Rede von
Wolf-Michael
Catenhusen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Staatssekretärin, welchen Grund gab es bei der Veröffentlichung vom 3. September für die Bundesregierung, zu diesem Zeitpunkt auf den Zusammenhang mit Diethylenglykol öffentlich hinzuweisen, aber in keinerlei Verlautbarung weder die Überwachungsämter noch die Offentlichkeit darüber zu informieren, daß es möglicherweise einen konkreten Verdacht gebe, daß Weine — egal, ob österreichisch oder nicht — mit Natriumazid versetzt seien?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das war zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht der Fall. Vielmehr hat hier die Mitarbeiterin des Bundesgesundheitsamtes Gesprächsergebnisse wiedergegeben. Azide sind in früheren Jahren immer wieder einmal in österreichischen Weinen gefunden worden. Ich glaube, es kann nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein, nur auf Verdacht hin etwas zu unternehmen. Wir haben hier der Informationspflicht Genüge getan und haben die entsprechenden zuständigen Behörden — die sind nun einmal bei den Ländern angesiedelt — informiert.
- Vizepräsident Stücklen: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 der Frau Abgeordneten Schmidt auf:
Kann die Bundesregierung den Widerspruch zwischen der Äußerung der österreichischen Regierung, die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik Deutschland seien über den neuen Weinskandal umgehend informiert worden, und den Angaben des Landwirtschaftsministeriums Rheinland-Pfalz, eine Nachricht aus Wien sei nicht eingetroffen, erklären?
Bitte sehr.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 29. Oktober 1985 den Bericht einer Nachrichtenagentur erhalten, wonach die österreichischen Behörden in österreichischen Weinen den Stoff Natriumazid festgestellt haben. Es seien „bereits mehrere Proben mit der verbotenen Chemikalie gefunden worden und es seien Beschlagnahmen erfolgt". Mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen könnten keine Einzelheiten genannt werden.
Um nähere Einzelheiten zu erfahren, hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit noch am selben Tage sofort fernmündlich mit den österreichischen Behörden Kontakt aufgenommen und zugleich Fernschreiben an die zuständigen österreichischen Ministerien für Gesundheit und Umweltschutz sowie für Land- und Forstwirtschaft gerichtet. Ebenfalls am Abend des 29. Oktober 1985 informierte das Bundesgesundheitsministerium die zuständigen Ministerien der Länder und die Öffentlichkeit.
Am 30. Oktober 1985 ist daraufhin das Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz vom österreichischen Landwirtschaftsministerium fernschriftlich über die festgestellten Verfälschungen bei österreichischem Wein unterrichtet worden. Als die österreichischen Behörden — und zwar am Mittag des 30. Oktober 1985; die dpa-Meldung ist von 12.55 Uhr — über die angeblich bereits erfolgte Unterrichtung des rheinland-pfälzischen Ministeriums berichteten, war dort nach Angaben aus Rheinland-Pfalz das Fernschreiben aus Wien noch nicht eingegangen. Das geschah vielmehr erst am frühen Nachmittag desselben Tages gegen 14 Uhr. Das Fernschreiben des österreichischen Landwirtschaftsministeriums ist im Wortlaut gleichzeitig dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit übermittelt worden. Sowohl das rheinland-pfälzische Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten als auch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit haben unverzüglich die übrigen für den Vollzug des Weinrechts zuständigen Landesbehörden über den Inhalt des Fernschreibens unterrichtet.
Das Fernschreiben des österreichischen Landwirtschaftsministeriums enthielt u. a. die Aussage: „Die bisherigen Kontrollen ergaben keinen Hinweis, daß mit verbotenen Konservierungsmitteln versetzte Weine in die Bundesrepublik Deutschland exportiert worden sind." Gleichwohl wiederholte das Bundesgesundheitsministerium am selben Tag unter Hinweis auf die Feststellung von Natriumazid in österreichischen Weinen die dringende Warnung vor dem Verzehr jeglichen österreichischen Weins, da nicht ausgeschlossen werden könne, daß doch österreichische Weine mit Natriumazid in die Bundesrepublik Deutschland gelangt sein könnten.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die österreichischen Behörden nicht ernstlich die beiläufigen Hinweise anläßlich des Sachverständigengesprächs am 29. August 1985 in Wien als ausreichende Information über akute Fälle von Verfälschungen bei 100 000 l österreichischem Wein mit Natriumazid ansehen können. Davon hat vielmehr das österreichische Landwirtschaftsministerium erst zwei Monate später — auf ausdrückliche Anfrage — berichtet. Und es hat selbst dann noch Anhaltspunkte dafür in Abrede gestellt, daß hiervon etwas in die Bundesrepublik Deutschland gelangt sein könnte.