Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1981, 1982 also in den letzten zwei Jahren der
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1986 16595
Bundesminister Dr. Blüm
Regierung Schmidt, gingen in der Bundesrepublik
820 000 Arbeitsplätze verloren.
1985 wurden 200 000 Arbeitsplätze neu geschaffen, 1986 werden es mindestens 300 000 sein. Also: 820 000 verloren, 500 000 gewonnen. Jetzt kommen die Vertreter des Arbeitsplatzverlustes und machen uns, den Vertretern des Arbeitsplatzgewinnes, Vorwürfe.
Das ist so ähnlich, als wenn eine Abbruchfirma der
Baufirma Vorwürfe macht, daß sie Häuser baut. Sie
können uns vorwerfen, daß wir nicht so schnell
bauen können, wie Sie abgebrochen haben. Das
stimmt. Aber das entspricht auch den Erfahrungen
eines Maurers. Sie brauchen nur einen Bulldozer,
um ein Haus einzureißen, und Sie brauchen Stein
für Stein, um es wieder aufzubauen. Das ist wahr.
— Schreiben Sie mit, Frau Fuchs — weil Sie sich gerade Notizen gemacht haben.
Sie haben in zwei Jahren 800 000 Arbeitsplätze verloren, und wir werden in zwei Jahren 500 000 Arbeitsplätze neu schaffen.
Freilich, die Frage ist, warum dieser Arbeitsplatzgewinn sich nicht unmittelbar in der gleichen Stärke in der Arbeitslosenstatistik niederschlägt. Das werden sich auch viele Bürger fragen.
Das liegt unter anderem daran, daß derzeit infolge der geburtenstarken Jahrgänge mehr junge Leute auf den Arbeitsmarkt kommen, als ältere ausscheiden. Es kommt hinzu, daß mehr Frauen als je zuvor wieder Arbeit nachfragen.
Deshalb erste Behauptung — Frau Däubler, immer mit Tatsachen —: 59 % des Arbeitsplatzgewinns sind Arbeitsplätze für Frauen. Die Frauen haben überproportional am Beschäftigungszuwachs partizipiert.
Ich sage das nicht mit einem Erfolgsgefühl. Hier handelt es sich ja um eine Aufholjagd. Hier handelt es sich ja darum, daß Benachteiligte ihre Benachteiligung aufholen müssen.
Ich will noch ein paar Zahlen nennen, immer Zahlen — ich beherrsche nicht die Phraseologie, die heute morgen hier vorgetragen wurde. 1982 waren 654 000 Lehrlinge Mädchen. Drei Jahre später sind es 744 000 weibliche Lehrlinge. Was ist mehr: 654 000 oder 744 000?
Immer mit Zahlen! Das ist immer gut. Adam Riese als Verbündeten zu haben, ist gegenüber der SPD immer gut.
Berufliche Qualifikation: 1982: 137 000 Frauen haben an Maßnahmen der beruflichen Umschulung und Fortbildung teilgenommen. Heute sind es 52 000 mehr.
Noch ein paar Fragen. Vielleicht beantwortet die SPD sie in der noch zur Verfügung stehenden Zeit. Teilzeitarbeit gegen Benachteiligung arbeitsrechtlich abzusichern, ist das für oder gegen die Frauen. Warum haben Sie die Teilzeitarbeit nicht abgesichert? Weil Sie ein Vorurteil gegen Teilzeitarbeit haben,
weil Sie sich immer wie die Oberlehrer der Gesellschaft benehmen. Jede vierte arbeitslose Frau sucht eine Teilzeitarbeit. Sie bestimmen doch nicht über die Wünsche der Frauen. Die Frauen bestimmen doch selber. Sie haben den Wunsch nach Teilzeitarbeit, und wir sind es gewesen, die die Teilzeitarbeit arbeitsrechtlich abgesichert haben.
Herr Schreiner, Sie scheinen das Gesetz nicht gelesen zu haben.
— Doch! Ich will es ja gerade begründen. Dieser Kapovaz — das ist ja auch so ein Wort, typisch aus der Arbeiterklasse entstanden, aus dem Soziologendeutsch; diese ganze Sprache, Herr Schreiner, ist ja nun wirklich in den Werkstätten geboren —,
also dieser variablen Arbeitszeit haben wir die Giftzähne gezogen. Wir haben sie doch nicht geschaffen. Nichts machen heißt doch nicht, daß es die nicht gibt. Wir haben ihr die Giftzähne gezogen, indem wir Ankündigungsmindestfristen eingeführt haben und dadurch Arbeitnehmer davor bewahren, daß sie am Telefon sitzen müssen und einfach abgerufen werden können. Mit Mindestankündigungsfristen, Mindestarbeitszeiten und damit auch Mindestverdienst haben wir die variable Arbeitszeit sozial verträglicher gemacht.
Wir haben das Jobsharing verbessert, auch eine moderne Form der Arbeitsplatzteilung. Wir haben sie davor bewahrt, daß dieses Jobsharing wie siamesische Zwillinge organisiert ist: Wenn die eine geht, muß auch die andere gehen. Ist das Fortschritt, oder ist das nicht Fortschritt? In Ihrer Einfallslosigkeit können Sie sich natürlich keine neuen Arbeitsverhältnisse vorstellen, weil Sie immer nach dem Motto arbeiten: Was nicht im Kochbuch der
16596 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1986
Bundesminister Dr. Blüm
Großmutter stand, darf auch morgen nicht gekocht werden. So einfallslos sind Sie.
Beantworten Sie alle diese Fragen noch in der Debatte!
Wir haben die Rückkehr der Frauen, wenn sie aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und später in das Erwerbsleben zurückkehren wollen, erleichtert. Wir haben die Rahmenfristen der Förderung erweitert. Die Rahmenfristen sind länger. Sie haben auch in späterer Zeit noch Anspruch auf Maßnahmen der Eingliederung. Wir haben die Qualifizierungsmaßnahmen nach dem AFG gerade für Frauen mit neuen Angeboten versehen: Teilzeitarbeit mit Teilbildung. Wir haben Qualifizierungsansprüche, die es bei Ihnen nicht gegeben hat, neu geschaffen.
Und nun zum befristeten Arbeitsvertrag. Zum tausendsten Mal wiederhole ich: Lieber befristet Arbeit als unbefristet arbeitslos. Ich stelle mir den befristeten Arbeitsvertrag auch als Brücke in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vor.
Und deshalb: Ich kann die Streitschrift der IG Textil auch geradezu als eine Schrift mit Komplimenten lesen. In ihr steht nämlich, daß 75 % der so Eingestellten mit der Erwartung — auch des Arbeitgebers — eingestellt werden, daß sie in unbefristete Arbeitsverträge überführt werden, daß drei Viertel dieser befristeten Arbeitsverträge schon zu Beginn mit der Aussicht auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis eingegangen werden.
Meine Damen und Herren, daß in der Textilindustrie mehr Frauen von diesem Angebot Gebrauch machen, liegt auch daran, daß in der Textilindustrie mehr Frauen beschäftigt sind, daß das Einstellungsverhalten natürlich auch dem Beschäftigtenverhalten entspricht. 52 % der Beschäftigten in der Textilindustrie sind Frauen, in der Bekleidungsindustrie sind es sogar 81 %.
Nebenbei: Die Bundesanstalt für Arbeit sagt, daß die Inanspruchnahme von befristeten Arbeitsverträgen bei Männern und Frauen ungefähr gleich ist. Im übrigen: Die Untersuchung der IG Textil zeigt, daß 55 % der so befristeten Arbeitsverträge mit einer Laufzeit von weniger als sechs Monaten abgeschlossen wurden. Das gab es bisher auch schon, das hat mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz gar nichts zu tun.
Und, Frau Fuchs: Vielleicht stellen Sie Ihre Gruselmärchen ein und hören auf, zu erzählen, unbefristete Arbeitsverhältnisse würden jetzt in befristete überführt werden.
Oder Sie lesen noch einmal nach — etwa Arbeitsrechtsschulung der IG Metall Sprockhövel —, daß es Kündigungsschutz gibt, daß man einen unbefristeten Arbeitsvertrag nicht einfach in einen befristeten überführen kann, daß Kettenarbeitsverträge verboten sind. Sie werden doch den Anfängerkurs
im Arbeitsrecht bei der IG Metall noch in Erinnerung haben!
Und noch etwas zum befristeten Arbeitsvertrag, jenseits aller Phrasen — Herr Schreiner, wirklich, ich bin mir wie in einer Rhetorikschule für Ideologen vorgekommen —:
Der OECD-Bericht, an dem Fachleute aus vielen Nationen mitgearbeitet haben, lobt ausdrücklich unser Beschäftigungsförderungsgesetz. Es ist dies ein Gremium, der u. a. der Vorsitzende der US-Automobilgewerkschaft, Fraser, und der ehemalige Generalsekretär der irischen Gewerkschaft öffentlicher Dienst, O'Sullivan, angehören. Und wenn Sie schon mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht Ihren Genossen in Spanien. Der spanische Ministerpräsident
hat am 9. Oktober 1984 — damit Sie auch den Zeitpunkt haben — im spanischen Fernsehen erklärt:
Es ist für einen Jugendlichen besser, wenn man ihm eine Beschäftigungsmöglichkeit von einem oder zwei Jahren anbietet, als wenn er keine Beschäftigungsmöglichkeiten hat oder, wie im 19. Jahrhundert, ohne soziale Sicherheit in der Illegalität arbeiten muß.
Wenn Sie schon einem Christdemokraten nicht glauben, dann glauben Sie den Sozialisten in Spanien! Die sind etwas weiter als Sie. Glauben Sie den Sozialisten in Frankreich! Die haben nämlich, als sie an der Regierung waren, nicht auf 18 Monate, sondern sogar auf 24 Monate befristete Arbeitsverträge angeboten. Wenn Sie schon solche Reden gegen Blüm halten, dann halten Sie gegen Ihre Genossen in Paris und Madrid die gleichen Reden!
Was die Leiharbeit anlangt: Ich bin mit aller Kraft gegen jene illegalen Menschenhändler. Wir sind es gewesen, die die Strafen verschärft haben.
Aber gegen solide Leiharbeit, die Arbeitsplatzwechsel mit solidem arbeitsrechtlichen Schutz verbindet, habe ich nichts. Auch das ist ein neues Angebot, das auch Wünschen von Arbeitnehmern, auch jüngeren, entspricht, nämlich den Arbeitsplatz wechseln zu können und dennoch ein gesichertes, gleichbleibendes Arbeitsverhältnis zu haben.
Meine Damen und Herren, mein Beitrag ist: Wir wollen die Arbeitnehmer schützen. Das bleibt die Aufgabe jeder sozialen Politik. Aber mancher Schutz kann sich auch als Sperre für diejenigen erweisen, die draußen sind. Deshalb: Eine soziale Politik muß nicht nur an die denken, die Arbeit haben, sondern muß auch dafür sorgen, daß die, die
Bundesminister Dr. Blüm
keine Arbeit haben, wieder in Arbeit kommen. Dem dient das Beschäftigungsförderungsgesetz.