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    Plenarprotokoll 10/152 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 152. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des Haushaltsausschusses der Abgeordnetenkammer der Italienischen Republik 11319 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986 (Haushaltsgesetz 1986) — Drucksache 10/3700 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1985 bis 1989 — Drucksache 10/3701 — Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 11319C, 11357A Dr. Apel SPD 11332C Carstens (Emstek) CDU/CSU 11343 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 11351 D Dr. Weng (Gerlingen) FDP 11353 D Dr. Spöri SPD 11362C Spilker CDU/CSU 11366 A Dr. Müller (Bremen) GRÜNE . . 11372B, 11389 D Gattermann FDP 11374 C Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 11378A, 11403 D Roth SPD 11383A Lattmann CDU/CSU 11386 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 11391A Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 11393 B Niegel CDU/CSU 11395 B Auhagen GRÜNE 11398A Dr. von Wartenberg CDU/CSU 11399 D Dr. Ehrenberg SPD 11401C Frau Dr. Skarpelis-Sperk SPD 11405 C Dr. Hoffacker CDU/CSU 11408 C Jaunich SPD 11411 B Eimer (Fürth) FDP 11415C Frau Wagner GRÜNE 11417 B Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 11419A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 11426 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 11431 D Schäfer (Offenburg) SPD 11435A Frau Seiler-Albring FDP 11438 B Frau Hönes GRÜNE 11440A Dr. Laufs CDU/CSU 11441 B Nächste Sitzung 11444 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 11445* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 11445* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11319 152. Sitzung Bonn, den 4. September 1985 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Jenninger Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den einzigen Punkt der Tagesordnung der heutigen Sitzung auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986 (Haushaltsgesetz 1986) — Drucksache 10/3700 — Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1985 bis 1989 — Drucksache 10/3701 — Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache heute um ca. 22 Uhr und morgen um 19 Uhr sowie am Freitag gegen 12 Uhr beendet werden. Eine Mittagspause ist für heute und morgen jeweils von 13 bis 14 Uhr vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, bevor ich dem Herrn Bundesminister der Finanzen das Wort gebe, darf ich eine Begrüßung vornehmen. Auf der Diplomatentribüne haben die Mitglieder einer Delegation des Haushaltsausschusses der Abgeordnetenkammer der Italienischen Republik Platz genommen. (Beifall) Ich habe die große Freude, Sie im Deutschen Bundestag herzlich willkommen heißen zu können. Sie werden während Ihres Aufenthaltes in Bonn Gespräche mit den Kollegen des Haushaltsausschusses und mit der Bundesregierung führen und sich in Frankfurt, Hamburg und Berlin über konkrete Fragen der deutschen Finanz- und Wirtschaftspolitik, des Haushaltes von Bund, Ländern und Gemeinden und der Haushaltskontrolle informieren. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt in unserem Lande. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Das Wort zur Einbringung des Bundeshaushaltes hat der Herr Bundesminister der Finanzen. Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf des Bundeshaushalts 1986 und dem Finanzplan bis 1989 setzt die Bundesregierung ihren Kurs der Stabilität, der Gesundung unserer Volkswirtschaft und Festigung der sozialen Sicherungssysteme konsequent fort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir bekämpfen die Inflation erfolgreich, und wir erweitern die Freiräume für Bürger und Wirtschaft, damit mehr Platz wird für produktive Initiativen, für mehr Investitionen und neue dauerhafte Arbeitsplätze. Wir sind auf einem guten Weg, den Bundeshaushalt endgültig wieder in Ordnung zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ströbele [GRÜNE]: Auf Kosten der Armen!) Schritt für Schritt, mit Augenmaß und Verläßlichkeit bei den täglichen Entscheidungen. Aber vieles bleibt natürlich noch zu tun. Bei der Ausgabenentwicklung sind die Zeiten weit überhöhter Steigerungsraten, der maßlosen Schuldenmacherei vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist die SPD heute morgen?) Wuchsen die Ausgaben des Bundes von 1970 bis 1982 noch um durchschnittlich 9 % jährlich — mit dem schlimmen Preis einer steigenden Inflation und wachsender Arbeitslosigkeit —, so begrenzen wir sie 1983 bis 1987 auf rund 2,5 % jährlich. (Bueb [GRÜNE]: Auf wessen Schultern?) Damit schaffen wir Raum für niedrigere Preissteigerungsraten, niedrige Zinsen, für dauerhafte Steu- 11320 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 Bundesminister Dr. Stoltenberg ersenkungen und so eine im Kern wirklich soziale Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch 1985 läuft der Haushaltsvollzug nach Plan. Dieser stetige, verläßliche und disziplinierte Kurs wird auch die Haushaltspolitik der kommenden Jahre bestimmen. Im Regierungsentwurf für 1986 sind 2,4 % und für die Folgejahre im Finanzplan bis 1989 jeweils 2,9 % Ausgabenzuwachs vorgesehen. Die Steigerungsrate von 2,4 % — dazu gab es methodische kritische Anmerkungen der Opposition — gibt an, um wieviel die Mittel zur Erfüllung der Bundesausgaben steigen. 1,6 Milliarden DM, die wir 1985 als einmalige Ausgaben zusätzlich an den EGHaushalt abführen müssen, sind nicht mitgerechnet, weil die entsprechenden Mittel für 1986, wie Sie wissen, als Einnahmeausfälle durch Leistungen an die EG gebucht werden. Da im nationalen Haushalt nicht noch einmal ausgegeben werden kann, was wir an den EG-Haushalt zahlen, kommt man nur mit dieser Umrechnung zu einer aussagefähigen Steigerungsrate. Rein rechnerisch-statistisch ergibt sich ein Anstieg von 1,8 %. Auch die Entwicklung der Nettokreditaufnahme zeigt ein wieder günstigeres Bild. Ohne den Kurswechsel, den wir Ende 1982 einleiteten, wäre die Neuverschuldung des Bundes bereits 1983 von rund 37,5 Milliarden DM auf etwa 50 Milliarden DM angestiegen. 1985 müssen wir voraussichtlich noch 23 bis 24 Milliarden DM Kredite aufnehmen. Bis 1988 bleibt jedoch die Neuverschuldung nach dem neuen Finanzplan auf diesem immer noch ziemlich hohen Niveau. Das ist im wesentlichen die Folge der für 1986 und 1988 beschlossenen Steuersenkung, mit der wir sowohl für Familien mit Kindern die ihnen dringend zustehende Entlastung ein wichtiges Stück voranbringen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) als auch — insbesondere 1988 — einen ersten Schritt zur Korrektur des leistungsfeindlichen Einkommensteuertarifs für alle Berufstätigen tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Hinzu kommen die Folgen unserer steigenden Leistungen an den EG-Haushalt, mit denen wir einen erheblichen Beitrag zur Sicherung der Finanzgrundlagen der Gemeinschaft leisten. Die Finanzpolitik — ich wollte das hier deutlich machen — setzt also keineswegs einseitig nur auf Konsolidierung. Andererseits, meine Damen und Herren, hätten wir ohne unser beharrliches und entschlossenes Bemühen um die Rückgewinnung gesunder öffentlicher Finanzen die schwere Wirtschaftskrise, die wir bei unserem Amtsantritt vorgefunden haben, nicht überwinden können. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP) Gesunde öffentliche Finanzen sind notwendig, um den Geldwert zu stabilisieren, um niedrige Zinsen zu erreichen, um die Steuern senken zu können und die private Kaufkraft zu erhöhen, um die Investitionskraft der Unternehmen zu stärken und dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Tatge [GRÜNE]: Wo denn? Welche? — Ströbele [GRÜNE]: Die Arbeitslosen haben nichts davon!) Wir haben heute wieder Wachstum statt Schrumpfung. Die Parolen des Nullwachstums sind leiser, stiller geworden, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weil wir es erlebt haben, daß bewußte Bekämpfung des Wachstums zu Massenarbeitslosigkeit führt. Deswegen müssen wir auf Wachstum setzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der neue Wirtschaftsaufschwung mußte dabei schwere Hindernisse überwinden. Das gilt sowohl für den langen Arbeitskampf in der Metallindustrie im letzten Jahr als auch für die extremen Witterungsbedingungen im letzten Winter. Nun gewinnt die wirtschaftliche Dynamik aber zunehmend an Kraft. Unsere Wirtschaft wächst gegenwärtig wieder mit einem Steigungswinkel von 3 % real. Wichtiger noch ist aber, daß sich die Grundlagen des Wachstums verbreitern: Die privaten Investitionen steigen wieder, im verarbeitenden Gewerbe — dem Kernstück einer auf Dauer angelegten Dynamik — sogar mit zweistelligen realen Zuwachsraten. Immer mehr Branchen tragen diese Entwicklung mit. Auch die öffentlichen Investitionen, die in den letzten Jahren sozialdemokratischer Regierung eine rapide Talfahrt erlebt hatten, verzeichnen wieder einen realen Anstieg. Für den privaten Verbrauch, der bisher noch zurücklag, gibt es Zeichen einer eindeutigen Belebung. Die Erfolge (Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD]) im Kampf gegen den Preisauftrieb zahlen sich auch hier aus. Frau Kollegin Fuchs, setzen Sie sich im Deutschen Bundestag (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Rückläufig!) doch einmal mit Tatsachen auseinander! Das ist doch wirklich gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — von Hammerstein [CDU/CSU]: Keine Ahnung! — Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD]) Sie sollten nicht die Gefangene Ihrer eigenen irreführenden polemischen Parolen werden. Ich kann Ihnen das nur dringend empfehlen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Rückläufig, Herr Minister!) Die Erfolge im Kampf gegen den Preisauftrieb zahlen sich auch hier aus. Das sind doch alles zunächst einmal unbestreitbare Tatsachen, die ich hier vortrage und die Sie maßlos erregen, weil Sie gute Nachrichten nicht hören wollen; und das ist schlecht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD — von Hammerstein [CDU/CSU]: Es ist doch keiner von euch da!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11321 Bundesminister Dr. Stoltenberg — Ich rate Ihnen, Ihre Kräfte zu schonen. Zur kritischen Bewertung Ihrer Position komme ich noch. Im Augenblick bin ich dabei, eine Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung zu geben, und die sollten Sie bei allem Recht auf abweichende Meinung mit Gelassenheit hören. Die am 1. Januar 1986 einsetzenden Steuerentlastungen werden diesen wichtigen Bereich der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage, den privaten Verbrauch, weiter verstärken. Dies alles spricht dafür, daß der Aufschwung gut fundiert ist und sich im kommenden Jahr nachhaltig fortsetzen wird. Das ist im übrigen auch die überwiegende Meinung der nationalen und der internationalen Konjunkturexperten. Nach den Worten von Professor Olaf Sievert, dem hochangesehenen langjährigen Vorsitzenden des Sachverständigenrats, den ja die Regierung Schmidt berufen hat — eine der wenigen guten Entscheidungen jener Zeit —, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ist der Aufschwung „durch und durch gesund". (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Na, na, na!) Der Sachverständigenrat selbst ist mit der Bundesregierung der Auffassung, daß die mittelfristige Konzeption der Wachstumspolitik kursgetreu fortgeführt werden muß. Es ist bei uns üblich geworden, hinter jeder Zahl, die irgendwo eine geringfügige Abschwächung zeigt, sofort den wirtschaftlichen Einbruch zu vermuten. Wenn in der letzten Zeit die Preissteigerungsrate gegenüber dem Vormonat um 0,3 % zurückgeht — das können wir heute in den Zeitungen lesen —, gibt es ein paar Experten, die sagen, das sei der Anfang der Deflation. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben schon einen etwas erstaunlichen Zustand der öffentlichen Diskussion, nicht beschränkt auf die Sozialdemokratische Partei. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Aber konzentriert auf sie!) Die Fixierung auf einzelne Problembereiche, die wir ernst nehmen, die Probleme etwa der Landwirtschaft und der Bauwirtschaft, verstellt manchem offenbar den Blick für die grundlegenden Verbesserungen. Wann hat es denn in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik eine Periode gegeben, in der im dritten Aufschwungjahr die Dynamik des Wachstums zunimmt, zugleich aber eine ohnehin schon äußerst niedrige Preissteigerungsrate weiter abnimmt? Das ist eine hervorragende Konstellation, die wir sichern müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen schrieb ja im Herbst des vergangenen Jahres der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten, die Chancen für einen langgezogenen Aufschwung seien schon lange nicht mehr so gut gewesen. Die Bundesregierung ist entschlossen, durch eine verläßliche, disziplinierte Finanzpolitik diese Chancen zu nutzen. Wir haben heute hohe Preisstabilität statt trabender Inflation. An solche guten Nachrichten gewöhnt man sich schnell. Das sind die ganz kleinen Meldungen im Wirtschaftsteil. Die wiedergewonnene Stabilität macht keine Schlagzeilen mehr. Dennoch, es lohnt sich, sich zu erinnern: Im Herbst 1981 lag die Inflationsrate bei fast 7 %. Heute beträgt sie dagegen rund 2 %, und wir haben gute Aussichten, daß in den vor uns liegenden Monaten eine Eins vor dem Komma erscheint. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stabiler Geldwert stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft auf den Weltmärkten, erhöht die Kaufkraft von Arbeitnehmern und Rentnern und läßt den Realwert des Geldvermögens der Bürger wachsen. Geldwertstabilität ist unerläßliche Voraussetzung für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Inflation schafft keine Arbeitsplätze, sondern vernichtet sie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — von Hammerstein [CDU/CSU]: Ein Kernsatz ist das!) Die zusätzliche reale Kaufkraft, die wir durch die Preisstabilität gewonnen haben, übertrifft bei weitern jedes realistischerweise vorstellbare staatliche Ausgabenprogramm. Allein ein Rückgang der Preissteigerungsrate um 1 % bedeutet für die privaten Haushalte einen Kaufkraftzuwachs von über 10 Milliarden DM. Das sage ich unseren Kritikern von links, die immer noch neue Schulden machen wollen, um die Wirtschaft mit wirkungslosen und längerfristig sogar schädlichen Strohfeuerprogrammen in Gang zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD) Die Sache wird auch durch gutklingende neue Überschriften wie „Programm zur Förderung von Arbeit und Umwelt" nicht besser. Preisstabilität, meine Damen und Herren, ist aber vor allem auch ein zentraler Punkt der Sozialpolitik. Über viele Jahre hinweg, während Ihrer Regierungszeit, hat die Inflation diejenigen begünstigt, die Immoblien und Sachwerte besitzen. Das sind in der Regel nicht die ärmsten Gruppen unserer Bevölkerung. Voll getroffen von der Inflation wurden dagegen all jene, die ihre geringen Ersparnisse nur auf Sparbüchern anlegen können. Auch wenn mancher es nicht hören mag: Diese Entwicklung fand unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung statt. Unsolide Haushaltspolitik war eine Hauptursache der Inflation. Wer die notwendigen Einschränkungen bei den Haushaltsbeschlüssen für 1983 und 1984 heute als „Sozialabbau" diffamiert, will die eindrucksvollen sozialen Wirkungen unserer Stabilitätspolitik (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das ist doch ein Hohn!) 11322 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 Bundesminister Dr. Stoltenberg für die Rentner, die kinderreichen Familien, die Behinderten und andere nicht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In Ihren letzten drei Regierungsjahren sind die verfügbaren Einkommen der Rentner und Arbeitnehmer bei Inflationsraten von 5,5 % bis fast 7 % massiv zurückgegangen. Soweit es heute wirklich eine „neue Armut" gibt, ist sie die unmittelbare Folge der sozialdemokratischen Inflationspolitik vor 1983. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Lachen und Zurufe von der SPD) Meine Damen und Herren der SPD, ich habe gestern — das zu Ihren Zwischenrufen an dieser Stelle — den bemerkenswerten Brief, den der Kollege Wischnewski zur Begründung seines Rücktritts als Schatzmeister Ihrer Partei veröffentlicht hat, gelesen. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was hat das mit der neuen Armut zu tun?) In diesem Brief finden sich zwei Sätze, die ich hier unterstreichen möchte. Herr Kollege Wischnewski schreibt: In dieser Situation gibt es nur die Möglichkeit konsequenter und solider Sparsamkeit. (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) Andere Wege sind mit mir nicht zu gehen. (von Hammerstein [CDU/CSU]: Sehr richtig!) So wie Sie Ihren Schatzmeister zum Rücktritt getrieben haben, so haben Sie Alex Möller und Karl Schiller zum Rücktritt getrieben. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie können mit den Finanzen Ihrer Partei nicht ordentlich umgehen. Das hat einer der führenden, einer der angesehensten Politiker der SPD Ihnen gestern öffentlich bescheinigt, und Sie konnten mit den Finanzen des Staates nicht ordentlich umgehen. Wir werden dafür sorgen, daß Sie für lange Zeit genügend damit beschäftigt sind, die Finanzen Ihrer Partei in Ordnung zu bringen, und nicht wieder die Verantwortung für die Finanzen der Bundesrepublik Deutschland übernehmen. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das haben die Wähler zu entscheiden!) Herr Kollege Wischnewski sagt dann noch einen dritten sehr interessanten Satz: Das bedeutet, daß die Partei nur eine Zeitung und nicht zwei finanzieren kann. Für uns bedeutet das, daß wir von zwei Anträgen der SPD höchstens einem zustimmen, höchstens einen finanzieren können. Das ist bei der Partei so, und dies ist beim Staat so, meine Damen und Herren. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Immerhin stimmen Sie dem einen zu! Das ist ja schon einmal etwas!) Aber ich will fortfahren. Wir haben heute Zinssenkungen statt drückender Zinssteigerungen. Der Zinssatz ist ein entscheidender Preis- und Kostenfaktor für die Wirtschaft ebenso wie für die öffentliche Hand und natürlich für viele private Bürger. Zugleich ist er Meßlatte für das Vertrauen in die Politik von Bundesregierung und Bundesbank. „Glückliche Deutsche!", schreibt die französische Tageszeitung „Figaro". „Sie haben Vertrauen in die Wirtschaft, setzen auf den Aufschwung und senken ihre Zinsen, ohne den Wertverfall ihrer Währung fürchten zu müssen." Ein Zinsabstand gegenüber dem US-Dollar von rund 4 % und in noch größerem Ausmaß gegenüber einigen wichtigen Währungen in Europa ist objektiver und eindrucksvoller internationaler Vertrauensbeweis in die deutsche Wirtschafts- und Währungspolitik; denn wir haben offene Finanzmärkte — — (Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD]) — Nein, in den letzten Monaten hatten wir eine starke Kapitalzufuhr. (Dr. Ehrenberg [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Die Bundesbank weiß es anders!) — Aber Herr Kollege Ehrenberg, Sie haben im verdienten Sommerurlaub nicht das zur Kenntnis genommen, was der Präsident der Bundesbank vor 17 Tagen auf einer Pressekonferenz, die wir gemeinsam in Frankfurt gemacht haben, vorgetragen hat. Ich habe im Sommer auch nicht alles gelesen; ich verstehe das. Aber lesen Sie einmal diesen Text der Darstellung von Herrn Pöhl nach, die er nach der vorletzten Sitzung des Zentralbankrates gegeben hat. Die Tatsache, daß wir seit einigen Monaten eine starke Zufuhr von langfristigem Kapital haben, Vertrauen in unsere Währung, war ein entscheidender Grund dafür, daß die Leitzinsensenkung möglich war. Das will ich hier nur sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nur wer eine solide Politik stabilen Geldes betreibt, kann sich international niedrige Zinsen leisten. Wir wollen dieses Vertrauen erhalten und festigen. Einen beträchtlichen Schatten wirft die weiterhin viel zu hohe Arbeitslosenzahl auf das zunehmend aufgehellte Bild unserer Volkswirtschaft. (Ströbele [GRÜNE]: Aha!) Aber es ist falsch zu behaupten, daß der Aufschwung am Arbeitsmarkt vorbeigehe. Die Arbeitslosigkeit ist nicht über Nacht gekommen, und sie kann nur in einem lang anhaltenden Prozeß richtiger Politik überwunden werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ströbele [GRÜNE]: Das sagen Sie seit zwei Jahren!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11323 Bundesminister Dr. Stoltenberg Wie war die Ausgangssituation? 1969, als die Regierung Brandt begann, hatten wir rund 100 000 Arbeitslose und über 800 000 offene Stellen. Ende 1982, 13 Jahre später, als die Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung abgegeben hatten, war die Arbeitslosigkeit auf über 2 Millionen angestiegen. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Nein!) — Ende 1982, drei Monate nachdem die Regierung Schmidt abgelöst war, hatten wir über 2 Millionen Arbeitslose, verehrte Frau Kollegin. Genauso schwerwiegend sind die strukturellen Verwerfungen in dieser Zeit. In der Regierungszeit der Sozialdemokraten nahm die Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst um rund 1 Million zu. Alle wissen — sozialdemokratische Landeskabinette genauso wie christlich-demokratische, Herr Posser genauso wie wir, Herr Gobrecht genauso wie die CDU-Finanzminister und -Ministerpräsidenten —, daß wir im öffentlichen Dienst nicht mehr expandieren können. In von Ihnen regierten Ländern werden Planstellen abgebaut. Zur selben Zeit ging die Zahl der Erwerbstätigen in der Privatwirtschaft um rund eineinhalb Millionen zurück. Allein von 1977 bis 1982 stieg die Zahl derer, die einen Arbeitsplatz suchten, um rund 900 000 Personen. In den beiden Jahren 1981 und 1982 sank die Zahl der Beschäftigten um über 800 000. Gleichzeitig stieg die Zahl der Kurzarbeiter im Winter 1982/83 auf den Höchststand von 1,2 Millionen. Im Vergleich dazu, zu dieser dramatischen Verschlechterung der Arbeitsmarktlage vor allem in den letzten Regierungsjahren der SPD, haben wir schon viel erreicht. (Lachen bei der SPD) Die Kurzarbeiterzahl ist von 1,2 Millionen auf etwa 100 000 im Juli dieses Jahres abgebaut worden. Das Angebot an offenen Stellen nimmt wieder zu. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die Arbeitslosigkeit auch!) 750 000 junge Menschen werden in diesem Jahr einen Ausbildungsplatz erhalten. Das sind 100 000 mehr als 1982. Die Beschäftigtenzahl steigt wieder an. Wir haben ein Problem, das darin besteht, daß wir wegen der schwierigen Methoden der statistischen Erfassung die Beschäftigtenzahl — — (Lachen bei der SPD) — Hören Sie doch einmal zu Ende. (Zuruf von der SPD: Das ist kein Problem der Statistik!) Die Erfassung der Beschäftigtenzahlen ist ein schwieriges Problem der Statistik. (Zurufe von der SPD) — Nein. Ich meine, es gibt Sachen, über die wir uns erregen können, und es gibt Sachen, die man wirklich ruhig klären muß. Auch in Ihrer Regierungszeit ist die Statistik der Zahl der Beschäftigten immer mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung veröffentlicht worden. (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sie reden über Zahlen, wir reden über Menschen! Das ist der Unterschied!) — Entschuldigung, in dem Trend der Zahl der Beschäftigten spiegelt sich das Schicksal von Menschen wider, Herr Ehmke. Betreiben Sie keine Dialektik, das steht Ihnen ganz schlecht an. Ich muß das wirklich sagen. — Auch in Ihrer Regierungszeit ist die Statistik der Beschäftigten immer mit einem erheblichen zeitlichen Abstand zur Arbeitslosenstatistik veröffentlicht worden. Das ist doch ganz klar. Die zuständigen Stellen können die Statistik der Beschäftigten im wesentlichen nur über die Unterlagen der Sozialversicherung erstellen. Ich will Ihnen in Ergänzung meines vorbereiteten Textes mitteilen — ich habe es gestern abend gelesen —, daß das Statistische Bundesamt in diesen Tagen die revidierten Zahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für die Vorjahre veröffentlicht hat. Es hat doch keinen Sinn, daß wir dem Statistischen Bundesamt hier Vorwürfe machen. Auch in Ihrer Regierungszeit wurden die revidierten Zahlen immer erst ein, zwei Jahre später veröffentlicht. Diese Veröffentlichung, die in den kommenden Tagen publiziert wird, ergibt folgendes: Die Zahl der Erwerbstätigen für 1983 liegt um 103 000 höher, als bisher angenommen wurde; 1984 liegt sie um 158 000 höher. Ich sage das, um zu verdeutlichen, daß unsere Politik Wirkungen hat. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt Gott sei Dank an. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Ehmke, natürlich handelt es sich um Menschen, aber politische Sachverhalte müssen wir doch in Zahlen ausdrücken. (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Aber das ist die Folge der Arbeitszeitverkürzung!) — Nein, 1983 und 1984 gab es doch noch gar keine Arbeitszeitverkürzung. Ich bitte Sie um alles in der Welt! (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das war der Abbau der Überstunden!) Wir haben demgegenüber in diesem Jahr nach einer Zwischenschätzung schon bis Juli noch einmal eine Steigerung der Zahl der Beschäftigten um 80 000. Wir gehen davon aus, daß es Ende des Jahres über 100 000 sein werden. Außerhalb der Bauwirtschaft, über deren besondere Probleme ich noch reden werde, werden es rund 200 000 sein. Meine Damen und Herren, diesen Aufwärtstrend in der Beschäftigung und damit die Chancen der Erwerbslosen und der jungen Menschen weiter zu verbessern, ist eine herausragende Gemeinschaftsaufgabe für das Jahr 1986 und darüber hinaus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie verpflichtet uns Politiker, aber genauso die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, also jene autono- 11324 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 Bundesminister Dr. Stoltenberg men Gruppen, die eine besonders große Verantwortung für den Arbeitsmarkt von morgen haben. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) Auch 1986 werden noch mehr junge Menschen Arbeit nachfragen als ältere aus dem Berufsleben ausscheiden. So werden die Beschäftigtenzahlen auch in nächster Zeit stärker steigen, als die Erwerbslosenzahlen sinken können. (Ströbele [GRÜNE]: Wie viele Arbeitslose mehr sind es denn jetzt?) Aber wir können einen Rückgang der Arbeitslosigkeit auch vor der Entlastung des Arbeitsmarktes durch den demographischen Wandel nach 1990 erreichen, wenn wir — Staat und Tarifpartner im jeweiligen Verantwortungsbereich — Wachstum und Stabilität, private Initiative und Beweglichkeit fördern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Qualifikation, bessere Aus- und Fortbildung in der modernen Arbeitswelt sind dabei zentrale Punkte. Immer mehr Betriebe, auch in Regionen hoher Arbeitslosigkeit, weisen öffentlich und unter Nennung von Zahlen und Fakten darauf hin, daß sie über viele, viele Monate hinweg vergeblich Fachkräfte, vor allem Facharbeiter, suchen. Das ist in diesen Wochen ein Thema in der Regionalpresse von Flensburg bis Passau. Wir sollten es alle ernst nehmen, und zwar im Interesse der Arbeitslosen und der Mobilität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hier rächen sich auch falsche bildungspolitische Weichenstellungen der beginnenden 70er Jahre, der arrogante Versuch linker Planer, das Bildungssystem vom Beschäftigungssystem abzukoppeln. Ich habe das alles noch im Ohr, verehrte Frau Kollegin. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD] — Weitere Zurufe von der SPD) — Wenn Sie lachen, will ich Ihnen sagen: Sie haben mit Ihrer Bildungspolitik zu wenig für die Facharbeiter getan und einen Überschuß an Sozialarbeitern erzeugt. (Beifall bei der CDU/CSU) Mir tun die Menschen leid, die durch eine falsche Bildungsberatung in lange Ausbildungsgänge hineingekommen sind und heute fragen, ob sie nach ihrer Vorbildung eine Chance haben. (Zurufe von der SPD) Bei den Existenzsorgen der jungen Leute, die Lehrer oder Sozialarbeiter geworden sind, handelt es sich um ein Problem, das sich sozialdemokratisch regierten Bundesländern genauso wie CDU/CSU-regierten Ländern stellt. Um so wichtiger ist heute eine große gemeinsame Initiative für mehr Qualifikation, bessere Angebote zur Fortbildung und zur Umstellung auf neue Herausforderungen und Chancen. Die Bundesregierung will mit ihren Beschlüssen zu den Überschüssen der Bundesanstalt für Arbeit einen weiter verstärkten Beitrag für diese Aufgabe der beruflichen Qualifikation leisten. In diesem wichtigen Punkt zeichnet sich auch grundsätzliches Einvernehmen, Einverständnis mit den Arbeitgebern und den Gewerkschaften ab. Mehr Möglichkeiten zur Qualifikation, Vorruhestand, wirksamere Ausschöpfung anderer arbeitsmarktpolitischer Instrumente, ein Wiederanstieg der öffentlichen Investitionen sind von großer Bedeutung. Aber für mehr sichere und moderne Arbeitsplätze in der Zukunft ersetzt nichts unsere Politik der ständigen und konsequenten Stärkung unserer Volkswirtschaft, ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Erneuerungsfähigkeit, des stabilen Wertes unserer Deutschen Mark. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zu dieser Politik gibt es in der heutigen öffentlichen Diskussion keine ernsthafte Alternative. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Finanzpolitik leistet einen wichtigen Beitrag, die Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung zu verbessern: aber sie kann nicht das Fehlverhalten autonomer gesellschaftlicher Gruppen kompensieren. Man kann nicht zunächst rücksichtslos Gruppeninteressen durchsetzen wollen und anschließend anklagend auf die politische Mehrheit in Bonn verweisen, wenn die Folge Inflation und Arbeitslosigkeit sind. (Beifall bei der CDU/CSU — Ströbele [GRÜNE]: Sagen Sie das mal den Unternehmern!) Wir vertrauen in der Wirtschaftspolitik den Bürgern mehr als neuen Bürokratien. Wir verlassen uns dabei keineswegs allein — um ein Klischee zu korrigieren — auf die Selbstteilungskräfte der Ökonomie. Deshalb ist Soziale Marktwirtschaft unser Programm in der Politik für die einzelnen Bürger und die gesellschaftlichen Kräfte. Das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft mit einem strengeren ökologischen Ordnungsrahmen ist im übrigen nicht nur ökonomisch zu begründen. Mit großem Interesse habe ich das Plädoyer unseres früheren sozialdemokratischen Bundestagskollegen Professor Ulrich Lohmar in der „Welt" vom 13. August 1985 gelesen, das in der, wie ich glaube, richtigen These gipfelt — ich zitiere ihn —: Wer ... die freie Entscheidung der Wähler zwischen unterschiedlichen Parteien in der Politik will, der muß sie auch im Bereich der Ökonomie wollen und bejahen. Denn die Marktwirtschaft ist nun einmal die ökonomische Ausgabe der Demokratie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ströbele [GRÜNE]: Demokratie derer, die etwas haben!) Das war auch die Überzeugung von Professor Karl Schiller, und es klingt anders, wenn jetzt Mini- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11325 Bundesminister Dr. Stoltenberg sterpräsident Johannes Rau von der angeblichen „Blindheit des Marktes" spricht. (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Zitieren Sie Herrn Rau richtig!) In der Sozialen Marktwirtschaft entscheiden die mündigen Bürger zwischen konkurrierenden Angeboten, und die mündigen Bürger sind im allgemeinen weitblickender als jene Planer und Funktionäre, die sie ständig bevormunden möchten. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das war sehr billig, Stoltenberg! — Zurufe von den GRÜNEN) Ein wichtiger Schwerpunkt des nächsten Haushalts ist der Familienlastenausgleich. (Fortgesetzte Zurufe von den GRÜNEN) — Ich möchte jetzt mal über den Familienlastenausgleich ohne Geräuschkulisse sprechen. Ich glaube, daß das viele Menschen auch außerhalb dieses Hauses bewegt. Die grobe Vernachlässigung der sozialen und sittlichen Bedeutung der Familien gehört zu den geistigen Verirrungen und schweren politischen Fehlern der 70er Jahre. (Beifall bei der CDU/CSU — Ströbele [GRÜNE]: Wie ist das mit den Ausländerfamilien?) Ihre eigene Leistung zu ermutigen und anzuerkennen, ist Aufgabe einer zukunftsorientierten sozialen Politik. Ab 1. Januar 1986 gibt es hier nachhaltige Verbesserungen: Familien mit Kindern werden steuerlich um 5,2 Milliarden DM entlastet, Eltern mit kleinen Einkommen, die nicht in den Genuß der Steuerentlastung kommen können, erhalten einen entsprechenden Zuschlag zum Kindergeld, für alle Mütter bzw. Väter wird ein Erziehungsgeld eingeführt, das Zwei-Klassen-System mit der Benachteiligung der Hälfte der Frauen wird abgeschafft, (Beifall bei der CDU/CSU) das Wohngeld wird familienfreundlicher, in der Rentenversicherung werden Erziehungszeiten angerechnet. (Bueb [GRÜNE]: Was ist mit den Trümmerfrauen?) Zusammen ist das ein Leistungsrahmen von rund 10 Milliarden DM für die Familie — mehr als wohl alle von uns zu Beginn dieser Legislaturperiode für möglich gehalten hätten. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: So viel, wie wir 1982 zum Schluß ausgegeben haben!) — Aber, Frau Kollegin Fuchs, Sie haben doch wirklich 1981 das Kindergeld für alle gekürzt, für die Witwe mit 600 DM Einkommen genauso wie für den Großverdiener. Sie sollten sich in der Debatte über Familienpolitik zurückhalten. (Beifall bei der CDU/CSU — Erneuter Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD]) Wir sind froh über diesen neuen wichtigen familienpolitischen Schwerpunkt; denn der Gestaltungsspielraum im Bundeshaushalt bleibt letztlich eng begrenzt. Über 90 % der Ausgaben sind gesetzlich und faktisch gebunden. Allein an Zinsen für den während der 70er Jahre dramatisch gewachsenen Schuldenberg muß der Bund im kommenden Jahr einen Betrag von rund 30,5 Milliarden DM aufwenden. (Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU]) Im Jahre 1969 waren es noch 2,2 Milliarden DM. Das entsprach damals 2,7 % der wesentlich niedrigeren Gesamtausgaben bzw. der Höhe der Ausgaben für die Entwicklungshilfe. 13 Jahre später waren die Zinslasten auf den mehr als zehnfachen Betrag gestiegen und hätten ausgereicht, nicht nur die mittlerweile dreimal so hohen Ausgaben für die Entwicklungshilfe, sondern außerdem noch die Ausgaben für Wohnungsbau, für Forschung und Technologie sowie für Bildung und Wissenschaft zu finanzieren. Diese Unterschiede machen deutlich, welchen Gestaltungsspielraum wir auch in der Politik durch diesen verheerenden Schuldenberg der 70er Jahre zunächst eingebüßt haben. (Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU]) Die Zinsbelastung des Haushalts wird auch in den kommenden Jahren zunächst noch weiter zunehmen. Auf Grund günstigerer Kreditkonditionen hat sich der Anstieg der Zinsausgaben für 1986 zwar etwas verlangsamt; bis 1989 steigen sie voraussichtlich mit 5,7 % im Jahresdurchschnitt jedoch doppelt so stark an wie die Gesamtausgaben des Bundes, die im 3-%-Rahmen bleiben sollen. Das zeigt einmal mehr, daß wir mit der Konsolidierung noch nicht am Ziel sind und wie notwendig es ist, die Neuverschuldung des Bundes weiter zurückzuführen. Wir müssen auch einmal an diejenigen denken, die hier in diesem Hohen Hause in 20, 30 Jahren politische Verantwortung für das deutsche Volk tragen, meine Damen und Herren. Das will ich nur einmal sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Haushalt setzt neue und wichtige Schwerpunkte für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Insbesondere der schwere Einbruch in der Bauwirtschaft hat uns veranlaßt, durch sinnvolle Initiativen ihren Anpassungsprozeß an grundlegend veränderte Marktbedingungen zu erleichtern. Für neue Wirtschaftsgebäude werden die steuerlichen Abschreibungsbedingungen verbessert. Der Abschreibungszeitraum soll von 50 auf 25 Jahre verkürzt werden. Der Finanzausschuß wird sich sicher einmal die Regelungen in den anderen westlichen Industrieländern ansehen. Wir bewegen uns in einer Größenordnung, die dort durchweg schon erreicht, zum Teil unterschritten ist. Die Absetzung für Abnutzung in gleichen Jahresbeträgen wird hiernach regelmäßig jährlich 4 % statt bisher 2 % der Herstellungs- oder Anschaffungskosten des Gebäudes betragen. Zugleich soll die Möglichkeit der Inanspruchnahme von degressiven Abschreibungen verbessert 11326 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 Bundesminister Dr. Stoltenberg werden. So werden in den ersten sieben Jahren 55% statt bisher 35 % der Gebäudekosten abgeschrieben werden können. Durch diese auf Dauer angelegte Maßnahme wird die Investitionskraft der Unternehmen im Baubereich zunächst um 1 Milliarde DM, in den Folgejahren dann um 3,5 bis 4 Milliarden DM jährlich gestärkt. Das ist nicht nur eine Hilfe für die Bauwirtschaft und ihre Mitarbeiter; es hilft den Unternehmen generell, über Erweiterungsinvestitionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Bei der Stadterneuerung wird der Bund seinen Verfügungsrahmen für die Programmjahre 1986 und 1987 auf jeweils 1 Milliarde DM verdreifachen. Länder und Gemeinden werden ihre Mittel für das gemeinsam finanzierte Städtebauprogramm verdoppeln, so daß 1986 und 1987 dafür insgesamt 4,6 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Auf Grund einer nachhaltigen Forderung aller Ministerpräsidenten der Bundesländer — CDU, CSU, SPD — geht der Bundesanteil an der Städtebaufinanzierung zum 1. Januar 1988 dann an die Länder über. Entmischung, klarere Aufgabenzuordnung ist die Begründung der Länder. Mit diesem weiteren Schritt übernehmen die Länder zugleich aber langfristig die politische Verantwortung in diesem Bereich. Meine Damen und Herren, das ERP-Sondervermögen wird seine Planansätze in den Jahren 1986 und 1987 über die zunächst vorgesehene Ausweitung von 200 Millionen DM hinaus um je 800 Millionen DM aufstocken. Die Zusatzmittel kommen vor allem dem Umweltschutz, den Gemeindeinvestitionen und den Unternehmen zugute, die ihre Betriebe verlagern müssen. Schließlich werden die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Lastenausgleichsbank ihre zinsgünstigen Kreditangebote an die mittelständische deutsche Wirtschaft und an die Gemeinden insgesamt um über 4,5 Milliarden DM ausweiten. Vor allem das neugefaßte Gemeindeprogramm für Umweltschutzinvestitionen (Dr. Vogel [SPD]: Aha!) und Stadterneuerung hat nachhaltige kommunale Initiativen ausgelöst. Nach dem Kabinettsbeschluß vom 1. Juli konnte die Kreditanstalt allein hierfür bereits innerhalb von sechs Wochen, bis zum 15. August, Anträge von mehr als 250 Millionen DM bewilligen. Wir erwarten, daß auf Grund der steigenden Antragsflut schon in diesem Jahr die Milliardengrenze überschritten wird, und rechnen für 1986 mit einer weiteren erheblichen Zunahme. Ich begrüße es, daß die Gemeinden, die Landkreise und die Städte jetzt nach langer Diskussion sinnvolle Investitionen eindeutig verstärken. Diese Maßnahmen sind ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie verdeutlichen zugleich, daß volkswirtschaftlich die Investitionsleistungen und -wirkungen des Bundes weit über die Addition der Einzelpunkte des Etats hinausgehen. Wir nutzen bewußt den Spielraum der Sondervermögen und Sonderinstitute des Bundes für weiter gefaßte Impulse zur Wirtschaftsbelebung und Arbeitsmarktpolitik, ohne damit Schattenhaushalte aufzubauen. So will die Bundespost ihre bereits stark erhöhten Investitionen 1986 noch einmal um über 8 % auf rund 17 Milliarden DM steigern. Meine Damen und Herren, das ist sehr zu begrüßen, und ich möchte an die SPD appellieren, bei dem wachsenden Interesse von Millionen Bürgern, die Möglichkeiten neuer Kommunikation auch zur Verbreiterung ihres Informationsangebots zu nutzen, (Dr. Vogel [SPD]: Noch mehr Werbung!) endlich einmal den Widerstand gegen die hohen Investitionen der Bundespost aufzugeben und hier mitzuwirken. (Beifall bei der CDU/CSU) Bahn und Post zusammen haben die Absicht, im kommenden Jahr rund 23 Milliarden DM für Investitionen zu verwenden. Auch die indirekten Wirkungen wichtiger Entscheidungen des Staates haben eine wachsende Bedeutung für Investitionen; ich erwähne hier nur das gewaltige Volumen, das durch die Umweltgesetzgebung der letzten zwei Jahre ausgelöst wird. Rund zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen entfallen auf die kommunalen Gebietskörperschaften. Deshalb ist die grundlegende Verbesserung ihrer Finanzlage seit dem Regierungswechsel in Bonn von besonders großer Bedeutung. Die kommunalen Gebietskörperschaften sind mit der Konsolidierung am weitesten vorangekommen. 1981 hatten Städte, Landkreise und Gemeinden noch einen Fehlbetrag von über 10 Milliarden DM. Seit 1984 verzeichnen sie erstmals in der Nachkriegsgeschichte Überschüsse, und viele von ihnen bauen Altschulden ab. Das versetzt sie, wie ich schon sagte, in die Lage, nun auch ihre Investitionstätigkeit wieder auszudehnen (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Herr Wallmann sieht das ganz anders!) und einen aktiven Beitrag zum Wirtschaftsaufschwung zu leisten. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Leider allerdings, Frau Kollegin, entwickelt sich die Finanzkraft der „reichen" und der „armen" Gemeinden noch auseinander. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ja, weil Sie ihnen die Sozialhilfe zuschieben!) Daher sollten die Länder die Instrumente des kommunalen Finanzausgleichs nutzen und gegebenenfalls neu ordnen, um die Investitionskraft der Gemeinden gleichmäßiger zu stärken. Zu Ihren Zwischenrufen muß ich Ihnen schon sagen, Frau Fuchs: Das erste, was die Regierung Rau nach der Wahl macht, ist ein massiver Eingriff in den kommunalen Finanzausgleich in Nordrhein-Westfalen, (Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Das ist richtig!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11327 Bundesminister Dr. Stoltenberg der den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften Milliarden Mark entzieht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist die erste Aktion! (Widerspruch bei der SPD) Hören Sie doch einmal damit auf, (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was sagt Herr Wallmann dazu?) sich als Sozialdemokraten hier im Deutschen Bundestag gegen eine angeblich kommunalunfreundliche Politik der Bundesregierung zu wenden! Das steht im Widerspruch zu den Tatsachen, die ich vortrage. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie schicken doch die Arbeitslosen in die Sozialhilfe!) Zugleich nehmen Sie in Nordrhein-Westfalen den Kommunen Milliarden weg, (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Stimmt doch gar nicht!) die sie für Investitionen und für die Daseinsvorsorge brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: — Das stimmt doch gar nicht!) — Das stimmt schon. Der in unserem Haushaltsrecht verwendete Investitionsbegriff ist für die Beurteilung der Beschäftigungswirkung öffentlicher Maßnahmen nur in begrenztem Maße geeignet. Dafür will ich Ihnen ein Beispiel nennen. Bei den Bundesunternehmen haben wir seit 1982 in beachtlichem Umfang Verluste abgebaut und die Ertragslage verbessert. So machte der Salzgitter-Konzern im Geschäftsjahr 1982/83 noch 630 Millionen DM Verlust (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) — auch ein Beispiel für sozialdemokratische unternehmerische Leistungen unter Ihrer Verantwortung, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) 1983/84 waren es 420 Millionen DM. Im jetzt zu Ende gehenden Geschäftsjahr sind es rund 80 Millionen DM. Für 1986 erwarten wir ein ausgeglichenes Ergebnis. Ich muß sagen, das ist eine bedeutende Leistung derer, die im Unternehmen Verantwortung haben, die wir zum Teil neu gewonnen haben, mit dem hervorragenden Aufsichtsratsvorsitzenden Günter Saßmannshausen an der Spitze, eine hervorragende Leistung aller Mitarbeiter. Ich möchte den Beteiligten, weil das zum Teil mit harten Anpassungsschritten verbunden war, dafür einmal Dank und Anerkennung im Deutschen Bundestag aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir können also im Haushalt 1986 die Kapitalzuführung an Bundesunternehmen um fast 500 Millionen DM zurücknehmen. Das ist doch ein höchst erfreulicher Vorgang. Haushaltsrechtlich ist das aber nicht etwa ein Abbau von Subventionen, sondern eine Verringerung von Investitionsmitteln. Herr Kollege Apel, das sind genau die 500 Millionen DM, um die die Gesamtinvestitionen des Bundes haushaltsrechtlich in der Tat zurückgehen. Ich sage das einmal vorsorglich; ich kenne Ihre Rede nicht. Sie müssen das wissen. (Zurufe von der SPD) — Ich sage das vorsorglich, dann brauche ich nachher keine Zwischenrufe zu machen. — Das ist eine begrüßenswerte Entwicklung, daß Bundesunternehmen und Bundesbeteiligungen nicht mehr in dieser Größenordnung aus Steuermitteln alimentiert werden müssen. Ich werde in diesen Tagen den 10. Subventionsbericht der Bundesregierung im Entwurf dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung zuleiten. Ich will der Einzeldiskussion darüber jetzt nicht vorgreifen, aber im Vorfeld der Debatte folgendes sagen: Jede einzelne Subvention muß laufend auf ihre Notwendigkeit hin überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Überflüssiges werden wir Schritt für Schritt abbauen. Manche Subventionen wie die Berlin-Förderung und die Aufwendungen für eine nationale Energiereserve werden uns und unsere Nachfolger allerdings noch lange begleiten. Die begrüßenswerte Diskussion der Öffentlichkeit über einen weiteren Subventionsabbau wäre insgesamt hilfreicher, wenn sie an Hand konkreter Beispiele und weniger pauschal geführt würde. (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) Dies gilt für Wirtschaftsverbände und auch für die Sozialdemokraten. Ich höre die Kritik an der Entwicklung der Subventionen. Aber wenn der Herr Oppositionsführer Vogel sozialdemokratisch regierte Bundesländer wie das Saarland bereist, vernehmen wir in der Presse nur, daß er massiv neue Subventionen von uns fordert. Diesen Widerspruch müssen Sie langsam auch in den eigenen Reihen aufklären. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch ist die häufig anzutreffende Meinung, durch Subventionen würden insbesondere Unternehmen begünstigt, falsch. Mehr als die Hälfte, nämlich 54% aller Subventionen fließen nicht in die Wirtschaft, sondern an private Haushalte, und hier insbesondere für soziale Zwecke. Dieser Anteil steigt übrigens von 1983 bis 1986 sichtbar an, zuletzt vor allem durch die schon erwähnte erhebliche Erhöhung des Wohngeldes. Auch die Finanzlage der Länder hat sich wesentlich gebessert. Ihre Fehlbeträge wurden von 26 Milliarden DM im Jahr 1981 auf 18 Milliarden DM 1984 vermindert, und wir rechnen bis 1986 mit einem weiteren erheblichen Rückgang. So haben sich im öffentlichen Gesamthaushalt die Fehlbeträge, die durch Schulden gedeckt werden mußten, von über 75 Milliarden DM im Jahr 1981 auf voraussichtlich rund 35 Milliarden DM oder knapp die Hälfte im Jahr 1986 verringert. Aber ich unterstreiche noch einmal: Auch dieses durch einen hohen Bundes- 11328 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 Bundesminister Dr. Stoltenberg bankgewinn verschönte Zwischenergebnis ist noch keineswegs zufriedenstellend. In eine ganz andere Richtung entwickeln sich die Finanzen der Europäischen Gemeinschaft. Die EGKommission hat jetzt den Vorentwurf für den EGHaushalt 1986 mit einer Steigerungsrate von 23 % vorgelegt. Dieser hohe Anstieg hat natürlich auch etwas mit dem Beitritt Spaniens und Portugals zu tun. Aber 23% Zuwachs können wohl nicht das Ergebnis der Brüsseler Haushaltsberatungen sein. 2 % auf der nationalen Ebene und 23 % in der EG, das paßt nicht zusammen, lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit hier sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden uns die vielen kostspieligen neuen Initiativen der Kommission sehr kritisch ansehen müssen. Da gibt es lauter schöne Überschriften, aber wir müssen das Wachstum der Ausgaben in der EG, wenn es auch über dem der nationalen Ausgaben liegt, in eine tragbare Relation zu unserer eigenen Finanzpolitik bringen. Dieses Problem besteht nicht nur für uns, sondern auch für die anderen Länder. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die 1 %-Eigenmittelgrenze der Europäischen Gemeinschaft reicht schon 1985 nicht mehr aus. Der Bund mußte 1,6 Milliarden DM als zusätzliche Ausgabe an den Brüsseler Haushalt nachschießen. 1986 wird schon die neue 1,4 %-Grenze, die wir insbesondere wegen der Mitgliedschaft Spaniens und Portugals zugesagt haben, weitgehend ausgeschöpft. Das heißt: Der Bund führt aus seinem Umsatzsteueraufkommen etwa 4 Milliarden DM mehr nach Brüssel ab als im laufenden Jahr, und den Druck aus Straßburg, vor allem auf die Bundeskasse, werden wir auch in den kommenden Jahren spüren. Wir haben ein vitales Interesse an der Stärkung und dem inneren Ausbau der Gemeinschaft. Aber sie ist von ihren Gründungsvätern nicht als eine Agentur zur Umverteilung von Haushaltsmitteln geplant worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Römischen Verträge haben eine ganz andere und wesentlich anspruchsvollere Konzeption, um deren Verwirklichung wir uns bemühen. Die Einnahmeseite des Bundeshaushalts ist von den erheblichen Fortschritten bei der Inflationsbekämpfung mitberührt. Kurzfristig dämpft der drastische Rückgang der Inflationsrate auch das Steueraufkommen. Gegenüber der Steuerschätzung vom Sommer letzten Jahres mußten wir, auch wegen einiger anderer Entwicklungen, für die kommenden drei Jahre mit Steuermindereinnahmen von insgesamt rund 20 Milliarden DM rechnen. Natürlich stehen dem auf der Ausgabenseite gewisse Einspareffekte gegenüber, wenn auch nicht in voller Höhe. Nicht zuletzt aus diesem Grund war es möglich, die Gesamtausgaben gegenüber der letzten Finanzplanung um 4 Milliarden DM jährlich abzusenken. Die Finanzlage der mit dem Bundeshaushalt verbundenen Sozialversicherungsträger hat sich erfreulicherweise verbessert. Die Arbeitslosenversicherung bildet wieder Überschüsse — ich hatte es schon erwähnt —, u. a auch deshalb, weil Langzeitarbeitslose vom Arbeitslosengeld in die Arbeitslosenhilfe und damit aus der Solidarhaftung der Beitragszahler in die Haftung des Bundeshaushalts hineinwachsen. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ist das für Sie ein Erfolg, Herr Minister?) — Nein, das ist kein Erfolg, das ist eine Einschränkung der Feststellung. Aber es ist doch ein Tatbestand, daß auch die Einnahmen stärker angestiegen sind als geplant, und es hängt mit den besseren Beschäftigungszahlen zusammen, die ich Ihnen vorgetragen habe, Frau Kollegin, wenn hier erfreulicherweise auch mehr Einnahmen eingehen. Auch die Rentenfinanzen sind auf dem Weg der Besserung. Im ersten Halbjahr 1985 lagen ihre Einnahmen deutlich über dem Voranschlag. Die Ausgaben der Rentenversicherungsträger halten sich demgegenüber in dem erwarteten Rahmen. Die bessere Finanzlage hat keine unmittelbare Bedeutung für die Rentner. Die Sicherheit der Renten stand ohnehin niemals in Frage. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Auf Pump bezahlt!) Aber sie hat Auswirkungen auf den Bundeshaushalt. Noch vor wenigen Monaten mußten wir damit rechnen, in diesem Jahr 1,5 Milliarden DM als zusätzlichen Bundeszuschuß an die Rentenversicherungsträger zu überweisen, um damit die Schwankungsreserve zum Jahresende auf der vorgesehenen Höhe zu halten. Diese Sonderleistung wird nach den gegenwärtigen Erkenntnissen wenn überhaupt, dann in erheblich geringerem Umfang benötigt werden. 1986 entfällt sie, wobei wir im Gegensatz zu Ihnen, Frau Fuchs, den gesetzlich vorgeschriebenen Bundeszuschuß an die Rentenversicherung ungekürzt zahlen. Auch das ist ein Unterschied in der Rentenpolitik. (Zuruf von der CDU/CSU: Da schweigt sie!) Ausgabendisziplin, meine Damen und Herren, ist die wichtigste Voraussetzung für eine schrittweise Rückführung des überhöhten Staatsanteils. Dieser betrug 1982 rund 50 %. Bis 1987 halte ich eine Rückführung auf 46 bis 47 % für möglich. Die wenigen im Vergleich zu uns wirtschaftlich besonders erfolgreichen Länder, die Vereinigten Staaten, Japan und die Schweiz, haben Staatsanteile zwischen 30 und 40 %. Eine stetige Rückführung des Staatsanteils ist deshalb notwendig, wenn wir die Sozial- und Beschäftigungsprobleme von morgen meistern wollen. Das berührt nicht nur die Haushalte der Gebietskörperschaften, es berührt auch die Entwicklung unserer sozialen Sicherungseinrichtungen. Es macht keinen Sinn, wenn wir die Steuern senken und der Ertrag dieser Entlastung den Arbeitneh- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11329 Bundesminister Dr. Stoltenberg mern und Selbständigen durch ständig steigende Sozialabgaben wieder weggenommen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Apel [SPD]: Das tun Sie doch!) — Nein, nein, das tun wir nicht, Herr Apel. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die Beiträge zur Krankenversicherung werden steigen!) Die Verringerung der viel zu hohen Steuer- und Abgabenlast ist eines der wichtigsten Ziele dieser Bundesregierung. Das steuerpolitische Dreistufenprogramm, das wir 1982 angekündigt haben, ist wie vorgesehen verwirklicht worden. Im ersten Schritt wurde insbesondere die ertragsunabhängige Gewerbesteuerbelastung zurückgeführt. Im zweiten Schritt haben wir bessere Abschreibungsmöglichkeiten für kleine Betriebe sowie für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen geschaffen. Mit dem Steuersenkungsgesetz 1986/88 werden nun alle Lohn- und Einkommensteuerzahler entlastet, und zwar, wie ich schon sagte, nachhaltig, 1986 insbesondere die Berufstätigen mit Kindern. (Mann [GRÜNE]: Und was ist mit der letzten Stufe?) In der kommenden Legislaturperiode wollen wir auf dem Weg zu einer leistungsfähigen Besteuerung weiter vorankommen. Innerhalb der Koalitionsparteien entwickeln sich schon gemeinsame Grundvorstellungen. Ziel ist es, den Einkommensteuertarif weit stärker abzusenken, wobei wir einen geradlinig progressiven Tarif verwirklichen wollen, den steuerlichen Kinderlastenausgleich weiter zu verbessern und den Grundfreibetrag erneut anzuheben. Zugleich wollen wir Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen abbauen. Denn, meine Damen und Herren, ein Steuerrecht mit wesentlich niedrigeren Steuersätzen und wenigen Ausnahmen ist gerechter, einfacher und volkswirtschaftlich vernünftiger. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In seiner heutigen Form trägt das Steuerrecht eher dazu bei, die Kapitalströme in volkswirtschaftlich nicht optimale Anlagen zu lenken. Die bekannten Steuersparmodelle, über die wir hier mehrfach diskutiert haben, boten bisher manch abschreckendes Beispiel. Dabei füge ich hinzu, daß es hier auch eine ausgleichende Gerechtigkeit gibt. Viele derjenigen, die in früheren Jahren meinten, der Steuerpflicht bei hohen Einkommen durch Verwendung ihrer Sparkapitalien in sogenannten Steuersparmodellen entgehen zu können, erleben heute bittere Enttäuschungen. Insofern hat der Markt hier nicht Blindheit, sondern eine heilsame Korrekturfunktion. Wir müssen das Dickicht wirtschaftslenkender steuerrechtlicher Sonderregelungen lichten, damit sich die marktwirtschaftlichen Kräfte freier entfalten können. Für die Unternehmensbesteuerung gilt ebenfalls: Je stärker Steuervergünstigungen abgebaut werden, desto mehr läßt sich die allgemeine Belastung zurücknehmen, insbesondere beim Körperschaftsteuertarif, der in einem engen Verhältnis zum Einkommensteuertarif steht. Auch in anderen europäischen Staaten und in den USA setzt sich die Erkenntnis durch, daß ein einfacheres Steuersystem mit niedrigeren Tarifen und weniger Ausnahmen die berufliche Leistung nachhaltiger anerkennt und die Wachstumskräfte der Wirtschaft stärker fördert als eine verwirrende Vielzahl punktueller Steueranreize, die viele Bürger überhaupt nicht mehr nachvollziehen können und die vor allem jene mit kleineren Einkommen nicht nutzen, die nicht die optimalen Beratungsmöglichkeiten haben. Besonders bemerkenswert ist der sehr weitreichende Plan des amerikanischen Präsidenten, mit dem das bisherige, nach seinen Worten „ungerechte, unkluge und unerwünschte" Steuersystem durch ein einfacheres System ersetzt werden soll. Mein dänischer Kollege hat mir soeben einen im Gesamtkonzept ähnlichen Reformansatz zugesandt. In Dänemark stehen übrigens alle politischen Parteien mit Ausnahme einiger Splittergruppen hinter einem solchen Steuerkonzept. Ich bin überzeugt: Auch bei uns ist die Mehrheit des Volkes für ein einfacheres Steuerrecht mit niedrigeren Sätzen und weniger Ausnahmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nur: Die Erfahrung von Jahrzehnten hat die Menschen skeptisch gemacht. Wer heute in unserem Land über Steuervereinfachung spricht, erntet Skepsis, manchmal Kopfschütteln, manchmal völligen Unglauben. Wir haben in den letzten Jahrzehnten einfach zu viele Steueränderungen erlebt, die das Steuerrecht komplizierter gemacht haben. (Dr. Spöri [SPD]: Vor allen Dingen ihr!) — Es lohnt sich gar nicht, da jetzt parteipolitische Zuweisungen vorzunehmen. Daran haben alle Parteien mitgewirkt, und zwar mit wechselnden Mehrheiten. (Zuruf von den GRÜNEN) — Sie nicht; das ist wahr; Sie haben recht. In dem Punkt ist Ihre Sündenliste noch ungewöhnlich kurz, aber auch nur in diesem Punkte, Herr Kollege. Bei grundlegenden Änderungen der Besteuerung wird auch die Frage nach einer Teilumschichtung von direkten auf indirekte Steuern zu beantworten sein. Denn infolge der Steuerprogression bei der Lohn- und Einkommensteuer hat sich das Gewicht der Steuerlast im Laufe der Jahrzehnte in bedenklicher Weise zugunsten der direkten Besteuerung verlagert. Ich will es einmal anschaulich sagen: Arbeit ist bei uns zu teuer geworden. Das ist auch ein Problem dieser Verlagerung auf die direkten Steuern. Die Legende, daß uns die Arbeit ausgehe, stimmt ja nicht. Wir haben das Problem der Bezahlbarkeit der Arbeit. Und dem müssen wir auch in der Entwicklung unseres Steuersystems Rechnung tragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 11330 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 Bundesminister Dr. Stoltenberg Die Frage der Steuerumschichtung berührt das Verhältnis von Bund und Ländern, aber es handelt sich auch immer stärker um eine Frage der Steuerharmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft. Wir können den Binnenmarkt in Europa nur vollenden, d. h. die Kontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft völlig beseitigen, wenn wir unsere Bemühungen zur Angleichung der Steuern innerhalb der Europäischen Gemeinschaft verstärken. (Dr. Spöri [SPD]: Was heißt das konkret?) — Das heißt, Herr Kollege Spöri, konkret, daß wir uns mit den vor acht Wochen übersandten umfangreichen Dokumenten und Vorschlägen der Kommission zum Binnenmarkt, aber auch zum Thema Steuerharmonisierung, ernsthaft auseinandersetzen und daß wir gegen Ende des Jahres dazu eine detaillierte Position beziehen müssen, wie wir unseren Beitrag zur Steuerharmonisierung leisten können, wo aber auch bestimmte Grenzen aus wirtschaftlichen, innenpolitischen und sozialen Gründen sind. Nur, daß ich heute, in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause, noch nicht eine abschließende Bewertung der Bundesregierung über diese gewaltigen Dokumente gebe, dafür werden auch Sie Verständnis haben. Sie können uns da ja zuvorkommen. Das wäre sehr interessant. Meine Damen und Herren, die finanzpolitische Bilanz wäre unvollständig ohne einen Blick auf das weltwirtschaftliche Umfeld. Als zweitgrößte Handelsnation der Welt mit weit offenen Grenzen für die internationalen Waren- und Kapitalströme und einem jährlichen Außenhandel von mehr als einer Billion DM haben wir ein besonderes Interesse am Wohlergehen unserer Partnerländer, so wie man auch von uns einen wachsenden Beitrag zur Stabilität und zur Prosperität der Weltwirtschaft erwartet. In den meisten westlichen Industriestaaten und in Japan hält die wirtschaftliche Erholung nun schon fast drei Jahre an, auch wenn es eine Reihe von Ländern in Westeuropa gibt, bei denen Wachstum und Dynamik leider wesentlich schwächer entwickelt sind als in der Bundesrepublik Deutschland. Auch für 1985 und 1986 können wir weiterhin einen Aufwärtstrend erwarten. In den USA verläuft das Wirtschaftswachstum allerdings nicht mehr so stürmisch wie in den letzten Jahren. Dennoch bleibt dort eine bruchartige Verschlechterung ganz unwahrscheinlich. Besonders wichtig ist, daß sich die weltwirtschaftliche Erholung bei insgesamt rückläufigen Inflationsraten vollzieht. In immer mehr Ländern setzt sich die Einsicht durch — wie bei uns —, daß nur mit einer strikt stabilitätsorientierten Finanz- und Geldpolitik dauerhaftes Wachstum und mehr Beschäftigung erreichbar sind. Die von den USA ausgehende wirtschaftliche Dynamik hat der Weltwirtschaft starke Impulse gegeben. Aber die hohen Fehlbeträge im amerikanischen Bundeshaushalt haben auch die Dollar-Zinsen und den Wechselkurs des Dollars zunächst auf eine bedenkliche Höhe getrieben, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der USA geschwächt und die amerikanische Handelsbilanz und Zahlungsbilanz in tief rote Zahlen gebracht hat. Dieser Importsog aus Amerika hat für andere Länder zwar Absatz und Produktion bedeutet. Aber die damit verbundenen Belastungen, vor allem in der Leistungsbilanz der USA, sind keine wirklich stabile Basis für eine langfristige Perspektive des Aufschwungs in der übrigen Welt. Ein dauerhaftes Gleichgewicht in den weltwirtschaftlichen Beziehungen verlangt eine überzeugendere Konsolidierung des amerikanischen Bundeshaushalts. Mit den ersten Beschlüssen zum Budget 1986 in Washington ist ein Anfang gemacht worden. (Mann [GRÜNE]: Rüstungsausgaben!) — Ja, da gibt es viele Probleme, nicht nur das eine. Sie müssen wirklich die Weite der Probleme sehen. Wissen Sie, da sind sehr einschneidende Beschlüsse gefaßt worden. Schauen Sie sich mal die Beschlüsse vom Juli an. Es gibt auch andere Bereiche. Der allmähliche Rückgang des Dollarkurses seit dem Frühjahr ist zu begrüßen. Ich sage das ungeachtet der gewissen Schwankungen dieser Tage. Er bedeutet keine Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Wir könnten einer Entwicklung gelassen entgegensehen, in der der Kurs des Dollars noch einmal um 5 bis 10 % zurückgeht. Das ist meine feste Überzeugung, auch aus der Kenntnis der Wettbewerbslage vieler Einzelbetriebe; denn in puncto Inflationsrate sind wir volkswirtschaftlich neben Japan die Besten. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Bundesbankgewinne!) Und die Tatsache, daß wir volkswirtschaftlich, nicht nur sozialpolitisch, bei den Lebenshaltungskosten, eine nur halb oder ein Drittel so hohe Geldentwertungsrate wie unsere wichtigsten Wettbewerber einschließlich der USA haben, führt dazu, daß wir eine gewisse weitere Abwertung des Dollars durchaus ertragen könnten, ohne einen dramatischen Einbruch im Export befürchten zu müssen. Die relative währungspolitische Ruhe in Europa — sowohl im Europäischen Währungssystem wie auch außerhalb — hebt sich vorteilhaft von den Bewegungen des Dollars und anderer Währungen ab. Das ist auch eine Folge einer bestimmten Übereinstimmung in der Grundrichtung der Politik der westeuropäischen Länder. Freilich bleibt in Europa noch viel zu tun. Die Unterschiede in den konkreten stabilitätspolitischen Bemühungen sind zum Teil noch beträchtlich. So haben wir immer noch zu große Unterschiede in der Preis- und Zinsentwicklung. Das Europäische Währungssystem soll und kann weiter verstärkt werden. Vordringlich sind dabei die weitere Harmonisierung der Wirtschaftspolitik und der Abbau von Beschränkungen im Kapitalverkehr. Die Bundesregierung unterstützt mit Nachdruck die Eröffnung einer neuen Verhandlungsrunde im Rahmen des GATT, dem internationalen Zoll- und Handelsabkommen, um zu neuen Vereinbarungen über den Abbau von Handelsschranken und zur Stärkung des weltweiten Handelssystems zu kommen. Wir setzen uns dafür ein, daß es noch in diesem Herbst zu einem Vorbereitungstreffen kommt. Wir Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11331 Bundesminister Dr. Stoltenberg tun es vor allem auch mit dem Blick auf die Entwicklungsländer, die hochverschuldeten Länder, die dringend einen besseren Zugang zu den Märkten der Industrieländer brauchen, einen besseren Zugang und bessere Preischancen. Die GATT-Verhandlungsrunde wird es der amerikanischen Regierung erleichtern, dem stärker werdenden protektionistischen Druck im eigenen Land zu widerstehen. Freier Handel und offene Märkte sind für uns und die Länder der Dritten Welt von lebenswichtiger Bedeutung, damit jene belasteten Länder die Möglichkeit haben, die Devisen zu verdienen, die sie für die Entwicklung ihrer Volkswirtschaft, für ihre Burger, aber auch zur Bedienung ihrer Auslandsschulden brauchen. Die internationale Schuldenkrise, meine Damen und Herren, ist noch keineswegs gelöst. Für viele Länder Lateinamerikas vor allem sind die Auslandsschulden weiterhin eine wirtschaftlich, sozial und politisch drückende Last. Trotzdem können wir heute feststellen, daß die bisherige Behandlung des Schuldenproblems ein gelungenes Beispiel internationaler Zusammenarbeit ist. Die Schuldnerländer haben ihre Leistungsbilanzdefizite ganz erheblich verringert. (Ströbele [GRÜNE]: Auf Kosten von wem?) Sie sind dabei, ihre Neuverschuldung auf ein tragbares Maß zu begrenzen. Die internationalen Finanzorganisationen, die Regierungen der Gläubigerländer und die kreditgebenden Banken haben diese Anpassung unterstützt. Tilgungs- und zum Teil auch Zinsfälligkeiten werden umgeschuldet, und in vielen Fällen räumen wir neue Kredite und Ausfuhrbürgschaften ein. Über die Ausgaben für Gewährleistungen, insbesondere für Ausfuhrbürgschaften, ist unser Bundeshaushalt ganz unmittelbar von der Schuldenkrise mitbetroffen. Wir werden, so hoffe ich, mit den Nettoausgaben bald den Höhepunkt erreichen. Aber wir müssen damit rechnen, daß auch in den kommenden Jahren Länder, die in Schwierigkeiten sind, Umschuldungsvereinbarungen brauchen und daß wir aus dem Bundeshaushalt mit einem Betrag, der jetzt in die Milliarden geht, antreten müssen. Wir tun das im Interesse der betroffenen Länder. Wir tun das auch im Interesse der deutschen Betriebe und ihrer Mitarbeiter, die, wenn sie in diese schwierigen Länder exportieren wollen, staatliche Bürgschaften brauchen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) In dieses Bild gehören auch unsere beträchtlichen Anstrengungen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Die Entwicklungshilfeleistungen des Bundes steigen weiterhin stärker als die Gesamtausgaben. Im Haushalt 1986 sind hierfür 6,8 Milliarden DM vorgesehen, 2,6 % mehr als 1985. Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren haben wir 24 der ärmsten Länder Rückzahlungsverpflichtungen von insgesamt 4 Milliarden DM erlassen. Ich hebe dies noch einmal hervor, weil die öffentliche Diskussion manchmal so geführt wird, als würde die gesamte finanzielle Belastung einseitig den verschuldeten Ländern aufgebürdet. Wahr ist: Die westlichen Industrieländer und ihre Steuerzahler bringen ganz erhebliche Mittel auf, um die Not in der Dritten Welt zu lindern und ihre Entwicklung voranzubringen. (Ströbele [GRÜNE]: Die schaffen Sie erst!) Völlig unzulänglich ist allerdings die Beteiligung der Sowjetunion. Die öffentliche Entwicklungshilfe des gesamten Ostblocks lag im letzten Jahr mit 2,9 Milliarden Dollar kaum über dem Betrag, den allein die Bundesrepublik Deutschland aufbringt, und das ist gerade ein Zehntel der Mittel, die die westlichen Industrieländer erbringen, die sich auf rund 29 Milliarden Dollar beläuft. Die Hilfe des Ostblocks — der Sowjetunion und der von ihr abhängigen Staaten — kommt zudem im wesentlichen nur einem sehr kleinen Kreis ideologisch ihr verbundener Satellitenstaaten zugute. Die Hilfe für die ganz überwiegende Zahl armer und ärmster Entwicklungsländer überläßt die Sowjetunion großzügig den „kapitalistischen" Staaten. Es wäre gut, wenn der DGBVorsitzende Ernst Breit beim nächsten Antikriegstag auch einmal die Sowjetunion auf ihre Verpflichtungen anspräche. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ob nun die Fernsehausschnitte am 1. September von München mit Willy Brandt in der Gemeinschaftskundgebung von SPD und DGB — die ja schon in sich ein erstaunlicher Vorgang bei einer überparteilichen Gewerkschaft ist — oder ob in Berlin Ernst Breit: wir sehen am Abend immer nur die minutenlangen Berichte mit massiver Kritik an den amerikanischen Verbündeten. Es wäre an der Zeit, bei solchen Antikriegstagen (Zurufe von der SPD) die Sowjetunion aufzufordern, den Krieg in Afghanistan einzustellen (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Roth [SPD]: Die Erregung war künstlich!) — ich habe das vermißt, Herr Roth — und die Milliardenbeträge, die dort zum Völkermord verwendet werden, den notleidenden Ländern der Dritten Welt als Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ströbele [GRÜNE]: Sagen Sie das den Amerikanern zu Nicaragua!) Über SDI kann man lange ernsthaft reden. Dieses Defensivkonzept, das die amerikanische Regierung plant, im Für und Wider zu erörtern ist legitim. Aber es als ein Mittel geplanter Kriegsführung zu bezeichnen ist eine Verzerrung. Ich rate der politischen Linken, sich ernsthafter und kritischer mit dem fehlenden Beitrag der Sowjetunion zur Entwicklungshilfe zu befassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 11332 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 Bundesminister Dr. Stoltenberg Es ist auch völlig unglaubwürdig, wenn Fidel Castro als Sprachrohr der Moskauer Führung jetzt in Havanna einerseits von kapitalistischer Ausbeutung spricht, die Bundesrepublik angreift und zum Schuldenboykott aufruft und andererseits sehr sorgfältig — natürlich vertraulich — durch Umschuldungsvereinbarungen auf die Erhaltung seiner eigenen Kreditwürdigkeit — im Osten wie im Westen — bedacht bleibt. Die Länder der Dritten Welt wissen mittlerweile sehr genau, von wem sie wirklich Hilfe und Partnerschaft erwarten können. Die bevorstehende Jahresversammlung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank Anfang Oktober in Seoul wird Gelegenheit bieten, den Dialog zwischen Schuldner- und Gläubigerländern fortzusetzen. Diese beiden Institute, jetzt oft heftig kritisiert, haben sich um Stabilität und wirtschaftlichen Fortschritt — gerade in den Ländern der Dritten Welt — hoch verdient gemacht. Die Bundesregierung tritt dafür ein, daß beide Institutionen auch künftig mit den notwendigen Instrumenten und finanziellen Mitteln ausgestattet bleiben. In diesem Jahr wird es vor allem um eine verbesserte Kapitalausstattung der Weltbankgruppe gehen. Im Internationalen Währungsfonds werden wir intensiv über die Wachstums- und Schuldenprobleme zu reden haben und die Vorschläge der „Zehnergruppe" der Industrieländer zu möglichen Verbesserungen im Währungssystem behandeln. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wer sich im Ausland umsieht, der weiß, welchen Respekt und welche Anerkennung die deutsche Finanz-, Wirtschafts- und Währungspolitik genießt. Haushaltsund Geldpolitik der Bundesrepublik sind international ein stabilisierendes Element. Die Bundesbank leistet dafür einen maßgeblichen Beitrag. Geldpolitik, Kreditpolitik und Finanzpolitik ergänzen einander in hervorragender Weise. Wer sich die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und auch die politische Geschichte in Erinnerung ruft, der weiß, daß es immer positive Phasen waren, wenn dies gesagt werden konnte. Wir exportieren heute Preisstabilität. Stabilität und Solidität zu Hause bilden die notwendige feste Grundlage, um die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Bereich noch wirksamer zu erfüllen. Die Bundesregierung bekräftigt mit dem Entwurf des Bundeshaushalts 1986 und der Finanzplanung bis 1989 ihren Kurs und setzt zugleich wichtige neue Akzente. Stabiler Geldwert, niedrige Zinsen, ein Rückgang der Staatsquote und weitere Steuersenkungen bleiben unsere Ziele. Nur mit einer solchen soliden Basis, mit geordneten öffentlichen Finanzen, ist auch auf dem Arbeitsmarkt eine noch nachhaltigere Besserung zu erreichen. Lassen wir uns bei allen sachlichen Gegensätzen von diesen Grundeinsichten und Zielen, von unserer Verantwortung für eine bessere Zukunft leiten! (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 9. Böhm (Melsungen)* 5. 9. Büchner (Speyer)* 5. 9. Frau Eid 5. 9. Dr. Enders * 5. 9. Frau Fischer ** 6. 9. Frau Geiger ** 6. 9. Glos 4. 9. Götzer 6. 9. Heyenn * 5. 9. Dr. Holtz ** 6. 9. Kiehm 6.9. Frau Krone-Appuhn 6.9. Dr. Kübler 4. 9. Frau Dr. Lepsius ** 6. 9. Linsmeier 4. 9. Dr. Müller * 4. 9. Niegel 6. 9. Dr.-Ing. Oldenstädt 6. 9. Pfuhl 6. 9. Dr. Schierholz 6. 9. Schlottmann * 5. 9. Schmidt (Hamburg) 6. 9. Schröer (Mülheim) 4. 9. Dr. Sperling 6. 9. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 6. 9. Dr. Stercken ** 6. 9. Frau Dr. Timm ** 6. 9. Dr. Unland * 5. 9. Verheugen 6. 9. Frau Dr. Wex 6. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 74. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. Juli 1985 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt: Gesetz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz - HEZG) Sechstes Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes Gesetz zur Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften (Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz 1985 - WoVereinfG 1985) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen (AFWoÄndG) Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr Gesetz zur Verbesserung der Personalstruktur in den Streitkräften (PersStruktG - Streitkräfte) Saatgutverkehrsgesetz Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt Gesetz über den Bundesrechnungshof (Bundesrechnungshofgesetz - BRHG -) Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften Viertes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren sowie anderer wertpapierrechtlicher Vorschriften Gesetz zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Versammlungsgesetzes Strafrechtsänderungsgesetz -- § 303 StGB (... StrÄndG) Gesetz zur Änderung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat nimmt die Entschließung des Deutschen Bundestages zur Kenntnis (zu Drucksache 293/85). Er ist jedoch der Auffassung, daß eine bloße Umschichtung der Mittel im Hinblick auf die Gesamtlage der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes nicht vertretbar ist. Er bittet deshalb die Bundesregierung, den Bundesplafond für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" angemessen zu erhöhen, um den Ländern die Möglichkeit zu geben, verstärkt Maßnahmen zu ergreifen, die bei großräumig auftretenden Waldschäden die Waldstruktur verbessern und einer strukturellen Schädigung des Waldes vorbeugen. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 5. August 1985 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1985 nebst Anlagenband und den Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1985 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan nebst Anlagenband und Stellenplan liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herta Däubler-Gmelin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Am Anfang der Rede des Noch-Bundesministers Geißler hatte ich ein ganz neues Geißler-Gefühl. Also, Herr Geißler, als Sie hier raufgekommen sind mit feuchten, traurigen Augen, die mich an meinen Cockerspaniel erinnert haben,

    (Unruhe bei der CDU/CSU — Schlottmann [CDU/CSU]: Pfui! — Dr. Hoffacker [CDU/ CSU]: Geht das schon los?)

    um dann zu klagen, niemand liebe Sie, da habe ich gedacht, wir müßten Sie tatsächlich trösten.

    (Anhaltende Unruhe bei der CDU/CSU)

    Der traurige ungeliebte Geißler, der, weil es soweit niemand tat, selbst die guten und positiven Zeitungsausschnitte über sich und seine Arbeit vortragen mußte, —

    (Schlottmann [CDU/CSU]: Eine Entgleisung ist das! Beschämend! Was wollen Sie eigentlich da oben?)

    leid hätte er einem tun können.

    (Bohl [CDU/CSU]: Sie tun mir auch leid!)

    Wenn es nicht so peinlich gewesen wäre und wenn er nicht nur die positiven Zeitungsausschnitte vorgelesen hätte, dann hätte ich meinen Freunden vielleicht sogar dazu geraten, diesen neuen Herrn Geißler ernstzunehmen. Sie haben sich schnell wieder umgestellt, Herr Geißler, und deshalb hatte ich zunächst beschlossen, Ihnen zu raten, sich doch auch einmal die Wertung — ich greife einiges zufällig heraus — der „Stuttgarter Zeitung" oder der „Süddeutschen Zeitung" vorzunehmen, die Ihnen vor allem eines bescheinigt hat: daß Ihr Auftritt vor der Bundespressekonferenz ein Auftritt voller Selbstlob gewesen sei. Aber als Sie dann den Zusammenhang, zwischen sich und Albert Schweitzer herstellten, — das war zuviel.

    (Tatge [GRÜNE]: Größenwahn ist das!)

    Deshalb mein Rat: Wenn Sie das nächste Mal diese Taktik wählen, dann sollten Sie Albert Schweitzer aus dem Spiel lassen.

    (Tatge [GRÜNE]: Er kann wirklich nichts dazu!)

    Das wirkt dann einfach glaubhafter.
    Als Sie dann wieder den alten Geißler aus dem Rohr springen ließen, war das wieder der alte „Winkelried", wie Sie der Deutschlandfunk genannt hat, der Geißler, der — in juristisch möglicherweise nicht angreifbarer Weise, aber deswegen doch nicht weniger verwerflich — mit politischen Gegner persönlich abrechnet.

    (Beifall bei der SPD)

    Halten Sie das für eine vernünftige politische Auseinandersetzung, Herr Geißler? Das ist doch nicht die notwendige Auseinandersetzung in der Sache. Das folgt doch genau dem Strickmuster, das Sie immer verfolgen, Sie haben das gefragt, warum Sie in letzter Zeit als Winkelried agieren, am 27. Mai so erklärt — das war einleuchtend, charakteristisch für Ihre Amtszeit, charakteristisch für die Musterbilanz, die Sie letzte Woche vorgelegt haben, und vor allen Dingen auch für die Rede, die Sie hier gehalten haben —: „Nicht die Taten, sondern die Worte über Taten sind es", die die Menschen bewegen.

    (Zuruf des Abg. Schlottmann [CDU/CSU])

    Das heißt auf deutsch, man braucht nur geschickt genug Propaganda zu machen,

    (Tatge [GRÜNE]: Das macht er ja auch!)

    Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11427
    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    den Menschen ein X für ein U vorzumachen, und schon läuft die Sache.
    Meine Damen und Herren von der CDU, es mag ja sein, daß ein Partei-Generalsekretär Ihre Zustimmung findet, wenn er so vorgeht, um einen Wahlkampf zu gewinnen. Aber für einen Minister, ist das unzulässig, Herr Geißler. Wer in einem Bereich tätig ist, in dem jeder von uns, der Familie hat, Wert auf Anstand legt und darauf, daß in diesem Bereich, der so viel mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun hat, der, wie die Jugendpolitik von Vertrauen, und Glaubwürdigkeit, persönlicher Betroffenheit und echtem Engagement, gemeinsamen Lösungsversuchen und Zusammenarbeit beherrscht sein soll, um so die jungen Leute zu überzeugen, daß auch dies — neben der Auseinandersetzung zu den wesentlichen Merkmalen von Demokratie gehört, der muß sich anders verhalten als Sie. Ihre Taktik wirkt hier nicht nur peinlich, sondern sie ist hier auch demokratieschädlich. Und Herr Geißler, im Grunde genommen sind Sie viel zu klug, als daß Sie das nicht wüßten.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist nicht mehr nur eine Frage des schlechten Stils, sondern das ist eine Frage, wie ernst Sie die Demokratie nehmen.
    Es hätte zu einer sachlichen Auseinandersetzung, zu einer vernünftigen Würdigung gehört,

    (Dr. Pinger [CDU/CSU]: Was Sachlichkeit angeht: Wie verhält es sich da mit Ihrem Hunde-Vergleich?)

    daß Sie sich auch mit dem auseinandersetzen, was z. B. im Bereich der Familienpolitik die Betroffenen sagen. Nicht nur die Betroffenen und einzelne Sprecher, sondern nahezu alle Verbände, geben seit Jahren — seit Jahren! — ein eindeutiges Votum über Ihre Familienpolitik ab. Damit auch das, wie Sie das so schön ausgedrückt haben, dem deutschen Volk zu Protokoll gegeben wird, will ich eine Stellungnahme erwähnen. Sie stammt nicht von irgend jemandem, sondern von Professor Simon, der für die katholischen Familienverbände und — wie Sie, die Sie in diesen Bereichen arbeiten, wohl wissen — auch für die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände sprach.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Der ist zurückgetreten!)

    Wissen Sie, was er seinerzeit sagte? Er sagte über Ihre Familienpolitik — nicht nur 1983 —, sie sei eine „schmerzliche Enttäuschung", gemessen an dem, was Sie — vor der Wende — alles versprochen hätten. Das sagte er zu Ihnen, zur CDU, die vor 1982 immer unsere sozialdemokratische Familienpolitik abqualifiziert hatte, und Herr Eimer, Sie waren doch auch jemand, der früher gemeinsam mit uns versucht hat, vernünftige Dinge durchzusetzen. Warum gehen Sie denn heute her und setzen pauschal das alles herab? Das finde ich nicht gut.

    (Eimer [Fürth] [FDP]: Das habe ich nicht gemacht!)

    Familienpolitik ist notwendig. Jugendpolitik muß sein. Und — natürlich brauchen wir eine vernünftige Politik für Frauen. Keiner kann alles durchsetzen, aber viele geben sich Mühe. Wir streiten Ihnen Ihren Willen nicht ab. Sie haben nicht nur früher unsere Politik mit Anwürfen herabgesetzt; die Ihnen heute hoffentlich in den Ohren klingen. Sie müssen Ihnen klingen, wenn die Betroffenen und alle Verbände Ihre Familienpolitik nach dieser beschworenen Wende nicht nur als „schmerzliche Enttäuschung" — so Simon — charakterisieren,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt ja gar nicht!)

    sondern — ebenfalls Simon — auch erklären — und ich zitiere wörtlich —, „sie ist auf wirtschaftlichem Gebiet eindeutig schlechter als die der sozialliberalen Koalition".
    Und eine weitere Stellungnahme, damit Sie nicht nur Weihrauch schwingen: Frau Süssmuth, die jetzt als neue Familienministerin die Hinterlassenschaft von Herrn Geißler übernehmen soll, sagte 1983: „Minuspunkte gebe ich der Regierung vor allem, weil die Familien gegenwärtig nicht entlastet, sondern belastet werden."

    (Abg. Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Seitdem haben sich die Zeiten geändert! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich habe mir schon gedacht, daß Sie so reagieren. Aber, Herr Geißler, das ist nicht so. Sie wissen es doch; wenn nicht, dann lassen Sie nachlesen. In der „Stimme der Familie" 8/85, also keine zwei Wochen vor Ihrer Presse-Jubelbilanz kommen die katholischen Familienverbände wiederum zu einem noch eindeutigen Urteil: Der Leitartikel sagt: Ihre Familienpolitik ist „kompliziert, bürokratisch und unvernünftig". Dann wird alles das aufgeführt, was Sie in Ihrer umgekehrten Echternacher Springprozession auf dem Felde der Familienpolitik in den letzten Jahren so praktiziert haben.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist doch gar keine repräsentative Meinung! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Einzelmeldung eines sozialdemokratischen Mitgliedes des Verbandes, die Sie jetzt zitieren. Das ist Herr Ronninger aus Trier. Sie haben sich nicht gründlich informiert!)

    — Nur weiter so, meine Herren. Daß dies keineswegs eine einsame Stellungnahme ist, wissen Sie ganz genau. Aber gut, werten Sie es doch so, wie Sie wollen. Protestieren hilft Ihnen nichts. Ich werde den Familienverbänden dieses Protokoll zusenden, damit sie Ihre Zwischenrufe und Ihre Wertung zur Kenntnis nehmen. Auch im Hinblick auf die Jugendverbände sind vernichtende Urteile keine Einzelfälle. Und solche Stimmen gibt es auch, nicht erst nach Ihrer ideologisch verklemmten Entscheidung in bezug auf die Weltjugendfestspiele, Herr Geißler.
    Betrachten wir die Stimmung bei den Frauen: Daß der CDU die Frauen davonlaufen, weiß Ihre Partei seit der verdienstvollen Studie von Frau Wex. Die ist im letzten Jahr erstellt worden. Die Öffentlichkeit, Kollege Bohl, die weiß das seit den Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Sie brauchen das



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    hier nicht zuzugestehen. Aber nehmen Sie wenigstens zur Kenntnis, was da passiert ist: Die Frauen haben kapiert, wie Herr Geißler mit ihnen Politik macht. Die Frauen haben gesagt, wir wollen so etwas nicht, und sie haben der CDU die rote Karte gezeigt. Mir könnte es j a recht sein, wenn Sie das nicht sehen wollen und weitermachen wie bisher. Aber es ist traurig zu sehen, wieviel Glaubwürdigkeit und demokratischen Anstand Sie dadurch in Gefahr bringen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das sollen wir glauben?)

    Lassen Sie uns jetzt abklopfen, wie sich die Lage von Frauen und Familien tatsächlich verändert hat. Sie haben viel gekürzt. Der Katalog der Streichungen existiert. Da können Sie fünfmal an dieses Podium treten und sagen, das stimme alles nicht. Die Streichungen und Kürzungen sind nicht vergessen, schon deshalb nicht, weil sie von den Betroffenen, den Familien Tag für Tag erneut als Belastung empfunden werden.
    Ausbildungsvergütung. Da rühmt Herr Geißler seine Jugendpolitik. Er sagt, das sei alles in Ordnung. Herr Geißler, gehen Sie nur in die Betriebsversammlungen und reden Sie zu Arbeitnehmern über Ihre Streichungen bei der Ausbildungsvergütung. Die trifft genau die Kinder dieser Arbeitnehmer. Die werden Ihnen dann schon sagen, wie sie das sehen. Sie kennen doch die Zahlen. Sie wissen, daß die Zahl der Frauen von Arbeiterkindern an Universitäten stark zurückgeht. Das ist eine der Folgen Ihrer „Förderpolitik".
    Sie wissen, daß die Nahezu-Streichung der Ausbildungsvergütung die jungen Leute, die Mädchen besonders, und auch die Familien belastet. Das ist doch nicht mehr zu bestreiten. Und deswegen wäre es nicht nur ehrlicher, sondern auch besser, wir würden uns gemeinsam überlegen, wie wir den industriellen Umbruch, den technischen Wandel durch eine vernünftige Bildungspolitik so gestalten, daß jede Begabung gefördert und junge Leute möglichst qualifiziert ausgebildet werden.

    (Schlottmann [CDU/CSU]: Mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen müssen Sie das einmal machen!)

    — Wissen Sie, ich finde Ihre Zwischenrufe wirklich unheimlich intelligent. Aber jetzt würde ich doch ganz gerne ernsthaft weitermachen.
    Jetzt komme ich zu den jungen Frauen, die heute ihre Kinder bekommen. Mutterschaftsurlaub! Sie reden von Erziehungsgeld und Zweiklassenrecht; was für eine pfundige propagandistische Begrifflichkeit. Nur, Sie vergessen dabei, daß die Frauen wissen, daß die große Mehrzahl der Frauen, die heute Kinder bekommen, berufstätig ist oder sich in Ausbildung befindet. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie jeder dieser jungen Frauen 240 DM im Monat streichen und gleichzeitig treuherzig sagen können, das wirke sich im Familienetat nicht aus. Sie glauben doch nicht im Ernst, diese jungen Frauen wüßten nicht, was es für eine junge Familie bedeutet, jeden Monat 240 DM weniger zu haben. Diese Frauen können auch lesen. Und sie wissen schon, daß sie mit dem neuen Erziehungsgeld im Endeffekt unter dem Strich, wenn man Vor- und Nachteile vergleicht, schlechter dastehen werden.
    Wir werden noch Gelegenheit haben, dies alles zu diskutieren. Aber vielleicht denken Sie darüber einmal nach. 240 DM müßten sie eigentlich wieder zulegen: Von 510 DM zurück auf 750 DM. Dies wollen Sie nicht: 600 DM wollen Sie den Frauen nur geben. Und ihre sogenannte Arbeitsplatzgarantie! Die Frauen haben schon bemerkt, daß es Ihnen darum geht, die Errungenschaft im Kündigungsschutz, die wir eingeführt haben, wieder zurückzudrehen. Die FDP war damals sehr zurückhaltend; sie wollte den vernünftigen, weitergreifenden Kündigungsschutz nicht, den wir dann schließlich im heutigen § 9 a des Gesetzes um den Mutterschaftsurlaub verankert haben.
    Ihre Pläne bedeuten, daß die jungen Frauen, denen Sie 240 DM vom Mutterschaftsurlaubsgeld im Monat gekürzt haben, zukünftig 600 DM bekommen, aber dafür keinen sicheren Arbeitsplatz mehr haben. Und die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs-/Erziehungsgeldes, mit der Sie jetzt argumentieren, die bringt nur eines mit Sicherheit: Viel Bürokratie. Da müssen ganze Züge neuer Formulare ausgefüllt werden. Aber sie bringt auch für die Selbständigen und auch für die Landfrauen keineswegs so viele Vorteile oder Inanspruchnahmen, wie Sie das heute glauben.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ihre Konzeption eines Erziehungsgeldes führt dazu — anders als die Formulierung, die wir früher vergeblich durchsetzen wollten; deshalb bringen wir sie wieder ein —, daß sie mithelfen, junge Frauen aus dem Berufsleben zu verdrängen. Lesen sie dazu einmal Ihre eigenen Presseerklärungen nach, meine Kollegen von der CDU/CSU.
    Da erklärt Herr Geißler in einer Mitteilung seines Ministeriums, die Zielprojektion sei, daß die Hälfte der etwa 300 000 Personen — sprich Frauen — pro Jahr, die Erziehungsgeld in Anspruch nähmen, nicht mehr in den Beruf zurückkehre. Klarer kann man das doch nicht ausdrücken, was er mit den Frauen vorhat.
    Wenn man dazurechnet, welche Verschlechterungen Sie den Frauen im Bereich des Arbeitsrechtes gebracht haben, dann müßten die Frauen wirklich Scheuklappen tragen, dann müßten sie wirklich nicht mehr rechnen können, wenn sie weiter auf ihre Politik hereinfielen.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie verdrehen unentwegt die Tatsachen!)

    — Nein, ich zitiere Herrn Geißler. Lesen Sie es doch nach, Herr Kroll-Schlüter. Beruhigen Sie sich und lesen Sie das nach!
    Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt.

    (Abg. Dr. Geißler [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)




    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    — Herr Geißler, wenn Sie noch ein bißchen warten, dann gerne. Ich möchte Sie aber jetzt bitten, noch etwa zehn Minuten zu warten. Einverstanden?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Gut.
    Im Gegensatz zu Herrn Geißler lasse ich Zwischenfragen gerne zu. Sie müssen mir aber schon gestatten, daß ich meine Sachen in meinem Zusammenhang vortrage.

    (Zuruf des Abg. Bohl [CDU/CSU]) — Selbst Sie, Herr Bohl.

    Jetzt zur Sozialhilfe. Auch so ein scheinbares Ruhmesblatt ihrer Politik. Seit 1982 haben wir jedes Jahr neue Höchstzahlen von Menschen, die von Sozialhilfe leben müssen. Das sind die Folgen Ihrer Politik. Und da geht Herr Geißler her und redet von einer „Gesellschaft mit menschlichem Antlitz". Das ist doch peinlich, diese Geisterbeschwörung.
    Ein anderes Gebiet: Politik für alte Menschen. Sie tun so, als sei Ihre Altenpolitik ein Pluspunkt, Herr Geißler. Wie unwahr! Natürlich ist es richtig — da stimme ich Ihnen völlig zu —, daß Sie die Mindestzeiten für Frauen in der Rentenversicherung gekürzt haben. Aber warum sagen Sie denn nicht offen, wie wenig das bringt? Was bekommt denn eine Frau, die den Mindestbeitrag einzahlt, was die meisten Hausfrauen tun? Was kriegt sie nach fünf Jahren? Ganze 9,30 DM im Monat! Und wenn der Beitrag nach dem Durchschnittseinkommen der Versicherten bezahlt wird, was, wie Sie wissen, bei Frauen unwahrscheinlich, weil zu teuer ist, dann sind es ganze 159 DM im Monat. Davon können Sie im Alter auch nicht leben, nicht mal, wenn sie das, um Ihre Worte, Herr Geißler, zu gebrauchen, mit in die Ehe nehmen. Die doppelten Beiträge — Herr Kroll-Schlüter, dies müßten Sie eigentlich wissen —, die für die Frauen illusorisch sind, würden etwa 300 DM bringen. Das ist zuwenig. Und deshalb ist das Geld, das Sie dafür verwenden, falsch angelegt.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie verdrehen die Dinge!)

    Diese Änderung führt nicht zu mehr sozialer Sicherung für Frauen, sondern zur Befriedigung Ihrer ideologischen Bedürfnisse. Das sind reine Schauregelungen, die lehnen wir ab.
    Aber es gibt wirklich etwas, was die alten Leute heute zunehmend beunruhigt. Wenn Sie draußen mit den alten Leuten reden, dann erzählen die Ihnen im Zweifel das gleiche, was sie mir sagen, nämlich, daß sie Angst haben vor der Abhängigkeit im Alter. Sie haben Angst, daß ihre Rente auch nach einem vollen Berufsleben nicht mehr reicht, um die Pflegekosten zu bezahlen, und sie haben Grund zu dieser Angst, weil die Pflegekosten davonlaufen. Da muß Abhilfe geschaffen werden, und das eilt. Deswegen haben wir Sie mehrfach aufgefordert, ein bundeseinheitliches Pflegeversicherungsgesetz vorzulegen. Das haben Sie nicht gemacht, Herr Geißler. Warum eigentlich nicht? Weil Sie hier wie vor jedem wirklich brennenden Problem zurückscheuen? Weil sie die Sorgen der alten Menschen nicht
    ernst nehmen? Weil Sie sie politisch abgeschrieben haben?

    (Zustimmung des Abg. Gilges [SPD])

    Sie erklären, Sie hätten sich besonders der älteren Frauen angenommen. Wenn man abwägt, was Sie gestrichen und gekürzt haben, ist das ziemlich zynisch: Sie haben sie nahezu vollständig aus der Erwerbs- und der Berufsunfallversicherung ausgesperrt, Sie haben sie vom Baby-Jahr ausgesperrt. Daher brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß sich die älteren Frauen heute mehr denn je an den Rand gedrückt sehen. Ich habe Ihnen das schon mehrfach vorgehalten und will es auch heute tun. Im „Marktboten" der Gemeinde Waldbröhl — dort arbeitet aus Ihrer Fraktion der Kollege Dr. Waffenschmidt — habe ich ein Gedicht gefunden. Eine Frau hat ihren Beitrag überschrieben: „Die Vergessenen". In dem Gedicht heißt es:
    Wir haben die Kinder geboren im Hunger, in Not und im Dreck, wir haben sie weinend verloren
    im Eis, unterwegs auf dem Treck.
    Dies geht dann vier Strophen weiter, und dann kommt:
    So werden wir auch übergangen beim Rentenerziehungsjahr.
    Wir sind die vergessenen Mütter; wie schändlich ist es, wie wahr: Die Würfel sind schon gefallen, wir bleiben im Abseits stehen.
    Liselotte Hofein aus Waldbröhl, Herr Kollege Dr. Waffenschmidt, hat dies gedichtet. Solche Gedichte können Sie heute, wenn Sie die einschlägigen Zeitungen lesen, überall finden.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Welche Gedichte gab es zu Ihrer Zeit?)

    Dieses Lebensgefühl der alten Frauen ist traurige Realität, und an der sind Sie schuld.
    Da loben Sie die Steuer- und auch die Kindergeld-
    und Familienlastenausgleichsregelung, die Sie vorhaben.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das richtet sich selbst, was Sie da bringen!)

    Über diese Dinge werden wir in den Ausschüssen und in zweiter und dritter Lesung noch reden. Nur, Herr Geißler, alles, was Sie gesagt haben — das ist das Traurige an der Sache — ist nur die halbe Wahrheit. Ihre umgekehrte Echternacher Springprozession führt dazu, daß Sie im Bereich der Familiensubventionen, alles eingerechnet, auch das Kindergeld, 1988 wieder so weit sein werden, wie wir 1981 waren. Das Traurige ist, daß Sie so tun, obwohl die Tatsachen Sie widerlegen, als sei das anders.
    Steuerreform: Warum sagen Sie den Menschen nicht offen, daß ein Berufsanfänger mit zwei Kindern nach Ihren Plänen den Gegenwert einer Schachtel Zigaretten pro Woche und ein gut verdienender Älterer mit zwei Kindern das 45fache bekommen soll? Wenn Sie das sagen würden, meine Damen und Herren, dann — das wissen Sie ganz
    11430 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    genau — würden die Leute nicht mal mehr fragen, ob das ein richtiger Umgang mit Steuergeldern ist.
    Herr Geißler, Ihre Bilanz ist, wenn sie ehrlich und ungeschminkt abgegeben wird, weder positiv noch günstig. Sie wissen das. Da Sie jetzt aus dem Amt scheiden, finde ich dieses Vorgehen ein bißchen unfair. Ich glaube, Sie haben Ihrer Nachfolgerin, der wir als Sozialdemokraten alles Gute wünschen, eine schwere Hypothek hinterlassen. Sie hinterlassen ihr — um mit Ihren Worten zu reden — eine Erblast, an der sie schwer, schwer, schwer zu knabbern haben wird.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das wünschen Sie sich!)

    — Nein. Wissen Sie, im Gegensatz zu Ihnen kenne ich Frau Süssmuth. Ich schätze sie auf einer persönlichen Ebene sehr.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Wie können Sie denn behaupten, daß ich sie nicht kenne?)

    Sie wissen ja: Es waren nicht Ihre Minister, die sie in den Beirat des Familienministeriums berufen haben.
    Aber das ist nicht der Punkt, sondern Frau Süssmuth hat, wie Ihr Zitat von 1983 beweist, den Vorzug, glaubwürdig sein zu wollen. Ich glaube, sie wird sich mit ihrer Glaubwürdigkeit bei Ihnen schwer tun. Sie wird aufpassen müssen, daß sie nicht als Propagandafigur mißbraucht wird, die jetzt, nachdem Herr Geißler als Familienminister weg ist, dazu benutzt wird, den Wählern zu sagen, daß die CDU alles besser mache.
    Ich habe den Eindruck, daß Ihnen dies nicht helfen wird. Wir werden aufpassen, und die Frauen werden aufpassen. Die Frauen merken heute sehr wohl, was tatsächlich gespielt wird.
    Wissen Sie, Herr Geißler, wenn Sie so großzügig darüber reden, daß die Frauen mehr gewürdigt werden müssen, und man liest dann in der Zeitung, daß Sie Ihre Amtsleiterin Ute Canaris nur durch Androhung von 300 DM Bußgeld pro Tag so behandeln, wie es eigentlich für einen Dienstherrn normal und üblich sein sollte, dann fällt den Frauen dieser Gegensatz auf.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, bei § 218, den Sie hier angesprochen haben, ist das nächste Trauerspiel zu verzeichnen. Glauben Sie doch nicht, daß die Frauen nicht merken, was hier gespielt wird. Da gingen früher Minister und viele von der CDU durch die Lande und sagten: In Zukunft machen wir das alles so viel besser, damit es keine Frau mehr nötig hat, in eine solche Notlage zu kommen, die sie zu einem Schwangerschaftsabbruch veranlaßt.
    Und was ist passiert? — Da wird — Geißlersches Propagandainstrument — eine Stiftung ins Leben gerufen. Heute wissen wir, daß es nicht wahr ist, wenn er von diesem Podium aus erklärt, daß die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen oder Hessen oder sonstwo schuld daran seien, daß es nichts genutzt hat. Die Kritik kommt genauso aus katholischen, genauso aus CDU-orientierten Beratungsstellen und Ländern. Baden-Württemberg beklagt sich, daß das Geld weg ist. Die Frage nach der Bürokratie wird ebenso ideologieneutral gestellt. Verstärkt wird die Ungerechtigkeitsfrage gestellt.
    Heute kann man sich doch nicht mehr hinstellen, Herr Geißler, und erklären, die anderen seien schuld. Sie müssen sich wirklich überlegen, ob nicht doch der Vorwurf zutrifft, daß Sie einfach am Bedürfnis der Frauen vorbeigeplant haben.

    (Eimer [Fürth] [FDP]: Wie können Sie sich hinstellen und so etwas sagen! — Zuruf des Abg. Werner [Ulm] [CDU/CSU])

    — Das Bedürfnis der Frauen — Herr Werner, ich weiß, Sie kümmern sich intensiv darum — geht dahin, langfristig abgesichert zu werden. Schauen Sie sich an, was in der Realität passiert — das Gegenteil und — es ist ein Trauerspiel, was Sie sich jetzt wieder zwischen München und Bonn und Mainz und Bonn leisten.
    Wissen Sie, die Frauen haben ein Gespür dafür, ob jemand den Grundsatz „Helfen statt strafen" tatsächlich ernstnimmt oder ob sich jemand nur nicht traut, an das Strafrecht heranzugehen, aber den Umweg über die Bestrafung der Betroffenen, derjenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, über die Bestrafung derjenigen Frauen, die wenig Geld haben, wohl gehen will. Das ist peinlich.

    (Frau Dr. Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist wahr!)

    Wir werden Sie hier aus Ihrer Verantwortung nicht entlassen. Wir wissen sehr wohl, daß die Frauen das merken.
    Eigentlich sollte ich die Liste noch fortsetzen. Es gibt noch eine Menge zu sagen.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Ist Ihre Zeit noch nicht abgelaufen?)

    — Nein. Ich weiß, daß Sie das ungern hören. Sie leben lieber in Ihrem Wolkenkuckucksheim, Herr Hoffacker. Aber gerade deswegen reizen Sie mich dazu, daß ich jetzt noch die Frage der Vereinbarkeit — —(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Aber auch nur
    mit Ihrem Cockerspaniel!)
    — Wissen Sie, Sie haben keine solche Augen. Übrigens: Wir lieben unseren Cockerspaniel.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Möglicherweise mehr als Kinder!)

    Damit nicht neue Mißverständnisse entstehen: Cockerspaniel sind süße Hunde, und sie gucken so traurig.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie verwechseln nicht nur die Tatsachen, sondern auch die Namen!)




    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    — Das tut mir leid. Habe ich Sie falsch angeredet? — Tut mir leid.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist Frau Dempwolf!)

    — Ich habe Sie mit Frau Augustin verwechselt.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist nicht der einzige Fehler heute abend!)

    — Wissen Sie, durch Behauptungen wird gar nichts besser. Ich bin im Gegensatz zu Ihrem Männlichkeits- und Ministergehabe überhaupt nicht verlegen, es zuzugeben, wenn mir ein Irrtum unterlaufen ist, das tut mir gar nicht weh.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Wir sind genauso emanzipiert wie Sie!)

    Jeder von Ihnen, der alle Kolleginnen und Kollegen hier im Raum kennt, darf einen Stein auf mich werfen; aber die anderen sollen bitte ruhig sein.
    Frau Dempwolf, Sie haben gerade so ungläubig geguckt, und deswegen rate ich Ihnen jetzt: Gucken Sie sich einmal die Zahlen aus dem Ministerium von Herrn Geißler, der ja hinter Ihnen sitzt, oder auch die offiziellen Dokumente der Bundesregierung daraufhin durch, was die Bundesregierung als Arbeitgeber selber macht.

    (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Vorsicht!)

    Dann werden Sie auf die folgende Zahl kommen — das können Sie in der Beantwortung der Großen Anfrage, die wir gestellt haben, nachlesen; ich hätte es auch lieber anders, aber es ist leider Gottes so —: Zwischen 1982 und 1984 — im Juni war der Endtermin der Statistik — ist der Anteil der Frauen bei den Neueinstellungen um mehr als 12 % abgesenkt worden. Und Sie gehen her und predigen uns die Vereinbarkeit von Beruf und Familie! Wissen Sie, wenn sich das seit dieser Zeit durch Ihre Bemühungen geändert haben sollte, dann sagen Sie es doch. Ich habe mich ja bemüht, die Fortschreibung der Zahlen zu bekommen. Ich wäre ja froh, wenn es eine Tendenzwende gäbe, aber die gibt es nicht, und das fällt auf, das fällt wirklich auf, und das müssen Sie tatsächlich ändern.
    Und die Ausbildungsstellensituation? Da ist es doch genau das gleiche. Wissen Sie, Herr Geißler, wenn man Ihnen wirklich etwas übelnehmen kann und wenn man Sie ernst nimmt — das wollen Sie ja zumindest gelegentlich vor den Fernsehkameras auch —, dann muß man Sie fragen — —

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Wollen Sie nicht ernstgenommen werden? — Er äußert sich nicht. Lassen wir es offen.

    (Zuruf des Abg. Eimer [Fürth] [FDP])

    Es geht um die Frage, was mit den Ausbildungsstellen in den letzten beiden Jahren passiert ist. Das ist eine Frage, die werden Sie beantworten müssen. In jeder einzelnen Statistik, die von Ihnen vorgelegt wird, stellen wir wieder fest, daß nicht nur die Arbeitslosigkeit von Frauen nicht abgebaut wird — das steht auch in den Statistiken, die dieser Tage wieder kommen —, sondern daß auch die Zahl der Mädchen, die Lehrstellen nachfragen, steigt
    und daß die Zahl der jungen Frauen, die keine Lehrstelle bekommen, ebenfalls steigt. Zwei Drittel derer, die leer ausgehen, sind seit 1982 Mädchen, und die fragen Sie, Herr Geißler — und darauf sollten Sie sich vorbereiten —, was Sie eigentlich dagegen getan haben. Ja, was haben Sie eigentlich dagegen getan? Was haben Sie getan, um diesen jungen Frauen zu helfen? Gerade deshalb, weil Sie dazu so peinlich betreten schweigen oder so vielberedt darüber hinwegreden, ist Ihre Glaubwürdigkeit bei den Frauen und bei den Jugendverbänden einfach weg,

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    und gerade deswegen wird — das kann ich Ihnen ziemlich genau sagen — der Artikel in der „Stimme der Familie" von 1985 nicht der letzte sein.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Gerade deswegen ist es so furchtbar schwer, Familienpolitik mit Ihnen sachlich zum Nutzen der Bürger voranzuentwickeln.
    Wenn Sie ein bißchen weniger Selbstlob, ein bißchen mehr Ehrlichkeit und ein bißchen mehr persönliches Engagement für die alten Menschen, für die Frauen, für die Jungen und ihre Familien im Lande hätten, könnte man gemeinsam viel mehr erreichen. Bei Ihnen war das nicht der Fall. Das ist bedauerlich. Wir hoffen, daß es mit Ihrer Nachfolgerin besser sein wird.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat nun der Abgeordnete Gerster.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johannes Gerster


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir steht es nicht zu, hier meine Vorrednerin zu kommentieren, denn ich werde zu einem anderen Arbeitsschwerpunkt reden. Nur, Frau Däubler-Gmelin, ich empfehle Ihnen, in einer ruhigen Stunde — nicht so verbissen, ein bißchen locker — einmal die Rede des Familienministers Geißler und danach Ihren Beitrag zu lesen.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Diese Schablonen ziehen nicht mehr!)

    Wenn das die Substanz der Familienpolitik der SPD war, wird damit nur bewiesen, welch hervorragender Familienminister in den letzten drei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland amtiert hat,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    und ich möchte im Namen unserer Fraktion diesem Familienminister danken, der ja aus freien Stücken nach drei Jahren zurücktritt.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Peinlich!)

    Obwohl er damit in der Riege der Minister nicht die längste Dienstzeit erreicht, wird er mit Sicherheit mit dem, was auf den Weg gebracht ist, was verabschiedet ist und was geleistet ist, hervorragend dastehen. Ich meine, man sollte auch vom politischen Gegner wenigstens erwarten können, daß er gesetz-



    Gerster (Mainz)

    liche Maßnahmen und Tatsachen sachlich wertet. Sie werden sehen, dieser Mann wird auf Dauer Anerkennung bei allen finden. Wir haben einen guten Familienminister gehabt; das hat Ihre Rede bewiesen.
    Meine Damen, meine Herren! Der Umweltschutz bleibt im Bundeshaushalt 1986 Schwerpunktaufgabe der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition. Ich habe den Auftrag, zu diesem Bereich und insgesamt zur Innenpolitik zu sprechen. Ich werde allerdings in Absprache mit meinem Kollegen Dr. Laufs und mit Frau Seiler-Albring von der FDP-Fraktion nur diesem Schwerpunktbereich einige Äußerungen widmen.
    Wer den Haushalt im einzelnen durchgeht, wird sehen, daß dem Bereich Umweltschutz von der Qualität her, aber auch von der Quantität her — immerhin wird er sich in diesem Haushalt wieder um rund 10 % steigern — nachweisbar eine ganz zentrale Bedeutung zukommt. Nun hat sich die umweltpolitische Diskussion in den letzten Monaten auf den Katalysator konzentriert. Zu kurz gekommen sind dabei in der öffentlichen Diskussion die anderen bedeutenden umweltpolitischen Vorhaben der Bundesregierung. In allen Bereichen des Umweltschutzes, der Luftreinhaltung, dem Gewässerschutz, der Lärmbekämpfung, der Abfallwirtschaft und dem Bodenschutz, ist in den vergangenen drei Jahren Hervorragendes geleistet und auf den Weg gebracht worden.

    (Suhr [GRÜNE]: Ist doch nichts dahinter!)

    Was in der Entgiftung der Autoabgase in nur zwei Jahren in die Wege geleitet worden ist, ist geradezu beispiellos.

    (Lachen bei der SPD)

    Auch die eifrigsten Umweltschützer hätten zu Beginn der Regierung Kohl wohl kaum anzunehmen gewagt, daß sich folgende Bilanz, die ich nur kurz nennen will, aber auch aufzählen kann, wenn Sie das wünschen, ergibt:
    Erstens. Alle deutschen Automobilhersteller bieten heute in allen Fahrzeugklassen und bei den meisten Modellen umweltfreundliche Versionen an.
    Zweitens. Der Anteil der Umweltautos an den Neuzulassungen wird 1986 50 % und 1987 sogar 75 % betragen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Er ist im letzten halben Jahr zurückgegangen!)

    So jedenfalls sagen es die Marktanalysen der deutschen Automobilindustrie aus, und Sie können sicher sein, daß sie sehr wohl weiß, worauf sie sich in ihren Planungen und Produktionen einzustellen hat.
    Drittens. Ein ganz erheblicher Fortschritt ist, daß unsere europäischen Nachbarn bei der Einführung des schadstoffarmen Autos mitmachen. Und was sehr oft übersehen wird: Die EG hindert uns nicht mehr daran, daß wir durch steuerliche Anreize das schadstoffarme Auto freiwillig und vorzeitig einführen.
    Viertens. Steuerliche Anreize sorgen auch dafür, daß schon im Verkehr befindliche Autos nachgerüstet werden. Wer hätte übrigens früher daran gedacht, durch ein breit angelegtes Programm die Schadstoffreduzierung der Altfahrzeuge zu veranlassen? Wohl keiner, schon gar nicht während der Regierungszeit der Sozialdemokraten.
    Fünftens. Die jährliche Abgassonderuntersuchung vermindert zusätzlich die Emission von Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen bei den im Verkehr befindlichen Fahrzeugen. Auch hier sind wir nachweisbar führend.
    Sechstens. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es inzwischen flächendeckend Tankstellen für bleifreies Benzin. Es sind zur Zeit etwa 2 500, und es werden von Tag zu Tag mehr.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Aber keiner benutzt sie!)

    Siebtens. Wir können auch heute schon beziehungsweise in aller Kürze im Ausland bleifrei tanken. Dies gilt für die EG-Staaten ebenso wie für die skandinavischen Staaten, die Schweiz, Österreich, die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, j a, sogar zum Teil bereits für die DDR.
    Dies alles sind Entwicklungen, die natürlich durch die politische Diskussion, durch politische Maßnahmen und Entscheidungen dieser Bundesregierung direkt oder mittelbar in die Wege geleitet wurden, zum Teil gegen harte Widerstände im In-und Ausland. Man muß berücksichtigen, daß die Bundesregierung beim Punkt Null anfangen mußte. Gerade Sie, meine Damen und meine Herren von der SPD, haben sowohl bei der Übernahme der Regierungsverantwortung durch uns nichts vorzuweisen als auch bei der vor allem europäischen Diskussion nichts anderes zu tun gehabt, als dieser Bundesregierung wiederholt in den Rücken zu fallen.
    Dieses schadstoffarme Auto ist aber nur ein Teil der Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung. Alle Verschmutzer — die Energiewirtschaft, die Industrie, der Verkehr und die privaten Haushalte — werden von zahlreichen weiteren Maßnahmen erfaßt.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist keine Rede; das ist ein Kommuniqué!)

    Dabei weiß natürlich jeder, der die Materie kennt, daß eingeleitete Maßnahmen nicht von heute auf morgen wirken können, sondern daß bei nüchterner Betrachtung gewisse Vorlaufzeiten notwendig sind.
    Die 1983 verabschiedete GroßfeuerungsanlagenVerordnung beginnt entgegen der von Ihnen oft vorgetragenen Kritik und Skepsis inzwischen voll zu greifen. Die Sanierung der von der Verordnung erfaßten 200 Altanlagen geht zügig voran. Die Unternehmen der öffentlichen Stromversorgung werden unverzüglich drei Viertel ihrer Kraftwerke umrüsten und den Rest stillegen. Das Ergebnis für die Umwelt ist: Der jährliche Ausstoß von Schwefeldioxid aus Großfeuerungsanlagen wird bis 1988 bereits um eine Million Tonnen verringert, und der Stickoxidausstoß wird von einer Million Tonnen jährlich auf etwa 300 000 Tonnen gesenkt.



    Gerster (Mainz)

    Die Neufassung des Emissionsteils der TA Luft, den die Bundesregierung vor wenigen Wochen verabschiedet hat, wird über Jahre hinaus die Luftreinhaltung in der Bundesrepublik Deutschland prägen. Praktisch wird der gesamte Industriebereich — insbesondere Hochöfen, Stahlwerke, Zementwerke, Glashütten, Kokereien, Chemieanlagen, Raffinerien — harten Umweltschutzauflagen unterworfen. Das Ergebnis für die Umwelt wird folgendes sein:
    Erstens. Der Ausstoß von Schwefeldioxid aus den von der TA Luft erfaßten Anlagen wird um etwa ein Drittel gesenkt.
    Zweitens. Der Ausstoß von Stickoxiden wird um etwa 100 000 Tonnen im Jahr gesenkt.
    Drittens. Der Auswurf von Staub wird um etwa 160 000 Tonnen im Jahr gesenkt; das sind 40 % weniger Auswurf als 1982.
    Viertens. Auch die Schwermetalle werden um 40 % vermindert.
    Man könnte die Reihe der Vorhaben, die die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung derzeit vorantreiben, natürlich noch fortsetzen. Das Spektrum reicht von der Luftreinhaltung über den Gewässerschutz und die Abfallwirtschaft bis zum Bodenschutz, wofür gerade im Februar dieses Jahres eine umfassende Schutzkonzeption vorgelegt worden ist.

    (Suhr [GRÜNE]: Das reicht doch alles nicht!)

    Es steht wohl außer Zweifel: In nur drei Jahren hat die jetzige Bundesregierung in der Umweltpolitik bedeutend mehr geleistet als die frühere Regierung in 13 Jahren zuvor.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie sind ganz toll!)

    Diese Erkenntnis ist nicht neu, wird aber bei Sozialdemokraten offenbar immer noch unterschlagen, weshalb ich Ihnen empfehle, sich immer wieder ein Zitat Ihres Genossen Rolf Dietrich Schwartz aus Ihrem Parteiorgan „Vorwärts" vom 8. Dezember 1984 vor Augen zu halten.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Seit wann lesen Sie denn den „Vorwärts"?)

    — Ich lese den „Vorwärts" und habe den Eindruck, daß ich ihn gründlicher lese als die Masse der Sozialdemokraten. Und ich bin sehr interessiert, was der „Vorwärts" in der nächsten Woche über Herrn Wischnewski schreiben wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er leistet Sterbehilfe!)

    Dieses Zitat lautet:
    Auf kaum einem anderen Gebiet wiegen die historischen Versäumnisse sozialdemokratischer Regierungsverantwortung so schwer wie gerade im Bereich des Umweltschutzes.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Sie sehen: auch ein Sozialdemokrat kann einmal etwas Wahres zum Ausdruck bringen.
    Was haben Sie, die Sozialdemokraten, denn zur Reinhaltung der Luft getan? Seit 1974 ist in diesem Bereich praktisch nichts mehr geschehen. Die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft, die — was übrigens gar nicht bekannt ist — bereits 1964 von einer CDU-geführten Bundesregierung erlassen wurde, haben Sie nach der Novellierung 1974 acht Jahre lang liegen lassen. Dabei hatten bereits 1978 Experten in einem Hearing des Umweltbundesamtes eine sofortige Überarbeitung dieser für die Luftreinhaltung so bedeutenden Vorschrift gefordert. Auch hier bedurfte es des Regierungswechsels, um etwas auf den Weg zu bringen.
    Was haben Sie von den Sozialdemokraten getan zur Entschwefelung und Entstickung der Kraftwerksabgase? Seit Verabschiedung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes im Jahre 1974 war die damalige Regierung ermächtigt, eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung zu erlassen. Es bedurfte jedoch auch hier des Regierungswechsels, um die Kraftwerksabgase wirksam zu vermindern.
    Was haben Sie von der Sozialdemokratischen Partei zur Entgiftung der Autoabgase getan, wo doch die Amerikaner bereits 1972 beschlossen hatten, die Katalysatortechnik einzuführen und wir bereits damals — wie auch heute — führend in der Automobilindustrie waren und dies ohne Not ebenfalls hätten angehen können?
    Noch im Juni 1982, als der Begriff Waldsterben bereits in aller Munde war, hat sich der damalige Verkehrsminister Volker Hauff gegen die obligatorische Ausrüstung von Autos mit Abgasreinigern ausgesprochen. Es bedurfte auch hier des Regierungswechsels und des Zupackens des Innenministers Zimmermann, um endlich auf diesem Gebiet tätig zu werden.
    Was haben Sie von der SPD zum Schutze des Bodens getan? Nichts! Auch in diesem Bereich nichts. Auch beim Bodenschutz mußte die derzeitige Bundesregierung nach 1982 beim Punkte Null anfangen.
    Man könnte diese Liste beliebig fortführen. Doch, meine Damen, meine Herren, wer halbwegs die umweltpolitischen Debatten verfolgt, weiß, daß hier nichts als die reine Wahrheit gesagt wird, daß die Sozialdemokraten auf diesem Bereich entscheidend versagt haben — in den so entscheidenden siebziger Jahren.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wenn ich Sie sehe, weiß ich, daß dies nur die reine Wahrheit sein kann!)

    — Herr Kleinert, ich habe vorhin das Datum 1964 genannt. Die CDU/CSU-Regierung — vor dem Wechsel 1969 — war bereits auf umweltpolitischem Gebiet tätig, als viele Ihrer Mitglieder und auch viele der hier im Parlament Anwesenden fast noch in den Windeln gelegen haben.

    (Zurufe von den GRÜNEN: Sie auch! — Wo lagen Sie denn?)

    Glauben Sie doch nicht im Ernst, daß Umweltschutz
    von Ihnen erfunden wurde! Glauben Sie nicht, daß



    Gerster (Mainz)

    Ihre Politik überhaupt geeignet ist, im Bereich des Umweltschutzes zu Erfolgen zu führen!

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Ströbele [GRÜNE]: Probieren Sie sie doch mal aus! — Zuruf von den GRÜNEN: Das müssen ausgerechnet Sie uns erzählen!)

    — Ihre Politik lebt doch davon, möglichst vielen Leuten nur Angst zu machen — und mehr nicht.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Nein, mitnichten! Wir entwickeln Alternativen, die etwas verändern — im Gegensatz zu Ihnen!)

    Sie sind Katastrophenprediger, aber keine Politiker, weil Sie nicht das Mögliche anpacken, sondern von dem Unmöglichen träumen.

    (Ströbele [GRÜNE]: Sie lassen sich doch nur von der Industrie bezahlen! Das weiß man doch!)

    Ich will die Gefährdungen durch Umweltverschmutzungen nicht bagatellisieren; ich will die Gefahren gar nicht bagatellisieren, die durch Umweltverschmutzungen zweifellos vorhanden sind. Wir müssen hierbei alle Risiken beachten und berücksichtigen. Wir dürfen sie jedoch nicht dramatisieren. Durch Schüren von Emotionen wird kein konkretes Umweltproblem gelöst.

    (Ströbele [GRÜNE]: Das stimmt!)

    Umweltschutz ist keine Ideologie; Umweltschutz ist eine Sachaufgabe, die sachbezogen und mit Sachverstand angepackt werden muß.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt auch!)

    Umweltschutz bedeutet den Einsatz neuester umweltschonender Techniken, deren Entwicklung und Einsatz Beträge in Milliardenhöhe erfordern.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sehr richtig! — Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Wer das nicht sieht, wer aus der Industriegesellschaft wie Sie von den Grünen aussteigen will, der führt uns nicht nur in eine ökonomische, sondern auch in eine ökologische Katastrophe.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Ströbele [GRÜNE]: Wer malt denn hier schwarz?)

    Die Union hat nicht nur von Umweltschutz geredet, sondern wir haben konsequent gehandelt, und zwar sofort bei der Regierungsübernahme 1982. Natürlich hat es dabei unvorhersehbare Schwierigkeiten gegeben, etwa auf dem europäischen Sektor. Natürlich wäre es uns auch lieber gewesen, wir hätten in manchen Bereichen noch schneller handeln können.

    (Ströbele [GRÜNE]: Tun Sie es doch!)

    Aber es zeichnet eben die Grünen aus, daß sie sich von den Realitäten lösen und nicht in der Lage sind, Schwierigkeiten, wie sie sich etwa auf europäischer Ebene ergeben können, tatsächlich in das Kalkül einzubeziehen. Wir haben nicht nur geredet, wir haben gehandelt, und zwar sofort.

    (Ströbele [GRÜNE]: Ach du liebe Zeit!)

    Dabei lösen wir die Umweltprobleme mit einer Politik, die versucht, die Probleme an den Wurzeln anzupacken. Dies zeigen zahlreiche Ergebnisse, die ich Ihnen bereits vorhin im einzelnen vortragen konnte.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die Sie vorgelesen haben!)

    Ich wiederhole: Keine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat mehr für den Umweltschutz getan als die jetzige Regierung. Wir verfügen heute über die strengsten Luftreinhaltevorschriften in Europa. Das sollten alle die bedenken, die glauben, dennoch unmäßige Kritik üben zu sollen. Wichtige Gesetze wurden bereits verabschiedet, wichtige Vorschriften erlassen;

    (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Welche denn?)

    andere werden folgen.
    Mit diesen Maßnahmen werden wir bis Anfang der 90er Jahre das derzeit vordringliche Umweltproblem in den Griff bekommen. So werden bis 1993 die jährlichen SO2-Emissionen um 2,1 Millionen Tonnen gesenkt. Im Vergleich zu 1980 entspricht dies einer Verminderung um mehr als 60%. Dabei müssen sämtliche umweltpolitischen Entscheidungen gesamtpolitisch verantwortet werden. Das sollten auch Sie von den Grünen nicht vergessen, aber auch nicht einzelne Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion, die oft in einer Art Überbietungswettbewerb mit den Grünen den Eindruck erwecken, als lägen Milliardenbeträge, die für den Umweltschutz aufgebracht werden müssen, auf der Straße und brauchten nur aufgesammelt zu werden.

    (Ströbele [GRÜNE]: Nein, aber in der Rüstung! Ein paar von den Panzern weniger!)

    Umweltpolitik kostet Geld, kostet viel Geld. Auch hier muß aber gesehen werden, daß die Bürger nicht unbegrenzt belastungsfähig sind, daß die Belastungen der Bürger, vor allem der Arbeitnehmer, in Grenzen gehalten werden müssen. Nur wer den Umweltschutz neben anderen berechtigten Interessen — wie die Beseitigung der Arbeitslosigkeit oder die Sicherung einer ausreichenden Energieversorgung — sieht, garantiert einen Erfolg.
    Wir werden die umweltpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung, insbesondere des Bundesinnenministers, bei den bevorstehenden Einzelberatungen im Haushaltsausschuß sehr kritisch und konstruktiv beraten und weiterentwickeln.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Hoffentlich!)

    Dabei weise ich noch einmal darauf hin, daß nach Meinung auch der Koalitionsfraktionen diesem Umweltschutz im Geschäftsbereich des Bundesinnenministers, aber auch im Aufgabenkatalog der gesamten Bundesregierung, eine besondere Priorität zukommt.



    Gerster (Mainz)

    Wir sind gespannt auf konstruktive Vorschläge der Oppositionsfraktionen,

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die Sie dann wieder ablehnen!)

    die wir bisher ja auch im Bereich der Innenpolitik vermissen mußten. Ich bin gespannt, welche Vorschläge kommen werden, die wir natürlich prüfen werden. Allerdings glaube ich nach der geschilderten Vorgeschichte, daß sehr viel auf diesem Gebiet von der SPD — von den Grünen ganz zu schweigen — nicht zu erwarten ist. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Nächste Woche!)