Rede von
Manfred
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich würde an Ihrer Stelle nicht so laut tönen. Sonst könnten Sie wie üblich Schwierigkeiten mit dem bayerischen Ministerpräsidenten bekommen, und diese gehen j a immer zu Ihren Lasten aus.
Ich möchte einmal einen Satz aus einer Schrift von Professor Kube über die Einschätzung der Wirtschaftskriminalität in der Öffentlichkeit, die das Bundeskriminalamt herausgegeben hat, vorlesen:
Die fehlende Affektivität der Wirtschaftskriminalität führt nämlich grundsätzlich zu einer — verglichen mit der Gewaltkriminalität — relativ neutralen Einstellung der Bevölkerung gegenüber einzelnen Deliktsfeldern dieser Kriminalität, speziell wenn diese Straftaten von Personen mit hohem sozialen Status begangen werden und als Opfer nicht einzelne Personen als Wirtschaftssubjekte, sondern der Staat oder Großunternehmen geschädigt werden.
Und das ist wahr. Viele Leute stellen sich unter einem Kriminellen jemanden vor, der unrasiert auf den schönen Bildern, die die Polizei aufnimmt, erscheint und mit abgerissener Kleidung daherkommt. Unter jemandem, der im nadelgestreiften Maßanzug mit weißem Kragen und hervorragenden Manieren durch die Welt geht, kann sich der ein-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1986 15439
Schmidt
zelne keinen Kriminellen vorstellen. Daß es bei der Bevölkerung so ist, muß abgebaut werden, sagt der Professor Kube. Aber mit einem hat er nicht gerechnet: daß bei den Koalitionsfraktionen diese Haltung genauso vertreten ist wie in weiten Kreisen der Bevölkerung.
Wenn sich die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen wenigstens dazu bekennen würden, unser Motto ist: „Wir hängen die Kleinen und lassen die Großen laufen", würden wir sagen: Sie sind wenigstens noch ehrlich.
Aber Sie bringen immer juristische Probleme, die in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Sogar die bayerische Staatsregierung hat im Bundesrat einen hervorragenden juristischen Vorschlag eingereicht, wie man dieses Problem als Gefährdungsdelikt regeln könnte. Auch die Bundesregierung hat einen Vorschlag gemacht. All das ist möglich.
Aber da kommt der Kollege Kleinert, der sehr schlau ist, und sagt: Da muß man den Sumpf austrocknen; die Frösche verschwinden erst dann, wenn der Sumpf ausgetrocknet ist; also muß man erst die VOB, die Vergabeordnung und was sonst noch alles klären. Nun, genausogut könnte jemand sagen: Wir brauchen eigentlich keine Strafvorschriften gegen Diebstahl; wir warten so lange, bis das Eigentum abgeschafft ist, dann regelt sich das Problem von selber. Aber diese Argumentation werden wir natürlich von Ihnen nicht hören.
An einem zweiten Beispiel mache ich klar, daß diese Koalitionsfraktionen nur die Kleinen, nicht aber die Großen fassen wollen. Da geht's um die Leiharbeit. Der Günter Wallraff hat in seinem Buch „Ganz unten", das erfreulicherweise eine so hohe Auflage erreicht,
— vielleicht, Herr Kollege Götz, können Sie sich da mit dem Autor zusammentun —
ein Vernehmungsprotokoll eines dieser modernen Sklavenhändler abgedruckt. Ich zitiere daraus diesen Mann, der verurteilt wurde, im Originalton:
Die Baufirmen zahlen pro Arbeitsstunde zwischen 22 und 33 DM. Was dem Subunternehmer bleibt, das kommt darauf an, was er seinen Leuten zahlt. Wieviel er anmeldet. Ob er alle anmeldet oder nur ein paar. Ausländer werden immer ausgequetscht, die arbeiten für billiges Geld. Zehn Mark — acht Mark — egal.
Bei 500 Leuten, rechnet Wallraff, bleiben diesem Mann täglich zwischen 70 000 und 125 000 DM. Täglich! Der konnte ausnahmsweise mit Gefängnis bestraft werden, weil er mehr als 11 Millionen DM
Steuern und mehrere Millionen DM Sozialabgaben hinterzogen hatte. Dazu zitiere ich den Mann noch einmal:
Wenn ich nicht verraten worden wäre, dann wär ich jetzt noch groß im Geschäft. Die ganzen Geschäftspraktiken, das sieht kein Finanzamt, keine AOK, das sieht kein Mensch: außer, wer damit zu tun hat.
Was sich in diesem Bereich abspielt, gehört zu den schlimmsten Formen moderner Ausbeutung. Eigentlich sollten wir uns im Bundestag darauf verständigen, dieses ganze System generell zu verbieten.
Damit, daß Sie da zustimmen, haben wir allerdings von vornherein nicht gerechnet. Wir haben daher einen sehr bescheidenen Vorschlag eingebracht, nämlich wenigstens diejenigen mit Gefängnis zu bestrafen, die Arbeiter ohne jede Erlaubnis und damit ohne jede Kontrollmöglichkeit des Finanzamts oder anderer Behörden verleihen. Obwohl es sich bei denen ausschließlich um Kriminelle handelt — die anderen holen sich ihre Erlaubnis ein und zahlen ihre Sozialabgaben —, ist eine Zustimmung der Koalitionsfraktionen zu einer Heraufzonung von der rechtlichen Einordnung bei Übertretungen etwa beim Parken unter die Straftaten nicht zu erreichen.