Rede von
Anke
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß hier eben nicht ein Vertreter der Arbeitgeberverbände gesprochen hat, sondern der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der qua Amtseid dem gesamten Volke verpflichtet ist. Es war unglaublich, was Sie uns hier geboten haben, Herr Bundesarbeitsminister.
Er hat gesagt, es gehe bei der Änderung um Klarstellung.
Für diese Klarstellung hat er 40 Minuten gebraucht, für eine Klarstellung, die angeblich überhaupt nichts ändert,
für eine Klarstellung, von der er meint, sie sei eigentlich ganz bedeutungslos und bewege sich im Rahmen dessen, was schon lange Rechtens sei.
Ich will zu Beginn, meine Damen und Herren, ein bißchen dafür sorgen, daß wir uns der Ernsthaftigkeit und der Wichtigkeit dieses Themas bewußt werden.
Ich will nicht auf diese polemische Art erwidern.
Ich will zitieren, was der damalige Bundesarbeitsminister Katzer am Ende der Beratungen des Arbeitsförderungsgesetzes gesagt hat. Er brachte in einer schriftlichen Erklärung zum Ausdruck:
Der Ausschuß für Arbeit hat gleichzeitig den Entwurf der Bundesregierung und den Initiativentwurf der sozialdemokratischen Fraktion durchberaten. Diese Kombination der Beratung hat sich glücklich ausgewirkt. Das Ergebnis der Ausschußberatungen bringt eine ganze Reihe fortschrittlicher Verbesserungen des ursprünglichen Regierungsentwurfs. Der Lernprozeß, in dem wir alle stehen, geht eben weiter. Ausdrücklich möchte ich hier feststellen, daß ich für jede konsequente Fortentwicklung der Konzeption dieses Gesetzes nur dankbar bin und darüber sehr befriedigt bin.
So Hans Katzer 1969 nach Abschluß dieser Beratungen. Deswegen ist es falsch, wenn Sie immer nur von der Regierungsvorlage sprechen.
In diesen Tagen nun ist der Eindruck erweckt worden, als ob die Regierung den Weg von Verhandlungen und Vereinbarungen gehen wolle und nicht den eines gesetzgeberischen Diktats. Spätestens seit dem letzten Freitag wissen wir, was die Regierung tatsächlich will. Sie will nämlich nicht Vereinbarungen, sie will nicht den sozialen Konsens, sondern Verfügung durch den Gesetzgeber. Das ist ihr Ziel.
Sie will den Arbeitnehmern außerhalb eines Streikgebiets den versicherungsrechtlichen Anspruch auf Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld wegnehmen,
Arbeitnehmer nämlich, die nicht streiken, die nicht
ausgesperrt sind, sondern auf Grund einer Ent-
scheidung des Arbeitgebers arbeitslos geworden
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1985 13971
Frau Fuchs
sind, weil die Produktion angeblich wegen Streiks oder Aussperrung stillgelegt werden muß.
Die Gewerkschaften werden geschwächt, denn mit der Behauptung, die Produktion müsse wegen Streiks oder Aussperrung stillgelegt werden, können Arbeitnehmer arbeitslos gemacht werden. Sie erhalten keine Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, übrigens auch keine Leistungen der Gewerkschaften. Sie sind auf Sozialhilfe angewiesen. Damit soll Unruhe außerhalb des Streikgebiets geschürt und die Position der Gewerkschaften geschwächt werden.
Deswegen geht es um Abbau von Streikrecht. Deswegen geht es darum, den bisherigen sozialen Konsens aufzugeben. Denen, die diesen Irrweg pflastern, muß geraten werden, die Bauzeichnung der Demokratie in der Bundesrepublik zu studieren und nachzulesen, worauf sich die großen Kräfte in diesem Staat nach dem Kriege verständigt haben:
Einheitsgewerkschaft, starke Gewerkschaften, deren Wort wiegt. Von diesen Zielen abzurücken heißt, sich von den gemeinsamen Grundlagen zu trennen. Das hat Herbert Wehner gestern gesagt, und wir stimmen dem ausdrücklich zu.
In dieser Auseinandersetzung sagen manche auch, sie seien erstaunt, daß man die Rechtsprechung nicht abwarten könne. Es sei erstaunlich, daß gerade diejenigen, die sich sonst immer vehement gegen zuviel Staat wenden, jetzt rigoros den Gesetzgeber fordern. Es sei eine bedrückende Perspektive für unseren Rechtsstaat, wenn mit dem Argument, bis zur höchstrichterlichen Entscheidung würde es Jahre dauern, nach dem Gesetzgeber gerufen wird. Es stünde einem Rechtsstaat besser zu Gesicht, wenn das Bemühen um eine Beschleunigung des Verfahrens Vorrang hätte. Und es geht weiter:
Wie immer der Streit ausgehen mag, es gehört keine prophetische Gabe dazu, daß auch eine Neufassung des § 116 AFG nicht von Bestand sein wird, solange die Tarifvertragsparteien nicht zum Konsens zurückfinden.
So Hans Katzer gestern, und er hat recht damit gehabt.
Nun versucht der Arbeitsminister seit geraumer Zeit, der Öffentlichkeit weiszumachen, es gehe um eine Klarstellung. Das ist eine grobe Täuschung.
Es geht nicht um eine Klarstellung, es geht um eine
Änderung der Neutralitätsvorschriften der Bundesanstalt für Arbeit zu Lasten der Gewerkschaften und zu Lasten der Arbeitnehmer.
Der Bundesarbeitsminister hat mit seiner Formel der Klarstellung die Gewerkschaften bewußt hinters Licht geführt.
Der Bundesarbeitsminister hat die Gesprächsbereitschaft der Gewerkschaften mißbraucht,
um sich als ehrlichen Makler hinstellen zu lassen. Spätestens seit letzten Freitag wissen wir, daß von vornherein beabsichtigt war, eine gesetzgeberische Initiative zu Lasten der Gewerkschaften durchzupeitschen.
Die Arbeitgeber, meine Damen und Herren, brauchten gar nicht viel zu sagen. Sie waren in den Gesprächen fast stumm. Der Wirtschaftsminister hatte die Formulierung vorgegeben. Der Arbeitsminister hatte fast deckungsgleiche Formulierungen vorgegeben. Der Wirtschaftsminister und der Arbeitsminister waren sich in den Formulierungen einig.
Dann hat der Arbeitsminister versucht, diese Veränderung zu Lasten der Gewerkschaften den Gewerkschaften auch noch schmackhaft zu machen. Das hat er im Auftrag der Bundesregierung getan.
Deswegen sagen wir: Die Bundesregierung übt nicht sozialstaatliche Neutralität, sondern nimmt einseitig Partei zugunsten der Arbeitgeber.
Erinnern wir uns: 1969 — wir haben schon darüber gesprochen — wurde das Arbeitsförderungsgesetz verabschiedet. Ich will auf die Einzelheiten des damaligen Kompromisses nicht eingehen. Aber was jetzt vorgeschlagen wird, meine Damen und Herren, stellt den Willen des Gesetzgebers von 1969 auf den Kopf. Es wird keine Klarstellungen geben. Ein bißchen mehr Juristerei hätte auch Ihnen gutgetan, Herr Bundesarbeitsminister;
denn Sie arbeiten mit so vielen unbestimmten Rechtsbegriffen, daß Sie eines tun werden: Sie werden Beschäftigungspolitik für Rechtsanwälte betreiben, weil sie mit diesen Formulierungen vor Gericht gehen müssen.
Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man ein richtiges Kabarett aufführen.
13972 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1985
Frau Fuchs
Was ist denn „ähnlich"? Wenn in Kiel 6% und in München 2 % gefordert werden, ist das „annähernd gleich"? Wenn einer die 35-Stunden-Woche möchte und der andere die 30-Stunden-Woche, ist das „annähernd gleich"? Wenn einer mehr Urlaub möchte und der andere mehr Weihnachtsgeld, ist das „annähernd gleich"?
Meine Damen und Herren, was ist eine „Hauptforderung"? Was ist nur eine „Forderung"?
All dies ist völlig ungeklärt.
Herr Blüm ist sich treu geblieben: Erst manipuliert er in der Rentenversicherung, und jetzt versucht er, mit juristischen Tricks auch noch den sozialen Konsens in diesem Land aufzuheben.
Dieser Vorschlag, meine Damen und Herren, ist von fünf Ministern erarbeitet worden, von fünf Ministerien; der Justizminister war dabei.
Dann gehen diese fünf Minister in die Runde und erläutern der CDU-Fraktion, was sein soll.
Nun gibt es fünf ganz große Fragen, die nicht geklärt sind. Ich könnte sie Ihnen aufzählen. Wie Sie bis zur nächsten Woche diese fünf Fragen beantworten wollen, das bleibt Ihr Geheimnis.
Ich weiß j a, welches der Grund Ihres Verhaltens ist: damit die Sozialausschüsse noch ein bißchen weichgeknetet werden. Die fünf Fragen kommen wohl aus dieser Ecke, um sie so weichzukneten und einen Koalitionsstreit zu verhindern. Darauf wollen wir nur hinweisen.
Die Pläne würden, wenn sie Wirklichkeit würden, die Tariflandschaft grundlegend ändern. Die Gewerkschaften würden doch gezwungen, ihre Tarifverhandlungen regional und zeitlich zu diffrenzieren. Zentrale Verhandlungen, die übrigens immer die Arbeitgeber gewünscht haben, wären dann nicht mehr möglich. Die Tariflandschaft würde zerfleddern, und es gäbe einen Flickenteppich unterschiedlicher Tarifabschlüsse.
Man muß die Bundesregierung wirklich fragen, ob sie dies will, ob sie auch möchte, daß sich die Arbeitsbedingungen in unserem Land unterschiedlich entwickeln. Sie zwingen — ich sage es Ihnen noch einmal mit Nachdruck — die Gewerkschaften zu einer Veränderung ihrer Tarifpolitik. Das wird Ihnen eines Tages wirklich leid tun.
Deswegen sage ich nach alldem, was in diesen Tagen debattiert wurde, noch einmal: Es besteht kein Handlungsbedarf.
Ist es eigentlich bei Ihnen so, daß die Ohren so taub sind, daß Sie Warnungen von besonnenen Leuten aus Ihrem Lager gar nicht mehr ernst nehmen? Warum hören Sie nicht auf das, was Hans Katzer gestern noch einmal deutlich gesagt hat? Warum hören Sie nicht auf das, was Herr Benda gesagt hat? Warum hören Sie nicht auf das, was Professor Wannagat gesagt hat?
Die bestehende Regelung hat sich in den letzten 15 Jahren bewährt. Wenn Auslegungsschwierigkeiten auftreten, müssen diese von den Gerichten geklärt werden. Der Gesetzgeber und die Nürnberger Selbstverwaltung müssen sich aus diesem Streit heraushalten.
Nun wird gesagt, es gebe einen Handlungsbedarf, weil die Gewerkschaften Druck erzeugt hätten. Das stellt nun wirklich die Entwicklung auf den Kopf. Wollen wir noch einmal zurückblicken: Zu Beginn der Tarifauseinandersetzungen des vorigen Jahres um die wichtige Arbeitszeitverkürzung hat sich der Bundeskanzler sofort auf die Seite der Arbeitgeber gestellt und die Tarifauseinandersetzung für „dumm, absurd und töricht" gehalten. Er hat damit den sozialen Frieden verletzt.
Es war eine Tarifbewegung, die durch Arbeitszeitverkürzungen zu ungefähr 100 000 neuen Arbeitsplätzen geführt hat.
Der Bundesarbeitsminister hat ihm doch sekundiert. Er hat damals gesagt, die Bundesanstalt für Arbeit dürfe nicht zur Streikkasse der Gewerkschaften werden.
Der Bundesarbeitsminister hat doch dafür gesorgt, daß der Franke-Erlaß rechtswidrig erging.
Wenn der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit damals bei der bis dahin gültigen rechtlichen Auslegung geblieben wäre, wären diese Probleme gar nicht aufgetaucht. Dann wäre alles so gelaufen, wie es 15 Jahre in dieser Republik möglich war.
Deswegen ist der Bundesarbeitsminister mit seinen leichtfertigen Äußerungen und seinem Druck auf den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, er möge den Franke-Erlaß in seinem Sinne formulieren, der Auslöser dieser ganzen Debatte. Deswegen ist er der Verursacher dieser sozialen Konflikte.
Er hat damit die Scharfmacher in seinen eigenen Reihen auf den Plan gerufen. Der Arbeitsminister selber hat damit den bestehenden Konsens über die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit aufgekündigt. Sie können jetzt nicht den Gewerkschaften die Schuld zuschieben. Denn Sie selber haben die
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1985 13973
Frau Fuchs
Gräben aufgerissen, die den sozialen Frieden gefährden.
Die Bundesregierung will nun auf jeden Fall noch vor Weihnachten den § 116 ändern. Gleichzeitig erklärt sie, daß auch das Thema SDI noch vor Weihnachten vom Tisch müsse. Ich frage mich: Ob es zwischen beiden Themen einen Zusammenhang gibt?
Warum dieser Schritt kurz vor Weihnachten? Hat die Regierung das Gespür dafür verloren, was ein solcher möglicher Zusammenhang in der politischen Auseinandersetzung bedeuten kann?
Oder ist es richtig, daß Herrn Bangemann der Staatseingriff ins Streikrecht gestattet wird, um gleichzeitig seine Zustimmung zu SDI zu erreichen?
Die Änderung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz, gekoppelt mit den Plänen zu SDI?
Wer Fragen des sozialen Friedens und des äußeren Friedens miteinander verkoppelt,
um die Streitigkeiten in der Koalition zu bewältigen, handelt unverantwortlich.
Deswegen muß das Parlament fähig und willens sein, seine soziale Ordnungsfunktion, seine Verantwortung für das soziale Gleichgewicht in diesem Land zur Geltung zu bringen. Der Bundestag darf sich nicht dem Regierungswillen unterwerfen. Er muß sich auch seiner sozialstaatlichen Tradition bewußt sein.
Die Änderung des § 116 wird auch zu einer Bewährungsprobe der Sozialausschüsse in der Union.
Wir sind gespannt. So nicht, hieß es gestern. Mit uns nicht, hieß es auch. Die Gewerkschaften dürfen nicht geschwächt werden, hörte man. Wir sind gespannt und erwarten eine klare Aussage.
Ich sage den Kolleginnen und Kollegen aus den Sozialausschüssen der Union: Lesen Sie sorgfältig nach, was Ihr früherer Vorsitzender Hans Katzer zu diesem Thema gesagt hat, und hören Sie nicht auf den Arbeitgeberminister Norbert Blüm!
Wir sind überzeugte Anhänger der Einheitsgewerkschaft und ihrer sozialstaatlichen Fundierung. Für diese Einheitsgewerkschaft kämpfen wir in diesen Wochen. Ich hoffe und erwarte, daß die Kolleginnen und Kollegen aus der Union wissen, worum es geht.
Der Bundeskanzler lächelt mir wieder fröhlich zu. Ich freue mich darüber, Herr Bundeskanzler. Ich wünschte mir nur, Sie würden sich endlich bewußt machen, welchen Weg die Bundesregierung in diesen Tagen geht. Ich habe den Eindruck: Vor lauter Koalitionsgerangel spüren Sie überhaupt nicht mehr, wie sehr Sie sich aus der Tradition von Hans Katzer verabschieden.
Vielen Dank.