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    Plenarprotokoll 10/213 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 213. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Buschbom 16314A Wahl der Abg. Frau Terborg zur Schriftführerin als Nachfolgerin des Abg. Eickmeyer 16314A Absetzung des Punktes 11i von der Tagesordnung 16314A Erweiterung der Tagesordnung 16314 A Abwicklung der Tagesordnung 16365 D Begrüßung einer Delegation des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China 16383 A Aktuelle Stunde betr. die Auswirkungen der Steuererhöhungsforderung von Dr. Farthmann und aus der SPD auf die Entwicklung der öffentlichen Haushalte, der Kapitalmärkte und des Zinsniveaus in der Bundesrepublik Deutschland Dr. Solms FDP 16299 B Dr. Apel SPD 16300 C Dr. von Wartenberg CDU/CSU 16301 C Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 16302 C Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . 16303 B Dr. Spöri SPD 16304 C Stommel CDU/CSU 16305 D Grüner, Parl. Staatssekretär BMWi . . 16306 D Dr. Jens SPD 16308 A Niegel CDU/CSU 16309 A Dr. Schwörer CDU/CSU 16310A Mischnick FDP 16311 B Roth SPD 16312A Wissmann CDU/CSU 16313 B Zur Geschäftsordnung Seiters CDU/CSU 16314 B Vogel (München) GRÜNE 16314 D Porzner SPD 16315 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 16316 D Lutz SPD 16323C Jagoda CDU/CSU 16326 C Auhagen GRÜNE 16328 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 16330 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 16333 B Roth SPD 16337 C Wissmann CDU/CSU 16340 B Dr. Ehrenberg SPD 16341 C Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 16345 C Hinsken CDU/CSU 16346 D Kirschner SPD 16348 B Namentliche Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Laufs, Fellner, Clemens, Schmidbauer, Dolata, Dr. Lippold, Dr. Blank, Dr. Blens, Broll, Kalisch, Krey, Dr. Warrikoff, Dr. Olderog, Weirich, Weiß, Gerlach (Obernau), Regenspurger, Austermann, Biehle, Boroffka, Frau Dempwolf, Engelsberger, Dr. Faltlhauser, Gerstein, Glos, Dr. Hoffacker, II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 Hinrichs, Hinsken, Höffkes, Frau Hoffmann (Soltau), Dr. Jobst, Jagoda, Jung (Lörrach), Dr. Kunz (Weiden), Keller, Kraus, Lenzer, Dr. Miltner, Marschewski, Dr. Möller, Dr. Riedl (München), Frau Rönsch, Reddemann, Frau Roitzsch (Quickborn), Roth (Gießen), Schneider (Idar-Oberstein), Freiherr von Schorlemer, Schulhoff, Schulze (Berlin), Seesing und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Grünbeck, Dr. Hirsch, Beckmann, Kleinert (Hannover), Dr. Feldmann, Dr. Rumpf, Frau Seiler-Albring, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP Wasserversorgung — Drucksache 10/5353 — 16350 D Ergebnis 16364 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz) — Drucksache 10/5342 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes, des Verwaltungsverfahrensgesetzes, des Bundesverfassungsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes — Drucksache 10/5343 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die informationelle Zusammenarbeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes und nachrichtendienstlicher Tätigkeit (Zusammenarbeitsgesetz) — Drucksache 10/5344 — Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 16351 C Schäfer (Offenburg) SPD 16353 A Dr. Blens CDU/CSU 16355 D Ströbele GRÜNE 16358 A Dr. Hirsch FDP 16360A Dr. Wernitz FDP 16362 A Beratung des Agrarberichts 1986 der Bundesregierung — Drucksachen 10/5015, 10/5016 — in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Auswirkungen der Milchkontingentierung — Drucksachen 10/2257, 10/3018 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Konzept zur Reduzierung der Getreideüberschüsse durch freiwilligen Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden als Alternative zu geplanten Flächenstillegungen — Drucksache 10/3627 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Einführung von Bestandsobergrenzen zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und der Umwelt — Drucksache 10/2822 — in Verbindung mit Beratung des Antrags des Abgeordneten Werner (Dierstorf) und der Fraktion DIE GRÜNEN Abbau der strukturellen Getreideüberschüsse durch Importbeschränkungen für Futtermittel — Eine Alternative zu Flächenstillegungen im Getreidebau — Drucksache 10/3626 — in Verbindung mit Beratung des Antrags des Abgeordneten Werner (Dierstorf) und der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung der ökologischen Landbewirtschaftung durch die Gewährung von Umstellungsbeihilfen — Drucksache 10/4577 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Beratung des Agrarberichts 1985 der Bundesregierung der Fraktion der SPD zur Beratung des Agrarberichts 1985 der Bundesregierung — Drucksachen 10/3007, 10/3008, 10/4190 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 III Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung von Beratung im ökologischen Landbau in Form eines Modells „Bauern helfen Bauern" — Neue Formen eines Modells bäuerlicher Selbsthilfe — Drucksachen 10/1216, 10/3041 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Rücknahme der Ablehnung des hessischen Existenzsicherungsprogramms für kleine und mittlere Grünland- und Futterbaubetriebe durch die EG-Kommission — Drucksachen 10/2082, 10/4191 — Kiechle, Bundesminister BML . 16366D, 16409 A Müller (Schweinfurt) SPD 16371 D Susset CDU/CSU 16375 D Werner (Dierstorf) GRÜNE 16379 C Paintner FDP 16383 A Schröder (Hannover) SPD 16386 C Freiherr von Schorlemer CDU/CSU . . 16391 B Bredehorn FDP 16393 D Wimmer (Neuötting) SPD 16396 B Brunner CDU/CSU 16398 C Immer (Altenkirchen) SPD 16400 B Eigen CDU/CSU 16401 D Oostergetelo SPD 16403 C Schartz (Trier) CDU/CSU 16406 B Kißlinger SPD 16407 B Senfft GRÜNE 16410 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung - Drucksache 10/5247 — Vogel (München) GRÜNE 16411A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes Bericht des Bundesrechnungshofes gemäß § 99 BHO über häufige und wiederkehrende Mängel bei der Vorbereitung und Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im fachlichen Zuständigkeitsbereich der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie der Verteidigung — Drucksachen 10/3847, 10/5227 — . . . 16411 B Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 25 02 Tit. 642 01 — Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz — im Haushaltsjahr 1985 — Drucksachen 10/4948, 10/5226 — . . . 16411 B Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken in Berlin-Kreuzberg — Drucksache 10/5244 — 16411 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Normung auf dem Gebiet der Informationstechnologien und der Telekommunikation Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die erste Etappe der Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Telekommunikations-Endgeräten — Drucksachen 10/3788 Nr. 8, 10/4291 — 16411C Beratung der Sammelübersicht 143 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/5333 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 144 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/5334 — 16411 D Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/5363 — 16412 A Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Altenhilfepolitik in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 10/2957, 10/4108 — Bueb GRÜNE 16412 B Link (Diepholz) CDU/CSU 16414 A IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 Delorme SPD 16416 B Eimer (Fürth) FDP 16418 D Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFG 16421A Bohl CDU/CSU (zur GO) 16423 A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau und zur Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung im öffentlichen Dienst — Drucksache 10/4689 — Reuter SPD 16423 B Broll CDU/CSU 16424 B Ströbele GRÜNE 16426 A Dr. Hirsch FDP 16426 D Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung von Ausbildungsplätzen in der Berufsausbildung (Ausbildungsplatzfinanzierungsgesetz) — Drucksache 10/5143 — Kuhlwein SPD 16428 A Rossmanith CDU/CSU 16429 D Frau Zeitler GRÜNE 16431 D Neuhausen FDP 16432 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über den rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße — Drucksache 10/4632 — Beschlußempfehlung und Bericht des Auschusses für Verkehr — Drucksache 10/5356 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt — Drucksachen 10/5070, 10/5267 — Dr. Schulte, Pari. Staatssekretär BMV . . 16434 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren — Drucksache 10/5305 — 16434 D Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Vereinfachung der Personenkontrollen an den innergemeinschaftlichen Grenzen — Drucksache 10/5279 — Ströbele GRÜNE 16435A Clemens CDU/CSU 16435 D Tietjen SPD 16436 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 16437 B Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 16438 A Nächste Sitzung 16438 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 16439*A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 15 der Tagesordnung (Zweites Gesetz über den rechtlichen Status der Main-DonauWasserstraße) (Bohlsen [CDU/CSU], Buckpesch [SPD] 16439* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 16 der Tagesordnung (Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren) (Engelhard, Bundesminister der Justiz, Dr. de With [SPD], Marschewski [CDU/CSU], Frau Hönes [GRÜNE]), Beckmann [FDP]) 16441* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 16299 213. Sitzung Bonn, den 24. Aprii 1986 Beginn: 8.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein * 25. 4. Dr. Ahrens * 25. 4. Antretter * 25. 4. Frau Augustin 25. 4. Berger * 25. 4. Böhm (Melsungen) * 25. 4. Büchner (Speyer) * 25. 4. Dr. von Bülow 25. 4. Cronenberg (Arnsberg) 25. 4. Curdt 25. 4. Dr. Dollinger 25. 4. Dr. Enders * 25. 4. Frau Fischer * 25. 4. Fischer (Bad Hersfeld) * 25. 4. Gansel * 25. 4. Gerstl (Passau) * 25. 4. Grünbeck 25. 4. Dr. Haack 25. 4. Haase (Fürth) * 25. 4. Dr. Häfele 25. 4. Dr. Hauchler 25. 4. Jäger (Wangen) * 25. 4. Frau Kelly 25. 4. Kittelmann * 25. 4. Klein (München) 25. 4. Dr. Klejdzinski * 25. 4. Dr. Kreile 25. 4. Kroll-Schlüter 25. 4. Frau Krone-Appuhn 25. 4. Dr. Graf Lambsdorff 25. 4. Landré 25. 4. Lemmrich * 25. 4. Lenzer * 25. 4. Lowack 25. 4. Metz 25. 4. Möllemann 24. 4. Dr. Müller * 25. 4. Nelle 24. 4. Neumann (Bramsche) * 25. 4. Frau Pack * 25. 4. Dr. Pfennig * 25. 4. Dr. Probst 25. 4. Reddemann * 25. 4. Dr. Rumpf * 25. 4. Dr. Scheer * 25. 4. Dr. Schierholz 25. 4. Schmidt (Hamburg) 25. 4. Schmidt (München) * 25. 4. Frau Schmidt (Nürnberg) 25. 4. Schmitz (Baesweiler) 24. 4. Schulte (Unna) * 24. 4. Schwarz * 25. 4. Dr. Soell * 25. 4. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 25. 4. Dr. Stavenhagen 25. 4. Dr. Stoltenberg 25. 4. Uldall 25. 4. Dr. Unland * 25. 4. Vogt (Düren) 24. 4. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Voigt (Sonthofen) 25. 4. Dr. Wulff * 25. 4. Zierer * 25. 4. Dr. Zimmermann 24. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 15 der Tagesordnung (Zweites Gesetz über den rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße) *) Bohlsen (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die fortschreitende Fertigstellung weiterer Teilabschnitte der Main-Donau-Wasserstraße verschafft dem Projekt einer Rhein und Donau verbindenden Großschiffahrtsstraße zunehmend Gestalt. Hauptbauziel ist die Verbesserung der Wettbewerbssituation strukturschwacher Gebiete Bayerns. Der Bau der MainDonau-Wasserstraße sichert Bayern die Anbindung an das Rheinstromgebiet und schafft zugleich eine Verbindung zu den für Bayern wichtigsten Industriezentren und zu den Nordseehäfen. Die Wasserstraße mildert entscheidend die Auswirkung der Randlage Bayerns im EG-Raum. Durch sie werden die bayerische Donau und der ostbayerische Raum in den Verkehrsbereich des Rheinstromgebiets einbezogen. Grundsätzlich werden Wasserstraßen gebaut, weil die Binnenschiffahrt als ein besonders kostengünstiger Verkehrsträger zum Transport frachtkostenempfindlicher Massengüter prädestiniert ist, bei denen es weniger auf die Schnelligkeit der Beförderung ankommt. Nicht selten ermöglicht überhaupt erst der Wasserweg größere Transportweiten und löst damit echten Neuverkehr aus. Die preisgünstige Versorgung mit Massengütern senkt die Transportkostenbelastung der bayerischen Wirtschaft und stärkt damit die Wirtschaftsstruktur insbesondere in Mittel- und Ostbayern. Längerfristig können auch andere Verkehrsträger mit zunehmenden Transporten rechnen, da von einer leistungsfähigen Wasserstraße erhebliche Antriebskräfte für die Entwicklung der regionalen Wirtschaft ausgehen und dadurch der Transport für hochwertige Güter steigt. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß positive Strukturimpulse, nämlich die Ansiedlung neuer Betriebe, die Schaffung *) Die Abgeordneten Kohn (FDP) und Vogel (München) (GRÜNE) werden ihre Reden nach schriftlicher Formulierung zu Protokoll geben. Die Reden werden als Anlagen zum Stenographischen Bericht über die 214. Sitzung abgedruckt werden. 16440* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 neuer Arbeitsplätze und damit die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur überhaupt, die entscheidende Triebfeder für den Bau der Wasserstraße bildete. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung bezweckt die Festschreibung des rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße als nationale Bundeswasserstraße. Die Gewässerstrecken des südlichen Teil des Main-Donau-Kanals sollen in das Verzeichnis der dem allgemeinen Verkehr dienenden Bundeswasserstraßen aufgenommen werden. Der am 25. Mai 1985 bzw. am 29. August 1985 abgeschlossene Staatsvertrag zwischen dem Bund und dem Freistaat Bayern bekundet das Einvernehmen darüber, die Gewässerabschnitte der Main-Donau-Wasserstraße einheitlicher Bundeshoheit zu unterstellen. Bedenkt man, daß mit Fertigstellung des MainDonau-Projekts nicht allein zwei große europäische Flußsysteme und letztlich die Nordsee mit dem Schwarzen Meer verbunden werden, sondern darüber hinaus auch der durchgehende Verkehr zwischen Gebieten unterschiedlichster Wirtschaftssysteme ermöglicht wird, so erkennt man dabei zugleich, wie wichtig es ist, einen einzigen Hoheitsträger mit der Wahrung bundesdeutscher Belange zu betrauen. Diesem Erfordernis entspricht der vorliegende Gesetzesentwurf. Nach deutscher Auffassung gibt es keinen allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechts, nach dem die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet gewesen wäre, die MainDonau-Wasserstraße zu bauen und den Kanal für die internationale Schiffahrt frei zu öffnen. Bereits die Lage auf ausschließlich bundesdeutschem Territorium rechtfertigt den ausschließlichen Souveränitätsanspruch der Bundesrepublik Deutschland. Die wirksamste Geltendmachung ihrer Souveränität erfolgt im Binnenschiffahrtswesen durch den Bund. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß erst kürzlich vom Bundestag eine Novellierung des Binnenschiffahrts-Aufgabengesetzes beschlossen wurde, die ein wirksames Instrumentarium zum Schutz des deutschen Gewerbes gegen unerwünschte Wirtschaftspraktiken fremder Staaten enthält. Mit der eindeutigen Festlegung des rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße als Bundeswasserstraße wird es möglich, die Vorschriften des Binnenschiffahrts-Aufgabengesetzes, die zu einem wesentlichen Teil gerade im Hinblick auf die Situation nach Fertigstellung der Main-Donau-Wasserstraße beschlossen worden sind, anzuwenden. Das Binnenschiffahrts-Aufgabengesetz stellt klar, daß die Fahrt auf den Bundeswasserstraßen für NichtEG-Ausländer grundsätzlich von einer Erlaubnis des Bundes abhängig ist. Die Gefahr eines unkontrollierten Vordringens von Ostblockflotten, die in der Vergangenheit zum Teil mit marktzerstörerischen Dumping-Praktiken versucht haben, ohne Rücksicht auf die eigenen betriebswirtschaftlichen Kosten Devisen zu verdienen, wird damit gebannt. Über die Main-Donau-Wasserstraße wird zukünftig der Zugang zum gesamten bundesdeutschen Wasserstraßennetz für ausländische Flotten nur im Rahmen abzuschließender bilateraler Verträge möglich sein. Die Verträge, deren Abschluß die Bundesrepublik den Donau-Anliegerstaaten anbietet, werden vom Prinzip der Gegenseitigkeit — auch in bezug auf die Beteiligung an der Ladung und Festsetzung der Frachten — beherrscht sein und die Möglichkeit der Kontingentierung und Quotierung im Transitverkehr vorsehen. Einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten der deutschen Binnenschiffahrt wird damit ein Riegel vorgeschoben. Erlauben Sie mir, meine Ausführungen mit der Bitte zu beenden, dem vorliegenden Gesetzentwurf in der Fassung der Stellungnahme des Bundesrates zuzustimmen und damit die rechtlichen Voraussetzungen für eine wirtschaftlich erfolgreiche Nutzung der Main-Donau-Wasserstraße für die Bundesrepublik Deutschland festzuschreiben. Buckpesch (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit der Verabschiedung des vorliegenden Zweiten Gesetzes über den rechtlichen Status der Main-Donau-Wasserstraße wird der restliche Abschnitt des Main-Donau-Kanals von Nürnberg bis Kelheim eine Bundeswasserstraße. Das und nichts anderes ist der wesentliche Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes. Der Bundesminister für Verkehr wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen die fertiggestellten und freigegebenen Teilstrecken durch Rechtsverordnung zu Bundeswasserstraßen zu erklären. Dieser Entwurf signalisiert, daß das wohl umstrittenste Verkehrsprojekt der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland der Fertigstellung entgegengeht. Die sozialliberale Bundesregierung und in ihr der zuständige Verkehrsminister Volker Hauff haben bereits Ende der 70er Jahre erkannt, daß es nicht nur das umstrittenste, sondern auch das unsinnigste Großprojekt unserer neueren Geschichte ist. Und ohne Übertreibung kann behauptet werden, daß heute niemand mehr bereit wäre, mit dem Bau zu beginnen, um die vertraglich festgelegten Ideen und Vorstellungen des Jahres 1921 zu realisieren. Volker Hauff hat damals der Regierung des Freistaates Bayern vorgeschlagen, die eingesparten Millionen insbesondere in die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur des dortigen Raumes zu investieren. Wir Sozialdemokraten haben in unserem Wahlprogramm von 1983 noch einmal zum Ausdruck gebracht, daß wir die Fertigstellung des Kanals nicht für zweckmäßig halten, und wir haben durch unseren damaligen Haushaltsberichterstatter Hajo Hoffmann in den Jahren 1983 und 1984 begründet, warum wir den Haushaltsansätzen für dieses Bauwerk nicht zustimmen konnten. Doch es kam anders. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wollen den Kanal fertigstellen, koste es, was es wolle. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wird jedoch nicht über den Weiter- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 16441* bau und die Fertigstellung der Main-Donau-Wasserstraße entschieden. Sie wird Realität werden, ob wir wollen oder nicht. Hier geht es ausschließlich um die Festlegung des rechtlichen Status dieser Wasserstraße. Der Entwurf sagt aus, daß der Kanal auf Grund der vertraglichen Verpflichtung des Bundes eine Bundeswasserstraße wird, der Bund somit für den Betrieb und die Unterhaltung zuständig ist und auf ihr alle für Bundeswasserstraßen geltenden Gesetze und Verordnungen Anwendung finden, nicht nur das Bundeswasserstraßengesetz, sondern auch das Binnenschiffahrtsaufgabengesetz. Das ist nicht nur vernünftig, sondern dazu gibt es auch keine Alternative. Die Ablehnung des Gesetzes verhindert nämlich nicht den Schiffsverkehr auf dieser Wasserstraße. Sie würde auch als Landeswasserstraße des Landes Bayern oder — was zwar eine Kuriosität wäre — als private Wasserstraße von der Rhein-Main-Donau AG betrieben werden können. Schon allein ihre wasserwirtschaftliche und energiewirtschaftliche Aufgabenstellung würde dies erfordern, nur mit dem Unterschied, daß z. B. die Binnenschiffahrts-Straßenordnung des Bundes — also das Verkehrsrecht — und das Binnenschiffahrts-Aufgabengesetz mit seiner vorbeugenden Wirkung auf das Eindringen der Staatshandelsflotten mit ihren Dumpingpreisen in unseren Verkehrsmarkt für diese Wasserstraße keine Gültigkeit hätten. Das aber, meine Damen und Herren, kann doch wirklich keiner wollen. Den Eindruck zu erwecken, man könne mit der Ablehnung dieses Gesetzentwurfes den Kanal und den Verkehr auf ihm verhindern, ist reine Scharlatanerie. Wir alle müssen daran interessiert sein, daß auf allen unseren Wasserstraßen gleiches Recht gilt und daß unsere zum Schutz der gesamten deutschen Verkehrswirtschaft erlassenen Gesetze darauf Anwendung finden. Wir wollen die deutsche Binnenschiffahrt vor Dumpingflotten schützen und die mit ihnen verbundenen schädlichen Auswirkungen auf die Deutsche Bundesbahn und die deutschen Seehäfen abwenden. Aus diesem Grunde werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 16 der Tagesordnung (Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren) Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Strafprozeßrecht wird mit vollem Recht als Seismograph der Staatsverfassung bezeichnet. Seine Aufgabe ist es, das fragile Verhältnis von Freiheitsanspruch des einzelnen und Sanktionsanspruch der Rechtsgemeinschaft in ein immer wieder zu überprüfendes und neu auszutarierendes Gleichgewicht zu bringen. Nicht nur die Sicherung effektiver Verteidigungsmöglichkeiten für den Beschuldigten, sondern auch die Rücksicht auf das Tatopfer gehört dabei zu den Erfordernissen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Die strafprozessuale Entwicklung des letzten Jahrhunderts insgesamt und namentlich die rechtsstaatlich geprägte Fortentwicklung der Nachkriegszeit ist jedoch bisher am Verletzten vorbeigelaufen. Er wurde von Anfang an in eine Randrolle abgedrängt. Nach meinem Amtsantritt als Bundesminister der Justiz habe ich die Weichen dafür gestellt, einen wirksamen Opferschutz mit der gebotenen Beschleunigung, aber auch mit der notwendigen Gründlichkeit und Sorgfalt in dieser Legislaturperiode zu realisieren. Allen skeptischen Bemerkungen zum Trotz liegt Ihnen nunmehr ein ausgereifter Regierungsentwurf vor. Ich möchte auch an dieser Stelle namentlich den Ländern, aber auch den Verbänden und vielen interessierten einzelnen dafür danken, daß sie durch ihre konstruktive Kritik am Diskussionsentwurf meines Hauses vom Mai 1985 zur Konsensbildung beigetragen haben. Zu den Schwerpunkten der Reform der Verletztenstellung im Entwurf gehört der Schutz des Tatopfers und hier besonders der Frau, die Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung geworden ist. Es geht um den Schutz vor Fragen aus der Intimsphäre, die erweiterte Möglichkeit, die Öffentlichkeit bei solchen Erörterungen in der Hauptverhandlung auszuschließen, und das Recht, die Beiordnung eines Rechtsanwalts zu verlangen. Wir benötigen aber auch eine umfassende gesicherte Beteiligungsbefugnis des Verletzten durch eine tiefgreifende Umgestaltung der Nebenklage. Sie soll künftig in erster Linie denjenigen Verletzten offenstehen, die von einer schweren Straftat gegen ihre höchstpersönlichen Rechtsgüter betroffen sind. Einen dritten Schwerpunkt legt der Entwurf auf Maßnahmen, durch die dem Tatopfer die Realisierung seines materiellen Schadensersatzes erleichtert wird. Die Bezeichnung als Entwurf eines „Ersten" Verletztenschutzgesetzes verdeutlicht, daß es damit nicht getan ist und nicht getan sein kann. Es gibt weitere wichtige Problemfelder. Ich habe veranlaßt, daß auch zu ihnen Forschungen und Überlegungen eingeleitet werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß auf ein weiteres hinweisen: Mindestens ebenso wichtig wie eine Änderung des Gesetzes ist eine Änderung der inneren Einstellung eines jeden von uns. Zu Recht ist gefordert worden, dem Opfer schon bei der Handhabung des geltenden Rechts 16442* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 mehr als bisher Einfühlung und Rücksichtnahme entgegenzubringen. Ich habe den Eindruck, daß nach der Diskussion der letzten zwei Jahre diese Forderung nicht ungehört verhallt ist. Über die Summe seiner Einzelregelungen hinaus kann auch der Entwurf der Bundesregierung dazu beitragen, die Befolgung dieses Appells zu erleichtern. Ich bitte Sie daher um seine Beratung und Verabschiedung. Dr. de With (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir Sozialdemokraten am 9. November 1983 unseren Gesetzentwurf zum besseren Schutz der Opfer von Sexualdelikten im Bundestag einbrachten, gab es bei der Koalition vornehmlich Häme gegen die Einführung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, und gegen die von uns vorgeschlagene Einführung des Opfer-Anwaltes wurde von oben herab eingewandt, dies verzögere nur das Strafverfahren und belaste die Justiz. Der unionsgeführte Bundesrat lehnte es am 25. November 1983 ab, einen entsprechenden von Hamburg vorgeschlagenen Gesetzentwurf überhaupt nur einzubringen. Bei der schließlich am 1. Dezember 1983 erfolgten ersten Lesung im Bundestag wandte sich dann auch der Verteter der Unionsfraktion mit Nachdruck auch gegen den Opferanwalt. Sie, Herr Minister, und der Vertreter Ihrer Partei verschwiegen sich dazu dezent. Als wir Sozialdemokraten letztendlich unseren Entwurf zum besseren Schutz der Opfer von Gewaltdelikten, also aller Verletzten, am 8. November 1985 hier im Bundestag in erster Lesung zur Debatte stellten, war die schwarze Wolke weg. Und das diffuse Gelb hatte sich gelichtet. Freilich, der 55. Deutsche Juristentag 1984, mit vielen Plädoyers für den Opferschutz, war inzwischen ins Land gegangen, und die Bundesregierung hatte, gezwungenermaßen darauf aufbauend, der Öffentlichkeit einen Diskussionsentwurf zum besseren Opferschutz vorgestellt. Die Union stimmte unseren Prinzipien im Grunde zu, auch die FDP. Sie, Herr Minister — das müssen Sie sich bitte anhören und noch einmal nachlesen — nörgelten nur noch an Details herum. Ich sage: Guten Abend, Herr Minister, ich freue mich, daß Sie und die Bundesregierung heute endlich zu Stuhle gekommen sind. Und ich freue mich auch, daß der Bundesrat mit seiner Unionsmehrheit schließlich einsichtig geworden ist. Das Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein lassen offensichtlich grüßen. Und das Niedersachsen-Roß braucht sehr wahrscheinlich Futter. Beim Opferschutz, wo es berechtigterweise galt, verlorenes Terrain gutzumachen, haben Sie die Rosse zunächst allzu lange locker traben lassen und nur am Schluß die Sporen gegeben. Beim Landfriedensbruch, beim Schleppnetzparagraphen und bei § 116 hatten Sie ohne Not mit der Peitsche Galopp erzwungen; das war Ihnen schlecht bekommen. Lassen wir den Rückblick beiseite. Wir Sozialdemokraten begrüßen grundsätzlich Ihren Entwurf, noch mehr die Zustimmung des Bundesrates. Ist doch damit die Chance eröffnet, endlich zu einer gemeinsamen gesetzgeberischen Lösung noch in dieser Legislaturperiode zu kommen, was den Betroffenen, vornehmlich den Frauen, der StPO und der gemeinsamen Rechtsüberzeugung zugute käme. Der Entwurf der Bundesregierung begegnet allerdings drei entscheidenden Bedenken: Erstens. Der Täter-Opfer-Ausgleich wird viel zu zaghaft angegangen. Zweitens. Die Information des Betroffenen über seine Rechte findet in Ihrem Entwurf nicht statt. Drittens. Die Verstärkung des Opferschutzes kann die rechtsstaatlichen Garantien für den Beschuldigten und Angeklagten berühren. Erstens. Sie glauben zwar, der Täter-Opfer-Ausgleich, also die Wiedergutmachung durch den Täter gegenüber dem Opfer, könne verbessert werden. Sie schlagen dazu aber allein vor, daß die zu zahlende Geldstrafe im nachhinein eine Zahlungserleichterung erfahren kann, wenn die Wiedergutmachung gefährdet wäre. Das ist entschieden zu wenig. Wir Sozialdemokraten hingegen meinen, daß die Bedeutung der Wiedergutmachung für den Rechtsfrieden deutlich verankert werden muß, nämlich durch einen erweiternden Passus bei der Straßzumessungsvorschrift, durch das Einfügen der neuen Möglichkeit der Aussetzung auch der Geldstrafe zur Bewährung und durch das Verabschieden einer Vorschrift, die die Einstellung wegen geringer Schuld dann rechtfertigt, wenn der Schaden wiedergutgemacht wird. Hier wird deutlich: Eine Änderung des Sanktionsrechts wäre am Platze, vor der Sie sich schon bei der Novellierung der Strafaussetzung zur Bewährung gedrückt haben. Sie sind dabei, eine Chance zu versäumen. Ich fordere Sie auf, endlich einen Schritt nach vorn zu tun. Zweitens. Wenn Sie schon erfreulicherweise bereit sind, auch beim ersten Zugriff in gewissen Fällen einen Opfer-Anwalt als Beistand zuordnen zu lassen und so dem Opfer mehr Rechte zu gewähren, dann müssen Sie aber auch bereit sein, eine Belehrungspflicht zu dessen Gunsten in die StPO einzufügen. Nachdem das auch oder sogar der Bundesrat zu bedenken gegeben hat und Sie dazu nur äußerten, Sie würden das prüfen, erwecken Sie den fatalen Verdacht, Sie wollten diese neuen Rechte möglichst klein halten. Das ist nicht nur inkonsequent. Hier schaut ein bißchen der alte Obrigkeitsstaat frei nach dem Motto durch: Auf dem Papier steht es ja, aber wissen müssen sie es nicht. Die Bundesregierung konserviert damit Informationsdefizite zum Nachteil des betroffenen Bürgers. Ein Grundverstoß in einer sozialen Demokratie. Drittens. Die Einführung eines Opfer-Anwaltes und die Verbesserung der Stellung des Verletzten im Prozeß mit der Ausweitung des Fragerechts und der Änderung des Rechts auf Öffentlichkeit stellen einen sehr erheblichen Eingriff in das Gefüge der mehr als 100 Jahre alte StPO dar. Bisher glaubten wir, der Wahrheitsfindung, der gerechten Beurteilung der Tat und dem Schutze von Opfer, Täter und Zeugen entsprächen das Anklagemonopol des Staatsanwaltes und das Legalitätsprinzip am ehesten: Die so statuierte Fürsorge des Staates erschien ausreichend. Inzwischen aber Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 16443* kennen wir alle das Prinzip „von der Nutzung der Mediengewalt" mit Hilfe dessen bildhaft — oft bunt und illustriert — und dazu noch sehr oft am Sonntag Opfer und Zeugen genüßlich in die Öffentlichkeit gezerrt werden, ohne daß durch eine entsprechende Anwendung des englischen Prinzips des „contempt of court" dieser Nachteil kompensiert werden könnte. Wenn wir aber diesen Mißstand, der sich vornehmlich gegen Frauen richtet, durch Einführung des Opfer-Anwaltes, einer erweiterten Nebenklageberechtigung und einer flexibleren Gestaltung des Öffentlichkeitsprinzips zu konterkarieren versuchen, dann müssen wir bedacht sein, daß dabei nicht die Rechte des Angeklagten beschnitten werden. Aus diesem Grund haben wir Sozialdemokraten z. B. vorgeschlagen, daß immer dann auch dem Angeklagten ein Rechtsanwalt beigeordnet werden muß, wenn das Opfer einen solchen Beistand zur Verfügung hat. Das fehlt in der Vorlage der Koalition. Und wir alle sollten sehr sorgfältig darauf achten, daß durch die notwendigen Änderungen imRecht auf Öffentlichkeit und im Befragungsrecht das Gewicht nicht zum Nachteil des Angeklagten verschoben, sondern nur das Opfer vor unnötigem Bloßstellen verschont wird. Ich zitiere gern Gustav Heinemann. Er hat in seiner Antrittsrede am 1. Juli 1969 gesagt, daß unsere Ordnung nicht fertig sei: Alle ihre Orientierungsmerkmale, als da sind: freiheitliche Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, bedürfen im Staat und in der Gesellschaft der fortwährenden Bemühung um täglich bessere Verwirklichung durch den mündig und mitbestimmenden Bürger. Hier ist jetzt Gelegenheit für Politiker zu gemeinsamen Bemühungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das erforderliche Anhörungsverfahren für Ihre Vorlage und für den entsprechenden Gesetzesentwurf der Sozialdemokraten haben wir bereits gemeinsam beschlossen. Es findet am 15. Mai 1986 statt. Wir Sozialdemokraten werden jede Möglichkeit nutzen, daß noch in dieser Legislaturperiode die Rechte des Opfers im Strafverfahren die angemessene, aber auch ausreichende Verbesserung erfahren. Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verbesserung des Opferschutzes ist eines der zentralen Vorhaben der in der Rechtspolitik so erfolgreichen Bundesregierung. Die Opfer von Straftaten dürfen nicht länger weitgehend hilflos, weitgehend schutzlos als Randfiguren des Strafprozesses im Schatten stehen. Wir alle sind es den Verletzten, vor allem aber den Opfern schwerer Straftaten schuldig, daß ihnen Fürsorge und ein Höchstmaß an rechtsstaatlichen Garantien gesichert wird, wie es neulich der Herr Bundesjustizminister treffend formuliert hat. Obwohl wir leider jedes Jahr über vier Millionen Verbrechensopfer zu beklagen haben, schenkte die Öffentlichkeit dieser wohl größten Einzelgruppe unserer Gesellschaft nur zu selten ihre Aufmerksamkeit. Die Darstellung in den Medien ist oft einseitig, ist vom Rechtsbrecher weggeleitet, ist tatentschuldigend. Sie hat zur Verdrängung der Opferschicksale geführt, zur Verdrängung der Schicksale Vergewaltigter, von an Leib und Seele Geschädigten, von Kindern, von Alten. Daher begrüße ich es, daß diese Bundesregierung nunmehr das auf dem vorletzten Juristentag gegebene Versprechen des Bundeskanzlers eingelöst hat: „Dem Opfer muß eine stärkere Zuwendung geschenkt, ihm muß mehr Schutz und Hilfe gewährt werden." Das überkommene, noch geltende Strafverfahrensrecht hat die eigenständige Position des Verletzten vernachlässigt. Diese vor dem Hintergrund absoluter Straftheorien zu erklärende Lehre der Wesensfremdheit von staatlichem Strafanspruch und dem Interesse des Verletzten ist heute nicht mehr haltbar. Strafnormen sind öffentliche Rechtssätze, die auch dem Interesse des einzelnen zu dienen bestimmt sind. Aber sobald das Ermittlungsverfahren initiiert ist, beginnt oftmals die Demontage des Opfers, entwickelt sich das Opfer zum Störfaktor. In der Hauptverhandlung wird es noch als Zeuge benötigt, jedoch auch da begegnet man ihm mit Mißtrauen. Man gängelt es mit Fragen, man läßt es zu, daß sich manche Verfahren, namentlich bei Sexualdelikten, zu einem Spießrutenlaufen entwicklen (Heike Jung). Meine Damen und Herren, hier tut Abhilfe not. Es reicht eben nicht aus, dem Verletzten im Strafverfahren quasi nur die normale Rolle eines Zeugen zuzuerkennen. Ich meine, der Grundsatz der Waffengleichheit verlangt nach Schutzpositionen, die dem Verletzten die Verteidigung gegen unbegründete Verantwortungszuweisungen ermöglichen. Daher begrüße ich es, daß vor allem den Opfern schwerer Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter — etwa gegen die sexuelle Selbstbestimmung — durch Umgestaltung der Nebenklage eine herausgehobenere Stellung eingeräumt werden soll. Denn gerade bei diesen Delikten besteht ein gesteigertes Bedürfnis, Verantwortungszuweisungen durch den Beschuldigten abzuwehren. Der Verletzte soll daher die Möglichkeit erhalten, sich aktiv am Verfahren zu beteiligen; er soll durch Erklärungen, durch Fragen, Anträge und Rechtsmittel auf das Ergebnis des Verfahrens einwirken können. Einer der Kernpunkte des Gesetzentwurfs, meine Damen und Herren, ist ein besserer Schutz der Privat- und Intimsphäre des Verletzten. Ich kann nicht akzeptieren, daß z. B. vergewaltigte Frauen in Strafprozessen oftmals unerträglichen Belastungen ausgesetzt werden. Als Zeugen einer Tat müssen sie sämtliche Details des Verbrechens, ihres Vorlebens, ja ihres Intimlebens ausbreiten. Fast in allen diesen Fällen werden skandalöse, unbewiesene Vermutungen über Mitschuld und mögliches Provozieren der Tat angestellt. Allein deshalb verzichten viele Frauen lieber auf eine Strafanzeige, als im Gerichtssaal quasi noch einmal vergewaltigt zu werden. 16444* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 Hinzu kommt die Berichterstattung in den Medien, die oftmals erst zur öffentlichen moralischen Verurteilung des Opfers führt. Und an Scheinheiligkeit fehlt es dabei nicht: Der aufklärerische Impetus und die Entrüstung über das Täter- oder auch Verteidigerverhalten gehen einher mit dem vermeintlichen Bedürfnis der Leser, zu erfahren, was sich in der Intimsphäre ereignet hat, was das Opfer an sexuellen Perversionen erdulden mußte. Es ist daher dringend erforderlich, Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich nur dann zuzulassen, wenn sie zur Wahrheitsfindung und zur Wahrung der Verteidigerbefugnis wirklich unerläßlich sind. Es ist weiter notwendig — wie es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht —, den Ausschluß der Öffentlichkeit zu erleichtern, ihn vor allem praktikabler zu machen. Dabei weiß ich natürlich, daß das Prinzip der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung in Strafsachen zu den wesentlichen Elementen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens moderner Prägung gehört und daß dieser Grundsatz durch die Menschenrechtskonvention garantiert ist. Dennoch machen es die zu schützenden Interessen des Verletzten erforderlich, den Abwägungsmaßstab zugunsten des Persönlichkeitsrechts zu ändern. Sie machen es außerdem erforderlich, die Entscheidung der Anfechtbarkeit zu entziehen, um zu erreichen, daß revisionsrechtliche Konsequenzen für die Entscheidung keine Rolle mehr spielen. Meine Damen und Herren, Opferschutz bedeutet auch Wiedergutmachung. Sie ergibt sich aus dem unstreitigen Recht des Verletzten, Ersatz für den durch eine deliktische Handlung entstandenen Schaden verlangen zu können. In der Tat, wenn es der Sinn des Strafverfahrens ist, die Verantwortung des Täters vor der Rechtsgemeinschaft festzustellen und hieraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen, so kann der Ausgleich des Opferschadens keineswegs ausgeklammert werden. Dabei ist es erforderlich, das 1942 in die Strafprozeßordnung eingefügte Adhäsionsverfahren, das bislang keine nennenswerte Bedeutung hat erlangen können, für die Praxis annehmbarer zu gestalten. Dies gilt für die Erweiterung der Zuständigkeit im amtsgerichtlichen Verfahren, dies gilt für die Möglichkeit der Prozeßkostenhilfe, vor allem gilt dies aber für die Zulassung von Grund- und Teilurteil. Insbesondere von letzterem erwarte ich, daß die Praxis ihre bisherige Zurückhaltung gegenüber dieser Verfahrensart aufgibt, um so eine mehrfache Beweisaufnahme über den Anspruchsgrund ersparen zu helfen. Der Schadenswiedergutmachung, meine Damen und Herren, dient es auch, dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Opfers durch Gewährung einer Stundung oder einer Ratenzahlung einen gewissen Vorrang vor staatlichen Ansprüchen auf Geldstrafe und Verfahrenskosten einzuräumen. Denn es hat das Ziel eines auf Resozialisierung und Ausgleich bedachten Strafrechts zu sein, die dem Opfer geschuldete Wiedergutmachung in Kürze zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang kann ich mich auch heute nicht mit dem SPD-Vorschlag anfreunden, auch Geldstrafen zur Bewährung auszusetzen. Ich bleibe bei meiner Begründung: Die Geldstrafe könnte ihre Funktion verlieren, eine echte Alternative zur kurzen Freiheitsstrafe zu bilden: Die Gerichte könnten wieder verstärkt dazu neigen, kurze Freiheitsstrafen zu verhängen, was dem Ziel der Strafrechtsreform, gerade kurze Freiheitsstrafen zurückzudrängen, widersprechen würde. Und, meine Kollegen der SPD, welche Kriterien sollten für die Aussetzung einer Geldstrafe gewählt werden? Denn eine gute Spezialprognose dürfte doch bei der Verhängung einer Geldstrafe in aller Regel gegeben sein. Und wie steht es mit dem Ordnungswidrigkeitsrecht? Wollen Sie vielleicht auch die Geldbuße zur Bewährung anstreben? Das Institut der Strafaussetzung zur Bewährung wäre jedenfalls mit dem auf einfache und rasche Erledigung angelegten Bußgeldverfahren unvereinbar. Meine Damen und Herren, die Stellung des Opfers im Strafverfahren bedurfte seit langem der Neuregelung und der Verbesserung. Diese Reform war seit vielen Jahren überfällig. Dies gilt für die von mir angesprochenen Problembereiche, dies gilt auch für die Verbesserung der Informationsmöglichkeit des Verletzten, für die Akteneinsicht, für die umfassendere gesetzliche Regelung des Verletztenbeistandes. Mein Dank gilt dem Herrn Bundesjustizminister, der mit diesem Gesetzentwurf meine vor kurzem in diesem hohen Hause getroffene Aussage bestätigt: Die Rechtspolitik ist zweifellos eines der Glanzstücke dieser Koalition. Wir werden diesen Gesetzentwurf in einer öffentlichen Anhörung mit Praxis und Wissenschaft diskutieren. Wir werden dabei die Stellungnahme des Bundesrates mit in unsere Überlegungen einbeziehen. Dabei ist unser Ziel klar und eindeutig: Der Verletzte darf nicht weiterhin funktionslose Prozeßfigur bleiben. Aber, meine Damen und Herren, diese unsere Zuwendung zum Opferschutz kann allein nicht ausreichen. Gefordert ist vielmehr eine noch effektivere Bekämpfung der Verbrechen. Denn: Straftaten, die verhindert werden, hinterlassen erst gar keine Opfer. Frau Hönes (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DIE GRÜNEN waren die ersten, die 1984 auf dem 55. Deutschen Juristentag die seit langem erhobenen Forderungen der Frauenbewegung nach einem gesetzlichen Opferschutz für Frauen aufgegriffen haben. Nur hat dieser Opferschutz mit dem, was nun in dem Regierungsentwurf als solcher verkauft wird, nur den Namen gemeinsam. Grüner Opferschutz, wie er auch im Antidiskriminierungsgesetz der GRÜNEN gesetzlich formuliert wird, ist gerichtet auf Sonderrechte für Frauen in Verfahren, die die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung zum Gegenstand haben. Hier vor al- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 16445* lem hat sich die Strafverfahrenspraxis als unzureichend und regelungsbedürftig erwiesen. Mit der ausladenden Beschränkung der Verteidigerrechte, die der Regierungsentwurf für sämtliche Strafverfahren vorsieht, hat das nichts zu tun. Unter dem Deckmantel des Opferschutzes wird hier versucht, rechtsstaatliche Errungenschaften rückgängig zu machen. Da hilft auch der Hinweis auf die Wahrung der Rechtsstellung des Beschuldigten nichts. Jede Erweiterung der Rechte der Verletzten hat zwangsläufig eine Verkürzung der Verteidigungsmöglichkeiten der Beschuldigten zur Folge. So beschneidet die vorgesehene Beschränkung des Fragerechts für Fragen, die den „persönlichen Lebensbereich" eines Zeugen bzw. seiner Angehörigen betreffen, auf solche Fragen, die für die Wahrheitsfindung unerläßlich sind, die Möglichkeiten der Verteidigung, das Zeugengewissen zu erforschen. Der Regierungsentwurf unterscheidet nicht nach unbeteiligten Zeugen und solchen, die zugleich Verletzte, „Opfer", sind. Er umfaßt alle Strafverfahren, also auch solche im Bereich der Wirtschaftskriminalität, obwohl sich, wie die Begründung des Entwurfs explizit und richtig vermerkt, ein Regelungsbedürfnis namentlich im Bereich der Sexualstraftaten gezeigt hat. Gleiches gilt auch für den Ausschluß der Öffentlichkeit. Hier soll allen Prozeßbeteiligten und Zeugen, deren Lebensbereich durch die prozessuale Erörterung von Umständen betroffen ist, ein Antragsrecht auf Ausschluß der Öffentlichkeit gegeben werden. Ich frage Sie: Was hat das mit Opferschutz zu tun, wenn in Zukunft die Flick-Affäre hinter geschlossenen Türen verhandelt wird? Hier soll doch ganz offensichtlich unter dem vorgeblichen Schutz von Opfern sexueller Straftaten das Öffentlichkeitsprinzip für alle Strafverfahren — auch solche, die von größtem öffentlichen Interesse sind — eingeschränkt werden, und zusätzlich sollen wesentliche Verteidigerrechte ausgehebelt werden. Wirksamer Opferschutz verlangt Regelungen, die gezielt und ausschließlich auf die Verbesserung der Stellung von Opfern in Strafverfahren ausgerichtet sind. Er ist im Interesse der Rechtsstaatlichkeit auf diejenigen Bereiche zu beschränken, in denen sich die gängige Verfahrenspraxis als für die Betroffenen unzumutbar erwiesen hat. Und das sind nachweislich nur die Verfahren wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Mißbrauchs, die für die betroffenen Frauen und Mädchen zum Spießrutenlaufen werden, Verfahren, in denen die Verteidigung in der Vergangenheit ihre Rechte mißbraucht hat, um Frauen bloßzustellen und zu demütigen. Für diese Frauen und Mädchen gibt der Regierungsentwurf wenig her. Zwar ist die Aufnahme der Vergewaltigungs- und sexuellen Nötigungsvorschriften in den Nebenklagekatalog zu begrüßen; zu begrüßen ist auch, daß in Abweichung vom ersten Entwurf den Nebenklägerinnen weitgehend prozessuale Rechte eingeräumt werden. Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach bürgerlich-rechtlichen Gesichtspunkten, also nur bei Bedürftigkeit und Erfolgsaussicht, und darüber hinaus nur dann, wenn die Mitwirkung eines Rechtsanwalts sachdienlich erscheint, hilft den Opfern wenig. So ist z. B. die Bedürftigkeit von Minderjährigen nach dem Elterneinkommen zu beurteilen. Ist dieses zu hoch, so wird auch einkommenslosen Minderjährigen die Prozeßkostenhilfe versagt. Auch kann die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht das ausschließliche Kriterium für die Notwendigkeit eines Rechtsanwaltes sein. Gerade in Vergewaltigungsverfahren erweist sich die anwaltliche Vertretung der Nebenklägerin regelmäßig deswegen als notwendig, weil die Frau einer psychologischen Unterstützung bedarf. Auch die vorgesehene Erleichterung des sogenannten Adhäsionsverfahrens entspricht nicht den Interessen der Opfer, die in der Regel erst den „Beweis" einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung in Händen und das belastende Verfahren hinter sich haben wollen, bevor sie sich mit der Frage der finanziellen Entschädigung auseinandersetzen. Den Opferschutz, den die GRÜNEN fordern, haben wir in unserem Antidiskriminierungsgesetz formuliert, das wir in diesem Herbst einbringen werden: Erstens. Bei Strafverfahren gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind Fragen nach dem sexuellen Vorleben der oder des Verletzten, soweit sie nicht in Beziehung zur Tat oder zum Täter stehen, unzulässig. Zweitens. Ausschluß der Öffentlichkeit in diesen Verfahren, wenn die oder der Verletzte es beantragt, für die Dauer ihrer oder seiner Vernehmung. Drittens. Obligatorische Bestellung einer Rechtsanwältin bzw. eines Rechtsanwalts bei Nebenklagen in diesen Verfahren unter Erstattung der Gebühren durch die Staatskasse. An Stelle einer Erweiterung der Adhäsionsverfahren fordern wir die Begleichung der Schmerzensgeldansprüche von Vergewaltigungsopfern durch den Staat, der sich seinerseits unmittelbar an die Täter wenden kann, um die vorgestreckte Summe zurückzuerhalten. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß der manchmal lebenslange Kontakt von vergewaltigten Frauen mit dem Täter über Vollstreckungsmaßnahmen mindestens ebenso belastend wirkt wie die Tat selbst. Insoweit ist eine Neugestaltung und Ausweitung des Opferentschädigungsgesetzes, etwa analog des Unterhaltsvorschußgesetzes, so dringend geboten wie eine Änderung des Strafprozeßrechts. Beckmann (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vom Bundesjustizminister heute vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Stellung der Verletzten im Strafverfahren wird von der FDP-Fraktion einheitlich begrüßt. Wir danken dem Bundesjustizminister und seinem Hause für die außerordentlichen Anstrengungen, die bis heute unternommen wurden, um eine effektive und entscheidende Verbesserung der prozessualen Stellung des Verletzten im Strafverfahren zu 16446* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 213. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1986 erreichen. Dabei ist — das wird auch von meiner Fraktion so gesehen — keine völlige Neuordnung der rechtlichen und prozessualen Bedingungen für die Stellung des Opfers geplant, also kein weiterer Schritt auf dem befürchteten Weg zu einer „Gesamtreform des Strafverfahrens durch Teilgesetze", wie dies teilweise in der Literatur behauptet wird. Ich möchte es mir ersparen, zu so fortgeschrittener Stunde noch auf alle Einzelheiten des vorliegenden Entwurfs einzugehen; hierfür werden die Ausschuß-Beratungen noch ausreichend Raum geben. Ich möchte aber zumindest auf die — nach meiner Auffassung — drei wichtigsten Elemente des Entwurfs kurz eingehen. Wir sehen — im Gegensatz etwa zu der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes = die Erweiterung des Kreises der zur Nebenklage berechtigten Personen durchaus als probates Mittel an, die Beteiligungsbefugnisse und damit die prozessuale Stellung des Verletzten zu verbessern. Wir erhoffen uns durch die damit erreichte Ausweitung bzw. Neubegründung prozessualer Rechte für das Opfer und dessen Rechtsvertreter mehr Möglichkeiten des Einflusses auf den Gang des Verfahrens und damit eine entscheidende Verbesserung des prozessualen Gleichgewichts zwischen Opfer- und Täterseite. Dies entspricht nichts anderem als der Verwirklichung eines uralten prozessualen Grundsatzes, nämlich dem des fair trial, des fairen Verfahrens. Darüber hinaus, glauben wir, wird insbesondere durch die Maßnahmen, die der Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes des Opfers dienen, endlich dem vielfach zu beobachtenden Mißstand, daß sich eine große Zahl von Sensationsgierigen an der Qual des Opfers weidet, ein Ende bereitet. Endlich wird der unhaltbare Zustand beendet, daß die Opfer vor aller Öffentlichkeit und in aller Breite gezwungen werden, das ihnen angetane Verbrechen neu zu durchleben und in allen Einzelheiten zu schildern. Dieser Vorgang kann nunmehr durch den Ausschluß der Öffentlichkeit von bestimmten Zeugen- und Opferbefragungen verhindert werden. Wir betrachten das als einen Beitrag zur Wiederherstellung einer gewissen Prozeßhygiene, als einen Beitrag zur Wiederherstellung des anständigen Umgangs miteinander. Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch sagen, daß ich es außerordentlich bedauere, wenn es erst dieses Gesetzes bedarf, um die am Verfahren Beteiligten wieder in ihre Anstandsschranken zurückzuweisen. Es ist wahrlich ein trauriges Bild, wenn der Staat — und uns Liberalen fällt das bekanntlich besonders schwer — mit legislativen Mitteln versuchen muß, diesen Anstand wiederherzustellen. Als letzten Punkt begrüßen wir die jetzt geschaffene Möglichkeit, den dem Opfer zustehenden Schadensersatzanspruch in größerem Umfange als bisher in das Strafverfahren einzubringen. Wir sehen hier die, wenn auch geringe Chance, daß die Wiedergutmachung des durch die Tat angerichteten Schadens gefördert, vor allem beschleunigt wird. Lassen Sie mich zum Schluß zu dem vorgelegten Entwurf noch folgendes sagen. Wir haben immer betont, daß wir neue rechtliche Regelungen immer nur dann zulassen wollen, wenn die Umstände sie unumgänglich machen und wenn sie am äußerst Notwendigen orientiert sind. Diese Umstände sind im vorliegenden Fall erfüllt. Denn Aufgabe des Staates ist es nicht nur, durch Aburteilung des Täters für Gerechtigkeit Sorge zu tragen, Aufgabe des Staates ist es auch, den Opfern von Straftaten zu helfen, ihnen den Schutz zu garantieren, der ihnen gerade im Hinblick auf die erfahrenen Leiden zukommt. Wir haben aber auch immer gesagt, daß wir einer Rechtsbegrenzung — hier dem Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens — nur zustimmen, wenn sie auf der anderen Seite durch eine Rechtserweiterung — hier der Rechte des Verletzten — gedeckt ist. Auch diese Voraussetzungen sind unserer Auffassung nach erfüllt. Rechtsstaatlichkeit ist eben Machtbegrenzung durch Normsetzung, ist eben Grundrechtsschutz durch Gewährung rechtsstaatlicher Verfahren, aber und vor allem auch Grundrechtsschutz im rechtsstaatlich garantierten Verfahren.
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    Rede von Konrad Porzner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat diese Gesetzentwürfe, die heute auf Antrag der Koalitionsfraktionen auf die Tagesordnung gesetzt werden sollen, vor Monaten beschlossen, dem Bundesrat zugeleitet. Der Bundesrat hat sie erörtert, und dann sind diese Gesetzentwürfe auf ordnungsgemäßem Weg dem Bundestag zugeleitet worden.
    Herr Vogel von den Grünen, es ist ein schlechter parlamentarischer Stil, die Beratung von Gesetzentwürfen an sich zu verweigern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Senfft [GRÜNE]: Das habt Ihr bei § 116 auch gemacht! — Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Gucken Sie doch nicht so sauertöpfisch!)

    Wenn die Mehrheit im Bundestag bei Gesetzentwürfen der GRÜNEN mit dem gleichen Maßstab handelte, den Sie an diese Gesetzentwürfe anlegen, dann müßten Sie ertragen, daß Ihre Gesetzentwürfe größtenteils gar nicht auf die Tagesordnung gesetzt würden.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Das will ich nicht. Deswegen geht es hier um das Verfahren, und deswegen kann und will ich nicht über die Sache sprechen. Verfahrensfragen sind wichtige demokratische und parlamentarische Fragen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)




    Porzner
    Niemand gießt Öl ins Getriebe des Parlaments, wenn er auch Gesetze debattiert, mit denen er am Ende nach der Beratung nicht übereinstimmt und sie dann mit sachlicher Begründung ablehnt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Die erste Lesung hat die Aufgabe, grundsätzliche Fragen solcher Gesetzentwürfe zu erörtern und vor allem die Differenzen zwischen der Opposition und der Koalition herauszustellen. Heute, meine verehrten Damen und Herren von der Koalition, steht allerdings auch zur Debatte, was es an schwerwiegenden Differenzen innerhalb des Regierungs-, des Koalitionslagers gegeben hat.
    Im Kabinett ist bei Anwesenheit der Minister der FDP zugestimmmt worden. Kurz danach hat der Generalsekretär der CSU die inzwischen durch den FDP-Bundesvorstand erfolgte Ablehnung der Gesetzentwürfe als unverantwortlich gegeißelt. Der FDP-Vorstand hat dann Stoibers Angriffe wiederum als „unsinnige Störung der Regierungsarbeit" zurückgewiesen. Kanzler und Fraktionsführungen mußten Krisensitzungen abhalten. Der Außenminister mußte eine Botschafterkonferenz in Afrika kurzfristig absagen, weil er zu Hause unabkömmlich ist. Dieses Durcheinander, meine Damen und Herren, zeigt den desolaten Zustand der Regierung und die Handlungunsfähigkeit der Koalition in vielen, vielen Fragen, nicht nur in diesem Fall.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Der Kommentator der „Süddeutschen Zeitung" hat heute in anderem Zusammenhang geschrieben:
    Sie
    — also die Koaltion —
    hat eine beklemmende Neigung entwickelt, ein und das dasselbe Problem immer von neuem umzuwenden und selbst dann, wenn sie zu Ergebnissen kommt, diese wieder in Frage zu stellen. Politiker
    — die der Koaliton sind gemeint —
    sind nicht einmal imstande, die Regierungsgeschäfte handwerklich sauber abzuwickeln.
    So ein neutraler Kommentator.
    Meine Damen und Herren, die öffentlich geführten heftigen Auseinandersetzungen im Regierungslager zwingen uns dazu, den Antrag zu stellen, daß hier nicht nur kurz eine Stunde debattiert wird, sondern daß wir für diesen beantragten Tagesordnungspunkt zwei Stunden Debattenzeit erhalten.

    (Seiters [CDU/CSU]: Wann?) Das beantrage ich hiermit.

    Damit wir diese Zeit bekommen, beantrage ich zugleich, daß die Debattenzeit für den Tagesordnungspunkt 2 von drei aunf zwei Stunden verkürzt wird.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Nachmittags haben wir nämlich wiederum ein anderes wichtiges Thema zu erörtern, und zwar die
    Agrarpolitik, bei dem wir alle miteinander die Debattenzeit nicht verkürzen wollen. Weil wir aus dem Tag nicht mehr als 14 Stunden Beratungszeit machen können, müssen wir es innerhalb der Zeit schaffen, die uns zur Verfügung steht.
    Danke schön.

    (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: Also weniger zum Arbeitsmarkt!)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Wird weiter das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Es ist wohl logisch, wenn ich zuerst über den Antrag der SPD abstimmen lasse, ob wir eine einstündige oder eine zweistündige Debatte führen.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Wer für den Antrag der SPD ist, den bitte ich um Zustimmung. — Wer stimmt dagegen? — Das ist die Mehrheit. Dann ist dieser Antrag abgelehnt.
Wer stimmt dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zu, die vorhin von mir verlesenen Gesetzentwürfe der Bundesregierung auf den entsprechenden Drucksachen neu auf die Tagesordnung zu setzen? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist dieser Antrag bezüglich der Aufsetzung auf die Tagesordnung bei einer großen Anzahl von Stimmenthaltungen mit Mehrheit angenommen worden.
Ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt
Hierzu ist ein Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/ 5389 angekündigt. Er liegt noch nicht vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Altestenrat sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Die Koalition aus CDU, CSU und FDP ist noch nicht vier Jahre im Amt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Und schon zerstritten!)

    Wir stehen vor der Schlußrunde der Legislaturperiode. Das ist eine gute Gelegenheit, vor dieser Schlußrunde in einer Besinnungspause Rückblick und Ausschau zu halten.
    1982 schrumpfende Wirtschaft, 1986 wachsende Wirtschaft; 1982 Rückgang des Bruttosozialprodukts, minus 1 %, 1986 Anstieg des Bruttosozialprodukts um über 3%; 1982 Arbeitsplatzabbau, Beschäftigungsrückgang, 1986 Arbeitsplatzgewinn, Beschäftigungszuwachs; 1982 Beschäftigtenzahlen minus 400 000, 1986 Beschäftigtenzahlen plus 300 000.

    (Zuruf des Abg. Dr. Penner [SPD])




    Bundesminister Dr. Blüm
    In den beiden letzten Jahren der Regierung Schmidt ging die Zahl der Erwerbstätigen um 820 000 zurück.
    Meine Damen und Herren, Aufbau ist immer schwerer als Abbau. Das weiß jeder Maurer. Mit dem Bulldozer haben Sie ein Haus schnell abgerissen, aber der Aufbau ist schwierig. Wir müssen gutmachen, was der Beschäftigungsverlust der achtziger Jahre für die deutsche Volkswirtschaft bedeutet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich komme zu den Preisen. 1982 Kaufkraftverlust durch Preisanstieg um 5,3%; 1986 Preisstabilität; die Inflationsrate bewegt sich im Jahresdurchschnitt um 0,5%.
    Realeinkommen: 1982 Rückgang, minus 2,2 %; 1986 ein Plus, Anstieg der Realeinkommen um 4 %.
    Soziale Sicherheit: 1982 Milliardendefizite und Einsturzgefahren, 1986 Finanzstabilität; 1982 allein in der Bundesanstalt ein erwartetes Defizit von 14,2 Milliarden DM für 1983, 1986 wieder Handlungsspielraum für aktive Arbeitsmarktpolitik.
    Rentenversicherung: 1982 auf dem Wege in die Zahlungsunfähigkeit, 1986 wachsen zum erstenmal seit 13 Jahren wieder die Rücklagen in der Rentenversicherung. Die Finanzen der Rentenversicherung kannten in 13 Jahren nur eine Bewegung, auf der Rutschbahn nach unten. Wir bauen die Rücklage wieder auf.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Diese wenigen Punkte zeigen: Das ist das Kontrastprogramm zweier Regierungszeiten. Die Zeitpunkte des Vergleichs liegen nicht 20 Jahre auseinander, sondern knapp dreieinhalb Jahre. Das politische Gedächtnis ist kurzlebig. Deshalb muß ihm nachgeholfen werden. Diese Regierungserklärung soll eine Gedächtnisstütze sein.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Vor vier Jahren machte sich in der Bundesrepublik eine Resignation breit. Eine Frustrations-Schickeria bestimmte die öffentliche Meinung. Man begann, sich im Untergang heimisch einzurichten. Vier Jahre später ist Zuversicht wieder gesellschaftsfähig, und Selbstvertrauen gilt nicht als psychischer Defekt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lange [GRÜNE]: Das merkt man an Ihnen!)

    Das ist eine Wende der politischen Mentalitäten. Anders als in autoritären Befehlswirtschaften sind eine Soziale Marktwirtschaft und eine demokratische Gesellschaft auf das Selbstvertrauen ihrer Bürger angewiesen. Nicht die da oben und nicht die anderen lösen die Probleme, sondern wir, wir alle oder niemand. Das ist die Gesinnung einer demokratischen Gesellschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das ist die Mentalität der Sozialen Marktwirtschaft.
    Nicht mit Wehleidigkeit und Egoismus, sondern mit Zusammenhalten und Zuversicht wurden Schutt und Trümmer im Nachkriegsdeutschland beiseite geräumt. Die Nachkriegsdeutschen hatten die Nase voll von Bürokratie, Behörden und Bezugsscheinen. Sie hatten erlebt, wohin politischer Fanatismus führt. Demokratie und soziale Marktwirtschaft, das war die Antwort auf Hitler und Elend.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Selbstvertrauen und Solidarität, Zusammenhalten und Zuversicht, das sind die Wegweiser unserer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Zeiten ändern sich. Andere Bewährungen, andere Herausforderungen sind unserer Zeit gestellt. Aber es bleibt bei der grundlegenden Erfahrung: Ohne Vertrauen zu sich selbst, ohne Anstrengung wird keine Not beseitigt, kein Hindernis überwunden und kein Problem gelöst.
    Die nachindustrielle Gesellschaft wird uns möglicherweise aus manch harten Zwängen der industriellen Epoche entlassen. Aber auch sie wird kein Schlaraffenland bieten. Ich wünsche es uns auch nicht, weil ohne Arbeit, Anstrengung und Bewährung die Menschen nicht zu sich selber finden und es keine Zufriedenheit gibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Arbeit ändert sich — das stimmt —, aber der Wille zur Anstrengung, zur Leistung muß erhalten bleiben. Eine alternative Leistungsverweigerung ist nur durch die Schaffenskraft „der anderen" lebensfähig.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    Die Arbeiterschaft als Wirtstier alternativer Ausbeutung, das ist nicht unser Programm.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir machen Politik für die, die arbeiten wollen, und für die, die arbeiten wollen, aber nicht können; aber wir machen keine Politik für die, welche arbeiten können, aber nicht wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Hinter der Verachtung der Leistung versteckt sich häufig eine kindliche Sehnsucht nach Betreuung und Vormundschaft. Das sind die Verbündeten einer neuen Unterdrückung, die sich in das Wohlwollen der Bürger mit dem Versprechen einschmeichelt, ihnen alle Probleme abzunehmen, aber als Preis die Entwöhnung von Selbstverantwortung und Freiheit verlangt.
    Selbstverantwortung darf keine Selbstbespiegelung sein, in der der einzelne möglicherweise zur Überheblichkeit verleitet wird. Nach unserem Verständnis geht in das Selbstvertrauen Solidarität ein, die Notwendigkeit, den Schwachen zu helfen. Zusammenhalten und Zuversicht, Selbstvertrauen und Solidarität. Die Hilfe bleibt zuerst und vor allem Hilfe zur Selbsthilfe. Deshalb ist die Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, die größte Gefahr



    Bundesminister Dr. Blüm
    für die Politik der Selbsthilfe. Kampf für Vollbeschäftigung ist Kampf für die Möglichkeit, daß jeder sich selbst helfen kann, daß er mit seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt und den der Seinen verdient. Keine noch so hohe Unterstützung macht dieses elementare Recht der Menschen vergessen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir brauchen unsere Ergebnisse nicht zu verstecken. Grund zur Selbstzufriedenheit, die Hände gar in den Schoß zu legen, gibt es nicht angesicht der Arbeitslosigkeit. Wir rufen auf zur Anstrengung, zur Zusammenarbeit aller, der Tarifpartner, der Regierung. Unsere Maxime bleibt Initiative, Innovation, Investition. Das ist das Dreigespann wirtschaftlicher und sozialer Besserung.
    5 % Inflation sind besser als 5 % Arbeitslosigkeit, war die Maxime von Helmut Schmidt. Aber was als Alternative gedacht war, war am Schluß ein Doppeldesaster. Wir hatten beides, mehr Inflation als 5 % und mehr Arbeitslosigkeit als 5 %. Heute haben wir eine Traumkonstellation von Wachstum und Preisstabilität. Wir liegen entgegen der gestrigen Darstellung der Opposition auch im europäischen Vergleich an der Spitze von Preisstabilität und Wachstum, und alle bestätigen uns gute Aussichten. Zitat: „Die Bundesrepublik Deutschland, Europas größter Wirtschaftsbereich, hat Aussicht auf ihr kräftigstes Wachstum seit 1979", schreibt Newsweek am 17. Februar 1986. Und „Financial Times" spricht sogar von einem dritten deutschen Wirtschaftswunder. 1982 lagen wir im Wachstum 0,7 % hinter dem europäischen Durchschnitt der OECDLänder, heute liegen wir mit 0,5 % vorn.
    Unsere Wirtschaft befindet sich im Wandel. Aber es gibt genügend Bedürfnisse, und weil es genügend Bedürfnisse gibt, weil wir nicht in einer satten befriedigten Welt leben, muß es auch genug Arbeit für alle geben. Wir folgen nicht einem Fatalismus, als müßte man sich mit der Arbeitslosigkeit abfinden.
    Auch im internationalen Vergleich zeigen sich weitere Entwicklungschancen bei uns. Wir hinken im Dienstleistungsbereich hinterher, einem Bereich mit großen Zukunftschancen. Ich sehe in der Dienstleistung auch neue Chancen für Beschäftigung. Das Wirtschaftswachstum wird durch seine Verlagerung in den Dienstleistungsbereich beschäftigungsintensiver. Nicht jede Dienstleistung läßt sich maschinisieren. Die Nachfrage nach menschlicher Zuwendung wird von keiner Maschine ersetzt. Die Dienstleistung für den Menschen, die Zuwendung zum Menschen braucht ein neues Image in unserer Gesellschaft. Es ist ja verräterisch, es geht uns leicht von den Lippen, zu sagen, wir bedienen Maschinen. Menschen zu bedienen gilt fast als diskriminierend. Das ist eine Irrationalität unserer Gesellschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich fordere findige Unternehmer auf, die Marktlücken zu entdecken, in denen auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Unternehmer als Spurenleser neuer Bedürfnisse, das sind die Unternehmer der Zukunft. Ich bin ganz sicher, daß sie sich nicht nur in den Großkolossen der deutschen Wirtschaft finden, daß die kleinen, die mittleren, die Handwerker aufgerufen sind. Von ihnen erwarten wir uns ein Potential von Innovation und Initiative.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sehe auch so manches schnelle Vorurteil. Im Dienstleistungsbereich werden keineswegs die unqualifizierten Arbeitskräfte bevorzugt, wie mancherorts vorschnell behauptet wird. Ein Blick in die Entwicklung in den Vereinigten Staaten zeigt, daß der Zuwachs gerade im gewerblichen Dienstleistungsbereich überproportional stark war, in Daten- und Beratungsdiensten, und daß dort bevorzugt qualifizierte Arbeitnehmer beschäftigt werden.
    Investitionen, das zweite Stichwort: Ohne Investitionen gibt es keine Arbeitsplätze. Investitionen fallen nicht vom Himmel; sie brauchen Auslöser. Der Zuwachs an Realeinkommen schafft eine solide fundierte Nachfrage, und ein stabiler Geldwert schützt vor strukturellen Fehlinvestitionen. Niedrige Zinsen verstärken die Investitionsneigung. Um viereinhalb Prozentpunkte sind die Zinsen für die Unternehmen seit 1982 gesunken. Das bedeutet einen zusätzlichen Investitionsspielraum von 35 Milliarden DM. Mehr als Ihre ganzen staatlichen Beschäftigungsprogramme haben wir durch Zinssenkung erreicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zinssenkung ist ein lautloses Beschäftigungsprogramm. Zinssenkung ist ein Investitionsprogramm ohne Formulare, Planungsräte und Genehmigungsbehörden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sinkendes Zinsniveau wurde durch Sparen in den öffentlichen Haushalten angetrieben. Die Früchte des Sparens reifen in steigenden Investitionen: Die realen Ausrüstungsinvestitionen hatten von 1980 bis 1982 um 14 Milliarden DM abgenommen, von 1983 bis 1985 nahmen sie um 11 Milliarden DM zu, 1986 werden sie real wahrscheinlich um 12 Milliarden DM erhöht. Sie sehen immer das gleiche Beispiel: Bei der SPD ein Minus, bei uns Plus.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    — Wenn es bezweifelt wird, kann ich es gern wiederholen: minus 14 Milliarden DM Investitionen zwischen 1980 und 1982, 1983 bis 1985 plus 11 Milliarden DM!
    Wir wollen die Investitionen mit Eigentum in Arbeitnehmerhand verbinden; wir wollen das wirtschaftspolitisch Notwendige mit dem sozial Erwünschten verbinden. Deshalb nutze ich die Gelegenheit, auch die zweite Stufe der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand noch für diese Legislaturperiode anzukündigen. Wir wollen den Arbeitnehmer als Miteigentümer, wir wollen nicht das Bonzeneigentum, wir wollen das Arbeitnehmereigentum.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Investitionen müssen mit Modernisierung verbunden sein. Arbeitsplatzverluste haben nicht in



    Bundesminister Dr. Blüm
    den hochmodernen Branchen stattgefunden, sondern eher dort, wo man die alten Klamotten mit Ruhekissen verwechselt hat. An der Spitze der Investitionsnachfrage standen 1985 die Aufträge für EDV-Geräte mit einem Plus von 22 %. Diese technisch hochentwickelten Erzeugnisse gehen vielfach in mikroelektronisch veredelte Erzeugnisse des Maschinenbaus und der elektronischen Industrie ein.
    Wir wollen den Wandel, der damit bedingt ist, auch die Umstellung von der alten in die neue Industrie nicht wie eine Naturkatastrophe erleiden, sondern sozial verantwortlich gestalten. Unser Programm heißt nicht einfach „Marktwirtschaft", es heißt „Soziale Marktwirtschaft".

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Deswegen haben wir den Bau nicht im Stich gelassen. Ein Dringlichkeitsprogramm von 2,5 Milliarden DM hat ein Bauvolumen von rund 100 000 Wohnungen ausgelöst. Wir haben die Bundesmittel für Städtebauförderung verdreifacht und der mittelständischen Bauwirtschaft durch Kreditprogramme von über 4 Milliarden DM unter die Arme gegriffen. Wir haben Abschreibungen erleichtert. Kohle und Stahl wurden nicht im Stich gelassen. Die Stahlindustrie erhielt 3 Milliarden DM. Selbst Lafontaine überwindet seine Stahlschwierigkeiten mit Unterstützung der Bundesregierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Hornung [CDU/CSU]: Nur mit dieser!)

    Wir haben den Steinkohlenbergbau durch die Finanzierung von Anpassungsschichten davor bewahrt, daß Umstellung mit Entlassung verbunden wurde. Wir haben die Werftindustrie unterstützt. Das Schiffahrtsförderungsprogramm beträgt 250 Millionen DM — nicht um Strukturen zu erhalten, sondern um den Übergang sanft, sozial erträglich zu gestalten. Wir brauchen nicht nur wirtschaftliche, wir brauchen auch soziale Innovation.
    Unsere Umweltschutzpolitik ist arbeitsplatzwirksam. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung löst ein Milliardenprogramm von Investitionen aus. Mit unserer Umweltpolitik sichern wir rund 400 000 Arbeitsplätze. Wir haben die ERP-Programme für Umweltschutz 1986/87 um 1,6 Milliarden DM erhöht.
    Meine Damen und Herren, ich nenne das alles so ausführlich auch mit Zahlen, weil ich fürchte, am 1. Mai werden diese Zahlen vom DGB als Staatsgeheimnis behandelt werden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Arbeitsmarkt ist in Bewegung geraten. 2,6 Millionen Arbeitslose haben im letzten Jahr wieder Arbeit gefunden. Wir haben die höchste Wiederbeschäftigungsquote seit Jahren. 1985 gab es bei den Arbeitsämtern 500 000 — eine halbe Million! — mehr Vermittlungen als 1982. Im ersten Vierteljahr dieses Jahres ist die Zahl der neuen Arbeitslosen, die zuvor Erwerbsarbeit ausübten, um 5 % niedriger als im Vorj ahr, dagegen die Zahl der neuen Arbeitslosen, die vorher gar nicht beschäftigt waren, um 3 % höher als im letzten Jahr.
    Mit anderen Worten, die Zahl der Entlassungen hat abgenommen, die Zahl der Arbeitslosen, die zum erstenmal nach Arbeit nachfragen, hat zugenommen. Das hängt mit vielen Gründen zusammen, auch mit den geburtenstarken Jahrgängen.

    (Zuruf von der SPD: „Erblast"!)

    Es kommen mehr Jugendliche auf den Arbeitsmarkt, als Ältere ausscheiden. Belastungen des Arbeitsmarktes ergeben sich auch aus verändertem, von mir nicht kritisiertem Erwerbsverhalten der Frauen. Wir nehmen auch diese Herausforderung an.
    Wir brauchen Modernisierung der Wirtschaft, wir brauchen Strukturwandel, wir brauchen unternehmerische Initiative, Investitionen. Wenn ich von Modernisierung der Wirtschaft spreche, denke ich nicht nur an die Erneuerung des Maschinenparks. Nur qualifizierte Arbeitnehmer werden die modernen Arbeitsplätze beherrschen. Nur qualifizierte Arbeitnehmer schaffen auf modernen Arbeitsplätzen intelligente Produkte. Intelligente Produkte, das ist auch unsere weltwirtschaftliche Chance. Unser wichtigster Produktionsfaktor — wichtiger als jeder Rohstoff, wichtiger als jede Maschine — sind die Arbeitnehmer, sind qualifizierte Arbeitnehmer, mit denen wir unseren Wohlstand sichern, mit denen wir auch unseren Sozialstaat finanzieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Qualifizierung beginnt bei der Lehrlingsausbildung. In drei Jahren hintereinander sind Ausbildungsrekorde geschafft worden. Herr Vogel, wie kamen Sie eigentlich gestern dazu, in einer Litanei die Nachkriegsrekorde aneinanderzureihen? Sie scheinen Plus mit Minus verwechselt zu haben.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Er spricht von Negativrekorden. Ist das ein Negativrekord, daß wir in drei Jahren hintereinander mehr Lehrplätze als je zuvor geschaffen haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Vogel, wenn ich noch etwas von Mathematik verstehe: Ist es ein Negativrekord, daß wir 1985 66 000 Lehrverträge mehr hatten als 1982, Herr Vogel?
    Das Hauptverdienst — das will ich hier gestehen — tragen jene Mitbürger, Unternehmer, Handwerker, Betriebsräte, Gewerkschafter, die mehr getan haben, als es ihre Pflicht gewesen wäre, mehr als normal. Die haben für die junge Generation mehr getan als alle Ideologen zusammen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesregierung hat sich dabei nicht auf die Zuschauerbank gesetzt. Auch wir haben mitgewirkt. Die Berufsausbildungsbeihilfen wurden verbessert. — Herr Vogel, ich bitte um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Liest Zeitung!)

    Die Zahl der Teilnehmer im Benachteiligtenprogramm ist innerhalb von vier Jahren vervierfacht worden.

    (Seiters [CDU/CSU]: Zuhören!)




    Bundesminister Dr. Blüm
    Herr Vogel, ist das Nachkriegsrekord? Ist das negativ oder positiv?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Das wollen die nicht hören!)

    Noch einmal: im Benachteiligtenprogramm vervierfacht in vier Jahren! 1984/85 75 000 junge Arbeitnehmer in Berufsvorbereitenden Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit! Das sind 58 % mehr als 1981/82. Ist das Negativrekord? Ist das Negativrekord, Herr Vogel?

    (Zurufe von der SPD — Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Er hört gar nicht zu!)

    — Das ist ja auch peinlich. — 120 000 junge Arbeitnehmer unter 25 Jahren haben 1985 an Maßnahmen der beruflichen Fortbildung, Umschulung und betrieblichen Einarbeitung teilgenommen. Das sind 59 % mehr als 1982.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Im Durchschnitt des vergangenen Jahres waren 30 000 junge Arbeitnehmer in Arbeitsbeschaffungsprogrammen. Das ist gegenüber 1982 eine Steigerung von 275 %.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Ich reihe aneinander: Lehrlingszahl 66 000 mehr als 1982. Benachteiligtenprogramm vervierfacht, berufsvorbereitende Maßnahmen um 58 %, ABM für Jugendliche um 275 %. Wir brauchen die Zahlen nicht zu verheimlichen. Wir brauchen unsere Politik nicht zu verstecken. Wir haben den Arbeitslosen geholfen, nicht mit Worten, Programmen, sondern mit Taten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wie kommt denn der Herr Vogel dazu, zu sagen, wir hätten nichts gemacht, wenn er weniger gemacht hat? Das kommt mir so vor, als wenn einer ein Fußballspiel 5:0 verliert und anschließend den anderen das Toreschießen lehren will. So ähnlich ist das.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Weniger gemacht als wir und uns dann vorwerfen, wir hätten nichts gemacht!
    Wir haben in der siebten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz ein Bündel weiterer Maßnahmen für die Ausbildung und Fortbildung junger Arbeitnehmer angeboten; auch unkonventionelle: Teilzeitarbeit mit Teilzeitbildung. Wir haben die soziale Lage der jungen Arbeitslosen verbessert. Wir haben die jungen Arbeitslosen wieder in die Krankenversicherung, wieder ins Kindergeld hineingenommen, aus denen sie von unseren Vorgängern herausgeschmissen worden waren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die werfen heraus, wir holen herein, und Sie werfen uns Sozialabbau vor. Wo bin ich denn? Bal paradoxe.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren ging in den letzten zwei Jahren deutlich zurück. Trotzdem schreibt die SPD: Die Berufsnot unserer Jugendlichen wächst. In demselben Bericht über den Arbeitsmarkt gibt sie dann selber die Zahlen bekannt: unter 20 Jahren minus 1 % gegenüber dem Vorjahr, von 20 bis 24 Jahren minus 4 %.
    Berufliche Bildung darf sich allerdings nicht allein auf Erstausbildung und Jugendliche konzentrieren. Berufliche Weiterbildung, Fortbildung wird zum Normalfall des Arbeitslebens. Fachleute schätzen z. B., daß schon in fünf Jahren 70 % aller Beschäftigten zumindest Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Informationstechnik haben müssen. Der gegenwärtige Kenntnisstand beträgt schätzungsweise 5 %. Sie sehen, wir schaffen es gar nicht über Erstausbildung. Wir brauchen die Weiterbildung, auch die berufliche Weiterbildung der erwachsenen Arbeitnehmer. So erfolgreich, wie unser duales System in der Lehrlingsausbildung war, so erfolgreich muß auch die Weiterbildung der Arbeitnehmer sein.
    Die Klage vieler Unternehmer über Facharbeitermangel bringt mich zu der Frage, was denn die Unternehmer tun, diesen Facharbeitermangel zu beseitigen oder ihn gar nicht erst entstehen zu lassen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gut!)

    Facharbeiter fallen nicht vom Himmel. Sie müssen in den Betrieben aus- und weitergebildet werden. Wir wollen nicht die absolute Verschulung aller Weiterbildungssysteme, wir wollen nicht die absolute Verstaatlichung. Wenn wir das nicht wollen, fällt den Betrieben die Hauptaufgabe der Weiter- und Fortbildung zu.

    (Hornung [CDU/CSU]: Richtig!)

    Auch hier sitzen wir nicht auf der Zuschauerbank. Wir wollen diese betrieblichen Anstrengungen unterstützen. Wir haben unser Angebot der Unterstützung erweitert.
    Auch hier noch einmal Zahlen für die gesamte Arbeitsmarktpolitik: Wir geben in diesem Jahr 11,5 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik aus; 1982, Herr Vogel, 6,8 Milliarden DM. Wir geben 70 % mehr aus als 1982.
    Ich frage mich eigentlich, wie der Johannes Rau das machen will. Er will alle Einsparungen zurücknehmen. Wenn er alle Einsparungen zurücknimmt, muß er auch diese Verbesserungen zurücknehmen, es sei denn, er hätte eine himmlische Geldquelle.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Diese Verbesserung und Erweiterung unserer Arbeitsmarktpolitik ist nämlich auch aus den Früchten des Sparens finanziert. Wir machen keine kopflose Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich komme auch mit der Mengenlehre von Herrn Vogel nicht zurecht. Einerseits wirft er uns gestern vor, daß die Abgaben der Arbeitnehmer zu hoch seien. Andererseits wirft er uns vor, daß wir zuviel gespart hätten. Ein Vorwurf kommt dem anderen



    Bundesminister Dr. Blüm
    ins Gehege. Sie stolpern über die eigenen Beine Ihrer Vorwürfe.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich komme zurück auf die Zahlen. 1982 waren 265 000 Arbeitnehmer in Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und Umschulung, 1985 waren es 409 000. Steigerung — wieder ein Plus, Herr Vogel — 54 %.
    In den ersten drei Monaten dieses Jahres liegen wir mit 113 000 Neueintritten in berufliche Umschulung und Fortbildung um 80 % über dem Stand des vergleichbaren Zeitraums 1982.

    (Zuruf von der SPD)

    — Ich will Ihnen Zahlen nennen, damit wir uns auf dem Boden von Tatsachen bewegen.
    1982 29 200 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, 1985 waren es 87 000. In diesem Jahr werden es im Jahresdurchschnitt 100 000 Mitbürger sein, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Anspruch nehmen. Das ist eine Verdreifachung des Standes, den ich 1982 übernommen habe.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Hornung [CDU/CSU]: Und das ist finanziert!)

    Die SPD hat 1982 für berufliche Bildung und Rehabilitation Kürzungen in Höhe von 1,6 Milliarden DM vorgenommen. Wir haben in der Siebten AFGNovelle einige dieser Kürzungen wieder zurückgenommen. Wir haben sparen müssen. Sie erinnern sich daran, daß wir das Arbeitslosengeld für Arbeitslose ohne Kinder um 5 % absenken mußten, auch die Arbeitslosenhilfe. Das hat ein Sparvolumen von 1 Milliarde DM ausgemacht. Die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose, für diejenigen, die von der Arbeitslosigkeit besonders hart — durch Dauer — getroffen wurden, hat uns 2 Milliarden DM gekostet. Mit anderen Worten: Das Sparvolumen auf Grund der Kürzung des Arbeitslosengeldes ist geringer als die Ausweitung der Hilfe, die wir insbesondere in der Siebten AFGNovelle beschlossen haben.
    Sie sehen: Statt 6,8 Milliarden DM 11,5 Milliarden DM, ABM verdreifacht, Benachteiligtenprogramm vervierfacht, Fortbildung erhöht, Umschulung erhöht. Wir bleiben bei unserer Politik: Es muß gespart werden. Aber dem, der in Not ist, muß geholfen werden, und die wichtigste Hilfe ist, ihm die Chance zur Arbeit zu geben.
    Wir haben den Vorruhestand eingeführt und damit auch einen Beitrag zur Arbeitszeitdiskussion geleistet. Mit dem Rückkehrförderungsgesetz haben wir unseren ausländischen Mitbürgern und uns selbst geholfen. Wir haben das Kurzarbeitergeld verlängert, den Ehegattenfreibetrag in der Arbeitslosenhilfe verdoppelt.
    Meine Damen und Herren, es kommt nicht nur auf materielle Hilfe an, sondern auch auf einen Sozialstaat, der seine Schutzeinrichtungen immer wieder darauf überprüft, ob sie dem Gewollten, dem Zweck dienen. Das ist auch ein Teil unserer Intentionen im Beschäftigungsförderungsgesetz. Schutz darf nicht Sperre sein. Deshalb bieten wir in ungewöhnlichen Zeiten auch ungewöhnliche Instrumente an, auch den befristeten Arbeitsvertrag. — Unternehmer, stellt vorzeitig ein! Ihr habt die Chance, mit dem befristeten Arbeitsvertrag auch über unsichere Zeiten zu kommen. — Es ist besser, befristet Arbeit zu haben, als unbefristet arbeitslos zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir rücken der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung auf den Leib. Wir haben die Strafen für illegale Beschäftigung verschärft, nicht Geldstrafen, sondern Freiheitsstrafen. Wir rücken den Schwarzarbeitern mit 29 Stützpunktarbeitsämtern mit 350 besonders geschulten Mitarbeitern auf den Leib; denn der schönste Paragraph, das beste Gesetz nützen nichts, wenn sie nicht angewandt werden.
    Wir haben neuen Formen der Arbeitszeit zum erstenmal sozialen Schutz verschafft, Teilzeitarbeit gesetzlich gegen Benachteiligungen geschützt, Job-Sharing, dieses Zweierverhältnis, davor bewahrt, daß es wie siamesische Zwillinge funktionieren muß, daß der eine unauflöslich an den anderen gekettet ist. Wir haben der sogenannten kapazitätsorientierten Arbeitszeit die Giftzähne gebrochen, Ankündigungsfristen eingeführt, Mindestarbeitszeiten eingeführt. Wir haben im Konkursrecht festgelegt, daß im Konkursfall der Sozialplan wieder an Stelle 1 behandelt wird und nicht an Stelle 6 und die Arbeitnehmer leer ausgehen.
    Wir brauchen unsere Politik nicht zu verstecken. Wir haben den Arbeitnehmern geholfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben die Rückkehrmöglichkeiten der Frauen, die vorübergehend aus dem Erwerbsleben ausgeschieden waren, verbessert, indem wir ihnen auch nach längerer Zeit der Abwesenheit aus der Erwerbsarbeit wegen Kindererziehung Wiedereingliederungshilfen anbieten. Wir wollen die Rückkehr der Frauen ins Erwerbsleben auch dadurch erleichtern, daß Teilzeitarbeit mit Teilzeitbildung verbunden bleibt. Frauen, die zur Sicherung des Lebensstandards eine Arbeit aufnehmen müssen, etwa nach der Ehescheidung, können bei der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Bildung ein Unterhaltsgeld bekommen, das sie bisher nicht bekamen. Im vergangenen Jahr konnten 137 000 Frauen an Maßnahmen der beruflichen Bildung der Arbeitsämter teilnehmen. Das sind 52 000 mehr als 1982. Wir garantieren dem Elternteil, der das Erziehungsgeld in Anspruch nimmt, seinen Arbeitsplatz. Frauen sind im übrigen überproportional am Beschäftigungszuwachs beteiligt. 59 % des Zuwachses ging an Frauen.
    Wir haben die höchste Frauenerwerbsquote. Nie gab es mehr beschäftigte Frauen. Das heißt nicht, daß wir uns nicht um die Frauen kümmern, die um Arbeit nachsuchen. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß uns Fortschritte gelungen sind, daß die Frauenerwerbsquote heute bei 38,1 % angekommen ist.



    Bundesminister Dr. Blüm
    Ich will Ihre Aufmerksamkeit, unsere Aufmerksamkeit auf die besonders benachteiligte Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer lenken. Es sind vielfach Arbeitnehmer, die zuerst von der Krise in Mitleidenschaft gezogen wurden und die in Gefahr stehen, die letzten zu sein, die am Aufschwung partizipieren. Deshalb auch hier mein Appell an die Unternehmer: Der Leistungswille, die Leistungsfähigkeit vieler behinderter Mitbürger steht keinen Deut hinter dem der nicht behinderten Mitbürger zurück, und auch wer in seinen Möglichkeiten beschränkt ist, hat ein Recht, ein Bedürfnis mitzumachen, mitzuarbeiten. Auch hier gilt: Keine noch so hohe Unterstützung, auch nicht die Zahlung einer Ausgleichsabgabe kann wettmachen, daß der einzelne mitarbeiten will. Deshalb mein Appell hier auch von diesem Pult: Stellt schwerbehinderte Arbeitnehmer ein!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen in der Novelle zum Schwerbehindertengesetz die Einstellungschancen verbessern, auch die Ausgleichsabgabe erhöhen. Im übrigen liegt im März 1986 die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten um rund 10 000 unter der Vorjahreszahl.
    Meine Damen und Herren, wir sind am Ende einer Epoche angelangt, in der Gleichheit aller Regelungen das höchste Ziel war. Differenzierung ist das Gebot der Stunde. Wir dürfen nicht nur nach Maßnahmen Ausschau halten, die überall gelten können, die überall wirken. Laßt uns auch zu Teillösungen greifen! Was nicht überall geht, macht es dort, wo es geht! Was in einer Region hilft, aber in der anderen nicht, macht es in der Region, in der es hilft! Was in einer Branche hilfreich ist, in der anderen nicht, macht es in der Branche, in der es hilfreich ist! Das Alles-oder-nichts-Prinzip ist ein schlechter Ratgeber; gesucht wird nach mehr Einfallsreichtum von Arbeitgebern und Betriebsräten.
    Auch die Arbeitszeit muß aus dem Korsett starrer Einheitsregelungen. Der technische Fortschritt bietet uns zum erstenmal die Möglichkeiten, aus den Marschkolonnen des Arbeitszeitgleichschrittes herauszutreten, der technische Fortschritt bietet die Möglichkeit der Individualisierung, Leben und Arbeit wieder miteinander zu versöhnen, die Übergänge von der Erwerbsarbeit in den Ruhestand sachter zu gestalten, das zeitweise Austreten aus der Erwerbsarbeit, beispielsweise zugunsten der Kindererziehung, mit der Chance zu verbinden, später wieder zurückzukehren. Um dies zu erleichtern, laßt uns Abschied nehmen von den grauen Modellen des Kollektivismus und der Nivellierung!

    (Hornung [CDU/CSU]: Und des Klassenkampfes!)

    Die Zukunft liegt bei der Vielfalt, bei verbesserten Wahlmöglichkeiten der Lebensgestaltung für den einzelnen, für die Arbeitnehmer.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich appelliere auch an die Arbeitsverwaltungen, nicht auf dem erreichten Stand sitzenzubleiben, sondern wie Spürhunde auf der Suche nach neuen Arbeitsplätzen zu sein. Da wird nicht alle Hilfe nur in der Zentrale zu suchen sein, sondern auch die
    Selbstverwaltung vor Ort, ihr Potential an Engagement, Einfallsreichtum und Mitarbeiterwillen ist zu stärken.
    Meine Damen und Herren, ich will diesen Überblick mit dem aus meiner Sicht größten sozialen Erfolg dieser Legislaturperiode schließen. Der größte soziale Erfolg ist die Preisstabilität. „Westdeutschland ist Weltmeister in Inflationsbekämpfung", schreibt die „Washington Post".

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Auch hier stimmt der internationale Vergleich, den Sie gestern beschrieben haben, nicht. 1982 waren wir bei der Preissteigerung um 2,5 % schlechter als die OECD-Länder, heute sind wir um 3,5 % besser. Wir haben Preisstabilität und im Nahrungsmittelbereich stellenweise sogar Preisrückgänge. Preisstabilität ist der größte Erfolg für soziale Politik; denn eine Umverteilung, die den Bürgern durch Inflation mehr aus der Tasche zieht, als sie ihnen durch Sozialpolitik zuvor gegeben hat, ist eine betrügerische Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Preisstabilität ist solide Politik. Inflation sind die Potemkinschen Dörfer der Sozialpolitik, nichts als nur Fassaden, aber nichts zum Wohnen. Was haben die Rentner von ihrer Rentenerhöhung zu SPD-Zeiten gehabt, wenn die Preissteigerungsraten noch höher waren? Was haben die Arbeitnehmer von einer Lohnpolitik gehabt, wenn die Lohnerhöhungen durch Inflation aufgefressen wurden?
    Preisstabilität — das ist ihr politischer Wettbewerbsnachteil — ist eine stille Politik. Preisstabilität ist Sozialpolitik auf leisen Sohlen. Die Umverteiler haben es leichter. Sie holen klammheimlich den Leuten das Geld aus der Tasche und geben mit großem Spektakel zurück, was sie vorher genommen haben.

    (Hornung [CDU/CSU]: Aber nur einen Teil!)

    Wir sagen: Preisstabilität, vernünftige Steuerpolitik ist die beste Politik der Verteilung. Laßt den Leuten das Geld! Die wissen mit dem Geld besser umzugehen, als diese ganzen Umverteilungsakrobaten glauben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Hätten wir noch eine Inflationsrate von 5 %, dann wären auch die Steuereinnahmen höher, und zwar ohne daß ein Paragraph verändert worden wäre. Das ist die lautlose Steuerreform nach oben. Wir hätten, wenn wir noch 5 % Inflationsrate hätten, eine Steuermehreinnahme von 12 Milliarden DM.

    (Hornung [CDU/CSU]: Richtig!)

    Statt dessen geben wir in der ersten Stufe der Steuerreform bei Preisstabilität, bei Sparen 11 Milliarden DM an die Bürger zurück.

    (Hornung [CDU/CSU]: Ja!)

    12 Milliarden DM hätten sie mehr zahlen müssen: ohne jede Gesetzesänderung, allein durch Inflation. Wir haben Preisstabilität erreicht, haben sparen müssen und können dennoch den Bürgern 11 Milli-



    Bundesminister Dr. Blüm
    arden DM in der ersten Stufe zurückgeben. Die Hauptnutznießer werden diejenigen sein, die es am meisten brauchen: die Familien.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!) Das ist das Erkennungszeichen unserer Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Preisstabilität läßt die Realeinkommen der Arbeitnehmer zum erstenmal wieder wachsen, zum erstenmal seit vielen, vielen Jahren. Die Arbeitnehmer haben dadurch einen Stabilitätsgewinn von 20 Milliarden DM mehr an Kaufkraft, die Rentner einen Kaufkraftgewinn von 8 Milliarden DM.
    Das ist alles so volkswirtschaftliches Latein, daß ich fürchte: Unsere Mitbürger können sich die großen Zahlen gar nicht vorstellen. Das ist ein Kaufkraftgewinn für einen durchschnittlichen Rentner- und Pensionärshaushalt gegenüber 1982 von jährlich 1 100 DM. Das ist so ähnlich, als hätten wir ihnen 1 100 DM

    (Hornung [CDU/CSU]: Bar!)

    mehr gegeben. Das ist so ähnlich wie drei durchschnittliche Monatsmieten. Stellen Sie sich vor, diese Bundesregierung, dieser Arbeitsminister hätte verkündet, die Rentner bekommen drei Monatsmieten von uns gezahlt: Die Begeisterung würde keine Grenzen kennen. Unsere Politik der Preisstabilität hat dasselbe erreicht. Deshalb müssen wir für die Verbreitung dieses Erfolgs sorgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Denn ich fürchte: Die Opposition wird ihn streng vertraulich behandeln.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben gespart — das ist richtig — und das Sozialsystem dadurch stabilisiert. Wir haben Schulden abgebaut und dadurch Zinsen gesenkt und Voraussetzungen für Investitionen und Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben Schulden abgebaut und damit Voraussetzungen für Preisstabilität und für mehr Beschäftigung geschaffen.
    Wir brauchen das Ergebnis unserer Politik nicht unter den Scheffel zu stellen. Doch wir haben auch keinen Grund, in der Anstrengung nachzulassen. Alle sind in der Pflicht. Nicht Bunkermentalität, Tabukataloge sind gefragt, sondern beschäftigungswirksames Handeln. Und diese Handlungsmöglichkeiten, diese Chancen sind größer, als die öffentliche Diskussion erkennen läßt. Die Chancen sind größer, als die Krisenideologen der Gesellschaft einzureden versuchen. Die Praxis ist besser, als die Pessimisten glauben machen wollen.
    Ich fordere deshalb mit großem Nachdruck alle Verantwortlichen in Industrie, Handel, Handwerk und im Dienstleistungsbereich, öffentliche und private Arbeitgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte zu einer großen beschäftigungspolitischen Koalition auf: Nutzen Sie die verbesserten ökonomischen Rahmenbedingungen für Mehreinstellungen! Erschließen Sie durch bessere Verbindung von Arbeitszeitwünschen der Arbeitnehmer und neuen
    Chancen der Arbeitsorganisation auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten! Geben Sie der Neueinstellung die Vorfahrt vor den Überstunden! Erweitern Sie das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen! Schaffen Sie Qualifizierung und Weiterbildung! Qualifizieren ist besser, als über Facharbeitermangel klagen. Nutzen Sie die neuen Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes und des Beschäftigungsförderungsgesetzes! Geben Sie den benachteiligten Gruppen des Arbeitsmarktes eine faire Chance!
    Arbeit für alle verlangt die Anstrengung aller. Das Ja zur sozialen Marktwirtschaft fordert einen uneingeschränkten Einsatz für die Arbeitslosen und für Beschäftigung für alle. Arbeit für alle! Das ist das Gebot der Stunde.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)