Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will einmal mit einem Zitat von jemandem beginnen, den ich sonst nicht gerne zitiere:
Wirtschaftsstraftaten müssen mindestens dieselbe Ächtung in unserer Gesellschaft erfahren wie anderes kriminelles Unrecht auch. Wirtschaftsstraftaten sind Delikte, die mit System und Intelligenz begangen werden und häufig an die Substanz unserer Wirtschaftsordnung rühren. Wirtschaftskriminalität ist deshalb geradezu gemeingefährlich. Der durch die Wirtschaftskriminalität verursachte Schaden für Staat und Wirtschaft dürfte weit über 7 Milliarden DM pro Jahr betragen.
— Ich habe ja zitiert. Wir kommen hernach noch darauf.
Dieses Zitat, für das ich demjenigen, der es erfunden hat, Respekt zolle, hat der Herr Justizminister in seinen Mitteilungen Mitte des letzten Jahres, am 16. Juli, veröffentlicht. Bei der von ihm genannten Zahl von 7 Milliarden — das wissen alle — geht es um das, was bekannt wird. Wenn wir den Multiplikator 10 anwenden, dann kommen wir vielleicht ungefähr auf die Größenordnung, die in diesem Bereich eine Rolle spielt.
Nun muß man sich eines vor Augen halten. Auch die bekanntgewordenen Zahlen sind in den letzten Jahren ständig gestiegen: 1980 2,6 Milliarden, 1982 4,9 Milliarden, 1985 7 Milliarden. Wie der Bundesjustizminister dann in einer Äußerung, die zwei Monate später kommt, erklären kann: Den Tätern im weißen Kragen wird es immer schwerer gemacht, ihre undurchsichtigen Geschäfte zu betreiben!, kann ich mir nur dadurch erklären, daß es ein anderer Referent war, der das aufgeschrieben hat. Mit der tatsächlichen Entwicklung hat das überhaupt nichts zu tun.
Wer sich vor Augen hält, welche Schäden entstehen — 70 Milliarden DM —, der meint, das hier müßte ein Selbstläufer sein, da müßte eine Begeisterung dasein, denn diese 70 Milliarden DM, die zum größten Teil der Allgemeinheit, dem Fiskus entnommen werden, würde jeder gerne haben. Was könnte man Herrliches machen! Alle Kürzungen im Sozialbereich könnte man rückgängig machen. Das sind erheblich mehr Mittel, als wir für die Bundeswehr insgesamt ausgeben! Da meint man, dann steht der Kollege Kleinert mit uns und mit den GRÜNEN in einer Front, um diese Milliarden beizubringen. Aber weit gefehlt!
Ich bin in der letzten Zeit sehr vorsichtig geworden. Als die Koalition unter dem noch amtierenden Bundeskanzler Kohl dieses Gesetz, das wir einmal vorgelegt hatten, erneut eingebracht hat, habe ich mich hier dafür bedankt und es außerordentlich begrüßt. Das wird mir nie mehr passieren. Das werde ich erst dann tun, wenn Sie abgelöst sind. Dann werde ich Ihnen für das, was Sie gut gemacht haben, herzlich danken.
15438 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1986
Schmidt
— Darüber wollen wir uns einmal unterhalten. Ich lese immer in den Zeitungen, was Sie für ängstliche Diskussionen in Ihrer Fraktion wegen „Blackout" und ähnlicher Dinge führen. Wir werden einmal abwarten.
Es ist eine eigenartige Geschichte, Herr Kollege Götz. Es spricht für Sie, daß Sie das hier gebracht haben. Sie haben gesagt: Der Begriff „Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität" ist falsch. — Dieser Meinung bin ich, nachdem Sie das Gesetz in die Finger bekommen haben, auch. Es ist eine ganze Reihe von Bestimmungen im Entwurf, bei denen auch wir überzeugt sind, daß eine Regelung erfolgen muß. Aber das Gesetz zur Regelung der Wirtschaftskriminalität ist praktisch ein Torso; es ist hohl geblieben. Wir meinen, daß das jetzige Gesetz eigentlich einen Titel haben müßte, der etwa so lautet: Gesetz zum Schutz der Wirtschaft vor Kriminalität. So etwas wollen wir auch. Aber wir wollen daneben ein Gesetz, das unsere Gesellschaft vor der Kriminalität der Wirtschaft schützt.
Man braucht sich nur einmal den sogenannten Ausschreibungsbetrug anzuschauen. Da wird immer so getan, als ob es nur um die Bauvergabe ginge; aber das ist keineswegs wahr. Die Bundeswehr, die Bundespost und die Bundesbahn verteilen in jedem Jahr Milliardenaufträge. Ich möchte Ihnen und auch der Öffentlichkeit einmal an einem typischen Fall schildern, wie so etwas geht.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat am 14. Februar 1983 gegen drei Firmen — eine davon ist bundesweit bekannt —, die sich an der Ausschreibung einer automatisierten Päckchen- und Paketsortieranlage beteiligt haben, Anklage wegen Betrugs erhoben. Die Ausschreibung erfaßte ein Teilvolumen von 8,5 Millionen DM. Die Geschäftsführer der drei Firmen haben, wie das in diesen Kreisen so üblich ist, untereinander abgesprochen, wer das Los 1, das Los 2, das Los 3 und das Los 4 bekommt. Dann haben sie solche Angebotspreise beschlossen, daß die Post bei dem Volumen von 8,5 Millionen DM 2 Millionen DM mehr zahlen mußte. Das Gesamtvolumen dieser Anlage machte 40 Millionen DM aus. Wenn sich die anderen Firmen genauso verhalten haben — das ist sogar sehr wahrscheinlich —, dann sind allein bei diesem kleinen Auftrag von über 40 Millionen DM 10 Millionen DM kalt abkassiert worden.
Nun sagt die Staatsanwaltschaft Stuttgart: Das ist doch eine Schweinerei; da muß Anklage wegen Betrugs erhoben werden. Das Landgericht Stuttgart läßt diese Anklage jedoch nicht zu, und zwar mit der meiner Meinung nach sogar zutreffenden Begründung, daß die geltende Gesetzeslage nicht ausreiche.
Sie sagen immer, wir schauten nicht nach links und rechts, und es solle irgend jemandem etwas ausgewischt werden. Deshalb möchte ich Ihnen eines sagen: Man muß sich einmal vorstellen, jemand geht in ein Wirtshaus, bestellt ein Bier für 1,50 DM und weiß von vornherein, daß er es nicht bezahlen kann. Dann hat er den Tatbestand des Vergehens
eines vollendeten Betruges erfüllt; das ist ein Vergehen nach dem Strafgesetzbuch. Andererseits kassiert jemand Milliardenbeträge von der öffentlichen Hand. Dann hat er nur eine Ordnungswidrigkeit begangen, die genauso eingeordnet ist wie das Parkvergehen, über das wir vorher gesprochen haben. Juristisch wird er genauso behandelt wie ein Falschparker, wenn auch die Geldbußen höher sind. Aber diese Geldbußen — das wissen wir; das hat Herr Professor Kartte einmal gesagt — werden aus der Portokasse bezahlt. Sie werden von vornherein einkalkuliert, und eine Wiedergutmachung erfolgt in keiner Weise.
— Herr Kollege Kleinert, ich kenne ja Ihre Haltung in dieser Geschichte. Wir sollten aber vielleicht einmal über etwas anderes sprechen, weil ich auf das Unrechtsbewußtsein kommen möchte.
Der Präsident des Verbandes der Deutschen Bauindustrie sagt: Solche Preisabsprachen sind eine Notwehraktion. Das heißt, die Firmen haben überhaupt kein Unrechtsbewußtsein, sondern sehen eine moralische Rechtfertigung für das Bescheißen der öffentlichen Hand.