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    Plenarprotokoll 10/213 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 213. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Buschbom 16314A Wahl der Abg. Frau Terborg zur Schriftführerin als Nachfolgerin des Abg. Eickmeyer 16314A Absetzung des Punktes 11i von der Tagesordnung 16314A Erweiterung der Tagesordnung 16314 A Abwicklung der Tagesordnung 16365 D Begrüßung einer Delegation des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China 16383 A Aktuelle Stunde betr. die Auswirkungen der Steuererhöhungsforderung von Dr. Farthmann und aus der SPD auf die Entwicklung der öffentlichen Haushalte, der Kapitalmärkte und des Zinsniveaus in der Bundesrepublik Deutschland Dr. Solms FDP 16299 B Dr. Apel SPD 16300 C Dr. von Wartenberg CDU/CSU 16301 C Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 16302 C Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . 16303 B Dr. Spöri SPD 16304 C Stommel CDU/CSU 16305 D Grüner, Parl. Staatssekretär BMWi . . 16306 D Dr. Jens SPD 16308 A Niegel CDU/CSU 16309 A Dr. Schwörer CDU/CSU 16310A Mischnick FDP 16311 B Roth SPD 16312A Wissmann CDU/CSU 16313 B Zur Geschäftsordnung Seiters CDU/CSU 16314 B Vogel (München) GRÜNE 16314 D Porzner SPD 16315 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 16316 D Lutz SPD 16323C Jagoda CDU/CSU 16326 C Auhagen GRÜNE 16328 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 16330 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 16333 B Roth SPD 16337 C Wissmann CDU/CSU 16340 B Dr. Ehrenberg SPD 16341 C Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 16345 C Hinsken CDU/CSU 16346 D Kirschner SPD 16348 B Namentliche Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Laufs, Fellner, Clemens, Schmidbauer, Dolata, Dr. Lippold, Dr. Blank, Dr. Blens, Broll, Kalisch, Krey, Dr. Warrikoff, Dr. Olderog, Weirich, Weiß, Gerlach (Obernau), Regenspurger, Austermann, Biehle, Boroffka, Frau Dempwolf, Engelsberger, Dr. Faltlhauser, Gerstein, Glos, Dr. Hoffacker, II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 Hinrichs, Hinsken, Höffkes, Frau Hoffmann (Soltau), Dr. Jobst, Jagoda, Jung (Lörrach), Dr. Kunz (Weiden), Keller, Kraus, Lenzer, Dr. Miltner, Marschewski, Dr. Möller, Dr. Riedl (München), Frau Rönsch, Reddemann, Frau Roitzsch (Quickborn), Roth (Gießen), Schneider (Idar-Oberstein), Freiherr von Schorlemer, Schulhoff, Schulze (Berlin), Seesing und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Grünbeck, Dr. Hirsch, Beckmann, Kleinert (Hannover), Dr. Feldmann, Dr. Rumpf, Frau Seiler-Albring, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP Wasserversorgung — Drucksache 10/5353 — 16350 D Ergebnis 16364 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz) — Drucksache 10/5342 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes, des Verwaltungsverfahrensgesetzes, des Bundesverfassungsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes — Drucksache 10/5343 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die informationelle Zusammenarbeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes und nachrichtendienstlicher Tätigkeit (Zusammenarbeitsgesetz) — Drucksache 10/5344 — Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 16351 C Schäfer (Offenburg) SPD 16353 A Dr. Blens CDU/CSU 16355 D Ströbele GRÜNE 16358 A Dr. Hirsch FDP 16360A Dr. Wernitz FDP 16362 A Beratung des Agrarberichts 1986 der Bundesregierung — Drucksachen 10/5015, 10/5016 — in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Auswirkungen der Milchkontingentierung — Drucksachen 10/2257, 10/3018 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Konzept zur Reduzierung der Getreideüberschüsse durch freiwilligen Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden als Alternative zu geplanten Flächenstillegungen — Drucksache 10/3627 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Einführung von Bestandsobergrenzen zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und der Umwelt — Drucksache 10/2822 — in Verbindung mit Beratung des Antrags des Abgeordneten Werner (Dierstorf) und der Fraktion DIE GRÜNEN Abbau der strukturellen Getreideüberschüsse durch Importbeschränkungen für Futtermittel — Eine Alternative zu Flächenstillegungen im Getreidebau — Drucksache 10/3626 — in Verbindung mit Beratung des Antrags des Abgeordneten Werner (Dierstorf) und der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung der ökologischen Landbewirtschaftung durch die Gewährung von Umstellungsbeihilfen — Drucksache 10/4577 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Beratung des Agrarberichts 1985 der Bundesregierung der Fraktion der SPD zur Beratung des Agrarberichts 1985 der Bundesregierung — Drucksachen 10/3007, 10/3008, 10/4190 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 III Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung von Beratung im ökologischen Landbau in Form eines Modells „Bauern helfen Bauern" — Neue Formen eines Modells bäuerlicher Selbsthilfe — Drucksachen 10/1216, 10/3041 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Rücknahme der Ablehnung des hessischen Existenzsicherungsprogramms für kleine und mittlere Grünland- und Futterbaubetriebe durch die EG-Kommission — Drucksachen 10/2082, 10/4191 — Kiechle, Bundesminister BML . 16366D, 16409 A Müller (Schweinfurt) SPD 16371 D Susset CDU/CSU 16375 D Werner (Dierstorf) GRÜNE 16379 C Paintner FDP 16383 A Schröder (Hannover) SPD 16386 C Freiherr von Schorlemer CDU/CSU . . 16391 B Bredehorn FDP 16393 D Wimmer (Neuötting) SPD 16396 B Brunner CDU/CSU 16398 C Immer (Altenkirchen) SPD 16400 B Eigen CDU/CSU 16401 D Oostergetelo SPD 16403 C Schartz (Trier) CDU/CSU 16406 B Kißlinger SPD 16407 B Senfft GRÜNE 16410 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung - Drucksache 10/5247 — Vogel (München) GRÜNE 16411A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes Bericht des Bundesrechnungshofes gemäß § 99 BHO über häufige und wiederkehrende Mängel bei der Vorbereitung und Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im fachlichen Zuständigkeitsbereich der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie der Verteidigung — Drucksachen 10/3847, 10/5227 — . . . 16411 B Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 25 02 Tit. 642 01 — Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz — im Haushaltsjahr 1985 — Drucksachen 10/4948, 10/5226 — . . . 16411 B Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken in Berlin-Kreuzberg — Drucksache 10/5244 — 16411 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Normung auf dem Gebiet der Informationstechnologien und der Telekommunikation Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die erste Etappe der Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Telekommunikations-Endgeräten — Drucksachen 10/3788 Nr. 8, 10/4291 — 16411C Beratung der Sammelübersicht 143 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/5333 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 144 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/5334 — 16411 D Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/5363 — 16412 A Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Altenhilfepolitik in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 10/2957, 10/4108 — Bueb GRÜNE 16412 B Link (Diepholz) CDU/CSU 16414 A IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 Delorme SPD 16416 B Eimer (Fürth) FDP 16418 D Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFG 16421A Bohl CDU/CSU (zur GO) 16423 A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau und zur Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung im öffentlichen Dienst — Drucksache 10/4689 — Reuter SPD 16423 B Broll CDU/CSU 16424 B Ströbele GRÜNE 16426 A Dr. Hirsch FDP 16426 D Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung von Ausbildungsplätzen in der Berufsausbildung (Ausbildungsplatzfinanzierungsgesetz) — Drucksache 10/5143 — Kuhlwein SPD 16428 A Rossmanith CDU/CSU 16429 D Frau Zeitler GRÜNE 16431 D Neuhausen FDP 16432 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über den rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße — Drucksache 10/4632 — Beschlußempfehlung und Bericht des Auschusses für Verkehr — Drucksache 10/5356 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt — Drucksachen 10/5070, 10/5267 — Dr. Schulte, Pari. Staatssekretär BMV . . 16434 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren — Drucksache 10/5305 — 16434 D Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Vereinfachung der Personenkontrollen an den innergemeinschaftlichen Grenzen — Drucksache 10/5279 — Ströbele GRÜNE 16435A Clemens CDU/CSU 16435 D Tietjen SPD 16436 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 16437 B Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 16438 A Nächste Sitzung 16438 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 16439*A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 15 der Tagesordnung (Zweites Gesetz über den rechtlichen Status der Main-DonauWasserstraße) (Bohlsen [CDU/CSU], Buckpesch [SPD] 16439* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 16 der Tagesordnung (Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren) (Engelhard, Bundesminister der Justiz, Dr. de With [SPD], Marschewski [CDU/CSU], Frau Hönes [GRÜNE]), Beckmann [FDP]) 16441* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 16299 213. Sitzung Bonn, den 24. Aprii 1986 Beginn: 8.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein * 25. 4. Dr. Ahrens * 25. 4. Antretter * 25. 4. Frau Augustin 25. 4. Berger * 25. 4. Böhm (Melsungen) * 25. 4. Büchner (Speyer) * 25. 4. Dr. von Bülow 25. 4. Cronenberg (Arnsberg) 25. 4. Curdt 25. 4. Dr. Dollinger 25. 4. Dr. Enders * 25. 4. Frau Fischer * 25. 4. Fischer (Bad Hersfeld) * 25. 4. Gansel * 25. 4. Gerstl (Passau) * 25. 4. Grünbeck 25. 4. Dr. Haack 25. 4. Haase (Fürth) * 25. 4. Dr. Häfele 25. 4. Dr. Hauchler 25. 4. Jäger (Wangen) * 25. 4. Frau Kelly 25. 4. Kittelmann * 25. 4. Klein (München) 25. 4. Dr. Klejdzinski * 25. 4. Dr. Kreile 25. 4. Kroll-Schlüter 25. 4. Frau Krone-Appuhn 25. 4. Dr. Graf Lambsdorff 25. 4. Landré 25. 4. Lemmrich * 25. 4. Lenzer * 25. 4. Lowack 25. 4. Metz 25. 4. Möllemann 24. 4. Dr. Müller * 25. 4. Nelle 24. 4. Neumann (Bramsche) * 25. 4. Frau Pack * 25. 4. Dr. Pfennig * 25. 4. Dr. Probst 25. 4. Reddemann * 25. 4. Dr. Rumpf * 25. 4. Dr. Scheer * 25. 4. Dr. Schierholz 25. 4. Schmidt (Hamburg) 25. 4. Schmidt (München) * 25. 4. Frau Schmidt (Nürnberg) 25. 4. Schmitz (Baesweiler) 24. 4. Schulte (Unna) * 24. 4. Schwarz * 25. 4. Dr. Soell * 25. 4. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 25. 4. Dr. Stavenhagen 25. 4. Dr. Stoltenberg 25. 4. Uldall 25. 4. Dr. Unland * 25. 4. Vogt (Düren) 24. 4. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Voigt (Sonthofen) 25. 4. Dr. Wulff * 25. 4. Zierer * 25. 4. Dr. Zimmermann 24. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 15 der Tagesordnung (Zweites Gesetz über den rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße) *) Bohlsen (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die fortschreitende Fertigstellung weiterer Teilabschnitte der Main-Donau-Wasserstraße verschafft dem Projekt einer Rhein und Donau verbindenden Großschiffahrtsstraße zunehmend Gestalt. Hauptbauziel ist die Verbesserung der Wettbewerbssituation strukturschwacher Gebiete Bayerns. Der Bau der MainDonau-Wasserstraße sichert Bayern die Anbindung an das Rheinstromgebiet und schafft zugleich eine Verbindung zu den für Bayern wichtigsten Industriezentren und zu den Nordseehäfen. Die Wasserstraße mildert entscheidend die Auswirkung der Randlage Bayerns im EG-Raum. Durch sie werden die bayerische Donau und der ostbayerische Raum in den Verkehrsbereich des Rheinstromgebiets einbezogen. Grundsätzlich werden Wasserstraßen gebaut, weil die Binnenschiffahrt als ein besonders kostengünstiger Verkehrsträger zum Transport frachtkostenempfindlicher Massengüter prädestiniert ist, bei denen es weniger auf die Schnelligkeit der Beförderung ankommt. Nicht selten ermöglicht überhaupt erst der Wasserweg größere Transportweiten und löst damit echten Neuverkehr aus. Die preisgünstige Versorgung mit Massengütern senkt die Transportkostenbelastung der bayerischen Wirtschaft und stärkt damit die Wirtschaftsstruktur insbesondere in Mittel- und Ostbayern. Längerfristig können auch andere Verkehrsträger mit zunehmenden Transporten rechnen, da von einer leistungsfähigen Wasserstraße erhebliche Antriebskräfte für die Entwicklung der regionalen Wirtschaft ausgehen und dadurch der Transport für hochwertige Güter steigt. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß positive Strukturimpulse, nämlich die Ansiedlung neuer Betriebe, die Schaffung *) Die Abgeordneten Kohn (FDP) und Vogel (München) (GRÜNE) werden ihre Reden nach schriftlicher Formulierung zu Protokoll geben. Die Reden werden als Anlagen zum Stenographischen Bericht über die 214. Sitzung abgedruckt werden. 16440* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 neuer Arbeitsplätze und damit die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur überhaupt, die entscheidende Triebfeder für den Bau der Wasserstraße bildete. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung bezweckt die Festschreibung des rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße als nationale Bundeswasserstraße. Die Gewässerstrecken des südlichen Teil des Main-Donau-Kanals sollen in das Verzeichnis der dem allgemeinen Verkehr dienenden Bundeswasserstraßen aufgenommen werden. Der am 25. Mai 1985 bzw. am 29. August 1985 abgeschlossene Staatsvertrag zwischen dem Bund und dem Freistaat Bayern bekundet das Einvernehmen darüber, die Gewässerabschnitte der Main-Donau-Wasserstraße einheitlicher Bundeshoheit zu unterstellen. Bedenkt man, daß mit Fertigstellung des MainDonau-Projekts nicht allein zwei große europäische Flußsysteme und letztlich die Nordsee mit dem Schwarzen Meer verbunden werden, sondern darüber hinaus auch der durchgehende Verkehr zwischen Gebieten unterschiedlichster Wirtschaftssysteme ermöglicht wird, so erkennt man dabei zugleich, wie wichtig es ist, einen einzigen Hoheitsträger mit der Wahrung bundesdeutscher Belange zu betrauen. Diesem Erfordernis entspricht der vorliegende Gesetzesentwurf. Nach deutscher Auffassung gibt es keinen allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechts, nach dem die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet gewesen wäre, die MainDonau-Wasserstraße zu bauen und den Kanal für die internationale Schiffahrt frei zu öffnen. Bereits die Lage auf ausschließlich bundesdeutschem Territorium rechtfertigt den ausschließlichen Souveränitätsanspruch der Bundesrepublik Deutschland. Die wirksamste Geltendmachung ihrer Souveränität erfolgt im Binnenschiffahrtswesen durch den Bund. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß erst kürzlich vom Bundestag eine Novellierung des Binnenschiffahrts-Aufgabengesetzes beschlossen wurde, die ein wirksames Instrumentarium zum Schutz des deutschen Gewerbes gegen unerwünschte Wirtschaftspraktiken fremder Staaten enthält. Mit der eindeutigen Festlegung des rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße als Bundeswasserstraße wird es möglich, die Vorschriften des Binnenschiffahrts-Aufgabengesetzes, die zu einem wesentlichen Teil gerade im Hinblick auf die Situation nach Fertigstellung der Main-Donau-Wasserstraße beschlossen worden sind, anzuwenden. Das Binnenschiffahrts-Aufgabengesetz stellt klar, daß die Fahrt auf den Bundeswasserstraßen für NichtEG-Ausländer grundsätzlich von einer Erlaubnis des Bundes abhängig ist. Die Gefahr eines unkontrollierten Vordringens von Ostblockflotten, die in der Vergangenheit zum Teil mit marktzerstörerischen Dumping-Praktiken versucht haben, ohne Rücksicht auf die eigenen betriebswirtschaftlichen Kosten Devisen zu verdienen, wird damit gebannt. Über die Main-Donau-Wasserstraße wird zukünftig der Zugang zum gesamten bundesdeutschen Wasserstraßennetz für ausländische Flotten nur im Rahmen abzuschließender bilateraler Verträge möglich sein. Die Verträge, deren Abschluß die Bundesrepublik den Donau-Anliegerstaaten anbietet, werden vom Prinzip der Gegenseitigkeit — auch in bezug auf die Beteiligung an der Ladung und Festsetzung der Frachten — beherrscht sein und die Möglichkeit der Kontingentierung und Quotierung im Transitverkehr vorsehen. Einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten der deutschen Binnenschiffahrt wird damit ein Riegel vorgeschoben. Erlauben Sie mir, meine Ausführungen mit der Bitte zu beenden, dem vorliegenden Gesetzentwurf in der Fassung der Stellungnahme des Bundesrates zuzustimmen und damit die rechtlichen Voraussetzungen für eine wirtschaftlich erfolgreiche Nutzung der Main-Donau-Wasserstraße für die Bundesrepublik Deutschland festzuschreiben. Buckpesch (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit der Verabschiedung des vorliegenden Zweiten Gesetzes über den rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße wird der restliche Abschnitt des Main-Donau-Kanals von Nürnberg bis Kelheim eine Bundeswasserstraße. Das und nichts anderes ist der wesentliche Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes. Der Bundesminister für Verkehr wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen die fertiggestellten und freigegebenen Teilstrecken durch Rechtsverordnung zu Bundeswasserstraßen zu erklären. Dieser Entwurf signalisiert, daß das wohl umstrittenste Verkehrsprojekt der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland der Fertigstellung entgegengeht. Die sozialliberale Bundesregierung und in ihr der zuständige Verkehrsminister Volker Hauff haben bereits Ende der 70er Jahre erkannt, daß es nicht nur das umstrittenste, sondern auch das unsinnigste Großprojekt unserer neueren Geschichte ist. Und ohne Übertreibung kann behauptet werden, daß heute niemand mehr bereit wäre, mit dem Bau zu beginnen, um die vertraglich festgelegten Ideen und Vorstellungen des Jahres 1921 zu realisieren. Volker Hauff hat damals der Regierung des Freistaates Bayern vorgeschlagen, die eingesparten Millionen insbesondere in die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur des dortigen Raumes zu investieren. Wir Sozialdemokraten haben in unserem Wahlprogramm von 1983 noch einmal zum Ausdruck gebracht, daß wir die Fertigstellung des Kanals nicht für zweckmäßig halten, und wir haben durch unseren damaligen Haushaltsberichterstatter Hajo Hoffmann in den Jahren 1983 und 1984 begründet, warum wir den Haushaltsansätzen für dieses Bauwerk nicht zustimmen konnten. Doch es kam anders. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wollen den Kanal fertigstellen, koste es, was es wolle. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wird jedoch nicht über den Weiter- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 16441* bau und die Fertigstellung der Main-Donau-Wasserstraße entschieden. Sie wird Realität werden, ob wir wollen oder nicht. Hier geht es ausschließlich um die Festlegung des rechtlichen Status dieser Wasserstraße. Der Entwurf sagt aus, daß der Kanal auf Grund der vertraglichen Verpflichtung des Bundes eine Bundeswasserstraße wird, der Bund somit für den Betrieb und die Unterhaltung zuständig ist und auf ihr alle für Bundeswasserstraßen geltenden Gesetze und Verordnungen Anwendung finden, nicht nur das Bundeswasserstraßengesetz, sondern auch das Binnenschiffahrtsaufgabengesetz. Das ist nicht nur vernünftig, sondern dazu gibt es auch keine Alternative. Die Ablehnung des Gesetzes verhindert nämlich nicht den Schiffsverkehr auf dieser Wasserstraße. Sie würde auch als Landeswasserstraße des Landes Bayern oder — was zwar eine Kuriosität wäre — als private Wasserstraße von der Rhein-Main-Donau AG betrieben werden können. Schon allein ihre wasserwirtschaftliche und energiewirtschaftliche Aufgabenstellung würde dies erfordern, nur mit dem Unterschied, daß z. B. die Binnenschiffahrts-Straßenordnung des Bundes — also das Verkehrsrecht — und das Binnenschiffahrts-Aufgabengesetz mit seiner vorbeugenden Wirkung auf das Eindringen der Staatshandelsflotten mit ihren Dumpingpreisen in unseren Verkehrsmarkt für diese Wasserstraße keine Gültigkeit hätten. Das aber, meine Damen und Herren, kann doch wirklich keiner wollen. Den Eindruck zu erwecken, man könne mit der Ablehnung dieses Gesetzentwurfes den Kanal und den Verkehr auf ihm verhindern, ist reine Scharlatanerie. Wir alle müssen daran interessiert sein, daß auf allen unseren Wasserstraßen gleiches Recht gilt und daß unsere zum Schutz der gesamten deutschen Verkehrswirtschaft erlassenen Gesetze darauf Anwendung finden. Wir wollen die deutsche Binnenschiffahrt vor Dumpingflotten schützen und die mit ihnen verbundenen schädlichen Auswirkungen auf die Deutsche Bundesbahn und die deutschen Seehäfen abwenden. Aus diesem Grunde werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 16 der Tagesordnung (Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren) Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Strafprozeßrecht wird mit vollem Recht als Seismograph der Staatsverfassung bezeichnet. Seine Aufgabe ist es, das fragile Verhältnis von Freiheitsanspruch des einzelnen und Sanktionsanspruch der Rechtsgemeinschaft in ein immer wieder zu überprüfendes und neu auszutarierendes Gleichgewicht zu bringen. Nicht nur die Sicherung effektiver Verteidigungsmöglichkeiten für den Beschuldigten, sondern auch die Rücksicht auf das Tatopfer gehört dabei zu den Erfordernissen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Die strafprozessuale Entwicklung des letzten Jahrhunderts insgesamt und namentlich die rechtsstaatlich geprägte Fortentwicklung der Nachkriegszeit ist jedoch bisher am Verletzten vorbeigelaufen. Er wurde von Anfang an in eine Randrolle abgedrängt. Nach meinem Amtsantritt als Bundesminister der Justiz habe ich die Weichen dafür gestellt, einen wirksamen Opferschutz mit der gebotenen Beschleunigung, aber auch mit der notwendigen Gründlichkeit und Sorgfalt in dieser Legislaturperiode zu realisieren. Allen skeptischen Bemerkungen zum Trotz liegt Ihnen nunmehr ein ausgereifter Regierungsentwurf vor. Ich möchte auch an dieser Stelle namentlich den Ländern, aber auch den Verbänden und vielen interessierten einzelnen dafür danken, daß sie durch ihre konstruktive Kritik am Diskussionsentwurf meines Hauses vom Mai 1985 zur Konsensbildung beigetragen haben. Zu den Schwerpunkten der Reform der Verletztenstellung im Entwurf gehört der Schutz des Tatopfers und hier besonders der Frau, die Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung geworden ist. Es geht um den Schutz vor Fragen aus der Intimsphäre, die erweiterte Möglichkeit, die Öffentlichkeit bei solchen Erörterungen in der Hauptverhandlung auszuschließen, und das Recht, die Beiordnung eines Rechtsanwalts zu verlangen. Wir benötigen aber auch eine umfassende gesicherte Beteiligungsbefugnis des Verletzten durch eine tiefgreifende Umgestaltung der Nebenklage. Sie soll künftig in erster Linie denjenigen Verletzten offenstehen, die von einer schweren Straftat gegen ihre höchstpersönlichen Rechtsgüter betroffen sind. Einen dritten Schwerpunkt legt der Entwurf auf Maßnahmen, durch die dem Tatopfer die Realisierung seines materiellen Schadensersatzes erleichtert wird. Die Bezeichnung als Entwurf eines „Ersten" Verletztenschutzgesetzes verdeutlicht, daß es damit nicht getan ist und nicht getan sein kann. Es gibt weitere wichtige Problemfelder. Ich habe veranlaßt, daß auch zu ihnen Forschungen und Überlegungen eingeleitet werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß auf ein weiteres hinweisen: Mindestens ebenso wichtig wie eine Änderung des Gesetzes ist eine Änderung der inneren Einstellung eines jeden von uns. Zu Recht ist gefordert worden, dem Opfer schon bei der Handhabung des geltenden Rechts 16442* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 mehr als bisher Einfühlung und Rücksichtnahme entgegenzubringen. Ich habe den Eindruck, daß nach der Diskussion der letzten zwei Jahre diese Forderung nicht ungehört verhallt ist. Über die Summe seiner Einzelregelungen hinaus kann auch der Entwurf der Bundesregierung dazu beitragen, die Befolgung dieses Appells zu erleichtern. Ich bitte Sie daher um seine Beratung und Verabschiedung. Dr. de With (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir Sozialdemokraten am 9. November 1983 unseren Gesetzentwurf zum besseren Schutz der Opfer von Sexualdelikten im Bundestag einbrachten, gab es bei der Koalition vornehmlich Häme gegen die Einführung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, und gegen die von uns vorgeschlagene Einführung des Opfer-Anwaltes wurde von oben herab eingewandt, dies verzögere nur das Strafverfahren und belaste die Justiz. Der unionsgeführte Bundesrat lehnte es am 25. November 1983 ab, einen entsprechenden von Hamburg vorgeschlagenen Gesetzentwurf überhaupt nur einzubringen. Bei der schließlich am 1. Dezember 1983 erfolgten ersten Lesung im Bundestag wandte sich dann auch der Verteter der Unionsfraktion mit Nachdruck auch gegen den Opferanwalt. Sie, Herr Minister, und der Vertreter Ihrer Partei verschwiegen sich dazu dezent. Als wir Sozialdemokraten letztendlich unseren Entwurf zum besseren Schutz der Opfer von Gewaltdelikten, also aller Verletzten, am 8. November 1985 hier im Bundestag in erster Lesung zur Debatte stellten, war die schwarze Wolke weg. Und das diffuse Gelb hatte sich gelichtet. Freilich, der 55. Deutsche Juristentag 1984, mit vielen Plädoyers für den Opferschutz, war inzwischen ins Land gegangen, und die Bundesregierung hatte, gezwungenermaßen darauf aufbauend, der Öffentlichkeit einen Diskussionsentwurf zum besseren Opferschutz vorgestellt. Die Union stimmte unseren Prinzipien im Grunde zu, auch die FDP. Sie, Herr Minister — das müssen Sie sich bitte anhören und noch einmal nachlesen — nörgelten nur noch an Details herum. Ich sage: Guten Abend, Herr Minister, ich freue mich, daß Sie und die Bundesregierung heute endlich zu Stuhle gekommen sind. Und ich freue mich auch, daß der Bundesrat mit seiner Unionsmehrheit schließlich einsichtig geworden ist. Das Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein lassen offensichtlich grüßen. Und das Niedersachsen-Roß braucht sehr wahrscheinlich Futter. Beim Opferschutz, wo es berechtigterweise galt, verlorenes Terrain gutzumachen, haben Sie die Rosse zunächst allzu lange locker traben lassen und nur am Schluß die Sporen gegeben. Beim Landfriedensbruch, beim Schleppnetzparagraphen und bei § 116 hatten Sie ohne Not mit der Peitsche Galopp erzwungen; das war Ihnen schlecht bekommen. Lassen wir den Rückblick beiseite. Wir Sozialdemokraten begrüßen grundsätzlich Ihren Entwurf, noch mehr die Zustimmung des Bundesrates. Ist doch damit die Chance eröffnet, endlich zu einer gemeinsamen gesetzgeberischen Lösung noch in dieser Legislaturperiode zu kommen, was den Betroffenen, vornehmlich den Frauen, der StPO und der gemeinsamen Rechtsüberzeugung zugute käme. Der Entwurf der Bundesregierung begegnet allerdings drei entscheidenden Bedenken: Erstens. Der Täter-Opfer-Ausgleich wird viel zu zaghaft angegangen. Zweitens. Die Information des Betroffenen über seine Rechte findet in Ihrem Entwurf nicht statt. Drittens. Die Verstärkung des Opferschutzes kann die rechtsstaatlichen Garantien für den Beschuldigten und Angeklagten berühren. Erstens. Sie glauben zwar, der Täter-Opfer-Ausgleich, also die Wiedergutmachung durch den Täter gegenüber dem Opfer, könne verbessert werden. Sie schlagen dazu aber allein vor, daß die zu zahlende Geldstrafe im nachhinein eine Zahlungserleichterung erfahren kann, wenn die Wiedergutmachung gefährdet wäre. Das ist entschieden zu wenig. Wir Sozialdemokraten hingegen meinen, daß die Bedeutung der Wiedergutmachung für den Rechtsfrieden deutlich verankert werden muß, nämlich durch einen erweiternden Passus bei der Straßzumessungsvorschrift, durch das Einfügen der neuen Möglichkeit der Aussetzung auch der Geldstrafe zur Bewährung und durch das Verabschieden einer Vorschrift, die die Einstellung wegen geringer Schuld dann rechtfertigt, wenn der Schaden wiedergutgemacht wird. Hier wird deutlich: Eine Änderung des Sanktionsrechts wäre am Platze, vor der Sie sich schon bei der Novellierung der Strafaussetzung zur Bewährung gedrückt haben. Sie sind dabei, eine Chance zu versäumen. Ich fordere Sie auf, endlich einen Schritt nach vorn zu tun. Zweitens. Wenn Sie schon erfreulicherweise bereit sind, auch beim ersten Zugriff in gewissen Fällen einen Opfer-Anwalt als Beistand zuordnen zu lassen und so dem Opfer mehr Rechte zu gewähren, dann müssen Sie aber auch bereit sein, eine Belehrungspflicht zu dessen Gunsten in die StPO einzufügen. Nachdem das auch oder sogar der Bundesrat zu bedenken gegeben hat und Sie dazu nur äußerten, Sie würden das prüfen, erwecken Sie den fatalen Verdacht, Sie wollten diese neuen Rechte möglichst klein halten. Das ist nicht nur inkonsequent. Hier schaut ein bißchen der alte Obrigkeitsstaat frei nach dem Motto durch: Auf dem Papier steht es ja, aber wissen müssen sie es nicht. Die Bundesregierung konserviert damit Informationsdefizite zum Nachteil des betroffenen Bürgers. Ein Grundverstoß in einer sozialen Demokratie. Drittens. Die Einführung eines Opfer-Anwaltes und die Verbesserung der Stellung des Verletzten im Prozeß mit der Ausweitung des Fragerechts und der Änderung des Rechts auf Öffentlichkeit stellen einen sehr erheblichen Eingriff in das Gefüge der mehr als 100 Jahre alte StPO dar. Bisher glaubten wir, der Wahrheitsfindung, der gerechten Beurteilung der Tat und dem Schutze von Opfer, Täter und Zeugen entsprächen das Anklagemonopol des Staatsanwaltes und das Legalitätsprinzip am ehesten: Die so statuierte Fürsorge des Staates erschien ausreichend. Inzwischen aber Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 16443* kennen wir alle das Prinzip „von der Nutzung der Mediengewalt" mit Hilfe dessen bildhaft — oft bunt und illustriert — und dazu noch sehr oft am Sonntag Opfer und Zeugen genüßlich in die Öffentlichkeit gezerrt werden, ohne daß durch eine entsprechende Anwendung des englischen Prinzips des „contempt of court" dieser Nachteil kompensiert werden könnte. Wenn wir aber diesen Mißstand, der sich vornehmlich gegen Frauen richtet, durch Einführung des Opfer-Anwaltes, einer erweiterten Nebenklageberechtigung und einer flexibleren Gestaltung des Öffentlichkeitsprinzips zu konterkarieren versuchen, dann müssen wir bedacht sein, daß dabei nicht die Rechte des Angeklagten beschnitten werden. Aus diesem Grund haben wir Sozialdemokraten z. B. vorgeschlagen, daß immer dann auch dem Angeklagten ein Rechtsanwalt beigeordnet werden muß, wenn das Opfer einen solchen Beistand zur Verfügung hat. Das fehlt in der Vorlage der Koalition. Und wir alle sollten sehr sorgfältig darauf achten, daß durch die notwendigen Änderungen imRecht auf Öffentlichkeit und im Befragungsrecht das Gewicht nicht zum Nachteil des Angeklagten verschoben, sondern nur das Opfer vor unnötigem Bloßstellen verschont wird. Ich zitiere gern Gustav Heinemann. Er hat in seiner Antrittsrede am 1. Juli 1969 gesagt, daß unsere Ordnung nicht fertig sei: Alle ihre Orientierungsmerkmale, als da sind: freiheitliche Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, bedürfen im Staat und in der Gesellschaft der fortwährenden Bemühung um täglich bessere Verwirklichung durch den mündig und mitbestimmenden Bürger. Hier ist jetzt Gelegenheit für Politiker zu gemeinsamen Bemühungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das erforderliche Anhörungsverfahren für Ihre Vorlage und für den entsprechenden Gesetzesentwurf der Sozialdemokraten haben wir bereits gemeinsam beschlossen. Es findet am 15. Mai 1986 statt. Wir Sozialdemokraten werden jede Möglichkeit nutzen, daß noch in dieser Legislaturperiode die Rechte des Opfers im Strafverfahren die angemessene, aber auch ausreichende Verbesserung erfahren. Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verbesserung des Opferschutzes ist eines der zentralen Vorhaben der in der Rechtspolitik so erfolgreichen Bundesregierung. Die Opfer von Straftaten dürfen nicht länger weitgehend hilflos, weitgehend schutzlos als Randfiguren des Strafprozesses im Schatten stehen. Wir alle sind es den Verletzten, vor allem aber den Opfern schwerer Straftaten schuldig, daß ihnen Fürsorge und ein Höchstmaß an rechtsstaatlichen Garantien gesichert wird, wie es neulich der Herr Bundesjustizminister treffend formuliert hat. Obwohl wir leider jedes Jahr über vier Millionen Verbrechensopfer zu beklagen haben, schenkte die Öffentlichkeit dieser wohl größten Einzelgruppe unserer Gesellschaft nur zu selten ihre Aufmerksamkeit. Die Darstellung in den Medien ist oft einseitig, ist vom Rechtsbrecher weggeleitet, ist tatentschuldigend. Sie hat zur Verdrängung der Opferschicksale geführt, zur Verdrängung der Schicksale Vergewaltigter, von an Leib und Seele Geschädigten, von Kindern, von Alten. Daher begrüße ich es, daß diese Bundesregierung nunmehr das auf dem vorletzten Juristentag gegebene Versprechen des Bundeskanzlers eingelöst hat: „Dem Opfer muß eine stärkere Zuwendung geschenkt, ihm muß mehr Schutz und Hilfe gewährt werden." Das überkommene, noch geltende Strafverfahrensrecht hat die eigenständige Position des Verletzten vernachlässigt. Diese vor dem Hintergrund absoluter Straftheorien zu erklärende Lehre der Wesensfremdheit von staatlichem Strafanspruch und dem Interesse des Verletzten ist heute nicht mehr haltbar. Strafnormen sind öffentliche Rechtssätze, die auch dem Interesse des einzelnen zu dienen bestimmt sind. Aber sobald das Ermittlungsverfahren initiiert ist, beginnt oftmals die Demontage des Opfers, entwickelt sich das Opfer zum Störfaktor. In der Hauptverhandlung wird es noch als Zeuge benötigt, jedoch auch da begegnet man ihm mit Mißtrauen. Man gängelt es mit Fragen, man läßt es zu, daß sich manche Verfahren, namentlich bei Sexualdelikten, zu einem Spießrutenlaufen entwicklen (Heike Jung). Meine Damen und Herren, hier tut Abhilfe not. Es reicht eben nicht aus, dem Verletzten im Strafverfahren quasi nur die normale Rolle eines Zeugen zuzuerkennen. Ich meine, der Grundsatz der Waffengleichheit verlangt nach Schutzpositionen, die dem Verletzten die Verteidigung gegen unbegründete Verantwortungszuweisungen ermöglichen. Daher begrüße ich es, daß vor allem den Opfern schwerer Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter — etwa gegen die sexuelle Selbstbestimmung — durch Umgestaltung der Nebenklage eine herausgehobenere Stellung eingeräumt werden soll. Denn gerade bei diesen Delikten besteht ein gesteigertes Bedürfnis, Verantwortungszuweisungen durch den Beschuldigten abzuwehren. Der Verletzte soll daher die Möglichkeit erhalten, sich aktiv am Verfahren zu beteiligen; er soll durch Erklärungen, durch Fragen, Anträge und Rechtsmittel auf das Ergebnis des Verfahrens einwirken können. Einer der Kernpunkte des Gesetzentwurfs, meine Damen und Herren, ist ein besserer Schutz der Privat- und Intimsphäre des Verletzten. Ich kann nicht akzeptieren, daß z. B. vergewaltigte Frauen in Strafprozessen oftmals unerträglichen Belastungen ausgesetzt werden. Als Zeugen einer Tat müssen sie sämtliche Details des Verbrechens, ihres Vorlebens, ja ihres Intimlebens ausbreiten. Fast in allen diesen Fällen werden skandalöse, unbewiesene Vermutungen über Mitschuld und mögliches Provozieren der Tat angestellt. Allein deshalb verzichten viele Frauen lieber auf eine Strafanzeige, als im Gerichtssaal quasi noch einmal vergewaltigt zu werden. 16444* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 Hinzu kommt die Berichterstattung in den Medien, die oftmals erst zur öffentlichen moralischen Verurteilung des Opfers führt. Und an Scheinheiligkeit fehlt es dabei nicht: Der aufklärerische Impetus und die Entrüstung über das Täter- oder auch Verteidigerverhalten gehen einher mit dem vermeintlichen Bedürfnis der Leser, zu erfahren, was sich in der Intimsphäre ereignet hat, was das Opfer an sexuellen Perversionen erdulden mußte. Es ist daher dringend erforderlich, Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich nur dann zuzulassen, wenn sie zur Wahrheitsfindung und zur Wahrung der Verteidigerbefugnis wirklich unerläßlich sind. Es ist weiter notwendig — wie es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht —, den Ausschluß der Öffentlichkeit zu erleichtern, ihn vor allem praktikabler zu machen. Dabei weiß ich natürlich, daß das Prinzip der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung in Strafsachen zu den wesentlichen Elementen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens moderner Prägung gehört und daß dieser Grundsatz durch die Menschenrechtskonvention garantiert ist. Dennoch machen es die zu schützenden Interessen des Verletzten erforderlich, den Abwägungsmaßstab zugunsten des Persönlichkeitsrechts zu ändern. Sie machen es außerdem erforderlich, die Entscheidung der Anfechtbarkeit zu entziehen, um zu erreichen, daß revisionsrechtliche Konsequenzen für die Entscheidung keine Rolle mehr spielen. Meine Damen und Herren, Opferschutz bedeutet auch Wiedergutmachung. Sie ergibt sich aus dem unstreitigen Recht des Verletzten, Ersatz für den durch eine deliktische Handlung entstandenen Schaden verlangen zu können. In der Tat, wenn es der Sinn des Strafverfahrens ist, die Verantwortung des Täters vor der Rechtsgemeinschaft festzustellen und hieraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen, so kann der Ausgleich des Opferschadens keineswegs ausgeklammert werden. Dabei ist es erforderlich, das 1942 in die Strafprozeßordnung eingefügte Adhäsionsverfahren, das bislang keine nennenswerte Bedeutung hat erlangen können, für die Praxis annehmbarer zu gestalten. Dies gilt für die Erweiterung der Zuständigkeit im amtsgerichtlichen Verfahren, dies gilt für die Möglichkeit der Prozeßkostenhilfe, vor allem gilt dies aber für die Zulassung von Grund- und Teilurteil. Insbesondere von letzterem erwarte ich, daß die Praxis ihre bisherige Zurückhaltung gegenüber dieser Verfahrensart aufgibt, um so eine mehrfache Beweisaufnahme über den Anspruchsgrund ersparen zu helfen. Der Schadenswiedergutmachung, meine Damen und Herren, dient es auch, dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Opfers durch Gewährung einer Stundung oder einer Ratenzahlung einen gewissen Vorrang vor staatlichen Ansprüchen auf Geldstrafe und Verfahrenskosten einzuräumen. Denn es hat das Ziel eines auf Resozialisierung und Ausgleich bedachten Strafrechts zu sein, die dem Opfer geschuldete Wiedergutmachung in Kürze zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang kann ich mich auch heute nicht mit dem SPD-Vorschlag anfreunden, auch Geldstrafen zur Bewährung auszusetzen. Ich bleibe bei meiner Begründung: Die Geldstrafe könnte ihre Funktion verlieren, eine echte Alternative zur kurzen Freiheitsstrafe zu bilden: Die Gerichte könnten wieder verstärkt dazu neigen, kurze Freiheitsstrafen zu verhängen, was dem Ziel der Strafrechtsreform, gerade kurze Freiheitsstrafen zurückzudrängen, widersprechen würde. Und, meine Kollegen der SPD, welche Kriterien sollten für die Aussetzung einer Geldstrafe gewählt werden? Denn eine gute Spezialprognose dürfte doch bei der Verhängung einer Geldstrafe in aller Regel gegeben sein. Und wie steht es mit dem Ordnungswidrigkeitsrecht? Wollen Sie vielleicht auch die Geldbuße zur Bewährung anstreben? Das Institut der Strafaussetzung zur Bewährung wäre jedenfalls mit dem auf einfache und rasche Erledigung angelegten Bußgeldverfahren unvereinbar. Meine Damen und Herren, die Stellung des Opfers im Strafverfahren bedurfte seit langem der Neuregelung und der Verbesserung. Diese Reform war seit vielen Jahren überfällig. Dies gilt für die von mir angesprochenen Problembereiche, dies gilt auch für die Verbesserung der Informationsmöglichkeit des Verletzten, für die Akteneinsicht, für die umfassendere gesetzliche Regelung des Verletztenbeistandes. Mein Dank gilt dem Herrn Bundesjustizminister, der mit diesem Gesetzentwurf meine vor kurzem in diesem hohen Hause getroffene Aussage bestätigt: Die Rechtspolitik ist zweifellos eines der Glanzstücke dieser Koalition. Wir werden diesen Gesetzentwurf in einer öffentlichen Anhörung mit Praxis und Wissenschaft diskutieren. Wir werden dabei die Stellungnahme des Bundesrates mit in unsere Überlegungen einbeziehen. Dabei ist unser Ziel klar und eindeutig: Der Verletzte darf nicht weiterhin funktionslose Prozeßfigur bleiben. Aber, meine Damen und Herren, diese unsere Zuwendung zum Opferschutz kann allein nicht ausreichen. Gefordert ist vielmehr eine noch effektivere Bekämpfung der Verbrechen. Denn: Straftaten, die verhindert werden, hinterlassen erst gar keine Opfer. Frau Hönes (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DIE GRÜNEN waren die ersten, die 1984 auf dem 55. Deutschen Juristentag die seit langem erhobenen Forderungen der Frauenbewegung nach einem gesetzlichen Opferschutz für Frauen aufgegriffen haben. Nur hat dieser Opferschutz mit dem, was nun in dem Regierungsentwurf als solcher verkauft wird, nur den Namen gemeinsam. Grüner Opferschutz, wie er auch im Antidiskriminierungsgesetz der GRÜNEN gesetzlich formuliert wird, ist gerichtet auf Sonderrechte für Frauen in Verfahren, die die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung zum Gegenstand haben. Hier vor al- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 16445* lem hat sich die Strafverfahrenspraxis als unzureichend und regelungsbedürftig erwiesen. Mit der ausladenden Beschränkung der Verteidigerrechte, die der Regierungsentwurf für sämtliche Strafverfahren vorsieht, hat das nichts zu tun. Unter dem Deckmantel des Opferschutzes wird hier versucht, rechtsstaatliche Errungenschaften rückgängig zu machen. Da hilft auch der Hinweis auf die Wahrung der Rechtsstellung des Beschuldigten nichts. Jede Erweiterung der Rechte der Verletzten hat zwangsläufig eine Verkürzung der Verteidigungsmöglichkeiten der Beschuldigten zur Folge. So beschneidet die vorgesehene Beschränkung des Fragerechts für Fragen, die den „persönlichen Lebensbereich" eines Zeugen bzw. seiner Angehörigen betreffen, auf solche Fragen, die für die Wahrheitsfindung unerläßlich sind, die Möglichkeiten der Verteidigung, das Zeugengewissen zu erforschen. Der Regierungsentwurf unterscheidet nicht nach unbeteiligten Zeugen und solchen, die zugleich Verletzte, „Opfer", sind. Er umfaßt alle Strafverfahren, also auch solche im Bereich der Wirtschaftskriminalität, obwohl sich, wie die Begründung des Entwurfs explizit und richtig vermerkt, ein Regelungsbedürfnis namentlich im Bereich der Sexualstraftaten gezeigt hat. Gleiches gilt auch für den Ausschluß der Öffentlichkeit. Hier soll allen Prozeßbeteiligten und Zeugen, deren Lebensbereich durch die prozessuale Erörterung von Umständen betroffen ist, ein Antragsrecht auf Ausschluß der Öffentlichkeit gegeben werden. Ich frage Sie: Was hat das mit Opferschutz zu tun, wenn in Zukunft die Flick-Affäre hinter geschlossenen Türen verhandelt wird? Hier soll doch ganz offensichtlich unter dem vorgeblichen Schutz von Opfern sexueller Straftaten das Öffentlichkeitsprinzip für alle Strafverfahren — auch solche, die von größtem öffentlichen Interesse sind — eingeschränkt werden, und zusätzlich sollen wesentliche Verteidigerrechte ausgehebelt werden. Wirksamer Opferschutz verlangt Regelungen, die gezielt und ausschließlich auf die Verbesserung der Stellung von Opfern in Strafverfahren ausgerichtet sind. Er ist im Interesse der Rechtsstaatlichkeit auf diejenigen Bereiche zu beschränken, in denen sich die gängige Verfahrenspraxis als für die Betroffenen unzumutbar erwiesen hat. Und das sind nachweislich nur die Verfahren wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Mißbrauchs, die für die betroffenen Frauen und Mädchen zum Spießrutenlaufen werden, Verfahren, in denen die Verteidigung in der Vergangenheit ihre Rechte mißbraucht hat, um Frauen bloßzustellen und zu demütigen. Für diese Frauen und Mädchen gibt der Regierungsentwurf wenig her. Zwar ist die Aufnahme der Vergewaltigungs- und sexuellen Nötigungsvorschriften in den Nebenklagekatalog zu begrüßen; zu begrüßen ist auch, daß in Abweichung vom ersten Entwurf den Nebenklägerinnen weitgehend prozessuale Rechte eingeräumt werden. Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach bürgerlich-rechtlichen Gesichtspunkten, also nur bei Bedürftigkeit und Erfolgsaussicht, und darüber hinaus nur dann, wenn die Mitwirkung eines Rechtsanwalts sachdienlich erscheint, hilft den Opfern wenig. So ist z. B. die Bedürftigkeit von Minderjährigen nach dem Elterneinkommen zu beurteilen. Ist dieses zu hoch, so wird auch einkommenslosen Minderjährigen die Prozeßkostenhilfe versagt. Auch kann die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht das ausschließliche Kriterium für die Notwendigkeit eines Rechtsanwaltes sein. Gerade in Vergewaltigungsverfahren erweist sich die anwaltliche Vertretung der Nebenklägerin regelmäßig deswegen als notwendig, weil die Frau einer psychologischen Unterstützung bedarf. Auch die vorgesehene Erleichterung des sogenannten Adhäsionsverfahrens entspricht nicht den Interessen der Opfer, die in der Regel erst den „Beweis" einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung in Händen und das belastende Verfahren hinter sich haben wollen, bevor sie sich mit der Frage der finanziellen Entschädigung auseinandersetzen. Den Opferschutz, den die GRÜNEN fordern, haben wir in unserem Antidiskriminierungsgesetz formuliert, das wir in diesem Herbst einbringen werden: Erstens. Bei Strafverfahren gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind Fragen nach dem sexuellen Vorleben der oder des Verletzten, soweit sie nicht in Beziehung zur Tat oder zum Täter stehen, unzulässig. Zweitens. Ausschluß der Öffentlichkeit in diesen Verfahren, wenn die oder der Verletzte es beantragt, für die Dauer ihrer oder seiner Vernehmung. Drittens. Obligatorische Bestellung einer Rechtsanwältin bzw. eines Rechtsanwalts bei Nebenklagen in diesen Verfahren unter Erstattung der Gebühren durch die Staatskasse. An Stelle einer Erweiterung der Adhäsionsverfahren fordern wir die Begleichung der Schmerzensgeldansprüche von Vergewaltigungsopfern durch den Staat, der sich seinerseits unmittelbar an die Täter wenden kann, um die vorgestreckte Summe zurückzuerhalten. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß der manchmal lebenslange Kontakt von vergewaltigten Frauen mit dem Täter über Vollstreckungsmaßnahmen mindestens ebenso belastend wirkt wie die Tat selbst. Insoweit ist eine Neugestaltung und Ausweitung des Opferentschädigungsgesetzes, etwa analog des Unterhaltsvorschußgesetzes, so dringend geboten wie eine Änderung des Strafprozeßrechts. Beckmann (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vom Bundesjustizminister heute vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Stellung der Verletzten im Strafverfahren wird von der FDP-Fraktion einheitlich begrüßt. Wir danken dem Bundesjustizminister und seinem Hause für die außerordentlichen Anstrengungen, die bis heute unternommen wurden, um eine effektive und entscheidende Verbesserung der prozessualen Stellung des Verletzten im Strafverfahren zu 16446* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 erreichen. Dabei ist — das wird auch von meiner Fraktion so gesehen — keine völlige Neuordnung der rechtlichen und prozessualen Bedingungen für die Stellung des Opfers geplant, also kein weiterer Schritt auf dem befürchteten Weg zu einer „Gesamtreform des Strafverfahrens durch Teilgesetze", wie dies teilweise in der Literatur behauptet wird. Ich möchte es mir ersparen, zu so fortgeschrittener Stunde noch auf alle Einzelheiten des vorliegenden Entwurfs einzugehen; hierfür werden die Ausschuß-Beratungen noch ausreichend Raum geben. Ich möchte aber zumindest auf die — nach meiner Auffassung — drei wichtigsten Elemente des Entwurfs kurz eingehen. Wir sehen — im Gegensatz etwa zu der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes = die Erweiterung des Kreises der zur Nebenklage berechtigten Personen durchaus als probates Mittel an, die Beteiligungsbefugnisse und damit die prozessuale Stellung des Verletzten zu verbessern. Wir erhoffen uns durch die damit erreichte Ausweitung bzw. Neubegründung prozessualer Rechte für das Opfer und dessen Rechtsvertreter mehr Möglichkeiten des Einflusses auf den Gang des Verfahrens und damit eine entscheidende Verbesserung des prozessualen Gleichgewichts zwischen Opfer- und Täterseite. Dies entspricht nichts anderem als der Verwirklichung eines uralten prozessualen Grundsatzes, nämlich dem des fair trial, des fairen Verfahrens. Darüber hinaus, glauben wir, wird insbesondere durch die Maßnahmen, die der Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes des Opfers dienen, endlich dem vielfach zu beobachtenden Mißstand, daß sich eine große Zahl von Sensationsgierigen an der Qual des Opfers weidet, ein Ende bereitet. Endlich wird der unhaltbare Zustand beendet, daß die Opfer vor aller Öffentlichkeit und in aller Breite gezwungen werden, das ihnen angetane Verbrechen neu zu durchleben und in allen Einzelheiten zu schildern. Dieser Vorgang kann nunmehr durch den Ausschluß der Öffentlichkeit von bestimmten Zeugen- und Opferbefragungen verhindert werden. Wir betrachten das als einen Beitrag zur Wiederherstellung einer gewissen Prozeßhygiene, als einen Beitrag zur Wiederherstellung des anständigen Umgangs miteinander. Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch sagen, daß ich es außerordentlich bedauere, wenn es erst dieses Gesetzes bedarf, um die am Verfahren Beteiligten wieder in ihre Anstandsschranken zurückzuweisen. Es ist wahrlich ein trauriges Bild, wenn der Staat — und uns Liberalen fällt das bekanntlich besonders schwer — mit legislativen Mitteln versuchen muß, diesen Anstand wiederherzustellen. Als letzten Punkt begrüßen wir die jetzt geschaffene Möglichkeit, den dem Opfer zustehenden Schadensersatzanspruch in größerem Umfange als bisher in das Strafverfahren einzubringen. Wir sehen hier die, wenn auch geringe Chance, daß die Wiedergutmachung des durch die Tat angerichteten Schadens gefördert, vor allem beschleunigt wird. Lassen Sie mich zum Schluß zu dem vorgelegten Entwurf noch folgendes sagen. Wir haben immer betont, daß wir neue rechtliche Regelungen immer nur dann zulassen wollen, wenn die Umstände sie unumgänglich machen und wenn sie am äußerst Notwendigen orientiert sind. Diese Umstände sind im vorliegenden Fall erfüllt. Denn Aufgabe des Staates ist es nicht nur, durch Aburteilung des Täters für Gerechtigkeit Sorge zu tragen, Aufgabe des Staates ist es auch, den Opfern von Straftaten zu helfen, ihnen den Schutz zu garantieren, der ihnen gerade im Hinblick auf die erfahrenen Leiden zukommt. Wir haben aber auch immer gesagt, daß wir einer Rechtsbegrenzung — hier dem Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens — nur zustimmen, wenn sie auf der anderen Seite durch eine Rechtserweiterung — hier der Rechte des Verletzten — gedeckt ist. Auch diese Voraussetzungen sind unserer Auffassung nach erfüllt. Rechtsstaatlichkeit ist eben Machtbegrenzung durch Normsetzung, ist eben Grundrechtsschutz durch Gewährung rechtsstaatlicher Verfahren, aber und vor allem auch Grundrechtsschutz im rechtsstaatlich garantierten Verfahren.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Werner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf zwei Dinge eingehen, die Herr Ernährungsminister Kiechle eben gesagt hat, und zwar einmal auf die Bemerkung, das Einkommen müsse über die Preise gesichert werden, zum anderen auf die Erklärung, kleine bäuerliche Betriebe müßten erhalten bleiben. Das sind zwei Dinge, die auch wir natürlich bejahen. Ich frage mich nur, wie das bei den heutigen Rahmenbedingungen erreicht werden soll. Wir haben Rahmenbedingungen, unter denen seit 30 Jahren die Hälfte der kleinen Betriebe herausgefallen ist. Diese Rahmenbedingungen werden zur Zeit eigentlich nicht grundsätzlich geändert. Wenn Sie es über den Preis schaffen wollen, daß die kleinen Betriebe erhalten bleiben, dann müssen Sie irgend etwas am Preis differenzieren, müssen einen gestaffelten Preis einsetzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Andernfalls werden wir den Trend, den wir haben, beibehalten, daß die kleinen Betriebe herauskippen und die großen drinbleiben.
    Das zweite Problem, wo ich Widersprüche sehe, wie Sie eben gesagt haben, ist das Leitmotiv Ihrer Politik: weniger Menge und bessere Preise. Ich meine, auch dazu gibt es von den Regierungsparteien zur Zeit kein schlüssiges Konzept und kein Programm. Ich werde Ihnen in unseren Anträgen zeigen, daß wir eigentlich dazu etwas Wichtiges zu sagen haben, und Ihnen ein schlüssiges Konzept vorlegen.
    Daß es noch nie so viele existenzbedrohte bäuerliche Betriebe in der Bundesrepublik gegeben hat, dürfte Ihnen allen klar sein. Daß die heutige Landwirtschaft mit Boden und Wasser, mit unserer Artenvielfalt und den ihr anvertrauten Nutztieren oft umgeht, als wären wir die letzte Generation, ruft vielseitige Kritik hervor. Daß in der EG weitere Überschüsse nicht mehr finanzierbar sind, lesen wir jeden Tag in der Zeitung.
    Auch in diesem Jahr wird Bundesernährungsminister Kiechle den Bauern keine besseren Agrarpreise präsentieren können. Die Agrarpreisverhandlungen des EG-Ministerrates laufen auf die völlige Ablehnung der deutschen Position hinaus. Eine stärkere nationale Eigenständigkeit in der Agrarpolitik und die Regionalisierung der Politik sind unaufschiebbar. Das bleibt als einzige Möglichkeit, den unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten gerecht zu werden.
    Was setzt die Bundesregierung dem Problem im Agrarbereich entgegen? Bislang kaum mehr als das Kanzlerwort: „Wir lassen die Bauern nicht im Stich."

    (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

    Wenn jetzt auf dem sozialen Sektor Hilfen angekündigt werden,

    (Hornung [CDU/CSU]: Die gibt es doch schon längst!)

    so ist zu fragen: Wem haben die Bauern das zu verdanken. Ich will es Ihnen sagen: nicht dem Bundeskanzler und nicht dem Finanzminister. Nicht ein-



    Werner (Dierstorf)

    mal der Bundesernährungsminister hat das geschafft, sondern die Bauern Schleswig-Holsteins, als sie sich weigerten, Parteien zu wählen, die den Bauern keine Lebenschance lassen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Doch zurück zu den drei Problemkreisen: erstens Höfesterben, zweitens Landwirtschaft und Umwelt, drittens Überschüsse.
    Seit 30 Jahren haben die Regierungen der Bundesrepublik der Landwirtschaft Rahmenbedingungen gegeben, welche die kleineren Betriebe den größeren gegenüber benachteiligen. Das Ergebnis ist der Trend zu mehr Fläche und größeren Tiereinheiten je Betrieb und die Vernichtung jedes zweiten bäuerlichen Hofes bis heute. Ohne einen besseren Erzeugerpreis für Bauern, die nur in kleinen Einheiten vermarkten, und ohne Bestandsobergrenzen ist dies eine Schraube ohne Ende.
    Ziel grüner Agrarpolitik ist die Existenzsicherung der kleinen und mittelbäuerlichen Betriebe, die Erhaltung und Wiederherstellung einer arten- und abwechslungsreichen Kulturlandschaft und der Abbau der Überschüsse in Solidarität mit der Dritten Welt. Im Rahmen dieses Konzeptes stellen wir unsere Anträge vor:
    Antrag auf flächenbezogene Bestandsobergrenzen. Willensbekundungen zu Bestandsobergrenzen gibt es schon seit langem.

    (Hornung [CDU/CSU]: Die gestern gefördert wurden, werden jetzt abgeschlachtet, oder wie?)

    Der erste Gesetzentwurf zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft wurde 1966 erstellt. Die flächenunabhängige Massentierhaltung aber bedeutet Verdrängung landwirtschaftlicher Existenzen und Arbeitsplätze — über 60 % der landwirtschaftlichen Einkommen stammen aus tierischer Produktion —, Beseitigungsprobleme mit dem fast immer in Form von Dünne anfallenden Dünger, Abhängigkeit von Futtermittelimporten, hohen und vorwiegend prophylaktischen Einsatz von Medikamenten und Antibiotika und Wachstumsförderern, oft auch illegal, Haltungssysteme, die lediglich auf Arbeitskräfteminimierung und Platzeinsparung konzipiert sind, mit artgerechter Tierhaltung aber nichts zu tun haben.
    Wir GRÜNEN fordern in unserem Antrag flächengebundene Bestandsobergrenzen mit höchstens 21/2 Vieheinheiten je Hektar

    (Eigen [CDU/CSU]: Und wie ist es mit dem Verfügungseigentum?)

    und 100 Vieheinheiten als absolute Obergrenze. Betriebe, die auf Grund fehlender Fläche nur kleine Tierbestände halten können, muß durch gestaffelte Preise ein ausreichendes Einkommen ermöglicht werden. Wir GRÜNEN drücken uns nicht, wie alle anderen agrarpolitischen Kräfte, um klare Aussagen herum.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann zwingen Sie die Leute in die Produktion von Getreide, wenn sie nicht mehr als 100 Vieheinheiten haben sollen!)

    Meine Damen und Herren, die Einführung von Bestandsobergrenzen für die Erhaltung bäuerlicher Landwirtschaft ist zu wichtig, um immer nur zu sagen: Ja, eigentlich sind wir auch dafür. Handeln Sie!

    (Zuruf von den GRÜNEN: Genau! — Beifall bei den GRÜNEN)

    Zu unserem Entschließungsantrag für den Milchmarkt. Mit besonderer Energie hat die Regierung im Bereich der Milchviehhaltung ihre Politik des Strukturwandels vorangetrieben. Nach außen mit dem Etikett der Erhaltung und des Schutzes der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe versehen, zielen jedoch alle Maßnahmen darauf hin, kleinere Betriebe aus der Produktion herauszudrängen und herauszukaufen und gleichzeitig die wirtschaftliche Position der Wachstums- und Großbetriebe zu stärken.

    (Hornung [CDU/CSU]: ImGegenteil, denen sind die Mengen garantiert!)

    Mit staatlichen Geldern geförderte Wachstumsbetriebe werden als Härtefälle eingestuft, die zusätzliche Quoten eingeräumt bekommen, kleinere Betriebe, die aus eigener Finanzkraft ihren Viehbestand um ein oder zwei Kühe aufgestockt haben und die auf ihre Einnahmen aus der Milcherzeugung dringend angewiesen sind, müssen ungerechterweise Kürzungen ihrer Quoten hinnehmen.

    (Hornung [CDU/CSU]: Die haben heute eine Garantie, die hatten sie früher nicht!)

    Die GRÜNEN wenden sich gegen die Politik der Regierung, die eine Umverteilung der Milchproduktion in Großbetriebe betreibt, aber keinen Beitrag zur Überschußverringerung und zur Erhaltung der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft leisten kann.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf bei den GRÜNEN: Für die Kulturbetriebe stehen Verluste von 18 bis 20 % ins Haus!)

    Wir fordern Bundestag und Regierung auf, durch die Zustimmung zu einer Erhöhung des Preises für die ersten 50 000 1 Milch pro Betrieb um 12 % und die Kürzung der Quoten von Überschußbetrieben die bäuerlichen Einkommen zu sichern, die ländliche Struktur zu erhalten und die Überschüsse zu verringern. Wenn bei den anderen Parteien ein wirkliches Engagement für bäuerliche Landwirtschaft besteht, dann muß sich dies auch in Beschlüssen zeigen, die die bäuerliche Landwirtschaft stützen und fördern.
    Ich komme zu unserem Entschließungsantrag zur Mehrwertsteuerpauschale. Nach dem Agrarbericht gibt die Bundesregierung Milliarden aus, die, wenn man ihren Beteuerungen glaubt, der Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe zugute kommen sollen. Doch mit diesen Mitteln werden nicht die kleinen und mittleren Betriebe zur Beibehaltung ihrer Produktion ermutigt; die Regierung gibt diese Summe aus für die Profitmaximierung von Großbetrieben



    Werner (Dierstorf)

    und für die Förderung der Stillegung der Produktion kleinerer bäuerlicher Betriebe.

    (Zuruf des Abg. Immer [Altenkirchen] [SPD])

    Die Erhöhung der Mehrwertsteuerpauschale bringt für die kleinen Betriebe gerade ein Taschengeld. Umsatzstarke Betriebe verdienen allein an ihr mehr als viele kleine Betriebe insgesamt.
    Darüber hinaus hat auch der Landhandel die Mehrwertsteuerpauschale als eine weitere lukrative Einnahmequelle entdeckt, wie es das Beispiel der Viehzentrale Südwest in Schwäbisch Hall zeigt. Durch einen weiteren Zwischenschritt bei der Schweinemast macht diese Vereinigung allein eine halbe Million D-Mark mehr Gewinn.
    Die Einkommensverteilung von unten nach oben hat in der Politik der Regierung System. Genauso gezielt bringt sie kleine Betriebe zur Aufgabe der Produktion: entweder durch direkten Druck — wie z. B. Quoten — oder durch wirtschaftliche Anreize — wie Milchrente, Betriebsaufgabe oder sogenannte Flächenstillegung.
    Zu unserem Entschließungsantrag zum sozialökologischen Sofortprogramm: Industrialisierte Agrarfabriken können nur naturzerstörend sein. Eine naturgemäße Landbewirtschaftung ist dagegen nur mit vielseitigen kleinen Betrieben in reich gegliederten Landschaften möglich. Wir fordern deshalb als Programm für die Existenzsicherung der kleinen und mittelbäuerlichen Betriebe ein sozialökologisches Sofortprogramm. Dieses Programm ist durch die Streichung der erhöhten Mehrwertsteuerpauschale zu finanzieren.
    Es fordert Mittel für Betriebe, die eine flächengerechte Tierhaltung haben — keine Massentierhaltung — und die im Einkommen unter dem dreij ährigen Durchschnitt liegen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ihr wollt Betriebe über 40 ha enteignen!)

    Es fordert ein Entschuldungsprogramm für Betriebe, die ohne eigene Schuld in Not geraten sind, und Mittel zur Förderung einer ökologisch verträglichen Landbewirtschaftung und zur ökologischen Beratung der Landwirte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir haben einen Entschließungsantrag zur einkommensgerechten Staffelung der Sozialabgaben vorgelegt. Die Beiträge zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung sind entsprechend dem tatsächlichen Einkommen zu staffeln. Betriebe mit einem Einkommen von unter 1 000 DM pro Vollerwerbskraft im Monat sind von den Abgaben praktisch zu befreien.
    Gemäß den Forderungen der Landfrauenverbände ist eine eigenständige Alterssicherung für Frauen einzurichten, die die gleichen Leistungsansprüche wie die des Betriebsleiters umfaßt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Dringlichkeit einer durchgreifenden Reform wird aus der Tatsache ersichtlich, daß kleinere Betriebe fast 40 % ihres Gewinns für Sozialabgaben aufwenden müssen, daß die Vollerwerbsbetriebe im Durchschnitt fast 25 % für die agrarsoziale Sicherung ausgeben müssen und daß kleine Betriebe sogar von ihrer Substanz leben.
    Der Agrarbericht zeigt deutlich den „Erfolg" einer Agrarpolitik, die noch immer mit dem Grundsatz „Wachse oder weiche" arbeitet. Die Zahl der Betriebe ist dank der Agrarpolitik der Regierung weiter zurückgegangen, und zwar im Vergleich zum Vorjahr um 11 675. Dieser relativ geringe Rückgang, der eine Vernichtung von über 17 000 Arbeitsplätzen bedeutet, hat sich daraus ergeben, daß es im ländlichen Raum keine Einkommens- und Beschäftigungsalternativen mehr gibt. Die Politik des Strukturwandels hat innerhalb der letzten 15 Jahre über 400 000 Arbeitsplätze auf dem Lande vernichtet.
    Innerhalb der EG ist das Durchschnittserzeugerpreisniveau um ca. 3 % pro Jahr gestiegen. In der Bundesrepublik ist es jedoch schon seit drei Jahren laufend zurückgegangen.
    Der Preisdruck auf die bäuerliche Landwirtschaft setzt sich weiter fort. Der Gewinn je Familienarbeitskraft wird nach Schätzung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in diesem Jahr im Durchschnitt um 6 % sinken. Dabei wird Futterbaubetrieben als einziger Sparte eine leichte Gewinnerhöhung von 3 % prophezeit. Für Marktfruchtbetriebe, Veredelungsbetriebe und Dauerkulturbetriebe stehen Verluste von 18-20 % ins Haus, für Gemischtbetriebe Verluste von 12 %.

    (Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

    44 % der Betriebe haben im vergangenen Jahr Eigenkapitalverluste erlitten. Sie mußten also von der Substanz leben.
    Bei diesen agrarpolitisch gesetzten Rahmenbedingungen sind für strukturell oder regional benachteiligte kleinere Betriebe kaum Überlebensmöglichkeiten gegeben. Ist das die Art und Weise, in der die Bundesrepublik das immer wieder beschworene Ziel ihrer Agrarpolitik, Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum sowie Teilnahme der in Land- und Forstwirtschaft sowie in der Fischerei Beschäftigten an der allgemeinen Wohlstands- und Einkommensentwicklung durchsetzen will? Wenn dem so ist, können die Wachstumsbetriebe relativ zufrieden sein. Die Inhaber kleinerer Betriebe werden sich bald um den Weiterbestand ihres Betriebes keine Sorgen mehr machen müssen. Sie sind dann dank dieser Politik entweder verkauft oder pleite.
    Zum zweiten Problemkreis: Landwirtschaft und Umwelt. Sie haben hoffentlich einmal gelesen, was das Sondergutachten des Sachverständigenrates zu dem gleichlautenden Thema zu sagen hat. Minister Kiechle äußerte sich bei der Entgegennahme des Gutachtens vor gut einem Jahr wie folgt: „Ich will dazu noch einmal ausdrücklich betonen, daß ich mehr Umweltschutz, auch in der Landwirtschaft, für unverzichtbar halte." Heute fordert der Minister immer wieder, man müsse die ökologischen Leistungen der Bauern honorieren. Das haben wir



    Werner (Dierstorf)

    auch heute gehört. Dann könnte diese widersprüchliche Aussage trotzdem ihren Sinn haben, aber nur, wenn auch konkret wird, was damit gemeint ist. Der heutigen agrarindustriellen Landwirtschaft kann man doch wohl nicht allgemein ökologische Leistungen gutschreiben. Dann müßte man doch schon über bäuerliche Landwirtschaft, ökologischen Landbau und die Reduzierung der Bewirtschaftungsintensität auf der Gesamtfläche sprechen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir stellen unser Konzept der Erhaltung der Umwelt durch die bäuerliche Landwirtschaft an Hand der folgenden Anträge dar:
    Antrag auf Förderung der ökologischen Landbewirtschaftung durch die Gewährung von Umstellungsbeihilfen. Die von den GRÜNEN geforderten Beihilfen sollen im ersten Jahr der Umstellung 500 DM je ha, höchstens jedoch 5 000 DM je Betrieb betragen. Die folgenden vier Jahresraten verringern sich jeweils um 20 % gegenüber der Anfangsrate. Daraus ergibt sich eine Gesamtbeihilfe von 1 500 DM je ha bzw. maximal 15 000 DM pro Betrieb. Wir meinen, daß das eine bescheidene Forderung ist, die bei den Pionierleistungen, die der ökologische Landbau vollbringt, mehr als gerechtfertigt ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Eine ähnliche Gewichtung hat auch unser Antrag „Bauern helfen Bauern" zur Förderung der Beratung im ökologischen Landbau in Form eines bäuerlichen Selbsthilfemodells. Dieser Antrag würde Kosten in Höhe von 1 Million DM verursachen. Er ist bereits im Ausschuß abgelehnt worden. Es scheint, als würde man sich für ökologische Belange im Landbau nicht stark machen bzw. nur über Reden stark machen.

    (Senfft [GRÜNE]: So ist es!)

    Weiterhin liegt ein Antrag von uns auf freiwilligen Verzicht auf Pestizide vor. Dieser Antrag zur Reduzierung der Getreideüberschüsse durch freiwilligen Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden als Alternative zur geplanten Flächenstillegung gehört zwar hauptsächlich zu dem Punkt 3, Abbau von Überschüssen, er hat aber auch — eben durch den Verzicht auf Pestizide — größte ökologische Bedeutung. Dieses Konzept beinhaltet die einzige sinnvolle Art, Überschüsse abzubauen. Auf freiwilliger Basis bringt es, ohne Arbeitsplätze zu vernichten, wesentliche ökologische Vorteile, eine Verringerung des Energieaufwandes, keine Einkommensminderung für die Bauern und — bei Einrechnung der Kosten der Überschüsse — keine zusätzlichen Ausgaben für Staat oder EG.
    Zu unserem dritten Punkt, Überschüsse. Antrag auf Beschränkung der Futtermittelimporte und Beimischungszwang. Zum Abbau der Überschüsse auf dem Getreidesektor fordern die GRÜNEN die sofortige Beschränkung der Futtermittelimporte, den Zwang zu 50%iger Beimischung von Getreide bei der Mischfütterung, die Förderung des Leguminosenanbaus und der Ganzpflanzensilage. Wir setzen uns aus marktordnungspolitischen, entwicklungspolitischen und ökologischen Gründen für den Stopp der Futtermittelimporte ein.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ferner haben wir einen Entschließungsantrag für eine Stickstoffabgabe gestellt. Um Überschüsse der Pflanzenproduktion gezielt abzubauen, bedarf es eines verringerten Einsatzes ertragssteigender Mittel. Wir halten eine Stickstoffabgabe, wie sie der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert, für sinnvoll. Die Einschränkung der Verwendung von mineralischem Stickstoff wird bessere Fruchtfolgen mit hohem Leguminosenanteil und eine bessere Ausnutzung des organischen Düngers mit sich bringen. Pflanzenschutzmittel können eingespart werden, die Grundwasserbelastung durch die Landwirtschaft geht zurück, das Verhältnis der Landwirtschaft zur Umwelt würde sich generell verbessern.
    Ich fasse zusammen. Die drei Krisenpunkte, Höfesterben, Landwirtschaft und Umwelt und Überschüsse, haben sich bedrohlich verschärft. Die Bundesregierung hat kein Konzept. Ihre Lösungsansätze für einzelne Teilprobleme haben in anderen Bereichen negative Auswirkungen. Ein Beispiel: Das soziale Marktentlastungsprogramm baut, wenn überhaupt, Überschüsse nur geringfügig ab, verstärkt das Höfesterben und die Arbeitsplatzvernichtung. Beispiel zwei: Bioethanol soll Überschüsse abbauen, verschärft aber die Umweltprobleme und bedarf höchster Subventionen.
    Die Anträge der GRÜNEN dienen dem Erhalt aller Höfe und Arbeitsplätze. Die Umweltbelastung und Überschußproduktion soll durch eine Verringerung des Einsatzes produktionssteigernder Mittel wirkungsvoll eingeschränkt werden. In diese Richtung wirken auch die Anträge zur Unterstützung der Ausweitung des ökologischen Landbaus. Ziel grüner Agrarpolitik ist die Erhaltung und Wiederherstellung einer artenreichen und abwechslungsreichen Kulturlandschaft. Den Bauern muß wieder die Möglichkeit gegeben werden, im Einklang mit der Natur zu wirtschaften, ohne dadurch die wirtschaftliche Existenz ihrer Betriebe zu gefährden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Lösung der Probleme der Landwirtschaft ist nur durch eine ökologisch angepaßte bäuerliche Bewirtschaftung zu erreichen. Durch industrielle Bewirtschaftung mit Massentierhaltung und Agrochemikalieneinsatz können weder die Umweltprobleme noch die sozialen Probleme gelöst werden.
    Ich möchte meine Rede mit einer Feststellung der Katholischen Landjugendbewegung schließen: „Es fehlt für eine Erneuerung der bäuerlichen Landwirtschaft nicht an finanziellen Mitteln, den notwendigen Fähigkeiten und technischen Möglichkeiten, es fehlt vielmehr am politischen Willen, sicherzustellen, daß die Landwirtschaft ihren Zielen und Aufgaben gerecht wird."
    Ich danke Ihnen.

    (Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)






Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir Gäste haben. Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation der Gesetzgebungskommission des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China unter der Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden Herrn Xiang Chunyi, Platz genommen.

(Beifall)

Ich habe die Freude, Sie hier bei uns im Deutschen Bundestag zu begrüßen. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt und interessante Gespräche auf Ihrer weiteren Reise durch die Bundesrepublik Deutschland.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Paintner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Johann Paintner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat uns mit dem Agrarbericht 1986 wiederum eine agrarpolitische Jahresbilanz vorgelegt. Ich halte diesen Bericht für ein ausgezeichnetes Dokument sauberer agrarpolitischer Buchführung, für die die Regierung und die Beamten Dank und Anerkennung verdienen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von den GRÜNEN: Von wegen saubere Buchführung!)

    Allerdings gibt einiges, was die Bundesregierung anführt, auch zu denken.
    Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Die derzeitige Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft ist miserabel.

    (Sehr richtig! bei der SPD und den GRÜNEN)

    Der Agrarbericht weist für das Berichtsjahr 1984/85 einen Anstieg des Gewinns je Familienarbeitskraft von 15,4% gegenüber dem Vorjahr aus. Dabei ist zu bedenken, daß diese Aufwärtsbewegung Einkommensverluste des Vorjahres von 18,2% nicht auszugleichen vermochte. Noch mehr trübt sich die Freude an dem Einkommensanstieg des vergangenen Wirtschaftsjahrs, wenn man die aktuelle Situation betrachtet. Es ist zu befürchten, daß der Agrarbericht mit seiner Einkommensvorausschätzung recht behalten wird: Es wird ein Rückgang des Gewinns je Familienarbeitskraft um zwischen 8 und 10% erwartet. Wer die geradezu deprimierenden Preise für Schlachtkühe, Mastbullen, Schlachtschweine, Eier und Kartoffeln jetzt und in den letzten Monaten betrachtet, wird nicht daran zweifeln, daß es leider wiederum zu einem Einkommensrückgang kommen wird.

    (Rusche [GRÜNE]: Schon seit zehn Jahren!)

    Dabei ist das Niveau der Agrareinkommen keineswegs so, daß solche Rückschläge zu verkraften oder gar zumutbar wären. Die rund 24 000 DM Gewinn je Familienarbeitskraft liegen um rund 10 000 DM unter dem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen in der Bundesrepublik. Der Abstand zum gewerblichen Vergleichslohn beträgt inzwischen über 10 000 DM pro Jahr.
    Sehr aufschlußreich ist der Vergleich der Haushaltseinkommen, den der Agrarbericht ausweist. Da die landwirtschaftlichen Haushalte durchweg mehr Personen umfassen als die im gewerblichen Bereich, schneidet die Landwirtschaft bei einem Vergleich der Einkommen je Haushaltsmitglied ebenfalls nicht gut ab. Während die sonstigen Selbständigen ein verfügbares Einkommen von über 40 000 DM im Haushaltsjahr je Familienmitglied erwirtschaften, bleibt es bei den Landwirten bei rund 10 000 DM. Das ist weniger als ein Viertel. Die Landwirte liegen noch deutlich unter dem verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmerhaushalte.
    Erschreckend ist besonders auch ein Blick auf die langfristige Einkommensentwicklung. Während in der ersten Hälfte der 70er Jahre die Agrareinkommen mit der Entwicklung des gewerblichen Vergleichslohns mitgehalten haben, stagnieren sie seitdem. Der Einkommensabstand vergrößert sich zunehmend. Die Jahre 1970 bis 1976 werden wohl als die goldenen 70er Jahre in die Geschichte der Agrarpolitik eingehen. Sie werden untrennbar mit dem Namen Josef Ertl verbunden sein,

    (Beifall bei der FDP — Zuruf von den GRÜNEN)

    der seine ganze Kraft für das Wohl der deutschen Landwirtschaft eingesetzt hat. Hier möchte ich eines betonen: Jeder, der mich kennt, weiß, daß ich ein Anhänger dieser Koalition bin und überall demonstriere, wie gut diese Koalition ist und daß es keine Alternative gibt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Aber trotzdem muß Wahrheit und Klarheit bestehen! Was ich heute von der Situation in den zehn Jahren unter Ertl und bezüglich des Grenzausgleiches gehört habe, das reizt uns Liberale wie — in Bayern würde man sagen — den Stier das rote Tuch. Ich sage Ihnen: Wir sind Gott sei Dank der Hoffnung, daß auch wir als Liberale diese Agrarprobleme lösen, und zwar mit dieser Bundesregierung! Wir hängen nicht an der Geschichte; aber ich möchte betonen, daß wir als erste Partei mit unserem Gallus-Papier in die Öffentlichkeit gegangen sind und Zukunftsperspektiven aufgezeigt haben. Unsere Partei war mit unserem Bundesvorsitzenden Bangemann, mit Mischnick und Genscher und Gallus im besonderen die erste Partei, die auch gesagt hat, daß das mehr Geld kosten wird.

    (Beifall bei der FDP — Rusche [GRÜNE]: Wo ist das Papier jetzt? Die Bauern können noch Abgeordnete werden!)

    — Sie dürfen da ganz ruhig sein, was Sie bieten, haben wir schon längst vergessen.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/ CSU)

    Meine Damen und Herren, wir werden nicht mehr Spielraum in der Agrarpolitik bekommen,

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    bis wir von den leidigen Überschüssen weg sind. Die ganze Anstrengung der Bundesregierung und der Regierungen unserer Partnerländer, alle Agrarpolitik muß sich hierauf richten.



    Paintner
    Mit schuld an der nachteiligen Einkommensentwicklung im Einkommensbereich in der zweiten Hälfte der 70er Jahre und in den 80er Jahren war auch die nachteilige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Niemand kann heute bestreiten, daß sich auch der Strukturwandel der ersten Hälfte der 70er Jahre günstig auf die Einkommen ausgewirkt hat. Wissen Sie, die FDP hat sich schon immer zu einem behutsamen Strukturwandel bekannt.

    (Zurufe von den GRÜNEN: Das hat man an der Wende gesehen!)

    Sie hat jedoch stets darauf gedrungen, daß er von sozialen Maßnahmen flankiert wird, damit für die Beteiligten erst gar keine Härten auftreten können.

    (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Ihr seid in der falschen Koalition!)

    Es kann keine zusätzliche Einkommensgarantie und ebenso keine Existenzgarantie für jeden einzelnen Betrieb geben. Ich teile hier die Auffassung der Bundesregierung, die in ihrem Agrarbericht schreibt: Wie in der Vergangenheit werden auch zukünftig Betriebe aus der landwirtschaftlichen Produktion ausscheiden,

    (Zuruf von den GRÜNEN: Warum?)

    insbesondere wenn sie keinen Hofnachfolger haben.

    (Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    — Jetzt haben Sie es schon gehört. — Damit der landwirtschaftliche Betriebsleiter nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen oder zur Weiterbewirtschaftung bis zu seinem 65. Lebensjahr auch dann gezwungen wird, wenn dies mit großen Härten für ihn verbunden ist, hat die FDP schon rechtzeitig vorgeschlagen, staatliche Prämien zu gewähren, damit solche Betriebe stillgelegt werden können. Diese Vorschläge sind inzwischen unter dem Begriff soziales Marktentlastungsprogramm ausreichend bekannt.

    (Senfft [GRÜNE]: Bauernleger seid ihr! — Gegenruf von der CDU/CSU: Ihr seid Enteigner!)

    Welche bedeutende soziale Funktion ein solches Programm haben würde, erkennt man daran, daß es viele Betriebe gibt, die unzureichende Einkommen erwirtschaften und ohne Hofnachfolger sind. Da wäre es doch für den Betriebsleiter eine große Hilfe, wenn er die Landbewirtschaftung ohne Einkommensverzicht einstellen könnte.
    Wie dringlich eine solche Maßnahme mit dem vorrangigen Ziel, den Markt zu entlasten, ist, zeigt auch die Einkommenssituation in einer Reihe unserer Betriebe. 37 % unserer landwirtschaftlichen Betriebe haben im Berichtsjahr nur ein Standardbetriebseinkommen von 18 500 DM. Eine große Anzahl dieser Betriebe mußte Eigenkapitalverluste hinnehmen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Mit eurer Politik!)

    In der Regel wurde überdurchschnittlich viel Fremdkapital aufgenommen. Die Entwicklung kann, wie ich meine, so nicht weitergehen.
    Hier muß zweifach geholfen werden. Zum einen appelliere ich an die Bundesregierung, kurzfristige Hilfen bereitzustellen. Diese Betriebe befinden sich zum Teil in besorgniserregenden Liquiditätsengpässen. Es sollten rasch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß über eine Reduzierung der Kosten der Sozialversicherung, die in diesen Betrieben oft bis zu 50 % des Einkommens ausmachen, eine rasche und wirksame Hilfe geleistet wird.

    (Beifall bei der FDP — Rusche [GRÜNE]: Die Bundesregierung hört noch nicht einmal zu!)

    Die FDP wird sich einer solchen Hilfe nicht verschließen. Ich hebe dies ausdrücklich noch einmal hervor, weil allzugerne draußen im Lande die Parole ausgegeben wird, die FDP bremse solche Überlegungen. Ich wiederhole noch einmal: Wir sind zu diesen Hilfen gerne bereit, ganz einfach weil sie erforderlich sind. Eine längerfristige Hilfe für viele dieser Betriebe, insbesondere soweit sie keinen Hofnachfolger haben, muß das soziale Marktentlastungsprogramm sein. Diese Betriebe dürfen nicht in den Ruin, sie müssen in eine sozial gesicherte Zukunft entlassen werden.

    (Senfft [GRÜNE]: Na, dann tut endlich was!)

    In den Dienst der Einkommensverbesserung muß auch noch stärker als schon bisher die Ausgleichszulage in den benachteiligten Gebieten gestellt werden. Gerade in diesen Regionen sind die Betriebe zu finden, die unserer besonderen Hilfe bedürfen. Auch hier werden die Bundesregierung und die Länder auf die FDP vertrauen können.

    (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

    Sie wird die geplanten Gebietsausweitungen von 4 Millionen ha auf 6 Millionen ha mittragen und auch gerne bereit sein, über eine Erhöhung des Höchstbetrages zu reden.
    Gleichzeitig sollten allerdings Überlegungen angestellt werden, wie man die Bergbauernförderung noch stärker zu einem Instrument der extensiveren Produktion und der Produktionsrückführung entwickeln und umgestalten kann. Dieser Prüfung müssen alle agrarpolitischen Instrumente unterzogen werden.
    Ich möchte auch sagen — ich wiederhole das —: Eine alte FDP-Forderung ist, Schluß zu machen mit den kapazitätsausweitenden Förderungen im Agrarbereich in der ganzen Europäischen Gemeinschaft.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich fordere die Bundesregierung auf, den Widerständen, die in Brüssel noch vorhanden sein mögen, mit aller Energie entgegenzutreten. Wer jetzt noch Schweineställe fördert, schreibt den unerträglich niedrigen Schweinepreis, den unsere Landwirte heute erzielen, auf Jahre hinaus fest.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Schweinerei!)




    Paintner
    Die Bundesregierung ist zu Recht der Auffassung, daß Senkungen der Marktordnungspreise im Hinblick auf unsere Landwirte nicht zu verantworten wären. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß bei sinkenden Erzeugerpreisen eine Reihe von Betrieben in größte Schwierigkeiten kommen. Daß Betriebe schon heute in Schwierigkeiten sind, ist doch nichts Neues. Das kann agrarpolitisch nicht hingenommen werden. Die FDP unterstützt deshalb Bundesminister Kiechle, wenn er bei den laufenden Preisverhandlungen in Brüssel versucht, Preissenkungen zu vermeiden.
    In einer unternehmerisch orientierten Landwirtschaft müssen die Verkaufserlöse auch weiterhin das Rückgrat der Einkommensentstehung sein.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das heißt nicht, daß nicht direkte Einkommenshilfen gewährt werden sollen. Ich wiederhole, daß sich die FDP sowohl kurz- als auch mittelfristig wirksamen, gezielten direkten Einkommenshilfen nicht verschließt. Die Einkommensanalyse des Agrarberichts und die aktuelle Preissituation liefern Gründe genug dafür, daß wir damit nicht so lange warten sollten.

    (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Eben!)

    Ich halte es für vernünftig, daß die Finanzhilfen, über die die Bundesregierung und das Parlament gegenwärtig nachdenken, in solchen Bereichen gewährt werden, in denen wir am ehesten mit der Zustimmung der EG-Kommission rechnen dürfen; denn auch wir wollen und dürfen nicht gegen die Wettbewerbsbestimmungen des EG-Vertrages verstoßen. Wir dürfen das allerdings auch von unseren Partnerländern verlangen.

    (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Das ist richtig!)

    Ich begrüße deshalb die Erfolge, die die Bundesregierung in dieser Hinsicht in Brüssel erzielen konnte.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Welche?)

    Mit Bedauern habe ich dem Agrarbericht entnommen, daß die alternativ bewirtschafteten Betriebe trotz ihres relativ geringeren unternehmerischen Aufwandes und wesentlich höherer Erzeugerpreise auch im Wirtschaftsjahr 1984/85 einen niedrigeren Gewinn je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche als konventionell bewirtschaftete Betriebe erzielten. Für mich als überzeugten Marktwirtschaftler ist es nur vernünftig, daß einige Betriebe eine sich offenkundig auftuende Marktnische ausfüllen und Bürger, die alternative Produkte zu konsumieren wünschen, damit auch versorgen.

    (Senfft [GRÜNE]: Was tut ihr zur Unterstützung?)

    Nachdem nunmehr nach Art. 19 der Effizienzrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft die Mitgliedstaaten befugt sind, umweltschonend wirtschaftenden Betrieben — das, meine ich, sind sie doch — bestimmte Hilfsmaßnahmen angedeihen zu lassen, sollten wir ernsthaft überlegen, ob nicht die Ausgleichszulage im Rahmen des Bergbauernprogramms all diesen Betrieben auch außerhalb der benachteiligten Gebiete gewährt werden sollte. Ich halte das für überlegenswert.
    Allerdings zeigt das wirtschaftliche Ergebnis der alternativ bewirtschafteten Betriebe auch deutlich, daß der Weg zurück in den totalen Verzicht auf ertragssteigernde Betriebsmittel nicht gangbar ist.

    (Senfft [GRÜNE]: Warum das denn?)

    Bemerkenswert ist eben doch, daß ein wirtschaftlicher Erfolg überhaupt nur bei erheblich höherem Arbeitskräfteeinsatz erzielt werden kann. Aber selbst die höheren Preise, die den alternativen Betrieben sehr zu gönnen sind, reichen nicht aus, um diesen erhöhten Aufwand zu kompensieren. Die Rechnung der GRÜNEN geht also nicht auf, wenn sie fordern, auf Düngemittel und Pflanzenschutzmittel zu verzichten und das Arbeitslosenproblem über einen erhöhten Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft zu lösen.

    (Rusche [GRÜNE]: Das müssen Sie erst einmal durchrechnen!)

    Die Nahrungsmittel wären dann für viele Kreise — und das muß man den Verbrauchern endlich einmal sagen — nicht mehr zu bezahlen. Wer solche Konzepte predigt, predigt eine alte Armut, und zwar nicht nur in der Landwirtschaft, sondern aller.

    (Senfft [GRÜNE]: Quatsch!)

    Der Agrarbericht bestätigt ein weiteres Mal, daß die Nebenerwerbslandwirte immer weniger die Sorgenkinder der Agrarpolitik sind. Ich halte die Information, daß unsere Nebenerwerbsbetriebe ein Durchschnittsgesamteinkommen von 36 400 DM je Familie erzielen konnten, für einen der erfreulichsten Lichtblicke des Agrarberichts.

    (Abg. Werner [Dierstorf] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Danke schön.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/ CSU)