Rede von
Günter
Schlatter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt heute der zweite Teil des Steuerbereinigungsgesetzes zur Beratung vor. Dieser Teil ist im letzten Jahr mit der Begründung abgetrennt worden, die Regierungskoalition habe noch einen Diskussionsbedarf. Ich muß heute, nach Abschluß dieses Diskussionsprozesses, feststellen, daß mich das Ergebnis enttäuscht, denn man ist in wichtigen Punkten dem selbst gestellten Anspruch nicht gerecht geworden. Bei einer Reihe schwerwiegender Fragen ist es nicht gelungen, die Interessen der Steuerbürger und der Wirtschaft einerseits und die Bedürfnisse der Finanzverwaltung andererseits in ein ausgewogenes und akzeptables Verhältnis zueinander zu bringen.
Für die Opposition kommt, ohne daß ich den Dank und das Lob des Kollegen Schulhoff hervorheben möchte, hinzu: Es ist unerträglich, ein 25 Punkte umfassendes Artikelgesetz mit Hunderten von Einzelregelungen in nur drei Wochen parlamentarischer Beratung heute verabschieden zu wollen.
Wir hätten nicht nur für die umfänglichen und schwerwiegenden Eingriffe in die Abgabenordnung mehr Beratungszeit gebraucht, sondern wir hätten unsere Aufmerksamkeit auch etwas mehr der Mah-
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nung aus dem Bereich der Steuerverwaltung widmen müssen, die darüber klagt, daß sie bereits zum Jahresbeginn 1986 mit einer Fülle von neuen Vorschriften belastet wird. Aus der Sicht der Steuerverwaltung muß die nicht abreißende Flut neuer Normen und gesetzlicher Regelungen als eine schlimme Zumutung verstanden werden.
Eine echte Steuerbereinigung und Steuervereinfachung bedarf der ruhigen und gründlichen Arbeit im Ausschuß, und die Betroffenen müssen gehört werden. Das war dieses Mal nicht möglich, nicht zuletzt auch deshalb, weil bis in die letzten Minuten der Ausschußberatungen neue Vorhaben aufgegriffen, bereits formulierte Regelungen zurückgenommen wurden und weil in dem einen oder anderen Fall auch beides passierte. Ich denke nur an das Thema Mineralölsteuerbefreiung für die Privat-und Sportfliegerei. Daß der Bundesfinanzminister, den ich einmal direkt ansprechen kann, diese Steuerbefreiungsforderung zunächst ganz vernünftig fand, zeigt denn auch den „entschlossenen Ernst", mit dem Sie, Herr Stoltenberg, den Kampf an der Subventionsabbaufront führen.
Ich bin von dem „entschlossenen Ernst", wenn ich das ironisieren darf, sehr enttäuscht, aber diese Enttäusçhung bestätigt einmal mehr, daß Sie nicht die Kraft aufbringen, Subventionen dort abzubauen, wo es erforderlich ist, und dem Begehren nach Ausbau von Subventionen entschieden entgegenzutreten. Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls sehr zufrieden, daß die Empörung der deutschen Öffentlichkeit das steuer-unsittliche Ansinnen des bayerischen Ministerpräsidenten hat scheitern lassen.
Ich unterstreiche auch für die SPD-Fraktion die Notwendigkeit von Änderungen in der Abgabenordnung. In der ersten Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 waren Vorschläge enthalten, die die Funktionsfähigkeit der Finanzverwaltung anstrebten und gleichzeitig zu einer größeren Rechtssicherheit und zu einer geordneten Durchführung des Besteuerungsverfahrens beitragen konnten. Diese Vorschläge sind zum Teil wesentlich geändert und um vieles Neue und leider auch Ungereimte ergänzt worden.
Bevor ich' auf solch Neues und Ungereimtes eingehe, reizt es mich allerdings, auf die vielen Vorschläge einzugehen, die von der Regierungskoalition bei der Beratung des Steuerbereinigungsgesetzes nicht aufgegriffen wurden. Ich denke z. B. an die Vorschläge zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts. Wir als SPD-Opposition verstehen, daß eine grundlegende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts vielen zusätzlichen Einzelregelungen vorzuziehen ist. Wir unterstützen deshalb die Absicht, eine besondere unabhängige Sachverständigenkommission einzusetzen.
Es ist aber zusätzlich unsere Auffassung, daß unabhängig von der generell notwendigen Überprüfung des Gemeinnützigkeitsrechts die gravierendsten Mißstände und Ungerechtigkeiten bereits heute beseitigt werden sollten. Dazu haben wir Anträge eingebracht.
Wir streben u. a. die Änderung des § 30 der Abgabenordnung mit dem Ziel an, die Finanzbehörden zu berechtigen, Auskünfte darüber zu geben, welche Körperschaften als steuerbegünstigt anerkannt sind. Dieses Auskunftsrecht müßte unseres Erachtens mindestens in Beantwortung mündlicher oder schriftlicher Anfragen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages oder der Landesparlamente gesichert sein. Daß die Regierungskoalition dieses Ansinnen ablehnt, ist bedauerlich. Dennoch werden wir unsere Absicht weiterverfolgen und Gelegenheit nehmen, diese Regelung in die Abgabenordnung hineinzuschreiben.
Auch die Regierungskoalition greift Einzelvorschläge zum Gemeinnützigkeitsrecht bereits jetzt auf. Ich denke z. B. an die Neuregelung, die es den Stiftungen ermöglichen soll, steuerfreie Rücklagen bis zur Höhe von einem Viertel ihres Einnahmeüberschusses zu bilden. Das tragen wir mit, und ich hoffe, daß wir umgekehrt Unterstützung und Verständnis für die Anträge finden, die wir heute zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts stellen.
Ich wollte über nicht aufgegriffene Vorhaben sprechen. Nicht aufgegriffen wurde von der Regierungskoalition die jüngste Kritik des Bundesrechnungshofs an der unzureichenden Erfassung der Einkünfte aus Kapitalvermögen. Es ist doch in der Tat so, daß ein erheblicher Teil von Steuerzahlern ihre Erklärungen gegenüber dem Finanzamt zu ihren Gunsten so gestalten, daß sie ihre eigentlich zu versteuernden Zinseinnahmen verschweigen und so ihre Steuerlast verkürzen. Sie tun das in der Zuversicht, daß die Finanzämter, die dazu durch den sogenannten Bankenerlaß angewiesen sind, die Angaben der Steuerzahler bei den Banken nicht nachprüfen. Die Abgabenordnung kennt kein Bankgeheimnis gegenüber dem Finanzamt, aber die interne Verwaltungspraxis hat faktisch ein gut funktionierendes Bankgeheimnis eingeführt. Die Folge ist ein Ärgernis, denn die Zinsversteuerung ist zu einer Angelegenheit einer gesetzestreuen Minderheit geworden.
Was läge eigentlich für den Gesetzgeber näher, als im Zuge des Steuerbereinigungsgesetzes analog zur Neuregelung des § 93 der Abgabenordnung Kontrollmitteilungen für die Erfassung von Zinseinkünften vorzusehen?
Meine Damen und Herren, eine solche Regelung würde — da bin ich sicher — in der Öffentlichkeit viel Verständnis finden. Aus Gesprächen mit der Wirtschaft z. B. ist uns Politikern ja nicht unbekannt, daß dort weitgehend Unverständnis über die Ungleichbehandlung der Besteuerung der Einkünfte aus Finanzanlagen und aus Sachvermögen herrscht.
Die SPD-Fraktion greift heute durch einen Antrag die begründeten Forderungen nach steuerli-
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cher Erfassung von Zinseinkünften auf und fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den bei gleichzeitiger massiver Erhöhung der Sparerfreibeträge die Besteuerung von Zinseinnahmen künftig sichergestellt wird.
Zu diesem Thema will ich noch einen weiteren Hinweis geben: In nahezu allen westlichen Industrieländern ist die Erfassung von Zinseinkünften entweder durch ein Quellenabzugsverfahren oder durch Kontrollmitteilungen der Kreditinstitute gewährleistet. Warum eigentlich bei uns nicht? Dies den Bürgern und der Öffentlichkeit zu erklären fällt uns offensichtlich schwer, und schwer ist es erst recht, es dem Bundesrechnungshof deutlich zu machen.
Aus ersten Stellungnahmen aus den Regierungsfraktionen zu unseren Vorschlägen muß ich schließen, daß Sie, meine Damen und Herren, an einer sachgerechten Diskussion der Probleme leider nicht interessiert sind. Wider besseres Wissen erklären Sie in Ihren Pressestellungnahmen, die SPD wolle an die Sparbücher der kleinen Leute. Ich sage: Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Wenn die Regierung nun plant — man hört j a, daß das diskutiert wird —, die Finanzverwaltung stärker in die Pflicht zu nehmen, heißt das doch im Ergebnis eigentlich, daß Sparer mit kleinen und mittleren Vermögen zur Kasse gebeten werden, weil bei ihnen der Fluchtweg ins Ausland keine reale Alternative zur Besteuerung ist.
Meine Damen und Herren, ich kann an dieser Stelle nur fordern: Beschließen Sie mit uns eine Steuerfreistellung für Zinserträge aus kleinen und mittleren Sparguthaben, und lassen Sie uns dann gemeinsam nach gesetzlichen Regelungen suchen, die Steuerschlupflöcher für die großen Vermögen zu schließen.
Leider hat die Regierungskoalition auch unsere Vorschläge zurückgewiesen, die steuerliche Schlechterstellung von im Inland wohnenden Eltern mit Kindern im Ausland, die als Folge des Steuersenkungsgesetzes 1986 eintritt, zu korrigieren. Als Ersatz den Betroffenen für die wegfallenden Kinderfreibeträge nun anzudienen, durch Steueranträge außergewöhnliche Belastungen nachzuweisen, muß von den Betroffenen zu Recht als ein Akt der Diskriminierung verstanden werden. Es ist kein Beleg für Glaubwürdigkeit, Auslandskindern die Gewährung von Steuerfreibeträgen vorzuenthalten und gleichzeitig zu behaupten, man wolle, wie Sie das tun, eine familiengerechte Besteuerung aller Personengruppen einführen. Es zeigt sich auch in diesem Fall wieder, daß das neu eingeführte System der Kinderfreibeträge vielfältige Ungerechtigkeiten schafft. Deshalb bleibt die SPD-Bundestagsfraktion bei ihrer Forderung nach Umwandlung der Kinderfreibeträge in ein erhöhtes Kindergeld.
Ich will ein paar Bemerkungen zu den Änderungen im steuerlichen Verfahrensrecht machen, die teilweise erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit der Finanzverwaltungen haben.
Durch den Vorschlag eines § 93 a Abgabenordnung wird eine allgemeine Mitteilungspflicht von Behörden und Rundfunkanstalten an die Finanzbehörden eingeführt. In diesem Zusammenhang unterstützt die SPD-Fraktion die Auffassung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, daß für eine Praxis von Kontrollmitteilungen eine formale Rechtsgrundlage geschaffen werden muß. Wir lehnen es allerdings ab, den Vorschlag der Regierungskoalition zu unterstützen, der den Umfang der zulässigen Kontrollmitteilungen einschränkt und insbesondere nicht zuläßt, in Mitteilungen über geleistete Zahlungen auch den Betrag aufzunehmen. Diese auch aus datenrechtlichen Gründen nicht zwingend gebotene Einschränkung führt zu einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand.
Ich denke, daß es nicht zumutbar ist, auf Grund von Pauschalinformationen die Steuerverwaltungen zu animieren, sich mit Rückfragen beim Steuerzahler oder sonstigen Erkenntnisquellen erst Eindrücke und Erkenntnisse zu verschaffen, die eine Besteuerung möglich machen. Wir unterstützen darum aus gutem Grunde den Bundesratsvorschlag, der den Bedürfnissen der Steuerverwaltung eher und ausführlich Rechnung trägt.
Eine Bemerkung zu der Übernahme der EGRichtlinie über die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der direkten Steuern und der Mehrwertsteuern. Die Regelung wird von Ihnen nur halbherzig und unvollkommen übernommen. Die Beschränkung des Auskunftsverkehrs auf nur drei Fallgruppen schöpft die gebotene Möglichkeit nicht aus, sondern es wird im Ergebnis eher so sein, daß die Absicht der EG-Richtlinie aus dem Jahr 1977, nämlich etwas gegen die zunehmende internationale Steuerflucht zu unternehmen, unterlaufen werden kann. Ich gehe davon aus, daß auch die zwingend vorgeschriebene Anhörung der inländischen Beteiligten im Amtshilfeverkehr eine schlechte Transformation der EG-Richtlinie ist und Erschwernisse beim Kampf gegen die internationale Steuerflucht bringt. Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb Art. 2 des Steuerbereinigungsgesetzes ablehnen.
Wir begrüßen ausdrücklich, daß die Regelung einer verbindlichen Zusage der Finanzbehörden ohne vorhergehende Außenprüfung zurückgezogen wurde. Es war in der Tat unerträglich, eine Änderung im Eilverfahren durchdrücken zu wollen, die so nachhaltig in die Besteuerungspraxis eingreift. Der Vorschlag sollte die Angehörigen der Steuerverwaltung zwingen, über die Steuerfestsetzung hinaus in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht komplizierte rechtsverbindliche Auskünfte zu erteilen. Die Verantwortung für die Gestaltung des Sachverhaltes sollte von den Steuerpflichtigen weg auf die Verwaltung abgewälzt werden. Zu Recht haben sich die Länder gegen diesen Überrumpelungsversuch zur Wehr gesetzt.
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Daß nun die Fraktionen der CDU/CSU und FDP einen Entschließungsantrag nachschieben, der die problematischen Vorschläge wieder aufnimmt und die Bundsregierung zwingen will, einen Gesetzentwurf in dieser Richtung vorzulegen, ist schon ein erstaunliches Stück. Ich hoffe, daß der Bundesrat und die Bundesländer klug genug sind, sich auch künftig gegen dieses Ansinnen zur Wehr zu setzen. Sie werden die SPD-Bundestagsfraktion dabei an ihrer Seite finden.
Letzte Bemerkung. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in der Schlußabstimmung über die Gesamtvorlage der Stimme enthalten. Wir haben gute Gründe dafür geltend zu machen. Wir haben unsere Gründe unter anderem in Anträgen zum Ausdruck gebracht, die heute mit zur Beschlußfassung anstehen. Nur bedauern wir, daß von unseren Anträgen in den Schlußberatungen durch die Regierungsfraktionen in die heute zu beschließende Schlußfassung des Steuerbereinigungsgesetzes so wenig aufgenommen worden ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.