Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dregger, man kann j a gegen Sie sagen, soviel man will, aber eines kann man Ihnen nicht nachsagen: daß es Ihnen an Kontinuität mangele. Das ist Kontinuität seit nunmehr über zehn Jahren, nur — muß ich eben sagen —, ist das — das haben Sie heute wieder bewiesen — eine Kontinuität im Irrtum, in einem Denken, das ein sehr starres Bündnisdenken ist. Wenn man in diesem Irrtum verfangen ist, muß man natürlich zu den Schlußfolgerungen kommen, zu denen Sie kommen. Da gibt es gar keine Frage.
Ihre Ausführungen haben mir gezeigt, daß Sie das Problem SDI im Kern überhaupt nicht verstanden haben; sonst kämen Sie nämlich nicht dazu, die Opposition zu fragen: Sind denn Angriffsraketen moralischer als Raketen, die Raketen zerstören? Mir scheint, Sie haben die Diskussion sowohl in den USA als auch in Europa überhaupt nicht mitvollzogen. Sie haben sich offenbar nicht einmal über das informiert, was in dem komischen Hearing im Bundestag abgelaufen ist, wo nur deutsche Experten zugelassen worden sind. Da kam man nämlich zu der übereinstimmenden Erkenntnis, es bestehe zumindest die Gefahr, daß beide Seiten die Aktivitäten im Weltraum als ein Bedrohungsinstrument empfänden, weil über SDI möglicherweise der Weg verfolgt werde, die Vergeltungsfähigkeit, von der Sie indirekt auch gesprochen haben, der anderen Seite auszuschalten. Damit könnte es sich eben nicht nur um eine Defensivmaßnahme, sondern auch um eine Offensivmaßnahme handeln. Insofern sollte man die Frage der Moral völlig außer acht lassen.
Entscheidend ist die Interpretation beider Seiten und nicht die Bewertung einer Seite, ob das moralisch oder unmoralisch sei.
Außerdem haben Sie, obwohl das im Bundestag schon mehrfach gesagt wurde, in Ihr Denken gar nicht aufgenommen, daß selbst im Pentagon eingeräumt wird, daß die gültige Strategie der flexible response durch SDI abgelöst werden soll. Das ist doch der Hintergrund. Und Sie reden die ganze Zeit davon — geradezu gebetsmühlenhaft —, daß die derzeitige Strategie Gültigkeit habe und durch SDI
14096 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1985
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sozusagen angereichert werde. Hier geht es um einen Ersatz für die nächsten Jahrzehnte. Sie sollten sich diese Information langsam auch zu eigen machen.
— Wenn Sie Sachinformationen und Problemdarstellung mit dem Etikett oberlehrerhaft versehen, wundert mich allerdings überhaupt nicht mehr, daß sämtliche neuen Argumente an Ihnen vorbeifließen und überhaupt nicht die Chance besteht, daß Sie in Ihrer eigenen Erkenntnis auch einmal weiterkommen. Jedenfalls nehmen wir für uns in Anspruch, daß wir auch von Ihrer Seite etwas lernen.
Was von seiten der Opposition und der Koalition gesagt wurde, ist im Grunde klar. Die Koalition sagt hauptsächlich aus zwei Gründen ja zu SDI. In dieser Reihenfolge ist der erste Grund der der Bündnistreue; nicht umsonst hat Franz Josef Strauß gesagt, hier sei wieder einmal die Nagelprobe für das Bündnis, wenn es darum geht, nein oder ja zu sagen. Ich kann mich sehr gut an die Nachrüstungsdebatte erinnern. Da wurde genau dasselbe gesagt.
— Das unseren Frieden sichert? Wir sollten uns nicht gegenseitig zumessen, wie wir uns den Frieden vorstellen, Herr Kollege. Das sollten Sie uns überlassen. Jedenfalls stellen wir uns den Frieden nicht so vor, wie Sie sich ihn vorstellen.
Der zweite Grund ist ein technisch-wirtschaftlicher. Man hofft natürlich, den Anschluß an Japan und die USA nicht zu verlieren.
Ich halte beide Gründe für eine an der Sache vorbeigehende Argumentation. Das ist eine insgesamt unverantwortliche Politik, weil man, wie gesagt, die militärstrategischen Entwicklungen in den nächsten 10, 20, 30 Jahren eben nicht mitbedenkt und nicht in der Gewichtung sieht, wie man das tun sollte.
Messen wir einmal die Stellungnahme der Bundesregierung an den eigenen Kriterien, die sie aufgestellt hat, und an den Kriterien, die die USA aufgestellt haben. Zunächst einmal wird immer wieder gesagt, es gebe ja gar keine Beteiligung. Ich halte das schlicht und einfach für eine Verzerrung, um nicht zu sagen für eine Verdummung derjenigen, die sich in der Materie nicht auskennen und auf kurze Informationen angewiesen sind.
Wenn die Regierung ein Rahmenabkommen oder in irgendeiner anderen Form ein Abkommen schließt — wie immer es auch aussehen mag —, dann beteiligt sich die Regierung politisch an diesem Projekt SDI, auch wenn keine staatlichen Aufträge vergeben werden. Das heißt, man trägt politisch eine Mitverantwortung und muß dafür auch entsprechend in den nächsten 10, 20, 30 Jahren einstehen. Aus dieser Verantwortung können Sie
sich nicht stehlen. Ich denke, daß Sie das sehr genau wissen.
Zweitens wird gesagt, es sei ein reines Forschungsprogramm. Damit soll suggeriert werden, es gehe noch gar nicht um irgendeine Form von Entwicklung, geschweige denn von Erprobung und erst recht nicht von Stationierung. Leider ist unsere Redezeit begrenzt, aber ich könnte Ihnen eine Menge von Vorgängen nennen, die zeigen, daß bereits ABM-relevante Tests durchgeführt worden sind.
Lesen Sie bitte die Quelle „Department of Defence" vom 18. April dieses Jahres nach. Das ist übrigens ein interessantes Datum; denn damals hat sich der Bundeskanzler, wie Herr Rühe ja indirekt in dem Hearing bestätigt hat, im Grundsatz bereits klar für SDI entschieden.
Weiter wird gesagt, SDI mache Atomraketen überflüssig. Ich bitte Sie, doch zu bedenken, daß damit eine hundertprozentige Erfolgsquote von SDI unterstellt wird. Alles, was unter 100 % liegt, wiederlegt dieses Argument, SDI mache Atomraketen obsolet. Oder man setzt voraus bzw. unterstellt das stillschweigende oder erklärte Einverständnis der anderen Seite, gemeinsam zu einer Abrüstungsspirale im Blick auf Militäraktivitäten im Weltraum zu kommen. Aber ich denke, daß diese Hoffnung im Abschreckungssystem angesichts der Blöcke, die wir haben, überhaupt nicht funktionieren kann. Denn wenn man die Hoffnung darin setzt, die Sowjetunion über SDI dazu bringen zu wollen, abzurüsten, dann muß man im Grunde unterstellen, was Sie ja selbst nicht unterstellen und gegen die Opposition wenden. Sie müßten unterstellen, daß die Sowjetunion und die USA gleiche Kriterien haben, daß sie eine gemeinsame Interpretation dessen haben, was man als politische Zielvorstellung hat, um dann zu dieser gemeinsamen Abrüstungsmaßnahme zu kommen. Sie aber wissen sehr genau, daß im Abschreckungssystem, wie wir es haben, Mißtrauen die dominierende Antriebsfeder ist und daß auf Grund dieses Mißtrauens Aufrüstung die logische Konsequenz dieses Abrüstungssystems darstellt.
Insofern ist die Hoffnung auf Abrüstung über SDI eine völlig irreale, die wir in keiner Weise teilen können.
Dann wird gesagt: SDI zerstört Raketen und nicht Menschen. Ich muß noch einmal sagen: Lassen wir lieber das Problem der Moral draußen. Herr Dregger, bereits 5 % durchdringender sowjetischer Gefechtsköpfe — nehmen wir einmal die Zahl 500 — würden die USA vollständig verwüsten. Ich frage mich: Wie kann man einen solchen Satz von der moralischen Komponente von SDI sagen? Man kann heute für Waffenandrohung und Waffenein-
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satz nicht mehr von einer moralischen Rechtfertigung reden.
Dann wird noch gesagt, SDI mache echte Abrüstung möglich. Es wird auf die Tatsache verwiesen, daß Gorbatschow nach Genf gekommen sei. Das ist ja schön und gut, und wir hoffen auch, daß möglichst viele Dialoge stattfinden, aber die Sowjetunion erhöht doch bereits, und sie wird auch in Zukunft erhöhen. Sagen Sie mir einmal, daß ich in meiner Prognose unrecht habe. Stellen Sie sich hin und sagen Sie das! Die Sowjetunion erhöht und wird erhöhen. ICBM, SLCM, Marschflugkörper, Langstreckenbomber und Weltraumaktivitäten, all das wird die Folge dessen sein, was mit SDI zusammenhängt, ganz abgesehen davon, daß SALT I und SALT II vergessen werden können und daß wir über ABM und Weltraumvertrag dann gar nicht mehr reden müssen.
Ich denke, daß diese Einwände von konservativer Seite gesehen werden. Die Rolle der FDP ist eine hochinteressante.
— Allerdings. Bei Ihrem Auftreten im Hearing ist mir der Satz eingefallen: Sie werden ständig von der Weisheit gejagt, nur sind Sie immer schneller.
Weil Sie in der Regierung bleiben wollen und weil Sie Ihre Klientel in einer bestimmten Sparte unserer Bevölkerung haben, können Sie sich nicht klar gegen SDI ausdrücken.
Schlimmer noch, meine Damen und Herren: Die Militarisierung des Weltraums durch die USA soll nun auch noch durch regionale weitere Militarisierung in Mitteleuropa ergänzt werden. EVI heißt das neue Zauberwort. Einmal ganz abgesehen davon, daß EVI das Eingeständnis einer strategischen Abkoppelung Westeuropas von den USA ist,
und einmal ganz abgesehen davon, daß die Wertegemeinschaft NATO wieder einmal als hohle Phrase entlarvt wurde —
oder ist die NATO vor dem 23. März 1983 gefragt worden, ob SDI gemacht werden soll oder nicht, als wirklich gleichberechtigter Partner im Bündnis? —, einmal völlig abgesehen davon sind wir der Meinung, daß mit dieser Europäischen Verteidigungsinitiative die Gefahr eines Krieges in Europa noch mehr erhöht wird, weil man nicht mit Raketen gegen Raketen Frieden schaffen kann und weil man endlich zu der Einsicht gelangen muß, daß nur über einseitige Abrüstungsvorleistungen und über das Wegkommen von Abschreckungssystemen Frieden geschaffen werden kann.
Zu den zwei Anträgen, die die SPD vorgelegt hat. Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Anträge sind gut gemeint. Sie sind aber halbherzig. Wenn Sie in Ihrem SDI-Antrag auf Eureka setzen, dann muß ich Sie fragen: Sind Sie sich schon völlig im klaren darüber, was Eureka ist? Können Sie eindeutig formulieren, daß es eine klare Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung gibt?
Solange diese Fragen nicht ausdiskutiert sind, wäre ich vorsichtig, einen solchen Antrag zu formulieren.
Ihr EVI-Antrag setzt auf Konventionalisierung, letzten Endes eine andere, aber nicht harmlosere Art von Militarisierung Mitteleuropas.
Unser Antrag dagegen fordert: keine Europäische Verteidigungsinitiative und keine Forschungsmittel dafür. Der Grund ist der, daß wir eine klare Analyse der Blocklogik vollziehen, daß in diesem Abschrekkungssystem innerhalb der Blöcke echte Abrüstung nicht möglich ist.
Meine Damen und Herren, SDI und EVI sind technologisch und ökonomisch fragwürdig. Sie sind sozial inhuman, wenn man an die Kosten, die damit verbunden sind, und an die Dritte Welt denkt. Sie sind militärstrategisch auf Überlegenheit ausgerichtet. Sie sind der Anfang vom Ende der Chancen zu echter Abrüstung und Rüstungskontrolle und damit für die Chancen zur Entwicklung eines Friedens.
Meine Damen und Herren, die Wahrheit — damit komme ich zum Ende — ist so einfach. Wer weniger Waffen erreicht, darf sich mit Fug und Recht dem Frieden verpflichtet fühlen. Wer mehr Waffen will und anschafft, handelt vielleicht im Sinne der Legalität. Aber im Bereich der Moral handelt er verbrecherisch.
Danke schön.