Rede von
Ingrid
Matthäus-Maier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Hellwig, ich kann Ihnen in manchem zustimmen. Nur, ich frage mich wirklich, wieso Sie dem, was heute Ihre Regierung hier vorlegt, dann überhaupt zustimmen können.
— Sie sagen, Sie sind sehr stolz darauf.
Das macht mich wirklich traurig, denn dadurch, daß die Frauen in Ihrer konservativen Koalition diesem Gesetzentwurf zustimmen, der gegenüber der ursprünglichen Fassung leichte Verbesserungen enthält,
stimmen sie einer Korrektur zu, die unterm Strich die Frauen ganz eindeutig benachteiligt.
Erinnern Sie sich nicht? Als diese Koalition vor einem Jahr den Gesetzentwurf vorlegte, ging ein Sturm der Kritik durch die juristische Fachwelt und durch alle Familienverbände. Konzentriert hat sich die Kritik dann in der Anhörung vom 12. Juni dieses Jahres. Ich danke übrigens den Gutachtern in diesem Hearing, die in sehr sachlicher und sehr argumentativer Weise auf die Schwachstellen dieses Entwurfs hingewiesen haben. Ich hatte wirklich gehofft, daß gerade auch die Frauen in der konservativen Koalition daraus Konsequenzen ziehen würden. Aber leider ist das, was hier verändert worden ist, reine Kosmetik.
Sie übertüncht die Schwachstellen, läßt sie aber inhaltlich bestehen.
Ich will unsere Kritik in sieben Punkten kurz zusammenfassen.
Erstens. Die Einschränkung des nachehelichen Unterhaltsrechts wird mit einer Lebenswirklichkeit begründet, die es so gar nicht gibt. Jeder von uns hat aus der „Bild"-Zeitung und der Diskussion immer wieder dieses schwachsinnige Beispiel von der Chefarztfrau zu hören bekommen, die sich von der Krankenschwester hochheiratet, sich dann in eine bessere Situation bringt, dann kurz nach der Heirat den Chefarzt verläßt und ihr Leben lang auf seine
Kosten fröhlich dahinlebt. Wir wissen, daß es solche Fälle nicht gibt.
Es gab sogar eine Journalistin, die gesagt hat: 500 DM gibt es für jeden, der uns ein solches Beispiel bringt! — Sie ist ihre 500 DM nicht losgeworden, meine Damen und Herren!
Die Lebenswirklichkeit geschiedener Männer und Frauen ist ganz anders. In den meisten Fällen reicht das Einkommen gerade für einen Haushalt, um Vater, Mutter und vielleicht zwei Kinder zu ernähren. Wenn dann die Scheidung kommt, gibt es keine Reichtümer zu verteilen, sondern nur der Mangel wird aufgeteilt: Beim Mann reicht es nicht, bei der Frau reicht es nicht, und die Kinder sind auch unglücklich, weil sie neben der Trennung der Eltern die materielle Not kennenlernen.
— Auch Männer leiden unter der Scheidung. Wenn Sie die Zahlen — die wenigen, die wir haben — durchlesen, wissen Sie, daß die Fälle der Not oder die Fälle, in denen die Leute an die Armutsgrenze kommen, nicht bei den Männern vorkommen, sondern bei den Frauen.
Der Verband der alleinstehenden Mütter und Väter hat dies eindrucksvoll dargelegt. Die Mehrzahl der geschiedenen Familienfrauen kann aus wirtschaftlichen Gründen Unterhaltsansprüche überhaupt nicht verwirklichen. 74 % aller geschiedenen Mütter sind nach der Ehescheidung bereits wieder erwerbstätig. Nur 29 % der geschiedenen Mütter haben überhaupt einen Anspruch auf Ehegattenunterhalt; das ist nicht einmal ein Drittel. Der durchschnittliche Unterhalt beträgt 420 DM. Ein Drittel dieser Mütter erhalten Sozialhilfe.
Das dumme Gerede „einmal Chefarztfrau, immer Chefarztfrau" verstellt den Blick auf diese Tatsachen. Auf Grund der Rechtstatsachenforschung gibt es kein Bedürfnis für diesen Gesetzentwurf.
Zweitens. Das Gesetz ist überflüssig. Sie sagen immer: Mehr Einzelfallgerechtigkeit muß her. Der Bundesgerichtshof hat jedoch längst entschieden, daß bei offensichtlichem einseitigem Fehlverhalten der Unterhalt eingeschränkt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat uns nur in zwei Punkten eine Handlungspflicht auferlegt. Wir wären bereit, mit Ihnen diese Handlungspflicht in diesen zwei Punkten umzusetzen.
Wir sind allerdings dagegen, daß Sie aus Anlaß der Gesetzesänderung auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts etwas zurückentwikkeln, was Ihnen in Ihrer Mehrzahl schon immer nicht gepaßt hat.
Wir sagen: Familienrecht kann man nicht experimentell mal eben so ändern, nur weil zehn Jahre ins Land gegangen sind.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1985 14047
Frau Matthäus-Maier
Die Gründung einer Familie ist doch eine langfristige Angelegenheit, in den meisten Fällen auf Lebenszeit angelegt. Da müssen sich die Beteiligten schon auf berechenbare Rechtsgrundlagen stützen können und dürfen nicht Gefahr laufen, daß alle zehn Jahre das Eherecht geändert wird.
Dritter Kritikpunkt: Ihr Gesetz benachteiligt die Hausfrau und Mutter.
Da liegt der Kern unseres Vorwurfs. Trotz heftiger Kritik der meisten Verbände, insbesondere auch der kirchlichen Familienverbände, ist es nach Ihrem Gesetzentwurf möglich, daß einer Familienmutter, die über Jahre die Kinder erzogen hat, nach einer Ehescheidung der Unterhaltsanspruch gestrichen wird und sie auf die Sozialhilfe verwiesen wird. Das halten wir für einen Skandal.
— Frau Hellwig, das stimmt. Lesen Sie doch den Wortlaut!
— Ich brauche das Gesetz nicht falsch zu interpretieren. Ich habe dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Lohmann in der Anhörung die Frage gestellt: Ist das nach dem Wortlaut möglich?
— Er hat gesagt: Ja. Ihr Wortlaut unterscheidet sich in dieser Frage kaum von dem alten Wortlaut. Es ist möglich.
Sie sagen, Sie wollen das nicht. Dann fragen wir Sie: Warum schreiben Sie das denn nicht ins Gesetz? Es gab mehrere Gutachterinnen und Gutachter, die ausformulierte Vorschläge vorgelegt haben, die man hätte übernehmen können, wenn man die Familienmutter wirklich vor dem Abgleiten in die Sozialhilfe schützen wollte. Wenn Sie diese Anträge nicht übernehmen, dann sagen wir: Sie haben eben doch andere Hintergedanken.
Unsere Kernaussage bei der Reform 1976 war: Derjenige, der das Geld verdient, der der wirtschaftlich Stärkere ist, muß den anderen auch nach der Ehescheidung unterhalten, wenn dieser im Einvernehmen für die Kindererziehung seine Erwerbstätigkeit aufgibt.
Nun sagen Sie, einem Ehemann sei nicht zuzumuten, unter Umständen lebenslang nach der Ehe eine arbeitslose Familienmutter zu unterhalten. Da sagen wir Ihnen: Wenn eine Frau in der Ehe eine Entscheidung trifft, die sie lebenslang beeinträchtigt — auch wenn sie nur für vier, fünf oder sechs Jahre aus dem Beruf ausscheidet, wird sie diese Einschränkung der beruflichen Tätigkeit und die dadurch bedingte Behinderung der Möglichkeit, sich selber durch Erwerbstätigkeit zu ernähren, nie wieder ganz korrigieren können —, dann ist es auch konsequent, wenn der Unterhaltsverpflichtete, der ja nur auf Grund der Hausfrauentätigkeit seiner Frau seiner Erwerbstätigkeit nachkommen konnte, auch bei Arbeitslosigkeit weiter zahlt.
Übrigens ist die Aufgabe der Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung nicht das einzige Beispiel für ein ehebedingtes Arbeitsplatzrisiko von Frauen. Die Gutachterin Margot von Renesse hat in der Anhörung weitere Bespiele genannt, etwa: Eine Ehefrau betreut unter Verzicht auf Erwerbsarbeit pflegebedürftige Angehörige des Ehemanns oder dessen Kinder aus erster Ehe. Auch eine solche Frau kann nach dem Wortlaut Ihrer Bestimmungen bei der Sozialhilfe landen. Oder: Die Ehefrau gibt einen sicheren Arbeitsplatz im Einvernehmen mit dem Mann auf, um am Wohnsitz des Ehemanns die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihm zu begründen; in der Ehe sind keine Kinder vorhanden. Auch diese Frau kann bei der Sozialhilfe landen.
Unsere Antwort ist: Für die sich lebenslang auswirkenden Probleme, die während der Ehezeit angelegt wurden, muß auch über die Scheidung hinaus eine wechselseitige Verantwortung bestehen bleiben.
Und ich sage Ihnen: Obwohl Sie als Konservative immer wieder gerade die Hausfrauenarbeit loben und uns — übrigens zu Unrecht — vorwerfen, wir setzten uns nicht genug dafür ein,
muß man, wenn das, was Sie heute vorschlagen, Gesetz wird, jede Frau davor warnen, bei der Eheschließung oder nach der Geburt des ersten Kindes ihre Erwerbstätigkeit aufzugeben.
Denn sie kann nicht sicher sein, nicht eines Tages nach der Scheidung auf die Sozialhilfe statt auf den wohlerworbenen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem geschiedenen Mann angewiesen zu sein.
Der vierte Kritikpunkt. Das Gesetz öffnet die Hintertür für die Wiedereinführung des Schuldprinzips. Sie sagen: Das wollen Sie nicht. Aber dann fragen wir Sie: Warum haben Sie unserem Antrag nicht zugestimmt? Wir haben zu § 1573 beantragt: „Die Rechtsfolgen eines Fehlverhaltens sind in § 1579 BGB abschließend geregelt." Dieser Satz stammt aus Ihrer Begründung. Wenn er Ihnen so viel wert ist, warum haben Sie dann nicht unserem Antrag und der Übernahme des klärenden Satzes in den Gesetzestext zugestimmt?
Nein; wenn man mit einigen von Ihren Kollegen ein bißchen später abends am Tresen redet, dann weiß man: Die Moral und das Verschulden sollen wieder in das Ehescheidungsfolgenrecht. Die ganze Richtung stinkt Ihnen.
— Ich habe gesagt, Herr Kleinert: einigen von Ihnen! Und das ist zutreffend.
14048 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1985
Frau Matthäus-Maier
Wenn Sie Moral in das Unterhaltsrecht einführen, ist es immer Doppelmoral. Wie sagt die Gutachterin Barbelies Wiegmann in Ihrem Gutachten:
„Unterhaltspflichten sind notwendige wirtschaftliche Konsequenzen im Rahmen der ehelichen Mitverantwortung und haben nichts mit Moral zu tun. Falls Moral eine Rolle spielen sollte, dann wäre sie ohnehin eine Doppelmoral. Unterhaltsansprüche kommen nämlich ihrer Rechtsnatur nach nur für denjenigen Ehegatten in Betracht, der im Falle der Trennung unterhaltsbedürftig und auf die Leistung des anderen angewiesen ist. Nur der Unterhaltsbedürftige — in der Regel die Familienfrau — sieht sich also Vorwürfen von Unmoral oder Fehlverhalten ausgesetzt. Beim Unterhaltsverpflichteten spielen sie keine Rolle." Wer die wirtschaftliche Macht hat, wer das Geld verdient, kann tun und lassen, was er will. Der wirtschaftlich Schwächere aber, der die Kinder erzieht, muß sich, um seinen Unterhaltsanspruch zu bewahren, in Ihrem Sinn moralisch verhalten. Das ist klassische Doppelmoral! Nein, mit uns nicht, meine Damen und Herren!
Fünftens. Das Gesetz führt zu schlimmer Rechtsunsicherheit. Begriffe wie „unbillig", „unzumutbar" und „angemessener Lebensbedarf" sind nur einige Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe, die zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, bei welcher Ehedauer welche Begrenzung möglich ist, ob es ein Verhältnis zwischen Ehedauer und Dauer der Unterhaltsberechtigung gibt. Mit allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden lassen sich keine halbwegs überzeugenden Ergebnisse begründen. Wir fürchten: Viele Jahre wird es dauern, bis wir wissen, wie die neuen Paragraphen endgültig durch die Gerichte ausgelegt werden.
Sechstens. Das Gesetz führt durch seine Rückwirkung für bereits abgeschlossene Scheidungsverfahren zu einem unglaublichen Durcheinander und zu einem Chaos bei den Familiengerichten. Das war der Hauptgrund, warum gerade die Praktiker Sie bei der Anhörung immer wieder gebeten haben, von Ihrem Gesetzesvorhaben abzulassen.
Siebtens — und damit möchte ich schließen —: Sie wollen mit diesem Gesetz Probleme lösen, die man mit dem Ehescheidungsfolgenrecht nicht lösen kann. Wenn Sie sagen, angesichts der hohen Erwerbslosigkeit von Frauen sollen die Männer nicht so lange zahlen, dann sagen wir: Bekämpfen Sie doch endlich die Arbeitslosigkeit von Frauen und bekämpfen Sie nicht das Ehescheidungsfolgenrecht!
Wir haben zum Arbeitsförderungsgesetz viele Anträge zur beruflichen Integration von Frauen gestellt. Einige davon haben Sie angenommen; wir freuen uns darüber. Andere haben Sie abgelehnt; das bedauern wir ausdrücklich. Die Wiedereingliederung der Familienfrau in das Erwerbsleben nach der Kindererziehung ist ein wichtiges Ziel.
Wenn Sie das endlich leisten und nicht meinen, die Arbeitslosigkeit erledige sich in fünf Jahren von selber, dann brauchen wir nicht solche Gesetze, wie Sie sie heute vorlegen. Auch die Erhöhung des Realsplittings bei der Steuer auf 18 000 DM im Jahr, das wir vor einem halben Jahr gemeinsam beschlossen haben, ist ein wichtiger Schritt nach vorn und ein wichtiges Beispiel für die steuerliche Besserstellung des Ehegattenunterhalts nach der Scheidung. Es gibt viele andere Punkte, die hier hineingehören.
Unser Vorwurf ist der: Es gibt Ungerechtigkeiten. Natürlich, wenn man auseinandergeht und sich nicht mehr liebt, dann zahlt man auch nicht gerne füreinander.
Sie wollen die Probleme auf dem Rücken des wirtschaftlich Schwächeren lösen, und das ist die Frau. Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.