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ID1016406100

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    Plenarprotokoll 10/164 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 164. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 16. Oktober 1985 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. George . . . . 12261 A Begrüßung von 520 jugendlichen Mitbürgern 12269 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung Dr. Kohl, Bundeskanzler 12261 D Dr. Vogel SPD 12269 D Dr. Dregger CDU/CSU 12279 D Schmidt (Hamburg-Neustadt) GRÜNE 12283 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 12285 D Dr. Waigel CDU/CSU 12289C, 12291 C Roth SPD 12289 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 12295 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 12301 B Bueb GRÜNE (zur GO) 12305 A Seiters CDU/CSU (zur GO) 12305 B Frau Fuchs (Köln) SPD 12305 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 12307 D Dr. Hauff SPD 12312 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 12314 B Dr. Ehrenberg SPD 12321 C Urbaniak SPD 12324 B Oostergetelo SPD 12325 C Vizepräsident Frau Renger 12321 C Namentliche Abstimmung 12327 D Nächste Sitzung 12329 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 12330* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Oktober 1985 12261 164. Sitzung Bonn, den 16. Oktober 1985 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 164. Sitzung, Seite W A; Vier mal ist statt „Dr. Florian BML" „Dr. Florian BMP" zu lesen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein *** 18. 10. Dr. Ahrens * 18. 10. Antretter 18. 10. Bahr 16. 10. Dr. Bangemann 16. 10. Biehle *** 17. 10. Brandt 16. 10. Büchner (Speyer) * 17. 10. Dr. Corterier *** 17. 10. Egert 16. 10. Dr. Ehmke (Bonn) 17. 10. Ertl 16. 10. Francke (Hamburg) *** 16. 10. Funk 18. 10. Gansel *** 16. 10. Dr. von Geldern 16. 10. Gerstein 18. 10. Glos 16. 10. Haase (Fürth) * 18. 10. von Hammerstein 16. 10. Horn *** 16. 10. Dr. Hüsch 16. 10. Dr. Hupka *** 16. 10. Ibrügger *** 16. 10. Jungmann *** 16. 10. Dr.-Ing. Kansy *** 17. 10. Kolbow *** 16. 10. Dr. Kreile 18. 10. Frau Krone-Appuhn *** 16. 10. Kühbacher 18. 10. Dr. Kunz (Weiden) *** 17. 10. Dr.-Ing. Laermann 18. 10. Lange *** 17. 10. Lattmann *** 16. 10. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich * 17. 10. Frau Dr. Lepsius 18. 10. Frau Dr. Martiny-Glotz 18. 10. Dr. Mertens (Bottrop) 16. 10. Dr. Müller * 18. 10. Müller (Remscheid) 16. 10. Neumann (Bramsche) 18. 10. Dr.-Ing. Oldenstädt 18. 10. Pfeffermann 16. 10. Reddemann ** 18. 10. Frau Roitzsch (Quickborn) 18. 10. Ronneburger *** 16. 10. Roth 18. 10. Sander 17. 10. Sauer (Salzgitter) *** 17. 10. Dr. Schneider (Nürnberg) 18. 10. Schröer (Mülheim) 17. 10. Schulte (Unna) ** 18. 10. Frau Simonis *** 16. 10. Dr. Todenhöfer 18. 10. Frau Traupe *** 17. 10. Verheugen 18. 10. Voigt (Frankfurt) 18. 10. Dr. Warnke 17. 10. Dr. von Wartenberg *** 18. 10. Weiß *** 17. 10. Frau Dr. Wex 16. 10. Dr. Wörner 18. 10. Würtz *** 16. 10. Zierer *** 16. 10. Dr. Zimmermann 18. 10. *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Volker Hauff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn der heutigen Debatte hat der Bundeskanzler dazu aufgerufen — das hat dann auch bei mehreren Debattenrednern, zuletzt bei Ihnen, Herr Cronenberg, eine wichtige Rolle gespielt —, sich gegenseitig den guten Willen doch bitte schön nicht abzusprechen. Ich möchte dazu sagen: Die Botschaft hör' ich wohl. Aber ich frage mich, wie es eigentlich auf die Menschen wirkt, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, die keinen Ausbildungsplatz finden, wenn sie wahrnehmen, mit welcher Selbstgerechtigkeit die Bundesregierung in der Debatte hier behauptet, sie hätte alles getan, was getan werden kann, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Diese Selbstgerechtigkeit war nicht mehr zu überbieten.

    (Beifall bei der SPD)

    Trotzdem möchte ich den Versuch wagen, für ein Stück Vernunft zu werben. Guter Wille heißt j a zunächst einmal, einander sorgfältig zuzuhören und auch bereit zu sein, einen Kompromiß zu schließen. Ich möchte den Versuch machen, für Vorschläge zu werben, wie wir mit der doppelten Herausforderung, vor der wir stehen, nämlich der Massenarbeitslosigkeit und der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, besser umgehen können, d. h., wie wir Arbeit und Umwelt besser miteinander verknüpfen können.
    Die bisherige Art der Bundesregierung, mit solchen Vorschlägen — es gibt eine ganze Reihe davon — umzugehen, ist kein gutes Beispiel für die politische Kultur in unserem Lande. Ich greife den Fall heraus, der mich persönlich am meisten interessiert. Das ist der Vorschlag, den wir Sozialdemokraten entwickelt haben: Arbeit und Umwelt miteinander zu verknüpfen und dafür ein Sondervermögen einzurichten.

    (Boroffka [CDU/CSU]: Wer zahlt's?)

    Die Bundesregierung hat nichts Eiligeres zu tun gehabt, als diesen Vorschlag in Bausch und Bogen

    (Boroffka [CDU/CSU]: Wer zahlt das Sondervermögen?)

    — jetzt warten Sie doch einen kleinen Augenblick!
    — und mit ziemlich dürftigen Argumenten abzulehnen: Das bringe nichts, das sei ein Beschäftigungsprogramm — das Gegenteil ist richtig —, das sei zu bürokratisch — die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist nun wirklich nicht bürokratisch —, das führe zu unerträglichen Zinssteigerungen. Ein Mitglied dieser Regierung hat sich sogar dazu verstiegen: Das führe „zur Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft",

    (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Im Gegenteil!)

    und von daher könne es sogar zu einem „Verlust von Arbeitsplätzen" führen.
    Meine Damen und Herren, diese Bewertungen sind nicht nur lächerlich; es ist für eine Regierung, die Verantwortung für den Abbau der Arbeitslosigkeit und für mehr Umweltschutz trägt, auch verantwortungslos, wie hier mit Vorschlägen umgegangen wurde.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Bürger haben ein Recht darauf, daß die Bundesregierung alle Vorschläge, die es gibt, sogfältig prüft und sich den Argumenten stellt und in dem Zusammenhang nicht Propaganda betreibt, sondern sich mit den Argumenten auseinandersetzt.
    Wir haben uns bei unserem Vorschlag neben vielen anderem hauptsächlich mit zwei Problemen auseinandergesetzt. Frage Nummer eins: Wie können wir das riesige Problem der Sanierung der angehäuften Umweltschäden, der Altlasten, lösen, die da sind, die niemand wegdiskutieren kann — vor allem bei Deponien — und bei denen das Verursacherprinzip nicht angewandt werden kann? Da kommt ein riesiger Finanzbedarf auf uns zu, der von den Kommunen nicht allein bewältigt werden kann.
    Zweites Problem: Wir betreiben eine Umweltpolitik mit Grenzwerten. Das ist richtig, das wird auch so bleiben. Nur, müssen wir dann dafür sorgen, daß an diesen jeweiligen Grenzwerten nicht Halt gemacht wird, sondern daß ein Anreiz für diejenigen geschaffen wird, die über die Grenzwerte hinausgehen wollen. Wir wollen die technologischen Innovationen beschleunigen. Gerade auf diesem Gebiet brauchen wir einen Aufbruch nach vorne, einen Aufbruch zu neuen Ufern, einen Aufbruch zur ökologischen Modernisierung unserer Volkswirtschaft.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Daher weg von der Brütertechnologie!)




    Dr. Hauff
    Wir wollen die ökologischen Schnelläufer.

    (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Sie hätten zum Hearing kommen sollen!)

    — Wir wollen sie wirklich fördern, Herr Schwörer. Ich sehe doch, daß es Ihnen wehtut. Das sind die beiden Fragen. Den Fragen können Sie nicht ausweichen. Da können Sie noch so laut dazwischenrufen.

    (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Sie hätten zum Hearing kommen sollen!)

    Die Fragen haben wir uns gestellt. Ich finde, diese Fragen sollte sich auch die Bundesregierung endlich stellen.

    (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Da waren die ganzen Sachverständigen da, aber Sie waren nicht da!)

    — Entschuldigung, ich war auf einer internationalen Konferenz. Aber Sie können davon ausgehen, daß ich mich sorgfältig infomiert habe. Ich konnte die Abwesenheit nicht vermeiden, weil ich dort mehrere Monate vorher zugesagt habe.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Aber wir haben die Sachverständigen angehört und haben uns auch informiert!)

    — Ich habe mich sehr sorgfältig informiert. Sie können ja nachher gern das Wort ergreifen.
    Unsere Antwort auf die beiden Fragen ist das Sondervermögen Arbeit und Umwelt. Es ist ein Beitrag zu wirksamem Umweltschutz. Gleichzeitig werden mehr Arbeitsplätze geschaffen.
    Eine ganze Reihe von Sachverständigen aus der Wirtschaft und aus der Wissenschaft hält diesen Vorschlag für vernünftig. Ich zitiere sie nachher im einzelnen. Es sind nicht nur jene, von denen Sie meinen, sie ständen uns besonders nahe.
    Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung — DIW — äußert sich so:
    Ohne Zweifel wäre ein auf die „Mobilisierung zusätzlicher Umweltschutzinvestitionen gerichtetes Programm ein wichtiger Baustein ... in einer solchen gebündelten Strategie", Arbeit und Umwelt miteinander zu verknüpfen.
    So wörtlich! Das DIW kommt zu dem Ergebnis, daß damit 400 000 bis 450 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können.

    (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Was hat es zur Finanzierung gesagt?)

    Das Ifo-Institut — Institut für Wirtschaftsforschung — kommt zu dem Ergebnis: 200 000 Arbeitsplätze. Wenn die Wahrheit irgendwo dazwischen ist, ist es ja gut. Nur, wenn angesichts dieser Größenordnung von auf jeden Fall über 200 000 Arbeitsplätzen behauptet wird, wie es ein Mitglied dieser Regierung getan hat, das seien vernachlässigbare Größenordnungen, sage ich: Wer das für eine vernachlässigbare Größenordnung hält, den bezichtige ich des blanken Zynismus.

    (Beifall bei der SPD)

    Zum Instrument der Zinsverbilligung. Es wurde von der Bundesbank kritisiert. Das hat mich gar nicht überrascht. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat es aber begrüßt. Er hat wörtlich gesagt, das sei ein „besonders geeignetes Instrument für integrierten Umweltschutz" — den wir doch alle wollen —, weil es über eine Senkung der Kapitalkosten ein früheres Erreichen der Rentabilitätsschwelle ermögliche. Auch das spricht für das vorgesehene Sondervermögen.
    Was die Finanzierung angeht, haben wir einen Vorschlag gemacht. Wir halten ihn für seriös. Trotzdem sage ich: Wer einen besseren Vorschlag hat, soll ihn präsentieren. Dann treten wir in einen fairen Wettstreit ein. Herr Cronenberg, wer bei der Finanzierung sagt „entweder Neuverschuldung oder Steuererhöhungen", der möge bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Sachverständigen zu dieser Frage einhellig die Auffassung vertreten haben, daß die Selbstfinanzierung von mindestens 50 % bei diesem Programm gegeben ist.

    (Beifall bei der SPD — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Und die anderen 50 %?)

    Das mögen Sie bitte zur Kenntnis nehmen.
    Die Altlasten in unserer Umwelt sind zu einer tikkenden Zeitbombe geworden. Alle Experten waren der Meinung, daß es dafür bis heute noch keine Lösungsinstrumente gibt. Das Problem ist ungelöst. Vor allem die Verantwortlichen aus den Kommunen, aus der Praxis haben diesem Sondervermögen bescheinigt, daß es für das Problem der Altlasten besonders geeignet erscheint. Das Umweltbundesamt rechnet hier, wie Sie wissen, mit einem Finanzbedarf in der Größenordnung von 14 Milliarden DM auf zehn Jahre. Andere reden von 50 Milliarden DM. Vor kurzem hat der Kollege Biedenkopf in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit mir diese Größenordnung aus seiner Sicht bestätigt. Um diese Größenordnung handelt es sich.
    Wenn es so ist, dann rollt hier ein Bedarf in einer Milliardengrößenordnung auf die Gemeinden zu, der die Gemeinden überfordert, nicht zuletzt deswegen, weil sie völlig ausgeblutet sind, vor allem dort, wo es hohe Arbeitslosigkeit gibt,

    (Beifall bei der SPD)

    weil man zwar die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt, aber dies auf Kosten der Kommunen gemacht hat, die jetzt die Sozialhilfe bezahlen müssen.

    (Broll [CDU/CSU]: Die rechnen alle mit Entlastung auf Grund des neuen Gesetzes; das wissen Sie ganz genau!)

    Das Institut für Urbanistik hat deswegen gezeigt, daß das eine Möglichkeit zur Lösung des Problems ist.
    Die Bundesregierung lehnt, jedenfalls bis jetzt, unseren Vorschlag ab. Ich sage deutlich und klar: Das ist ihr gutes Recht. Das ist gar keine Frage.
    Aber ich warne Sie: Mit der Ablehnung werden die Fragen, die wir gestellt haben, nicht gegenstandslos: Wie wird man mit den Altlasten fertig? Wie fördert man die wirklichen Schnelläufer auf



    Dr. Hauff
    umweltpolitischem Gebiet? Auf diese beiden Fragen müssen Antworten gegeben werden. Ein Nein reicht dazu nicht aus. Sie mögen unsere Antwort ablehnen. Aber dann sagen Sie doch endlich, was Ihre Antwort darauf ist! Dann haben wir einen fairen Wettstreit. Dann können wir darüber streiten. Aber nur nein zu sagen und gar nichts zu machen, das ist doch keine Politik.

    (Beifall bei der SPD)

    Deswegen sage ich: Mit Denkverboten, um nicht zu sagen: mit Denkfaulheit lassen sich diese Probleme nicht lösen. Ich spreche niemandem den guten Willen ab. Aber ich spreche denen, die sich bis jetzt auf Ihrer Seite öffentlich mit diesem Thema beschäftigt haben, die Ernsthaftigkeit des Nachdenkens auf diesem Gebiet ab. Und das halte ich für bedauerlich.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Sagen Sie mal die Antwort, die Sie geben!)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

(Zurufe: Nicht da! Der Finanzen!) — Der macht auch die Wirtschaft noch mit.


(Broll [CDU/CSU]: Kabinettsumbildung, was?)

Herr Bundesminister der Finanzen!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Stoltenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand wird überrascht sein, daß die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Anlaß für eine zum Teil kämpferische, zum Teil moderate Darlegung der unterschiedlichen Grundpositionen von Regierung und Opposition in diesem Hause war. Zwar sind nicht alle Argumente neu gewesen, aber die zentralen Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die wichtige, bewegende Frage der Perspektiven für den Arbeitsmarkt — und das heißt vor allem: für die arbeitslosen Mitbürger — wird uns immer wieder beschäftigen müssen. Nur rate ich jedem, der seine Position glaubwürdig, d. h. überzeugungsfähig bestimmen will, auch die letzten Tatsachen und Trends wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Ich hatte — wie in der Haushaltsdebatte im September — den Eindruck, daß es manchen Sprechern der sozialdemokratischen Opposition, vor allem dem Oppositionsführer, Herrn Vogel, sehr schwerfällt, positive Trends und Tatsachen zu würdigen. Ich würde ihm und seinen Parteifreunden raten, diese Hemmung zu überwinden. Denn für die sozialdemokratische Opposition sollte es auf einer positiven Linie der Entwicklung leichter sein, ernsthafte Alternativen glaubwürdig zur Diskussion zu stellen, weil ein positiver Trend auch wieder Handlungsspielräume in größerem Umfang schafft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber da dies in der schon bekannten Manier bestritten worden ist, will ich zur Lagebeschreibung hier einmal eine unabhängige Stimme von großer Autorität einführen: die Bundesbank. Herr Vogel hat in einem anderen Zusammenhang, auf den ich nachher noch zurückkommen werde, versucht, die Bundesbank und einen Brief von Herrn Klasen, den ich aus Höflichkeit und Respekt ihm gegenüber nicht näher kommentieren werde, für sich in Anspruch zu nehmen.

    (Dr. Hauff [SPD]: Was soll das: Hat er ihn geschrieben oder nicht?)

    — Wenn ich von einem Brief von Herrn Klasen spreche, dann ist j a wohl klar, daß er ihn geschrieben hat. Ich habe nur gesagt, daß ich ihn nicht kommentieren will, Herr Hauff. Seien Sie nicht begriffsstutzig! Ich habe mich hier ganz klar ausgedrückt.
    — Aber ich will die Bundesbank hier nicht für fragwürdige parteipolitische — angebliche oder vermeintliche — Verdienste in Anspruch nehmen, sondern möchte vielmehr auf ihre letzte Beurteilung der wirtschaftlichen Lage und der Aussichten aus ihrem Monatsbericht vom Oktober verweisen. Dieser Monatsbericht beginnt mit folgenden Sätzen — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:
    Die Investitionstätigkeit der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland ist im Laufe dieses Jahres neben der Auslandsnachfrage zu einem tragenden Element des seit Anfang 1983 im Gang befindlichen konjunkturellen Aufschwungs geworden.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Die Wirtschaft hat damit ihre wichtigste innere Antriebskraft zurückgewonnen,

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    die sowohl auf das übrige konjunkturelle Geschehen positiv ausstrahlt als auch die strukturellen Bedingungen für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum verbessert. Die Erweiterung, Modernisierung und technologische Erneuerung der Sachanlagen schafft zugleich günstigere Bedingungen für die Bewältigung der Probleme am Arbeitsmarkt. Zu den ausgeprägten Entfaltungen der Investitionskonjunktur trug bei, j a war unerläßliche Voraussetzung, daß sich die Ertrags- und Finanzierungsverhältnisse in der Wirtschaft verbesserten.
    Das ist an Prägnanz und Eindeutigkeit so, daß man es nicht weiter zu kommentieren braucht.
    Dann kommt im einzelnen die Feststellung, daß die Unternehmen für Ausrüstungen im ersten Halbjahr 1985 rund 65 Milliarden DM aufgewendet hätten, gut 17 % mehr als in der gleichen Vorjahreszeit.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Dann folgt die Feststellung, daß wir — auch unter Beachtung des Einbruchs in der Bauwirtschaft, der sich nach Einschätzung der Bundesbank jetzt stabilisiert,

    (Müntefering [SPD]: Auf welchem Niveau?)




    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    mit leichten Chancen für eine Verbesserung — im ersten Halbjahr 1985 insgesamt eine Zunahme der Investitionen um real 8,5 % zu verzeichnen haben.
    Die nächste Feststellung ist, daß sich die Eigenfinanzierungsmittel der Unternehmen, also ihre Gewinne, in derselben Zeit um 4,5% verbessert haben.
    8,5% mehr Investitionen der Unternehmen, vor allem auch Erweiterungsinvestitionen, und 4,5 % mehr Eigenmittel — das sind die Feststellungen der Bundesbank — widerlegen, meine Damen und Herren, die törichte Legende, daß die deutschen Unternehmer steigende Erträge ins Ausland verschöben und risikolos in Kapital anlegten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das sind Legenden, die heute ja auch in gewissen Anklängen bei SPD und FDP wiederholt worden sind. Nein, die mündigen Bürger unseres Landes — das gilt nicht nur für die Unternehmer in ihrer großen Mehrheit, das gilt für die arbeitenden Menschen in ihrer großen Mehrzahl; viele Beispiele von Selbsthilfe, Existenzgründungen, Ideenreichtum beweisen das — haben die Signale der neuen Politik der Bundesregierung aufgenommen und in produktive Arbeit und Leistung, in Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe umgesetzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Einige von Ihnen — Herr Kollege Roth und andere — haben gemeint, uns, der Bundesregierung und dem Bundeskanzler, Selbstgefälligkeit vorwerfen zu müssen. Das ist ein großer Irrtum. Wir sind in unserem sozial-marktwirtschaftlichen Denken in dem, was die Möglichkeiten des Staates und auch der Regierung anbetrifft, problembewußter als Sie im sozialdemokratisch-sozialistischen Denken. Wir kennen sehr wohl die Grenzen staatlichen Handelns, ohne damit unsere Verantwortung verleugnen zu wollen.
    Wir vertrauen in erster Linie darauf, daß richtige politische Entscheidungen der Finanz-, der Wirtschafts-, der Währungs- und der Arbeitsmarktpolitik von den Menschen aufgenommen werden als bessere Grundbedingungen, als bessere Voraussetzungen für ihre eigene schöpferische Initiative. Diese positive Einschätzung der mündigen Bürger unseres Landes — ob Unternehmer, ob Arbeiter, ob Verbraucher — erweist sich als richtig. Wir sind den Bürgern unseres Landes dafür dankbar, daß sie diese Zeichen erkennen und zur Bewältigung ihrer privaten Probleme und der Gemeinschaftsprobleme nutzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Hauptredner der SPD sind inzwischen leider gegangen. Herr Vogel, Herr Roth und andere — vielleicht halten sie noch eine Krisensitzung über die Fehlleistung von Herrn Rau ab, auf die ich gleich noch zu sprechen komme — sind nicht mehr hier.

    (Zurufe von der SPD: Und wie sieht es auf der Regierungsbank aus? — Wo ist Herr Blüm? — Wo ist der Bundeskanzler?)

    — Der Bundeskanzler sitzt im Plenum des Deutschen Bundestages. Herr Kollege, wenn Sie sich umdrehen, werden Sie ihn sehen.

    (Zurufe von der SPD: Wo ist Herr Blüm?!)

    Es ist das Recht des Bundeskanzlers und der Regierungsmitglieder, gelegentlich auch auf ihren Abgeordnetenplätzen zu sitzen. Sie sind jedenfalls im Gegensatz zum Oppositionsführer da.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich muß den abwesenden Hauptrednern der SPD sagen: Es macht keinen Sinn, gegen einen neuen, insgesamt positiven und ermutigenden Trend anzureden oder anzuagitieren, wie das der Kollege Vogel heute morgen versucht hat.

    (Zuruf von der SPD: Zur Lohnsteuer sollten Sie einmal etwas sagen!)

    — Ja, zur Lohnsteuer sage ich noch etwas. — Es macht Sinn — für Sie natürlich vor allem; das ist wohl auch eine legitime Aufgabe der Opposition, aber auch eine Verpflichtung für uns —, bei aller Freude über das schon Erreichte die Schattenseiten nicht zu übersehen, die wir auch nach wie vor im Bild haben, und darüber zu diskutieren, wie wir dafür sorgen können, daß auch jene, die noch nicht oder nicht voll die Wirkungen einer grundlegend verbesserten Wirtschaftslage spüren, an den Ergebnissen einer positiven Trendwende teilnehmen.
    Das Wachstum beschleunigt sich. Bei Preisen und Zinsen haben wir die besten Daten seit zwei Jahrzehnten. Wir haben international zusammen mit Japan und der Schweiz eine Spitzenstellung in Sachen Stabilität. Wenn Ihnen das passiert wäre, meine Damen und Herren der SPD, hätten Sie einen Sonderparteitag mit großen Jubelorgien für die damals Verantwortlichen einberufen. Heute können Sie keine glaubwürdige Opposition betreiben, wenn Sie die entscheidenden sozialen Wirkungen und Erfolge dieser Stabilitätspolitik immer noch bestreiten und nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich will das Gesagte nicht mit der Nennung vieler Zahlen wiederholen. Der Trend auf dem Arbeitsmarkt hat sich zum Besseren gewendet. Das ist positiv gegenüber den nach wie vor noch bedrängenden Sorgen unserer meisten Nachbarn. Ob es eine sozialistische Regierung in Frankreich ist, ob es eine konservative Regierung in Großbritannien ist — ich nenne nur unsere beiden wichtigsten und größten Partner in Westeuropa; das gilt aber auch für viele andere —, sie haben trotz aller Anstrengungen, Mühe und auch Einschränkungen und Opfer, die sie Bürgern zumuten mußten — in stärkerem Umfang als bei uns —, noch nicht die Stabilisierung, geschweige denn die Trendwende in der Beschäftigung erreicht. Sie haben weiterhin steigende Arbeitslosenzahlen. Deswegen sollten wir die Bedeutung dessen, was sich an neuen positiven Entwicklungen ergibt, anerkennen und dann darüber reden, wie wir diesen Prozeß verstärken und dauerhaft gestalten können, damit in absehbarer Zeit ein wirklich erheblicher Rückgang der Arbeitslosigkeit erreicht werden kann.



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    Ich muß Herrn Kollegen Vogel — auch in seiner Abwesenheit — sagen, mit statistischen Tricks und Wortklaubereien kann man keine glaubwürdigen Alternativen anbieten. Ich sage das zu seinen Ausführungen über den Bundesbankgewinn. Das ist schon eine phantastische Leistung, die nur damit entschuldigt werden kann, daß ihm dies jemand aufgeschrieben hat, weil ich Herrn Vogel nicht für einen Finanzexperten halte, der das hier aus eigener Erkenntnis vorgetragen hat.

    (Zurufe von der SPD)

    Ich kann das hier nur als Milderungsgrund unterstellen.
    Meine Damen und Herren, wir wollen einmal zu den Tatsachen kommen, die Sie in den Veröffentlichungen der Bundesbank nachlesen können. Im letzten Jahr sozialdemokratischer Regierungsverantwortung, im Jahr 1982, hat die Bundesbank einen Gewinn von 10,510 Milliarden DM an die damalige Bundesregierung, also Herrn Matthöfer, abgeführt.

    (Zurufe von der SPD)

    Dennoch haben Sie eine Neuverschuldung von 37,5 Milliarden DM hinnehmen müssen. Das ist eine sozusagen erschütternde Bilanz in der langfristigen Entwicklung der Finanz- und Kreditpolitik. Im Jahre 1983, im ersten Jahr unserer Regierungszeit, wurden als Bundesbankgewinn 11,03 Milliarden DM abgeführt; 1984 waren es 11,366 Milliarden DM und im Jahre 1985 12,944 Milliarden DM. Das heißt, 1985 haben wir einen um 2,307 Milliarden DM höheren Bundesbankgewinn als im Jahre 1982, Ihrem letzten Regierungsjahr.

    (Dr. Hauff [SPD]: Drei Jahre! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Das ist doch kein Problem. Entschuldigen Sie, Sie können doch nicht einen Trick anwenden und sagen, in drei Jahren vorher — —

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD] Sie machen doch ein Jahr zu drei Jahren! — Dr. Hauff [SPD]: Sie machen einen Trick!)

    — Entschuldigen Sie, die Eröffnungsbilanz in einer anständigen kaufmännischen Rechnung ist das letzte Regierungsjahr der SPD für uns gewesen und nichts anderes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Deswegen lese ich Ihnen die amtlichen Zahlen vor, Herr Kollege Hauff. Entschuldigen Sie!

    (Erneute Zurufe der Abg. Dr. Hauff [SPD] und Frau Fuchs [Köln] [SPD])

    Ebensowenig wie der von Ihnen zitierte Umweltschutzbeirat — bei allem Respekt vor seiner fachlichen Kompetenz — in der Lage ist, die finanzpolitischen Wirkungen von Zinssubventionen zu beurteilen, ebensowenig verstehen Sie von Bundesbankgewinn, Geld-, Kredit- und Finanzpolitik, wie Ihre Zwischenrufe hier deutlich machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben gegenüber Ihrem letzten Regierungsjahr einen um 2,307 Milliarden DM höheren Bundesbankgewinn, und wir werden nach meiner Schätzung am Ende dieses Jahres

    (Dr. Hauff [SPD]: Das ist unwahr!)

    die Nettokreditaufnahme gegenüber Ihrem letzten Regierungsjahr um 14 Milliarden DM zurückgeführt haben. Da Sie, wie ich vermute, die Elementarrechnungsarten erkennen können, werden Sie zugeben, daß es unsinnig ist, den Bundesbankgewinn als die wesentliche Ursache des Rückgangs der Nettokreditaufnahme zu bezeichnen. Das sind genau 13, 14, 15 %,

    (Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD])

    und 85, 86, 87 % der entscheidenden Rückführung der Nettokreditaufnahme sind ein politischer Erfolg dieser Koalition, den wir uns von den Schuldenmachern und Bankrotteuren von gestern nicht zerreden lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Mit statistischen Tricks und Wortklaubereien — ich sage das noch einmal auf Grund Ihrer lärmenden Zwischenrufe — kann man keine glaubwürdige Alternative ersetzen. Diese Alternative fehlt. Das ist ja der neue Trend — ich habe das schon begriffen —: Nachdem man uns zunächst als die sturen Sparkommissare bezeichnet hat, will man jetzt den Erfolg unserer Gesundungspolitik in Frage stellen. Aber die Lektüre entsprechender abwegiger Artikel in Ihnen nahestehenden Organen vom „Vorwärts" bis zum „Spiegel" ersetzt nicht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Tatsachen, und die nehmen wir hier zur Zeit vor, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das ist wohl der Sinn einer Diskussion im Deutschen Bundestag. Herr Kollege Hauff, bleiben Sie bei der Umweltpolitik, und überlassen Sie die Finanzpolitik Herrn Kollegen Apel und Herrn Walther, die etwas mehr davon verstehen als Sie. Ich würde Ihnen das für Ihre weitere Laufbahn und die Wahl Ihrer Zwischenrufe empfehlen.

    (Dr. Hauff [SPD]: Jawohl, Herr Oberlehrer! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Oberlehrer Stoltenberg! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Es ist schon ein bißchen lärmend, was Sie hier seit fünf Minuten machen.

    (Dr. Hauff [SPD]: Arroganter Affe!)

    Da Sie ja eingangs Ihrer Rede für Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit eingetreten sind, empfehle ich Ihnen, das in Ihrem eigenen Benehmen in diesem Hohen Hause auch einmal zu praktizieren, sehr geehrter Herr Kollege.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich möchte mich doch noch einmal dem Punkt zuwenden, der hier schon angesprochen wurde: Das gestrige Interview Ihres in Aussicht genommenen Kanzlerkandidaten — er ist es noch nicht offiziell —, Herrn Rau, im Kölner „Express" hat heute ein ungewöhnliches Aufsehen



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    in der deutschen Presse und Öffentlichkeit erregt, und deshalb ist es auch interessant, daß der Herr Kollege Vogel hier erklärt hat, es handele sich um ein falsch oder nicht korrekt wiedergegebenes Zitat aus einer Rede.
    Das kann nicht sein, denn der Kölner „Express" zeigt heute den Ministerpräsidenten Rau im Redaktionsgespräch — beim Interview — mit Redakteuren des „Express", mit den Herren Spreng, Weckbach-Mara und Streiter. Deshalb legen wir Wert auf eine Aufklärung.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! — So ist es!)

    Haben die drei auch vielen hier in Bonn bekannten Journalisten den Kanzlerkandidaten der SPD in einer zentralen Frage der politischen Diskussion der kommenden 15 Monate falsch zitiert, oder war Herr Vogel falsch informiert, als er im Deutschen Bundestag diese Behauptung aufstellte? Wir legen Wert auf diese Klarstellung. Ich bin auch sicher, daß die Redaktion des Kölner „Express" dazu ihren Beitrag leisten wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, so kommen Sie uns nicht davon! Mit einem Dementi des Herrn Vogel für Herrn Rau ist diese zentrale Frage — ich sage es noch einmal — bei der neuen Funktion des Herrn Rau hier nicht bereinigt.
    Aber selbst wenn die von Herrn Vogel gegebene Version stimmen sollte,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die ist richtig!)

    macht das die Sache nicht glaubwürdiger. Denn ich will Sie doch einmal darauf hinweisen, daß wir im Lande Nordrhein-Westfalen in diesen Tagen erbitterte, leidenschaftliche Auseinandersetzungen — auch in der Sozialdemokratischen Partei — über die massiven Kürzungsbeschlüsse des Kabinetts Rau in Verbindung mit dem Etatentwurf 1986 für dieses große Bundesland haben.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wegen Ihrer Steuerreform! Ist doch ganz logisch!)

    Ich habe da einiges in den Zeitungen gelesen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Weil die Länder die Last der Steuerreform tragen!)

    — Frau Kollegin Fuchs, wenn Sie hier wieder die Steuerentlastung kritisieren, müssen Sie sich einmal mit Herrn Vogel abstimmen, der heute morgen die wachsende Lohnsteuerbelastung beklagt hat. Nicht einmal mehr in der engeren Fraktionsführung der SPD klappt es,

    (Weitere Zurufe der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD])

    nicht einmal bei Herrn Vogel und seinen Stellvertretern, geschweige denn beim weiteren Kreis des Vorstandes, der sich j a durch Resignation erheblich lichtet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die Last der Steuerreform tragen die Länder!)

    — Nein, lenken Sie nicht ab, Frau Kollegin!

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist doch eindeutig ! So weit können doch auch Sie rechnen!)

    — Lenken Sie nicht ab! Das alles, was Sie hier jetzt an Zwischenrufen bringen, ist gar nicht ernst zu nehmen.

    (Weitere Zurufe der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD])

    — Ja, Sie wollen hier stören. Sie wollen in einer Form stören, die nach meiner Meinung die Grenzen einer vertretbaren parlamentarischen Intervention überschreitet.
    Nein, wir haben hier ganz andere Stellungnahmen, auf die man in diesem Zusammenhang doch einmal eingehen muß. Wir haben die Stellungnahmen führender Vertreter der sozialdemokratischen Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet, die Herrn Rau in diesen Tagen vorwerfen, daß dieser Haushaltsentwurf und die erneute massive Kürzung der Finanzmittel der Gemeinden soziale Aktivitäten vor Ort aufs Spiel setzen und kommunale Leistungen für soziale Aktivitäten unmöglich machen.
    Wir haben einen interessanten Aufsatz des Landesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nordrhein-Westfalen, Herrn Dieter Mahlberg, in der „Welt der Arbeit", dem Zentralorgan des DGB. Da steht in diesen Tagen die Schlagzeile „Neue Arbeitslosigkeit wird geschaffen"; meine Damen und Herren, das ist aber nicht ein Beitrag zur Aktionswoche des DGB gegen die Bundesregierung, sondern die Überschrift einer massiven Kritik des DGB-Vorsitzenden an dem Haushaltsentwurf des Ministerpräsidenten Rau. Denn in diesem Haushaltsentwurf für 1986 werden in der Tat 9 500 Planstellen gestrichen, und der kommunale Finanzausgleich wird drastisch beschnitten. Das ist der Proteststurm, den Sie jetzt aushalten müssen, der Protest Ihrer Kommunalpolitiker,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wir werden sagen, woher das kommt, Herr Stoltenberg: Steuersenkung und Massenarbeitslosigkeit!)

    der Protest etwa von Herrn Reuschenbach und von anderen wie eben dem DGB-Vorsitzenden Mahlberg.
    Wir haben immer ein anderes Verständnis von den Möglichkeiten, durch Planstellen im öffentlichen Dienst Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, gehabt, ein zurückhaltenderes Verständnis. Frau Kollegin Fuchs, weil wir 1983 die notwendigen Entscheidungen getroffen haben, brauchen wir im Saldo keine einzige Planstelle im öffentlichen Dienst mehr zu streichen. Das ist der Unterschied zu Ihrer Politik in Nordrhein-Westfalen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Vor dem Hintergrund der Diskussion in Nordrhein-Westfalen ist es für mich befremdend — ich will mich gegenüber Herrn Rau zurückhaltend aus-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    drücken, ich würde das bei einem anderen vielleicht schärfer sagen —,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Warum denn?)

    daß derselbe Mann, der einen solchen Haushaltsentwurf für das Land Nordrhein-Westfalen vorlegt — mit massiven sozialen Abstrichen, direkt und indirekt in seiner Verantwortung —, verspricht, er werde im Bund alle Kürzungen ganz oder teilweise wieder zurücknehmen. Er wird das zu erklären haben; da können Sie ganz sicher sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit der leichten unpolitischen Werbetour vom letzten Frühjahr, die in Düsseldorf — man muß das zugeben — einen Erfolg hatte, wird Herr Rau die bundespolitische Bewährungsprobe der kommenden 15 Monate nicht bestehen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Das werden wir sehen.
    Ich gehe natürlich davon aus — das sage ich als langjähriger Ministerpräsident, der oft von der Bundesratsbank hier auch in die Diskussion des Deutschen Bundestages eingegriffen hat —, daß sich Herr Kollege Rau der nächsten großen wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussion in diesem Hause stellt, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Wir wollen uns hier im Austausch der Argumente und Meinungen mit ihm messen. Das ist eine merkwürdige Taktik.

    (Zuruf von der SPD: Er ist besser als Sie!)

    — Das werden wir ja sehen. Das können Sie dann gern entscheiden. Ich rede im Augenblick nicht darüber, wer besser ist; das werden wir sehen. Wir wollen Herrn Rau hier sehen und hören, und dann kann jeder entscheiden, wer der Bessere und Schwächere ist.

    (Zurufe von der SPD)

    Wir wollen ihn hier sehen und hören, wir wollen uns mit ihm messen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das schaffen Sie nicht!)

    Denn diese schlaue Idee der Herren Brandt, Glotz und Vogel, zu sagen, wir zeigen ihn jetzt vor, aber wir machen ihn nicht zum Kanzlerkandidaten, damit er sich nicht verschleißt, mag taktisch ja geschickt sein, aber sie ist nicht überzeugend. Ich fordere Herrn Rau auf, zur nächsten großen Debatte des Deutschen Bundestages über Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik hier zu erscheinen und zu erklären, was er im „Express" gesagt hat, was er wirklich meint,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ihr Partner ist, wenn überhaupt, Herr Posser!)

    sich an seiner Politik des Sozialabbaus in Nordrhein-Westfalen und dem messen zu lassen, was er
    bundespolitisch fordert. Es wird der deutschen Demokratie gut bekommen, wenn er den Mut hat, hier einmal aufzutreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, daß in der bisherigen Diskussion vor allem zwei sehr ernsthafte Fragen gestellt worden sind, die über den Tag hinausweisen, und zwar auch von Herrn Kollegen Roth und anderen. Die eine Frage hatte ich schon kurz gestreift: Aufgaben und Grenzen des Staates. Wir bejahen die volle Verantwortung von Regierung und Parlament; aber in einer freiheitlichen Demokratie, in Sozialer Marktwirtschaft — der Bundeskanzler hat das heute morgen betont —, bei Tarifautonomie müssen auch andere große gesellschaftliche Gruppen ihre Verantwortung praktizieren, nicht nur in Protestwochen und Festreden, sondern in ihren autonomen Entscheidungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Die zweite Frage wurde vor allem von dem Kollegen Roth gestellt: Ist dieser Aufschwung, den keiner mehr bestreiten kann, stabil begründet und ist er von Dauer? Das ist in der Tat der Fall. Wir sollten über den Wahltermin hinausdenken; das Jahr 1986 wird besser verlaufen, als es einige von der SPD parteipolitisch erhoffen.

    (Zuruf von der SPD: Das ist eine Unterstellung!)

    Aber ist dieser Aufschwung auch über den Wahltermin hinaus stabil und von Dauer?
    Nun wissen wir alle, auch soweit wir nicht Nationalökonomie als Hauptfach studiert haben, daß es sogenannte Konjunkturzyklen gibt.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Erklären Sie das einmal!)

    — Ich will es einmal kurz sagen, Frau Fuchs. Ist es Ihnen recht, wenn ich noch einen kommentierenden Satz dazu sage?

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ich höre gern zu!)

    — Es wäre schön, wenn Sie einmal drei Minuten ohne erregte Unterbrechung zuhören könnten. Das würde Ihrem Gemütsleben gut bekommen, Frau Fuchs.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Konjunkturzyklus heißt, daß es nach einer Phase des Aufschwungs, des Wachstums auch eine Schwächephase gibt, in der die wachstumsdynamischen Kräfte ein Stück erlahmen. Ich glaube allerdings nicht — ich bin darin durch sehr bedeutende, unabhängige Nationalökonomen belehrt worden —, daß es ein Gesetz gibt, nach dem man Konjunkturzyklen von vornherein in einen Jahresrhythmus einpressen kann.
    Diese Einsicht wird unterstrichen, wenn wir uns die Entwicklung in anderen Ländern anschauen. Zu den wirklich interessanten Vorgängen der letzten



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    zehn Jahre — vor allem, wenn wir einmal an die schwere Rezession von 1980 bis 1982 und ihre Folgen erinnern — gehört ja, daß zur selben Zeit trotz unbestreitbarer weltwirtschaftlicher Erschütterungen und Verwerfungen einige wenige Länder ohne vergleichbare Belastungen ihre Probleme meistern konnten. Das ist natürlich ein Land wie Japan, mit dem wir uns aus gutem Grund seit einigen Jahren auseinandersetzen. Dieser Konjunkturzyklus brachte für Japan keine Rezession im Sinne von Schrumpfung der volkswirtschaftlichen Leistung, nicht einmal Null-Wachstum, sondern nur ein verringertes Wachstum, aber weiterhin Wachstum. Das ist die Schweiz, das ist aber z. B. auch ein bei uns zu Unrecht wenig beachtetes Land wie Finnland.

    (Dr. Ehrenberg [SPD]: Österreich!)

    — Ja, nicht ganz in demselben Maße; in einem gewissen Umfang, Herr Kollege Ehrenberg, könnte man auch Österreich in diese Betrachtung einbeziehen. — Ich sage das im Moment auch einmal ohne parteipolitische Zuordnung, denn Finnland wird ja von einer — so kann man sagen — großen Koalition regiert, einer sehr vernünftigen; nicht alle großen Koalitionen, die wir zur Zeit in Europa haben, sind vernünftig, aber die finnische sicher. Mir kommt es jetzt nicht darauf an, sondern auf die zugrunde liegende Fragestellung: Woran liegt es eigentlich wenn wir einmal das Thema der längerfristigen Perspektiven für die wirtschaftliche Verfassung unseres Landes, die Beschäftigung, die sozialen Leistungen, aufnehmen, daß einige Länder es gegen den allgemeinen Trend doch geschafft haben, auch in dieser weltwirtschaftlich kritischen Zeit auf dem Wachstumspfad zu bleiben, wenn auch mit einer Abschwächung?
    Ich glaube, es liegt daran, daß die grundlegende Verfassung der Volkswirtschaft dieser Länder — Japans, der Schweiz oder Finnlands; ich erwähne Finnland, weil es, wie gesagt, sonst keine Rolle bei uns spielt, aber zu Unrecht, denn es ist ein interessantes, ein bewundernswertes Land, was die Haltung seiner Menschen, was seine Nachkriegsgeschichte anbetrifft — stabiler und robuster war als in vielen anderen Ländern, auch stabiler und robuster als bei uns. Es bestand zugleich eine größere Flexibilität, sich kurzfristig auf schlechtere weltwirtschaftliche, gesamtwirtschaftliche Bedingungen einzustellen.
    Dies betrachte ich nun allerdings ebenfalls — da liegt ein Berührungspunkt mit der Frage von Herrn Roth — als eine schicksalhafte Frage für uns, weil die Arbeitslosigkeit aus den genannten demographischen Gründen, aber auch aus anderen Gründen nur langsam zurückgehen wird. Wir haben uns darauf einzurichten, daß wir auch in einer Situation, in der die weltwirtschaftlichen Bedingungen wieder einmal ungünstiger sein werden — das braucht keine neue Weltrezession zu bedeuten —, in der Lage sind, schwierigere Umweltbedingungen zu ertragen und zu meistern, ohne wieder — wie 1980 und 1982 — voll in die Rezession mit steigender Massenarbeitslosigkeit und schweren sozialen Belastungen zu gelangen. Das ist eine Frage für uns alle, meine Damen und Herren, die über den Wahltag hinausreicht. Darauf sollten wir die ernsthafte weitere Diskussion richten.
    Ich glaube in der Tat, daß wir im Vergleich zu den genannten Ländern eine erste Priorität haben, über den Wahltag hinaus, die Grundlagen unserer Volkswirtschaft weiter zu stärken und zu festigen, d. h. unsere Volkswirtschaft sozusagen wetterfester zu machen. Wann, wenn nicht in relativ besseren Jahren eines Aufschwungs, soll man in der Finanzpolitik, aber auch in anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik Vorsorge für die Zukunft, für möglicherweise auch einmal schwierigere Zeiten treiben? Deshalb ist der gedankliche Ansatz, den die SPD und andere immer wieder vertreten, falsch, die Möglichkeiten der Finanzpolitik in dieser Aufschwungphase wieder bis zum äußersten zu strapazieren. Das ist das, was Herr Kollege Roth, aber auch andere hier als expansive Finanzpolitik bezeichnet haben. Das führt zu dem Ergebnis, was Sie, was wir alle leidvoll erlebt haben, nämlich daß die Finanzpolitik im Moment einer Abschwächung der Konjunktur vollkommen unbeweglich wird, ja überhaupt nicht mehr zur Verfügung steht, weder auf dem richtigeren Weg der Steuersenkung noch auf dem denkbaren Weg, bei einer Konjunkturabschwächung durch zusätzliche Ausgaben gegenzusteuern.

    (Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    — Herr Kollege, das ist der tiefere Grund, warum wir dies machen. Ich meine, der Zwischenruf ist nicht hilfreich. Ich möchte auch im Gedankengang bleiben. — Es geht darum, die Volkswirtschaft wetterfester und stabiler zu machen.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Gehen Sie mit gutem Beispiel voran!)

    Das heißt natürlich, daß wir darüber hinaus den Handlungsspielraum für die Finanzpolitik erweitern müssen. Wir müssen ihn erweitern.
    Aber ich sage genauso klar: Nachdem wir auf dem Gebiet der Haushaltskonsolidierung weit vorangekommen sind, müssen wir auch in der nächsten Wahlperiode die Neuverschuldung noch ein Stück zurückführen. Wir müssen uns aber als wichtigste innenpolitische Aufgabe unter diesen eben genannten Vorzeichen eine erhebliche Verringerung der Steuerbelastung vornehmen und eine grundlegende weitere Verbesserung unseres Steuersystems.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Und die Arbeitslosigkeit behalten wir!)

    — Wenn wir uns diese Daten ansehen, Frau Fuchs, Japan, Schweiz, USA, kommen wir zu dem Ergebnis, daß es in diesen Ländern eine Steuer- und Abgabenbelastung von 25 bis 30% gibt und in der Bundesrepublik Deutschland eine Steuer- und Abgabenbelastung von rund 40%.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wie hoch ist Japan verschuldet?)

    — Sie können sich natürlich bei einer geringeren Steuer- und Abgabenbelastung von 25 oder 27 %



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    eine höhere Verschuldung volkswirtschaftlich leisten als bei einer Steuer- und Abgabenbelastung von 40 %. Ich glaube, das ist einleuchtend.

    (Dr. Ehrenberg [SPD]: Das ist überhaupt nicht einleuchtend!)

    — Aber natürlich ist das einleuchtend, Herr Kollege Ehrenberg. Nur will ich mich jetzt nicht auf diesen Nebenkriegsschauplatz begeben. Ich will gerne einmal ein persönliches Gespräch mit Ihnen darüber führen. — Wenn Sie wenig Schulden gemacht haben, haben Sie einen höheren Spielraum für Verschuldung als jemand, der schon in guten Zeiten an die Grenze der Belastbarkeit gegangen ist, und wenn Sie eine niedrige Steuerquote haben, ist ein Stück Mehrverschuldung unbedenklicher als dann, wenn Sie bereits eine so hohe Steuer- und Abgabenquote haben, daß Sie sie absenken müssen, um in Zukunft überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben. Das ist doch vollkommen einleuchtend, was für Zusammenhänge hier bestehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die dritte Konsequenz ist, daß wir einen neuen Zielkonflikt zwischen der Finanzpolitik des Staates und der Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank vermeiden müssen. Ich war gestern mit einigen von Ihnen bei dem Geburtstagsempfang, den der hessische Ministerpräsident für den Kollegen Matthöfer aus Anlaß seines 60. Geburtstags gegeben hat. Ich sage das deshalb, weil alle Besucher, darunter auch ich, eine sehr schöne Festschrift überreicht bekommen haben.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Eine gute Rede des Exbundeskanzlers gehört haben!)

    — Ja, die habe ich auch gehört. Ich möchte aber jetzt nicht auf die Einzelheiten eingehen.
    Ich habe also eine sehr gute Festschrift bekommen, die — —

    (Dr. Vogel [SPD]: Wenn Sie mal ex sind, loben wir Sie auch, eher nicht!)

    — Nein, nein, das ist jetzt gar nicht mein Problem.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Das ist eine verdiente Würdigung des Kollegen Matthöfer. Das wissen Sie. Mit dem habe ich schon als Ministerpräsident vernünftig zusammengearbeitet, als wir hier noch in der Opposition waren. Das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege Vogel.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Als Sie sich noch verschuldet haben! — Dr. Vogel [SPD]: Sicher wissen wir das!)

    Man kann klare politische Gegensätze austragen — das haben wir oft gemacht —, und man kann mit einigen Politikern einer anderen Partei auch vernünftig zusammenarbeiten. Ich hoffe, daß auch Sie das noch erleben werden, Herr Kollege Vogel. Ich habe das erlebt, und das sage ich hier gerne.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Das ist doch nicht eine Eloge. Was heißt denn das?
    Der ist doch — das ist gestern betont worden —
    nach wie vor ein angesehenes Mitglied Ihrer Fraktion. Insofern sollte man ihn auch nicht als einen Mann von gestern bezeichnen. Das klingt aus Ihren Reihen sehr merkwürdig.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wer tut denn das?) — Ja, ich will es nur sagen.

    Ich habe das erwähnt, nicht um Ihre Zwischenrufe hervorzurufen, sondern um Ihnen zu sagen: In dieser Festschrift — und ich habe sie mir gestern abend noch zu Hause angeschaut — findet sich ein hochinteressanter Aufsatz des Präsidenten der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, der den schweren Zielkonflikt zwischen der Finanzpolitik der damaligen Bundesregierung Schmidt und der Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank aus den Jahren 1979 bis 1982 beschreibt. Ich empfehle jedem von Ihnen, einmal diesen Aufsatz in der Festschrift für Hans Matthöfer zu lesen. Dann werden Sie begreifen, weshalb es für uns eine vorrangige Priorität ist, zu einer Harmonisierung der Finanzpolitik des Staates und der Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank zu kommen, also weder wieder Ausgaben unangemessen zu erhöhen noch, was auch einige in der Koalition erwartet haben, Steuern so stark zu senken, daß die Nettokreditaufnahme wieder nach oben geht. Wir haben das beides nicht getan. Gott sei Dank, meine Damen und Herren. Deshalb haben wir Stabilität in diesem Lande,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    zum Wohle der Bürger, vor allem der sozial schwachen Bürger.
    Meine Damen und Herren, vieles wäre noch zu sagen. Ich würde auch gerne noch etwas Stellung nehmen zu den internationalen Problemen der Dritten Welt, die vor allem von den Kollegen Graf Lambsdorff und Roth angesprochen worden sind. Aber mit dem Blick auf die Uhr will ich mich in diesen Schlußbemerkungen doch sehr kurz fassen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    — Natürlich ist es so, Herr Kollege Vogel — und das sage ich wirklich nicht nur in fernen Hauptstädten, wie Sie gemeint haben; ich habe es zuletzt im September in der Haushaltsdebatte hier sehr nachhaltig betont —, daß wir weltwirtschaftliche Risiken und Schatten sehen und daß die Haushaltspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika eine der wesentlichen Ursachen für diese Spannungen in der Weltwirtschaft ist. Das sagen wir nicht nur im Ausland. Ich will das nur zu Ihrer Bemerkung heute morgen sagen. Das war zuletzt ein Thema meiner Ausführungen im Deutschen Bundestag im September.
    Allerdings sind wir einige Schritte vorangekommen. In der internationalen Welt der Finanzpolitiker, der Währungspolitiker, der Banken, des Kreditgewerbes sind wenige Entscheidungen dieses Jahres so stark diskutiert wie die Erklärung der Finanzminister und Notenbankpräsidenten der fünf großen Industrienationen vom Sonntag, dem 22. September, in New York. Präsident Pöhl und ich und unsere engsten Mitarbeiter haben an der Vorbereitung und Durchführung dieser Erklärung ei-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    nen wesentlichen Anteil. Sie hat die Märkte beeindruckt. Sie hat zu der im Interesse der Handels- und Leistungsbilanzen wünschenswerten weiteren Korrektur im Sinne einer Abschwächung des Dollarkurses und einer Stärkung des Yenkurses beigetragen. Ich muß schon sagen, daß dies zeigt, wie vertrauensvoll und gut die Zusammenarbeit der fünf großen Industrieländer ist, vor allem im Feld der Finanz- und Währungspolitik.
    Aber wir wissen alle, daß das natürlich nicht reicht, daß konzertierte Interventionen durch handelspolitische und finanzpolitische Entscheidungen ergänzt werden müssen. Mein Eindruck ist, daß diese gemeinsame konzertierte Aktion der großen fünf Industrieländer die protektionistischen Kräfte im amerikanischen Kongreß nachdenklich gestimmt hat. Ich beurteile heute die Chance, eine für die Weltwirtschaft, vor allem aber für die notleiden-den Völker der dritten und vierten Welt, unerhört gefährlichen Hinwendung der USA zum Protektionismus zu vermeiden, optimistischer als vor fünf, sechs Wochen.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Wollen wir es gemeinsam hoffen!)

    Aber daß wir als Regierung und Bundesbank daran mitwirken, zeigt, daß wir nicht nur in fernen Hauptstädten darüber reden, sondern mit aller Kraft auf unsere Verbündeten einwirken, vor allem auf Amerikaner und Japaner, von denen wir etwas anderes erwarten — was sich vollzieht. Der Bundeskanzler hat nach seinen Gesprächen mit Ministerpräsident Nakasone Anfang Mai hier in Bonn zum erstenmal feststellen können, daß sich die Japaner in den Grundfragen der Liberalisierung ihrer Märkte bewegen. Wir können heute sagen, daß dies auf dem Wege ist, nicht aus Mildtätigkeit, sondern weil die Japaner erkannt haben, daß ohne eine Verstärkung ihrer Währung und ohne eine Öffnung ihrer Märkte, auch ohne eine Änderung ihrer monetären Politik und ihrer monetären Institutionen der Protektionismus sie am härtesten trifft. Die Vermeidung neuer Handelshemmnisse, der Beginn einer neuen GATT-Runde ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, daß die schwere Schuldenkrise, die auf Lateinamerika und Afrika lastet, beherrschbar und schließlich lösbar bleibt.
    Aber dazu gehört auch — wir sind dazu bereit —, daß neue Beschlüsse bei Weltbank und Währungsfonds gefaßt werden, vor allem den ärmsten der Völker zu helfen. Wir werden es erreichen — nach dem Beschluß von Seoul —, daß im nächsten Jahr ein neues Programm der Internationalen Entwicklungsagentur kommt, das den ärmsten der Länder vor allem in Afrika zusätzliche Hilfen gibt. Wir werden dafür eintreten, daß vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt eine Haushaltspolitik verwirklichen — durch weitere Kürzungen und Sparbeschlüsse —, die zu einer Zinssenkung führt, weil ohne eine Zinssenkung in den USA die Lasten für die Völker Lateinamerikas zu groß werden.
    Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß sagen, daß es viele Themen gibt, die wir weiter diskutieren müssen, daß aber diese Diskussion, wenn man wägt und abwägt gegenüber der Regierungserklärung des Bundeskanzlers und unserer Politik, nicht eine wirklich glaubwürdige Alternative der sozialdemokratischen Opposition gebracht hat.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Was bilden Sie sich ein!)

    Schönen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)