.

(Dr. Rumpf [FDP]: Wer weiß?)

— Vielleicht. Man soll nie nie sagen; da sind wir uns einig.
Welchen Anteil der ungezügelte, den Mechanismen des Marktes allein überlassene Verkehr an der Veränderung zum Negativen des gesamten Alpenraumes hat, darf ich am Beispiel des von vielen, auch aus nördlichen Regionen so bevorzugten Alpenraumes Inntal, Tirol und Südtirol demonstrieren: Dieses Gebiet wird zum Trampelpfad Europas. An Werktagen donnern z. B. über die Inntal-Autobahn durch Tirol fast 6 000 Lkw. Würde man die Fernlaster, die jährlich auf dieser 150 km langen Strecke fahren, hintereinanderstellen, dann ergäbe sich eine Kolonne quer durch Europa von Lissabon bis Wladiwostok. Die Schadstoffmengen, die hier ausgestoßen werden: 800 t Kohlenmonoxid, 190 t Stickoxid, 130 t Schwefeldioxid und und und. Alle Prognosen sagen darüber hinaus bis zum Jahre 2000 eine weitere Verdoppelung voraus.
Weil die Schweiz das fertiggebracht hat, was bei uns nicht möglich ist, weil man einfach nicht will, nämlich mit strikter Tonnagebeschränkung und Verkehrsgeboten für die Bahn diesem Spuk einen Riegel vorzuschieben, nehmen Lastwagenfahrer einen Umweg bis zu 700 km in Kauf, um das Schlupfloch, das Nadelöhr Brenner benutzen zu können — eine weitere unsinnige, unnötige Luftverschmutzung. Aber auch die Bundesregierung gebietet dem nicht nur keinen Einhalt, sie fördert die Entwicklung durch Zulassung noch höherer Achslasten.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ich glaube, wer so viel von Politik für Menschen redet, müßte sich auch mit diesen Dingen befassen. Sozialmediziner der Universität Innsbruck z. B. befassen sich seit Jahren damit: Von rund 100 000 beobachteten Anwohnern sind gut 67 % lärmgeschädigt, 38% leiden unter Schlafstörungen. Die Lärm- und Abgasfolter führt grundsätzlich zu ernsthaften gesundheitlichen Störungen. Auch dies gehört zur ökonomischen und ökologischen Situation im Alpenraum.
Wenn dann die Österreicher in ihrer verzweifelten Situation die Jahresmautgebühren erhöhen wollen, weil sie keinen Ausweg mehr finden, fällt einem Kollegen aus dem Bundestag nichts anderes ein als, dies sei „modernes Raubrittertum". Das ist eine nicht mehr überbietbare Ignoranz.
Vom Vorsitzenden meiner Fraktion möchte ich entlehnen, was dieser einmal sinngemäß zur Marktfunktion gesagt hat: Der Markt sei gut, aber blind gegen Auswüchse, blind gegen soziale Gerechtigkeit. Ich füge an: Nirgendwo funktioniert der Markt so wenig wie beim Verkehr. Umweltschutz und eine andere Verkehrspolitik bedingen sich gegenseitig. Das eine ist meiner Meinung nach ohne das andere nicht möglich.
Ich glaube, daß im Sinne unseres vorliegenden Antrags eine andere Verkehrspolitik viel, viel Beruhigung in eine unwiederbringliche Naturlandschaft mit ihrem Wirtschafts- und Lebensraum für alle bringen könnte, nicht nur für den Alpenraum, sondern für die Menschen schlechthin.
Ich weiß, daß ich mit meiner Forderung möglicherweise nicht einmal in meiner eigenen Fraktion eine Mehrheit finden würde

(Suhr [GRÜNE]: Traurig!)

— das ist nicht traurig; das ist Demokratie, weil es
auch andere Meinungen gibt — aber, ich fordere



Bamberg
zumindest eine Diskussion. Ich glaube, daß wir nur dann weiterkommen können, wenn wir radikal die Verkehrspolitik dahin gehend ändern, daß wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen. Lenkungsmaßnahmen, daß bestimmte Massengüter, die nicht pressieren, die nicht eilig sind, auf die Bahn kommen.

(Beifall bei der SPD)

Das muß unter Menschen einfach möglich sein. Denn kein Mensch versteht mehr, daß wir um den Preis einer irrsinnigen Umweltverhunzung, um den Preis des Ansteigens der Zahl der Verkehrstoten eine Verkehrspolitik machen, die für alle Menschen, die mitdenken, überholt scheint.

(Lambinus [SPD]: Schorsch, du hast völlig meine Zustimmung!)

— Vielleicht kann ich darauf noch zurückkommen.
Daß mit Konservativen eine solche Verkehrspolitik nicht zu machen ist, darüber bin ich mir klar. Trotzdem werde ich immer wieder darauf hinweisen. Zu einer solchen Verkehrspolitik gehört Mut. Für solche gesetzlichen Initiativen gibt es im Grunde genommen keine Alternative.
Ich bedanke mich herzlich.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der SPD: Bravo, Schorsch!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023308000
Nun hat die Frau Abgeordnete Geiger das Wort.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023308100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst einmal möchte ich sagen: Natürlich liegt dem Bundesumweltminister Wallmann der Alpenraum sehr am Herzen. Sie wissen alle, er hat sich entschuldigt. Er mußte zur Umweltkonferenz nach Wien. Ich glaube, das sehen wir alle ein. Er läßt aber extra nochmals ausrichten, er wollte gerne sprechen. Leider hat sich alles verzögert, nicht durch seine Schuld. Deshalb ist er nicht hier.

(Lambinus [SPD]: Wo ist sein Staatssekretär?)

Daß wir uns um den Alpenraum Sorgen machen, ist leider nur zu berechtigt. Der Gesundheitszustand der Bergwälder gibt zu großen Sorgen Anlaß. 1982 machten die Forstämter in meinem Wahlkreis die ersten Beobachtungen, daß das Waldsterben wohl auch vor dem Hochgebirge nicht Halt machen würde. Inzwischen weisen nach der Waldschadensinventur der Forstämter Garmisch-Partenkirchen, Mittenwald, Murnau und Oberammergau von 1985 bereits 53 % der Gebirgswälder deutlich sichtbare Schäden auf.

(Zuruf von der SPD: Also!)

Jeder weiß — wir haben das bei der letzten Debatte im November letzten Jahres ausführlich besprochen —, welch katastrophale Folgen der Verlust der Schutzeigenschaft des Waldes im Hochgebirge hätte. Erosion, Hochwassergefahr, Lawinenabgänge und Steinschlag würden die Täler bedrohen.

(Suhr [GRÜNE]: Warum macht ihr so wenig dagegen?)

Die Erholungslandschaft würde vernichtet. Aber bei allen berechtigten Sorgen lassen sich beim derzeitigen Stand des Wissens keine verläßlichen Prognosen über den künftigen Schadensverlauf machen. Das sage nicht ich, das sagen die Fachleute. Es ist also unredlich, Herr Schulte (Menden), da jetzt Horrorgemälde zu zeichnen. Wir wissen zu wenig über die tatsächlichen Vitalitätsreserven des Bergwaldes

(Suhr [GRÜNE]: Aber Sie sehen doch, daß die Wälder sterben!)

und über den Einfluß von Klimafaktoren. Die Forstfachleute sprechen z. B. immer wieder davon, daß deutlich geschädigte Bäume ein ganz erstaunliches Regenerationsvermögen zeigen. Letztlich weiß die Wissenschaft immer noch nicht ganz genau, welche Ursache die Walderkrankung im Hochgebirge hat. Alle Experten sind sich einig, daß die Luftverschmutzung durch unsere Industriegesellschaft eine wesentliche Rolle dabei spielt.
Vieles, was die SPD in ihrem Antrag fordert, ist berechtigt. Aber bei genauem Hinsehen entpuppt es sich doch als sehr alter Hut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Rumpf [FDP]: Ganz alter Schlapphut! — Rossmanith [CDU/CSU]: „Filzhut" wäre besser!)

Denn die Bundesregierung in Bonn und die Staatsregierung in München haben die Dinge längst in die Hand genommen und gehandelt.

(Suhr [GRÜNE]: Viel zu lasch und viel zu langsam!)

Die Bundesregierung hat die Luftverschmutzung durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, durch die umfassenden Novellen der Technischen Anleitung Luft und durch die Maßnahmen zur Schadstoffbegrenzung bei Kraftfahrzeugen entscheidend zurückdrängen können. Da wurde in ganz kurzer Zeit das in die Hand genommen, aufgeholt und aufgefangen, was die SPD in ihrer Regierungszeit jahrelang versäumt hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der FDP — Bamberg [SPD]: Das ist wieder das Sonderkonto Erblast!)

Selbstverständlich werden wir den Weg zu mehr Luftreinhaltung auch und ganz besonders im Interesse unserer Hochgebirgswälder konsequent weitergehen.
Sehr geehrte Herren — so muß ich sagen — von der SPD,

(Engelsberger [CDU/CSU]: Wo sind die Damen der SPD?)

auch mit anderen Forderungen in diesem Antrag laufen Sie bei uns offene Türen ein. Bayern hatte schließlich — das dürfte sich herumgesprochen haben — das allererste Umweltschutzministerium in



Frau Geiger
ganz Europa. Der damalige und erste Umweltminister Max Streibl hat als gebürtiger Oberammergauer die Situation des deutschen Alpengebiets sehr genau gekannt. Er hat schon 1972 mit dem sogenannten Alpenplan verhindert, daß wertvolle Gebiete unserer Alpen erschlossen und mit Liften und Bergbahnen zugepflastert werden. Es ist also nicht so wie in Teilen der Schweiz und in Osterreich. Bei uns wurde sehr früh der Riegel vorgelegt. Das ist auch gut so. Auch mit der Kartierung wurde schon sehr, sehr früh begonnen. Das war damals selbst in unserem eigenen Lande nicht ganz unumstritten. Das muß man sagen. Aber es hatte Vorbildfunktion auch für unsere Nachbarländer.
Also: Bayern hatte damals schon die Nase vorne. Wir mußten glücklicherweise nicht bis heute auf die Eingebungen der bayerischen SPD-Landesgruppe warten.
Die Bayerische Staatsregierung hat auch längst erkannt, daß unser kranker Wald verjüngt werden muß. Es wurde ein eigenes, großflächiges bayerisches Schutzwaldprogramm beschlossen.

(Suhr [GRÜNE]: Der Bayerische Landtag muß auch verjüngt werden!)

Es wurde die Arbeitsgruppe gebildet. Sie arbeitet. Die Erhebungen laufen. Dieses Investitionsprogramm zugunsten des kranken Waldes ist langfristig angelegt, denn eines muß uns allen klar sein: Es wird viel Zeit brauchen, bis sich der Wald wieder erholt.
Die Erkenntnis der SPD, daß der Bestand an Schalenwild vermindert werden muß, ist auch nicht gerade ein Knüller,

(Engelsberger [CDU/CSU]: Auch ein alter Filzhut!)

denn der bayerische Landtag hat längst die entsprechenden Beschlüsse dazu gefaßt. Nur ein kleines Beispiel dazu. Heuer gibt es bei uns z. B. keine Staatsjagden und keine Staatsgäste; denn die Jäger sollen voll Zeit haben, ihre Abschußquoten zu nutzen.

(Suhr [GRÜNE]: Wohin geht denn Franz Josef zum Jagen?)

Nach Auskunft der Forstämter ist heuer ein echtes Reduktionsjahr.
Wenn ich mir die Initiatoren des SPD-Antrages anschaue und die Namen lese: Vahlberg, Schmidt (München), Dr. Schöfberger usw., dann fällt mir auf, daß es sich um Münchner Abgeordnete handelt.

(Zuruf von der SPD: Bamberg nicht vergessen!)

— Der kommt aus Rosenheim. Von daher ist es mir erklärlich, wie der lapidare Satz „die beschleunigte Ablösung des Waldweiderechts" in dieses Papier gekommen ist. Ein Städter weiß vermutlich nicht, daß es sich beim Waldweiderecht um ein uraltes Recht handelt, das wir respektieren wollen und müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD — Lambinus [SPD]: Das haben wir im Spessart auch abgelöst!)

Eine Ablösung ist nur auf freiwilliger Basis möglich, z. B. durch Bereitstellung von Ersatzweiden. Weiderechtler sind auch keine Landschaftsvernichter, wie man nach Ihrem Antrag vielleicht annehmen könnte. Das Weiderecht besitzen vielmehr im allgemeinen Familien, die sich seit Jahrhunderten unserer Landschaft annehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Vor jeder radikalen Lösung kann ich nur warnen. Sie wird mit uns auch nicht zu machen sein.
Ganz wichtig für unsere Bevölkerung und für unsere Feriengäste ist die baldige Lösung der Verkehrsmisere in unserem Gebiet. Bei der letzten Debatte haben Sie noch behauptet, Herr Vahlberg — und natürlich auch die GRÜNEN —, daß der Weiterbau der A 95 nicht zu verhindern sei.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023308200
Sie gestatten eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete?

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023308300
Ja, bitte.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1023308400
Frau Kollegin, wir wissen sehr wohl, daß die Weiderechte eigentumsgleichen Charakter haben und daß man den Bergbauern die Weiderechte nicht einfach ersatzlos wegnehmen kann. Aber es kommt darauf an, dort Veränderungen zu erreichen, weil erhebliche Trittschäden auftreten. Man muß also zum Teil die Weiderechte ablösen und entsprechende Entschädigungen geben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch keine Frage?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023308500
Herr Abgeordneter, das war möglicherweise ein interessantes Statement. Eine Frage vermag ich beim besten Willen nicht zu erkennen.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1023308600
Dann formuliere ich das Ganze als Frage: Frau Kollegin, haben Sie nicht gewußt, daß wir das wissen?

(Heiterkeit und Beifall)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023308700
Nein, das habe ich nicht gewußt, weil ich eigentlich weiß, daß die SPD immer sehr gerne an Eigentumsrechte herangeht. Das wollen wir eigentlich nicht.

(Zurufe von der SPD)

— Jetzt geht es aber weiter mit der Straße. (Anhaltende Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023308800
Frau Abgeordnete, ich bitte fortzufahren.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023308900
Bei der letzten Debatte, bei der wir uns ausführlich unterhalten haben, ist
— wie gesagt — von GRÜNEN und auch von der SPD angezweifelt worden, daß es uns ernst war, daß wir nicht die Autobahn in unserem Loisachtal haben wollten. Sie haben das bezweifelt.



Frau Geiger
Inzwischen wissen Sie, wie der Bundestagsbeschluß ausschaut. Sie wissen: Es wird keinen Weiterbau der A 95 im Loisachtal geben,

(Suhr [GRÜNE]: Was ist mit den anderen Autobahnen?)

jedenfalls nicht so wie geplant. Dies ist ein Beschluß, der nicht zuletzt auf die Abgeordneten unseres Gebietes zurückgeht, den auch diese Abgeordneten mit ermöglicht haben, und es ist ein wichtiger Beschluß zugunsten unserer herrlichen Erholungslandschaft.
Die oberste bayerische Baubehörde hält sich an diesen Beschluß mit der Folge, daß nun ein neues Raumordnungsverfahren unter möglichst weitgehender Verwendung der Trasse der alten B 2 notwendig wird. Farchant wird den geforderten Tunnel bekommen, und auch für Oberau werden wir eine tragbare Lösung finden.
Der Nachteil ist, daß durch das neue Raumordnungsverfahren, mit dem Ende des Jahres begonnen werden soll, der Baubeginn leider hinausgeschoben wird. Das wird auch die Feriengäste interessieren. Wie lange es dauern wird, bis gebaut werden kann, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viele Einsprüche kommen. Je schneller sich alle Beteiligten einigen, desto schneller wird im Loisachtal die lang ersehnte Verkehrsentlastung kommen.
Eines möchte ich abschließend betonen: Wir, die wir aus dem Alpenraum kommen, wissen, was wir an unserer herrlichen Landschaft haben.

(Suhr [GRÜNE]: Wie lange noch?)

Wir werden uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, daß unsere schöne Natur, unsere Bergwälder, unsere Almen und unsere Kulturlandschaft

(Zuruf von der CDU/CSU: Vor den GRÜNEN bewahrt werden!)

so erhalten bleiben, wie wir sie seit der Kinderzeit kennen und wie wir sie alle lieben.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Es wundert mich, daß die SPD und die GRÜNEN, denen, wie sie sagen, die Situation im deutschen Alpenraum so sehr am Herzen liegt, wieder einmal keinen Abgeordneten aus diesem Gebiet in den Deutschen Bundestag schicken werden.

(Tatge [GRÜNE]: Wir sind eine kleine Partei! — Schulte [Menden] [GRÜNE]: Woher wissen Sie das?)

So wird es bleiben wie bisher: Vor dem Wahltermin gibt es spektakuläre Anträge, kommen SPD- und GRÜNE-Größen zu werbewirksamen Fototerminen in unsere wunderschöne Landschaft; nach der Wahl werden wir wieder unter uns und allein mit unseren Problemen bleiben. Aber, ich bin nicht traurig darüber. Wir sind bisher sehr gut allein zurechtgekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023309000
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann können wir dem Vorschlag des Ältestenrates folgen und den Antrag an die in der Drucksache 10/5872 vorgeschlagenen Ausschüsse überweisen. Weitere Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 8. Juli 1985 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Verringerung von Schwefelemissionen oder ihres grenzüberschreitenden Flusses um mindestens 30 vom Hundert — Drucksache 10/5387 —
Es gibt eine Vereinbarung des Ältestenrates, daß die Beratung 30 Minuten dauern soll. — Es erhebt sich kein Widerspruch.
Dann eröffne ich die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Schmidbauer das Wort.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1023309100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hat bei seiner Regierungserklärung am 4. Mai 1983 darauf hingewiesen, daß in der Umweltpolitik die Luftreinhaltung Vorrang besitzt.
Wir haben in den letzten vier Jahren ein ganzes Maßnahmenbündel zur durchgreifenden Verbesserung der Luftqualität beschlossen. Wir haben anspruchsvolle vorsorgeorientierte Anforderungen durchgesetzt, die zu einer drastischen Verringerung der Schadstoffemissionen aller Verursachergruppen führen.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Nicht bei den Stickoxiden!)

Ausgehend von den Prinzipien der Vorsorge, des Verursacherprinzips und des Kooperationsprinzips haben wir national wichtige Vorhaben für den Bereich der Luftreinhaltung auf den Weg gebracht. Dazu gehört die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, das am 13. Oktober 1985 in Kraft getreten ist; dazu gehört die Großfeuerungsanlagenverordnung, die am 1. Juli 1983 in Kraft getreten ist; dazu gehört die Technische Anleitung Luft, deren Immissionsteil 1983 und deren Emissionsteil 1986 novelliert wurde; und dazu gehört auch das breite Bündel von Maßnahmen zur Verminderung der Emissionen aus dem Verkehrsbereich.
Das Ergebnis dieser Anstrengungen: Bis 1993 werden allein die Schwefeldioxidemissionen insgesamt um rund zwei Drittel vermindert. Das entspricht einer Reduzierung von jährlich 2 Millionen Tonnen Schwefeldioxid. Die Stickoxidemissionen können bis 1995 um nahezu die Hälfte gesenkt werden, was einer jährlichen Reduzierung um 1,5 Millionen Tonnen entspricht.
Diese Bilanz macht deutlich: Wir haben in Europa im Bereich der Luftreinhaltepolitik nicht nur die Schrittmacherrolle übernommen, sondern auch unser Wollen in die Tat umgesetzt. Wir wissen, daß



Schmidbauer
nationale Anstrengungen zur Luftreinhaltung nicht ausreichen. Wir müssen sie durch eine internationale Luftreinhaltestrategie ergänzen.
Lassen Sie mich dies am Beispiel des Schwefeldioxidtransports darstellen: Basierend auf den Berechnungen der EMEP der Jahre 1980, 1981 und 1982 ergab sich für die Bundesrepublik Deutschland folgendes Bild: Die Gesamtemission an Schwefeldioxid lag bei 3,6 Millionen Tonnen pro Jahr; der Export über die Grenzen von der Bundesrepublik in andere Länder betrug 2,3 Millionen Tonnen pro Jahr; das entspricht 63 %. Der importierte Anteil betrug in diesem Zeitraum 1,45 Millionen Tonnen pro Jahr. Das entspricht einem Anteil von 40 %. Wir waren also ein Schadstoff-Exportland.
Das hat sich heute geändert. Unsere nationalen Maßnahmen haben dazu geführt, daß wir weniger Schwefeldioxid exportieren, als wir importieren.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Dies macht aber auch klar, daß wir unsere Situation nachhaltig und auf Dauer nur dann verbessern können, wenn sich alle Staaten in Europa für eine Politik der Reduzierung der Schadstoffe in der Luft engagieren.
1984 war das Jahr des Beginns einer neuen Phase der West-Ost-Kooperation auf dem Gebiet der Luftreinhaltung. Die Bundesregierung hatte sich auf der von ihr initiierten multilateralen Umweltkonferenz in München für die Formulierung einer gemeinsamen internationalen Luftreinhaltepolitik eingesetzt und insbesondere die Bereitschaft von 18 Staaten herbeigeführt, ihre jährlichen Schwefeldioxidemissionen zu reduzieren.
Ein erstes wichtiges Zwischenziel dieser Initiative ist erreicht: Am 19. Juli 1985 haben 21 Staaten aus West und Ost, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, in Helsinki das Protokoll über die 30 %ige Verringerung von Schwefelemissionen unterzeichnet. Der Entwurf des Vertragsgesetzes, mit dem diese völkerrechtliche Vereinbarung nach unserer Verfassung in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden muß, liegt uns heute zur ersten Lesung vor. Das Protokoll konkretisiert und ergänzt die Genfer Luftreinhaltekonvention von 1979. Die Vertragsstaaten des Protokolls übernehmen die völkerrechtliche Verpflichtung, ihre jährlichen nationalen Schwefelemissionen oder ihren grenzüberschreitenden Fluß so bald wie möglich, spätestens aber bis zum Jahre 1993, um mindestens 30 % gegenüber dem Niveau von 1980 zu reduzieren.
Eine Klausel des Protokolls stellt sicher, daß die Vereinbarung weiterer Reduzierungen in der Mitte der 90er Jahre möglich ist. Berichtspflichten der Vertragsstaaten und ein internationales Überwachungsprogramm werden die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen sicherstellen.
Die Bundesrepublik Deutschland wird die Verpflichtung des Protokolls zur 30%-Reduzierung der Schwefeldioxidemissionen einhalten, j a um das Doppelte übertreffen.
Die Luftreinhaltemaßnahmen der letzten Jahre, vor allem die von mir erwähnte Großfeuerungsanlagen-Verordnung und neue Technische Anleitung Luft 1986, stellen sicher, daß wir, gemessen am Basisjahr 1980, eine Verringerung der von unserem Land ausgehenden Schwefeldioxidemissionen um mehr als 60 % erreichen werden.
Mit dem völkerrechtlichen Inkrafttreten des Helsinki-Protokolls ist ein wichtiges Etappenziel in der grenzüberschreitenden Luftreinhaltepolitik erreicht. Wir bewerten das Zustandekommen des Protokolls als einen ersten Schritt nach vorn in der West/Ost-Kooperation auf dem Gebiet des Umweltschutzes, wenn auch nicht alle Staaten der ECERegion, etwa Großbritannien, die USA und Polen zu den Unterzeichnerstaaten gehören.
Als nächster Schritt sollte nach unserer Auffassung ein Protokoll zur Reduzierung der Stickoxid-und Kohlenwasserstoffemissionen erarbeitet werden. Mitglieder der Parlamente in Mittel- und Nordeuropa, die auf der internationalen Konferenz des Nordischen Rates vom 8. bis 10. September 1986 in Stockholm über grenzüberschreitende Luftverunreinigungen beraten haben, sind zu gleichen Ergebnissen gekommen.
Die Mitglieder dieser Parlamente haben sich einstimmig darüber verständigt, daß alle Signatarmächte des Helsinki-Übereinkommens dem Protokoll über die Reduzierung der Schwefeldioxidemissionen beitreten und daß im Rahmen des Übereinkommens Gespräche mit dem Ziel eingeleitet werden, in den 90er Jahren eine weitere Begrenzung der Schwefeldioxidemissionen zu erreichen; schließlich, daß die Arbeiten für die Reduzierung der Stickoxid- und Kohlenwasserstoffemissionen mit dem Ziel intensiviert werden, verpflichtende Protokolle aufzulegen und innerhalb eines vereinbarten Zeitraums weitere zusätzliche Reduzierungen zu erzielen. Gleichzeitig wurde vereinbart, daß alle Staaten ohne Rücksicht auf die Zeit, die die Auflegung eines international verpflichtenden Protokolls in Anspruch nimmt, wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Emissionen von Stickoxiden aus ortsfesten und beweglichen Quellen zu verringern.
Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages unterstützt nachhaltig die Bundesregierung in ihren Bemühungen um eine bilaterale Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarstaaten. Wir unterstützen den Bundesumweltminister in der Zielrichtung, schon in diesem Jahr die Umweltverhandlungen mit der UdSSR, der CSSR und der DDR zügig voranzubringen und soweit wie möglich abzuschließen. Wir weisen darauf hin, daß es in der Europäischen Gemeinschaft endlich gelingen muß, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung verabschiedungsreif zu machen. Die Signale aus Großbritannien, auch auf der von mir erwähnten Konferenz in Stockholm — der Kollege Stahl von der SPD und ich waren ja in Stockholm, und ich war im Ständigen Ausschuß —, werden unüberhörbar. Sie machen deutlich, daß auch diese Länder inzwischen begriffen haben, daß es hier vorangehen muß, daß auch dort ein Umdenkungsprozeß stattgefunden hat und auch dort die Bereitschaft wächst, mehr Verantwortung für unsere gemeinsame Umwelt in Europa zu übernehmen.



Schmidbauer
Es muß endlich auch gelingen, im Bereich schadstoffarmer Kraftfahrzeuge europaweit voranzukommen. Dies gilt sowohl für den Bereich der Ottomotoren als auch und im besonderen zu dieser Zeit für den der Dieselkraftfahrzeuge und der Nutzfahrzeuge. Dies gilt ebenso für die europaweite Einführung des bleifreien Benzins.
Die Bundesrepublik Deutschland war Gastgeber der Münchener Umweltkonferenz. Von hier gingen entscheidende Impulse für eine neue Phase der Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes aus. Wir werden deshalb für eine zügige Behandlung und Verabschiedung des Vertragsgesetzes Sorge tragen.
Sieben Staaten des Westens und Skandinaviens haben das Helsinki-Protokoll bereits ratifiziert. Das Protokoll tritt mit Hinterlegung der 16. Ratifikationsurkunde in Kraft. Die Bundesrepublik wird mit der raschen Ratifizierung des Helsinki-Protokolls ein Signal setzen: ein Signal, das unsere Verhandlungsposition für weitere West-Ost-Vereinbarungen stärkt und das vor allem die östlichen Unterzeichnerstaaten zur Ratifikation des Protokolls ermuntern soll, ein Signal, das aber auch deutlich macht, daß wir im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft nicht nachlassen werden, weitere Verbesserungen unserer gemeinsamen Umwelt zu erreichen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023309200
Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1023309300
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In einigen Punkten, Herr Schmidbauer, kann ich Ihnen zustimmen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Weitgehend!)

Grundsätzlich ist die Aussage, daß Luft für uns ein unerläßliches Lebenselixier ist. Saubere Luft zum Atmen, Luft, die uns nicht krank macht, hat für uns in der Bundesrepublik eine europäische Dimension. Wer sich die Graphiken über den Austausch der Schmutzfrachten über die Grenzen hinweg ansieht, weiß, um was es hier insgesamt geht. Luft macht vor Schlagbäumen ebensowenig halt wie die Schadstoffe, die in ihr enthalten sind. Rund die Hälfte aller Schadstoffniederschläge, die die Luft bei uns schlechter machen, kommt aus dem Ausland. Selbst wenn die Bundesrepublik von heute auf morgen aufhörte, innerhalb ihrer Grenzen Luftschadstoffe zu produzieren, würde unsere Luft höchstens um die Hälfte sauberer, weil die andere Hälfte von unseren Nachbarn kommt.
Das Protokoll von Helsinki vom 8. Juli 1985 hat zum Ziel, die weiträumige, grenzüberschreitende Luftverunreinigung bis spätestens 1993 um 30 % des Niveaus von 1980 zu verringern. Es ist ein erster Ansatz, aber ich glaube, wir sind uns darüber im klaren: Es ist nicht viel.
Der Waldschadensbericht der Bundesregierung zeigt, daß es zu wenig ist, Herr Schmidbauer. Die Situation in unseren Wäldern hat sich auch in den letzten Monaten wieder verschlechtert. Dabei muß man noch berücksichtigen, meine Damen und Herren, daß die Prozentzahlen im Waldschadensbericht irreführend sind. Auf neudeutsch sagt man: Sie sind frisiert. Die Flächen, Herr Schmidbauer, die schon abgeholzt wurden, weil der Baumbestand abgestorben ist, sind nämlich im jeweils neuesten Schadensbericht nicht mehr aufgeführt; in ihm werden nur noch kranke Bäume gezählt.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Und wie groß sind die Flächen?)

Hier bleibt sich die Regierung treu und macht es wie bei der Arbeitslosenstatistik: Wer rausgerechnet wird, ist nicht arbeitslos; abgeholzte Wälder sind nicht mehr krank. So einfach kann man sich Erfolgsbilanzen machen, meine Damen und Herren.
Auf europäischer Ebene ist noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten. Längst nicht in jedem europäischen Land — und leider auch nicht in jedem EG-Land — ist das Bewußtsein um die Notwendigkeit, unsere Luft sauberzumachen, so hochentwickelt wie bei uns in der Bundesrepublik.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023309400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Rumpf?

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1023309500
Selbstverständlich.

Dr. Wolfgang Rumpf (FDP):
Rede ID: ID1023309600
Herr Lennartz, ich teile ja Ihre Sorge um die Waldschäden, nur, Sie müßten mir bitte einmal erklären: Wie wollen Sie das ändern, und wie wollen Sie diese 30%ige Verminderung in zehn Jahren durchsetzen, wenn Sie nicht bereit sind, keine weiteren Kohlekraftwerke zu bauen?

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1023309700
Herr Kollege, ich werde nachher darauf eingehen, wie wir uns das ingesamt vorstellen. Aber ich weiß natürlich, worauf Sie abzielen. Sie zielen auf einen verstärkten Einsatz der Kernenergie ab, indem Sie sagen, fossile Brennstoffe erhöhen die Waldschäden noch.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Typisch FDP! Immer gegen die Kohle!)

Herr Kollege, sehen Sie sich doch bitte einmal den Bericht des Umweltbundesamtes an, in dem auf die negativen Wirkungen der Kernkraftemission und auch auf das Waldsterben hingewiesen wird. Ich kann Ihnen diese Lektüre sowohl zum Nachlesen als auch dazu empfehlen, daraus praktische Schritte abzuleiten. Was wir hier machen, ist eine ganz andere Politik, nämlich trotz des Ausstiegs aus der Kernenergie die Luft sauberer zu machen. Die Zahlen werde ich Ihnen nachher noch nennen.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Von Saubermachen hat er noch nichts gehört!)

Ich weiß nicht, ob es Sie überzeugt. Das kennt er nicht, der kennt nämlich nur Kernenergie. Von sauberen Braunkohlekraftwerken kennt er nichts.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Er kennt alle Berichte, nicht nur die von Professor Reichert!)




Lennartz
Ein Blick in die Rechtsvorschriften, mit denen unsere Nachbarn Emissionen verhindern — ich darf auf diesen Gedankengang noch einmal eingehen —, belegt das sehr eindrucksvoll. Herr Schmidbauer, ich habe eben Ihre Rede sehr aufmerksam verfolgt. Wir müssen uns doch darüber im klaren sein, daß es Länder gibt, die noch nicht einmal Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid haben, von Stickoxiden ganz zu schweigen. Das ist leider die europäische Realität, so leid mir das für uns insgesamt tut.
Realität ist auch, daß nicht alle unsere Nachbarn das Protokoll von Helsinki ratifizieren werden. Damit verweigern sie ihren — hören Sie genau zu — wirtschaftlichen Mindestbeitrag zur europäischen Luftreinhaltung. Es ist daher dringend an der Zeit, daß sich unsere Nachbarn auch aus wettbewerbspolitischen Gründen auf Emissionsgrenzwerte festlegen. Wettbewerbsnachteile auf Grund hoher Umweltschutzauflagen müssen aus dem europäischen Alltag verschwinden.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, in Brüssel sehr aufmerksam darauf zu achten, daß Wettbewerbsverzerrungen beispielsweise den Stromentstehungskosten aufgehoben werden. Es darf nicht dazu kommen, daß Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen, die zur Zeit in unsere Kraftwerke eingebaut werden, die Stromabnehmer aus der Chemie oder aus der Metallproduktion nach Holland oder nach Belgien treiben, weil die Kosten dieser Anlagen dort nicht anfallen und die Strompreise entsprechend niedriger sind.
Wir stellen fest: Eine Verringerung der Schwefeldioxidemission oder ihres grenzüberschreitenden Flusses um mindestens 30 % bis 1993 ist zuwenig, um eine nachhaltige und rasche Verbesserung der Luftqualität zu erreichen.
Die angekündigte Verweigerung einiger Länder, Herr Schmidbauer, wenigstens diesem Mindestkonsens zuzustimmen, ist doch ein weiterer europäischer Skandal. Wir haben das Recht, eine solche Bewertung vorzunehmen; denn bis 1995 wird die Schwefeldioxidemission in der Bundesrepublik um fast 80 % gesenkt, die Stickoxidemission nach heutiger Ausgangslage um 66 %, technologische Verbesserungen noch nicht eingerechnet.
Der Kollege Hauff hat in der vergangenen Woche noch einmal darauf hingewiesen — damit komme ich auf Ihre Frage zurück, Herr Rumpf —: Bei einem geordneten Ersatz der Atomenergie durch Kohlekraftwerke bis 1995 würden die Schwefeldioxidemission immer noch um 70% gesenkt, die Stickoxidemission immer noch um über 50 %.
Das sind Daten und Fakten, die Sie sich auch einmal verinnerlichen müssen. Sie müssen dann zu einer Güterabwägung kommen zwischen den Emissionen aus Kernkraftwerken — mit allen anderen Gefahren — und diesen Werten. Ich darf Sie bitten, dies mit in Ihre Überlegungen einzubeziehen.
Meine Damen und Herren, leider hat die erfolg-und konzeptionslose Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung seit 1982 unsere Verhandlungsposition auf europäischer Ebene geschwächt — ich sage: stark geschwächt —. Wir haben im vergangenen Jahr die schmerzliche Erfahrung machen müssen, daß alle deutschen Argumente für strengere Grenzwerte bei den Kfz-Emissionen auf taube europäische Ohren gestoßen sind. Ein entscheidender Faktor für diese Taubheit war die Tatsache, daß einzig und allein in der Bundesrepublik ein einfaches Instrument zur Luftverbesserung nicht eingesetzt wird — ich wiederhole das hier —, nämlich das Tempolimit. Umweltpolitisch, meine Damen und Herren, sind wir für die europäischen Nachbarn bis zum heutigen Tage in dieser Frage tiefste Diaspora. Daran führt doch kein Weg vorbei.

(Dr. Rumpf [FDP]: Fahren Sie schon ein Katalysatorauto?)

Statt mit einfachen Mitteln den Schadstoffausstoß von Kraftfahrzeugen schnell und wesentlich zu senken, hat sich die Bundesregierung immer tiefer in hektische Betriebsamkeit, komplizierte Regelwerke und untaugliche Mittel gestürzt. Ich erinnere nur an das Chaos bei der Kfz-Steuer und bei den verschiedenen schadstoffarmen Klassen. Ich erinnere an die Springprozession bei der Mineralölsteuer. Ich erinnere an das Fazit Ihrer Luftreinhaltepolitik im Kfz-Bereich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, das unverändert traurig bleibt.
Bis weit in die 90er Jahre wird die Menge der Stickoxide aus den bundesdeutschen Auspuffrohren ansteigen. Herr Wallmann, der leider nicht hier sein kann, nennt das Ganze übrigens in seinen Leitlinien zur Umweltvorsorge einen Durchbruch für die Luftreinhaltung in ganz Europa.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Als Kollege des Umweltausschusses können Sie es nachlesen; es ist vom 3. September 1986. — Ich habe mehr das Wort „Durchfall" aus der Zeit in Erinnerung, als Herr Zimmermann dem Plenum übernächtigt Brüsseler Geschichten in dieser Frage erzählte. Das ist alles noch in denkwürdiger Erinnerung, Herr Kollege.
Die anderen Regelwerke, die diese Bundesregierung und diese Koalitionsfraktionen zur Luftreinhaltung zu verantworten haben, sind nicht viel besser. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung war bereits veraltet, als sie verabschiedet wurde. Heute wird landauf, landab nach den Empfehlungen der Umweltministerkonferenz gehandelt, die weitaus niedrigere Grenzwerte festlegt als die Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Dasselbe gilt ja auch für die Technische Anleitung Luft.
Die Folgen für die umweltpolitische Kultur in der Bundesrepublik sind fatal: Weniger industrielles Vordenken im Umweltschutz. Wenn man sich bei dieser Bundesregierung offensichtlich nur auf eines verlassen kann, dann darauf, daß die Grenzwerte hier national als auch auf europäischer Ebene wie auf dem Pferdemarkt ausgehandelt werden. In einem anderen Bereich der Luftreinhaltung hat die Bundesregierung ebenfalls Sendepause.
Dort, wo durch alternative emissionslose Energiequellen auch ein wesentlicher Beitrag zur Luftrein-



Lennartz
haltung geleistet werden könnte, hat die Bundesregierung kein Geld übrig. Wie man hört, sollen für die Erforschung alternative Energiequellen von 1987 bis 1990 im Etat des Bundesforschungsministers ganze 200 Millionen DM bereitgestellt werden. Im Etat des Bundeswirtschaftsministers gibt es keine neuen flankierenden Maßnahmen zum Energieeinsparen.
Zum Vergleich eine Zahl aus dem Jahre 1981: Für die alternativen Energien wurden damals bereits 616 Millionen DM im Jahr aufgewendet. Der Ansatz sollte nach dem Finanzplan der sozialliberalen Koalition bis Ende 1985, Herr Rumpf, auf 780 Millionen DM ansteigen. Ich spreche von den sogenannten regenerativen Energiequellen.
Nur, die Bundesregierung hat bei der heutigen Situation, bei der Forschungsumsetzung nichtnuklearer Energieversorgung seit ihrem Amtsantritt um jährlich 200 bis 300 Millionen DM gekürzt, in einem Bereich, der auch für Sie von technologischem Interesse sein sollte.
Wer geglaubt hatte, daß nach dem erfolglosen umweltpolitischen Werkeln des Herrn Bundesministers Zimmermann mit der Schaffung eines neuen Umweltministeriums ein neuer Anfang gemacht wurde, der wurde bisher bitter enttäuscht. Bundesminister Wallmann, der für Umwelt, Natur- und Reaktorschutz zuständig ist, hat bisher nur als PublicRelations-Stelle für die Kernenergie gewirkt und sich als Massentherapeut gegen Atomangst in der Bevölkerung versucht. Der heutige Tag und seine Rede waren genau der gleiche Ansatzpunkt, der hier formuliert worden ist.
Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen allen noch und insbesondere unserer Natur ein Weiterleben. Sorgen wir insgesamt und auch auf europäischer Ebene dafür, daß wir zu besseren Verhältnissen kommen, wie dies der erste Ansatz ist.
Für die SPD-Fraktion darf ich erklären: Wir werden auch diesen Minimalansatz, der hier gefaßt worden ist, auf europäischer Ebene mit unterstützen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD — Dr. Rumpf [FDP]: Herr Lennartz, ich fahre mit einem Katalysatorauto nach Hause!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023309800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1023309900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege! Ich habe mit großer Spannung eigentlich nur auf den letzten Satz gewartet: wie Sie es nämlich nach einer solchen Philippika, nach dem Sie dieses Gesetz und die Bemühungen, die zu dem Ergebnis geführt haben und die übrigens aus einer Zeit stammen, in der wir zusammen in der Regierung waren, in Grund und Boden kritisiert haben, noch die Kurve kriegen, schließlich dem Gesetz zuzustimmen. Das ist eine tolle rhetorische Leistung.
Müßte es bei einer solchen, relativ nüchternen Materie nicht möglich sein, einmal die ideologische
Brille abzusetzen, und die Sache einfach so zu sehen, wie sie ist, ohne sich gegenseitig mit Vorwürfen zu bepflastern? Wenn man das macht, kann ich mich im wesentlichen auf das beziehen, was — —

(Lennartz [SPD]: Sehr human!)

— Ich habe relativ wenige Reden von Ihnen gehört. Aber wenn das, was Sie heute gesagt haben, human war, dann bin ich auf die anderen nicht sehr neugierig.
Ich kann mich im wesentlichen auf das beziehen, was Herr Schmidbauer gesagt hat. Diesem Abkommen liegen ja zwei Überlegungen zugrunde. Die eine ist, daß sich Luftverunreinigungen nicht um Grenzen kümmern, so daß wir auf Dauer eine Chance, zu besseren Verhältnissen zu kommen, nur haben, wenn wir das Problem internationalisieren, wenn wir also internationale Abkommen möglichst umfangreicher Art dazu erzielen können.
Die zweite Überlegung ist, daß wenn man sich in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum befindet, die Umweltstandards nach Möglichkeit nicht zu sehr voneinander abweichen sollten, weil man sonst eine Art Umweltdumping betreibt: Derjenige, der sich umweltschonende Einrichtungen spart, produziert zu Lasten der anderen. Das darf uns nie dazu verführen — wir haben dem immer zu widerstehen versucht —, den Weg des Geleitzugs zu gehen, also dem langsamsten Schiff zu folgen. In der Tat sind wir in der Bundesrepublik — darauf sind wir stolz, das wollen wir gar nicht beklagen — viel weiter als andere, auch andere europäische Länder in Ost und West.
Dieses Abkommen entspricht der Tatsache, daß andere Länder, auch Länder des Ostblocks, einen weit geringeren Teil ihrer Wirtschaftskraft zur Umweltschonung einzusetzen bereit sind. Es beginnt sich zu verändern. Es beginnt — das haben Sie zu Recht gesagt — ein wachsendes Verständnis dafür. Darum ist es so wichtig, daß dieses Abkommen zustande kommt.

(Beifall bei der FDP)

Es kommt ja aus dem Jahre 1970. Von da an ist ein mühsamer Weg bis hierher gewesen. Eine ganze Reihe von Staaten des Westens und des Ostens haben sich dem angeschlossen.
Was bleibt zu tun übrig? Es bleibt zu tun übrig, sich zuerst darum zu bemühen, daß die anderen Staaten dem beitreten, im Osten und im Westen. Es kommt zweitens darauf an, die Werte auf Dauer zu verschärfen. Das ist eine Zielsetzung. Dazu ist es auch wichtig, daß wir eine europäische Richtlinie für eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung bekommen, damit sich die gemeinsamen Anstrengungen für die Luftreinhaltung nicht nur auf neue Kraftwerke beziehen, sondern auch auf die Nachrüstung alter, weil wir sonst den Wert von 30 % ja leicht erreichen können. Der dritte Punkt muß sein — da folge ich Ihnen, das ist unter uns völlig unstreitig —, daß wir den Wirkungsbereich solcher Abkommen auf andere Emissionen erweitern. Schwefeldioxid ist hier erfaßt, auch Stickoxide sind es, wie Herr Schmidbauer es sagte.



Dr. Hirsch
Das sind die Dinge, an denen wir weiterarbeiten müssen. Umweltschutzpolitik, Luftreinhaltungspolitik müssen zum festen Bestandteil aller internationalen Absprachen auf technischem und wirtschaftlichem Gebiet werden. Wir werden die Bundesregierung in allem unterstützen, was sie tut, um dieses Ziel zu erreichen. Darum begrüßen wir dieses Gesetz mit dem gleichzeitigen Gedanken, daß wir uns unverändert nach Kräften und, wie ich hoffe, gemeinsam und ohne anklägerische Haltung darum bemühen werden, an der wirksamen Internationalisierung der Umweltpolitik weiterzuarbeiten und dabei Erfolge zu erzielen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023310000
Das Wort hat der Abgeordnete Schulte (Menden).

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1023310100
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Da hat man sechs Jahre gebraucht, nämlich vom 13. November 1979 bis zum 9. Juli 1985, um eine Übereinkunft zur Verminderung eines einzigen der beiden Stoffe, die mittlerweile als die hauptsächlichen Waldkiller bekannt sind, auf der internationalen Ebene zu erreichen. Ist es wirklich ein so großer Erfolg, wenn sich 21 Staaten bereit erklären, bis zum Jahre 1993 ganze 30% weniger SO2 in die Luft zu pusten, oder sich die Bundesregierung verpflichtet, über 50 % Reduktion zu schaffen?
Wenn man sich wirklich Klarheit über die Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen verschaffen will, so müssen zwei Fragen beantwortet werden. Erstens: Werden die Schadstoffminderungen das Waldsterben wirkungsvoll und rechtzeitig stoppen? Zweitens: Wie hoch ist das tatsächliche Minderungspotential, also die Summe aller Möglichkeiten, die SO2-Emissionen auf das geringstmögliche Niveau herunterzudrücken?
Es ist bekannt, daß im Jahre 1980 etwa 3,2 Millionen t Schwefeldioxid emittiert wurden. Die Hälfte davon importierten wir vom Ausland her, gaben aber auch den gleichen Anteil an das Ausland ab. Eine Verminderung des Auslandsanteils von 30% würde also 480 000 t weniger importierten Schwefeldioxid bei uns bedeuten, während die Bundesregierung den inländischen Anteil um 1 Million t verringern will. Mit anderen Worten, im Jahre 1993 wird der bundesdeutsche Wald immer noch eine SO2-Belastung von 1,7 Millionen t zu verkraften haben, also immer noch mehr als die Hälfte von 1980. Jeder weiß: Das wird der Wald nicht verkraften. Herr Schmidbauer, auch Sie wissen, es kommt letztlich nicht auf die Emissionen, sondern auf die Immissionen an. Hier ist viel zuwenig getan worden; bei SO2 immerhin noch ein wenig, bei NOx haben wir dort eine Fehlanzeige. Außerdem hat die Bundesregierung von den Ankündigungen, besonders des Herrn Zimmermann, recht wenig umgesetzt.
Am 6. September 1983 hieß es, Ziel international koordinierter Umweltaktivitäten sollte es sein, eine Grundsatzrichtlinie „Luftreinhaltung" zu entwerfen, die den Mitgliedsstaaten der EG die Bekämpfung der Luftverschmutzung an der Quelle nach dem jeweils verfügbaren Stand der Technik zur Pflicht machen sollte. Davon ist heute nichts zu spüren. „Stand der Technik" bei Kohlekraftwerken bedeutet eine 90 %ige SO2-Minderung, nicht die lächerlichen, von Ihrer Regierung erwirkten 30 %. Folgerichtig hat der Bundestag der internationalen Umweltpolitik der Regierung am 13. Mai 1986 einen kräftigen Rüffel erteilt, als er zur entscheidenden EG-Richtlinie beschloß: Der Deutsche Bundestag ist allerdings mit dem Bundesrat der Auffassung, daß die im Richtlinienentwurf vorgesehenen Maßnahmen weder im Umfang noch in den zeitlichen Vorgaben ausreichen, um die weitere Versauerung von Gewässern, die Belastung der Böden, das Fortschreiten des Waldsterbens sowie die Zerstörung von Bauten und Denkmälern wirksam einzudämmen und Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Luftverschmutzung nachhaltig entgegenzuwirken.
Meine Damen und Herren, nach Tschernobyl hat die Diskussion um das Waldsterben eine weitere Variante erhalten. Wir haben das heute morgen gehört. Mit dem Slogan „Ausstieg bedeutet das Aus für die Wälder" versuchen ausgerechnet diejenigen, die jahrzehntelang die Waldtotengräber der Nation waren, plötzlich den Spieß umzudrehen und uns GRÜNE für das Waldsterben verantwortlich zu machen. Ich sage Ihnen klipp und klar, das wird Ihnen nicht gelingen. Es wird Ihnen nicht gelingen, mit solchen Unterstellungen ihre Negativbilanz in der Energie- und Umweltpolitik aufzupolieren. Durch ein Maßnahmenbündel, das wir im August der Offentlichkeit vorgestellt haben, konnten wir beweisen: Die konsequente Luftreinhaltepolitik der GRÜNEN wird selbst bei einem sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie zu einer drastischen Senkung der Schadstoffemissionen führen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das wollen die aber nicht wissen!)

Hierzu haben wir über 30 Maßnahmen vorgeschlagen, die kurz-, mittel- und langfristig wirken. Im Jahre 1993 werden gegenüber 1980 nach unseren Vorschlägen bereits 84 % Schwefeldioxid weniger in der Bundesrepublik emittiert. Im Jahre 2000 werden es sogar 96% weniger sein. Das verstehen wir unter einer konsequenten Politik gegen das Waldsterben auch nach Abschalten aller Atomkraftwerke.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023310200
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Dann bitte ich, dem Vorschlag des Ältestenrats zu folgen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/5387 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden, so daß die Überweisung beschlossen ist.



Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens"
— Drucksache 10/6040 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (federführend)

Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Ich habe dem Haus eine erfreuliche Mitteilung zu machen. Dazu brauche ich allerdings zunächst einmal die Zustimmung dafür, daß wir in Abweichung von unserer Geschäftsordnung die vorgesehenen Reden zu Protokoll nehmen. — Da sich gegen diesen Vorschlag, der mit den Geschäftsführern abgesprochen ist, kein Widerspruch erhebt, werden wir so verfahren.*)
Damit kann ich dann feststellen, daß der von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens", Ihnen vorliegend auf Drucksache 10/6040, an die Ausschüsse überwiesen werden kann, die vom Ältestenrat vorgesehen und in der gedruckten Tagesordnung aufgeführt sind. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung. Ich kann die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 1. Oktober, um 13 Uhr einberufen.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.