Gesamtes Protokol
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben zum Schluß Ihrer Rede zum Thema Afghanistan Ausführungen gemacht, die nicht in Ordnung sind. Sie wissen ganz genau, daß wir Sozialdemokraten für die Befreiung Afghanistans, für die Wiederherstellung der Rechte dort eintreten. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, daß wir wegen dieser eindeutigen Position der Sozialdemokratie von den Sowjets, insbesondere von der Agentur Nowosti, gerade in den letzten Tagen sehr heftig kritisiert worden sind. Aber das ist das eigentliche Problem mit den deutschen Herren Stoltenberg und Dregger: Sie appellieren an den politischen Anstand, ihn selber aber zu wahren, damit haben sie einige Probleme.
Wenn wir dann schon über Vergangenheit reden, dann lassen Sie mich Sie erneut daran erinnern — mir tut das leid —, daß Sie hier in Bonn als Bundesminister der Finanzen nicht ohne politische Vergangenheit aufgetaucht sind. Wenn Sie über die Schuldenlast des Bundes reden, dann möchte ich gerne einmal hören, was Ihr Nachfolger im Amt, der Ministerpräsident Barschel, zu diesem Thema denkt.
Denn wie ist es denn? In der Zeit von 1970 bis 1982 sind die Schulden des Landes Schleswig-Holstein, berechnet auf den Kopf des Einwohners, von 580 DM auf 3 900 DM gestiegen.
Also, sie haben sich gut versechsfacht. Im Jahre 1982 hatte das Land Schleswig-Holstein unter allen Flächenländern — und nur diesen Vergleich können wir hier anstellen; die Stadtstaaten können wir ja nicht einbeziehen, weil sie ja Kommunen wie auch Länder sind —
sage und schreibe die höchste Zinsbelastung, bezogen auf die Ausgaben.
Mit anderen Worten: Hier sollten wir sehr vorsichtig sein, insbesondere Sie, wenn Sie über Solidität, über Vergangenheit reden. Auch Sie holt Ihre Vergangenheit dann ein.
Herr Kollege Stoltenberg, ich bin gern bereit, Ihnen die Auszüge aus den Protokollen des schleswigholsteinischen Landtags, Ihre Reden als Ministerpräsident zu überreichen. Da haben Sie in den Jah-Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11333Dr. Apelren, die hier zur Sprache stehen, 1970 bis 1982, doch immer voller Stolz darauf hingewiesen, daß Sie in Bonn noch mehr herausgeholt, daß Sie als finanzpolitischer Sprecher der damaligen Opposition im Bundesrat auf einen Schelm anderthalbe gesetzt, daß Sie die Nettokreditaufnahme nach oben getrieben und daß Sie immer wieder Forderungen gestellt haben, die hinsichtlich ihrer sozialpolitischen Vernünftigkeit mehr als fragwürdig waren, die wir damals aber oft akzeptieren mußten, weil wir auf Ihre Zustimmung im Bundesrat angewiesen waren.
Herr Stoltenberg, wer im Glashaus sitzt, sollte tunlichst nicht mit Steinen werfen.
Sie haben hier in Ihren anhaltend langen Ausführungen
Bemerkungen zur Konjunktur gemacht. Lassen Sie uns an den Beginn meiner Ausführungen eine Betrachtung der Konjunktur stellen, wie wir sie sehen. Dann kommen wir zum Ergebnis, daß die Konjunktur in unserem Lande nicht schlecht ist,
aber mit sehr viel mehr Problemen belastet ist, als das die Berufsoptimisten in Frankfurt und in Bonn wahrhaben wollen. Es ist doch so, daß etwa die Hälfte des Wirtschaftswachstums im Außenhandel erwirtschaftet wird. Unser Export ist immer noch der Motor unserer Wirtschaftsentwicklung.Trotz der Bemerkungen des Bundesfinanzministers, daß wir keine abrupten Dollarturbulenzen zu erwarten hätten — und ich hoffe das, Herr Kollege Stoltenberg —, können wir das nicht ausschließen. Wir sehen insbesondere, wie bei unseren Partnerländern der Wille stärker wird, den Welthandel einzuschränken, sich abzuschirmen gegen Importe. Zumindest das ist ein bedenkliches Zeichen.Ein Zeichen für Probleme beim Welthandel hat der Bundesfinanzminister selbst genannt. Er hat nämlich gesagt — ich zitiere wörtlich; ich stimme ihm ausdrücklich zu —, die internationale Schuldenkrise ist noch keineswegs gelöst. Wir stehen auch nicht an, zu erkennen, daß unsere Investitionsgüterindustrie jetzt auch im Inland gut verkauft. Nur, was da läuft, ist vor allem eine Welle von Rationalisierungsinvestitionen mit den bekannten Folgen für den Arbeitsmarkt.
Dennoch sind wir — das hat uns die Organisation für europäische Zusammenarbeit und Entwicklung in ihrem letzten Bericht ins Stammbuch geschrieben — in der Bundesrepublik Deutschland trotz einer gut laufenden Investitionsgüterindustrie weit davon entfernt, von hier aus ein sich selbst tragendes Wachstum erwarten zu können.
Das ist doch auch gar kein Wunder; denn wenn — Herr Kollege Stoltenberg hat selbst darauf hingewiesen — die Konsumgüternachfrage lahmt und die Bürgerinnen und Bürger nicht kaufen können, wird eben die Investitionsbereitschaft der Unternehmen abnehmen. Die Hälfte unseres Sozialproduktes wird vom Verbrauch bestimmt. Wenn dieser Verbrauch lahmt, wird zwangsläufig die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft auch nicht so sein, wie wir sie uns wünschen.Dann sollten wir diesem rosaroten Bild des Bundesfinanzministers zwei Fakten hinzufügen. Auch im Jahre 1985 werden wir einen neuen Pleitenrekord haben. Die Bauwirtschaft spricht von der tiefsten Krise seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland.Das alles ist schlimm, aber nicht so schlimm wie die Tatsache, daß wir im Jahre 1986 im vierten Jahre wirtschaftlichen Wachstums sein werden und sich an der Massenarbeitslosigkeit, an der Lage auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nichts ändern wird, wie es der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, unser früherer CDU-Kollege Franke, gesagt hat.
Da frage ich: Wo sind wir eigentlich und was müssen wir eigentlich tun, um dieser zentralen Herausforderung der Massenarbeitslosigkeit zu begegnen? Oder wollen wir sehenden Auges in die nächste Rezession gehen, die ja kommen wird? Wir werden ja auf Dauer keine Wachstumsraten haben, wie das derzeit der Fall ist. Wollen wir denn sehenden Auges mit weit mehr als 2 Millionen Arbeitslosen in die nächste Rezession gehen? Muß das nicht dazu führen, daß dann in der Tat die Zweifel an der Leistungsfähigkeit und Überlegenheit unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zunehmen? Ist es nicht so, daß jetzt schon Millionen Menschen ohne Perspektive leben? Deswegen sagen wir Sozialdemokraten: Der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit muß im Zentrum unserer politischen Arbeit stehen.
Noch im Mai dieses Jahres haben Sie, Herr Kollege Stoltenberg, in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt" verkündet, in diesem Jahre werde es zu einem erkennbaren — zu einem erkennbaren! — Abbau der Arbeitslosigkeit kommen. Wir wissen heute: Die Entwicklung hat Sie Lügen gestraft. Aber wir fragen, ob Sie in Ihrer Finanzpolitik, im Bundeshaushalt 1986 und bei den den Bundeshaushalt 86 begleitenden Maßnahmen Konsequenzen gezogen haben, um dieser Massenarbeitslosigkeit zu begegnen.
Im übrigen, Herr Kollege Stoltenberg, eine Randbemerkung: Am 8. Juni 1985 — wiederum im „Handelsblatt" — haben Sie deutliche Skepsis geäußert, ob es vernünftig wäre, der Forderung des Baumini-11334 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985Dr. Apelsters zu entsprechen, die Städtebauförderungsmittel zu verdoppeln. Sie haben damals gesagt, Siesähen keinen Handlungsbedarf. Sie haben damals— das ist ja noch gar nicht lange her — weiter gesagt, im Jahre 1984 sei nicht einmal die Hälfte dieser Mittel abgeflossen.
— Ich zitiere ja nur Herrn Stoltenberg. Es ist Ihre Beurteilung, wenn Sie sagen, er habe keine Ahnung.
Meine Damen und Herren, nun stellt sich der Bundesfinanzminister hier hin und sagt im Brustton der Überzeugung: Die Mittel für die Städtebauförderung werden verdreifacht, allerdings — so Herr Kollege Stoltenberg — nur für zwei Jahre. Dann soll nach Ihrem Willen
die Städtebauförderung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden abgelöst werden. Wir sind hier grundsätzlich anderer Meinung.
Wir sind der Meinung, daß wir kein Strohfeuer für zwei Jahre brauchen. Finanzpolitik, insbesondere Investitionspolitik, muß stetig angelegt werden. Sie muß dauerhafte Perspektiven geben.
Herr Kollege Stoltenberg, wir möchten vor allem gerne wissen, was Sie sich denn eigentlich vorgenommen haben,
um diese Mittel insbesondere in die Gebiete zu lenken, die auf Grund extrem hoher Arbeitslosigkeit und auf Grund sehr sehr hoher Belastungen durch die Sozialhilfe nicht in der Lage sein werden, aus eigener Kraft die Mittel aufzubringen, die nötig sind, um die Dorfsanierung im Interesse der Belebung der lokalen Bauindustrie durchzuführen. Was gedenken Sie zu tun, damit die Mittel tatsächlich dorthin fließen, wo sie im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit wirklich gebraucht werden?
Unsere Position hierzu ist ganz deutlich.Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen. Sie haben die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für den Gewerbebau lobend erwähnt. Herr Kollege Stoltenberg und lieber Herr Kollege Riedl, haben Sie eigentlich nicht mehr im Kopfe, was der sonst ja eher zurückhaltende Vizepräsident der Deutschen Bundesbank Helmut Schlesinger bei einer öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für den Gewerbebau gesagt hat? Er sagte, dies werde die Investitionsentscheidungen im Gewerbebau kaum beeinflussen. Erhat daraus geschlossen, daß es hier natürlich hohe Mitnahmeeffekte geben wird. Mit anderen Worten: Hier werden Steuergeschenke in Milliardenhöhe gegeben. Das ist die Wahrheit.
Er hat deswegen eine sehr distanzierte, eher zurückhaltende Haltung dieser Maßnahme gegenüber eingenommen.Herr Kollege Bangemann — ich sehe den Bundeswirtschaftsminister derzeit nicht —,
das Bundeswirtschaftsministerium selbst teilt ja diese sehr kritische Beurteilung der Abschreibungserleichterungen für den Gewerbebau. Erinnern wir uns, wie es war. Das Bundeskabinett hat diese Maßnahme beschlossen. Der Bundeswirtschaftsminister hat gleichzeitig ein von seinem Staatssekretär abgezeichnetes Papier der Presse übergeben. In diesem Papier steht — ich zitiere —:Es bestehen Zweifel, ob die starke Aufstockung der Städtebauförderungsmittel in zusätzliche Nachfrage umgesetzt werden kann.Ich zitiere weiter:Es stimmt nachdenklich, daß durch Änderung der Abschreibungsbedingungen erhebliche Steuerausfälle — fast 4 Milliarden DM — entstehen und daß ein erheblicher Teil der Ausfälle bei den Gemeinden entsteht. Damit werden die kommunalen Investitionsmöglichkeiten eingeengt.Das ist, wie ich finde, ein vernichtendes Urteil dieser Maßnahmen durch das Bundeswirtschaftsministerium. Aber es ist j a noch schlimmer. Herr Bangemann sitzt im Kabinett, stimmt den Maßnahmen zu, schweigt augenscheinlich, und vor der Tür läßt er seine Bedenken gegen diese Beschlüsse der Bundesregierung an die Presse verteilen. Das ist wirklich eine merkwürdige Doppelstrategie bei einem Bundeswirtschaftsminister, der auch in diesem Falle wieder beweist, wie wenig seriös seine Politik ist.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stellt in Übereinstimmung mit dem stellvertretenden Chef der Deutschen Bundesbank und mit dem Bundeswirtschaftsministerium fest: Die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für den Gewerbebau ist kaum mehr als ein neues, teures Steuergeschenk an die deutsche Wirtschaft. Eine Belebung der Baukonjunktur wird die Regierung damit nicht erreichen. Aber ich füge hinzu — und das ist auch nicht neu bei dieser Koalition —: 1983 Senkung der Vermögensteuer um ein Drittel, Amputation der Gewerbesteuer, wiederum zu Lasten der Gemeinden. So verteilen Sie Steuergeschenke in Milliardenhöhe! Wenn wir beides zusammenziehen, sind das 10 Milliarden DM pro anno nach Anlaufen der Abschreibungserleichterungen für den
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11335
Dr. ApelGewerbebau. Nur bleibt die Massenarbeitslosigkeit; hier bewegt sich überhaupt nichts.Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben über die Gemeindefinanzen gesprochen. Da wollen wir uns einmal zu Gemüte führen, was vor der Sommerpause im Juni in Berlin der Deutsche Städtetag zu diesem Thema sagte. Der Tenor, die Grundhaltung dieser Debatte ist völlig eindeutig. Da sagen unsere Stadtväter: Die Bonner Koalition und ihr Finanzminister entziehen uns Jahr für Jahr viele Milliarden DM durch die Senkung der Unternehmensteuern; ihre unsoziale Gesellschafts- und Sozialpolitik treibt Millionen Menschen in die Sozialhilfe; die Sozialhilfe explodiert;
die Finanzen der Gemeinden sind ruiniert.
— Ich komme darauf zurück, Herr Kollege Stoltenberg. Dieses ist alles Originalton Städtetag. Ich komme dann auf das zurück, was dazu zu sagen ist.
Der Städtetag sagt weiter: Dann ist es kein Wunder, daß wir uns kaputtsparen müssen.
Was ist dann in den letzten Jahren passiert? Nehmen Sie das doch bitteschön zur Kenntnis: Wesentliche Investitionen müssen gestrichen werden, die Reparatur von Straßen und Gebäuden unterbleibt, die drängenden Probleme der Abfallbeseitigung und die Sanierung der Abwassersysteme werden auf die lange Bank geschoben,
die sozialen Dienste für den Bürger müssen zusammengestrichen werden. Herr Kollege Stoltenberg, ich komme gleich auf die aktuellen Zahlen. Für diese Entwicklung, die dazu geführt hat, daß die Gemeindeinvestitionen in den letzten Jahren real um ein Drittel zurückgegangen sind
— das ist ein Tiefschlag für die Bauwirtschaft —, tragen Sie und Ihre Finanzpolitiker eine zentrale Verantwortung.
In der Tat, Herr Kollege Stoltenberg — das weisen die Zahlen tatsächlich aus —, haben die Gemeinden auf Grund einer brutalen Sanierungspolitik, die ihnen aufgezwungen wurde, ihre Defizite abgebaut. Das ist richtig.
Nun sagen Sie: Investiert doch bitte! Der Kommentar auf dem Städtetag war interessant. Wörtliches Zitat: „Erst zwingt uns der Finanzminister, uns kaputtzusparen, und nun will er uns reichrechnen". Aber wie auch immer, es wäre gut, Herr KollegeStoltenberg, wenn die Gemeinden nun investieren. Allerdings — das ist eine ganz wichtige Voraussetzung — brauchen dann die Gemeinden auch eine mittelfristige Perspektive, wie es mit ihren Gemeindefinanzen weitergehen soll.Vor einigen Tagen hat — das konnten wir alle in der Presse lesen; es war am Ende der letzten Woche — der Frankfurter Oberbürgermeister Wallmann, CDU-Mitglied, Präsident des Deutschen Städtetages, darauf hingewiesen. Wallmann hat folgendes berechnet: Einnahmeausfälle für Städte und Gemeinden von 1986 bis 1989 durch die beschlossenen Steuersenkungen und die neuen Steuergeschenke an Unternehmen über 18 Milliarden DM für die Gemeinden. Da mag ein Kämmerer in diesem Jahre seinen Haushalt in Ordnung haben, da mag die Bilanz insgesamt gut aussehen, aber wie soll eigentlich ein Gemeindekämmerer nun in mittelfristige finanzielle Engagements hineingehen, größere Bauaufgaben in Auftrag geben, wenn diese 18 Milliarden DM an Einnahmeausfall vor ihm stehen und er weiß, daß der Bundeskanzler auch in diesem Falle seine Versprechungen, die er in der Regierungserklärung abgegeben hat, nämlich voller Ausgleich von steuerlichen Einnahmeverlusten bei den Gemeinden, wiederum nicht einhält?
Es kommt ein Weiteres hinzu, wobei ich mich ausdrücklich auf den Sachverständigenrat berufen möchte, der uns am 23. Juni 1985 ein Sondergutachten gegeben hat. Der Sachverständigenrat hat Klage darüber geführt, daß neben den 18 Milliarden DM Einnahmeausfall, über die ich gesprochen habe, völlige Unklarheit darüber herrscht, wie es denn mit der Gemeindefinanzreform und mit der Gewerbesteuer weitergeht. Wenn die FDP ununterbrochen die Abschaffung der Gewerbesteuer fordert,
ohne zu sagen, was sie an deren Stelle setzen will,ist sie mit dieser unseriösen Forderung ein zentrales Hindernis für die Investitionen der Gemeinden.
Ich will ein Weiteres hinzufügen, meine Damen und Herren von der FDP. Sie sagen: Gut, dann wollen wir die Gemeinden z. B. an der Mehrwertsteuer beteiligen. Aber da merkt man ja die Absicht, und man ist verstimmt. Dann sollen plötzlich die Bürgerinnen und Bürger für die Gemeindefinanzierung eintreten. Wollen Sie die Mehrwertsteuer um sechs Prozentpunkte nach oben schieben?Es taucht eine andere Frage auf. Wenn das die Finanzierung der Gemeinden ist, warum sollen dann die Gemeinden eigentlich noch um Industrieansiedlungen kämpfen, sich mit Bürgerinitiativen auseinandersetzen, für die Erkenntnis kämpfen, daß die Industriegesellschaft auch eine Belastung mit Lärm bedeuten kann?
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11336 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. ApelWenn die Finanzierung so einfach ist, dann wird jede Stadt versuchen, unangenehme Industriebetriebe wegzuschieben. Das kann doch nicht im Interesse einer vernünftigen Industriepolitik des Industriestandorts Bundesrepublik Deutschland sein, meine Damen und Herren!
Aber nun zurück zum Sachverständigenrat. Der Sachverständigenrat sagt wörtlich, nachdem er kritisiert hat, daß keine Klarheit über die künftige Entwicklung der Gemeindefinanzen herrscht, folgendes — ich zitiere —:Eine baldige Einigung über eine solche Gemeindefinanzreform würde die Unsicherheit der Gemeinden, wie sie den Kapitaldienst für neu aufzunehmende Kredite mittelfristig und gegebenenfalls langfristig überhaupt leisten können, weitgehend abbauen.Wir haben Ende 1983 unser Konzept zur Verstetigung, zur Festigung und Entwicklung einer vernünftigen Perspektive der Gemeindefinanzen vorgelegt. Meine herzliche Bitte ist, Herr Kollege Stoltenberg, daß Sie jetzt auch sagen, wie es mit den Gemeindefinanzen weitergehen soll. Sie schweigen zu den unverantwortlichen Vorstellungen der FDP. Appellieren Sie nicht an die Städte und Gemeinden zu investieren; sagen Sie, was Sie politisch wollen. Das ist der wichtigste Beitrag zur Stärkung der Gemeindefinanzen und zur Erhöhung ihrer Bereitschaft zu investieren.
Herr Kollege Stoltenberg, Ihre Ausführungen zur Massenarbeitslosigkeit waren in einem hohen Maße enttäuschend.
Ich sage Ihnen, was wir zusammen mit einer großen Mehrheit unserer Bevölkerung feststellen: Wir stellen fest, daß Sie die Arbeitslosen seit der Wende über Jahre mit leeren Versprechungen und hohlen Erwartungen hingehalten haben.
Erst als Ihnen die Wähler in Nordrhein-Westfalen die Quittung für Ihre Politik gaben, kamen Sie zu einer neuen — wie ich finde: schlimmen — Debatte.
Da wird plötzlich darüber debattiert, mit welcher Zahl von Arbeitslosen man die nächste Bundestagswahl gewinnen kann. Graf Lambsdorff meint: Wenn es mehr als 2 Millionen sind, ist die Wahl verloren. Regierungssprecher Ost ist da ganz anderer Meinung.Der Bundeskanzler löst im übrigen das Problem auf seine Art: Er sagt einfach, die Arbeitslosenstatistik sei nicht aussagekräftig. So einfach ist das für den Bundeskanzler.
Ich sage Ihnen: Die Massenarbeitslosigkeit ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit. Bei der Koalition degeneriert diese Frage zu einer taktischen Frage des vor uns liegenden Bundestagswahlkampfs. Das ist unzureichend.
Wenn wir uns anschauen, wie die Koalition ihre eigenen Maßnahmen bewertet, wird das ja auch sichtbar. Herr Kollege Stoltenberg, einerseits rechnen Sie sich aus dem Bundeshaushalt 1986 und den ihn begleitenden Maßnahmen eine Verstärkung der Nachfrage um 1% des Bruttosozialprodukts aus. Diese Milchmädchenrechnung würden wir gern einmal sehen.Aber das Entscheidende ist ja etwas ganz anderes: Obwohl diese Maßnahmen beschlossen werden, nimmt der Anteil der Investitionen am Bundeshaushalt im Jahre 1986 ab und wird in den folgenden Jahren historische Tiefstände erreichen. Wo ist denn nun eigentlich die Auswirkung dieser Maßnahmen zur Verstärkung der öffentlichen Investitionen und der Investitionskraft? Herr Kollege Stoltenberg, ich finde es schon einigermaßen stark,
wenn Sie immer wieder — heute wie auch vor der Sommerpause — sagen: Wir erhöhen die öffentlichen Investitionen. Wo denn, bitte schön? Im Bundeshaushalt, für den Sie die Verantwortung tragen, gehen die Investitionen in ihrem Anteil an den Bundesausgaben Jahr für Jahr zurück und werden historische Tiefstände erreichen!
Oder nehmen wir ein zweites Paradoxon: Einerseits werden die beschlossenen Maßnahmen den Bund kaum etwas kosten — da sind kleine Millionenbeträge im Bundeshaushalt 1986 eingestellt —, andererseits werden diese Maßnahmen nach den Aussagen aus dem Regierungslager „große Wirkungen" auf dem Arbeitsmarkt auslösen. Ja, der Bundeswirtschaftsminister ist sogar so weit gegangen, zu sagen, daß sich durch die Maßnahmen der Städtebauförderung und der Verbesserung der Abschreibungsbedingungen die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter im nächsten Jahr halbieren wird. An diese Aussage werden wir ihn erinnern, und schon heute möchte ich ihn daran erinnern, daß diese Aussage in einem krassen Widerspruch zu dem steht, was sein Ministerium selbst zu diesen Maßnahmen gesagt hat; ich habe darüber geredet.Wir Sozialdemokraten haben im übrigen überhaupt nichts dagegen, wenn die Koalition wirtschafts- und finanzpolitische Anleihen bei uns aufnimmt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11337
Dr. ApelUns geht es nicht darum, recht zu behalten; es geht um den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Und lachen Sie nicht zu früh; ich werde Ihnen das darstellen.
Deswegen ist ja auch die Aufstockung des Kreditrahmens beim ERP-Sondervermögen und bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau eine vernünftige Maßnahme. Sie folgen damit in einem großen Maße den Vorstellungen unseres Programms „Arbeit und Umwelt".
Aber, meine Damen und Herren, das, was Sie an Zinskonditionen, an Zinshöhe, anbieten, wird bei den Gemeinden die Investitionen nicht in den Größenordnungen, die wir brauchen, auslösen können. Das, was Sie an Volumen bereitstellen, wird nicht ausreichen, um der Massenarbeitslosigkeit Herr zu werden.Deswegen bleiben wir dabei: Wir brauchen das Programm „Arbeit und Umwelt",
wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung, wir brauchen eine Anstrengung für zehn Jahre. Wir wollen ein Programm, das keine neuen Schulden macht, das von den Bürgern beim Energieverbrauch geringe Opfer fordert,
das aber 400 000 Arbeitsplätze dadurch schafft, daß weit mehr als 10 Milliarden DM Investitionen ausgelöst werden. Das ist unser Programm!
Wir wollen Arbeit und Umwelt miteinander verkoppeln, wir wollen eine große Mobilisierung und Modernisierung unserer Volkswirtschaft. Wir stellen fest, daß das, was Sie in diesem Bereich anbieten, weder in den Zinskonditionen noch im Umfang ausreichend ist.Meine Damen und Herren, verwundert haben sich die Betrachter der Bonner Finanzpolitik die Augen gerieben, als im Katalog der Maßnahmen der Bundesregierung Abschreibungsvorteile für den Einbau von Heizungs- und Warmwasseranlagen auftauchten. Da mag natürlich in der Tat mancher alte Ofen ersetzt werden und verschwinden, aber wir fragen uns, und mit uns fragen sich andere: Was soll eigentlich diese punktuelle Maßnahme im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit bewirken? Oder war es vielleicht so, Herr Stoltenberg, daß Sie kurz vor der Vorlage dieser Maßnahme mit den Heizungsfirmen gesprochen hatten? Haben sie Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt?
Meine Damen und Herren, das wäre ja nichts Neues, denn so vollzieht sich ja finanzpolitische Willensbildung in der Koalition auch:
Der Bundesfinanzminister wird in seinem Wahlkreis von aufgebrachten Landwirten wegen der verfehlten EG-Agrarpolitik ausgepfiffen,
und schon werden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zusätzlich jährlich 3 Milliarden DM Subventionen bereitgestellt,
bis zum Ende dieses Jahrzehnts weit mehr als 20 Milliarden DM.
— Sie sagen „Gott sei Dank", aber ich hoffe, daß Sie wenigstens inzwischen begriffen haben, daß das, was wir zu dieser teuren Maßnahme im Frühjahr gesagt haben, stimmt. Milliarden sind verplempert worden, dem einkommenschwachen bäuerlichen Familienbetrieb ist aber nicht geholfen worden. Das ist die Situation.
Herr Kollege Stoltenberg, wenn Sie schon der Meinung waren, Sie sollten sich hier zum Thema Marktwirtschaft äußern und sich bei dieser Gelegenheit mit Johannes Rau anlegen, dann frage ich Sie und insbesondere den Landwirtschaftsminister, der neben Ihnen sitzt: Wie halten Sie es eigentlich mit der Marktwirtschaft, wo findet eigentlich bei Ihnen Marktwirtschaft statt? Ist nicht der Weg in die verfehlte Milchkontingentierung wirklich das Dramatischste an planwirtschaftlicher Entwicklung, was wir in letzter Zeit festgestellt haben?
Ich habe diesen Angriff überhaupt nicht begriffen. Ich bin dafür, daß wir bei Gelegenheit grundsätzlich über Marktwirtschaft reden. Dann werden wir feststellen, daß Marktwirtschaft dann für Sie ein Vehikel ist, wenn Sie es brauchen können. Wenn Sie Ihre Gruppeninteressen anders organisieren können, dann vergessen Sie plötzlich all diese hehren Postulate. So ist es und nicht anders.
Ich stelle fest, daß durch die massive Aufstockung der Vorsteuerpauschale für die deutsche Landwirtschaft die direkten und indirekten Subventionen in diesem Jahr eine neue Rekordhöhe erklommen ha-
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11338 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. Apelben. Nichts, Herr Kollege Stoltenberg, aber auch gar nichts ist von Ihren großen Versprechungen geblieben, die Subventionen abzubauen, ihnen zu Leibe zu rücken. Allein die von Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg, gewährten Steuersubventionen haben in weniger als drei Jahren um mehr als 10 Milliarden DM zugenommen.
Es ist wohl nicht zureichend, wenn Sie jetzt zum Thema Abbau von Steuererleichterungen, Abbau von Steuersubventionen uns sagen: Aber in der nächsten Legislaturperiode geht es los. Nein, Anspruch und Wirklichkeit klaffen auch in dieser Frage bei der Koalition und ihrer Finanzpolitik dramatisch auseinander.
Herr Kollege Stoltenberg, ich beklage es, daß Sie den Abbau der Subventionen auf Ihre Weise betreiben. Da werden auf Grund der Dollarpreisentwicklung Kokskohlesubventionen zurückgeschrieben, da werden Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung in den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers übernommen. Dies sind buchhalterische Maßnahmen; mit Subventionsabbau haben sie überhaupt nichts zu tun.Aber was ich viel schlimmer finde, ist etwas anderes: Beim vorletzten Subventionsbericht, den noch die sozialliberale Koalition vorgelegt hat, war es doch selbstverständlich, daß wir die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft im Subventionsbericht aufgeführt und sie auch eingerechnet haben. Der Finanzminister hat am 29. 11. vorigen Jahres hier im Deutschen Bundestag gesagt, natürlich gehöre die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft zu den Subventionen; es sind auch Einkommenssubventionen für einen Wirtschaftszweig. Nun hören wir aus Ihrem Hause — ich habe Sie dazu befragt, und ich habe eine hinhaltende Antwort bekommen —, plötzlich sollen diese 20 Milliarden DM aus dem Subventionsbericht herausgenommen und nicht mehr als Subventionen deklariert werden. Ist das Subventionsabbau? Nein, ich sage Ihnen, das sind Buchhaltertricks und Manipulationen. Aber auf diese Art und Weise werden wir mit dem Problem des Subventionsabbaus nicht zu Rande kommen.
Herr Kollege Stoltenberg, wir sagen Ihnen: Wir sind für den Subventionsabbau. Wir sind bereit, einen Vorschlag, den Sie machen, realistisch zu prüfen und dann mitzutragen, wenn er vernünftig ist.
Einer Ihrer Vorgänger sitzt hier im Saal, Hans Matthöfer. Immerhin haben wir mit dem Steuersubventionsabbau ernst gemacht. Wir waren die einzigen, die in diesem Jahrzehnt Milliarden anSteuersubventionen abgebaut haben. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel, dann liegen Sie richtig.
Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben über die Steuerreform geredet. Sie erwarten von der ersten Stufe der Steuerreform eine begrenzte Wirkung für die Konjunktur des Jahres 1986. Ich denke, wir sollten bei aller Nüchternheit dabei allerdings folgendes bedenken. Erstens wird die Wirkung dieser Steuersenkungen beträchtlich eingeschränkt durch die massive Erhöhung der Sozialabgaben, die Sie vorgenommen haben, und zweitens ist dieses Steuerpaket sozial ungewichtig. Wenn insbesondere im Bereich der Familienpolitik, die Sie so gelobt haben, über die massive Ausweitung der Kinderfreibeträge der Spitzenverdiener pro Kind zweieinhalbmal mehr bekommt als der Normalverdiener,
dann ist das nicht nur sozial ungerecht, sondern hat natürlich auch Konsequenzen für die Nachfrage. Der Spitzenverdiener wird die Steuererleichterungen nicht zu hundert Prozent ausgeben, er wird davon einen Teil sparen können. Der Normalverdiener wird jede Mark ausgeben. Deswegen sagen wir Ihnen: Wir haben auch aus diesen Gründen Ihr Steuerpaket abgelehnt. Wenn wir etwas für die Familien und auch für die Konjunktur hätten tun wollen, wäre es geboten gewesen, das zu tun, was wir vorgeschlagen haben: für jedes Kind eine kräftige Erhöhung des Kindergeldes.
Das wäre sozial gerecht und gleichzeitig konjunkturell wirksam.
Und dann habe ich allerdings mit einiger Heiterkeit — das muß ich schon sagen — in Ihren Schlußbemerkungen Ihr Plädoyer für Steuervereinfachung gehört. Herr Kollege Stoltenberg, was sollen denn eigentlich solche Bemerkungen, wenn Sie uns in diesem Jahr gleich zweimal eine unglaubliche Verkomplizierung des Steuerrechts beschert haben? Da haben wir jetzt im Bereich der steuerlichen Förderung von Kindern Restbestände des Kindergeldes, massiv erhöhte Kinderfreibeträge und ein zusätzliches Kindergeld für diejenigen, die die Kinderfreibeträge nicht ausnutzen können. Da sagt Ihnen die Steuergewerkschaft, da sagt Ihnen die Steuerverwaltung: Um Gottes Willen! Das ist ein Tohuwabohu. Das können sie überhaupt nicht exekutieren. Und dann stellen Sie sich hier her und sagen: Steuervereinfachung, das muß aber sein.Nehmen wir ein zweites Beispiel. Wie war es denn eigentlich mit der Kfz-Steuerreform? Ich will gar nicht über die Peinlichkeiten reden, die mit diesem Vorgang verbunden waren: daß der Deutsche Bundestag etwas beschließen mußte, was mit Leerstellen zu versehen war, weil die Abgaswerte noch
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Dr. Apelgar nicht da waren. Das hat doch nichts mit Steuervereinfachung zu tun, das ist doch eine so komplizierte Regelung, daß sie bei den Bürgerinnnen und Bürgern Schwierigkeiten macht, wenn diese sich entscheiden sollen, ob sie nun ein neues Auto kaufen sollen. Ich meine, wer Finanzminister ist, wer im Amte ist, der hat keine Postulate aufzustellen, der hat zu handeln, und zwar heute, nicht in der nächsten Legislaturperiode.
Sie haben im übrigen, was das Steuerpaket anlangt, augenscheinlich ganz einfache volkswirtschaftliche Zusammenhänge übersehen.
Denn was tun Sie tatsächlich, Herr Kollege Stoltenberg? Sie senken die Tarife der Lohn- und Einkommensteuer bescheiden, aber die Steuer- und Abgabenlast wird trotz dieser Senkung deutlich über der Steuer- und Abgabenlast liegen, die die Bürgerinnen und Bürger zu zahlen hatten, als die sozialliberale Koalition abtrat.
Gleichzeitig erzwingen die bescheidenen Steuererleichterungen natürlich bei den Ländern und Gemeinden, die ja keinen Ausgleich bekommen, massive Ausgabenkürzungen. Sie haben die Verfügungsmasse für eine vernünftige Steuersenkung vorher verplempert mit Milliarden-Steuergeschenken und Steuersubventionen. Jetzt kann man wahrscheinlich gar nicht anders handeln. Nur, wer Steuersenkungen durch Einsparungen, vor allem Einsparungen auf der Ausgabenseite, finanziert, der darf sich doch nicht wundern, daß die erhoffte Stärkung der binnenländischen Nachfrage ausbleibt.Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben Bemerkungen gemacht zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Lassen Sie mich dazu einiges sagen. Ich beginne mit den Bemerkungen, die wir in der letzten Woche von Ihnen gehört haben und die ja wohl die Öffentlichkeit einigermaßen in Erstaunen versetzt haben. Da haben Sie in Berlin bei einer Tagung der Bundesunternehmen gesagt, Sie forderten die Tarifpartner auf, 1986 den Spielraum für einen Anstieg der verfügbaren Einkommen auszunutzen und auf kostspielige, aber nachfrageschädliche weitere Arbeitszeitverkürzung zu verzichten. Nun gut.Aber vier Tage vorher lesen wir in den „Kieler Nachrichten" folgendes:Die Arbeit ist bei uns zu teuer geworden. Es ist bestürzend, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund das nicht begreift.Ich verstehe das so, daß Sie vier Tage später zu einer anderen Überzeugung gekommen sind. Herr Steinkühler hat Ihnen ja bereits gesagt, was für Schlußfolgerungen er daraus zieht.Ich bin der Meinung: Wir können mit diesem Hickhack des Finanzministers nichts anfangen. Wir sollten in die Tarifautonomie der Sozialpartner nicht hineinreden. Aber eines, Herr Kollege Stoltenberg, sollten Sie zur Kenntnis nehmen: Wie Sie zur Arbeitszeitverkürzung persönlich auch immer stehen, — in der Metallindustrie sind viele zehntausend Arbeitsplätze durch die Arbeitszeitverkürzung geschaffen worden. Daran kommen Sie nicht vorbei.
Sie haben darüber gesprochen, daß der Bundeshaushalt um 2,4 % oder um 1,8 % steige, je nach dem, wie wir rechnen. Er steigt tatsächlich nur um 1,8%. Damit ist natürlich klar, daß dieser Bundeshaushalt die Entwicklung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage weiterhin begrenzt, daß er kontraktiv wirkt, daß er kein Beitrag zum Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit ist. Ganz im Gegenteil! Im übrigen: Durch Hin- und Herrechnen werden die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Haushalts nicht besser.Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben in Ihrer Einführungsrede gesagt: Also, Herr Kollege Apel, wenn Sie sich über die Absenkungen der Investitionen im Jahr 1986 um 500 Millionen DM beklagen sollten, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß das die 500 Millionen DM sind, die ich an Kapitalhilfe und Kapitalaufstockung weniger an die Bundesunternehmen zu zahlen hatte. — Das ist richtig. Aber, Herr Kollege Stoltenberg, nehmen doch gleichzeitig auch Sie zur Kenntnis, daß Sie um eben diese 500 Millionen DM bei den Gewährleistungen aufgestockt haben, d. h. bei der Bereitstellung von Bundesmitteln für den Fall, daß uns im Zusammenhang mit Bürgschaften im Außenhandel Forderungen ins Haus stehen. Mit anderen Worten: Es bleibt dabei, Herr Kollege Stoltenberg, daß die Investitionsquote, die in diesem Jahr bei 13,9% geplant war — ich komme darauf gleich zurück —, auf 13,2 % zurückgeht.
Ich lege auf das Wort „geplant" Wert. Sie hatten Jahr für Jahr geplant. Aber Jahr für Jahr waren die tatsächlichen Investitionen im Bundeshaushalt um 2 Milliarden DM geringer. Das kostet Arbeitsplätze. So produziert man hausgemachte Arbeitslosigkeit.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die öffentlichen Investitionen im Bundeshaushalt in der nächsten Zeit historische Tiefpunkte erreichen.Wir stellen mit Interesse fest, daß auch in der Öffentlichkeit die Haushaltskonsolidierung des Finanzministers fortlaufend und zunehmend kritisch bewertet wird.
— Nicht im „Vorwärts", Herr Kollege Stoltenberg.
Nehmen wir doch Quellen, auf die auch Sie zurückgreifen. Nehmen wir das Sondergutachten des Sachverständigenrats vom 23. Juni. Darin steht — ich zitiere —:
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11340 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. ApelDie Umstrukturierung ist in die falsche Richtung gelaufen! Die Staatsausgaben erhöhen sich in eine falsche Richtung.Oder nehmen wir das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung. Wörtliches Zitat, Herr Kollege Stoltenberg:Das Defizit des Bundes ist nicht zuletzt deshalb gesunken, weil die Regierung nicht nur Ausgaben kürzt, sondern entgegen früheren Bekundungen Steuern und Abgaben erhöht,
Lasten auf die Sozialversicherung abschiebt sowie die sehr hohen Bundesbankgewinne einstreicht.
Was heißt dies nun konkret? Sie haben die sozial Schwachen kräftig zur Ader gelassen: Arbeitslose, Rentner, Krankengeldbezieher, Schwerbeschädigte, Schüler und Studenten, Familien mit Kindern. All diesen haben Sie Milliarden gestrichen. Nur — und dessen sollten Sie sich eigentlich schämen, meine Damen und Herren von der Union —: Die sehr gut Verdienenden zahlen nichts. Sie kommen gut weg. Ihnen haben Sie sogar die Zwangsanleihe zurückgezahlt. Das ist Ihre Politik.
Herr Kollege Stoltenberg, wir bezweifeln doch gar nicht, daß die Preissteigerungsrate so günstig ist.
— Nein.Im übrigen, Herr Kollege: Entsprechende Reden über die sehr günstige Preissteigerungsrate in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu europäischen Nachbarländern haben Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Finanzminister hier immer gehalten. Das ist überhaupt nichts Neues.
Wir waren immer in der Situation, daß wir, was Preisstabilität anlangt, Musterknaben waren. Nur, Herr Kollege Stoltenberg, eines sollten Sie nun wirklich nicht tun, nämlich sagen, daß die neue Armut — ich finde, das ist eine wirklich schlimme Behauptung —, die wir in unserem Lande haben, das Ergebnis der sozialdemokratischen Politik sei.
Sie haben doch die Milliarden den Rentnern und anderen aus der Tasche gezogen, nicht wir. Gegen unseren massiven Widerstand ist das geschehen.
Sie haben doch bei den Steuer- und Beitragszahlern massiv zugegriffen. Sie haben die Mehrwertsteuer erhöht. Die heimlichen Steuererhöhungen wirken weiter, trotz der Steuerreform. Trotz der größten Steuerentlastung aller Zeiten steigt die Lohnsteuerbelastung weiter. 1986 werden Sie mehr als 30 Milliarden DM mehr an Steuern in der Bundeskasse haben. Wenn wir nun einmal ganz cool, ganz einfach rechnen,
liebe Frau Kollegin, dann werden Sie durch diese Steuerreform dem Normalverdiener 12 DM im Monat zurückgeben.
Aber über Ihre Belastungen, die Sie ihm Jahr für Jahr aufgebürdet haben, haben Sie ihm vorher 50 DM im Monat weggenommen. Diese einfachen Zahlen zeigen, wie ernst Sie es mit der Entlastung meinen. Nein, Sie belasten nur die Normalverdiener und die sozial Schwächeren.
Da fragen wir uns und die Bürger sich natürlich: Wo sind eigentlich die Milliarden geblieben? In beschäftigungsfördernde Investitionsausgaben des Bundes sind sie nicht geflossen; im Gegenteil, sie nehmen sogar ab.
Die Haushaltskonsolidierung beläuft sich in den vier Jahren, Herr Kollege Stoltenberg — ich glaube, da stimmen wir in der Zahl überein —, auf 10 Milliarden DM. Aber eines bleibt auch bestehen: Die durchschnittliche Finanzierungslücke der Bundeshaushalte der letzten vier Jahre — des Finanzministers und der Koalition — liegt höher als die durchschnittliche Finanzierungslücke der vier letzten Haushalte der sozialliberalen Koalition.
Wie sieht es denn nun wirklich aus?
— Herr Kollege Friedmann, die Zahlen sprechen doch ganz klar für sich. 1986 fehlen dem Finanzminister 37,5 Milliarden DM. Er macht 25 Milliarden DM neue Schulden und bekommt 12,5 Milliarden DM von der Bundesbank. Wir sind ja für Haushaltskonsolidierung, nur muß sie erstens gerecht sein und darf zweitens nicht so dargestellt werden, wie sie nicht ist.
Es bleibt dabei, daß Sie hohe Schulden machen. Da stellt sich natürlich sofort die nächste Frage:
Wo sind denn eigentlich die vielen Milliarden geblieben, die Sie den Bürgern abgenommen haben, wenn nur ein ganz bescheidener Teil in der Haushaltskonsolidierung landet?
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11341Dr. ApelSie haben von Opfern und Haushaltskonsolidierung geredet, als Sie den Bürgern tief in die Tasche gegriffen haben. Aber der größte Teil dieser Mittel ist nun doch in ganz andere Kanäle geflossen. Wohin ist das Geld geflossen?
Sie haben den sehr gut Verdienenden die Milliarden der Zwangsanleihe zurückgezahlt.
Sie haben die Steuersubventionen in drei Jahren um mehr als 10 Milliarden DM erhöht.
Sie gewähren der Wirtschaft jährlich mehr als 6 Milliarden DM Steuergeschenke. Jetzt kommen durch die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen 4 Milliarden dazu.Wir stellen fest: Die Unternehmensgewinne steigen — ich begrüße das —, aber auf die Arbeitsplätze, die diese Operation schaffen sollte, warten wir immer noch.Herr Kollege Stoltenberg, auch ich beklage die Entwicklung der EG-Finanzen. Ich sehe die Risiken ähnlich wie Sie. Nur, Herr Kollege Stoltenberg, wie kann man eigentlich so argumentieren, wenn man an der Europäischen Gemeinschaft vorbei, ohne Brüsseler Zustimmung, in einer Nacht-und-NebelAktion 20 Milliarden DM national für die Landwirtschaft hat, hier die Spendierhosen anhat? Und dann soll man in Brüssel noch ernstgenommen werden? Im übrigen sind Sie einer der zehn — bald zwölf — Finanzminister. Unsere Unterstützung haben Sie, wenn Sie in Brüssel mit aller Kraft auf Haushaltskonsolidierung drängen. Ich bin mit Ihnen der Meinung, es darf nicht so sein, daß schon 1986, spätestens aber 1987 die Möglichkeiten der Verfügung über den nationalen, über unseren Haushalt dadurch eingeschränkt werden, daß Brüssel — ich darf das so salopp sagen — ein Faß ohne Boden wird.
Wir stellen ein Weiteres fest. Im Jahre 1982 betrug die Arbeitslosenhilfe im Bundeshaushalt 5 Milliarden DM. Heute beläuft sie sich auf 10 Milliarden DM. Herr Kollege Stoltenberg, das ist doch ein schlimmes Zeichen. Da wachsen immer mehr Menschen aus der Arbeitslosenunterstützung heraus, bekommen Arbeitslosenhilfe: 10 Milliarden DM. 40 % aller Arbeitslosen bekommen überhaupt keine Unterstützung mehr. Dann können Sie doch nicht mit einer gewissen Befriedigung darüber reden, daß bei der Bundesanstalt für Arbeit Überschüsse entstanden sind. Sie sind doch dadurch entstanden, daß Sie in schlimmer Weise die Unterstützung für die Arbeitslosen gekürzt haben.
Anschließend brüsten Sie sich auch noch mit diesen Maßnahmen.
Hier halten wir es mit der Bewertung Ihrer Finanzpolitik durch die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft.
Ihre Arbeitnehmerkollegen sagen: Die soziale Symmetrie der Belastungen kam unter dieser Bundesregierung auf die schiefe Bahn. Das ist das Urteil, das Ihre eigenen Kollegen über Ihre Finanzpolitik abgeben.
Wir Sozialdemokraten haben dem nichts hinzuzufügen.
Dieser Finanzpolitik können wir Sozialdemokraten nicht zustimmen.
Sie ist nichts weiter als das in Zahlen gegossene Abbild einer Gesellschaftspolitik, die wir ablehnen.
Die Herrschaft der Rabiaten, der wirtschaftlich Starken,
wie sie diese Koalition verwirklichen will, hat keine Zukunft.
Herr Kollege Stoltenberg, die Finanzpolitik hat eine dienende Funktion. Selbst der Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß warnt den Finanzminister immer wieder vor Überkonsolidierung. Wir sagen in aller Klarheit: Wir wollen keine neuen Schulden. Aber: Begrenzung der Nettokreditaufnahme kann nicht das alleinige Ziel einer zielbewußten Wirtschafts- und Finanzpolitik sein. Wir brauchen die Wirtschafts- und Finanzpolitik auch zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen, im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit. Wenn wir die 10 Milliarden DM an zusätzlichen Steuersubventionen, die 10 Milliarden DM an zusätzlichen Steuergeschenken für die Unternehmen verwenden könnten, dann könnten wir eine Finanzpolitik machen, die die Nettokreditaufnahme begrenzt, und gleichzeitig ein deutliches Zeichen geben, daß wir ein sozialer Rechtsstaat sind und daß die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit im Zentrum unserer Politik stehen muß.
Natürlich wissen wir, daß der Staat den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nicht allein gewinnen kann. Das ist in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vor allem auch die Aufgabe der am Wirtschaftsleben beteiligten Gruppen. Ihnen müssen wir — darin stimmen wir überein — Rahmenbedingungen schaffen, die ihnen diese schwierige Aufgabe erleichtern. Eine Arbeitsgruppe unter meiner Leitung hat dazu Vorschläge bereitet. Aber da-
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11342 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. Apelmit kann sich die Finanzpolitik doch nicht erschöpfen.Damit kommen wir zu dem Ergebnis, daß der Bundesfinanzminister auf Grund der von ihm zu verantwortenden Finanzpolitik ein hohes Maß an Mitverantwortung für das hohe Maß an Arbeitslosigkeit in unserem Lande trägt.
Er hat die öffentlichen Investitionen gedrosselt. Er hat massive Kürzungen bei den sozial Schwächeren durchgesetzt
und damit die kaufkräftige Nachfrage geschwächt. Er hat Milliarden Subventionen sinnlos verteilt, die uns für andere Maßnahmen fehlen.
Herr Kollege Stoltenberg, wir sind uns doch hoffentlich in einem Punkt einig: Diese 2,2 Millionen Arbeitslosen kosten uns, selbst wenn wir nur vorsichtig — vorsichtig! — rechnen, jährlich 55 Milliarden DM an Leistungen und an Steuerausfällen, ganz zu schweigen von dem persönlichen Elend und der Hoffnungslosigkeit,
die damit verbunden sind. Wenn das so ist, sind wir aber doch auch als Finanzpolitiker aufgefordert, mit diesen 55 Milliarden vor Augen zu handeln.
Dann können wir uns doch nicht hinstellen und sagen: Arbeitslosigkeit ist ein Schicksal, das sich erst im Lauf der demographischen Entwicklung abbaut.
Herr Kollege Stoltenberg, wir wollen schneller zu Entscheidungen kommen.
Herr Kollege Stoltenberg, was nützt es eigentlich, wenn Sie das Statistische — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stoltenberg?
Bitte schön.
Herr Kollege Apel, halten Sie es für sinnvoll und fair, daß Sie einen meiner Kernsätze — er ist Ihnen ja gestern schon schriftlich zugegangen — in genau das Gegenteil verdrehen, nämlich meine Feststellung, daß wir mit einer großen Gemeinschaftsanstrengung Arbeitslosigkeit zurückführen können, bevor die demographische Entwicklung uns entlastet? Ist es fair, das hier anschließend ins Gegenteil zu verkehren?
Herr Kollege Stoltenberg, ich nehme Ihre Bemerkung gerne auf. Ich werde das in
Ihrem Redetext gerne nachschauen. Aber eines bleibt doch bestehen, Herr Kollege Stoltenberg.
— Ich nehme das mit dem Stehenbleiben nicht so genau. Wir sind hier ja eigentlich nicht bei der Bundeswehr.
Herr Kollege Stoltenberg, eines bleibt doch bestehen: daß Sie sich im wesentlichen auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen beschränken. Da die Maßnahmen, die Sie vorgeschlagen haben, nach Aussage aller Zeugen — auch des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesbank — nichts bringen, bleibt es doch dabei, daß die Arbeitslosigkeit von Ihnen eben nicht im Zentrum Ihrer politischen Aktivitäten gesehen wird, sondern, daß Sie ein Konsolidierer sind und dies zum Alleinzweck wird.
Herr Abgeordneter Stoltenberg, keine Zwischenfragen mehr.
Herr Kollege Stoltenberg, die Debatte geht weiter. Wir haben Ihnen keine Zwischenfrage gestellt.Ich bleibe dabei, daß Sie trotz der Bemühungen des Statistischen Bundesamts, die Sie hier eingeführt haben, keine der gegebenen Versprechungen gehalten haben.
Statt des nachweislich versprochenen Abbaus der Arbeitslosigkeit um eine Million haben wir heute gegenüber damals im Jahresdurchschnitt weit mehr als 400 000 Arbeitslose zusätzlich.
Statt des versprochenen Abbaus der Subventionen haben wir heute 10 Milliarden DM an Subventionen mehr. Wir stellen fest: Gerechtigkeit wird in der Finanzpolitik zu einem Fremdwort. Wer hat, dem wird gegeben. Die anderen zahlen.
Auch das hat nachhaltige Auswirkungen auf die Verbrauchernachfrage und damit auf unsere konjunkturelle Entwicklung.
Der Bundeshaushalt 1986 ändert nichts, aber auch gar nichts an dieser grundsätzlichen Ausrichtung der Finanzpolitik. Ihr wird lediglich ein neues Mäntelchen umgehängt, ohne daß dadurch eine Verstärkung der öffentlichen Investitionen und eine Verringerung der Massenarbeitslosigkeit erreicht wird. Herr Kollege Stoltenberg, es stimmt doch, daß Sie für den Bundeshaushalt 1986 in den ihm zugrunde liegenden Daten von einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 2,24 Millionen ausgehen
und daß Sie selber nur erwarten, daß die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr um gerade eben 10 000
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11343
Dr. Apelzurückgeht. Da können Sie hier doch nicht durch Zwischenfragen so tun, Ihre Finanzpolitik und die sie begleitenden Maßnahmen führten zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit. Sie selber rechnen doch mit ganz anderen Zahlen.
Wir Sozialdemokraten werden in den vor uns liegenden Haushaltsberatungen unsere finanzpolitischen Alternativen zur Debatte stellen.
Wir brauchen einen wirksamen Beitrag des Bundes im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. Wir fordern von Ihnen erneut die Verwirklichung unseres Programms „Arbeit und Umwelt".
Wir werden Anträge stellen, die Investitionen des Bundes zu erhöhen.
Unsere Vorstellungen und Vorschläge zur Verbesserung und Stärkung der Gemeindefinanzen liegen vor. Wir fordern, daß der Bundestag über die Gemeindefinanzreform und unsere Vorlagen endlich debattiert. Es wird höchste Zeit, daß Sie sagen, was Sie von unseren Vorschlägen halten, damit Sie sich aus dieser Debatte nicht herausmogeln können.
Wir fordern die Verwirklichung des Programms „Kampf der Jugendarbeitslosigkeit", das diesem Bundestag vorliegt.
Wir wollen mit dem Abbau der unproduktiven Subventionen endlich Ernst machen.Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten kämpfen im Interesse der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, im Interesse dieses Landes um eine Kurskorrektur in der Finanzpolitik.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den von Gerhard Stoltenberg eingebrachten Haushaltsentwurf 1986 nachhaltig und aus voller Überzeugung.
Herr Kollege Apel, Sie haben durch Ihren Redebeitrag nicht ein einziges Mitglied der Koalition irritieren können.
Es kann davon ausgegangen werden, daß die endgültige Verabschiedung des Haushalts nach den Ausschußberatungen vor Beginn des neuen Haushaltsjahres termingerecht erfolgen wird und daß die Eckwerte des Haushalts im wesentlichen unverändert bleiben. Die Koalitionsfraktionen stellen damit sicher, daß der Haushalt sogleich zu Jahresbeginn, wie regelmäßig seit dem Regierungswechsel, in vollem Umfang in Kraft treten kann und die einschränkenden Wirkungen einer vorläufigen Haushaltsführung vermieden werden. Ja, meine Damen und Herren, die Koalition steht einvernehmlich und geschlossen hinter der erfolgreichen Haushaltsund Finanzpolitik unserer Bundesregierung.
Diese Haushalts- und Finanzpolitik ist die entscheidende Voraussetzung dafür, daß die wirtschaftliche Erholung, die jetzt zweifellos in Gang gekommen ist, andauern kann. Es gibt keinen Zweifel: Nach gewissen Schwächen und Schwierigkeiten im Winter und auch danach noch, im Frühjahr, befindet sich unsere Wirtschaft in einer anhaltenden Erholungsphase. Diese wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung greift nun auch langsam verstärkt auf den Binnenmarkt über. Gleichzeitig stabilisieren sich die Preise. Wir haben alle Veranlassung, anzunehmen, daß diese Stabilisierung weiterhin anhalten wird, daß wir in der Tat sehr bald eine Eins vor dem Komma haben können.Herr Kollege Apel, Sie haben gemeint, in dem Zusammenhang ansprechen zu sollen, daß auch Sie und Helmut Schmidt in den 70er Jahren Vorreiter der Stabilitätspolitik in Europa gewesen seien. Ich brauche Sie in diesem Zusammenhang nur daran zu erinnern, daß Helmut Schmidt damals gesagt und zur Maxime seiner Politik gemacht hat: lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit.
Er glaubte, Arbeitslosigkeit mit mehr Inflation beseitigen zu können. Bald hatte er beides: 5 % Inflation und mehr als 5 % Arbeitslosigkeit.
Parallel zur Stabilisierung des Geldwertes sinken die Zinsen. Auch hier haben wir Veranlassung, anzunehmen, daß dieser Prozeß noch nicht zu Ende ist. Und, was ganz wichtig ist: Der Anstieg der Arbeitslosigkeit, die bei Ihnen von Jahr zu Jahr noch um 500 000 und mehr zunahm, ist gestoppt.
Dieser Stopp des Zuwachses der Arbeitslosigkeit ist von herausragender Bedeutung.
Es kommt hinzu, daß jetzt wieder die Zahl der Beschäftigten steigt, erstmals seit vielen Jahren.
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11344 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Carstens
Dieses Steigen der Zahl der Beschäftigten ist nicht nur für sich etwas Positives, sondern führt auch dazu, daß die vorhandenen Arbeitsplätze sicherer als bisher sind.
Das gibt den Beschäftigten in der Wirtschaft Mut und Zuversicht.Die große Problematik Kurzarbeit ist zumindest für die Sommerzeit behoben. Wir haben kaum noch Kurzarbeit. Zumindest für die Sommerzeit sind auch kaum Befürchtungen angebracht, daß die Kurzarbeit zunehmen wird. So haben wir es also geschafft, in etwa drei Jahren Stück um Stück aus großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten herauszukommen. Wir sind dabei, nach und nach wieder eine Spitzenposition in der Weltwirtschaft einzunehmen.
Damit ist nachgewiesen, daß die deutsche Bevölkerung nach wie vor tüchtig und leistungsfähig ist und daß sie keinen Vergleich zu scheuen braucht.
Damit ist aber auch nachgewiesen, daß ein solches Volk einer guten Politik bedarf, um auch Erfolge haben zu können. Ihre Politik war nicht nur schlecht, sondern in den 70er Jahren war sie miserabel.
Nein, es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß wir den richtigen Weg beschritten haben und daß wir diesen Weg fortsetzen müssen. Der Weg, den wir gehen — zuerst die Staatsquote über die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu senken und dann schrittweise die steuerlichen Rahmenbedingungen zu verbessern —, ist solide und, wie man sieht, erfolgreich.Professor Dr. Sievert, der heute morgen schon einmal von Gerhard Stoltenberg zitiert wurde, der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrates, hat diesen unseren Weg unlängst den Königsweg genannt. Und nun kommen ausgerechnet Sie, Herr Kollege Apel, ans Pult, um unsere erfolgreiche Politik zu kritisieren. Sie haben auch alle Veranlassung dazu, sich hier hinzustellen und unsere Politik zu kritisieren! Als Sie noch Bundesfinanzminister waren, wurde riesige staatliche Schuldenmacherei als aktive Beschäftigungspolitik gepriesen.
Sie, Herr Kollege Apel, waren einer der aktivsten nicht Beschäftigungspolitiker, sondern Schuldenmacher.
Im Sommer 1974 haben Sie das Amt des Finanzministers übernommen. In diesem Jahr gab es eine Neuverschuldung von 9,5 Milliarden DM. Dafür waren Sie noch gar nicht verantwortlich, sondern Ihre Vorgänger. Aber die Neuverschuldung stieg im ersten Jahr der Amtstätigkeit des Kollegen Apel von 9,5 Milliarden DM auf sage und schreibe 29,9 Milliarden DM.
Damit ist er der Rekordhalter beim Schuldenzuwachs. Herr Kollege Apel, mit Ihnen ging es erst richtig los mit der Verschuldung in unserem Staat. Es mutet einen schon komisch an, wenn ausgerechnet dieser Kollege Apel die Frage stellt: Wo sind die Milliarden geblieben?
Ja, Herr Kollege Apel, wo sind die Milliarden geblieben? Wenn wir nicht die Zinsen für die Schulden zu bezahlen hätten, die Sie gemacht haben, hätten wir jetzt überhaupt keine Neuverschuldung nötig.
Und Sie kommen hierher, um uns zu kritisieren.
Herr Abgeordneter Carstens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehrenberg?
Ja.
Herr Kollege Carstens, ist Ihnen bekannt, daß wir nach den Statistiken des Arbeitsministers Blüm im Jahre 1980 einen Beschäftigtenstand von 22,9 Millionen hatten, den höchsten Beschäftigungsstand dieser Republik überhaupt, und wollen Sie das Erreichen dieses hohen Beschäftigungsstandes als miserable Politik ansehen?
Ich habe offensichtlich jemanden aus der Zeit der 70er Jahre übergangen, der meint, auch noch zu Wort kommen zu müssen.
Herr Kollege Ehrenberg, dieser Zahl möchte ich folgende Entwicklung entgegenhalten: In einer Zeit, in der in den Vereinigten Staaten und in Japan viele, viele Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, haben Sie es geschafft, in Deutschland dafür zu sorgen, daß wir Anfang der 80er Jahre eine Million Arbeitsplätze weniger hatten als Anfang der 70er Jahre. Diese Zahl halte ich Ihrer Zahl entgegen. Das weist deutlich aus, wie wenig erfolgreich Ihre Beschäftigungspolitik gewesen ist.
Herr Kollege Apel, ich habe soeben schon zum Ausdruck gebracht, daß Sie uns nicht irritieren konnten, aber ich muß befürchten, daß Sie Ihre eigenen Fraktionsmitglieder irritiert haben, die nun zunächst wohl eine interne Auseinandersetzung darüber nötig haben, wie Ihre finanzpolitische Linie überhaupt aussieht, sofern Sie eine haben sollten. Denn was soll man von der SPD in Sachen Bundesfinanzen schon erwarten, wenn sie nicht einmal in
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Carstens
der Lage ist, mit ihren eigenen Parteifinanzen fertig zu werden?
Herr Kollege Apel, wir haben uns über Ihre Rede nur gewundert. Es ist schon verblüffend, woher Sie den Mut nehmen, in Sachen Arbeitslosigkeit und soziale Probleme mit einer derartigen Kaltschnäuzigkeit Angriffe gegen unsere Regierung zu fahren.
Wo sind wir denn überhaupt? Die SPD ist es doch gewesen, die unserem Land Massenarbeitslosigkeit und wachsende finanzielle Sorgen gebracht hat.
Sie tun nun so, als ginge Sie das nichts an, als habe die SPD überhaupt nichts damit zu tun. Es war aber die SPD, die in relativ kurzer Zeit eine blühende Wirtschaft in Stagnation und zuletzt in eine Schrumpfung geführt hat. Herr Kollege Apel, seien Sie sicher, daß die Bürger Ihre Spekulation auf die Vergeßlichkeit der Bevölkerung genau erkennen.
Die Bürger wissen, daß die SPD Riesenprobleme hinterlassen hat und daß diejenigen, die uns die Misere und die Arbeitslosigkeit eingebrockt haben, die denkbar schlechtesten Ratgeber sind, wenn es darum geht, mit den Problemen und der Arbeitslosigkeit fertig zu werden.
Herr Kollege Apel, Sie haben deutlich gemacht, daß die SPD kein Konzept hat, welches sie unserem Konzept entgegenstellen kann. Sie haben nicht einmal aus Ihren eigenen Fehlern der Vergangenheit gelernt. Altes wurde in neue Gewänder gewickelt. Altes aus der Zeit vor 1982, was längst verbraucht, was längst überholt ist, ist erneut auf den Tisch gekommen.Sie haben sich in Sachen Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" heute etwas zurückgehalten, aber draußen im Lande wird dieses Thema Tag für Tag und Woche für Woche angesprochen. Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als ob Sie mit dem sogenannten Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" neue Arbeitsplätze schaffen könnten.
Das einzige, was ich in bezug auf dieses Programm positiv anmerken kann, ist, daß der Name des Programms gut klingt. Das haben Sie — auch in den 70er Jahren — immer schon verstanden: Die Namen Ihrer Programme waren immer gut.
Aber auch diesmal ist der Name falsch und irreführend.
Sie sprechen von einem „Sondervermögen". Meine Damen und Herren, ein „Sondervermögen" gibt es gar nicht. Sie müssen es den Bürgern erst aus der Tasche nehmen.
Das ist ja offensichtlich Ihre Spezialität.
Was Sie dem Bürger in Zukunft aus der Tasche nehmen wollen, bezeichnen Sie heute schon als Sondervermögen. Dieses Sondervermögen ist noch gar nicht da.
Nun zu dem Wort „Arbeit". Es schafft auch gar keine zusätzliche Arbeit, denn wenn Sie den Bürgern das Geld vorher nehmen, fehlt es ihnen, so daß es nur zu einer Verlagerung von Arbeit, aber nicht zu zusätzlicher Arbeit kommt.
Das Wort „Umwelt" ist in diesem Fall schmückendes Beiwerk, wie früher „Energieeinsparung", „Fortschritt" oder „strukturelle Verbesserung". Sie haben immer genug Worte finden können,
aber das Programm stimmt vorn und hinten nicht und wird von uns natürlich nicht übernommen.
— Das war damals vorausschauende Strukturpolitik, wie immer die Programme auch heißen, Gerhard Stoltenberg.Mit jedem neuen Konjunkturprogramm — das können wir heute statistisch belegen, das können wir auch in Einzelheiten nachweisen —, mit dem Sie Arbeitslosigkeit abbauen wollten, stieg die Arbeitslosigkeit und die Verschuldung. Das war genau das Gegenteil von dem, was Sie eigentlich bewirken wollten.
Mit all diesen Verpflichtungen , die aus dieser Zeit stammen, haben wir heute — ich muß sagen: leider — noch zu tun.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter, man darf die Wahrheit nicht überstrapazieren: Würden Sie beschäftigungspolitisch wenigstens das akzeptieren, was von der Bundesanstalt für Arbeit gesagt wurde, daß nämlich durch diese Konjunkturprogramme
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11346 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Lutzeine Million Arbeitsplätze stabilisiert, gehalten und geschaffen worden sind?
Wenn man staatliche Ausgabenprogramme mit dem genauen Errechnen von neu geschaffenen Arbeitsplätzen verbindet, kann man zu x-beliebigen Zahlen kommen. Nur errechnet niemand die Arbeitsplätze, die dadurch verschwunden sind, daß dieses Geld in andere Kanäle umgelenkt wurde.
Die gesamte Politik, die Sie geführt haben, baut darauf auf, daß Sie uns vorrechnen, was neu gekommen ist, aber es ist dann unentdeckt und unerkannt viel mehr entschwunden, als Sie neu geschaffen haben. Das war die eigentliche Misere Ihrer Politik.
Herr Kollege Apel, wenn Sie von unnötigen und unwirksamen Steuersenkungen reden, dann ist es mir völlig klar, daß es für die SPD unvorstellbar ist, daß man zur Belebung der Konjunktur, der Wirtschaft die Steuern senkt. Solche Gedanken kommen Ihnen gar nicht.
Sie denken an Ausweitung des Staatsanteils, Sie denken an neue Belastungen bei den Steuern und den Abgaben, aber das ist nicht unser Weg. Wie Sie sehen, ist unser Weg der erfolgreiche und wird sich auch in Zukunft als erfolgreich erweisen.
Wenn Sie bemängeln, daß die Subventionen nicht in ausreichendem Maße abgebaut worden sind, dann muß ich Ihnen sagen: In diesem Punkt kann ich Ihnen grundsätzlich nicht widersprechen. Wir in der CDU/CSU hätten uns schon gewünscht, beim Subventionsabbau mehr zu bewirken. Wir haben uns diese Aufgabe aber für die nächste Legislaturperiode im Zusammenhang mit einer Steuerreform vorgenommen.
— Nehmen Sie die Zahlen doch zur Kenntnis! Unabhängig davon haben wir in den Jahren 1983, 1984 und 1985 jedes Jahr Finanzhilfen des Bundes, also Subventionen, abgebaut, und zwar bei den Beratungen im Haushaltsausschuß und durch die Beschlüsse hier im Plenum. Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß trotz unseres Vorhabens, in der nächsten Legislaturperiode die Subventionen abbauen zu wollen, in diesem Haushalt, bei den Finanzhilfen, die aus dem Haushalt ausgezahlt werden, etwa um eine Milliarde DM gekürzt worden ist.
Das ist ein Volumen von 6 bis 7 %, und dieses Kürzungsvolumen wollen wir in den Folgejahren beibehalten, so daß Sie davon ausgehen können: Subventionsabbau bleibt eine Daueraufgabe für jeden, der regiert, also auch für uns, die wir in den nächsten Jahren — natürlich mit Unterstützung des Volkes — weiterregieren werden.
Aus dem, was der Kollege Apel zum Ausdruck gebracht hat, was er in einzelnen Punkten an Gegenvorschlägen gebracht hat, ist immer wieder deutlich geworden, daß die SPD letztlich nicht loskommt von ihrem sozialistischen Gedankengut,
von ihrer sozialistischen Programmatik,
von dieser maroden Ideologie, meine verehrten Damen und Herren. Sie rufen immer wieder nach mehr Staat, nach mehr Dirigismus, nach mehr Bürokratie, und ich sage Ihnen: Genau das Gegenteil ist notwendig. Überall in der Welt, wo man den Staat möglichst viel auf die Wirtschaft einwirken läßt, läuft es schlecht. Das müssen Sie doch sehen und auch erkennen können. Alle geschichtlichen Erfahrungen dieses Jahrhunderts — insbesondere in der Nachkriegszeit — lehren: Eine Wirtschaftsordnung ist um so erfolgreicher, je mehr sich der Staat zurückhält und dem einzelnen seine Freiheit läßt.
Die Soziale Marktwirtschaft ist wie keine andere Ordnung geeignet, Gleichheit der Chancen, Eigentum, Wohlstand und sozialen Fortschritt zu verwirklichen.
Wir wollen deshalb nicht mehr Staat, sondern weniger. Wir wollen deshalb nicht weniger, sondern mehr persönliche Freiheit.
Gerade viele Arbeitnehmer wissen aus Erfahrung: Die Politik der Sozialen Marktwirtschaft von CDU/ CSU und FDP belebt die Wirtschaft, bringt zusätzliche Beschäftigung, zusätzliche Umsätze und Erträge für die Unternehmen. Die Gewerkschaften sind daraufhin in der Lage, einen Anstieg der Reallöhne durchzusetzen. Wir werden erstmals 1985 nach vielen Jahren des Sinkens der Reallöhne wieder einen Anstieg der Reallöhne haben.
Dieser Reallohnanstieg ist oftmals auch mit einer schrittweisen Zurückführung der Steuerbelastungen verbunden, so wie wir beschlossen haben, ab Januar 1986 die Steuern zu senken. Das bringt eine ganze Menge.
Ich denke z. B. an einen Normalverdiener mit zweiKindern. Er wird ab Januar eine monatliche Steuerentlastung von 80 bis 90 DM haben. Das sind im
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Carstens
Jahr 1000 DM netto. Zu verzeichnen sind also steigende Reallöhne und sinkende Steuerbelastungen.Bei der Politik der SPD mit zunehmendem staatlichen Einfluß krankt schon nach relativ kurzer Zeit auch eine gesunde Wirtschaft.
Sie erhöhen die Steuern, Sie erhöhen die Abgaben. Die Zinsen und die Inflationsrate steigen. Die Gewerkschaften können sich noch so bemühen und noch soviel von Übereinstimmung und Konzertierter Aktion reden: Bei schrumpfender Wirtschaft sinken die Reallöhne und steigt die Arbeitslosigkeit.
Das ist der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Weg, den die Arbeitnehmer am besten kennen.
Ihr finanz- und wirtschaftspolitischer Endpunkt im Herbst 1982 war die tiefste und längste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit mit langer Stagnation und Rezession. Für 1983 drohte allein eine Haushaltslücke von über 50 Milliarden DM. Die Staatsfinanzen waren zerrüttet, und die finanziellen Grundlagen der Sozialversicherung waren angeschlagen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns und Ihnen diese Ausgangslage immer wieder vor Augen führen. Wir müssen immer wieder deutlich machen, wie schwer es war, aus dieser tiefen Krise herauszukommen, und wie großartig die Erfolge der Politik, die wir durchgesetzt haben, schon nach kurzer Zeit sind.
Aber wir müssen auch ganz klar sehen — ich sage das mit vollem Ernst —, welche Gefahren für Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, Beschäftigung, solide Staatsfinanzen und für die gesamte soziale Sicherheit drohten, wenn die SPD in unserem Land wieder das politische Sagen hätte. Die Leute müssen wissen, welche Gefahren dadurch drohen.
Ich glaube, angesichts dieser Ausgangslage können wir stolz auf das sein, was seit dem Regierungswechsel erreicht wurde. Gerhard Stoltenberg hat in diesem Zusammenhang die Fakten schon genannt, nämlich daß die Wirtschaft wieder wächst, daß die Inflationsrate mehr als halbiert ist, daß das Zinsniveau niedrig ist, daß der Anstieg der Arbeitslosigkeit gestoppt ist,
daß wir das Problem der Kurzarbeit zumindest im Sommer — ich wiederhole es — so gut wie behoben haben, daß schon seit einigen Jahren Lehrstellenrekorde aufgestellt werden.Sie haben gemeint, vor einem Fiasko warnen zu müssen. Sie haben nichts dazu beigetragen, dieses Fiasko zu beseitigen. Aber drei Jahre hintereinander hat die Wirtschaft Lehrstellenrekorde aufgestellt. Das wird auch noch so lange geschehen, wie dies erforderlich ist, um den jungen Leuten eine Ausbildung zu ermöglichen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier? — Bitte sehr.
Herr Kollege, nachdem Sie so lange so wolkig geredet haben, möchte ich Sie ganz konkret noch einmal fragen: Was finden Sie eigentlich so unheimlich entsetzlich daran, daß die SPD vorschlägt, daß arbeitslose Bauarbeiter, arbeitslose Ingenieure, arbeitslose Facharbeiter
in Zukunft die Entschwefelung von Kraftwerken betreiben, Lärmschutzwände an den Autobahnen bauen, ein Programm zur Säuberung des Rheins durchführen und vieles andere mehr tun? Wir haben doch danach mehr Umweltschutz und mehr Arbeitnehmer.
Was finden Sie daran so entsetzlich?
Verehrte Kollegin, Sie haben im ersten Teil Ihrer Frage völlig recht gehabt. Was sollten wir dagegen haben, daß die SPD vorschlägt, daß Arbeitnehmer in Beschäftigung kommen und bestimmte Aufgaben erfüllen?
Aber es ist in der Vergangenheit eben immer dabei geblieben, daß Sie Programme gemacht und vorgeschlagen haben, dieses oder jenes zu bewirken. Nur, die Programme haben immer versagt. Es sind nicht weniger Arbeitslose in die Statistik gekommen, sondern es sind immer mehr Arbeitslose in die Statistik Nürnbergs hineingekommen. Das haben wir gegen Ihre Vorschläge!
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Nein, jetzt nicht. Ich muß jetzt fortfahren, Herr Präsident, sonst haben die nachfolgenden Redner bis zur Mittagspause nicht mehr genug Zeit, ihre Vorstellungen noch hier vorzutragen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie weitere Zwischenfragen?
Zunächst nicht, Herr Präsident.
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Zunächst nicht. Bitte sehr!
Das waren wichtige Aktivposten unserer bisherigen Politik.Bei der Sanierung der Staatsfinanzen sind ebenfalls wichtige Etappenziele erreicht. Der Abbau der Neuverschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden kommt zügig voran. Herr Kollege Apel, wenn Sie trotz allem meinen, daß die Kommunen schlecht dastehen, ziehen Sie doch einmal die Zahlen zu Rate, um die es hier geht. Die Gemeinden kommen bei der Konsolidierung der Finanzen am besten voran. Sie werden im Bundesdurchschnitt schon in diesem Jahr ihre Etats ausgeglichen gestalten können, wobei natürlich einige Kommunen eine Neuverschuldung haben, andere dafür aber Überschüsse erzielen, mit denen sie Altschulden abbauen können.
— Wenn Sie jetzt den Zwischenruf, das System sei falsch, machen, geht dieser Ruf natürlich in Richtung Bundesländer; denn die Bundesländer müssen dafür sorgen, daß der kommunale Finanzausgleich stimmt, daß er für das jeweilige Land paßt. Das ist nicht die Aufgabe des Bundes, sondern die Aufgabe der Bundesländer.Was die Zukunft der Gemeindefinanzen angeht, so kann ich Ihre Bedenken, Herr Kollege Apel, nur als Verunsicherung auffassen;
denn die Kommunen können sich darauf verlassen, daß ihre Finanzausstattung auch zukünftig gut gesichert sein wird. Dafür werden wir bei allem, was in Zukunft irgendwann einmal zu regeln sein wird, sorgen.
Dies alles zeigt: Die Konsolidierung des Staatshaushaltes ist zwar noch nicht beendet, aber die Bundesfinanzen sind wieder unter Kontrolle, und der Staat hat einen ersten finanzpolitischen Handlungsspielraum zurückgewonnen, was nicht nur für Bund und Länder zutrifft, sondern auch und speziell für die Kommunen. Wir haben ja jetzt den Statistiken entnehmen können, daß die Investitionen der Kommunen, der Hauptträger der öffentlichen Investitionen, wieder ansteigen.Dieser Erfolg bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen ist vor allem auf äußerste Ausgabendisziplin zurückzuführen.
Wir haben für die sich entwickelnden Staatsausgaben nur noch ganz geringfügige Steigerungsraten zugelassen. Unsolide Finanz- und Haushaltspolitik stand am Beginn des wirtschaftlichen Niedergangs vor 1982. Ebenso kann es heute ohne Konsolidierung der öffentlichen Haushalte keine dauerhafte Gesundung der Wirtschaft unseres Landes geben.Die Sanierung der Staats- und der Sozialfinanzen, der Abbau der öffentlichen Neuverschuldung, die Rückführung des Staatsanteils und die Senkung der Abgabenlast sind deshalb Kernpunkte unseres Konsolidierungskonzepts. Dadurch haben wir — das ist ganz wichtig — erreicht, daß die Finanzpolitik des Staates und die Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank heute wieder an einem Strang ziehen. Das ist für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes von herausragender Bedeutung, denn ohne Parallelität zwischen Haushalts- und Geldpolitik ist ein anhaltendes Wachstum bei hoher Preisstabilität auf Dauer überhaupt nicht möglich.Hierbei setzen wir voll auf die ungeheure Kraft, die in der Sozialen Marktwirtschaft steckt. Die Kraft zur Selbstreinigung im System der Sozialen Marktwirtschaft ist keine leere Worthülse. Dies klarzumachen ist nicht leicht, da die vordergründige Faszination des Unmittelbaren fehlt, die von staatlichen Aktionen und Interventionen ausgeht. Wie effizient in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Probleme bewältigt werden, wird meist durch das automatische und unmerkliche Funktionieren des Marktes verdeckt. Dies verleitet dann so manche, bleibt der kurzfristige Erfolg aus, zum Ruf nach neuen dirigistischen staatlichen Problemlösungen. Das haben wir auch heute wiederum von der SPD gehört.
Das hat nichts mit einem Rückfall in den Kapitalismus zu tun, sondern genau mit dem Gegenteil:
mit mehr Gerechtigkeit und mehr individueller Freiheit. Die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft, die Rückbesinnung auf ihre Grundpfeiler, das ist und bleibt unsere wichtigste Aufgabe auch in den künftigen Jahren unserer Politik.
Die Soziale Marktwirtschaft erwirkt ihr Prädikat „sozial" nicht dadurch, daß sie einem im übrigen unveränderten kapitalistischen System künstlich, etwa durch bewußten Eingriff in den Marktablauf zugunsten einzelner Gruppen, einige sozial scheinende Elemente aufpfropft. Die soziale Komponente resultiert vielmehr aus dem Funktionieren des Wettbewerbs selbst.
In einer marktwirtschaftlichen Ordnung lösen sich aller Erfahrung nach die vielfältigen Interessenkonflikte harmonisch. Gleichzeitig wird in diesem System ein Höchstmaß an persönlicher Freiheit und ökonomischer Leistungsfähigkeit gesichert. Dieses System der Sozialen Marktwirtschaft muß Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr erneuert werden. Das ist zukunftsweisend und wird uns in die Zukunft hinein Erfolge erbringen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11349
Carstens
Die deutsche Bevölkerung kann das unterscheiden. Sie hat ihre Erfahrung mit dem System der Sozialen Marktwirtschaft in den 50er und 60er Jahren gemacht. Wie war es denn damals, bevor die SPD an die Regierung kam? Von Arbeitslosigkeit konnte keine Rede sein. Kurzarbeit war eher ein Fremdwort. Die D-Mark war stabil. Die Wirtschaft lief. Es gab Erfolge auf breiter Basis, und das Schöne und Soziale ist gewesen, daß diese Erfolge nicht zugunsten einiger weniger gegangen sind,
sondern daß die große Masse des Volkes Anteil an diesen Erfolgen gehabt hat — die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber, die Rentner — wie nirgendwo sonst auf der Welt.
An diese Erfolge wollen wir anknüpfen und werden wir unter Mitwirkung unserer Bürger anknüpfen. Selbstverständlich sind zwischenzeitliche ökonomische Veränderungen zu berücksichtigen und in die Überlegungen einzubeziehen. Aber wir stellen fest, daß wir mit dem Fortschritt auf diesem Gebiet schon auf gutem Wege sind. Wir befinden uns — das darf man mit Fug und Recht sagen — in einer anhaltenden Aufschwungphase. Erstmals nach langer Zeit nimmt die Zahl der Beschäftigten wieder zu. Immer mehr Experten und Institutionen schließen nicht aus — so möchte ich vorsichtigerweise sagen —, daß dieser Aufschwung durch die 80er Jahre hindurch anhalten könnte.
Voraussetzung dafür ist natürlich, daß keine unvorhergesehenen Störungen eintreten. Es ist weiter Voraussetzung, daß die jetzige Politik fortgesetzt wird. Wir von der Union versprechen, daß diese Politik der Konsolidierung und der Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft fortgesetzt wird.Die Kollegen der SPD mögen bei der Aufwärtsentwicklung, die wir zur Zeit in unserem Lande erleben, nur staunen.
Ihnen kann ich zurufen: Bei Ihrer Schuldenpolitik wäre diese positive Entwicklung natürlich völlig unmöglich.
Zu Ihrer Regierungszeit schrumpfte die Wirtschaft, stieg die Arbeitslosigkeit, sanken die Investitionen, stiegen die Steuern und Abgaben, erhöhten sich die Zinssätze und die Inflationsrate. Verehrte Kollegen von der SPD, seien Sie sicher, diese miserable Politik will die deutsche Bevölkerung nicht noch einmal erleben.
Meine Damen und Herren, volkswirtschaftliche Werte hören sich oft unpersönlich und nichtssagend an, in Wirklichkeit bedeuten sie aber sehr viel für die Menschen. Ich möchte dafür einige Beispiele heranziehen.Nehmen wir das Beispiel Zinsen. Was hat es eigentlich auf sich, für niedrige Zinsen zu sein? Was bewirken hohe Zinsen? In einer Zeit hoher Zinssätze haben Leute und Unternehmen, die auf Kredite angewiesen sind, keine Chance zu investieren. Das rentiert sich nicht, das können sie nicht bezahlen.
Leute, die Geld anlegen, die vermögend sind, haben es nicht nötig zu investieren, ins Risiko zu gehen.
Sie legen das Geld lieber auf Konten an. Dort rentiert es sich ja. So kommt es nirgendwo zu neuen Investitionen.Wenn die Zinsen sinken, dann können die Leute, die Ideen haben, die Mut haben, die Kredite benötigen, investieren
und die, die Geld anlegen, überlegen sich, ob sie nicht selber investieren sollten, weil es nicht mehr so lohnend und reizvoll ist, das Geld auf die Konten zu tragen.Das bewirkt auf zweierlei Art und Weise neue Investitionen. Von Investitionen lebt die Wirtschaft, und von Investitionen hängt ab, ob wir neue Arbeitsplätze bekommen oder nicht.
Denken wir an den Sozialbereich bei den Zinsen! Wenn sich jemand als Familienoberhaupt, wenn sich Mann und Frau überlegen, ob sie bauen sollten, ob sie das überhaupt finanzieren können,
dann hängt das sehr stark davon ab, wie hoch die Zinsen sind. Zu Ihrer Zeit hatte sich der Kapitalzins für Darlehen bei etwa 11 % eingependelt. Jetzt liegt er bei 7 %. Das macht 4 % Differenz. Wenn eine Familie für den Hausbau nur 120 000 DM aufnehmen müßte,
dann bedeutet diese Differenz schon eine Erleichterung von 400 DM monatlich. Das macht, auf das Jahr bezogen, netto 4 800 DM aus.
Zu Ihrer Zeit sind viele Familien in große Probleme gekommen, die in den 70er Jahren gebaut hatten, zu relativ günstigen Zinssätzen, dann aus der Zinsbindung gefallen waren und nun von Jahr zu Jahr11350 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985Carstens
mehr bezahlen mußten, zuletzt 11 %, was netto 400 DM im Monat mehr ausmacht,
wenn man 120 000 DM Schulden für seinen Hausbau aufzunehmen hatte.Oder nehmen wir die Zinsen insgesamt. Sie haben immer wieder versucht, uns vorzuwerfen, wir würden umverteilen von unten nach oben.
Diesen Vorwurf haben wir mit guten Argumenten schon oft zurückgewiesen.
Bedenken Sie einmal, was bei den hohen Zinsen in Ihrer Regierungszeit für eine immense Umverteilung von unten nach oben vorgenommen wurde durch diese Zinsen!
Wenn Sie sich nämlich einmal vor Augen führen, wer die Zinsen bekommt und wer sie bezahlen muß, stellen Sie fest, daß nur derjenige Zinsen bekommen kann, der Geld hat, und daß der kleine Mann diese Zinsen bezahlen muß. Das war eine riesige Umverteilung von unten nach oben, so daß ich an Ihrer Stelle bei der Diskussion über diese Themen lieber stillschweigen würde.
Oder nehem wir die Inflationsrate. Hohe Inflationsraten ziehen dem kleinen Mann das Geld aus der Tasche. Hohe Inflationsraten erhöhen die Kosten und lähmen unsere Wettbewerbsfähigkeit. Das konnten Sie zu Ihrer Zeit an den Leistungsbilanzdefiziten genau ablesen: wie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gegenüber dem Ausland nachließ und wie sie jetzt wieder zugenommen hat, wo wir Leistungsbilanzüberschüsse haben, wie wir sie noch nie vorher gehabt haben. Das kommt nicht von ungefähr. Das liegt nicht am Wetter, sondern es liegt an der Leistungsfähigkeit unserer Bevölkerung bei einer entsprechend guten Politik, die die Regierung macht.
Hohe Inflationsraten zehren unmerklich aber intensiv an den Sparguthaben, an den Notgroschen. Sie fressen die Lohn- und Rentenerhöhungen der Bürger auf. Niedrige Inflationsraten sind die Voraussetzung für eine langanhaltende wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung. Sie können sich überall in der Welt umsehen: Wo man über eine längere Zeit hohe Inflationsraten hat, kann es keinen langanhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung geben. Das gibt es überhaupt nicht.Wenn die Experten und Wissenschaftler sagen, es könne möglich sein, daß der Aufschwung die 80er Jahre hindurch anhält — wollen wir es hoffen, niemand weiß es sicher —, dann hängt das ganz maßgeblich mit der Geldwertstabilität in unserem Land zusammen.Dann gibt es das Wort „reales Wachstum". Mit diesem können viele nichts anfangen. Was ist schon reales Wachstum? Man kann es ja kaum sehen.
Ohne reales wirtschaftliches Wachstum gibt es keine neuen Arbeitsplätze. Wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung allein kann die Arbeitslosigkeit womöglich nicht beseitigen. Aber ohne reale wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung kann es nicht zu neuen Arbeitsplätzen kommen.
Ohne reale wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung gibt es weder Wohlstandsmehrung noch Möglichkeiten, die soziale Absicherung zu verbessern, die Umwelt zu erhalten usw. Auch hierfür brauchen wir eine reale wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung.
Ohne wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung gibt es keinen Reallohnanstieg, meine verehrten Damen und Herren. Auch das muß man in Verbindung mit diesem Wort bedenken.Die SPD-Politik hat zu katastrophalen Auswirkungen geführt. Wir haben sie alle noch gut in Erinnerung. Die Auswirkungen unserer Politik werden sich von Monat zu Monat als positiver denn je zuvor herausstellen. Sie werden von Monat zu Monat erkennbarer werden — ich habe hierzu schon viele Fakten vorgetragen —, und sie werden für die große Breite unseres Volkes, für Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Rentner, Frauen, Kinder, Jugendliche, von Jahr zu Jahr mehr Erfolge bringen. Alle werden daran beteiligt sein, wenn es in unserem Land aufwärts geht, so wie alle beteiligt gewesen sind, als es in den 50er und 60er Jahren mit der Politik der Sozialen Marktwirtschaft in unserem Land aufwärts ging.
Das sollten sich — darum möchte ich herzlich bitten — alle überlegen. Das sollten alle Menschen bedenken, die heute noch vorhaben, im Oktober auf die Straße zu gehen. Sie sollten bedenken, was die Politik der SPD gebracht hat.
Sie sollten überlegen, zu welchen Erfolgen wir mit unserer Politik Jahr für Jahr mehr kommen werden. Ich schlage vor, daß man, nachdem man sich das überlegt hat, für etwas anderes demonstriert als für das, was für Oktober vorgesehen ist.
Ich weiß sehr wohl, daß es trotz aller positiven Aussichten und Perspektiven, die ich aufzuzeigen
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Carstens
versucht habe, in unserem Land nicht wenige Leute gibt, denen es immer noch nicht gutgeht.
Es gibt eine Reihe von Bürgern, die große Probleme haben:
Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Handwerker, Landwirte.
Aber wenn man mit diesen Menschen anläßlich von Diskussionsveranstaltungen oder in Sprechstunden spricht, dann erkennt man sehr schnell — und die Bürger sind auch sehr schnell bereit, das selber zu erkennen —, daß diese Probleme und Schwierigkeiten, die unsere Bürger heute vielfach haben, nicht in den letzten Wochen, nicht in den letzten Monaten entstanden sind. Wenn es einem Landwirt schlechtgeht, wenn es einem Handwerksbetrieb schlechtgeht, wenn ein Arbeitnehmer die Raten für sein Haus nicht abführen kann und bei seinem Kreditinstitut immer weiter in die Verschuldung kommt, dann ist das nicht auf die letzten Monate und die letzten paar Jahre zurückzuführen. In diese Schwierigkeiten kommt man langsam hinein, Jahr für Jahr mehr. Die meisten Betriebe, die Schwierigkeiten haben, haben Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre um die Existenz gerungen. Als dann die hohen Zinssätze beim laufenden Konto, 13, 14, 15 %, zu ihren Problemen hinzukamen, sind sie in die Knie gegangen, haben kaum noch Luft zum Atmen gehabt und können nun auch nicht in kürzester Zeit davon befreit werden. Diese Schwierigkeiten sind in den meisten Fällen auf die Zeiten zurückzuführen, die sie während Ihrer Regierung durchgemacht haben, als sie hohe Zinsen zahlen mußten.
Wir sind nun dabei, Stück um Stück wieder in Ordnung zu bringen. Das geht nicht von heute auf morgen, auch nicht bei der Zahl der Beschäftigten, beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Aber wir haben auch in diesem Bundeshaushalt erhebliche Impulse gegeben, um die Wirtschaft zu beleben, um die Zahl der Beschäftigten ansteigen zu lassen. Ich denke an unsere Maßnahmen für den Städtebau, den Wohnungsbau. Ich denke an unsere Steuerentlastung, die die Nachfrage ganz erheblich beleben und für die Binnenkonjunktur Positives bewirken wird. Das alles wird die Wirtschaft weiter beleben. Ich bin davon überzeugt, daß wir auch 1986 um die 3 % reales wirtschaftliches Wachstum haben werden.
Es ist nur wichtig, in diesem Zusammenhang — Herr Kollege Ehrenberg, herzlichen Dank für den Zwischenruf — darauf aufmerksam zu machen, daß
die Regierungspolitik zwar viel für die Belebungder Wirtschaft tun kann: Die Unternehmen, die Arbeitnehmer, die Fachkräfte müssen über diese Maßnahmen angeregt werden, im Sinne dieser Politik auch zu wirtschaften, tätig zu sein, etwas zu unternehmen. Aber wenn sich daraufhin die Wirtschaft entwickelt, wenn sie wächst, müssen zuallererst die Tarifpartner dafür sorgen, daß dieser Zuwachs für mehr Beschäftigung genutzt wird.
Das ist die Aufgabe der Tarifpartner; denn die gesamte Kostenlage im Beschäftigungsbereich, die Lohnkosten und die Lohnnebenkosten, entscheidet in allererster Linie darüber, wie eine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung genutzt wird. Wir wollen alles tun, um den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden zu erleichtern, in diesem Sinne zu Tarifabschlüssen zu kommen.Diesen Anforderungen, Unterstützung der Wirtschaft, Belebung der Wirtschaft, werden auch die Daten im Haushaltsentwurf 1986 und der Finanzplan des Bundes bis 1989 gerecht. Die klaren Entscheidungen der Bundesregierung für eine Fortsetzung der Konsolidierungspolitik bei gleichzeitiger Steuerentlastung sowie die Beschlüsse zum Subventionsabbau werden ihre positiven Auswirkungen auf die weitere Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung nicht verfehlen.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion unterstützt diese haushaltspolitische Linie in vollem Umfang.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert .
Bleiben Sie ruhig da, meine Herren.Das war schon eine arge Geduldsprobe, Herr Carstens, diese Rede so lange zu hören. Ich kann ja verstehen, daß das Bedürfnis dieser Regierung, hier heute einen finanzpolitischen Strahlemann Stoltenberg zu präsentieren, in dem Maße ansteigt, in dem Ihr politisches Gewicht ansonsten gesunken ist — fast bis auf Null.Aber was der Herr Stoltenberg heute morgen abgeliefert hat,
war eine derart absurde Mischung aus Gesundbeterei, aus Tatsachenverdrehungen und Halbwahrheiten, daß man sich schon fragen muß, was das noch mit der Realität zu tun hat.
Das gleiche gilt auch für den Beitrag von Herrn Carstens. Ich will Ihnen das — warten Sie es ab — hier im einzelnen belegen.11352 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985Kleinert
Der Bundesfinanzminister hat heute morgen davon gesprochen, daß seine Haushaltspolitik Raum für eine wirklich soziale Politik schaffe. Herr Stoltenberg hat davon gesprochen, daß im Zuge seiner Haushaltspolitik dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen würden. Er hat von Wirtschaftsaufschwung gesprochen, der nicht am Arbeitsmarkt vorbeigehe. Er hat einen Aufwärtstrend in der Beschäftigungssituation entdeckt. Der Herr Stoltenberg hat auch von wichtigen Umweltschutzinvestitionen gesprochen, die im Zuge seiner Finanzpolitik möglich würden.Meine Damen und Herren, diese Versprechungen höre ich hier seit dem 6. März 1983.
So lange erzählen Sie uns hier im Hause, Sie würden mit Ihrer Finanzpolitik einen entscheidenden Beitrag zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit leisten.
Es ist gerade zwei Jahre her, da haben Sie hier vorne gesagt, die Zahl der Arbeitslosen würde 1986 um eine Million niedriger liegen. Meine Damen und Herren, gucken Sie sich an, wie es im Herbst 1985 aussieht, dann sehen Sie die praktische Widerlegung Ihrer Aussagen, die Sie hier heute wiederholt haben.
Im Zuge der Sparmaßnahmen wurde den Arbeitslosen das Arbeitslosengeld gekürzt, den Rentnern die Rentenerhöhung, den Frauen das Mutterschaftsgeld, den Behinderten die Freifahrtscheine usw. usw. Sie haben gleichzeitig die Vermögensteuer gesenkt und ein Steuerentlastungsgesetz verabschiedet, das vor allem den Beziehern höherer Einkommen zugute kommt. Sie haben den Betroffenen gleichzeitig immer wieder erzählt, ihr Verzicht werde sich auszahlen; denn wenn erst einmal die Ertragslage der Unternehmen besser sei, dann kämen auch die Arbeitslosen von der Straße.Die Ertragslage ist besser, meine Damen und Herren. Sie können sich die verschiedensten Gutachten ansehen, alle kommen zu dem Ergebnis: Die Ertragslage der Unternehmen hat sich spürbar verbessert, während die Realeinkommen der kleinen Leute zurückgegangen sind. Aber was ist das Ergebnis? Im Jahre 1985 gibt es mehr Arbeitslose als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der Arbeitslosen ist nicht gesunken. Sie liegt saisonbereinigt 1985 um gut hunderttausend über der des Jahres 1983. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich im Laufe Ihrer Regierungszeit vervierfacht.
In Ihrer Regierungszeit ist das zum Massenphänomen geworden, was man heute neue soziale Armut nennt, gar nicht zu reden von der Dunkelziffer derjenigen, die als stille Reserve in der Arbeitslosenstatistik längst nicht mehr auftauchen. Das ist Ihr praktischer Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bisher gewesen, meine Damen und Herren.
Aber das Ganze scheint Sie nicht sonderlich zu kümmern. Sie treiben Gesundbeterei. Sie tun so, als kämen die Dinge langsam, aber sicher wieder ins rechte Lot. Nicht nur das: Angesichts dieser düsteren Bilanz sind Sie in der Sommerpause auf eine ganz originelle Idee verfallen. Wenn schon nichts zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit getan wird, dann — so meinen Sie — sollte man doch wenigstens einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosenstatistik leisten.
Und so wird jetzt bei Ihnen tatsächlich darüber nachgedacht, wie man die Arbeitslosenstatistik so anlegen kann, daß die monatlichen Zahlen freundlicher aussehen. Das reicht Ihnen noch nicht. Wenn jüngste Presseveröffentlichungen zutreffen sollten, dann wird im Regierungslager mittlerweile sogar darüber nachgedacht, dem Herrn Franke künftig das Auftreten im Fernsehen zu verbieten. Meine Damen und Herren, das finde ich nicht nur grotesk, das riecht nicht nur nach Manipulation, das nenne ich sozialen Zynismus, was Sie da überlegen.
Der Aufschwung, von dem Sie heute morgen gesprochen haben, geht nicht nur am Arbeitsmarkt vorbei; er steht auch sonst auf tönernen Füßen. Er ist vom Export und von den Wechselkursverzerrungen zwischen D-Mark und Dollar abhängig, er bleibt vorwiegend auf den Investitionsgüterbereich beschränkt, und er führt dort in erster Linie zu Rationalisierungsinvestitionen, die per saldo einen weiteren Abbau der Beschäftigung zur Folge haben werden.
Die Segnungen des Wirtschaftswachstums, die ökologisch ohnehin höchst problematisch sind, sind regional auch noch höchst unterschiedlich verteilt. Während in Baden-Württemberg wenigstens noch die Zahl der Beschäftigten zunimmt, nimmt sie in Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen seit Jahren ab. Meine Damen und Herren, Sie wissen das. Das hindert Sie nicht daran, hier erneut Gesundbeterei zu betreiben.Dieser Haushaltsentwurf wird diese Entwicklung weiter fortschreiben. Ihr Bauprogramm ist halbherzig, in sich widersprüchlich, und es wird nicht viel bewegen. Dieser Haushalt wird die Investitionsquote der öffentlichen Hand weiter absenken. Er wird dazu beitragen, daß die Gemeinden weiter finanziell ausbluten. Wo den langjährigen Ankündigungen vom Subventionsabbau endlich ein paar Taten folgen, trifft es jetzt ausgerechnet Krisenbranchen und Krisenregionen. Die voraussehbare Folge wird dort ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit sein.
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Kleinert
Selbst der groß herausgestellte Abbau der Staatsverschuldung hält nicht das, was Sie uns hier versprechen. Denn dieser Abbau verdankt sich vor allem dem Anstieg des Bundesbankgewinns und den sogenannten heimlichen Steuererhöhungen.
Wenn Sie die 12,5 Milliarden DM Bundesbankgewinn, die für 1986 veranschlagt sind, als Kredite auf dem Kapitalmarkt aufnehmen müßten, dann würde die Nettoneuverschuldung 1986 um 7 Milliarden DM über der des Jahres 1980 liegen.
Dieser Gesamteindruck Ihrer Haushaltspolitik verstärkt sich, wenn man diesen Haushalt unter umweltpolitischen Gesichtspunkten durchsieht.
In einer Zeit, in der fast jede Woche neue Horrormeldungen über neue Umweltskandale die Schlagzeilen füllen, sind die kümmerlichen Titelzuwächse etwa im Einzelplan des Innenministers wahrlich ein starkes Stück. In wichtigen Bereichen wie Energiepolitik, Chemie- und Agrarpolitik wird praktisch ein Stillstand festgeschrieben. Im Bereich Forschung und Technologie bringen Sie es sogar fertig, ökologische Titelansätze zusammenzustreichen. Ist das Ihr Beitrag für eine vorausschauende ökologische Politik?
Statt dessen sollen die Mittel, die dort fehlen, nach wie vor in zerstörerischen Großprojekten verschwendet werden. Sie wollen den Schnellen Brüter weiter finanzieren, die sündhaft teure Breitbandverkabelung fortsetzen, und für die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf soll in den nächsten Jahren ein Milliardenbetrag zur Verfügung gestellt werden. Und die Rüstungsausgaben sollen wieder steigen — überproportional. Das kennen wir schon. Für all das ist Geld vorhanden, und in diesen Bereichen gehen Sie auch alles andere als sparsam damit um.
Dieser Haushalt ist ein Dokument beschäftigungspolitischer Tatenlosigkeit und umweltpolitischer Ignoranz.
Er ist Ausdruck eines wirtschafts- und finanzpolitischen Konzepts, das Entstaatlichung und Privatisierung vor allem als Verabschiedung des Staates aus seiner sozialstaatlichen Verantwortung begreift. Dieser Bundeshaushalt wird dazu beitragen, die ökologischen Gefährdungen und die soziale Krise in der Bundesrepublik weiter zu verschärfen. Statt den finanzpolitischen Handlungsspielraum endlich für ökologische und soziale Vorsorgemaßnahmen zu nutzen, reagieren Sie mit Nichtstun. Arbeitslosigkeit wird zum Problem günstiger Medienpräsentation. Umweltpolitik findet praktisch nicht statt. Massenarbeitslosigkeit und Umweltkrise werden hingenommen und allenfalls buchhalterischverwaltet. Das ist Ihr ganzes haushaltspolitisches Konzept.
Ich will hier nicht nur schwarzmalen und nenne deshalb am Schluß ein paar Dinge, die dringend notwendig sind. Notwendig ist ein Bündel ökologischer Sofortmaßnahmen, wie wir es in unserem Entwurf für einen ökologischen Nachtragshaushalt schon im Frühjahr vorgeschlagen haben: ökologische Sofortmaßnahmen mit Schwerpunkten bei der Abwasserentgiftung, bei der Altlastensanierung, bei der Entschwefelung der Kohlekraftwerke, in der Energieeinsparung und bei der Förderung rationeller Energienutzung. Notwendig ist der gezielte Einsatz von Forschungsmitteln zur Erforschung umweltverträglicher Produkte und Produktionsmethoden z. B. in der chemischen Industrie. Die hat es weiß Gott nötig. Notwendig ist ein Bauprogramm mit dem Schwerpunkt Altbausanierung. Notwendig ist ein Existenzsicherungsprogramm für all die, die unter das fallen, was heute neue soziale Armut heißt und was Sie ganz wesentlich mitzuverantworten haben.
Notwendig sind kalkulierte Abrüstungsschritte, die sich auch in einer deutlichen Senkung des Rüstungshaushalts ausdrücken müssen. Notwendig ist vieles andere mehr. Notwendig ist ein ökologischer und sozialer Umbau, für den dieser Bundeshaushalt ein ganz wesentlicher Einstieg sein könnte.
Unsere Vorschläge dazu liegen zum Teil längst auf dem Tisch. Wir werden in den nächsten Monaten noch etliches dazu nachliefern. Diese Vorschläge sind ohne Ausweitung des Verschuldungsrahmens finanzierbar, und sie hätten positive Beschäftigungseffekte. Wir wissen, mit welcher Ignoranz Sie auf dieser Seite des Hauses in den letzten Jahren solchen Vorschlägen gegenübergetreten sind.
Trotzdem: Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Deswegen sage ich Ihnen am Schluß: Niemand hindert Sie, diese Vorschläge endlich einmal aufzugreifen. Überraschen Sie uns mit dem Nachweis, daß Sie doch lernfähig sind! Tun Sie es!Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn sich die Gänsehaut nach diesem Horrorbeitrag wieder etwas zurückgebildet hat, können wir, so glaube ich, etwas Realistischeres über die Situation in einem Land hören, in dem es — das müßte der Kol-
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11354 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. Weng
lege Kleinert nach seinen vielen Reisen in den vergangenen zwei Jahren weltweit gesehen haben —
sehr gut geht und von dem man nahezu in jeder Hinsicht sagen kann, daß wir an der Spitze in der Welt stehen.
Meine Damen und Herren, nachdem das Bundeskabinett den Entwurf des Bundeshaushalts 1986 nach Vorlage des Herrn Finanzministers Stoltenberg zum frühestmöglichen Zeitpunkt einstimmig beschlossen hat — und daß dies auch in den vergangenen Jahren immer so früh geschehen ist, ist keine Selbstverständlichkeit —, ist heute mit der ersten Lesung im Deutschen Bundestag das Parlament an der Reihe. Ich bin in der erfreulichen Lage, Ihnen mitzuteilen, daß meine Fraktion den Haushaltsentwurf in den Grundzügen für gut befindet
und damit signalisiert, daß wir den Konsolidierungskurs der Bundesregierung bei der Beratung im Haushaltsausschuß und im Parlament weiterhin mittragen werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert ?
Nein, Herr Präsident. Ich möchte gern im Zusammenhang sprechen. Wenn der Kollege Kleinert Fragen hat, kann er die am Ende meiner Rede gerne stellen. —
Wir verbinden damit die Unterstützung des Finanzministers, dessen konsequentes Eintreten für knapp kalkulierte Haushaltsentwürfe und sparsamen Haushaltsvollzug ein Markenzeichen des wirtschafts- und finanzpolitischen Erfolgskurses der Bundesregierung geworden ist.
Meine Damen und Herren, wer die Größenordnung der festliegenden bzw. automatisch wachsenden Ausgaben des Bundeshaushaltes kennt — der Finanzminister hat ja heute morgen in seiner Rede gesagt, daß rund 90 % der Ausgaben festliegen —, weiß natürlich, daß die Konsolidierungsaufgabe nicht leichter geworden ist. Die jetzige Festschreibung der geplanten Nettoneuverschuldung über mehrere Jahre bedeutet intern erhebliche zusätzliche Sparleistungen. Denn wir sind ja kaum in der Lage — dies ist auch unser politischer Wille —, z. B. im Bereich der sozialen Sicherung Kürzungen vorzunehmen, noch können wir die Personalkosten des Bundes einfach zurückführen. Ich gehe allerdings davon aus, daß der Haushaltsausschuß Fragen des Personals, die sich im Haushalt für 1986 stellen werden, so spät wie möglich entscheiden wird.Denn diese Entscheidungen sollten unter dem Eindruck der Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst getroffen werden. Ich verbinde hiermit den Appell an die Tarifpartner, auf der Basis angemessener Forderungen zu haushaltsmäßig vertretbaren Abschlüssen zu kommen und hierdurch die Arbeitsmarktbemühungen der öffentlichen Hände zu unterstützen.
Es ist ja nicht nur so, daß eine große Zahl von Lehrstellen auch im Bereich des Bundes, insbesondere auch im Bereich der Sondervermögen von Bundesbahn und Bundespost, neu eingerichtet wurden, sondern auch hinsichtlich zusätzlicher Neubeschäftigung durch teilweisen Abbau von Überstunden im öffentlichen Dienst können die Tarifpartner angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt einen Solidarbeitrag leisten.Der Ausgabenblock Investitionen, meine Damen und Herren, kann schon deshalb nicht verringert werden, weil der Bund in vielen Bereichen einziger Auftraggeber ist und ganze Branchen in Schwierigkeiten kämen, wenn hier bei der Auftragsvergabe nicht mit einer gewissen Kontinuität verfahren würde. Hinzu kommt — hier darf ich insbesondere an Maßnahmen der Umweltverbesserung erinnern, z. B. an den Lärmschutz im Straßenbau und ähnliches —, daß der Bedarf an öffentlichen Investitionen ja keinesfalls zurückgegangen ist, sondern nur eine Umschichtung in neue Bereiche, gerade auch in Bereiche des Umweltschutzes, erforderlich geworden ist. Niemand wird z. B. fordern können, daß der Ausgabenblock Berlin-Hilfe, der der Sondersituation der deutschen Hauptstadt Rechnung trägt, gekürzt wird. Die laufenden Zuweisungen und Zuschüsse insbesondere an die Bundesländer sind ebenfalls weitgehend durch gesetzliche Voraussetzungen festgelegt.So kann der Haushaltsspielraum in großem Umfang nur durch Sparsamkeit beim Sachaufwand und durch das Bemühen um Abbau von Zuweisungen und Subventionen erreicht werden, d. h. die Kürzungen oder die relativ geringfügigen Steigerungen müssen schwerpunktmäßig einige wenige Bereiche betreffen.Wir müssen zusätzlich zur Kenntnis nehmen, daß— ohne daß wir das beeinflussen können, weil es sich hier um Sünden der Vergangenheit handelt — der Schuldendienst von zirka 31 auf 371/2 Milliarden DM steigen wird und daß wir — ich sage: leider— nicht wie im laufenden Jahr damit rechnen können, daß ein Bundesbankgewinn in vergleichbarer Größenordnung den Haushaltsvollzug erleichtert.Beim Stichwort Haushaltsvollzug sollte man auch sagen, daß seit der Bildung der Regierung aus CDU/CSU und FDP der Haushaltsvollzug immer besser ausgesehen hat als die Entwürfe. Auch das ist eine Neuheit; denn in der vergangenen Koalition sahen die Haushaltsabschlüsse immer schlechter aus, als das im Entwurf vorgesehen gewesen war. Hier also Besserung.In diesem Zusammenhang muß auch erwähnt werden, daß durch die geplante Steuerentlastung in
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Dr. Weng
zwei Schritten der Bund auf Steuereinkünfte in Höhe von zirka 20 Milliarden DM verzichtet und die Bundestagsmehrheit wie die Bundesregierung damit deutlich machen, daß haushaltspolitische Spielräume umgehend zugunsten der Bürger Verwendung finden sollen. Das entspricht unserem Ziel, den Staatsanteil weiter zurückzuführen und damit als zwangsläufige Konsequenz dem einzelnen Bürger einen größeren Freiraum anzubieten. Daß das nur in kleinen Schritten möglich ist, bedauert meine Fraktion. Meine Ausführungen haben aber dem aufmerksamen Zuhörer sicherlich deutlich gemacht, daß das Mögliche hierbei geschieht.
Die geplante Steuerentlastung, auf die ich hingewiesen habe, kann nach Auffassung unserer Fraktion nur ein erster Schritt sein. Wir werden ab 1987 entsprechend dem Vorschlagspaket des FDP-Bundesvorstandes eine Fülle von Vorschlägen für eine einfache, faire, leistungs- und wachstumsfreundliche Besteuerung von Bürgern und Unternehmen einbringen und gleichzeitig ein Bündel von Maßnahmen zur Finanzierung dieser Vorschläge vorlegen. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß der Herr Bundesfinanzminister in seinen Ausführungen heute morgen deutlich gemacht hat, daß auch seine Intention in eine vergleichbare Richtung geht; denn zweifelsfrei ist in unserem Lande, durch die Entwicklung insbesondere der 70er Jahre, die Belastung des einzelnen Bürgers und der Wirtschaftsunternehmungen durch Steuern und Abgaben zu hoch. Das Steuersystem ist unübersichtlich, und das Ergebnis der Besteuerung hat sich j a an vielen Stellen in der Entwicklung unserer Wirtschaft als negativ gezeigt.
So wird eine grundlegende Steuerreform eine der wichtigsten Aufgaben des künftigen Bundestages sein; denn nur sie kann die Wachstumskräfte in erforderlichem Umfang stärken. Eine weitere Senkung der Staatsausgaben muß hiermit verbunden sein.Die Kritik am Konzept der FDP hat sich in der Vergangenheit beim politischen Gegner immer daran entzündet, daß es an Finanzierungsvorschlägen fehle. Auch die Äußerungen des Kollegen Apel heute morgen zu unserer geplanten Abschaffung der Gewerbesteuer und zum Ersatz durch ein anderes System der gemeindlichen Finanzierung haben ja deutlich gemacht, daß die Urteilsfindung durch vorgefaßte Meinungen plus Unkenntnis ungeheuer erleichtert wird.
Herr Kollege Apel, ich werde Ihnen das Konzept der FDP gerne nochmals zusenden, falls Sie es bisher noch nicht durchgelesen haben.Es wird dann von Ihrer Seite Konkreteres gefordert. Aber diejenigen, die jetzt Einzelheiten fordern, haben nur den Wunsch, durch Aktivierung einzelner Interessengruppen das Gesamtkonzept zu stören.
— Herr Kollege Spöri, wir werden zum gegebenen Zeitpunkt über die Gesamtmaßnahme mit allen ihren Einzelforderungen diskutieren.
Jeder Bürger wird sehen, daß die Sache für ihn unter dem Strich auch dann günstiger aussieht, wenn er einer Subvention im Rahmen dieser Gesamtmaßnahmen verlustig geht.Erlauben Sie mir, noch einige wenige einzelne Punkte zu erwähnen, in der zweiten Lesung wird ja sicherlich mehr an detaillierter Ausführung möglich sein. Herr Minister Stoltenberg, die Mehrheit dieses Hauses hat bei der vergangenen Haushaltsberatung für das Jahr 1985 durch Finanzhilfen bei den Autobahntankstellen und bei den freien Tankstellen einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, daß das Netz der Versorgung mit bleifreiem Benzin flächendeckend gemacht worden ist.
Hier von einem Drängen der SPD zu reden, ist lächerlich. Ich habe von den Kollegen der SPD im Haushaltsausschuß in dieser Frage überhaupt nichts gehört.
Meine Damen und Herren, wer aber heute liest, daß immer noch unter 1 % bleifrei getankt wird, obwohl das Angebot jetzt da ist und ein hoher Prozentsatz der Kraftfahrzeuge, die mit Normalbenzin fahren können, bleifrei zu tanken in der Lage wäre, der muß etwas weiteres tun. Ich will hier und heute gar nicht fragen, wie hoch die Einkünfte des Bundes aus der Mineralölsteuererhöhung im Jahre 1985 sein werden, die wir zur Preisangleichung, zur Senkung der Differenz zwischen dem Preis von verbleitem und unverbleitem Benzin beschlossen haben. Ich bin aber ganz sicher, daß der Spielraum so groß ist, daß für eine deutliche Rückführung der Steuer beim unverbleiten Benzin die Möglichkeit gegeben ist, daß dieses billiger angeboten werden kann als das bleihaltige; denn letztendlich wird der Preis den Verbraucher motivieren, hier zuzugreifen.Meine Damen und Herren, mein besonderes politisches Interessengebiet, die Privatisierung, darf auch nicht ganz fehlen: Wir fordern Sie, Herr Bundesfinanzminister, auf, die Ansätze für zu veräußernde Anteile an bundeseigenen Wirtschaftsunternehmen realistisch heraufzusetzen. Wir geben der Bundesregierung insgesamt zu bedenken, ob nicht durch energischere Schritte bei der Privatisierung auch öffentlicher Dienstleistungen künftig eine Herabsetzung von Haushaltsansätzen in einer ganzen Reihe von Ressorts möglich wäre.
Daß wir uns — ich sage: natürlich — für die Planungen bei einer möglichen Teilprivatisierung der Deutschen Lufthansa zum frühestmöglichen Zeit-
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Dr. Weng
punkt interessieren und hierüber informiert werden möchten, will ich zusätzlich erwähnen.
Wir möchten hier auch keine versteckten Null-Lösungen akzeptieren. Ich meine, daß dies erneuter Erwähnung bedarf, weil es ja in diesen Fragen sehr ruhig geworden ist, wie überhaupt der Bereich der Privatisierung nach unserer Auffassung noch nicht am Ende der Diskussion ist. Meine Fraktion wird hier keine Ruhe geben.Ich will auch gerne schon heute darauf hinweisen, daß wir im Haushaltsausschuß einen Beschlußantrag stellen wollen, der dem Parlament den Überblick über Privatisierungsvorhaben erleichtert. In diesem Antrag soll der Herr Finanzminister aufgefordert werden, den jährlichen Bericht über die Beteiligungen des Bundes auszuweiten. Zu jeder Beteiligung soll eine kurze Erläuterung erfolgen, mit welcher Begründung nach § 65 der Bundeshaushaltsordnung ein Bundesinteresse an der Beteiligung besteht bzw. fortbesteht. Meine Damen und Herren, ich bin sehr gespannt, was sich die ministerialen Märchenerzähler dann hierzu im einzelnen werden einfallen lassen.
Nicht zuletzt der Kurs der Haushaltskonsolidierung hat dazu geführt, daß sich die Inflationsraten auf einem Niedrigststand befinden und daß z. B. die Preissteigerungsrate von nur 2,1 % im August dieses Jahres weltweit nicht mehr unterboten werden kann. Wenn die Entwicklung in der Wirtschaft im Jahre 1984 immerhin zu 170 000 Beschäftigten mehr geführt hat, dann ist auch dies ein Erfolg der Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition. Denken Sie zurück an die Entwicklung insbesondere der Jahre von 1980 bis zum Regierungswechsel! Dann wird deutlich, daß auch auf dem Arbeitsmarkt eine Wende stattgefunden hat, selbst wenn die globalen Zahlen im Augenblick noch nicht zufriedenstellen können.
— Wenn Sie, Herr Kollege Spöri — falls von Ihnen dieser Zwischenruf kam, ich habe es jetzt gerade nicht gesehen —,
meinen Ausführungen zugehört hätten, dann wüßten Sie, wie unsinnig dieser Zwischenruf gewesen ist.Meine Damen und Herren, daß die Bundesbank flankierend unsere Politik unterstützt, bleibt ein gutes Zeichen; denn wer könnte besser als die unabhängigen Währungshüter eine allgemein anzuerkennende Bewertung abgeben? Sicherlich nicht die Opposition in diesem Hause. Wenn der Bundesbankpräsident die Stabilitätspolitik der Bundesregierung ausdrücklich gelobt hat, die es der Bundesbank leichtermache, so ein Zitat, an ihrem Zinssenkungskurs festzuhalten, wenn er gar erwähnt, dieRegierung leiste damit, so ein Zitat aus dem Bonner „General-Anzeiger", einen besseren Beitrag für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, als wenn sie sich verleiten ließe, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, dann sollten sich die Opposition in diesem Hause und insbesondere die Wirtschafts- und Finanzpolitiker der SPD-Fraktion als Adressaten dieser Feststellung verstehen. Herr Kollege Apel, Ihre Forderungen heute morgen sahen genauso aus wie die verfehlte Tätigkeit der Jahre, in denen Sie die Regierungsverantwortung hatten.
— Nein, Herr Kollege Spöri, ich war nicht dabei. Sie sollten wissen, daß ich erst seit 1983 Mitglied des Deutschen Bundestages bin,
und Sie sollten sich vielleicht daran erinnern, Herr Kollege Spöri — dies weiß ich aus den Erzählungen meiner Kollegen sehr genau —, daß von unserer Seite versucht worden ist, Ihren Ausgabenfluß zu hemmen, daß von unserer Seite zuerst darauf hingewiesen worden ist, daß es so nicht weitergehen kann, wie es unter der Federführung des vergangenen Bundeskanzlers von Ihrer Seite aus stattgefunden hat.
Dies sollte, meine Damen und Herren im Deutschen Bundestag, eigentlich kein Grund zu derartigen Zwischenrufen sein, Herr Kollege Spöri, wie Sie sie gerade gemacht haben.
— Herr Kollege Spöri, wir sind ein freies Land, und in diesem freien Land kann jeder zum Deutschen Bundestag kandidieren, aufgestellt und gewählt werden. Ich bin aber ziemlich sicher, daß die Wähler und auch Ihre Partei Sie nicht deshalb hier hergeschickt haben, damit Sie hier die Rede eines Kollegen mit absolut unsinnigen und beleidigenden Zwischenrufen stören.
Meine Damen und Herren, die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt weiterhin die Bundesregierung und insbesondere den Bundesfinanzminister in dem aufgezeigten richtigen Kurs öffentlichen Haushaltsgebarens. Ich ende mit einem Zitat aus dem am 25. Juni 1985 der Öffentlichkeit vorgestellten Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, das sicherlich den globalen Eindruck dieses Gutachtens besser als die verzerrten Einzeldarstellungen wiedergibt, die der Kollege Apel heute mor-
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gen hier versucht hat. Hier heißt es unter „finanzpolitischem Handlungsbedarf":Die Finanzpolitik muß die Konsolidierung konsequent fortsetzen und die Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte, die qualitative Konsolidierung entschlossen in Angriff nehmen.Auf diesem Wege fahren wir fort.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem alle Fraktionen durch ihre finanz- und haushaltspolitischen Sprecher zum Bundeshaushalt und damit natürlich auch zu meiner Eingangsrede Stellung genommen haben, möchte ich noch heute vormittag eine Antwort geben. Das ist, glaube ich, guter parlamentarischer Brauch.
Das Ende der Debatte ist heute abend.
Ich mache auf der Grundlage einer vernünftigen Tradition von meinen geschäftsordnungsmäßigen Möglichkeiten Gebrauch. Ich finde auch Rede und Widerrede viel besser, als wenn wir erst wieder lange Manuskripte aufschreiben würden.
Ich möchte Herrn Kollegen Carstens und Herrn Kollegen Weng dafür danken, daß sie im Namen der Regierungsfraktionen nicht nur allgemein ihre Unterstützung bekundet, sondern auch sehr klar gesagt haben, nach welchen Maßstäben die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß und aus den mitberatenden Ausschüssen die Einzelprüfung und Einzelberatung durchführen wollen.
Dieses Einvernehmen zwischen den Regierungsfraktionen und der Bundesregierung in den zentralen Fragen der Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik ist wichtig und vertrauensbildend; denn die Bürger müssen sich darauf verlassen können, daß die wesentlichen Ziele und Ankündigungen, die wir am 1. Juli gemacht haben, Wirklichkeit werden. Wir beurteilen natürlich die Wirkung der zusätzlichen steuerlichen Investitionsverbesserungen ganz anders als Herr Kollege Apel. Ich komme darauf noch zu sprechen. Es gibt klare Zeichen dafür, daß sie wirken. Ich habe die Zahlen dafür genannt, daß das Programm im Hinblick auf die Kommunen in wenigen Wochen zu einer nachhaltigen Investitionsbelebung führte. Dafür ist Verläßlichkeit wichtig.
Herr Kollege Weng hat einige wichtige Bereiche genannt, die ich im Rahmen meiner Haushaltsrede nicht vertieft angesprochen habe.
Ich habe in Berlin bei der Tagung der Vorstandsmitglieder bundeseigener Unternehmen feststellen können, daß die Beschlüsse, die das Kabinett im
Frühjahr zur Privatisierung, zur Verringerung von Bundesbeteiligungen, gefaßt hat, im Zeitplan umgesetzt werden. Das ist für die Unternehmen selbst, aber auch für die Mitarbeiter des Finanzministeriums eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Ich gehe davon aus, daß ich noch in diesem Jahr dem Haushaltsausschuß — ich hätte bald gesagt: dem Hohen Finanzausschuß — und dem Hohen Hause darüber berichten kann.
— Aber nicht die schlechteste Fehlleistung, Herr Kollege Weng, die einem unterlaufen kann.
Was nun Herrn Kollegen Apel betrifft, so sind grundlegende Auffassungsunterschiede zu den zentralen Themen der Wirtschaftspolitik und der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sichtbar geworden. Es ist gut, wenn im Wettbewerb der Argumente die Alternativen oder Scheinalternativen — ich lasse das jetzt einmal offen — den Bürgern sichtbar werden.
Was mir, Herr Kollege Apel, außerordentliche Schwierigkeiten gemacht hat, ist Ihr leichtfertiger und ungenauer Umgang mit Zitaten, Tatsachen und Zahlen.
Ich muß das hier sagen: Was Sie im Deutschen Bundestag über das Ergebnis der Beratungen des Städtetags in Berlin erzählen wollen, hat mit der Zusammenfassung durch den neu gewählten Präsidenten des Städtetags, den Frankfurter Oberbürgermeister, meinen Kollegen und Freund Walter Wallmann, überhaupt nichts zu tun. Das ist eine vollkommene Verzerrung.
— Ich will das noch ein bißchen erläutern und Ihnen dann gern Gelegenheit geben.
Sie haben offensichtlich aus Diskussionsbeiträgen einzelner Sprecher in einer mehrtägigen Debatte — wahrscheinlich waren es im wesentlichen Ihre Genossen — den Eindruck einer Gesamtbilanz der Meinungsbildung entstehen lassen, der vollkommen falsch ist. Ich habe die Aufzeichnungen über die Pressekonferenz des neu gewählten Präsidenten gelesen. Sie weisen einen klaren Unterschied bezüglich der Bewertung der Politik der Bundesregierung und der positiven Wirkung der Stabilitätspolitik zu dem auf, was Sie hier behauptet haben.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen — wie Sie das bei mir auch getan haben — die Gelegenheit zu einer Frage geben.
Bitte sehr.
Herr Kollege Stoltenberg, wollen Sie bestreiten, daß der von Ihnen angesprochene Präsident Wallmann darauf hingewiesen hat, daß Ihre Steuersenkungen und die zusätzlichen Ab-
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Dr. Apelschreibungserleichterungen einen Einnahmeausfall bei den Gemeinden von über 18 Milliarden DM ausmachen? Wollen Sie bestreiten, daß derselbe Herr Wallmann sich sehr kritisch zu der permanenten Forderung der FDP auf Abschaffung der Gewerbesteuer geäußert hat? Wollen Sie bestreiten, daß es geboten ist, daß endlich Klarheit erstens über die Belastung der Gemeinden, zweitens über die Zukunft der Gemeindefinanzen herrscht?
Herr Kollege Apel, meine Kritik bezog sich vor allem auf Ihren unglaublichen Satz: „Die Finanzen der Städte sind ruiniert." Es ist ein Treppenwitz, so etwas zu behaupten.
„Die Finanzen der Städte sind ruiniert" haben Sie als Meinungsbildung des Städtetags und als angebliches Ergebnis der Debatte der deutschen Öffentlichkeit hier im Deutschen Bundestag darstellen wollen. Damit stellen Sie, wenn wir die Entwicklung von 1980 bis 1985 verfolgen, die Tatsachen auf den Kopf!
Die jetzt von Ihnen gestellten Sachfragen klingen schon ein bißchen anders. Daß jeder große Verband, auch jeder Präsident, neben Erfolgen und Fortschritten Sorgen und noch nicht gelöste Probleme anspricht, gehört zum Selbstverständnis von großen demokratischen Verbänden.
— Ich komme auf diesen Punkt gleich noch zurück; lassen Sie mich bitte erst meinen Gedanken zu Ende führen. — Es ist aber — auch in den regelmäßigen Beratungen, die wir mit den Repräsentanten der kommunalen Spitzenverbände im Finanzplanungsrat haben — vollkommen klar geworden, daß die Kommunen, vor allem ihre gewählten Vertreter, die großen Erfolge der Stabilitätspolitik und der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und die Verbesserung ihrer eigenen Situation anerkennen, daß sie dann aber natürlich die Themen ansprechen, die ihnen Sorgen machen.
Dazu gehört die Diskussion über die Gewerbesteuer. Das ist ein Thema auf dem parteipolitischen Feld. Die Bundesregierung hat dazu keine neuen Mitteilungen zu machen. Die Kollegen von der FDP werden interpretieren können, unter welchen Bedingungen sie diese Frage sehen.
Dazu gehören auch steigende Kosten im sozialen Bereich, wobei es, Herr Apel, die schlichte Wahrheit ist, daß die große Expansion der Sozialhilfekosten vor dem Jahr 1982, also unter Ihrer Regierungsverantwortung, eingesetzt hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich wollte meine Zeit eingrenzen, aber ich ziehe das, was an Zwischenfragen kommt, dann ab, und behalte mir vor, ein bißchen länger zu reden. Eine Zwischenfrage noch, Herr Kollege!
Vielen Dank, Herr Bundesminister! — Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß viele Gemeinden ihre Stabilisierung nicht wegen, sondern trotz Ihrer Politik erreicht haben,
denn wir haben steigende Arbeitslosenzahlen zu verkraften, wir haben steigende Sozialhilfekosten zu verarbeiten, wir haben eine Fülle von Lasten zu tragen, die Sie produziert haben? Wollen Sie ferner bestätigen, daß der Präsident des Deutschen Städtetages, Herr Wallmann, noch am 20. August — nachzulesen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und ähnlich im „Handelsblatt" — gesagt hat, daß sich die Erwartungen der Kommunalpolitiker an den langfristigen Vorgaben orientieren und daß in dieser Beziehung durch ständige Eingriffe inzwischen ein Klima der Unsicherheit geschaffen worden ist?
Ja, es kann aber sehr gut sein, daß sich die Bemerkung von Herrn Wallmann stärker an die Landesgesetzgeber z. B. von Nordrhein-Westfalen und Hessen als an uns gerichtet hat.
— Das ist kein Grund zum Lachen! Die ständigen Eingriffe in die kommunale Finanzkraft erfolgen durch die sozialdemokratische Mehrheit in Düsseldorf, jetzt zum drittenmal, und es ist auch ein Witz, daß Sie uns hier anklagen
und zur selben Zeit als Partei in Nordrhein-Westfalen die kommunale Finanzkraft um Milliarden beschneiden wollen. Damit kommen Sie nicht durch, Herr Kollege Apel! Das muß ich Ihnen hier einmal in aller Deutlichkeit ins Stammbuch schreiben.
Die Unterlagen stehen Ihnen zur Verfügung.
— Ich muß doch die Fragen beantworten und muß die darin enthaltenen falschen Bewertungen zurückweisen.
Ich komme jetzt noch einmal zum Stand der Beratungen im Finanzplanungsrat. Dieser Rat ist ja nun die in der Gesetzgebung verankerte Institution, in der die Finanzpolitiker der Bundesregierung, der Landesregierungen und der kommunalen Spitzen-
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Bundesminister Dr. Stoltenbergverbände ständig zusammenarbeiten. Wir sind da viel weiter, als Sie in Ihren Schaugefechten vorführen. Wir haben — das ist veröffentlicht, und ich stelle jedem von Ihnen gern noch einmal die Materialien zur Verfügung — in den letzten beiden Sitzungen vor der Sommerpause, im März und im Juni, folgenden Diskussionsstand gehabt. Wir sagen in unseren Projektionen, daß die Kommunen in ihrer Gesamtheit in diesem Jahr einen Finanzüberschuß von 2 bis 4 Milliarden DM haben werden. Die hervorragenden Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, so ausgezeichnete Männer wie Herr Weinberger und andere, die dort mit uns zusammensitzen, sagen: Das glauben wir nicht; wir glauben, wir kommen in der Gesamtheit der Kommunen mit plus minus Null hin, d. h. wir müssen keine Schulden mehr machen, haben aber auch keine Überschüsse. — Wir haben also in der Einschätzung diese nicht sehr große Differenz.Aber selbst wenn die ungünstigere Annahme der kommunalen Spitzenverbände stimmen würde,
und zwar zu einem Zeitpunkt, wo sie erklärt haben, daß sie wieder in der Lage sind, jährlich 5 % mehr zu investieren — und das ist j a das, was wir wollen —, selbst wenn das also der Fall wäre, sage ich Ihnen, Herr Apel, das hat es nun in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben: ein Jahr, in dem die Gesamtheit der Kommunen im Saldo keine Schulden macht. 1981, in Ihrem letzten Regierungsjahr, haben sie über 10 Milliarden DM Schulden gemacht. Es ist intellektuell unredlich, wenn Sie die Talfahrt der kommunalen Investitionen bejammern, die erfolgte, als Sie noch an der Regierung waren. Das lassen wir Ihnen hier nicht durchgehen.
— Herr Apel, die Parität ist hergestellt. Sie haben mir auch nur eine Frage zugestanden. Ich schaue auch ein bißchen auf die Uhr.
Wir wollen uns doch an den Fakten orientieren. — Nein, mir liegt schon daran, derartige grobe Unrichtigkeiten hier zum frühesten Zeitpunkt zu korrigieren. Das ist mir ein Bedürfnis, Herr Kollege Roth, unabhängig von irgendwelchen taktischen Überlegungen.
Herr Kollege Apel, zu dem, was Sie zu den anderen Punkten gesagt haben — zur Stellungnahme der Bundesbank, selbst zu der, wie ich einräume, kritischen Stellungnahme des rheinisch-westfälischen Instituts —, kann ich nur feststellen, das ist eine schlechte Imitation der berühmten Emser Depesche. Durch das Zusammenziehen eines langen Dokuments auf zwei Sätze kann man den Inhalt verdrehen. Das ist schon von bedeutenderen Politikern als von Ihnen im Jahr 1870 geschehen. Sie machen das heute in einer ziemlich schlimmen Weise.Der Präsident der Bundesbank hat auf der von mir erwähnten Pressekonferenz in Frankfurt vor 17 Tagen öffentlich zum Ausdruck gebracht, daß die erfolgreiche Politik der Leitzinssenkung und der Bekämpfung der Inflation, bei der die Bundesbank natürlich eine Hauptverantwortung hat, durch den Kurs der Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung ermöglicht sei, vor allen Dingen durch die Entscheidungen vom 1. Juli. Das haben Sie natürlich gelesen. Es ist ein Taschenspielertrick, bei der Beantwortung meiner Zwischenfrage die Bundesbank in die Reihe derer einzugruppieren, die unsere Finanzpolitik kritisieren. Es ist eines angesehenen Politikers der sozialdemokratischen Opposition nicht würdig, in einer solchen Debatte hier so zu verfahren.
Zu Ihrer Kritik wegen der Heizungsanlagen. Sie haben gesagt, das hätten Sie überhaupt nicht verstanden, das müsse mir irgendein Verband eingeredet haben. Dazu will ich Ihnen folgendes sagen. Die Initiative ist nicht aus dem Finanzministerium gekommen — wir sind nicht so arrogant zu behaupten, daß alle guten Ideen aus dem Finanzministerium kommen —, sondern aus den Koalitionsfraktionen und einigen Bundesländern. Jeder, der das verfolgt hat, weiß, daß die zuständigen bayerischen Minister dies sehr früh vorgeschlagen haben, und dies wurde unter umweltpolitischen Gesichtspunkten aufgenommen.
— Wir müssen methodisch vorgehen. Zunächst haben wird das Problem der Kraftwerksemissionen gehabt. Das haben wir schon erkannt, als Ihre Genossen — nicht Sie, aber Ihre Genossen — immer noch nach Brokdorf zogen. Da haben wir schon über das Problem der Kraftwerksemissionen ernsthaft geredet. Einige haben es später begriffen.
Dann haben wir uns mit dem Thema des umweltfreundlichen Autos befaßt, mit großen Schwierigkeiten bei der EG-Lösung, ich räume das ein.
— Ich will das gar nicht bewerten, ich will nur die Reihenfolge des Vorgehens nennen. — Jetzt sagen uns die hervorragenden unabhängigen wissenschaftlichen Berater in der Umweltdebatte, das Thema der Heizungsanlagen, des Hausbrands sei ein schwerwiegendes Thema. Wir reagieren auf solche Debatten. Ich will das nur sagen, damit Sie ver-11360 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985Bundesminister Dr. Stoltenbergstehen, warum wir es gemacht haben. Sie haben es nämlich nicht begriffen, verehrter Herr Kollege, bei allen Bekenntnissen zur Ökologie.
Sie haben von dem alten Ofen gesprochen. Es geht nicht nur um den alten Ofen, es geht auch um andere Verschmutzer.Zu den Wirtschaftsgebäuden. Sie erklären das alles für wirkungslos, was wir beschließen. Das ist eine bequeme Art der Opposition.
Es hat seinen Grund, weshalb fast alle anderen westlichen Industrieländer, auch die französische sozialistische Regierung, im Laufe der letzten Jahre die Abschreibungszeiten für Wirtschaftsgebäude in die Bandbreite zwischen 18 und 30 Jahren gebracht haben. Ich habe Ihnen eine Liste angeboten. Vielleicht kommen Sie auch einmal in den Finanzausschuß oder in den Haushaltsausschuß, Herr Kollege. Dort können wir vorlegen, wie die internationalen Regeln wirklich sind. Wenn sozialdemokratisch, sozialistisch regierte Länder und christlich-demokratisch, konservativ regierte Länder bei Wirtschaftsgebäuden heute Abschreibungszeiten zwischen 18 und 30 Jahren haben, können Sie doch nicht im Rahmen Ihrer Primitivformeln eines Klassenkampfes sagen, das sei ein billiges Geschenk an Unternehmer.
Es hat keinen Sinn, so etwas hier zu machen.
— Herr Kollege Wieczorek, ich ernte zunehmend Kritik bei einem Teil Ihrer Mitstreiter, wenn ich die Zwischenfragen aufnehme. — Herr Apel, soll ich das machen? Sind Sie dafür? — Also bitte, Herr Kollege Wieczorek.
Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie vor 13 Uhr fertig werden, treten wir in die Mittagspause ein und fahren dann um 14 Uhr fort. — Bitte schön, Herr Wieczorek.
Meine Kollegen haben ihren Redebeitrag sowieso schon eingepackt, Herr Minister. — Herr Minister, ich verstehe j a Ihre Annahme, daß Sie internationales Recht umsetzen wollen, Aber wie glauben Sie denn, daß eine Investitionsbereitschaft dadurch gefördert wird, daß die Abschreibungszeit verändert wird?
Herr Kollege Wieczorek, wir glauben in der Tat — und das hat ja auch Bundeskanzler Schmidt in seiner Regierungszeit oft gesagt; da gibt es ja immernoch Berührungspunkte, was zu begrüßen ist —, daß bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen, also verkürzte Abschreibungsfristen, hier nachhaltigere Bereitschaft zu Investitionen auslösen. Denn es gehört j a auch zum Bild unseres Anlagevermögens in der gewerblichen Wirtschaft, daß wir viele Betriebe haben, die alte Gebäude haben, die zu den modernen Maschinen auch funktional im Betriebsablauf nicht mehr passen. Und wenn jetzt in diesem Jahr bei den Maschinen die Ausrüstungsinvestitionen real um 12 oder 14 % steigen, kann man doch hoffen, daß viele Leute, die Maschinen und Anlagen kaufen, bei besseren Bedingungen sagen: dann bauen wir im nächsten Jahr auch die Halle funktional auf die neue Ausrüstung hin. Das ist der ökonomische Gedanke.
Ich glaube, er ist ganz einleuchtend. Ich bedanke mich. Das war eine mir sehr willkommene Frage, wenn ich das freundlicherweise sagen darf.
Herr Kollege Apel, weil das ein wichtiger Punkt ist, möchte ich auf das eingehen — als drittletzter Punkt —, was Sie zu meinem Berliner Zitat gesagt haben. Das war in einer Agentur etwas ungenau wiedergegeben; Sie haben es korrekt zitiert. Ich habe in Berlin in der Tat gesagt: Ich empfehle, 1986 den Spielraum bei Tarifverhandlungen für einen Anstieg der verfügbaren Einkommen zu nutzen, statt diesmal kostspielige Arbeitszeitverkürzungen zu machen. Wenn ich sage — das habe ich mir gut überlegt —: „den Spielraum", nehme ich keine Bewertung vor, wie hoch der Spielraum sein wird. Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, im Sommer dieses Jahres eine Zahl zu nennen. Und soweit sie es überhaupt tut — wir tun es ja wie frühere Regierungen nur mit Behutsamkeit —, wird das eher in der Projektion zum Jahreswirtschaftsbericht Ende des Jahres sichtbar. Das ist keine Empfehlung zu Größenordnungen — der Text ist völlig klar —, aber es geht natürlich um eine Weichenstellung: ob der dann zu definierende, letzten Endes ja auch aus den Verhandlungen der Tarifpartner entstehende Spielraum wirklich genutzt wird zur Steigerung der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer und damit auch einer vernünftigen Nachfrage oder ob wir wieder ein Ergebnis — wie in diesem Jahr für die Metallarbeiter — haben werden, wo wir Kosten von 5 bis 6% mehr haben für die Betriebe, auch für die notleidenden Betriebe, und eine Einkommenssteigerung für die Arbeitnehmer von brutto 2 %, d. h. in der Regel netto 1 %. Dies ist keine vernünftige Politik. Das ist keine Politik, die den Interessen der Arbeitnehmer dient. Es ist auch keine Politik, die unserer volkswirtschaftlichen Strategie dient.
— Nein, natürlich nicht.Nun haben Sie das ein bißchen kritisiert und den Herrn Steinkühler zitiert. Ich will Ihnen folgendes
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Bundesminister Dr. Stoltenbergsagen. Herr Steinkühler hat in der Tat erklärt, das gehe den Herrn Stoltenberg gar nichts an; der solle sich um seine eigenen Sachen kümmern. Das ist schon sehr lustig. Ich bin — ich habe das in meiner Rede schon einmal angesprochen — im Rahmen der Geschäftsverteilung verantwortlich — wie auch Sie und Herr Matthöfer vor mir es waren — für einen großen industriellen Beteiligungsbesitz des Bundes, für Banken und andere Institutionen im wirtschaftlichen Bereich, mit einer sechsstelligen Arbeitnehmerzahl. Ich habe am Beispiel Salzgitter klargemacht, was wir hier machen müssen und welche schwerwiegenden Entscheidungen wir herbeiführen müssen. Zweitens ist der Bund, die Bundesregierung, natürlich Dienstherr für eine noch größere Zahl von Angestellten und Arbeitern. Einen so generellen Beitrag des Eigentumsvertreters vor den Vorständen und Aufsichtsratsvorsitzenden von Bundesunternehmen, die Tarifverhandlungen führen müssen, hier noch als unangebracht zu bezeichnen, dazu in einer ruppigen Art, wie Steinkühler das tut, der gesagt hat: „Der sollte sich mal um seinen eigenen Kram kümmern", ist absurd. Denn derselbe Herr Steinkühler steht vor unserer Haustür, wenn durch tarifpolitische Fehlentscheidungen bei Unternehmen Entlassungen drohen, und streckt die Hand aus und sagt: Der Bund muß die Verantwortung übernehmen. So kann die Aufgabenverteilung wohl nicht sein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Nicht mehr. Die Herren reden zu allem. Die reden am Antikriegstag über SDI. Sie reden über § 218 und verletzen damit auch die Grundüberzeugung vieler christlicher Gewerkschaftler. Sie reden über alles in der Welt, aber verwehren oder verweigern dem zuständigen Bundesminister, der eine unmittelbare Verantwortung trägt, das Recht, sich über Kategorien der Tarifpolitik zu äußern. Ich weise diese Anmaßung des Funktionärs Steinkühler hier mit aller Entschiedenheit zurück, meine Damen und Herren.
Als vorletzten Punkt, Herr Apel, will ich noch etwas zum Thema Steuervereinfachung sagen. Auch da haben Sie es sich zu leicht gemacht. Ich habe meine Ausführungen in meiner Rede zur Steuervereinfachung auf Grund von jahrzehntelanger Erfahrung hier wirklich als Reflexion gemacht, und zwar nach einer Zwischenbemerkung von Herrn Spöri. Wenn wir 20 Jahre zurückdenken, haben wir alle Probleme. Dann zu sagen, wir hätten das Steuerrecht kompliziert und keinen Anspruch, darüber zu reden, ist verfehlt. Wir haben entscheidende Weichen für Steuervereinfachungen gestellt. Wir haben die Grunderwerbsteuer reformiert. Das ist eine der wenigen großen Reformen einer Einzelsteuer in den letzten Jahrzehnten. Wir haben — das haben Sie wegen einiger technischer Probleme kritisiert — den wirklich unglaublich schwierig handhabbaren, komplizierten Kinderbetreuungsbetrag in einen einfachen Kinderfreibetrag umgewandelt. Die Regierungsvorlage sieht vor, daß wir die Nutzungswertbesteuerung abschaffen. Das sind drei bedeutende Elemente der Steuervereinfachung; ich könnte andere hinzufügen. Deswegen lassen Sie uns die Diskussion etwas aufgeschlossener miteinander führen.Das gilt auch für Subventionen. Da ist Ihnen ein beachtliches Eigentor unterlaufen. Erst haben Sie erklärt, die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft sei ungerecht und unvertretbar und begünstige nur die Großen. Das sind immer wieder dieselben törichten klassenkämpferischen Reden.
Und anschließend haben Sie erklärt, Herr Apel: In unserer Zeit, als wir sie eingeführt haben, haben wir sie anständig im Subventionsbericht ausgewiesen. Sie haben also eine Maßnahme getroffen, die über acht Jahre — nach Ihrer Aussage — richtig war, während Sie sie jetzt, wo wir sie in einer viel schwierigeren Lage der Landwirtschaft wiederaufnehmen, als ungerecht und unsozial bezeichnen. Das kann doch wohl nicht ernstgenommen werden.
Was den Ausweis im Subventionsbericht betrifft, so werde ich darüber Bericht erstatten, wenn die Vorlage endgültig fertig ist. Die ist noch gar nicht fertig. Das könnten wir in 14 Tagen in Ruhe miteinander besprechen; dann haben wir innerhalb des Hauses Gelegenheit dazu.Ich komme zum Schluß, Herr Kollege Apel. Einiges war polemisch, anderes war freundlich, wie sich das auch gehört, wenn man für die Opposition redet. Ich habe mich mit einigen Hauptpunkten kritisch auseinandergesetzt.Herr Kleinert, zu Ihnen möchte ich nicht viel sagen, nicht nur aus Zeitgründen, sondern weil es auch die Rede eines politischen Sektierers war, was Sie hier gesagt haben.
Bei der Art, wie Sie uns hier vors Schienbein getreten und herabgesetzt haben, kann ich nur sagen: Das ist die Rede eines politischen Sektierers. — Und nun reden Sie vom Oberlehrer. Also Oberlehrer ist Herr Vogel; das wissen wir nun durch Herrn Wischnewski.
Wenn wir davon reden, ist das also Herr Vogel. Wenn Sie hier vom Oberlehrer reden, dann muß ich Ihnen sagen: Sie sind hier ein Sektenprediger, der uns alle für gottverlassene Heiden hält; nur so kann ich das sagen.
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11362 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Bundesminister Dr. StoltenbergWie Sie hier auf uns einschlagen, halten Sie uns für gottverlassene Heiden. Ich will — auch aus Zeitgründen — nicht weiter darauf eingehen.Herr Kollege Apel, wichtiger ist mir die Diskussion mit der Sozialdemokratischen Partei. Was ich entschieden zurückweise, ist Ihre Formulierung, die Finanzpolitik, für die ich hier stehe und die ich vertrete, sei in Zahlen gegossener Ausdruck der Herrschaft der Rabiaten.
Das ist eine der schlimmen Parolen der Brunnenvergiftung, die wir nicht akzeptieren können.
Also, wissen Sie, wenn ich die Berichte über die sozialdemokratischen Auseinandersetzungen in Ihrem Wahlkreis sehe, muß ich sagen: Die Rabiaten haben Sie in Ihrer eigenen Partei. Da müssen Sie sich erst einmal um Ihre eigenen Probleme kümmern — wenn wir schon von Rabiaten reden.
Auch die Form, in der das gegen den Kollegen Apel gemacht wird — man muß das wirklich mal in der Hamburger Presse nachlesen —, läßt schon erkennen, wo denn heute die Ellenbogengesellschaft angesiedelt ist: in der SPD Hamburg-Nord,
aber leider nicht nur in Hamburg-Nord, wie wir vom Schicksal Georg Lebers und vieler anderer wissen.
— Ja, ja, nur damit wir das sagen.
Aber ich wehre mich mit aller Entschiedenheit dagegen, daß Sie sagen — das ist ja gewollt; man sieht das ja auch, wenn der Herr Kollege Apel besonders beseelt ins Fernsehen sieht; das sind dann die Sätze, die abends in der Tagesschau kommen sollen, und wenn man da vorn genau hinsieht, kommen mit so einem kleinen Zeichen dann die Sachen —: „Herrschaft der Rabiaten" — das ist eine gute Botschaft fünf nach acht für die demagogische Propaganda der SPD.
— Nein, Herr Kollege Apel, ich weise das mit Nachdruck zurück. Und ich fordere Sie auf, bei aller Härte der Kritik unsere persönliche und moralische Integrität nicht in dieser Weise in Frage zu stellen. Wir werden hart zurückschlagen, wenn Sie das weiter machen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, will ich der Ermahnung des Herrn Präsidenten folgen, nicht einen zu starken Eingriff in die Mittagspause zu machen; denn zur Menschlichkeit in der Politik gehört auch, daß alle, die den ganzen Vormittag hier gearbeitet haben, die Chance bekommen, zu essen, bis wir uns um zwei Uhr wiedersehen.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Aussprache wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung wird eröffnet. Wir fahren in der Debatte fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte am heutigen Morgen hat die Steuerpolitik in das Zentrum der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen gerückt. Angesichts der unverändert bedrückenden Situation am Arbeitsmarkt konzentriert sich die Hoffnung der Regierungskoalition jetzt immer stärker auf eine übernächste Steuerreform, die in der Phantasie der Koalitionäre den entscheidenden wirtschaftspolitischen Liberoschlag am Arbeitsmarkt bringen soll, in der nächsten Legislaturperiode.Auffallend ist dabei, daß die Koalitionsparteien bei ihrer steuerpolitischen Ankündigungspolitik seit geraumer Zeit die für den Bürger wohl viel näher liegende größte Steuerreform aller Zeiten, auch GröStaZ genannt, als Thema ziemlich in den Hintergrund treten lassen. Statt dessen greift man lieber weit in die Perspektiven der 90er Jahre voraus. Offensichtlich, meine Damen und Herren, wollen die Verkünder der größten Steuerreform aller Zeiten mit einschmeichelnder Zukunftsmusik von der absehbaren Enttäuschung über die ungerechten Entlastungswirkungen in den nächsten Jahren ablenken.
Herr Bundesfinanzminister, Sie können nämlich auch mit noch so vielen kunstvollen statistischen Verrenkungen in Ihren amtlichen Mitteilungsblättern dem Durchschnittsbürger im nächsten Jahr nicht mehr vernebeln, daß Sie ihn mit dem Steuersenkungsgesetz 1986/88 getäuscht haben. Die extremen Entlastungsunterschiede, die unsoziale Wirkung der Kinderfreibeträge können auch nicht mit dem Hinweis auf die sogenannte Steuerprogression gerechtfertigt werden, wie Sie das in Ihren Debattenbeiträgen immer wieder versuchen. Denn die Spitzenverdiener erhalten durch das Steuersenkungsgesetz eine bis zu 50mal höhere Entlastung als die Normalverdiener, obwohl ihre derzeitige Steuerbelastung nur 18mal so hoch ist. Das hat überhaupt nichts mehr mit gerechter Steuerpolitik zu tun. Ich will dem Gipfel morgen abend im Kanzlerbungalow nicht vorgreifen. Aber ich kann Ihnen prophezeien: Mit dieser ungerechten Steuerentlastungspolitik werden Sie dort beim DGB mit Recht auf kein Verständnis stoßen, auch nicht wirtschaftspolitisch.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11363
Dr. SpöriDenn genau diese extreme verteilungspolitische Schlagseite wird den Nachfrage- und den Beschäftigungseffekt dieser Tarifkorrektur höchst bescheiden ausfallen lassen, ganz im Gegensatz zu Ihren euphorischen Ausführungen von heute morgen.Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion bei der abschließenden Lesung des Steuersenkungsgesetzes konkrete Anträge eingebracht und gezeigt, wie eine verteilungsgerechtere und wirtschaftspolitisch effektivere Tarifentlastung aussehen könnte, mit den Elementen größerer Grundfreibetrag, Verlängerung der Proportionalzone — womit eine Million Arbeitnehmer aus der progressiven Belastungszone herauszuholen wären — und mit einer stärkeren Abflachung im unteren Progressionseinstieg, Herr Bundesfinanzminister, da, wo heute die Facharbeiter sehr stark progressiv belastet werden.Ich glaube, Sie werden es in der Diskussion der nächsten Monate noch bereuen, daß Sie unsere Vorschläge zur Alternative so vorschnell vom Tisch gewischt haben. Herr Bundesfinanzminister, vielleicht werden Sie morgen abend bei diesem Gipfel mit den Sozialpartnern auch einmal Gelegenheit haben, darüber aufzuklären, was inzwischen eigentlich aus den verheißungsvollen Ankündigungen einer Senkung der Steuer- und Abgabenlast geworden ist. Das haben Sie heute morgen hier ja schon wieder als Zielsetzung rezitiert. Abseits aller wortreichen Lyrik, die Sie veranstalten, sehen die nüchternen Fakten der Steuerpolitik doch so aus, daß die prozentuale Lohnsteuerbelastung für den Arbeitnehmer von 16,1% im Jahr 1982 auf 17,5% im Jahr 1986
und auf 18,3% im Jahr 1988 wachsen wird, und dies trotz der „größten Steuerreform aller Zeiten".
Herr Stoltenberg, Sie sind damit der Bundesfinanzminister, unter dem die Steuerbelastung der Arbeitnehmer ein einmaliges Rekordniveau erreicht hat. Da sind Sie einsamer Rekordhalter.
Ich muß Ihnen eines sagen. Man erinnert sich ja an Ihre Debattenbeiträge als schleswig-holsteinischer Ministerpräsident. Sie haben in der Zeit der sozialliberalen Koalition keine Agitationschance gegen die damalige Bundesregierung wegen der damaligen Steuerbelastung der Bürger ausgelassen, die damals niedriger als heute gewesen ist.Es ist ein grundlegender Fehler der Steuerpolitik dieser Bundesregierung, daß sie den Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit und damit die Nachfragewirkung steuerpolitischer Maßnahmen als zweitrangig betrachtet oder überhaupt nicht berücksichtigt.Diesen Systemfehler, Herr Stoltenberg, können Sie nicht dadurch wettmachen, daß Sie die sogenannten steuerlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen ständig verbessern. Sie haben seit der Wende die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Unternehmensbereich im Umfang von ca. 7,5 Milliarden DM jährlich entlastet.
Das sind Steuergeschenke an die Unternehmen im Umfang von 17 Milliarden DM seit 1982.Parallel zu dieser Politik ist im gleichen Zeitraum jedoch die Arbeitslosigkeit — und dieser Indikator ist entscheidend — auf das höchste Niveau seit der Währungsreform gestiegen. Im ersten Halbjahr ist die Zahl der Pleiten auf Rekordniveau noch einmal um 12,6 % gewachsen — mit arbeitsplatzvernichtenden Effekten. Herr Bundesfinanzminister, damit ist Ihre ideologische Konzeption, der Arbeitsmarkt könne nur durch eine Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen entlastet werden, vor diesem statistischen Hintergrund kläglich gescheitert.Trotzdem treiben Sie das Spiel beschäftigungspolitisch wirkungsloser Steuergeschenke immer weiter. Ein Paradebeispiel für beschäftigungspolitisch wirkungslose Steuerpolitik ist die von Ihnen heute morgen gepriesene Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude.Ich muß noch einmal auf die Diskussion zwischen Ihnen und meinem Kollegen Apel zurückkommen. Unsere These ist, daß Sie durch diese Abschreibungsverbesserungen nur Mitnahmeeffekte, aber keine zusätzlichen Investitionen in Betriebsgebäude auslösen werden.
Wenn Sie sich, Herr Bundesfinanzminister, zitatenmäßig immer wieder des Sachverstands der Bundesbank bedienen, darf ich Ihnen den Vizepräsidenten der Bundesbank, Schlesinger, aus einer Anhörung des Deutschen Bundestags zur Stärkung und Verstetigung der Bautätigkeit am 26. Juni 1985 zitieren. Da hat er zu dieser Abschreibungsverbesserung gesagt — ich zitiere wörtlich —:Die Tatsache, daß der Bauteil dieser Investitionen in der Abschreibung besser behandelt wird, dürfte wahrscheinlich keinen besonderen zusätzlichen Anreiz bringen; oder anders gesagt: Die Mitnahmeeffekte sind nicht unbeträchtlich.Das spricht für sich selbst. So äußert sich die Bundesbank zu Ihrer Maßnahme.Die Kehrseite dieser Operation sind jedoch erhebliche Steuerausfälle, vor allem für die Kommunen, die annähernd 1,5 Milliarden DM zusätzlich an Steuerausfällen zu verkraften haben.Die Absicht der Bundesregierung — die eigentlich löblich ist —, durch Aufstockung der Städtebauförderungsmittel den Gemeinden zusätzliche Mittel zufließen zu lassen, wird damit auf der anderen Seite widersinnig konterkariert.
Mit dieser Abschreibungsverbesserung werden Siekeinen Arbeitslosen von der Straße holen. Noch viel
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11364 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. Spöriweniger wird dies der FDP durch ihr ständiges Gerede von der Abschaffung der Gewerbesteuer gelingen.
— Gleich, gleich, Herr Riedl. — Fragen Sie einmal Herrn Wallmann, den Präsidenten des Hessischen Städtetages, was das für eine Verunsicherung in die Investitionspolitik der Gemeinden hineinträgt.
— Herr Riedl, sofort. Wir sind Sportsfreunde, Sie kommen sofort dran. — Nicht Verunsicherung der Gemeinden in ihrer Finanzausstattung, sondern Verbesserung und Verstetigung der kommunalen Finanzen sollten das Gebot der Stunde sein.
Die SPD hat hierzu im Bereich der Gewerbesteuer konkrete Änderungen vorgeschlagen; wir hoffen auf Ihre Unterstützung.
Also, dank der guten Beziehungen zum Redner, Herr Abgeordneter Riedl, haben Sie jetzt die Möglichkeit einer Zwischenfrage.
Herr Präsident, ich habe auch eine sehr freundliche Frage zu stellen. — Herr Kollege Spöri, wären Sie bereit, beispielsweise den Ihrer Partei angehörenden Münchener Oberbürgermeister Georg Kronawitter zu fragen,
der sich bei mir in einem Brief ausdrücklich dafür bedankt hat, daß die Bundesregierung den Städten und damit insbesondere auch der bayerischen Landeshauptstadt viele Millionen D-Mark Steuergelder für die Stadterneuerung zur Verfügung gestellt hat?
Das mag ja sein, lieber Kollege Riedl. Aber als er diesen unglücklichen Brief geschrieben hat,
hat er noch nicht gewußt, wie Sie den Gemeinden auf der anderen Seite durch Abschreibungsverbesserungen wieder das Geld aus der Tasche ziehen; so ist das.
Also, Herr Riedl, hin und her, wir machen nachher ein Privatissimum. Dieser Abschreibungsflop bringt keine zusätzlichen gewerblichen Investitionen. Er schwächt die zentrale Schwachstelle der konjunkturellen Entwicklung, nämlich die rückläufigen Investitionen, weiter. Meine Damen und Herren, die öffentlichen Investitionen, die in allen öffentlichen Haushalten zurückgehen, sind — neben dem privaten Konsum — sicherlich die Achilles-ferse der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Steuerpolitik, Herr Bundesfinanzminister, die darauf vor allem in den Gemeinden keine Rücksicht nimmt, kann keinen positiven Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit leisten.
Genau daran krankt auch der heutige Wettlauf der Koalitionäre mit immer neuen steuerpolitischen Versprechungen für die nächste Legislaturperiode; wir haben das heute morgen hier ja auch erlebt. Angesichts der großen haushaltspolitischen Risiken, meine Damen und Herren, kann heute seriöserweise niemand den investitionspolitisch verantwortbaren Spielraum für steuerpolitische Entlastungsmaßnahmen in der nächsten Legislaturperiode beziffern. Dennoch hat sich die FDP — Herr Stoltenberg, Sie haben in Ihrer Rede heute in der Grundrichtung zugestimmt — schon jetzt auf einen Warenhauskatalog an steuerpolitischen Versprechungen festgelegt, der, Herr Gattermann, nicht 45 Milliarden DM, sondern mindestens das Doppelte kosten würde. Wenn man diese Versprechungen nach der Bundestagswahl 1987 verwirklichen wollte, würde sich der ohnehin rückläufige Trend der öffentlichen Investitionsquoten drastisch verschärfen — mit beschäftigungspolitisch verheerenden Folgen. Der auch von Ihnen in der Koalition sicherlich sehr geschätzte Walter Kannengießer schreibt zur steuerpolitischen Zukunftsmusik der FDP und der Union am 16. Juli in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — ich zitiere —:Nun ist es sicherlich richtig, daß Steuerpolitik mit Perspektive gestaltet werden muß. Aber es ist unsinnig, schon heute Termine, Steuersätze und Entlastungsbeträge zu nennen.Das sollten sich insbesondere die „Gattermänner" in der Koalition hinter die Ohren schreiben, auch wenn sie jetzt aus dem Saal fliehen.
Meine Damen und Herren, ich darf dieser Einschätzung für meine Fraktion hinzufügen: Wir haben nicht die Absicht, uns im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl in die Schönheitskonkurrenz von FDP und Union um unerfüllbare Wahlversprechungen einzureihen.
Für die SPD haben die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der dazu erforderliche Investitionsspielraum der öffentlichen Haushalte bei der Abwägung mit weiteren steuerpolitischen Entlastungsschritten eindeutig Vorrang.
Der Bürger hat hier eine ehrliche Aussage verdient, und die bekommt er von uns vor der Wahl und nicht nach der Wahl. Wir werden uns also nicht an dem Ringelpiez der Koalitionäre beteiligen, mit dem jetzt Wahlspeck für die Bundestagswahl 1987 ausgelegt werden soll.Eines muß man der FDP aber lassen, wenn man die Sommermonate betrachtet: Wenn man die Steuerpolitik mit Werbegags verwechselt, war das schonDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11365Dr. Spöriganz gekonnt, wie die FDP in der Sommerpause die Union in der Koalitionskonkurrenz um das Ankündigungsfähnchen der radikalsten Steuersenkungspartei aufs Kreuz gelegt hat. Es war übrigens überraschend, wie schnell sich der sonst um seinen Konsolidierungserfolg sehr bemühte Bundesfinanzminister auch von seinem Urlaubsort aus in einen Wettlauf unseriöser Versprechungen treiben ließ und mit der FDP darin gewetteifert hat, steuerpolitisch ungedeckte Wechsel für die Zukunft auszustellen.Herr Stoltenberg und Herr Weng von der FDP, kommen Sie uns bei der Finanzierungsfrage im Zusammenhang mit diesen voluminösen steuerpolitischen Versprechungen für die nächste Legislaturperiode nicht mit Ihrer Standardarie vom Subventionsabbau, der angeblich diese Versprechungen mit dem Konsolidierungsziel, das Sie immer vorgeben, vereinbar machen soll. Ich frage insbesondere einmal unsere Subventionshelden, die von der FDP hier sitzen: Welche Geringschätzung der politischen Urteilsfähigkeit des Bürgers, Herr Gattermann, steckt eigentlich in Ihren vollmundigen Steuerversprechungen, wenn Sie sich weigern, dem Bürger auch nur einen präzisen Hinweis über die beabsichtigten Lasten aus dem Subventionsabbau zu machen? Subventionsabbau ist ja schließlich nicht das Streichen imaginärer Ziffern im luftleeren Raum, sondern der Verlust konkreter, handfester Besitzstände einzelner sozialer Gruppen. Wer das wirklich und ehrlich will, der muß dem Bürger darüber reinen Wein einschenken, und zwar vor der Wahl und nicht nach der Wahl.
„Die Zeit" hat hierzu am 9. August 1985 zutreffend zum neuesten Steuersenkungsgag geschrieben — ich zitiere —:Wer Steuern senken will, muß auch detaillierte Vorschläge zu Ausgabenkürzungen machen. Sonst verkauft er eine Mogelpackung.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Genau das machen Sie, Herr Weng.Die SPD wäre grundsätzlich bereit, ein sozial ausgewogenes Konzept zum Subventionsabbau mitzutragen, mit dem das Steuerrecht einfacher, transparenter und gerechter wird. Ich erinnere an dieser Stätte ständiger Lippenbekenntnisse der Union zum Subventionsabbau daran, daß die SPD-geführte Bundesregierung allein in den Jahren 1981 und 1982 jährlich 8 Milliarden DM Subventionen und Prämien abgebaut hat. Wir haben nicht nur Sprüche beim Subventionsabbau geklopft, wir haben gehandelt. Daran sollten Sie sich einmal ein Beispiel nehmen.
Nach 1982 kam dann die Koalition der hochtrabenden Ankündigungen beim Subventionsabbau und hat immer neue Steuervergünstigungen beschlossen. Allein im Unternehmensbereich gibt es inzwischen eine Liste von acht, neun Steuervergünstigungen.
Kein Wunder, daß allein die Steuervergünstigungen unter den Subventionen — das hören Sie nicht gern — von 29 Milliarden DM, Herr Wartenberg, im Jahr 1982 auf 40 Milliarden DM in diesem Jahr anwachsen.Ich muß noch einmal auf einen Punkt zurückkommen, den Herr Stoltenberg in seiner Replik auf Hans Apel angesprochen hat. Hans Apel hat nach statistischen Manipulationen gefragt, und sie haben hierzu eine wirklich ausflüchtende Antwort gegeben.
Uns liegt ein Referentenentwurf der Bundesregierung zum neuesten Subventionsbericht vor, der auch der Presse zugänglich ist. Danach ist es so, daß die erhöhte Vorsteuerpauschale für Landwirte nicht als Subvention ausgewiesen werden soll — auf Betreiben Ihres Hauses, Herr Bundesfinanzminister.
Wenn dies so ist, dann wäre dies ein ganz plumper statistischer Trick. Ich frage Sie: Wie kann ein so seriöser Herr wie Sie, Herr Stoltenberg, nur so primitiv die Statistik fälschen?
Die SPD wird sich also nicht an einem bunten Potpourri steuerpolitischer Versprechungen nach dem Motto „Wie es euch gefällt" beteiligen. An Perspektive aber ist notwendig, daß man sich Gedanken darüber macht, in welche Grundrichtung unser Steuersystem verändert werden muß, ohne sich langfristig auf quantifizierte und präzis terminierte Versprechungen für die nächste Legislaturperiode einzulassen.Herr Kollege von Wartenberg, wenn man sich Gedanken über den Einkommensteuertarif der Zukunft macht, dem wir uns in Teilschritten nähern sollten, dann ist der von Ihnen vorgeschlagene linear-progressive Tarif für uns noch lange nicht das Optimum eines leistungsfreundlichen Tarifs. Der untere Bereich der Progressionszone, also dort, wo die Facharbeiter und die Meister und die Ingenieure und die Durchschnittsangestellten sitzen, kann nämlich bei gleicher Entlastungsmasse weit stärker als bei Ihrem linearen Tarif abgeflacht werden. Das wäre eigentlich notwendig, denn hier werden bisher die Einkommen, Herr Wartenberg, aus persönlicher Arbeitsleistung mit der größten Progression belastet. Hier sitzen die wahren Leistungsträger unserer Volkswirtschaft; sie befinden sich im unteren Bereich der Progressionszone und nicht im obersten Bereich, wie uns das die FDP immer vorgaukeln will.
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11366 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. SpöriWer über so hohe Einkommen verfügt, daß er im oberen Progressionsbereich sitzt, der erzielt sie zumeist aus Kapitalanlagen und nicht aus einer vorrangig persönlichen Arbeitsleistung. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, wenn wir einen wirklich leistungsgerechten Tarif in der Zukunft wollen.Meine Damen und Herren, ich schließe. Lassen Sie uns um die beste Lösung auf diesem Gebiet konstruktiv und seriös ringen und den Jahrmarkt unerfüllbarer Versprechungen in der Steuerpolitik endlich einstellen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Spilker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ablauf und Inhalt der Debatte am heutigen Vormittag nach der umfassenden und hervorragenden Rede des Bundesfinanzministers zeigen,
daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, aus Ihrer Vergangenheit noch nichts oder zumindest nicht viel gelernt haben.
Damit meine ich nicht die Kritik, die wir hier in diesem Hause von der Opposition erwarten müssen, sondern die Art und Weise, wie sie hier vorgetragen wird. Wir sollten nicht Ihre Strategie der Panikmache aus den Wahlversammlungen in dieses Haus übertragen. Meine Damen und Herren, das sollte ein gemeinsames Anliegen sein.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien von CDU/CSU und FDP haben von Anfang an keine Zweifel daran gelassen, daß die zahlreichen Fehlentwicklungen einer die Wirtschaftskraft unseres Landes überfordernden Finanz- und Sozialpolitik der früheren — nämlich der SPD-geführten — Bundesregierung nicht in kurzer Zeit zu beseitigen sind. Es war jedem klar, und es hat sich auch bestätigt, daß nur solidarisches Zusammenwirken und Handeln aller am Wirtschaftsleben Beteiligten den Weg zur wirtschaftlichen und finanziellen Besserung ermöglichen.
— Aller Beteiligten, sagte ich.Der unübersehbare wirtschaftliche Aufschwung seit Ende 1982 ist nicht von selbst gekommen. Er wurde auch nicht importiert, um einmal auf Bemerkungen früherer Jahre zurückzukommen. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Mir geht es hier um die Darstellung der Auswirkungen einer soliden, einer vernünftigen und damit angemessenenWirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung.
Die Koalitionsparteien mußten nach Übernahme der Verantwortung, wie im übrigen vorher angekündigt — das war nicht immer so — den Bürgern leider auch Opfer abverlangen, zugegeben: auch manch harte Opfer.
Haushaltskonsolidierung ist nun einmal nicht populär und schon gar nicht Selbstzweck; aber sie war unabdingbare Voraussetzung für mehr wirtschaftliche Dynamik, die allein gewährleistet, daß die Bundesrepublik ihren Platz unter den führenden Industrienationen behaupten kann. Aber sie war auch notwendig, um andere Entwicklungen in unserer Gesellschaft einzuleiten oder zu ermöglichen.
— Ich komme noch darauf; Sie können ganz beruhigt sein.Die Erfolge der stabilitäts- und wachstumsorientierten Politik seit Herbst 1982 liegen auf der Hand, meine Damen und Herren, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. Vielleicht sollten Sie sich etwas mehr oder eingehender mit den Verlautbarungen der Bundesbank, des Sachverständigenrates oder der Wirtschaftsforschungsinstitute bef assen. Die Herren in Frankfurt — damit meine ich die Bundesbank —,
Herr Kollege Apel, sind keine „Berufsoptimisten", wie Sie sagten. Wären sie das, hätten sie auch so geredet, als Sie noch in der Regierung waren, und das haben sie gewiß nicht getan.
— Ihren Beifall brauche ich nicht, Sie können also beruhigt Ihren Kaffee trinken.Die Fakten: Die Inflationsrate ist seit Antritt dieser Bundesregierung auf ein Niveau zurückgegangen, das wir letztmals zu Ludwig Erhards Zeiten hatten. Herr Apel, das war nicht so zu Ihrer Zeit; das wäre ein Irrtum. Mit etwas über 2 % Preissteigerung sind wir international wieder Spitze.
— Wollen Sie das bestreiten?Hohe Inflationsraten waren das Markenzeichen, das wir vor wenigen Jahren, nämlich 1981 und 1982, noch hatten. Die seither erzielten beträchtlichen Stabilitätsfortschritte sind im Ergebnis soziale Politik für alle, Herr Spöri. Weniger Inflation bedeutet für Arbeitnehmer, für Selbständige, für Rentner, für Alte und Junge, für Frauen und Männer, aber auch für Sparer
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11367
Spilkermehr Kaufkraft und weniger Substanzverlust; darauf legen wir auch wert.
Erstmals seit Jahren — Sie hören das nicht gern — ist die Kaufkraft wieder gestiegen. Woher kommt denn das? Von 1983 bis 1985 haben wir einen realen Anstieg der Löhne und Gehälter von etwa 2 %,
während sie in den Jahren 1981/82 um 2% zurückgegangen sind.
— Ich habe „realer Anstieg" und nichts anderes gesagt.
Im übrigen bietet das wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes gerade in diesen Tagen den aktuellsten Beitrag zu dieser Frage. „Die Arbeitnehmer können in diesem Jahre", so heißt es — ich zitiere — „wieder damit rechnen, daß die Löhne und Gehälter etwas stärker steigen als die Preise".
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Bitte.
Ich mache aber darauf aufmerksam, daß wir das ein bißchen eingrenzen wollen;
denn es ist Ihre Absicht, mich hier zu stören, meine Redezeit zu verkürzen, und da finden Sie in mir einen schlechten Partner.
Meine Absicht, Herr Kollege, ist, von Ihrem Wissen zu partizipieren. Können Sie mir die Belegstelle nennen, aus der sich zweifelsfrei ergibt, daß die Realeinkommen in den letzten Jahren gestiegen sind?
Die habe ich Ihnen gerade genannt. Ich habe nämlich das wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Institut der Gewerkschaften genannt, das bei der Ausgangslage von 2,5 bis 3% Preissteigerungsrate diese Zahlen erarbeitet hat. Sie sind in den letzten Tagen veröffentlicht worden. Ersparen Sie es mir, sie hier vorzulegen. Sie können das selber lesen. Im übrigen hat es bei Ihnen höhere Realeinkommen nicht einmal bei den hohen oder höheren Lohnabschlüssen am Anfang dieses Jahrzehnts gegeben; das wissen Sie doch selbst.Die Voraussetzung für den Abbau der Preissteigerungsrate in so kurzer Zeit bis auf wenig über 2% geschaffen zu haben, meine Damen und Herren, ist nach meiner festen Überzeugung ein viel zu wenig beachteter Erfolg dieser Bundesregierung mit ihrem Finanzminister Gerhard Stoltenberg.
Wenigstens das sollten Sie anerkennen, so meine ich, wenn Sie sich einen Rest an Glaubwürdigkeit erhalten wollen.Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung wurde durch die geringere staatliche Inanspruchnahme der Kreditmärkte und durch andere Entwicklungen eine deutliche Absenkung der Zinsen möglich. So ist der Kapitalmarktzins in den letzten Jahren von über 10 % im Jahresdurchschnitt 1981 auf gegenwärtig 6/6,5 % zurückgegangen. Heute gehört unser Zinsniveau zu den niedrigsten in der Welt. Die Absenkung der Leitzinsen durch die Bundesbank in jüngster Zeit und die prompte Reaktion von Banken und Sparkassen hierauf bedeuten weiter sinkende Zinsen.
Ich darf aber auch einmal auf die Abkoppelung von dem hohen internationalen Zinsniveau hinweisen, und zwar deshalb, weil hierin das wiedergeschaffene internationale Vertrauen in die deutsche Politik zum Ausdruck kommt.
— Ich überlasse es Ihrem Geschmack, Ihren Zwischenruf selbst zu bewerten.
Weil ich eben die Deutsche Bundesbank erwähnte, die an dieser Entwicklung einen maßgeblichen Anteil hat, möchte ich hier auch einmal die gute Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und der Bundesbank betonen.Eine andere Bemerkung. Nach dem Wachstumsrückgang in den Jahren 1981 und 1982 ist wieder ein Ansteigen des Sozialprodukts festzustellen. — Übrigens war erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik in zwei aufeinanderfolgenden Jahren ein Wachstumsrückgang zu verzeichnen. — Von 1983 bis 1985 hatten wir dann ein reales Wirtschaftswachstum von beinahe 7 %.Die wirtschaftlichen Sachverständigen attestieren uns, daß sich diese Tendenz auch nach 1986 fortsetzen wird. Wir schreiben dann — Herr Apel war so freundlich, dies zu erwähnen — das vierte Jahr. Diesen vier aufeinanderfolgenden Jahren mit Wirtschaftswachstum werden weitere Jahre — davon bin ich überzeugt — folgen.
Daß die SPD trotz der von ihr geschaffenen und von ihr zu verantwortenden Ausgangslage mit Wachstumsrückgang heute von „Wachstumsschwäche" spricht, ist mir wirklich unverständlich. Stellen Sie sich einmal vor, meine Damen und Herren von der SPD, Ihre Politik wäre fortgesetzt worden.
Jeder kann sich unschwer vorstellen, wie die Lageauf dem Arbeitsmarkt aussähe, wenn es bei dem
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11368 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
SpilkerRückgang oder auch nur bei einer Stagnation geblieben wäre.
Ich glaube, das sollte man hier nicht vergessen.
Natürlich sind wir bemüht, die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum und damit für Investitionen, nicht für Mitnahmeeffekte, zu verbessern. Herr Spöri, ich weiß nicht, ob Sie wissen, wovon Sie reden. Sie sind sonst ein kluger Mann,
aber von diesen betriebswirtschaftlichen Folgen verstehen Sie, glaube ich, relativ wenig.
Meine Damen und Herren, die bisher erzielten Erfolge dieser Politik können sich wirklich sehen lassen. Daran ändern Äußerungen von Herrn Apel und Herrn Spöri nichts.
Die Leistungsbilanz der Bundesrepublik hat sich wieder zum Positiven gewandt. Das wollen Sie vielleicht auch nicht hören. Das hängt natürlich nicht nur mit dem Dollar zusammen. Das hängt vielmehr mit dem Fleiß unserer Arbeiter und unserer Angestellten und mit der Klugheit unserer Unternehmer zusammen.
— Lassen Sie doch diesen Bundeskanzler hier außer Betracht. Diese CDU/CSU-Fraktion, das müssen Sie sich einmal merken, steht — das gilt auch für die Parteien, die dahinterstehen — zu diesem Kanzler ohne Wenn und Aber.
— Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich möchte mich bezüglich dieser Frage gern mit Vertretern der traditionellen Parteien unterhalten. Sie haben dazu, ehrlich gesagt, nicht die Legitimation.
Nachdem wir 1980 noch fast 29 Milliarden DM Defizit in der Leistungsbilanz hatten — 1981 waren es 13 Milliarden DM —, konnte 1983 ein Überschuß von 10 Milliarden DM und 1984 ein Überschuß von fast 18 Milliarden DM erwirtschaftet werden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die fallende Tendenz der Leistungsbilanz hier debattiertwurde und welcher Schrecken hier umherging, auch bei dem damaligen Bundeskanzler;
aber den haben Sie ja in die Wüste geschickt.
Dies möchte ich vor allem auch einmal unter mittelfristigen Aspekten betonen, denn diese erfreuliche Entwicklung zeigt die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft — dafür müssen wir noch viel mehr tun —, und die hohe Qualität ihrer Produkte; kurzum, es unterstreicht das Markenzeichen „Made in Germany".Bisher sprach ich von unseren Erfolgen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik; ich bin mir aber im klaren darüber, daß diese Bereiche eine sehr starke soziale Komponente haben. Eine falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik muß verheerende Folgen für die Sozialpolitik haben. Darum ist eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik Voraussetzung für die Finanzierbarkeit einer guten Sozialpolitik,
und die gehört, meine Damen und Herren, untrennbar zur sozialen Marktwirtschaft, die Sie freundlicherweise nicht für sich in Anspruch nehmen sollten.
— Warten Sie ab, Herr Ehrenberg! Ich weiß, Sie sind immer schnell bei der Sache,
aber finis coronat opus; ich komme noch darauf zurück.Eine andere erfreuliche Entwicklung möchte ich in diesem Zusammenhang ansprechen: Die Gefahr der Nichtfinanzierbarkeit des sozialen Netzes — denn Sie waren mit Ihrer Frage ja wohl bei der Sozialpolitik — ist gebannt. Die Rentenfinanzierung hat durch Entscheidungen dieser Koalition — nicht durch Entscheidungen aus Ihrer Zeit — mittelfristig wieder eine solide Grundlage erhalten.
Herr Ehrenberg, unsere Sozialpolitik wird der nächsten Generation keine ungedeckten Schecks präsentieren! Das dürfen Sie glauben!
Jede andere Politik, die auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft keine Rücksicht nimmt, ist — da sollten Sie einmal zuhören — zum Scheitern verurteilt. Das sind doch die bitteren Erfahrungen Ihrer Sozialpolitik, die nach dem Motto verfuhr: Heute ausgeben, morgen belasten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11369
SpilkerDie Zukunft hat das zu zahlen, was Sie an Fehlentwicklungen ermöglicht haben; aber das kann doch nicht der Sinn unserer Politik sein.
Dieselbe SPD, die mit ihrer Politik auf der ganzen Linie gescheitert ist, zieht heute durch die Lande und polemisiert gegen die Bundesregierung, in erster Linie natürlich gegen den Bundeskanzler, und die sie tragenden Parteien. Meine Damen und Herren, es entspricht Ihrer Strategie der Panikmache, wenn ausgerechnet Sie uns soziale Demontage, Umverteilung von unten nach oben, neue Armut und anderes vorwerfen.
Mein Freund Spöri sprach vorhin über Perspektiven in den 90er Jahren. Das tun Sie vielleicht gern. Ich rede hin und wieder auch einmal über unsere Vergangenheit, weil eigentlich wir alle gewillt sein sollten, aus den Fehlern der Vergangenheit etwas zu lernen.
Meine Damen und Herren, wer war es denn, der über hohe Zinsen, über hohe Inflation und über hohe Steuern dem kleinen Mann das Geld aus der Tasche gezogen hat? Das waren doch nicht wir!
Wer hat denn vor der Bundestagswahl 1980 das Kindergeld erhöht, um es nach der Wahl wieder zu kürzen?
Wer hat denn das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche gestrichen? Das waren doch wohl auch Sie. Wer hat denn regiert, als die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 1,5 Millionen im Jahre 1970 auf 2,3 Millionen im Jahre 1982 gestiegen ist?
Wer trug denn die Verantwortung? Herr Vogel hat hier gestern eine lange Rede darüber gehalten. Wer trug denn die Verantwortung, als die Arbeitslosigkeit — besonders in den letzten Jahren Ihrer Regierungsverantwortung — sprunghaft gestiegen ist? Denken Sie doch einmal an die Prozentsätze: 43% 1981, 44% 1982. Da waren 100 000 Arbeitslose 1969 und 2 Millionen im November 1982. Dabei bin ich noch so anständig, die Kurzarbeiter hier zu unterschlagen; sonst sähe die Zahl, die ich genannt habe, ganz anders aus.
— Das ist nicht unredlich, es ist die Realität, was ich gesagt habe. Es ist die Wahrheit.
Sie dürfen nicht glauben, daß Sie mit Ihrer Politikder Panikmache, der Brunnenvergiftung, mit alldiesen Unterstellungen und Verleumdungen durchdie Lande ziehen können, und wir schweigend dastehen und zuhören. Wo kommen wir denn da hin?
Wir haben doch eine parlamentarische Demokratie, wir sind ein Parteienstaat. Sie glauben doch wohl nicht, daß die einen dafür da sind, auszuteilen, und die anderen, still zuzuhören und sich nicht zu wehren.
— Sie können lamentieren, wie Sie wollen. Ich halte mich jetzt an das, was ich mir vorgenommen habe. Ich habe mir schließlich heute früh auch einiges anhören müssen.
Das ging so weit, Herr Apel, daß Sie meinem Freund Walter Wallmann unterstellt haben, er habe von Steuergeschenken an die Wirtschaft gesprochen. Lieber Herr Kollege Apel, wir kennen uns, und ich schätze Sie.
— Das weiß er ebenso wie Hans-Jürgen Wischnewski, mein alter Duzfreund, das dürfen Sie glauben.
Wagen Sie sich nicht so weit aus dem Fenster, sonst erzähle ich Ihnen etwas anderes.Ich war bei Walter Wallmann. Er ist viel zu klug, einen solchen Unfug zu erzählen. Sie reden von Steuergeschenken an die Wirtschaft. Können Sie mir, lieber Herr Spöri, sagen: Wer soll eigentlich Arbeitslose einstellen, wer soll eigentlich Jugendliche aufnehmen, wenn das nicht im Unternehmensbereich geschieht?
Herr Abgeordneter, das kann der Kollege Spöri von dort aus nicht beantworten. Aber er wollte Ihnen eine Frage stellen. Gestatten Sie das?
Er will mich jetzt hereinlegen.
Vizepräsident Cronenberg: Bitte schön!
Lieber Herr Kollege Spilker, ist Ihnen bekannt, daß Ihr lieber Freund Walter Wallmann, Präsident des Deutschen Städtetags, sich darüber beklagt hat, daß in der Koalition ein unheilvolles Gerede über die Abschaffung der Gewerbesteuer stattfindet und daß dies die Investitionspolitik der Kommunen sehr stark verunsichert? Ist Ihnen das bekannt?
Ich muß Ihnen ehrlich sagen, lieber Herr Spöri, Sie haben recht, wenn Sie — —
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11370 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
SpilkerSie haben recht, wenn Sie von meinem Freund Walter Wallmann sprechen. Das ist das, was ich sagen wollte.
Sie können nicht einmal abwarten. Sie haben recht, wenn Sie Walter Wallmann als meinen Freund bezeichnen. Aber eines möchte ich erwidern: Ihre Traumphilosophie von der Gewerbesteuer hat da ihre Grenzen, wo Sie den Gemeinden — was Sie nicht wollen; es fragt sich bloß, welche Rezepte Sie haben — hinsichtlich ihrer eigenen Kompetenzen das Leben unmöglich machen. Aus diesem Grunde war es bei den Maßnahmen, die wir getroffen haben, immer ein höchstes Anliegen des Bundesfinanzministers, daß die Gemeinden einen vollen Ausgleich bekommen und behalten. Darüber kann es doch keinen Zweifel geben.Über die Gewerbesteuer werden wir noch mehr nachdenken müssen. Denn wir müssen noch mehr Freiräume für den Unternehmensbereich schaffen. Mit Ihren staatlichen Programmen haben Sie z. B. die Arbeitslosigkeit verfestigt. Wir wollen ohne staatliche Programme mit Kräften, die aus der Wirtschaft selbst kommen, dieses Problem mittelfristig lösen, da es Patentrezepte für eine rasche, unmittelbare Lösung nicht gibt.
Meine Damen und Herren, hier war mit Recht von dem großen Problem der Arbeitslosigkeit die Rede, und wir sind uns alle einig, daß ihrem Abbau höchste Priorität zukommt. Das ist ein zentrales Problem, Herr Apel; ich gebe Ihnen recht. Aber ich sagte eben schon: Patentrezepte zur schnellen Verringerung hat niemand, haben Sie gewiß auch nicht. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Sollten Sie dennoch erfolgversprechende oder, sagen wir, praktikable Rezepte gehabt haben, dann frage ich Sie, warum Sie sie nicht angewandt haben.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung stellte in seinem Sondergutachten am 23. Juni 1985 zutreffend fest:Die hohe Arbeitslosigkeit ist bedrückend. Es gibt keine Therapie, die zugleich schnell, durchgreifend und dauerhaft Abhilfe schaffen könnte. Das hat seinen Grund darin, daß die gegenwärtige Arbeitslosigkeit nicht mit einer niedrigen Auslastung der Sachkapazitäten einhergeht. Sie ist in ihrem Kern nicht konjunkturbedingt.Und in der Süddeutschen Zeitung — es war am 11. Juni 1985 — schreibt Hans Barbier — ich zitiere —:Aber es ist sachlich falsch und politisch irreführend, zu glauben, mit staatlichen Mitteln allein könne irgend etwas für einen raschen Abbau der Arbeitslosigkeit getan werden.Das ist leider so.
— Ich pflege nicht mit anonymen Angaben zu arbeiten. Das liegt mir nicht.Meine Damen und Herren, wahr ist, daß Sie durch immer höhere Schulden, durch eine Fülle von Programmen in den 70er Jahren die Arbeitslosigkeit und die Kurzarbeit keineswegs beseitigt haben. Eine so fabelhafte Zahl wie die 70 000 Kurzarbeiter, die wir mit dem heutigen Tage — das ist das August-Ergebnis — erreicht haben, ist für Sie ein Fremdwort. Dies hat es seit vielen, vielen Jahren nicht gegeben. Nur, wir reden zuwenig darüber, weil Sie, meine Damen und Herren, immer wieder mit dieser gespenstischen Zahl — es ist eine schlimme Zahl — kommen: 2 Millionen Arbeitslose,
und alle anderen Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt verschweigen. — Meine Herren von den Grünen, Sie bestimmen hier nicht die Diskussion, Sie bestimmen auch nicht das Thema und schon gar nicht die Meinung, die ich hier in diese Debatte einzubringen habe.
Die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier möchte eine Zwischenfrage stellen.
Frau Kollegin, ich habe leider keine Zeit mehr; seien Sie mir nicht böse. Ich möchte mich nicht von dieser Diskussion entfernen, denn an ihr liegt mir sehr, gerade bei diesem zentralen Problem, dem ich nicht ausweichen möchte.In dieser Situation kommt ein anderer guter Bekannter, der Kollege Glotz, daher und spricht davon, daß die SPD es sich zutrauen würde, die Zahl der Arbeitslosen in einem Jahr um eine Million zu senken. Ich habe ihm das übrigens vorgestern — da hatte er noch nicht mit Wischnewski gesprochen — erklärt. Da hat er gelacht. Er hat nicht geantwortet. Das sollte er auch nicht. Wir werden dieses Gespräch sicherlich fortsetzen. Ich kenne Herrn Glotz als einen intelligenten Mann, aber hier muß ich ehrlich sagen: Ich kann ihm intellektuell überhaupt nicht mehr folgen.Ich sage hier das, was war, und das nach einem Jahrzehnt. Meine Damen und Herren, das haben Sie politisch zu verantworten, Sie, die doch die Arbeitslosigkeit — so muß ich schon sagen — am Fließband produziert haben.
Massenarbeitslosigkeit, Wachstumsschwäche, hohe Schulden — hohe Zinsen und keine Perspektiven, das waren ganz schlimme Kennzeichen der Endphase Ihrer Regierungszeit. Haben Sie das vergessen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11371
SpilkerIch frage Sie noch einmal: Wo haben Sie in diesem Bereich praktikable Alternativen?
In welchen von Ihnen regierten Ländern — das ist doch auch eine Frage, die Sie einmal durch einen Redner beantworten lassen können — haben Sie denn diese Erfahrungen, Rezepte oder Vorschläge realisiert? Ich kann diese Frage selber nicht beantworten.Was Sie wollen, ist dies: Sie wollen das Geld anderer Leute ausgeben und wissen dabei ganz genau, daß die Konsolidierungspolitik notwendig ist. Aber Sie reden nicht davon. Warum nicht? Weil Sie damit irgendwie Mißstände der Vergangenheit berühren müßten. Denn: Wann konsolidiert man? Wenn es notwendig ist. Wann ist es notwendig? Wenn man zuviel Schulden hat. Und wer hat die Schulden gemacht?! — Aus diesem Kreislauf, meine Damen und Herren, kommen Sie nicht heraus.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit deutlich überschritten ist.
Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen einen Blick in andere Industriestaaten, in denen Wachstums- und Konsolidierungspolitik immer mehr an Boden gewinnt.
In der Tat hat die SPD auch in der Gesellschaftspolitik wenig zu bieten. Im Gegenteil, sie entwickelt — ich darf an die Ausführungen von Herrn Apel von heute früh erinnern — ein Sammelsurium unterschiedlicher Vorstellungen und wirft alles in einen Topf und glaubt, daß Umrühren schon Erfolg bedeutet. Was kommt dabei heraus? Nichts Gutes, leere Worthülsen, mit denen die Bürger eigentlich gar nichts anfangen können; denn die haben ein Gespür dafür, daß das mehr Schulden, mehr Abgaben, mehr Steuern bedeutet, ein Gespür dafür, daß das wahrscheinlich oder sogar mit Sicherheit die Abkehr vom Kurs der Marktwirtschaft bedeutet.
Ich habe noch einiges mehr zu sagen. Aber ich halte mich selbstverständlich, Herr Präsident — —
Herr Abgeordneter, Ihre Fraktion hat einige Minuten nachgemeldet. Sie haben noch vier Minuten Zeit.
Das reicht nicht einmal für einen 2 000-m-Läufer, aber das war ich auch nicht.
— Die Schreierei stört mich j a nicht, höchstens die Worte, die dabei teilweise gewählt werden. Ich weiß nicht, ob diese mit den Gepflogenheiten dieses Hauses so vereinbar sind. Ich glaube, es gibt andere Formulierungen, die man hier in der Debatte verwenden sollte.
Aber das ist eine Frage des Stils, eine Frage, die letztlich Sie selber beantworten sollten.Was die Konsolidierung betrifft, so haben Sie, meine Damen und Herren, nicht einmal Ihrem Freund Wischnewski erlaubt, die Parteifinanzen in Ordnung zu bringen. Sie haben zu diesem Wort offensichtlich ein völlig gestörtes Verhältnis.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas über die erfreuliche Entwicklung der Zahl der Kurzarbeiter und der Beschäftigtenzahlen sagen. Es gibt Bewegung auf dem Arbeitsmarkt, Versuche Menschen einzustellen, Facharbeiter und andere. Ich muß sagen, daß man diese — das ist regional verschieden — leider nicht bekommt. Dies hängt auch mit dem Altersaufbau und der Ausbildung auf der einen sowie mit der Entwicklung der Technik und Technologie auf der anderen Seite zusammen. In dieser Hinsicht hat der Bundeskanzler dankenswerterweise zu einer gemeinsamen Aktion aufgerufen. Der Gipfel am Donnerstagabend — also morgen — hat ja wohl diese Frage zum Diskussionsgegenstand. Ich meine, diesem Aufruf des Bundeskanzlers, für den man sehr dankbar sein sollte, kann sich doch eigentlich niemand entziehen. Es ist doch keine Frage der Parteitaktik, wenn man sich zusammensetzt und überlegt, was man tun kann, um von dieser Seite zu ermöglichen, daß mehr Menschen Arbeit finden. Hier sind Ausbildung und Entwicklungen im technologischen Bereich, wie ich schon sagte, von Bedeutung. Mir scheint das ein Stück gesamtwirtschaftlicher, wenn nicht sogar gesamtstaatlicher Verantwortung zu sein.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen noch einmal sagen, daß Sie bei Ihrer Panikmache offensichtlich vergessen, daß Sie uns schon sehr viel prophezeit haben. Sie hatten uns einmal 3 Millionen Arbeitslose für 1985 prognostiziert.
— Das betrachte ich fast als eine Unverschämtheit.Sie haben uns einen rasanten Anstieg der Mieten prophezeit. Können Sie sich nicht an diese Diffamierungskampagne erinnern? 30 und mehr Prozent mehr! Ja, wo sind die denn? Meine Damen und Herren, dies ist so wenig eingetroffen wie andere Prophezeiungen. Sie wissen doch ganz genau, daß sich die Mieten im letzten Jahr nur ganz wenig erhöht haben und daß sie jetzt bereits im Abbröckeln begriffen sind.Da kam dann, ich glaube, der Herr Jens, bei der letzten oder vorletzten Debatte hier und prophezeite einen Wirtschaftsabschwung im Jahre 1986. Alle Institute sagen Ihnen das Gegenteil. Wollen Sie deren Kompetenz anzweifeln?
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11372 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Spilker— Herr Jens, Sie sind der bessere Demagoge, ich bestätige es Ihnen. Dafür machen wir die bessere, praktikablere Politik für alle Bürger.
Jetzt will ich zum Schluß kommen,
weil ich dem Rat des Präsidenten, der mir mit entsprechender Autorität mehr oder weniger im Rükken sitzt, folgen möchte.
Meine Damen und Herren, ich darf auf den sachlichen Teil der Äußerungen von Herrn Apel und von Herrn Spöri zurückkommen. Wir werden unsere Politik für weitere wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung, für mehr Beschäftigung und soziale Sicherheit zum Wohle aller Bürger Schritt für Schritt fortsetzen. Zaubern können wir allerdings nicht. Für uns stehen dabei — ich darf es wiederholen — Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in einem untrennbaren Zusammenhang. Das sollten alle Kritiker nicht übersehen. Trotz ihrer falschen Politik will die SPD diese erkennbaren Zusammenhänge immer noch nicht wahrhaben. Und ich muß Sie fragen, ob Sie eigentlich gelesen haben — —
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Aber bei allem Wohlwollen muß Sie der Ihnen im Rücken sitzende Präsident darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit nun wirklich überschritten ist.
Herr Präsident, ich bin fertig, nur noch fünf Zeilen: Ich darf Sie erinnern, was Ihr früherer Kollege Professor Ulrich Lohmar — der Herr Bundesfinanzminister hat ihn in einem anderen Zusammenhang zitiert — in einem Kommentar in der „Welt" am 13. August Ihnen zutreffend ins Stammbuch geschrieben hat:
Sie
— die SPD —
muß begreifen lernen, daß man nur das verteilen kann, was zunächst und zuvor geschaffen worden ist.
Solange die SPD nicht versteht, daß Wirtschaft erst einmal eine Sache der Produktivität und der Produktion und erst danach eine Sache der Verteilung ist, wird sie ökonomische Kompetenz nicht erlangen.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Rede von Herrn Spilker verstehe ich jetzt endlich, was das mit der „Würde des Hohen Hauses" heißt. Es istnatürlich etwas schwierig, jetzt zu einem ernsthaften Debattenstil zurückzufinden.
Wer so viele Freunde hat wie Sie, Herr Spilker, der kann nur Schatzmeister sein. Sonst hat man nicht so viele Freunde.
Zurück zum Thema. Herr Stoltenberg, ich darf aus Ihrem Redemanuskript zitieren. Sie haben heute morgen gesagt: Die Arbeitslosigkeit ist also nur ein Schatten auf das zunehmend aufgehellte Bild unserer Volkswirtschaft. — Das beliebten Sie heute morgen zu sagen. Arbeitslosigkeit und Arbeitslose sind also ein Schatten, der das lichte Bild, das Sie hier beschrieben haben, etwas verdüstert.
Ich halte diese Äußerung für überaus problematisch. Denn das macht sehr deutlich, daß das, was in den Schatten gedrängt wird — das haben Sie damit wohl gemeint —, auch vergessen werden soll. Sie wollen in Ihrer Rede die Arbeitslosigkeit vergessen machen.
Das haben Sie versucht. Ich glaube, das wird Ihnen nicht gelingen.Wie Sie sich heute morgen hier auch als Held der Haushaltskonsolidierung dargestellt haben, wirft ein zweites Problem auf. Sie wissen doch aus den verschiedenen Berichterstattungen und Entlarvungen in der Sommerpause, wie sich das mit der Parteienfinanzierung, auch der Parteienfinanzierung der CDU, verhält. Dort ist es für Sie überhaupt kein Problem, die Haushaltskonsolidierung zu vergessen und das steuerhinterzogene Geld zur Parteienfinanzierung anzunehmen. Da auf einmal wird nicht mehr von Haushaltskonsolidierung gesprochen. Sie sollten, Herr Stoltenberg, wenig Häme darüber verbreiten, daß der SPD der Kassierer davongelaufen ist, angesichts dessen, was an Spendenpraxis hier im Bundestag gelaufen ist und wie Einflußnahme erfolgt ist, insbesondere von seiten der Versicherungswirtschaft.
Auch das waren selbstverständlich Gelder, die nicht versteuert gewesen sind.Bei so schönen Bildern, die uns Herr Stoltenberg hier vorgeführt hat, lohnt sich ein gründlicher Blick in den Haushalt. Schon wird die Wirklichkeit von 1986 überdeutlich und übrigens sehr düster. 681 01 heißt der Haushaltstitel, hinter dem sich das Versagen der Bundesregierung und auch der Finanzpolitik von Herrn Stoltenberg verbirgt. Dieser Titel heißt schlicht „Arbeitslosenhilfen". Weil man sich bei den gesetzlichen Sozialleistungen keine blumigen Beschönigungen leisten kann, mußte dieser Haushaltstitel von 8,6 Milliarden DM auf 10 Milliar-
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Dr. Müller
den DM aufgestockt werden. All das, was Sie hier an Optimismus über Aufschwung und dergleichen verbreitet haben, Herr Stoltenberg, wird durch diesen Haushaltstitel widerlegt.
1,4 Milliarden DM mehr für die vom Bund zu zahlende Arbeitslosenhilfe, das heißt, daß die Bundesregierung für 1986 davon ausgeht, daß ca. 100 000 Familien mehr als 1985 nicht mehr Arbeitslosengeld, sondern nur noch Arbeitslosenhilfe beziehen werden. Diese Familien folgen vielen anderen auf dem Weg in die Dauerarbeitslosigkeit.
Angesichts des Schicksals dieser Familien finde ich es zynisch, von einer erfolgreichen Konsolidierungspolitik zu reden.Aber so ist es, Herr Stoltenberg: Das Sparen an der falschen Stelle kostet viel Geld, in diesem Fall 1,4 Milliarden DM, von den Belastungen der Gemeinden durch steigende Sozialhilfezahlungen ganz zu schweigen. Wenn Sie dann noch — wie in Ihrer Rede getan — die Senkung der Inflationsrate als wesentliche Sozialleistung für sich in Anspruch nehmen, möchte ich doch zu bedenken geben, daß bei einem Sozialhilfeempfänger oder bei jemand, der Arbeitslosenhilfe bezieht, das Einkommen nicht dadurch steigt, daß die Inflationsrate nicht wesentlich steigt, daß die Inflationsrate nicht mehr 3,8%, sondern nur 2,8% beträgt.Auch das ist im Grunde genommen wieder eine Politik, die bei viel, viel höheren Einkommen ansetzt. Da spielt die absolute Inflationsrate vielleicht eine Rolle.
Hinter dem Anstieg der Zahlungen für Arbeitslosenhilfe verbirgt sich das Scheitern eines ganzen politischen Konzepts. Ich bitte Sie, das Problem der Dauerarbeitslosigkeit, das wir in der Bundesrepublik, insbesondere in strukturschwachen Gebieten, haben, wirklich ernst zu nehmen. Denn hier bahnt sich doch eine Art Unterversorgung und auch Umverteilung an, die Sie betrieben haben und die wirklich bedenklich ist. Ich meine, daß damit auch ein Konzept gescheitert ist. Während die Sozialdemokratie mit dem Konzept scheiterte, mit Hilfe höherer Staatsverschuldung die Arbeitslosigkeit einzudämmen, haben Sie zum Regierungsantritt doch versprochen, daß Ihre Konsolidierungspolitik ein Konzept gegen Arbeitslosigkeit sei. Die Bedingungen für die Unternehmen sollten verbessert werden, indem Sie die Sozialleistungen kürzten. Die Tatsachen sind doch: Es haben weder die Sozialdemokratie mit Schuldenmachen noch die CDU mit Sparen überhaupt irgend etwas erreicht, was die Arbeitslosigkeit eingedämmt hätte.
Und die FDP hat bei beidem Pate gestanden: Sie hat die Verschuldungspolitik mitgemacht und sie hat die Sparpolitik mitgemacht.
Sie ist im Grund genommen der wirkliche Faktor der Kontinuität einer Politik, die in die Arbeitslosigkeit geführt hat.
Herr Stoltenberg, Sie haben meinen Kollegen Kleinert als Sektenprediger bezeichnet. Sie sind bestenfalls — bestenfalls! — ein Gesundbeter.
Man kann auch sagen: Sie haben sich hier als Wunderheiler dargestellt; oder noch besser: als der Guru der Finanzen.
Nur, auf diese Art und Weise ist meiner Ansicht nach keine Politik zu machen, um die wirklichen Probleme anzugehen, die wir in der Bundesrepublik und weit darüber hinaus im Bereich der Arbeitslosigkeit und des Umweltschutzes haben.Überhaupt war Ihre Rede, Herr Stoltenberg, voll von mißglückten Metaphern. Da sind die Finanzen plötzlich „gesund". Ein leibhaftiger Professor wird zitiert, der den Aufschwung als „durch und durch gesund" bezeichnet. Sie vermittelten hier das Bild eines Mediziners, der immer wieder die idiotische Frage an den Patienten Volkswirtschaft stellt: „Na, wie geht's uns denn?" Circa neunmal in Ihrer Rede — wenn ich richtig mitgezählt habe — wurde irgend etwas gesund oder wurde irgend etwas saniert. Als Verbraucher möchte ich dazu sagen: Wie schön, daß wenigstens die Finanzen und der Aufschwung gesund sind, während ich meine mit Salmonellen verseuchten Hähnchen, garniert mit cadmiumhaltigen Champignons, und als Beilage Kükenembryoeiernudeln mit einem Glas Glykolwein runterspüle und dabei in einer Illustrierten über AIDS lese. Wie schön: Finanzen gesund; Bürger vergiftet.
Die beiden großen Probleme unserer Zeit sind von Ihrer Sparpolitik überhaupt nicht angegangen worden. Wenn Sie den Haushalt konsolidieren wollen und trotzdem etwas verändern wollen, dann müssen Sie natürlich die Steuergelder nach qualitativen Kriterien besser gewichtet verteilen. Sonst machen Sie gar keine Politik, sondern sparen Sie eben nur.Für den Umweltschutz, für den Herr Stoltenberg in seiner Rede bestenfalls fünf Sätze übrig hatte, heißt das, daß beispielsweise in den Bereichen Forschung und Entwicklung für ökologisch verträgliche Produktionsabläufe die Investitionen verstärkt werden müssen, statt unsinnige Prestigeobjekte zu fördern. Beides kann man nicht machen. So einfach
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Dr. Müller
ist das. Denn man kann, was Sie vielleicht wissen — ich bezweifle das manchmal —, eine Mark nur einmal ausgeben. Für die Steuergesetze heißt das, daß Sie umweltfeindliche Produkte steuerlich stärker als umweltfreundliche belasten müssen. Da gibt es doch Möglichkeiten. Wir haben versucht, es Ihnen darzustellen, indem wir unseren ökologischen Nachtragshaushalt als Sofortmaßnahme vorgelegt haben.Bedenken Sie bitte: Jeden Tag fließen 30 000 t Salz, 3 t Arsen, fast 1/2 t Quecksilber und ca. 100 t Chlorverbindungen, von denen ein beträchtlicher Teil Krebs erregt, den Rhein herunter.
Selbst ausgeklügeltste Reinigungs- und Filtervorgänge vermögen es nicht mehr, Flußwasser risikolos in trinkbares Wasser zurückzuverwandeln. Und was tut die Bundesregierung in ihrem Haushalt für 1986? Sie sparen ein paar Millionen für die Wasserforschung ein. Da können Sie doch nicht herkommen und behaupten, Sie würden den Umweltschutz ernst nehmen; Sie reden eben nur darüber. Alles das, was hier an Gift und Dreck den Rhein herunterfließt, landet im Endeffekt, wie Sie als Schleswig-Holsteiner vielleicht wissen, in der Nordsee. Die Sanierung der Nordsee, so glaubwürdige Schätzungen, würde ca. 50 Milliarden DM kosten und müßte schnell gehen, wenn die Urlaubsgebiete in Ost- und Westfriesland erhalten bleiben sollen. Dieses Problem des Nordseesterbens existiert aber in Ihrem Haushaltsentwurf überhaupt nicht, das kommt überhaupt nicht vor. Das heißt: Sie betreiben noch nicht einmal für die Küste eine ökologische Vorsorgepolitik. Technischer Umweltschutz ist in diesem Bereich unbekannt; kein Haushaltstitel kümmert sich um diese Probleme.Wenn das so ist, dann sollte man, so meine ich, deutlich machen, daß hier mit diesem Haushaltsentwurf etwas ganz Schlimmes passiert: Was den Umweltschutz betrifft, so verplempern Sie Zeit, verschleudern Sie Geld für alles mögliche. Aber Zeitverlust in Sachen Umweltschutz ist hochproblematisch. Denn was heute — und da darf ich jetzt einmal diesen Begriff verwenden — innerhalb der Umwelt nicht mehr gesund ist, ist morgen endgültig verbraucht und tot.
Das heißt: Diese Art von Sparsamkeit, von Haushaltssanierung, die nicht den Mut hat, im Bundeshaushalt zugunsten von Arbeitsbeschaffung auf der einen und Umweltschutzinvestitionen auf der anderen Seite umzuschichten, steckt den Kopf gegenüber den wirklichen Problemen in den Sand und ist insofern als feige zu bezeichnen.
Das heißt: Gegenüber unserer Umwelt ist die Finanzsanierungspolitik ohne Haushaltsumschichtung schlichtweg verantwortungslos.
Allerdings sagen wir auch deutlich: Wir glauben nicht — das haben wir immer wieder betont —, daß die Umweltschutzprobleme durch stärkere Kreditaufnahme lösbar wären. Das ist nicht unsere Position, die soll man uns auch nicht unterstellen. Man kann, meine Damen und Herren von der SPD, über Umweltschutz viel reden. Aber das, worauf es uns ankommen, ernsthaft ankommen wird, was wir wollen und was wir in der nächsten Zeit verstärkt deutlich machen werden, ist, daß wir Umweltschutz auch finanzierbar machen müssen.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird notwendig sein, auf einige Dinge Antworten zu geben, die hier heute morgen in der Debatte gesagt worden sind.Herr Kollege Spöri, bevor ich mich mit Ihnen auseinandersetze, möchte ich doch noch eine Bemerkung zum Kollegen Müller machen und einige Worte zum Kollegen Apel sagen.Herr Kollege Müller, wenn Sie wieder einmal glauben, den seit vielen Jahren in diesem Hause vertretenen demokratischen Parteien unter dem Stichwort „Konsolidierung" vorwerfen zu sollen, sie würden den Konsolidierungskurs nicht ernst nehmen, etwa dann, wenn es z. B. um Wahlkampfkostenerstattung geht, dann will ich Ihnen dazu sagen, daß Sie als Newcomer die Unschuld des Embryos verlieren, wenn Sie — ungeachtet eines freien Platzes in der Ministermaschine für die Reise nach Seoul — meinen, auf Kosten des Steuerzahlers nach Sonderantrag mit Linienmaschine fliegen zu dürfen. Oder: Wenn Sie Entscheidungen über Wahlkampfkostenerstattungsbeträge so auslegen, daß Sie glauben, diese locker in Ihre Kassen holen zu können, dann ist Ihre Unschuld dahin, Herr Kollege Müller.
— Ich bitte um Nachsicht; ich werde über dieses Thema jetzt keine Debatte entfachen; denn meine Zeit ist sehr knapp. Ich wollte Ihnen das nur deutlich gesagt haben.Herr Kollege Apel, in Ihrer Rede heute morgen sind mir zwei Punkte aufgefallen, zu denen ich eine Anmerkung machen möchte. Sie haben im Zusammenhang mit den ordnungspolitischen Grundsätzen, bezogen auf die Steuerpolitik, gemeint, man müsse einmal gemeinsam ein Kolleg über Marktwirtschaft abhalten. Dann haben Sie ein Beispiel dazu angeführt, das natürlich das denkbar schlech-
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Gattermannteste ist, nämlich den Milchagrarmarkt. Sie wissen natürlich genausogut wie wir, daß wir die Marktwirtschaft in diesem Bereich mit den Römischen Verträgen, mit der Inthronisierung von Marktordnungen ganz offiziell außer Kraft gesetzt haben. Insofern ist das kein Beleg für mangelnde ordnungspolitische Grundsatztreue.Aber ich wollte das in einem anderen Zusammenhang sehen. Sie haben dann auch noch die Politik der Regierung Helmut Schmidt reklamiert, bezogen auf Preisstabilität und Beachtung ökonomischer Grundgesetze. Ich will jetzt gar nicht erörtern, ob das nicht auch auf den stabilisierenden Einfluß des Koalitionspartners zurückzuführen gewesen sein könnte, lieber Herr Apel.
Ich will nur sagen: Wenn ich mir beispielsweise die Überlegungen von Herrn Glotz vor Augen führe und immer wieder den Ruf nach Beschäftigungsprogrammen usw., usw. höre — Herr Apel, Sie sind der letzte Mohikaner.
Ich weiß nicht, ob die in Ihrer Rede teilweise angeklungenen Lockerungsübungen erfolgreich sind. Ich meine, so, wie wir diese Grundsätze vertreten haben, ist es richtig. Aber nachdem Wischnewski weg ist, sind Sie der letzte.
Hier ist die Politik von Helmut Schmidt reklamiert worden. Ich will Ihnen die viel zitierten Sätze auch noch einmal vorlesen — 20. Juli 1982; Sie erinnern sich alle miteinander —:Eine Finanzierung von investiven Ausgaben durch eine Erhöhung von Abgaben, Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen wäre der falsche Weg. Eine höhere Belastung der Arbeitnehmer durch Abgaben ist für mich nicht vertretbar.Diese Sätze gelten. Aber alles, was ich von Ihnen höre, läuft auf Steuererhöhungen in der einen oder anderen Form hinaus.
— Schreien hilft da überhaupt nichts.
Nun zu Ihnen, Herr Kollege Spöri. Ein Kompliment vorab. Sie haben offenbar eine Grundregel der Öffentlichkeitsarbeit und der Demoskopie voll verinnerlicht: daß es nicht auf Tatsachen ankommt, soweit es das Wählerverhalten betrifft, sondern auf Meinungen über Tatsachen. Und diese Meinungen versuchen Sie mit allen möglichen Tricks dahin gehend zu beeinflussen, daß von den Tatsachen abgelenkt wird. Aber ich sage Ihnen: Bezogen auf die Steuerpolitik wird Ihnen das nicht gelingen; denn im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und der Demoskopie gibt es ein weiteres ebenso klares Gesetz: Ein Auseinanderklaffen zwischen Meinung und Tatsachen ist nur so lange aufrechtzuerhalten, solange derjenige, der die Meinung hat, fern von den Realitäten ist. Und die Realitäten sind für den Steuerzahler nun einmal sehr klar auf den Lohnstreifen, in der Tüte ablesbar.Nun zu einigen Punkten, die Sie angeführt haben, bezogen auf unsere Perspektiven, über die ich heute eigentlich gar nicht reden wollte. Sie haben uns vorgeworfen, daß die genannte Zahl von 45 Milliarden DM falsch sei. Ich will Ihnen gern die Computer-Rechenbögen zeigen.
Es sind ganz genau 43,3 Milliarden DM, bezogen auf das Ausgabenniveau heute. Wenn Sie das hochrechnen auf das Jahr 1989 oder 1990, werden es etwa 20 bis 25% mehr sein. Diese Zahl ist absolut seriös. Wir lassen uns nicht gefallen, daß uns vorgehalten wird, wir würden mit falschen Zahlen operieren.
Zweiter Punkt: Sie sagen, das sei eine Mogelpakkung ohne Seriosität, und zwar deshalb, weil die konkreten Einzelmaßnahmen zum Subventionsabbau und zum Abbau von Steuervergünstigungen im Volumen von 25 Milliarden DM heute nicht präzise auf Mark und Pfennig in die Diskussion eingebracht werden. Ich sage Ihnen: Das wird eingebracht werden, aber nicht zu einem Zeitpunkt, der Ihnen Chance und Gelegenheit gibt, unser Konzept durch Aufribbeln von Einzelinteressen und Mobilisierung von Einzelinteressen kaputtzureden und kaputtzumachen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri?
Wenn das Präsidium die Zeit nicht anrechnet, j a.
Das wird nicht angerechnet.
Dann gerne. Bitte schön.
Herr Kollege Gattermann, trifft es zu, daß Bundesfinanzminister Stoltenberg im Zusammenhang mit dem letzten Steuersenkungsgesetz versucht hat, 3 Milliarden DM an Subventionen abzubauen — so jedenfalls seine Äußerung — und daß dieser bescheidene Versuch des Abbaus am Widerstand der FDP gescheitert ist, und woher nehmen Sie dann die Stirn, 25 Milliarden DM an Subventionen abbauen zu wollen?
Herr Kollege Spöri, Ihre Information ist teilweise zutreffend. Ich weiß nicht, was der Bundesfinanzminister gesagt hat; ich meine jetzt den Sachverhalt, über den gesprochen wird. Dieser Sachverhalt ist sicherlich zutreffend. Jedermann weiß, daß die ersten Vorschläge des Bundesfinanzministers ein etwas größeres Entlastungsvolumen enthielten und daß ein Teil davon durch Subventionsabbau und auch durch maßvolle Steuerer-
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Gattermannhöhungen in einigen Bereichen refinanziert werden sollte.
Dieses Konzept ist damals gescheitert, und zwar nicht nur am Widerstand der FDP, sondern es ist auch am Widerstand namhafter politischer Kräfte im Lager unseres Koalitionspartners, um es vorsichtig zu umschreiben, gescheitert.Jetzt komme ich dazu, woher mein Optimismus kommt. Die Maßnahmen, die damals vorgesehen waren, waren punktuell, und sie waren nicht weitgehend genug. Es konnte den betroffenen Gruppen nicht die Kompensation durch eine deutliche Tarifsenkung angeboten werden. Ob Sie es nun für richtig halten oder nicht: Die Wahrheit liegt hier tatsächlich im Paradoxen. Je weiter man beim Subventionsabbau geht, um so leichter ist er zu bewerkstelligen, denn dadurch wird die Kompensation massiver Tarifentlastungen möglich.
Herr Kollege, Sie dürfen sich jetzt wiederhinsetzen; das war die Antwort.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Herr Kollege Spöri, hören Sie doch endlich damit auf, die Lohnsteuerquote zu bemühen. Sie wissen genauso gut wie ich, daß die Lohnsteuerquote heute — die Bundesbank weist immer wieder darauf hin — deshalb ohne jede Aussagekraft ist, weil immer mehr Lohnsteuerpflichtige — aus welchem Grunde auch immer — veranlagt werden, sei es deshalb, weil sie Zinsen deklarieren, weil sie Nebeneinkünfte haben oder weil sie die relativ niedrigen Grenzen mit ihrem Einkommen überschreiten. Ein Auseinanderhalten dieser Bereiche in der Statistik ist nun leider nicht möglich. Folgerichtig — so die Deutsche Bundesbank; deren Urteil ist ja wohl ziemlich unverfänglich — ist die Lohnsteuerquote in diesem Zusammenhang ohne jeden Aussagewert.Ich möchte Ihnen noch zu einem letzten Punkt antworten. Das betrifft die Gewerbesteuer. Hier muß endlich einmal Klarheit herrschen. Sie rechnen beispielsweise die Umschichtung der Mittel aus der Gewerbesteuer, die notwendig ist, in dieses Paket ein. Es ist bei uns nicht eingerechnet. — Lassen Sie es mich erklären; protestieren Sie nicht gleich. — Die Entlastung der Wirtschaft von einer schlechten Steuer — es gibt eigentlich kaum Streit darüber, daß es eine schlechte Steuer ist —
ist in diesem Zusammenhang ein eminentes Problem. Ich meine eine Entlastung von Bürgern und Unternehmen im Sinne von besseren Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt. Dies ist aber vorrangig zu einem Problem der Gemeindefinanzreform geworden. Insoweit bedarf es natürlich einer separaten Lösung. Die Lösungsvorschläge sind nun leider immer noch nicht konkret, von welcher Seite sie auch immer auf den Tisch gelegt werden. Es gibt etliche Modelle; einige haben etwas für sich, etlichehaben manches gegen sich. Ein wirklich alternatives Finanzierungsmodell ist noch nicht vorhanden. Daran wird gearbeitet. Dies ist die Wahrheit über die Abschaffung der Gewerbesteuer. Ich sage Ihnen hier ganz klar: Wir werden die Gewerbesteuer im Einvernehmen mit den Gemeinden — ohne sie geht es nämlich nicht — überhaupt nur dann abschaffen können, wenn das Ei des Kolumbus für die Ersatzfinanzierung gefunden wird.Warum, Herr Kollege Spöri und Herr Apel, machen Sie unentwegt den Versuch, die Tatsachen zu verdrehen? Warum machen Sie unsere Steuerpolitik madig? Ich will Ihnen sagen, warum Sie das versuchen. Sie wollen davon ablenken, daß Sie natürlich auch nicht den Ansatz eines Konzepts haben. Was Sie hier vorhin vorgetragen haben — höhere Grundfreibeträge, Verlängerung der Proportionalzone —, heißt, daß der steile Progressionsberg am Ende natürlich unverändert bleibt. Bei Ihnen fehlt die Motivation zur Leistung. Lassen Sie uns doch einmal ganz ehrlich miteinander umgehen. Sie sagen, wir hätten zu wenig verteilungspolitische Überlegungen in unserem Konzept. Ich bestreite das. Ich sage: Sie haben nur verteilungspolitische Gesichtspunkte in Ihrem Konzept, nur und ausschließlich, ohne Rücksicht darauf, daß das gilt, was der Kollege Spilker soeben gesagt hat, daß der andere Teil, den Sie draußen vor Tür stehenlassen, derjenige ist, der im wesentlichen überhaupt erst alles das erwirtschaften muß, womit Sie die notwendige Sozialstaatsverpflichtung in diesem Lande erfüllen können.
Das können Sie nicht negieren, und das dürfen Sie bei einigem Anspruch auf Seriosität nicht negieren.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri?
Bitte schön.
Herr Kollege Gattermann, da Sie von Konzeptionslosigkeit sprechen und darauf hinweisen, welche langfristigen Strukturvorstellungen Sie im Hinblick auf den Einkommensteuertarif entwickeln, frage ich: Ist Ihnen bekannt, daß Ihre angeblich so soziale Vorstellung von der Erhöhung des Grundfreibetrags und der Verlängerung der Proportionalzone in der nächsten Legislaturperiode Punkte sind, die wir jetzt schon in unserer Alternative zum Steuersenkungsgesetz vorgeschlagen haben, und daß Sie diese Punkte abgelehnt haben?
Lieber Herr Kollege Spöri, das ist völlig richtig, daß diese Punkte identisch sind.
Nur verwenden Sie sämtliche vorhandenen Mittel ausschließlich für diesen Zweck.
— Dies ist doch überhaupt nicht wahr. Sie wissengenau, daß es nicht wahr ist. Erstens ist der Grund-
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Gattermannfreibetrag erhöht worden, zweitens ist die Kinderkomponente geschaffen worden, drittens haben wir die Abflachung des Progressionsbauches im Ansatz in der ersten Stufe, im wesentlichen Teil in der zweiten Stufe. Dies ist ein ausgewogenes Konzept. Sie wollen ein einseitiges, wir wollen ein ausgewogenes Konzept; das ist der Unterschied.
Meine Damen und Herren, alles, was ich von Ihnen höre, auch das Fehlen eines Konzepts, Herr Kollege Spöri, das ich beklagt habe, läuft irgendwo unter dem Strich auf Erhöhungen, Belastungen der Bürger hinaus. Ob das die Revitalisierung der Gewerbesteuer ist, ob das der Lastenausgleich von Herrn Glotz ist, ob das die Abgabe auf Energiekosten aus Ihrem Programm „Arbeit und Umwelt" ist, alles läuft unter dem Strich auf eine höhere Belastung der Bürger, auf mehr interventionistische Eingriffe des Staates hinaus. Dies ist nun einmal der fundamentale Unterschied zwischen den Regierungsparteien und der SPD, und darüber wollen wir uns in der Sache gern auseinandersetzen und würden dann ganz gern die Polemik dabei weglassen.In der Tat sind die Arbeitsmarktzahlen das bedrückendste aller Probleme. Das habe ich an dieser Stelle gesagt, und ich wiederhole es heute.
Aber es stehe einer in diesem Raume auf und erkläre: Ich habe das Patentrezept! Dieses gibt es nicht, und Sie wissen es.
Die Tatsachen, die Bemühungen dieser Bundesregierung lassen sich nicht verdrängen. 1981 betrug der Anstieg der Arbeitslosigkeit 43%, 1982 waren es 44 %, 1983 — das war nach der Wende — waren es noch immer 23 %, und dann folgte die Stagnation auf zu hohem Sockel. Nun geht es darum, hier Luft zu schaffen, und dieses Luftschaffen erreichen wir wirklich nur über verbesserte Rahmenbedingungen, über Wachstum, wobei das nicht über Wachstum allein geht; vielmehr gehören auch weitere Maßnahmen der Flexibilität hinzu, und hier sind beide Tarifvertragsparteien angesprochen. Nur so werden wir schrittweise weiterkommen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten EHrenberg, Herr Abgeordneter?
Gilt die Nichtanrechnung auf die Redezeit noch?
Noch gilt das, aber wir müssen dann restriktiv verfahren.
Herr Kollege Gattermann, da Sie von Patentrezepten sprechen — lassen Sie das „Patent" weg und reden Sie nur von Rezepten —, frage ich: Können Sie bestreiten, daß es gelungen ist, von 1976 bis 1980 mit Hilfe des 16-Milliarden-Investitionsprogramms die Beschäftigung um mehr als eine Million bis zum Höchststand von 22,9 Millionen 1980 zu steigern, und können Sie bestreiten, daß das damals ohne die von Ihnen versuchte Denaturierung des Arbeitsrechtes durch Flexibilität und andere Dinge gelungen ist?
Herr Abgeordneter, bevor Sie antworten: Wir haben noch eine Meldung des Abgeordneten Lutz. Vielleicht ist es sinnvoll, diese gleich mit einzubeziehen. — Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege, ich versuche, sprachlich klarzukommen. Ist ein Anstieg von Massenarbeitslosigkeit ein Anstieg, unabhängig von der Prozentzahl?
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Ich möchte zunächst einmal auf die essentiell entscheidende Frage des Kollegen Ehrenberg eingehen. Wir waren ja an diesem von Ihnen zitierten Beschäftigungsprogramm und auch an den übrigen Beschäftigungsprogrammen beteiligt. Ich glaube, es waren über die ganze Regierungszeit insgesamt noch weitere 18 Programme. Diese ganzen Programme mit einem Volumen von — über den vollen Zeitraum — etwa 100 Milliarden DM haben bewirkt, daß in dieser Zeit, und zwar von 1974 bis 1982, die Zahl der Arbeitslosen von 582 000 auf 1 833 000 gestiegen ist.
Insofern, Herr Kollege Lutz, muß ich sagen: Ein Anstieg von Massenarbeitslosigkeit ist natürlich ein Anstieg von Massenarbeitslosigkeit. Aber genauso richtig ist, daß wir in diesem Jahr wieder über 100 000 Beschäftigte mehr als vorher haben werden. Dies darf nicht verschwiegen werden.
Meine Damen und Herren, es gibt kein Politikfeld, bei dem 1987 der Bürger über so klare Alternativen wird entscheiden können wie in der Steuerpolitik. Ich bin dem Bundesfinanzminister außerordentlich dankbar dafür, daß er in diesem Zusammenhang heute morgen einen ganz wesentlichen Punkt angeführt hat, nämlich daß in dieser Koalition der Mitte ein Grundkonsens über den richtigen Weg in der Steuerpolitik besteht. Das schließt nicht aus, daß wir noch so manchen Strauß über das eine oder andere Detail werden ausfechten müssen. Aber dieser Grundkonsens ist ganz wichtig und entscheidend.
Als letztes will ich sagen, daß solche Überlegungen über weiterreichende Perspektiven überhaupt nichts damit zu tun haben, wie das hier heute morgen mehrfach angedeutet worden ist, als wollten wir das unter den Scheffel stellen, was wir mit dem Steuersenkungsgesetz 1986/1988 getan haben. Zu Beginn dieser Legislaturperiode — das ist in der Regierungserklärung nachzulesen — hat man sich auf Grund der desolaten Finanzlage nicht getraut anzukündigen, in dieser Legislaturperiode im steuerlichen Bereich überhaupt etwas Entlastendes machen zu können.
Daß dies möglich war, ist das Verdienst dieser Regierung mit ihrem Konsolidierungskurs, mit der
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Gattermann
Schaffung neuer Finanzierungsspielräume, die diese erste Etappe möglich gemacht haben.
Diese erste Etappe weist Punkt für Punkt an jeder Stelle des Konzepts in die richtige Richtung, in vorsichtigen Schritten hin auf das Konzept, über das wir heute hier gestritten haben.
Meine Damen und Herren, ich bin absolut sicher, daß es dieser Regierung gelingen wird, die Absicherung der Wirtschaftspolitik, soweit sie von der steuerpolitischen Seite her möglich ist, im Sinne von Wachstum und im Sinne von mehr Beschäftigung plausibel und griffig zu gestalten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zeitpunkt der Haushaltsberatungen bietet in jedem Jahr Gelegenheit, an Hand der bereits vorliegenden Zahlen des ersten Halbjahrs mit einer verläßlicheren Grundlage der Schätzung für das zweite Halbjahr zu prüfen, ob die gesamtwirtschaftliche Entwicklung dem entspricht, was die Regierung an Schätzungen zu Beginn des Jahres vorlegt.Wir hatten im ersten Halbjahr, insbesondere im ersten Quartal, eine durch das Wetter und durch Anpassungsprobleme der Bauwirtschaft ausgelöste gesamtwirtschaftliche Abschwächung. Deswegen ist es erklärlich, daß wir im ersten Halbjahr ein Wachstum des Bruttosozialprodukts in realen Werten von 2 % hatten. Wir lagen also unter der Schätzung, die wir für das gesamte Jahr aufgestellt haben. Nach den Zahlen, die wir jetzt kennen und die eine verläßliche Prognose für das zweite Halbjahr erlauben, wird die Entwicklung des Bruttosozialprodukts im zweiten Halbjahr voraussichtlich bei 3 % oder etwas darüber liegen, so daß wir gegen Ende des Jahres die 2,5 %, die wir geschätzt haben, wahrscheinlich einstellen werden.Für diese günstigere Entwicklung im zweiten Halbjahr spricht zunächst einmal die weitere Verbesserung des Geschäftsklimas in der Industrie. Sie wissen, daß sich die Stimmung, das Geschäftsklima, von der tatsächlichen Entwicklung unterscheiden kann, aber diese Stimmung ist in vielen Bereichen von Bedeutung, weil von ihr eben auch Ordertätigkeit und Investitionsentscheidungen abhängen. Der letzte Ifo-Test zeigt deutlich, daß die Zuversicht gewachsen ist.Das drückt sich auch in gestiegenen Zahlen bei den Auftragseingängen aus. Wir hatten im letzten Monat einen Anstieg der Industrieproduktion, der in einigen Branchen — sicherlich immer wieder mit Ausnahme der Bauindustrie — ganz beträchtlich ist. Insgesamt beträgt heute die Kapazitätsauslastung in der Industrie über 85 %. Das ist ein beträchtlicher Wert, der nahe an das herankommt, was wir im Herbst 1979 als Höchststand hatten.
— Ich weiß; ich komme darauf.
— Herr Ehrenberg, Sie wissen doch aus den Debatten, die Sie mit mir schon führen konnten, daß ich auch den Arbeitsmarkt in meinen Ausführungen nicht vergessen werde, aber Sie werden es doch hinnehmen können, daß man auch einmal einen anderen Bereich erläutert. Wenn es stimmt, verehrter Herr Kollege Ehrenberg, daß Sie so an der Entwicklung der Wirtschaft interessiert sind, weil diese zugleich eine Grundlage für eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist, dann hören Sie sich doch einmal in Ruhe gute Zahlen an, und begrüßen Sie sie, denn sie können doch nur Ihren Zielen entsprechen!
Im übrigen sollten Sie, was den Arbeitsmarkt angeht, ganz ruhig sein. Ich werde Ihnen nachher noch Ihre eigenen Zahlen vorlesen, die Zahlen, die in der Zeit entstanden sind, als Sie dafür politische Verantwortung getragen haben.
Meine Damen und Herren, diese gestiegene Kapazitätsauslastung ist deswegen wichtig, weil dadurch eine weiter steigende Nachfrage in Erweiterungsinvestitionen münden muß; denn es geht nicht mehr, daß man dafür Kapazitätsreserven heranzieht.Wir haben immer noch einen gegenüber dieser guten Entwicklung zurückgebliebenen Konsum. Die Nachfrage der privaten Haushalte wird aber vermutlich — das ist eine aus dem Ablauf früherer Konjunkturen bekannte Tatsache — den zuvor gestiegenen anderen Ziffern nachfolgen.Auch der Tiefpunkt der Baunachfrage, der ohne jeden Zweifel auch dadurch entstanden ist, daß es dort ein Strukturproblem gibt — es gibt eben, insbesondere im Mietwohnungsbau, einen im wesentlichen gedeckten Bedarf —, scheint überwunden zu sein. Wenn man die Werte im ersten Quartal — die allerdings, wie ich ja schon gesagt habe, sehr niedrig sind — zugrunde legt, haben wir im zweiten Quartal doch ganz beachtliche Steigerungsraten der Baunachfrage, und es unterliegt keinem Zweifel, daß diese Nachfrage auch und gerade durch das geringe Zinsniveau gestützt wird.Man mag nun diese Zusammenhänge ignorieren oder bewußt leugnen wollen; es ist ganz eindeutig so, daß ein wirtschaftlicher Aufschwung bei einem niedrigen Zinsniveau erheblich größere Chancen hat, zu einem beständigen Aufschwung zu werden, und deswegen, nicht aus parteipolitischer Sympathie mit dieser Regierung, sondern weil er weiß, daß die Finanz-, die Haushalts- und die Wirtschaftspolitik miteinander im Einklang stehen, hat der Sach-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11379
Bundesminister Dr. Bangemannverständigenrat gesagt, daß wir eine Chance für einen beständigen, langanhaltenden Aufschwung haben.
Die Lage bei der Ausfuhr ist so gut, wie sie nie zuvor war. Meine Damen und Herren, wir werden in diesem Jahr vermutlich — das sind ernstzunehmende Schätzungen wissenschaftlicher Institute — einen Außenhandelsüberschuß von mehr als 70 Milliarden DM haben. Das wird auch den Leistungsbilanzüberschuß selbst bei unterstelltem negativen Abschluß der Kapitalbilanz und der Dienstleistungsbilanz auf eine Rekordmarke bringen. Das, meine Damen und Herren, ist ein Hinweis, den ernstzunehmen ich Sie wirklich bitte, besonders diejenigen, die immer wieder sagen, wir dürften uns nicht in dieser Weise vom Export abhängig machen, und diejenigen, die sogar so weit gehen, zu sagen, wir müßten auf Export verzichten, damit Entwicklungsländer Spielraum für ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung haben. Wenn wir auf die Sicherung dieses Exports verzichten würden, wenn wir nicht alles täten, was möglich ist, um der deutschen Wirtschaft diese Chance zu erhalten, dann gäbe es überhaupt keine Aussicht, die Situation auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Das geht einher mit hoher Preisstabilität — übrigens auch ein wichtiger Aktivposten bei der Förderung des Exports, denn das bedeutet eben stabile Preise.Der Ausblick auf 1986, den wir auf Grund dieser Bilanz haben, ist eindeutig, übrigens auch nach dem Urteil internationaler Organisationen. Vermutlich werden wir im Jahr 1986 ein noch stärker wachsendes Bruttosozialprodukt verzeichnen können als in diesem Jahr. Die Unternehmensinvestitionen im besonderen werden weiter zunehmen, und die gestiegene Kapazitätsauslastung wird dann dazu führen, daß diese Investitionen als Erweiterungsinvestitionen auch Arbeitsmarktwirkungen erzielen können.
— Sie sollten sich einmal bei Herrn Bleicher erkundigen. Ich habe mit ihm zusammen eine Arbeitsgruppe gebildet und geleitet, in der wir die Wirkungen untersucht haben, die zwischen der Einführung moderner Technologie, also Rationalisierungsinvestitionen, und dem Arbeitsmarkt bestehen. Wir, Gewerkschaft und Bundesregierung, haben übereinstimmend zu dem Schluß gefunden, daß ein Verzicht auf moderne Technologie das Unsinnigste wäre, was man der deutschen Wirtschaft und vor allen Dingen den Arbeitern bei uns antun könnte.
— Sie rühmen sich doch eines so guten Verhältnisses zu den Gewerkschaften. Sie sollten sich einmalum die Diskussion dort kümmern. Sie sind da nicht auf dem Stand der Diskussion der Gewerkschaften.
— Bitte schön!
Herr Wirtschaftsminister, können Sie mir wenigstens theoretisch zustimmen, daß Rationalisierungsinvestitionen und Erweiterungsinvestitionen stets Hand in Hand gehen und insofern der Effekt der Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Rationalisierung ausgeglichen wird, das heißt durch Abbau von Arbeitsplätzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich kann Ihnen da nicht zustimmen. Aber ich bin Ihnen dankbar, daß Sie durch die Frage noch einmal deutlich gemacht haben, daß Sie dringend mit Herrn Bleicher reden sollten. Ich darf Sie nur darum bitten.
Wir haben auch die öffentlichen Investitionen erweitert, soweit sie in unserem Haushalt auftreten, beziehungsweise für die Gemeinden erleichtert, indem wir die verschiedenen Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau bis hin zum Sondervermögen ERP dafür heranziehen. Deswegen gibt es eine begründete Aussicht, daß gerade auch im Bereich der Bauindustrie 1986 wesentlich bessere Zahlen möglich werden.Der private Verbrauch kann von der ersten Stufe der Steuerreform, die am 1. 1. 1986 in Kraft treten wird, natürlich nur profitieren. 11 Milliarden DM mehr Kaufkraft werden sich beim privaten Konsum bemerkbar machen.Hier möchte ich auf das eingehen, was Herr Spöri gesagt hat. Ich sehe ihn im Moment nicht, aber er wird diese Bemerkung, die ich persönlich an ihn richte, vielleicht nachlesen. Es ist schon manchmal etwas erstaunlich, wenn man sich mit Äußerungen der Opposition auseinandersetzen muß. Ich nehme einmal das Beispiel der Steuersenkungen; ich komme nachher noch auf das Beispiel der Subventionen zurück. Er fragt hier: Warum tut die Regierung eigentlich nichts, um die gestiegene Steuerlast zu senken? Sein Kollege Rau sagt im gleichen Atemzug, übrigens auch die SPD offiziell: Verzichtet auf diese erste Stufe der Steuersenkung und steckt das Geld in Beschäftigungsprogramme! Was ist denn nun eigentlich richtig? Ist es richtig, daß man die Steuern senken soll, oder ist es richtig, daß man auf die Steuersenkung verzichten und statt dessen ein Beschäftigungsprogramm finanzieren soll?
Ich möchte jetzt wirklich einmal eine Auskunft derOpposition. Ich bin ja bereit, mich mit dem einenoder dem anderen Argument auseinanderzusetzen.
— Nein, er hat das Gegenteil dessen gesagt, wasHerr Rau sagt, lieber Kollege Roth. Ich setze michgerne mit einem dieser Gesichtspunkte auseinan-11380 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985Bundesminister Dr. Bangemannder. Entweder Sie sagen: die Steuerlast ist gestiegen, wir müssen die Steuern senken.
— Na gut, das ist ja auch das, was wir am 1. Januar 1986 machen. Aber das, was Herr Rau gesagt hat, Herr Roth, ist etwas anderes als das, was Herr Spöri gesagt hat. Offenbar muß doch eines falsch sein. Jedenfalls kann es nicht zwei verschiedene Meinungen in einer Partei geben, auch dann nicht, wenn man einen Oberlehrer zum Fraktionsvorsitzenden hat.
Im übrigen — und damit komme ich jetzt zum Arbeitsmarkt —: Verehrter Kollege Roth, als Sie noch einer Partei angehörten, die die Regierung mitstellte
— mitstellen durfte —, d. h. noch vor dem Regierungswechsel, haben Sie sich über die weitere Entwicklung des Arbeitsmarktes überhaupt keine Illusionen gemacht. Sie haben am 29. Juli 1982 erklärt — ich zitiere wörtlich mit Genehmigung des Präsidenten —:Im nächsten Winter wird die Zwei-MillionenGrenze überschritten. Horrorzahlen wie in England — zur Zeit sind dort 3,2 Millionen Menschen ohne Arbeit — scheinen auch bei uns nicht mehr unmöglich zu sein.Das haben Sie gesagt.
— Das ist doch alles, worum ich Sie bitte. Ihr Kollege Vogel hat auf die Frage, wie lange man denn, wenn er an die Regierung käme, brauchen würde, um die Arbeitslosigkeit merkbar abzubauen, gesagt: Dazu brauche ich mindestens eine Legislaturperiode.
— Na, eine Legislaturperiode ist es ja nun noch nicht.Wenn das alles richtig ist, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns doch einmal über eines einverständlich reden: daß die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht nur von dem abhängt, was die Regierung macht, sondern auch davon abhängt, wie sich die Tarifparteien in einer solchen Situation verhalten, wie sich die Wirtschaft entwickelt, wie die gesamtwirtschaftlichen Voraussetzungen sind, d. h. von Bedingungen, die für jedermann, für die Opposition wie für die Regierung und die Regierungsparteien, gleich sind.
Solange Sie aber diesen Schritt nicht tun, erwecken Sie leider den Verdacht, daß alles, was Sie dazu sagen, auch — ich sage bewußt: auch — von dem Gedanken getragen ist: Man muß halt mal anfangen zu kritisieren; das wird sich auf jeden Fall auswirken wenn auch nicht gut für den Arbeitsmarkt, so doch schädlich für die Regierung. Und das vor dem Hintergrund, daß es Zahlen gibt, die durchaus aufzeigen, daß sich auf dem Arbeitsmarkt ein Umschwung vollzogen hat!Wir haben eine gestiegene Zahl von Beschäftigten. Wir haben da ein statistisches Problem. Wir haben seit dem letzten Quartal 1984 eine steigende Zahl von Beschäftigten, und wir werden, wenn die revidierten, saisonbereinigten Zahlen vorliegen, vermutlich feststellen, daß sie höher sein werden als die Zahl, die uns vorgelegen hat. Das bedeutet: Wir können in diesem Jahr damit rechnen, daß wir — jetzt mal vorsichtig geschätzt — eine Zunahme der Beschäftigtenzahl von 150 000 haben werden. Wir haben mit dieser steigenden Zahl von Arbeitsplätzen auch die Chance, daß die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Unter einer Voraussetzung — und das werden wir am Donnerstag mit den Tarifparteien zu besprechen haben —: Wir müssen die Schere schließen, die sich zwischen dem Angebot von Arbeitsplätzen und der Qualifikation der Arbeitslosen geöffnet hat.
— Das ist kein Quatsch. Man muß sich doch mit den Tatsachen auseinandersetzen. Fragen Sie doch mal die Betriebe, die serienweise Anzeigen aufgeben — nicht unbedingt in allen Regionen der Bundesrepublik, das ist richtig; da gibt es Unterschiede z. B. zwischen Norddeutschland und Süddeutschland
— Klatschen Sie nicht so laut. Soweit ich weiß sind Sie in Bremen ausgebildet worden; Sie haben gar keinen Anlaß zu klatschen. In Bremen ist es allerdings duster, das muß ich einräumen.
Fragen Sie doch einmal Unternehmen im mittleren Neckarraum. Die haben inzwischen — meine Damen und Herren, man muß sich das einmal vorstellen — Schwierigkeiten, im gewerblichen Bereich Auszubildende zu finden. Dort gibt es leere Ausbildungsstellen, für die man keine Bewerber — auch nicht durch Anzeigen — finden kann. Es gibt serienweise Betriebe — Herr Kollege Stoltenberg hat mit Recht darauf hingewiesen —, die händeringend nach Facharbeitern suchen.
Wer also für die Arbeitslosen etwas tun will, muß den größten Nachdruck auf qualifizierende Maßnahmen legen, weil das Übel nur so an der Wurzel gepackt werden kann.
Alles in allem, meine Damen und Herren: Auch dann, wenn der Rückgang der Arbeitslosigkeit niemals dramatisch vor sich gehen kann und wird — sosehr wir das alle wünschen —, gibt es Aussichten dafür, daß wir in Zukunft auch mit diesem ProblemDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11381Bundesminister Dr. Bangemannbesser fertigwerden, als wir es bisher geschafft haben.Lassen Sie mich noch einige Worte zum Problem der Subventionen sagen. Wir werden in den Einzelberatungen später noch Gelegenheit haben, die einzelnen Haushalte daraufhin anzusehen, welchen Beitrag sie zum Abbau von Subventionen erbringen.Ein zentrales Element einer Haushaltskonsolidierung ist zunächst einmal eine strenge Ausgabendisziplin. Allein diese ist eine Bremse für zusätzliche Subventionen. Wenn der Bund seine Neuverschuldung auf heute 25 Milliarden DM abbauen konnte, dann ist das, so meine ich, eine bemerkenswerte Zahl, an der wir festhalten sollten.Wir können Subventionen — ich benutze das Wort jetzt auch zur Bezeichnung von Steuervergünstigungen —, dann abbauen, wenn die Subventionsmentalität zu durchbrechen ist. Deswegen muß man bei der Auseinandersetzung über die Methode, wie man Subventionen abbauen will, mit in Betracht ziehen, ob die Rasenmähermethode oder das direkte Aufgreifen einer bestimmten Subvention die bessere Gewähr dafür bietet, daß die Subventionsmentalität gebrochen wird. Wir haben es geschafft, die Inflationsmentalität zu durchbrechen. Aber das ist uns nur gelungen, weil wir die klare politische Absicht in ebenso klare Taten umgesetzt haben. Deswegen bin ich nach wie vor der Meinung, daß der direkte Subventionsabbau, das Aufgreifen einzelner Subventionen die Methode ist, die uns mehr Erfolg versprechen wird. Denn dabei wird Subventionsmentalität abgebaut.
— Ich habe damit angefangen, Herr Roth, und bin sehr gespannt, was Sie zu meinem Einzelhaushalt sagen werden; denn immerhin ist dieser Haushalt durch den Abbau von 1 Milliarde DM Subventionen von 5 auf 4 Milliarden DM zurückgegangen.Damit, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, bin ich beim zweiten Widerspruch. Es ist nicht von selbst gekommen, daß die Europäische Gemeinschaft den Beschluß gefaßt hat, Ende dieses Jahres mit der Stahlsubventioniererei aufzuhören. Dazu haben die Bundesregierung und ich in den Ministerratssitzungen beigetragen.
Wir haben jetzt fast 400 Millionen DM aus meinem Haushalt streichen können, weil wir sie nicht mehr brauchen. Aber was höre ich von Ihrer Seite, wenn es darum geht, beispielsweise das Problem von Arbed-Saarstahl vernünftig zu lösen? Sie sagen: Die Bundesregierung und der Bundeswirtschaftsminister machen Arbed-Saarstahl kaputt.
— Ich will jetzt keine Fragen beantworten.Und was höre ich, wenn wir die Werftenhilfe degressiv gestalten? Frau Simonis sagte, wir strangulierten die Werften. Aber am selben Tag sagt ein anderer und am nächsten Tag sagt es Frau Simonis:Die Bundesregierung tut nicht genug, um Subventionen abzubauen. Das ist die Zwiespältigkeit der Opposition, die sie um ihre eigene Wirkung bringt.
Haben Sie doch den Mut, sich vor die Werftarbeiter zu stellen und eine Konzeption zu entwickeln! Eine Möglichkeit wäre, weiterhin und ad infinitum zu subventionieren und damit das Schicksal der Werftarbeiter zu gefährden. Subventionen lösen ja keine Probleme, sondern schaffen neue. Aber man braucht den Mut, sich vor die Leute, vor seine Wähler hinzustellen und zu sagen: Das ist das Vernünftige. Diesen Mut haben Sie nicht. Sie machen populistische Politik. Das ist alles, was Sie können.
Und lassen Sie mich auch noch ein Wort zur Steuerpolitik sagen. Wir können Herrn Spöri eigentlich nur dankbar sein; denn auch diesen Grundsatz der Öffentlichkeitsarbeit hat er, wahrscheinlich ungewollt, gut beherzigt: Am besten bringt man die Ideen, die man selber hat, dadurch an den, der sich dafür interessiert, wenn man andere darüber reden läßt. Wenn wir sagen: „Wir sind die Steuersenkungspartei" — ich darf jetzt mal einen kleinen Augenblick als FDP-Vorsitzender reden, mit Genehmigung unserer verehrten Freunde aus der Koalition —,
wird jede andere Partei sagen: „Na ja, das sagen die so". Wenn aber die SPD sagt: „Die FDP ist die Steuersenkungspartei", werden das auch jeder SPDWähler und die FDP-Wähler glauben. So ist das.
Deshalb darf ich mich sehr herzlich bei Herrn Spöri bedanken.Meine Damen und Herren, am Beispiel der Gewerbesteuer wird es deutlich. Sie sagen, Sie wollten die Gewerbesteuer aktivieren. Was heißt „aktivieren"? Die Gewerbesteuer soll ansteigen. Sie wollen mehr Gewerbesteuer. Und Sie begründen das mit der Situation der Gemeinden. Sie wissen ganz genau: Es gibt bei der Reformdiskussion mehrere vernünftige, ernst zu nehmende Vorschläge, wie man bei Abschaffung der Gewerbesteuer durch Ersatz, entweder durch einen höheren Anteil an der Einkommen- und Lohnsteuer, durch einen Anteil der Gemeinden an der Mehrwertsteuer oder auch auf andere Weise, den Gemeinden einen Ausgleich für den Verlust schaffen kann, den sie erleiden würden, wenn die Gewerbesteuer abgeschafft würde. Und Sie vergessen dabei, verehrte Damen und Herren, daß wir die Gewerbesteuer schon zur Hälfte abgeschafft und durch einen Anteil an der Lohn- und Einkommensteuer ersetzt haben.
— Übrigens — das ist richtig — haben wir das mitIhnen gemacht. Geht es den Gemeinden dadurch11382 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985Bundesminister Dr. Bangemannschlechter? Ist eine Stadt dadurch in Schwierigkeiten gekommen?
— Ja, richtig, das sind all die Städte, in denen Sie die Politik bestimmen. Die sind in Finanzschwierigkeiten.
— Beruhigen Sie sich doch, Herr Ehrenberg. Ich habe jetzt die Zahlen wiedergefunden, die ich Ihnen mitteilen wollte, damit Sie bei der Beurteilung der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ein bißchen vorsichtiger werden. Als Sie Minister waren
— Herr Ehrenberg war nie Minister? Jetzt verläßt euch auch schon das Gedächtnis —,
in den Jahren 1976 bis 1982, stieg die Zahl der Arbeitslosen insgesamt um eine Dreiviertelmillion. Ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf. Ich sage jetzt nicht: Sie haben politisch versagt. — Ich möchte Ihnen nur den Gedanken nahebringen, daß es neben dem, was eine Regierung tun kann, viele andere Elemente gibt, die zusammenkommen müssen, wenn man die Arbeitslosigkeit wirkungsvoll bekämpfen will.Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zum Donnerstagabend sagen. Wir haben dieses Gespräch mit den Tarifparteien gesucht, und zwar nicht, um uns einen billigen taktischen Vorteil zu verschaffen.
In der Vorbereitung habe ich gesagt: Da, wo es Gegensätze gibt, soll man sie offenlegen. Es hat gar keinen Zweck, daß man irgend etwas unter den Teppich kehrt. — Aber, meine Damen und Herren, wer jetzt an dem Sinn dieser Gespräche schon Zweifel anmeldet, bevor sie überhaupt stattgefunden haben, dem nehme ich nicht ab, daß er es so ernst mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit meint, wie er immer wieder vorgibt.
Wir werden uns in einigen Fragen nicht einigen, vollkommen klar. Aber, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, daß dieses Gespräch stattfindet, hätten Sie gar nicht für möglich gehalten.
Als ich als Wirtschaftsminister angefangen habe, meine Antrittsbesuche zu machen, habe ich zuerst den DGB in Düsseldorf besucht. Dort habe ich den Vorschlag gemacht, man möge doch bitte noch einmal darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll sei, nicht in der Form der Konzertierten Aktion, sondern in einem Dreier-Gespräch zwischen den Tarifparteien und der Regierung, wichtige Fragen der Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes gemeinsam zu besprechen. Das habe ich dann auch der Presse gegenüber erläutert und vertreten.Da hat man gesagt: Na ja, das ist eine schöne Idee eines Menschen, der den Bonner Betrieb nicht richtig kennt. Das wird natürlich nicht funktionieren. — Gott sei Dank! Ich bedanke mich dafür bei denen — bei den Gewerkschaften und auch bei den Arbeitgeberverbänden —, die den Sinn dieses Gespräches erkennen, daß sie über den Schatten anfänglicher Bedenken hinweggekommen sind und dieses Angebot angenommen haben. Ich wünsche mir, daß wir trotz der unterschiedlichen Sachauffassungen zu bestimmten Problemen in diesem Gespräch einige konkrete Maßnahmen gemeinsam vereinbaren können, z. B. eine Qualifizierungskampagne, um das Problem des Auseinanderklaffens von Qualifikation und Angebot neuer Arbeitsplätze zu lösen. Zum Beispiel könnten wir die Frage besprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen, wie wir für ältere Arbeitslose den Bezug von Arbeitslosenunterstützung länger möglich machen. Denn es ist ganz eindeutig so, daß der Charakter der Arbeitslosenversicherung dann in sein Gegenteil verkehrt wird, wenn das Anrecht, Arbeitslosenunterstützung zu beziehen, zu knapp bemessen ist und diejenigen, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge gezahlt haben, dann nicht die dafür eigentlich zu beanspruchende Leistung bekommen.Ich wünsche mir das. Wir haben uns, soweit das schon notwendig war, in der Regierung auf dieses Gespräch gut vorbereitet. Ich hoffe, daß Sie uns dabei unterstützen und daß Sie nicht aus parteipolitischen Überlegungen, auch wenn sie noch soviel Berechtigung haben, schon im Vorfeld dazu beitragen, daß dieses Gespräch nicht die Ergebnisse hat, die wir alle brauchen.Denn über zwei Millionen Arbeitslose — ich wiederhole das —, das ist eine Aufforderung an jede Regierung, aber das ist auch eine Aufforderung an jede Opposition, es ist eine Aufforderung an die Tarifparteien, sich dem Problem dadurch gewachsen zu zeigen, daß man ernsthaft und offen nach Lösungen sucht und nicht vordergründige egoistische Vorteile daraus zieht. Das ist die große Gefahr dabei.
— Natürlich ist das schwer. Wenn ich in der Opposition wäre, würde mir das auch schwerfallen.
— Wir wollen uns darüber nicht in Prophezeiungen ergehen. Das überlassen wir ganz einfach dem Wähler.Es ist natürlich so, daß jede Opposition sozusagen ein institutionalisiertes Interesse daran hat, nachzuweisen, daß die Regierung schlecht ist. Das ist sicher richtig. Deswegen fällt es Ihnen ja auch so schwer, die Contenance zu bewahren, wie Thomas Mann sagen würde. Denn wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben: Diese Regierung ist gut.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11383
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Über Gewicht reden wir nicht.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bangemann hat zum Schluß während seiner Ausführungen zum Gespräch mit den Sozialpartnern, den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden, an diesem Donnerstag gesagt, man solle die Parteipolitik aus der Diskussion über die Massenarbeitslosigkeit herauslassen. Ich hätte mir gewünscht, daß das geschehen wäre.
Der Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel hat vor dem Wahltag 6. März 1983 und anschließend ständig insistiert, man müsse einen Beschäftigungspakt in der Bundesrepublik Deutschland schaffen, bei dem alle sozialen Gruppen Opfer bringen.
Das war vor zweieinhalb Jahren. Vor zweieinhalb Jahren kam dieser Vorschlag. Er wurde in der ersten Phase in der Bundesrepublik Deutschland regelrecht verspielt, weil man geglaubt hat, eine billige, miese Kampagne gegen die IG Metall und ihre Forderung nach Arbeitszeitverkürzung sei wichtiger als das Gespräch der sozialen Gruppen. Das ist doch wohl wahr. Oder haben Sie das Wort dessen nicht mehr im Ohr, der heute für die Haushaltsdebatte keine Zeit hat — was ich auf Grund der Probleme dieser Regierung verstehe —: es sei dumm, absurd und töricht, wenn man die Arbeitszeit verkürzt? Heute gehen Sie her und sagen, wir haben eine Beschäftigungszunahme, obwohl jeder weiß, daß etwa hunderttausend Arbeitsplätze nur dadurch geschaffen wurden, daß Arbeitszeitverkürzung durch die IG Metall erkämpft wurde. Das ist die Wahrheit.
Aber an dieser Stelle wollen wir als Sozialdemokraten einen Tag vor diesem Treffen klar sagen: Wir sind froh, daß Sie in dieser Grundfrage, soziale Kräfte zusammenzuführen, endlich auf die sozialdemokratische Position des Jahres 1983 eingeschwenkt sind.
Übermorgen wird man bewerten müssen, was dabei herausgekommen ist. Das ist ein bißchen schwierig, weil das Gespräch abends oder nachts stattfindet und am nächsten Morgen Haushaltsdebatte ist. Wir werden nicht mit einer negativen Bewertung vorgreifen. Jedenfalls ich tue es nicht.Ich bin der festen Überzeugung, daß nur jene Gesellschaften die Massenarbeitslosigkeit ernsthaft angehen können, in denen soziale Kompromisse auf Zeit erreicht werden, in denen nicht jeder in seinem Schützengraben der eigenen Interessen verharrt, sondern bereit ist, in der Tat zu sagen: Für die paar Jahre verzichten wir auf die sture Haltunggegen Überstundenabbau und sind für ein neues Arbeitszeitgesetz. Das wäre ein konkretes Thema für morgen abend.
Daß ein einzelner Unternehmer besser wegkommt, wenn er Überstunden fährt, ist doch logisch und klar. Daß ein Überstundenabbau ohne gesetzliche Regelung nicht stattfinden wird, ist in der marktwirtschaftlichen Ordnung doch klar. Nehmen Sie doch Regeln der Wettbewerbswirtschaft. Dann kommen Sie zu unserer Position: Es muß ein modernes neues Arbeitszeitgesetz her. Auch das ist ein Thema für morgen abend. Es geht um Bewegung von Ihnen und den Arbeitgebern, soweit sie sich bewegen wollen.
— Ach, da haben wir auf die GRÜNEN gewartet! Hier vorn in der ersten Reihe sitzt Herr Lutz. Er hat während der sozialliberalen Koalition 1976/77 bereits mit den Sozialpolitikern der FDP — leider sind sie alle nicht mehr da — einen Kompromiß zu einem Arbeitszeitgesetz ausgehandelt: Regelarbeitszeit 42 Stunden. Anschließend haben der Graf und andere eingegriffen und den Sozialpolitikern der FDP verboten, dieses Gesetz im Bundestag zu verabschieden. Das ist die Wahrheit. Das war vor etwa acht Jahren. Ich sage das nur, damit Sie von den GRÜNEN wissen, wann Sie bei den Themen Arbeitszeitverkürzung und Überstundenabbau hätten aufstehen müssen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie heute in Ihrer Rede gedacht haben mit einer Polemik gegen meine damaligen Ausführungen — 3,2 Millionen Arbeitslose in England; bei uns droht die Gefahr, daß es in eine ähnliche Richtung geht — antworten zu müssen, enttäuscht mich schon angesichts der Tatsache, daß wir heute die Information von der Bundesanstalt bekommen haben, daß wir die höchste August-Arbeitslosigkeit seit Gründung der Bundesrepublik, ja sogar seit der Währungsreform von 1948 haben. Ich habe damals in der alten Koalition zusammen mit Freunden — Egon Lutz habe ich schon erwähnt; Herbert Ehrenberg, Anke Fuchs und viele andere könnte ich nennen — immer wieder gedrängt, eine aktive Beschäftigungspolitik zu machen. Das ist verweigert worden. Anschließend ist das gekommen, was wir immer befürchtet haben: daß wir trotz einer konjunkturellen Erholung keinen Abbau der Massenarbeitslosigkeit bekommen. Das ist der Punkt.Ich will an dieser Stelle nicht um parteipolitische Positionen streiten. Was mich bedrückt, kann ich ganz einfach ausdrücken. Wir sind jetzt im dritten Erholungsjahr dieser Konjunkturphase, und wir haben keinen Abbau der Massenarbeitslosigkeit. Nun wissen wir aus früheren Konjunkturzyklen: Wenn du Glück hast, hast du vier oder viereinhalb
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11384 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
RothErholungsjahre; dann kommt die Rezession. Das ist in diesem Wirtschaftssystem unvermeidlich. Wir haben immer damit leben müssen. Das heißt aber nichts anderes — und darüber würde ich nachdenken; und wenn Sie es schon von der Sache her nicht mitmachen wollen, würde ich wahlpolitisch nachdenken — als dies: Wir beginnen die nächste Rezession mit einem Sockel von 2,2 oder 2,4 oder 2,5 oder 2,0 Millionen Arbeitslosen.
Die letzte Rezession hat mit 850 000 Arbeitslosen begonnen; da war der Wendepunkt. Die nächste wird mit 2,2 Millionen beginnen.
Meine Damen und Herren, was bedeutet das? Das bedeutet doch vor allem, daß die junge Generation, die jetzt im Bildungswesen ist, dann keine Zukunftschancen mehr sieht. Ich habe mit den Prognosen, die ich 1981/82 — mehr im internen Gespräch, das gebe ich zu — innerhalb der alten Koalition gemacht habe, recht behalten. Die Theoretiker, die gesagt haben, die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft reichen aus, um den Arbeitsmarkt zu räumen, haben unrecht behalten; das ist die Wahrheit.Ich hätte mich heute mit der Verfestigung der Massenarbeitslosigkeit in einer Aufschwungperiode auseinandergesetzt. Das ist ein neues Phänomen, das wir seit der Währungsreform noch nicht gehabt haben. Mit diesem Problem aber setzt sich diese Koalition nicht auseinander, und an diesem Problem wird sie scheitern.
Oder ein anderes Thema — der Herr Stoltenberg ist jetzt nicht da —: Die Bundesrepublik Deutschland ist immer weniger ein Land, das einen einheitlichen Arbeitsmarkt hat. Den besten Arbeitsamtsbezirk hatten wir im letzten Monat im Süden der Republik mit einer Arbeitslosenquote von 3,3 %, der schlechteste hatte eine Arbeitslosenquote von 21,2 %. Das heißt, jeder fünfte war nicht in Beschäftigung. Sind wir noch ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, das einheitliche Lebensbedingungen für die Menschen und einheitliche Lebenschancen für die jungen Leute bietet? Ganz offensichtlich nein.Und jetzt hätte ich erwartet, daß ein „Nordlicht", wie der andere gesagt hat, in bezug auf den Etat 1986 auf das Auseinanderfallen der Bundesrepublik Deutschland als eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets, als eines einheitlichen Gebiets der Lebenschancen und Lebensmöglichkeiten reagieren würde. Aber da kommt überhaupt nichts, außer daß gesagt wird, man müsse endlich die Mobilität der Arbeitnehmer fördern. Da habe ich jetzt die Frage, beispielsweise an Herrn Ronneburger, den ich jetzt gerade sehe: Ist es erwünscht, daß die Jungen, die Aktiven, die Leistungsfähigen in den Raum München, Frankfurt oder Stuttgart gehen und der Restim Norden, an der Küste bleibt? Ist das die Politik, die sich hinter dem Begriff „Mobilität der Arbeit" versteckt?
Da muß man einmal eine klare Antwort geben.Wir haben in einer ähnlichen Situation, die aber ganz milde war, wenn man es mit heute vergleicht, 1966/67 in der Großen Koalition die „Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftspolitik" erfunden, durchgesetzt. Das war insgesamt kein schlechtes Stück Arbeit. In den 70er Jahren hatten sich die Lebensbedingungen im Norden, im Zonenrand den übrigen Gebieten angeglichen. Seit einigen Jahren findet das nicht mehr statt. Meine Frage an die „Nordlichter" ist jetzt: Ist das nun eine Herausforderung, etwas zu tun, oder ist das ein Grund, Strauß und Späth zu loben? Das würde ja dann nur heißen, daß Barschel und Albrecht wohl ganz falsch liegen müssen. Denn das wäre in dieser Kritik enthalten.
Meine Damen und Herren, exakt an dieser Stelle sind wir dann jenseits der Parteipolitik. Daß wir, bezogen auf die Krisenregionen des Nordens, von der Bundesregierung keine Antwort bekommen, ist klar. Wir als Sozialdemokraten werden die Vorschläge, die wir auf diesem Gebiet schon gemacht haben, z. B. zum Länderfinanzausgleich, weiter ausbauen, damit endlich auch die Gebiete gefördert werden, die in ihren Chancen und Möglichkeiten benachteiligt sind.Meine Damen und Herren, ich hätte mir auch gewünscht, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie jenseits der Polemik zur Stahlindustrie einmal etwas Konkretes sagen, auch was das Saarland betrifft. Das war ja auch sehr eigenartig: Da war der Herr Rehberger, der abgewählte Wirtschaftsminister des Saarlandes, bei Ihnen. Er war in Saarbrükken noch nicht aus dem Zug gestiegen, als Sie dementierten, daß Sie ihm Zusagen gemacht haben. Das ist jetzt nicht weiter interessant. Nur, ich habe die Frage: Worin besteht die intellektuelle Aufrichtigkeit, wenn Sie als Bundesregierung einerseits jedes Stahlkonzept für die Bundesrepublik Deutschland verweigern, andererseits aber sagen, daß Lafontaine ein Unternehmenskonzept vorlegen muß? Also genau, was in welchem Zeitraum die Arbed Saarstahl produzieren soll. Wo ist eigentlich die Logik, wenn man ein Strukturkonzept auf der Bundesebene verweigert, aber vom Saarland ein einzelnes unternehmerisches Konzept verlangt? Wo ist die Logik? Das paßt überhaupt nicht zusammen.Ich persönlich bin allerdings der Meinung, daß Herr Lafontaine in den wenigen Monaten seiner Regierungszeit weiter gegangen ist als jeder andere vorher im Saarland.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11385
RothEr hat nämlich gesagt
— er hat das nicht wörtlich so gesagt, aber so war es für den, der kundig genug ist, zu verstehen; ich hoffe, Sie sind das —,
der Abbau der Arbeitsplätze bei Arbed Saarstahl sei noch nicht zum Ende gekommen. Er hat angedeutet, daß die Zahl im Moderatorenkonzept von damals, das mit 9 000 Arbeitsplätzen im Stahlbereich im Saarland gerechnet hat, wohl realistisch sei. Dazu gab es schon eine kritische Bemerkung, wie Sie wissen, aus dem Bereich der IG Metall. Ich will das gar nicht bewerten. Aber eines will ich sagen: Die FDP hat die letzten drei Wirtschaftsminister auf Bundesebene und vier Wirtschaftsminister des Saarlandes gestellt. Zugegebenerweise gab es einen sehr schwachen Ministerpräsidenten im Saarland. Aber ich habe niemals von irgendeinem Vertreter der Regierung des Saarlands eine so klare strukturelle Vorstellung über die Überlebensfähigkeit von Arbed Saarstahl gehört wie von Herrn Lafontaine. Das ist die Wahrheit.
Das hat politisch seine Kosten. Das ist auch schon sichtbar.Und nun erwarte ich vom Bundeswirtschaftsminister, daß er herauskommt aus dieser parteipolitischen Polemik und endlich sagt, daß er seinen Teil an der Entschuldung von Arbed Saarstahl über die Bürgschaftsverpflichtungen hinaus im Rahmen einer langfristigen Sanierung von Arbed Saarstahl übernimmt.
Das ist bisher nicht geschehen. Ich erwarte von dem Bundeswirtschaftsminister, daß er den großen Banken in der Bundesrepublik Deutschland, die durch frühere Schulden daran beteiligt sind, klarmacht, daß sie sich nicht zu 100 % von ihrer Verpflichtung von früher freistellen können.
Es geht um eine klare strukturelle Entscheidung und Hilfe für die Menschen an der Saar und nicht für Oskar Lafontaine. Das wird jetzt in einem taktischen Sinne gespielt. Das merkt ja jeder. Wer am letzten Sonntag diese unselige ZDF-Sendung gesehen hat, die offenbar mehr in der CDU-Zentrale als tatsächlich im Zweiten Deutschen Fernsehen produziert wurde, spürt, wie das zu einer parteipolitischen Ranküne aufgebaut wird, wo es hier doch um Tausende von Menschen im Saarland geht, und zwar um mehr als die 9 000, die wahrscheinlich langfristig Beschäftigung haben. Sie haben es satt, daß die Politiker in Bonn und in Saarbrücken taktische Spiele mit ihren Lebenschancen machen.
Wir können in wenigen Wochen auf der Basis dessen, was ich dargestellt habe, bei gutem Willen der Bundesregierung und bei gutem Willen derBanken — Arbed Luxemburg hat j a ohnehin gesagt, sie mische sich nicht mehr ein — zu einer Lösung in Saarbrücken kommen, wenn dieser Bundeswirtschaftsminister die Hausaufgaben macht, die sein Vorgänger und sein Vorvorgänger nicht gemacht haben.
Mich hat an dieser Debatte heute geschmerzt, daß im Zusammenhang mit der Massenarbeitslosigkeit jetzt schrittweise die Diskussion über die Statistik eine immer größere Rolle spielt, so als ob die statistischen Phänomene irgendeine Bedeutung für die künftigen Arbeitsmöglichkeiten hätten. Wir wissen, daß jede Arbeitsstatistik ihre Probleme hat. Aber wir wissen vor allem — das geben Sie in der Debatte ja unter der Hand auch zu —, daß beispielsweise 1 Million Menschen nicht in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, obgleich sie dringend Arbeitsplätze suchen. Sie sagen j a auch: Wenn wir 200 000 Arbeitsplätze schaffen, kommen nur 100 000 aus der Arbeitslosenstatistik. Das beweist ja, daß die ganze Angelegenheit mehr Probleme der stillen Reserve verhüllt, als tatsächlich Arbeitswillige nicht aufgenommen wurden.Ich habe den Eindruck, hier wird, weil man merkt, daß man im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit nicht weiterkommt, nun eine Dauerdiskussion um Arbeitslose als Schuldige gestartet. Ich habe irgendwo das Gespür, daß der Herr Geißler, Ihr Wahlkampfplaner, offenbar neuerdings auch der Ratgeber in der ganzen Auseinandersetzung um die Arbeitslosigkeit wird. Der Wahltag 1987 dominiert bei Ihnen neuerdings das Denken und nicht das Problem der Arbeitslosigkeit.Wissen Sie, wenn Sie mich an dieser Stelle auf Herrn Geißler ansprechen, möchte ich, weil das in der Sommerpause eine Rolle gespielt hat, doch noch ein Wort zu seiner Arbeit als Minister sagen.
Mir ging und geht es jetzt nicht um eine weitere spitzfindige juristische Auseinandersetzung mit ihm, sondern am Ende seiner Amtszeit um eine Bewertung seines Fehlverhaltens in diesem Frühjahr.
Ende April hat Österreich — das ist nachweisbar und unbestritten; wir haben die Daten und auch Zeugen — vor dem Weinskandal in der Bundesrepublik Deutschland gewarnt. Am 25. April ist das Ministerium in Rheinland-Pfalz eingeschaltet worden.Schon im März — das liegt uns vor — gab es in Spezialzeitschriften Hinweise darauf, daß ein Vergiftungsskandal drohe. Wörtliches Zitat aus einer dieser Zeitschriften, die auch hier zur Verfügung stehen: „Wegen ihrer toxischen Wirkung müssen Zusätze dieser Glykole jedoch wirkungsvoll unterbunden werden."Anfang Mai hat ein Kollege Ihrer Fraktion, von der CDU/CSU, Herr Schartz, in diesem Parlament
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11386 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Rotheine Anfrage eingebracht, bezogen auf den drohenden Weinskandal. Die Bundesregierung hat ihm routinehaft ohne Information geantwortet.
Am 15. Mai hat der Bundesminister Geißler ein Rundschreiben an die Länderminister geschickt und hat ihnen mitgeteilt, daß keine gesundheitlichen Probleme da seien. Es handele sich um Wein, „der nur zu besonderen Anlässen getrunken werde".
Also Motto: Am Heiligabend kann man sich ruhig einmal Gift durch die Gurgel jagen. Das war am 15. Mai.Erst am 10. Juli 1985, also zweieinhalb Monate, nachdem die Informationen über die Vergiftung des Weines bekannt wurden, hat der Bundesgesundheitsminister die Öffentlichkeit informiert, also nach 79 Tagen, nachdem das im Bundesgesundheitsministerium bekannt war. Er hat erst dann eine Warnung an die Bevölkerung gegeben. Das heißt, ich bleibe bei meiner Aussage: Das ist grob fahrlässig verschleppt, verschlampt und vertuscht worden.
Es ist noch Wochen um Wochen grob fahrlässig mit der Gesundheit der Bürger umgesprungen worden. Die Bürger hätten bei rechtzeitiger Information sowohl auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite diesen Wein aussortieren können. Ich bleibe bei meiner Aussage im politischen Raum: Der zuständige Minister hat schuldhaft seine Aufsichtspflicht verletzt, die ihm gegenüber dem Ministerium obliegt, und er hat schuldhaft seine Verantwortung vor den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland nicht wahrgenommen. Ich weiß auch warum, weil er nämlich nicht in der Lage war, seinen Hauptjob und seinen Nebenjob — im Ministerium nämlich — gleichzeitig sorgfältig genug zu machen.
Diese Auseinandersetzung wird wahrscheinlich heute noch beantwortet; ich höre, der Minister selbst wird reden.Ich möchte zum Schluß noch ein paar Bemerkungen zu dem machen, was zur kurzfristigen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf der Tagesordnung steht.Erster Punkt. Nehmen Sie doch jetzt jenseits der kosmetischen Operation bei dem ERP-Sondervermögen unsere Idee „Arbeit und Umwelt" auf! Das ist doch eine große Chance, Umweltinvestitionen zu machen, junge Leute auch davon zu überzeugen, daß diese Gesellschaft das Umweltproblem löst, und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen.
Nehmen Sie das in umfassendem Sinne auf! Sie alsder Minister für das ERP-Sondervermögen könntendurch eine Initiative hier sogar eine historische Weichenstellung schaffen.Zweiter Punkt. Gehen Sie an praktische Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung heran: am Donnerstagabend Überstundenabbau durch ein neues Gesetz, am Donnerstagabend Überlegungen über eine Vorruhestandsregelung im öffentlichen Dienst und Nachbesserung des Vorruhestandsgesetzes, das letztes Jahr bei unseren Warnungen als unwirksames Gesetz beschlossen wurde!Dritter Punkt. Schauen Sie sich den Etat, vor allem auch Ihren Etat, daraufhin genau an, wo Ansatzpunkte verstärkt werden könnten, was den regionalen wirtschaftspolitischen Konsens in diesem Lande anbetrifft! Das ist eine gute Chance, auch innovativ etwas zu tun.Vierter Punkt. Gehen Sie nicht daran, jetzt die Energiereserve der Bundesrepublik Deutschland, die Kohle, zu zerstören, sondern schaffen Sie eine Kohlepolitik, die Arbeitsplätze sichert und auf der anderen Seite die Energiereserven in der Bundesrepublik Deutschland sicherstellt!
In diesem Etat, in dem Sie Subventionen gestrichen haben, ist die Kohlesubvention die hauptsächliche Sparbüchse, und das ist langfristig eine Politik gegen die Interessen nicht nur der Menschen im Revier und an der Saar.Letzter Punkt. Schaffen Sie eine Strukturpolitik, die jetzt in der Erholungsphase, in der besseren Konjunktur verhindert, daß im Stahlbereich nach zwei Jahren, wenn die Rezession beginnt — sie wird beginnen —, eine ähnliche katastrophale Lage eintritt, wie wir es in der letzten Rezession gehabt haben, und zwar auf Grund der Verweigerung eines Stahlkonzepts durch die Bundesregierung.Das wären fünf konkrete Ansatzpunkte, die die Regierung jetzt anpacken könnte, und zwar im Interesse der Menschen in diesem Lande, im Interesse der Arbeitslosen. Diese Wirtschaftsdebatte, diese Haushaltsdebatte sollte das Ergebnis haben, daß Koalition und Opposition wenigstens in einer Frage übereinstimmen, daß wir den Wettbewerb im Kampf um die Arbeitslosigkeit und nicht im Kampf um Parteitaktik an dieser Frage verschärfen müssen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lattmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann eigentlich nur noch Außenstehende beeindrucken, wie der Kollege Roth hier mit Theatralik und bewegter Stimme Mißstände in dieser Republik beklagt und so tut, als hätte er damit überhaupt nichts zu tun.
— Es ist dem Thema angemessen, daß Herr Roth sotut, als hätte er damit nichts zu tun? Das ist einDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11387Lattmanninteressanter Einwurf; das nehmen wir mal zur Kenntnis. Das liegt auch auf der Linie dessen, was wir in den letzten Tagen aus dem Saarland gehört haben, was hier angesprochen worden ist. Wir haben noch gut in Erinnerung, was im Wahlkampf dort versprochen worden ist, und dürfen nun zur Kenntnis nehmen, daß dem Ministerpräsidenten nicht viel mehr einfällt, als Forderungen an Bonn zu formulieren. Wir werden auch dies zu würdigen wissen.Herr Kollege Roth, ich weiß nicht, was Debatten hier in diesem Hause noch bewirken sollen, wenn Sie das Thema Nord-Süd-Gefälle ansprechen. Wir hatten wenige Wochen vor der Sommerpause eine große Aussprache dazu, und in dieser Aussprache ist sehr deutlich geworden, daß es weniger ein SüdNord-Gefälle als ein Mitte-Links-Gefälle gibt, und es sind eine Reihe von Antworten gegeben worden. Ich weiß nicht, was es eigentlich soll, hier heute Fragen oder Antworten einzufordern, die damals längst gegeben worden sind.
— Ja, ganz eindeutig, das ist mehrfach festzustellen. Insbesondere war es heute morgen vom Finanzminister zu Ihrem Sprecher wirklich geradezu ein Absturz, das war schon kein Gefälle mehr.Meine Damen und Herren, nachdem es dieser Regierung gelungen ist, drei von vier Eckpfeilern der Wirtschaftspolitik wieder aufzurichten, Eckpfeiler — da helfen alle Ausflüchte nicht —, die von den Sozialdemokraten umgeworfen wurden — nicht aus bösem Willen, sondern aus der erwiesenen Unfähigkeit, Ideen und Programme von vorgestern an die Erfordernisse einer modernen Volkswirtschaft anzupassen, und aus der erwiesenen Unfähigkeit, mit Geld umzugehen —, bleibt als zentrale Aufgabe die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.Der Haushalt 1986 bietet dafür erneut wichtige Ansätze. Wer nicht die Meinung vertritt, hektischer Aktionismus sei allein schon erfolgreiche Politik, und wer sich die Ausgangslage ansieht — die strukturellen und deshalb nur langfristig zu beseitigenden Verwerfungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt; damit verbunden der größte Anstieg der Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik —, wird, wenn er überhaupt noch ernst genommen werden will — ein Anspruch, den manche Redner der Opposition offensichtlich aufgegeben haben —, zumindest nicht bestreiten können, daß die gewaltigen Anstrengungen dieser Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erste deutliche Erfolge zeigen und damit die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges zunehmend deutlicher wird.
Natürlich kann man kritisieren, daß der Abbau der Arbeitslosigkeit nicht schnell genug geht. Aber eine seriöse Diskussion muß bei der Frage beginnen, wer die Menschen überhaupt arbeitslos gemacht hat.
— Auf diesen dümmlichen Zwischenruf habe ich geradezu gewartet. Wir hatten Ende 1982, am Ende Ihrer Regierungszeit, 2 Millionen Arbeitslose. Die Aussage von Herrn Roth bezüglich der Erwartung Ihrer damaligen Regierung und Ihrer Mehrheit ist schon zitiert worden.Natürlich ist nach 1982 die Arbeitslosigkeit noch weiter leicht gestiegen.
Daß die strukturellen Verwerfungen als Ursache der Arbeitslosigkeit nicht am Tage des Regierungswechsels weggefallen sind und auch bis heute die Fehler so vieler Jahre noch nicht vollständig beseitigt werden konnten, das muß man allenfalls jemandem erklären, der vom Pferd getreten ist. Wir j eden-falls, meine Damen und Herren, werden nicht zulassen, daß hier ständig nur über Löscharbeiten lamentiert, aber der Brandstifter vergessen wird.Unsere Politik hat bewirkt, daß der rasante Anstieg der Arbeitslosigkeit gebremst wurde, daß die Kurzarbeit — das heißt j a: die Teilarbeitslosigkeit — deutlich reduziert wurde. Das kann jeder nachlesen. Was die Statistik aber verschweigt, ist die Tatsache — das ist hier schon angeklungen —, daß die Zahl der Beschäftigten erstmals wieder steigt.
Es ist schon eine verwegene und durchaus zu erwartende Taktik, dies nun etwa den Arbeitszeitverkürzungen in der Metallindustrie zuzuschieben. Sie müßten einmal erklären, warum eigentlich auch in anderen Bereichen diese Arbeitsplätze entstanden sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Gehen Sie einmal in mittelständische Betriebe und sehen Sie sich die Situation an, auch die Situation, die durch die Arbeitslosigkeit entstanden ist. Dann kann man nur sagen: Diese Zunahme der Beschäftigung war trotz der Arbeitszeitverkürzung möglich.
— Wir sind hier, Herr Ehrenberg, noch nicht beim Glauben. Das kommt ja immer zum Ausdruck, wenn Sie Ihre Rezepte hier ankündigen. Das hat sehr viel mit Glauben zu tun, weniger mit Zahlen, die hier auf dem Tisch liegen. Ich befasse mich im Moment mit den Zahlen, die wir real auf dem Tisch haben, und lasse den Glauben noch einen Augenblick außen vor.Wir haben also eine Zunahme der Beschäftigtenzahlen, und das, nachdem wir über einen langen Zeitraum eine dramatische Vernichtung von Arbeitsplätzen hinnehmen mußten, nämlich in zehn Jahren über 1 Million. Nun haben wir endlich nach
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Lattmannlangen Jahren wieder den Zustand, daß die Zahl der Arbeitsplätze deutlich zunimmt.
Leider macht sich dies nicht so sehr bei der absoluten Höhe der Arbeitslosigkeit bemerkbar, und zwar deshalb — das ist jedem, der sich damit befaßt, bekannt; es wird nur immer auf der einen Seite des Hauses verdrängt —, weil die geburtenstarken Jahrgänge die Zahl der Erwerbsfähigen, also derjenigen, die Arbeitsplätze suchen, weiter kräftig steigen. Das ist im Prinzip erfreulich. Aber in einer wirtschaftlichen Situation wie dieser wirft es große wirtschaftliche Probleme auf.Aber auch diese Zahlen geben die Aufwärtsentwicklung nicht vollständig wieder; vielmehr hören wir — auch das hat Minister Bangemann schon angesprochen — zunehmend Klagen von Unternehmen, die einstellen möchten, aber die benötigten Mitarbeiter nicht bekommen können, und zwar nicht nur, wie hier angeklungen ist, im Süden der Republik; nein, dieses Problem gibt es zunehmend auch in den nördlichen Regionen, allerdings mit unterschiedlicher Intensität. Der zentrale Punkt ist — das ist ja deutlich geworden — die nicht vorhandene oder nicht ausreichend vorhandene Qualifikation derjenigen, die Arbeit nachfragen, und dies ist — Minister Stoltenberg hat das heute morgen gesagt — insbesondere eine Folge der verheerenden Bildungspolitik der Sozialdemokraten in den 70er Jahren. Deshalb begrüßen wir die von der Bundesregierung angestellten Überlegungen, diesem in Anbetracht von Massenarbeitslosigkeit völlig unhaltbaren Zustand durch eine Qualifizierungsoffensive zu begegnen. Das wäre ein weiteres Glied in der Kette von Maßnahmen dieser Bundesregierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.Die anderen Maßnahmen will ich in Kürze noch einmal erwähnen, weil die Menschen leider vergeßlich und die Nebelwerfer der Opposition ja fleißig sind: Der entscheidende Punkt war natürlich die Rückkehr zu einer Politik für Wachstum und Beschäftigung, denn ohne sie — das hat ja Herr Roth deutlich gemacht — läge die Arbeitslosenzahl schon längst über der 3-Millionen-Grenze.
Weiter erwähnen darf ich aber auch das erfolgreiche Rückkehrprogramm für ausländische Mitbürger, erwähnen darf ich den Vorruhestand, über dessen weitere Ausgestaltung wir noch sprechen müssen, erwähnen darf ich das Beschäftigungsförderungsgesetz, für das wir stärker werben müssen,
und ganz besonders unterstreichen darf ich die große Bedeutung unserer erfolgreichen Bemühungen um die Existenzgründungen, die mittlerweile zu einer gewaltigen Gründungswelle geführt haben.
Wir hatten 1983 eine Situation, in der mit Mitteln des Bundes rund 17 000 neue Betriebe mit rund 85 000 neuen Arbeitsplätzen entstanden sind.
— Das sind Zahlen, die es bei Ihnen nicht gegeben hat. Ich kann Ihre Unruhe verstehen, aber nehmen Sie doch wenigstens einmal diese Zahlen hin.
Für 1985 erwarten wir einen neuen Rekord.
Besonders erfolgreich ist das von der CDU/CSU initiierte Ansparprogramm für Existenzgründer, für das wir im letzten Haushalt die Voraussetzungen geschaffen haben. Nach wenigen Wochen Laufzeit dieses Programms ist der Förderrahmen von 200 Millionen bereits fast vollständig ausgeschöpft. Meine Fraktion wird sich bemühen, dieser erfreulichen Entwicklung im Rahmen der Beratungen des Haushalts Rechnung zu tragen.Diese gewaltige Neugründungswelle der letzten zwei Jahre markiert deutlicher als manches andere, daß unsere wirtschaftspolitischen Weichenstellungen richtig waren, daß sie angekommen sind, die Weichenstellungen weg von der Leistungsbehinderung, weg vom Zukunftspessimismus, weg von der Vorstellung einer totalen Machbarkeit aller Dinge durch den Staat, statt dessen hin zu mehr Eigeninitiative, Kreativität und Selbstverantwortung.
— Gerade an Ihre Adresse, meine lärmenden Damen und Herren von der Opposition, sei gesagt:
Gerade wegen der zuletzt angesprochenen Selbstverantwortung darf nun allerdings nicht der Eindruck entstehen, die erwähnten staatlichen Maßnahmen allein seien dazu ausreichend, die Lage am Arbeitsmarkt nachhaltig zu verbessern. Ein deutlicher Hinweis auf die Mitverantwortung der Tarifpartner ist hier angebracht. Wer Tarifautonomie will, wer die eigenverantwortliche Gestaltung der Bedingungen, unter denen Arbeit stattfindet, will,
kann sich nicht aus exakt dieser Verantwortung mogeln, wenn der Karren im Dreck sitzt.
Es ist schon eine merkwürdige Situation, daß auf der einen Seite das Hohelied der Tarifautonomie gesungen wird, sich auf der anderen Seite aber in der Frage der Überstundenregelung die Tarifpartner — zumindest der eine Teil — außerstande erklären, das Problem zu lösen, und nach dem Gesetzgeber rufen. Wir wollen Ihnen und auch den Tarifpartnern diese Diskussion nicht ersparen. Die Situation in den Betrieben ist, auch was die Entwicklung bei den Überstunden angeht, viel zu unter-
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Lattmannschiedlich, als daß wir sie mit einem groben Raster festlegen könnten. Das sollen, bitte schön, die Betriebsleitungen mit den Betriebsräten vereinbaren; da gehört das nämlich hin.
Wir begrüßen im übrigen das morgige Gespräch der Bundesregierung mit den Tarifpartnern sehr nachhaltig. Es ist allerdings nicht, wie manche glauben machen möchten, ein Anfang von Beschäftigungspolitik, sondern allenfalls — und das hoffen wir sehr — der Anfang einer stärkeren Mitwirkung der Tarifpartner bei der Bewältigung der Beschäftigungsprobleme. Insbesondere — lassen Sie mich dies in aller Deutlichkeit sagen — die deutschen Gewerkschaften sind wirklich aufgefordert, nun endlich einen konstruktiven Beitrag zu leisten.
Ich habe mir diese Kampagnen eine Reihe von Monaten angesehen. Deshalb gestatten Sie mir ein wirklich deutliches Wort. Der DGB muß aufhören, sich weiter über den Volkssouverän zu stellen und seine Hauptaufgabe im Sturz einer demokratisch gewählten Regierung zu sehen.
Wir lassen es den Gewerkschaften nicht länger durchgehen, daß sie mit Verleumdungen und Verdrehungen gegen uns in oft maßloser Weise vorgehen, um von der eigenen schweren Verantwortung abzulenken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zander?
Nein, ich möchte den Gedanken gern zu Ende bringen.
— Ich verstehe, daß Sie lärmen. Sie möchten natürlich gern, daß diese Situation erhalten bleibt. Aber es ist eine Schande, daß der deutsche Arbeitnehmer in dieser Weise mißbraucht und verschaukelt wird.
Wir können diese nicht durch sachliche Kritik, sondern durch schlimme Demagogie und oft sogar blanken Haß getragenen Tiraden auch deshalb nicht länger hinnehmen, weil sie die Einheitsgewerkschaft, die wir trotz aller Mängel wollen, zunehmend beschädigen. Ich sage Ihnen ganz deutlich, der Punkt rückt näher, an dem es CDU-Mitgliedern nicht mehr zuzumuten ist, daß sie mit ihren Beiträgen diese hemmungslose Agitation gegen die eigene Partei finanzieren.
Im Interesse aller ist deshalb eine Umkehr dringend geboten, und dazu bietet das Gespräch morgen Gelegenheit.
Wir werden weiter alle Kräfte auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konzentrieren. Das werden wir auch im Verlauf dieser Haushaltsberatungen deutlich machen. Es sind schon einige Punkte angesprochen worden; ich habe hier auch die Existenzgründungen erwähnt.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation im Baubereich. Erwähnt und lebhaft kritisiert worden sind die geplanten Abschreibungserleichterungen. Das, was der Kollege Spöri hier angesprochen hat — auch die Kritik, die er dazu vorgebracht hat —, macht deutlich, daß ihm im Prinzip nur ein Verteilungsdenken zur Verfügung steht. Die Bedingungen einer dynamischen Marktwirtschaft sind ihm völlig fremd. Daß hier wirklich etwas in Bewegung gesetzt werden kann und damit die Ausfälle, die er befürchtet, gar nicht eintreten, ist eine Denkweise, die es bei Sozialdemokraten offensichtlich gar nicht gibt. Wenn er sich ansieht, was durch Abschreibungserleichterungen in der Nachkriegszeit in Deutschland erreicht werden konnte, wenn er sich das gleiche in Amerika und in Berlin ansieht, wo ähnliche Modelle erfolgreich waren, dann weiß er, daß dies die falsche Betrachtung ist.
Wir haben eine Reihe von Maßnahmen, die im Rahmen der Haushaltsberatung noch deutlich werden, auf den Weg gebracht. Wir erwarten, daß künftig andere den Arbeitsmarkt gestaltende Gruppen endlich einen ähnlichen Einsatz zeigen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Anlaß, über den Haushalt des Wirtschaftsministeriums zu diskutieren, müssen wir wahrnehmen, um darauf hinzuweisen„ daß es sehr unterscheidbare Wirtschaftspolitiken gibt. Ich gehe einmal davon aus, daß die umfangreichste Wirtschaftspolitik, die in den letzten Jahren in der Umgebung aller Regierungen und in der Umgebung dieses Parlaments betrieben worden ist, eine Wirtschaftspolitik ist, die ihre Basis in Parteispenden gehabt hat. Pharmaindustrie und Versicherungswirtschaft, Banken usw., einer nach dem anderen ist ins Gerede gekommen. Wenn ich mir den Etat des Wirtschaftsministeriums anschaue, dann muß ich feststellen, daß die Summen, die mit Hilfe dieser Parteispenden bewegt worden sind, wesentlich größer sind, als der Etat des Wirtschaftsmi-
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Dr. Müller
nisteriums es überhaupt hergeben würde. Das ist die wirkliche Wirtschaftspolitik in dieser Republik.
Sie reden an der Wirtschaftspolitik vorbei. Die exorbitanten Gewinne der deutschen Versicherungsgesellschaften — ich empfehle da internationale Vergleiche — sprechen eine sehr deutliche Sprache.Nun höre ich, daß die Sozialdemokratie sich entschlossen hat, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in Sachen Parteispenden abzulehnen.
Da gibt es offensichtlich noch viel zu verbergen. Zuerst läuft Ihnen der Kassierer davon, und jetzt wollen Sie keinen Untersuchungsausschuß. Das scheint die Wirklichkeit zu sein, die Sie zu verschleiern haben. Ich würde doch wirklich gern mal genau wissen, warum Sie sich nicht bereit erklären, einem Untersuchungsausschuß zuzustimmen.In einer dpa-Meldung, Herr Roth, geben Sie eine Begründung. Sie sagen, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß lasse zusätzliche Erkenntnisse nicht erwarten. Also keine zusätzlichen Erkenntnisse darüber, wie die Gesetze für die Versicherungen zustande gekommen sind, keine zusätzlichen Erkenntnisse darüber auf welche Art und Weise die Versicherungsgesellschaften eine goldene Nase verdient haben.Ein Leserbrief im „Spiegel" macht doch sehr deutlich, was Einflußnahme heißt. Da schreibt ein kluger Mann, er frage sich, nachdem er eine Lebensversicherung mit Gewinnbeteiligung abgeschlossen habe, ob er damit nun an der Gesetzgebung des bundesdeutschen Parlaments beteiligt sei. — So ist die Wirklichkeit.
Überhaupt, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, wie Sie mit den Millionen umgehen: Da fehlen plötzlich 5,9 Millionen DM im innerdeutschen Ministerium unter dem sozialdemokratischen Minister Franke. Es gibt keine Belege. Kein Mensch weiß, wohin das Geld ist. Zur gleichen Zeit tauchen 6,2 Millionen DM — möglicherweise dieselben — in Ihrer Parteikasse auf.
In Bonn munkelt man bereits, ob es sich um dieselben Gelder handelt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Nein, im Augenblick nicht. Die Zeit ist zu kurz.Ich möchte mir erlauben, Herrn Roth zu zitieren. In der letzten Woche sagen Sie in der „Zeit" folgendes zu der Frage Parteispenden und Versicherungswirtschaft — ich zitiere Sie, Herr Roth —:Ich habe persönlich mit der Versicherungswirtschaft gar nicht geredet. Für mich war das praktisch eine Unterstützungsaktion von Alex Möller , dem ich mich verbunden fühle. Seither habe ich mit dem Versicherungsverband keinen Kontakt gehabt. Eine Einflußnahme habe ich damals nicht gesehen, außer den ständigen Gesprächen mit Herrn Möller, an denen mir viel lag.— Herr Möller, Autor eines Buches „Ein Leben für die Versicherungswirtschaft".
Ständige Gespräche! Wunderbar! Das war Einflußnahme. Das ist das, was Sie hier vertuschen wollten.Herr Roth, es war auch eine persönliche Bereicherung, wie aus diesem selben Interview hervorgeht. Ich zitiere Sie:Nein: 60 000 Mark kostet bei uns heute etwa ein Wahlkampf. Davon trägt die Partei ein Drittel; ein Drittel kriegen wir aus Spenden verschiedener Art, und ein Drittel trägt man selbst bei.Dieses Drittel, Herr Roth, wollten Sie mit Hilfe von Parteispenden offensichtlich minimieren, als Sie von der Versicherungswirtschaft Geld genommen haben, nicht versteuertes Geld zum größten Teil.Das war die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre. Ich finde die Art und Weise lächerlich, Herr Roth, wie Sie auf der einen Seite staatlich finanzierte Programme fordern und wie Sie auf der anderen Seite abkassiert haben. Das ist doch ein Widerspruch sondergleichen, ein Verlust an politischer Glaubwürdigkeit.
Sie haben diesen parlamentarischen Untersuchungsausschuß offensichtlich deswegen abgelehnt, meine Damen und Herren, weil es Ihnen darum geht, zu vereiteln, daß das Parlament und über den Bundestag auch die Bürger in diesem Land darüber informiert werden, wo denn die Parteien außer den 446 Millionen DM an Steuergeldern, die sie eh schon bekommen, eigentlich ihr Geld bekommen und wie hier mit Geld Politik gemacht wird. Das ist der wirkliche Grund, weswegen Sie einem Untersuchungsausschuß nicht zustimmen wollen.Das ist offensichtlich auch der wirkliche Grund, warum Ihr Parteikassierer den Hut genommen hat.
Wenn das nicht stimmt, dann weisen Sie bitte endlich nach — ich hoffe, daß es in Ihrem Hause so etwas wie ein betriebliches Rechnungswesen gibt —, wo denn die 6,2 Millionen DM hergekommen sind. Kommen Sie mir nicht damit, daß Herr Nau das mit ins Grab genommen habe. Er mag zwar zum richtigen Zeitpunkt gestorben sein, aber ohne betriebliches Rechnungswesen ist eine Parteifinanzierung in meinen Augen nicht denkbar.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11391
Dr. Müller
Sie sollten zur Glaubwürdigkeit zurückfinden.Wir werden hier beantragen, daß über die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses namentlich abgestimmt wird. Da möchte ich sehen, wieviel Hochachtung Sie eigentlich vor einem Parlament und einem Untersuchungsausschuß noch haben.Danke schön.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! An der Stelle meines Vorredners hätte ich mich auch gehütet, die wirren wirtschaftspolitischen Vorstellungen der GRÜNEN der deutschen Öffentlichkeit vorzustellen. Ich verstehe, daß er auf ein anderes Gebiet ausgewichen ist.
Dies, meine Damen und Herren, ist eine Diskussion in der ersten Lesung des Bundeshaushalts. Sie gibt Anlaß, grundsätzliche Bemerkungen zur Wirtschaftspolitik zu machen. Davon will ich in einem Punkt ein wenig abweichen. Ich will Ihnen, Herr Kollege Roth, nämlich noch einmal sagen: Es gibt keine Veränderungen der Position der Bundesregierung und schon gar nicht des Bundeswirtschaftsministers in Sachen Arbed-Saarstahl. Es bleibt dabei, daß ein Unternehmenskonzept vorgelegt werden muß. Es bleibt dabei, daß auf der Basis eines tragfähigen Unternehmenskonzepts Gespräche mit den Beteiligten — auch mit den von Ihnen erwähnten — geführt werden müssen. Es bleibt dabei, daß die Bundesregierung bereit ist, auf der Basis eines solchen Konzepts an einer Entschuldung von Arbed-Saarstahl mitzuwirken.Es bleibt aber auch dabei, daß durch die Behandlung eines einzelnen Unternehmens nicht die gesamte Politik der Bundesregierung gegen weitere Subventionen in Europa unterlaufen werden darf, weil das zu Lasten unserer Stahlindustrie ginge. Es bleibt weiter dabei, meine Damen und Herren, daß die Zeit drängt, daß wir bestenfalls noch einige Wochen Zeit haben und daß sich die saarländische Regierung, nachdem sie ihr Verstaatlichungsgerede glücklicherweise vergessen und aufgegeben hat — das hat sowieso nur den Wahlkampf überlebt —, daran beteiligt.Meine Damen und Herren, die Freie Demokratische Bundestagsfraktion unterstützt die marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik des Bundeswirtschaftsministers, der Bundesregierung und der Koalition.
Unbestreitbar sind die Erfolge dieser seit Herbst 1982 durch unsere Entscheidung möglich gewordenen Wirtschaftspolitik.
Nach Jahren, in denen die Volkswirtschaft schrumpfte, haben wir seit 1983 Jahr für Jahr wieder reales Wachstum.
Auch die Wachstumsaussichten für 1986 sind gut. Die Stabilität der Preise ist so erfreulich wie lange nicht mehr. Die Zinsen sinken. Der Außenwert der Deutschen Mark steigt. Ich erinnere mich an die etwas abstruse Diskussion mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden über den Außenwert von Währungen noch vor wenigen Wochen. Der Außenwert der Deutschen Mark steigt also. Probleme im europäischen Währungssystem zeichnen sich allein wegen der starken deutschen Währung ab.Wir werden 1985 wieder einen Rekordüberschuß im Außenhandel erzielen. Unser Leistungsbilanzüberschuß kann 1985 35 Milliarden DM erreichen. Das wird zu einem internationalen Druck auf die Bundesrepublik führen, Binnenmaßnahmen zu ergreifen, die Steuern schneller zu senken.Alles in allem — Herr Lattmann hat es schon gesagt — sind drei der wichtigsten Ziele unserer Volkswirtschaft erreicht. Schwarze Zahlen gegen rot-grünes Gerede, das ist unsere Leistungsbilanz.
Aber diese Bilanz stellt uns noch nicht zufrieden, nämlich dann, wenn wir auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt sehen. Uns berührt die Beschäftigungslage nicht weniger als andere. Und ich will Herrn Roth gerne bestätigen: Änderungen der Statistik sind nicht der Weg, um dem Problem gerecht zu werden. Richtig allerdings ist die Aufforderung an diejenigen, die es angeht, die Differenziertheit der Statistik dem Bundesbürger näherzubringen und ihn nicht einmal im Monat mit der Globalzahl zu erschlagen und es bei dieser Information zu belassen.
Unleugbar, meine Damen und Herren, sind auch in der Beschäftigungspolitik Fortschritte erzielt worden. Die Zahl der Arbeitsplätze steigt. Aber der Anstieg reicht nicht aus, die auf den Arbeitsmarkt drängenden Jahrgänge zu beschäftigen. Hier müssen wir mehr erreichen. Nur sagen wir: Die Wende rückwärts, das führt in die beschäftigungspolitische Sackgasse. Fortsetzung, ja Verstärkung marktwirtschaftlicher Politik, Qualifikation, Leistung, Verantwortung der Tarifpartner, das sind nur einige Stichworte für den richtigen Weg.Mit uns gibt es den SPD-Weg zu mehr Steuern, mehr Schulden, mehr Abgaben, mehr Interventionen, mehr Gesetzen, mehr Bürokratie nicht.
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11392 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. Graf LambsdorffHier, meine Damen und Herren, liegt für uns der Pferdefuß des demokratischen Sozialismus. Nicht daß wir Ihnen vorwerfen, eine freiheitsbeschränkende Politik zu wollen; wohl aber werfen wir Ihnen vor, daß Ihre Vorschläge über mehr Staatseingriffe freiheitsbeschränkende Politik bewirken. Ganz abgesehen davon, daß höhere Steuern und Abgaben zu immer mehr Schwarzarbeit zu Lasten offizieller Arbeitsplätze führen. Und dies ist der Grund, warum sich die Freien Demokraten dafür einsetzen, daß, wenn auch nur in beschränktem Umfang, mögliche Senkungen der Beiträge zur Sozialversicherung vorgenommen werden. Ich will auf die Demonstrationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes nur mit einem Satz eingehen. „Gegen Sozialabbau" lautet das Stichwort. Ich empfehle, es zu verlängern: „Gegen Sozialabbau und für Abbau der Regierung". Dann wäre wenigstens die Wahrheit gesagt.
— Ja, das ist so gewünscht.
— Dann liegt es doch wenigstens offen, Herr Kollege Ehmke. — Die Weigerung von Sozialdemokraten und Deutschem Gewerkschaftsbund, Steuerentlastungen zuzustimmen, ist mir gerade aus Arbeitnehmersicht unverständlich.
Viele Arbeitnehmer und so mancher Unternehmer entziehen sich dem zu hoch gewordenen Abgaben-druck. Sie weichen in die Schattenwirtschaft aus. Und so wird die Schwarzarbeit zur Schweiz des kleinen Mannes. Mit Kontrollen und Strafen kommen wir dem nicht bei.Wir, die Liberalen, wollen Marktwirtschaft aber auch deshalb, weil nur sie erfolgreiche Sozialpolitik finanzierbar macht. Wer von sozialer Kälte der Marktwirtschaft, vom Charme eines Eisschranks spricht, der hat sie nicht verstanden.
Ich frage Sie: Was macht die Kälte eines Systems aus, das uns aus dem Nichts nach dem totalen Zusammenbruch unserer wirtschaftlichen Existenz in kürzester Zeit Wohlstand für alle gebracht hat?
Was ist inhuman an einem Wirtschaftssystem, das aus einem hungernden Volk eine der reichsten Industrienationen der Welt gemacht hat, das uns diesen historisch beispiellosen Erfolg zum Wohle aller beschert hat?Das Erfolgsgeheimnis der freien Marktwirtschaft ist einfach: Die mächtige Triebfeder des Eigennutzes ist in den Dienst des Gemeinwohls gestellt.
Wirtschaftlichen Erfolg hat nur der, der mit volkswirtschaftlich knappen Ressourcen sparsam umzugehen versteht, der die jeweils zukunftsträchtigstenVerfahren und Produkte aufzuspüren vermag, derund das ist entscheidend — nur das produziert, was den stets wechselnden Bedürfnissen der Verbraucher am besten entspricht. Es ist der Markt
— Meine Damen und Herren, wer hier das Stichwort Milchsubvention einwirft, der hat natürlich weder von Marktwirtschaft noch von Agrarpolitik etwas verstanden. Ich empfehle, Sie gehen bei dem Kollegen Müller ... Nein, das ist die Universität Oldenburg, lassen Sie das lieber, nehmen Sie da keine Nachhilfe.
Es ist der Markt, meine Damen und Herren, der alle Marktteilnehmer dazu zwingt, Arbeit, Kapital, Rohstoffe so sparsam, so wirtschaftlich wie irgend möglich einzusetzen. So entsteht Produktivität, und so entstehen die Mittel, die wir einsetzen können, um Marktergebnisse zu korrigieren, um unserer sozialen Verpflichtung zu genügen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Im Gegensatz zu dem Kollegen Müller, der die Zwischenfrage abgelehnt hat, will ich sie gerne zulassen.
Vielen Dank, Graf Lambsdorff. — Ist Ihnen bekannt, daß ich nicht an der Universität Oldenburg und auch nicht an der Universität Bremen studiert habe, sondern an der Universität München?
Das will ich gern zur Kenntnis nehmen.
Ich frage mich aber dann wirklich ernsthaft, Herr Kollege, was davon noch übriggeblieben ist.
Einfacher ausgedrückt: Die Koalition der Mitte weiß, daß man nur verteilen kann, was man geschaffen hat, und unsere Bürger wissen das auch. Der Volksmund sagt nicht umsonst: „Nur ein Schuft gibt mehr, als er hat." Soviel zu rot-grüner Umverteilungsphilosophie!Wir Liberalen, meine Damen und Herren, wollen unsere freiheitliche Soziale Marktwirtschaft aber auch deswegen, weil freiheitliche Wirtschaft und freiheitliche Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden sind und zusammenhängen.
Die Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft „Jenseits von Angebot und Nachfrage" — das ist die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11393
Dr. Graf LambsdorffOrdnung, in der wir leben wollen, wobei wir wissen, daß Wettbewerb die genialste und beste Kontrolle wirtschaftlicher Macht ist.
Wir Liberalen sagen: die persönliche Freiheit in Staat und Wirtschaft, gebunden in soziale Verantwortung, begründet auf Wettbewerb und Leistung — das ist unser Angebot, das ist unser Vorschlag an den Bürger.Unser Koalitionspartner CDU/CSU, Sie, meine Damen und Herren, haben angekündigt, Ihr Profil in der Wirtschaftspolitik aufzumöbeln. So haben wir das im Sommer gelesen. Wohlauf! Wir sind für den Wettbewerb auch hier. Wettbewerb um die bessere Vertretung und Durchsetzung der Politik der Sozialen Marktwirtschaft — das ist ein wahrhaft liberales Thema!Der Bundeskanzler hat kürzlich einmal gesagt, für ihn sei es nicht entscheidend, den Ludwig-Erhard-Preis zu gewinnen; es sei vielmehr wichtig, die nächste Wahl zu gewinnen. Wir sagen ihm: Herr Bundeskanzler, versuchen wir einmal gemeinsam beides! Versuchen wir, den Ludwig-Erhard-Preis und die nächste Wahl zu gewinnen! Sie werden sehen: Es funktioniert.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat beginnen, zu dem ich nur teilweise berechtigt bin, weil ich zwar in Dortmund geboren, aber seit 18 Jahren in Bayern ansässig bin. Es ist von Elke Heidenreich alias Else Strathmann, und es lautet über den Bundeshaushalt so:Über nix kann ich mich so aufregen wie dadrüber, dattet inne Kasse von unsern Bundeshaushalt nie ma stimmt, Sie. Die ham datt doch nu alle studiert, datt sind Minister, kriegen wer weiß wieviel Geld dafür un komm vorne un hinten nich hin mittet Geld, rubbeldiekatz, isset weck, kaum dattse ma mitten Regieren angefangen ham. Die schmeißen mitte Million rum, als tätense Quatett spielen — gibse mir noch drei Milliarden fürde Rüstung, dann krisse von mir noch zwei Maak fuffzich fürt Soziale, könnwer Kultur ablegen.Und der Schluß dieses „bemerkenswerten" Aufsatzes:Nänä, der ihren Haushalt, den hättich schnell saniert, glaumse datt? Eine einzige richtige deutsche Hausfrau inne Regierung, unter Bundeshaushalt tät anders aussehn, datt glaumse aber!
Wir haben hier jetzt also erlebt, daß sich die Spitzenpolitiker der Nation — männlich! — hierher — und ihre Sicht und die Wirtschaftslage dar — stellen, und die Nation, Otto Normalverbraucher undseine Frau Lieschen geborene Müller — manchmal haben beide auch einen Doktortitel, verstehen die Sache aber deshalb noch lange nicht gleich besser —, fragen sich allabendlich vor dem Fernsehschirm: Was bringt mir das, was hilft mir das?Haushalt ist nun kein Zahlenfriedhof, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber auch kein Nullsummen-spiel für Leute, die gern mit großen Zahlen rechnen, sondern im Haushalt geht es um handfeste Politik, die jede Bürgerin und jeden Bürger angeht. Damit will ich mich mit meinen beiden Vorrednern auseinandersetzen.Herr Müller, ich bin sehr tolerant gegenüber den GRÜNEN; aber lassen Sie sich sagen: Argumente werden nicht dann besser, wenn man sie mit Schaum vor dem Mund vorträgt. Politik ohne Moral ist schlecht — das gebe ich Ihnen zu.
Aber Moral und Selbstgerechtigkeit ersetzen keine Politik. Ich wüßte ganz gern einmal, was Sie als GRÜNE zur wirtschaftlichen Situation und zum Haushalt zu sagen haben.
— Okay, dann können Sie das ja beim nächstenmal tun.
Aber auch Sie, Graf Lambsdorff, haben wir schon offensiver erlebt. Ideologisches Schattenboxen ist eigentlich unter Ihrem Niveau. Ich kann verstehen, daß Sie gerade heute hier reden wollten; aber viel ist Ihnen nicht eingefallen. Ich kann auch verstehen, daß Sie — angereichert durch den Besuch der Ansbacher Bach-Woche, wo man Bach immer als den fünften Evangelisten feiert — vielleicht als der fünfte Evangelist der Marktwirtschaft in die Annalen eingehen und vielleicht selber für den LudwigErhard-Preis anstehen möchten. Ich hätte schrecklich gerne dieses dusslige Ludwig-Erhard-Institut „umgebracht". Soll das doch die CDU finanzieren! Das hat im Wirtschaftshaushalt nichts zu suchen. Leider Gottes ist es dank der Wende wieder hereingekommen und kassiert 300 000 DM, die wir sicherlich sinnvoller für etwas anderes ausgeben können.
Dieser Haushalt, über den wir nun drei Tage lang debattieren, segelt unter der Flagge der Konsolidierung, das heißt sparen oder — wie Else Strathmann sagen würde — nur das ausgeben, was man einnimmt.Die Preisfrage an die Regierung lautet: Ist diese Regierung sparsam? — Sie ist es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern sie wirft das Geld , das sie bei vielen kleinen Leuten zusammenkratzt, bei wenigen großen wieder zum Fenster hinaus.
Herrn Wirtschaftsminister Bangemann und seinemRichtliniengeber Bundeskanzler Kohl sieht man es
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Frau Dr. Martiny-Glotzja sozusagen leiblich an, daß sie das Sparen und Gesundschrumpfen lieber predigen als tun.
Aber — Spaß beiseite —: Es wird nachweislich mehr subventioniert, weniger investiert, mehr Konkurs angemeldet. Die Arbeitslosen werden auch nicht weniger. So toll ist das alles nicht. Die Umfragen zeigen es der Regierung ja auch: Niemand nimmt ihr ihre Gesundbeterei mehr ab.Um so mehr wundert es mich, daß diese Regierung, die in der Gunst der Wählerinnen und Wähler nicht so toll steht, sich hier nur durch Herrn Bangemann auf der Regierungsbank präsentieren läßt. Sie scheinen sich Ihrer Sache noch sehr sicher zu sein, aber das könnte sich im Laufe der nächsten Monate sehr rasch ändern.Mit dem Einsparen — vornehm: Konsolidieren — wird natürlich kräftig Politik gemacht. Wenn der Hausfrau Else Strathmann gegen Monatsende das Geld etwas knapp wird, gibt es vielleicht Pellkartoffeln mit Quark, Milzwurst gebacken oder Dampfnudeln — um es auf bayerisch zu sagen. Auf jeden Fall werden alle satt, liebe Kolleginnen und Kollegen.Die Bundesregierung macht das anders; sie verteilt höchst ungerecht. Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen, zu denen meine Kollegen und Kolleginnen aus der SPD-Fraktion sicherlich noch vieles beitragen werden.Ich will mich hier nicht mit dem Gerechtigkeitsaspekt auseinandersetzen, sondern mit dem, was die Bundesregierung an Führung eigentlich leisten und im Haushalt ausdrücken müßte. Private Wirtschaft, schön und gut. Jedes Unternehmen tut natürlich alles, um möglichst vielstellige schwarze Zahlen schreiben zu können und das angelegte Geld möglichst fruchtbar zum Hecken zu stimulieren. Aber das versteht Else Strathmann schon wieder nicht. Else, das ist genau wie in deinem Haushalt: Wenn du irgendwo eine Mark anlegst, möchtest du am liebsten zwei wieder herauskriegen.Der Staat aber muß ausgleichen, muß führen, und er muß für die Zukunft sorgen. Aber das tut diese Bundesregierung schlecht.
Wolfgang Roth hat zum Aspekt Kohle schon einiges gesagt. Ich will einen Aspekt noch nachtragen. Das für moderne Technologien zur Anwendung von Kohle die Investitionen und Subventionen zusammengestrichen worden sind, finde ich schlimm. Daß es seit Jahren keine Impulse der Bundesregierung für einen Ausbau der Fernwärme, die auf Kohlebasis beruht, gibt, finde ich genauso schlimm.Ich ziehe also den Schluß: Hinsichtlich Kohle will die Bundesregierung keine Impulse für das Jahr 2000 geben. Die Bergleute und ihre Familien — Else, hör' gut zu! — werden sich das merken.Es bleibt also die Frage: Setzt die Bundesregierung trotz der Stromüberschüsse immer noch so bedenkenlos auf Kernenergie? Wir Bayern werdenhinsichtlich der Wiederaufarbeitungsanlage Wakkersdorf auf Antwort drängen.Zweites Beispiel: Werften. Kürzungen, wohin man blickt. Die Programme laufen aus. Was passiert nun? Sind der Bundesregierung die Arbeitnehmer und ihre Familien in Hamburg und Bremen egal? Wohin führt die Bundesregierung die Küstenländer? In den totalen Bankrott, bloß weil die Stadtstaaten mehrheitlich nach wie vor SPD wählen? So kann man doch Politik nicht machen!Drittes Beispiel: Luft und Raumfahrt. Das Bild ist bestimmt von Kürzungen bei den zivilen Programmen. Wir Sozialdemokraten haben in den letzen Jahren verstärkt versucht, Impulse für zivile Projekte und Programme zu geben, um die Abhängigkeit der Firmen und ganzer Regionen von Waffenproduktion und Export zu verringern, um möglichst irgendwann den Spieß einmal umkehren, d. h. mehr für zivile als für militärische Zwecke ausgeben zu könnenIch spreche als Abgeordnete aus der Region München und habe große Sorge, daß die großen Maschinen- und Luftfahrtunternehmen wieder stärker auf Panzer, elektronische Steuerungsinstrumente und den „Jäger 90" schauen müssen, weil es an der Umstrukturierung in den zivilen Bereich fehlt. Rüstungsarbeitsplätze sind aber die unsichersten, wie jeder weiß; es sei denn, man setzt auf Krieg, und das kann ja wohl nicht der Weisheit letzter Schluß sein.
Wir schauen mit großer Besorgnis in die Zukunft bei dieser Fehlführung, zumal angesichts der traditionell guten Beziehungen der CSU nach Südafrika, in Pinochets Chile oder die Diktaturen in Schwarzafrika einige Skepsis wohl auch berechtigt ist.Viertes und letztes Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen, wieder mehr für Else Strathmann: Erst hatten wir die Geschichte mit dem Formaldehyd, dann das Glykol im Wein,
dann die Nudeln mit dem angebrüteten Ei, dann die Buttermilch aus verquirlter billiger Sauermilch, dann die Kalbsleberwurst aus Schweineleber und den Schafskäse von der Kuh — jede Woche ein neuer Skandal.Wann will diese Bundesregierung eigentlich endlich anfangen, Wirtschaftskriminalität, die zu Lasten der Gesundheit oder auch bloß des Geldbeutels des kleinen Mannes geht, zu bekämpfen?
Was wollen Sie denn endlich tun, um die Grundrechte des Verbrauchers — derzeit wird das sogar UN-weit in einer Charta beschworen und soll durchgesetzt werden — auch auf Bundesebene durchzusetzen? Es kann doch wohl nicht angehen, daß Unternehmen ihren Profit damit machen, bewußt Gesundheit und Umwelt von Otto Normalverbraucher und Else Strathmann zu schädigen.Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11395Frau Dr. Martiny-GlotzIch kritisiere in diesem Zusammenhang, daß auch in diesem Jahr der Finanzminister die wirklich bescheidenen Forderungen der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher nicht akzeptiert hat. Sie wollte Personal- und Sachmittelverstärkung, um die Verstöße im Geld- und Kreditbereich zu ahnden und besser aufarbeiten zu können und um endlich im Bereich der neuen Medien auf dem Gebiet des Bildschirmtext zwar nicht für Waffengleichheit, aber wenigstens für ein bißchen Repräsentanz der Nachfragerseite zu sorgen.
Ich kitisiere auch den Einfall von Herrn Geißler, Rita Süssmuth zu berufen. Ich habe gar nichts gegen Frau Süssmuth, und es mag sein, daß sie in familienpolitischen Fragen außerordentlich bewandert ist. Aber Familienpolitik hat er doch wohl abgehakt; das soll ja seine Abschiedsvorstellung sein. Der Gesundheitschutz war jedoch im Gesundheitsministerium unter Heiner Geißler bereits für die Katz; er hat sich überhaupt nicht darum gekümmert. Frau Süssmuth versteht davon genausowenig.
— Wie schwierig es ist, an diesem Punkt voranzukommen, das weiß ich nun wirklich gut; denn ich habe die Gesetzgebungsverfahren beim Lebensmittelgesetz, beim Arzneimittelgesetz, beim Chemikaliengesetz mitgemacht und weiß, daß das Gesundheitsministerium traditionell schwächer war, als Landwirtschaftsministerium und Wirtschaftsministerium. Es bedarf ganz dringend des Schutzes unserer Bürgerinnen und Bürger, der sich auch personell ausdrücken muß.
Else Strathmann, laß dir das nicht gefallen, daß die hohen Herren vom Sparen reden, aber ungerechtes Geldausgeben praktizieren. Laß es dir nicht gefallen, daß ihnen deine Gesundheit egal ist, wenn sie damit reich werden. Und sorge dafür, daß mehr Frauen mitbestimmen, wofür das Geld ausgegeben wird. Dann wird es bestimmt mehr als 2,50 DM für die Sozialpolitik geben, und die Kultur wollen wir auch nicht vergessen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Frau Kollegin
Anke Martiny-Glotz, daß man nicht unbedingt so stark Angst machen muß und ständig in Weltuntergangstimmung zu machen braucht.
Das ist meines Erachtens nicht notwendig. Ich kann mir vorstellen, daß auch die neue Familien- und Gesundheitsministerin ihr Amt voll wahrnehmen wird.
Wenn Sie von der Kuhmilch sprechen, die zu Schafsmilch oder Schafskäse wird, so muß ich sagen: Das ist eine Vereinbarung, die zwischen den arabischen Ländern und verschiedenen Molkereien getroffen wird. Diese Länder wollen genau nach diesem Verfahren ein solches Produkt. Das ist keine Fälschung. Das muß ich zur Ehrenrettung vieler deutscher Molkereien sagen.Die wirtschaftspolitische Landschaft unseres Landes hat dank unserer konsequenten Wirtschaftspolitik seit dem 1. Oktober 1982 wieder neue Silberstreifen gezeigt. Je länger die Union regiert, desto besser steht es mit den Grundbedingungen unserer Wirtschaft. Oder anders gesagt: Je länger wir uns von den Zeiten sozialdemokratischer Marx- und Murks-Wirtschaft entfernen, desto besser geht es der deutschen Wirtschaft.
Die Zahlen sprechen für sich. Sie beweisen, daß Sozialisten aller Schattierungen von Wirtschaft und Finanzen, selbst von Parteifinanzen nichts verstehen;
um so mehr von sozialpolitischen Exzessen, die langsam, aber sicher marktwirtschaftliche Ordnungen in den Ruin treiben und bis Oktober 1982 getrieben haben.1969 haben wir den damaligen rot-gelben Koalitionssiegern eine blühende Wirtschaft, Vollbeschäftigung, eine stabile Währung und geordnete öffentliche Finanzen dank Franz Josef Strauß übergeben. Visionen sollten damit verwirklicht werden. In Wahrheit waren es aber nur Illusionen, denen die SPD-geführten Bundesregierungen das ganze ihnen hinterlassene Kapital opferten.
In der Endzeit der von der SPD geführten Bundesregierung schrumpfte das reale Bruttosozialprodukt, auch wenn es noch als Minuswachstum bejubelt wurde. In drei Jahren häuften sich die Leistungsbilanzdefizite auf insgesamt 52 Milliarden DM an. Die Inflationsrate stieg im Jahr 1981 auf 6,3 %. Für Kredite mußten teilweise über 14,5 % Zin-
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Niegelsen bezahlt werden. Viele Familien gerieten in Zinsnöte bei der Finanzierung ihres Eigenheims. 1982 drohte beim Haushalt ein Finanzierungsdefizit von 55 Milliarden DM. Dieses finanzielle Desaster war furchterregend. Ebenso schlimm war aber das, was unter der Verantwortung der SPD unserer arbeitswilligen Bevölkerung angetan wurde. Von 1980 auf 1981 stieg die Arbeitslosigkeit um 43 %, und im folgenden Jahr nahm sie sogar um 44 % zu. Das war das Ergebnis einer Politik, die sich sozial nannte, aber unsozial wirkte.
Das ist die miese Schlußbilanz einer abgewirtschafteten, von der SPD geführten Regierung. Dies trotz eines volkswirtschaftlich gebildeten sozialdemokratischen Bundeskanzlers, der die Geheimnisse einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik zwar kannte, aber nicht anwenden durfte.Ich untermauere meine These der erfolgreichen bürgerlichen Wirtschaftspolitik unter Helmut Kohl mit folgenden beweisbaren Tatsachen und gesicherten Erkenntnissen.Erstens. Unsere Wirtschaft liegt eindeutig auf Expansionskurs, den wir noch verstärken, wenn wir bald wieder zu mehr Vertragsfreiheiten in vielen Bereichen zurückkehren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Ich möchte zusammenhängend reden. Im übrigen wird mir die Zeit später abgezogen.
Ich ziehe Ihnen das nicht von der Redezeit ab.
Trotzdem.
Zweitens. Der Export läuft, wenn wir unsere Kapazitäten weiterhin auslasten können, auch wenn der Dollarkurs noch nicht eindeutig und langfristig abzuschätzen ist.Drittens. Die von uns gesetzten Rahmenbedingungen und die unterschätzten Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft haben auch 1985 die unternehmerische Investitionsneigung sowie die Kaufkraft breiter Kreise wesentlich verbessert. Das richtige Rezept besteht eben darin, daß sich die Politik so wenig wie möglich in die Wirtschaftsprozesse einmischt. Das schafft Vertrauen, ohne das eine freie Wirtschaft nicht leben kann. Die Ängste in der Wirtschaft vor sozialdemokratischer und sozialistischer Planwirtschaft entschwinden. Die Konjunkturindikatoren sprechen zugunsten der CDU/CSU-Politik, auch wenn GRÜNE oder andere, wie z. B. jetzt Frau Kollegin Anke Martiny-Glotz, mit neuen chemischen Formeln die Bürger unseres Landes verunsichern wollen.Viertens. Die Auftragseingänge haben vom vierten Quartal 1984 bis zweiten Quartal 1985 preis- und saisonbereinigt um 3 % zugenommen.Fünftens. Die Antriebsenergie mit hohen Schubkräften ist eben die Auslandsnachfrage. Made in Germany gilt endlich wieder etwas in der Welt. Die Inlandsnachfrage zieht nach, das wirtschaftspolitische Gebäude in der Koalition ist in Ordnung, renoviert und saniert.
Sechstens. Die Herren auf der linken Seite des Hauses müßten vor Neid erblassen, weil im Laufe des ersten Halbjahres 1985 die Nachfragesteigerung bei Erzeugnissen des Investitionsgütergewerbes im Inland plus 7 % und im Ausland plus 4 % betrug.Die Angstmacherei interessierter Kreise, weil im Juli die Auslandsnachfrage leicht zurückgegangen ist, ändert wenig am positiven Gesamtbild unserer Wirtschaft. Jeder weiß: Hochleistungssport geht nicht immer. Natürlich mußte die linksgesteuerte „Frankfurter Rundschau" wieder wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftspolitische Angst mit einem Aufmacher ohne realen Hintergrund verbreiten: „Auftragsflut aus dem Ausland ist jäh versiegt".Vielleicht sorgt Ihr Parteivorsitzender Brandt, wenn er Zeit hat und einen neuen Schatzmeister gefunden hat, über die sozialistische Internationale dafür, daß bestimmte Kreise des Auslands bei uns nicht nur Geld abholen, sondern auch kaufen. Im Verkauf liegt das Geheimnis der Wirtschaft, nicht im ideologischen Theoriekrieg, was auch für das politische Geschäft gilt.
Bei den Inlandsaufträgen übertreffen wir doch um real 12,5 % alles, im Auslandsgeschäft sowieso — und nicht nur wegen des Dollars.Siebtens. Im privaten Bereich, bei den privaten Haushalten, hat sich die Nachfrage ebenso belebt. Im Juli 1985 hatten wir den höchsten Stand seit anderthalb Jahren. Die Leute haben längst bemerkt, daß stabile Preise besser sind als sozialdemokratische „Schaumwirtschaft".
Wir dürfen bei all diesen positiven Daten trotz der hohen Tendenz für Erweiterungsinvestitionen nicht das gegenwärtige Sorgenkind, die Bauwirtschaft, vergessen. Wir sehen die Probleme. Wir sagen auch offen, wo uns der Schuh drückt.
Natürlich gab es im Baubereich einen Nachfrageverfall, der sich langsam erholt. Wenn wir alle ehrlich sind: Der Nachholbedarf für Wohn- und Büroraum ist nicht mehr existent. Man kann und darf eben nicht nur „planen und verplanen", wie es etwa bei der „Neuen Heimat" geschehen ist, man muß sich am Bedarf orientieren und nicht seelenlos und
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Niegelhemmungslos bauen, um Menschen in Silos einzusperren wie aufrechtgehende Nutztiere.Aber ganz so schlecht sieht die Zukunft nicht aus. Die öffentlichen Hochbauten und die Tiefbaubranche zeigen steigende Tendenz, weil unsere Maßnahmen greifen. Wir haben erhöhte steuerliche Absetzung für neue Wirtschaftsgebäude in Aussicht gestellt ebenso wie erhöhte Abschreibungsvergünstigungen für Heiz- und Warmwasseranlagen, die Ausweitung des Kreditrahmens für bauinvestive Umweltschutzprojekte, die umfangreiche Mittelaufstockung bei der Städte- und Dorferneuerung und das vereinfachte Verfahren und vorzeitigen Baubeginn. Wir geben insgesamt also für 1986 und 1987 jeweils mehr als 3 Milliarden DM von Bundesseite an Zuschüssen und Krediten zur Verbesserung der Lage im Bausektor.Noch ein weiterer Silberstreifen: Das Bruttosozialprodukt hat im zweiten Quartal 1985 gegenüber 1984 um etwa 3,5 % zugenommen. Der Aufzug fährt nach oben! Viele wirtschaftswissenschaftliche Institute sind der Meinung, daß sich auch 1986 die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und der Wachstumsprozeß fortsetzen.
Nur 10 % der Exporte gehen in die USA. Man darf den Dollar als solchen nicht überschätzen. Zwei Drittel unseres Hauptabsatzes landen im europäischen Raum. Das Ausland braucht vor allem deutsche Investitionsgüter. Eine Weltrezession ist nicht in Sicht, auch wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung in den Vereinigten Staaten vielleicht verlangsamen sollte. Im Inland haben wir sinkende Zinsen. Die Investitionsmotoren laufen.
Die Bundesbank wird bei ihrer Geldmengen- und Zinspolitik bleiben. Wir haben gute Aussichten, insbesondere wenn wir unsere Politik zugunsten öffentlicher Investitionen in den Gemeinden fortsetzen.Unsere Leistungsbilanz zeigt ein Plus von 15 Milliarden DM im ersten Halbjahr 1985. Am Jahresende dürfte das Plus die 30-Milliarden-DM-Grenze erreichen oder übersteigen. Wer unzufrieden ist, ist bewußt ungenau.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen als Sozialdemokraten ins Stammbuch: Festwochen und Fackelzüge hätte eine SPD-geführte Bundesregierung veranstaltet, wenn sie solche Daten hätte vorweisen können, wie wir jetzt vorweisen. Wochen- und monatelang hätten Sie tagtäglich Lobgesänge über Ihre Politik, über Ihren Propagandaapparat und den Ihrer Bundesgenossen verbreiten lassen.Aber nicht nur die ökonomischen Daten hätten die SPD zu Freudenfesten veranlaßt.
Auch die inzwischen erzielten Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wäre Anlaß zu Freudenfeuern und Hallelujagesängen gewesen.Unsere Arbeitsmarktpolitik wird natürlich von unseren Gegnern kritisiert, falsche Eindrücke werden verbreitet und demagogisch aufgemacht, obwohl es eine Verbesserung gibt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich lasse keine mehr zu.Die Sozialdemokratie will ständig vertuschen, welche Arbeitsmarktdaten sie uns 1982 hinterlassen hat, ohne Nachlaßkonkurs anzumelden. Die Verbesserung der Lage darf nach linkem Verständnis nicht stattfinden, obwohl der ausgeprägte Beschäftigungsrückgang von 1981 und 1982 bei uns zu einem leichten Anstieg übergegangen ist.
Zum Beispiel lag die Beschäftigungszahl im verarbeitenden Gewerbe im Mai um 74 000 höher als vor Jahresfrist. Im Dienstleistungsbereich haben wir ebenso eine Zunahme der Beschäftigungszahlen.
Die Kurzarbeit war im Juli um rund 60 % niedriger als vor einem Jahr. Die Zahl der offenen Stellen steigt in der Tendenz wieder an, Saisonschwankungen ausgenommen.
Außerdem gibt es gute Chancen, daß die Beschäftigung 1986 deutlich zunimmt, wenn die flexiblere Arbeitszeit, der Vorruhestand, Überstundenabbau im Zusammenhang mit dem Arbeitsförderungsgesetz greifen.
Jeder in diesem Hause kennt auch die Zusammenhänge zwischen technologischer Entwicklung und Beschäftigung, und jeder objektive Kollege weiß, daß diese Funktionen weltweite Bedeutung haben.Noch ein abschließendes Wort zum Thema Arbeitsmarktstatistik. Der CSU wurde vorgeworfen, über die Statistik den Abbau der Arbeitslosigkeit zu betreiben. Es wird ungeheuerlich kritisiert, wenn man diesem Lande Vorschläge zur Verbesserung macht. Die SPD und ihre Medienanhänger warten monatlich gespannt auf die Nürnberger Globalzahl, ohne die Struktur des Gesamtzahlenwertes erkennen zu wollen. Von ihren vielen Exarbeitsministern und Exstaatssekretären im Bundesministerium für Arbeit müßte die Sozialdemokratie genau wissen, was von der Globalzahl zu halten ist. Die SPD weiß genau, daß in der Gesamtstatistik sogar einwandernde Ausländer als Arbeitslose mitgezählt und veröffentlicht werden, obwohl sie noch keine Ar-
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Niegelbeitsgenehmigung haben. Die CSU will Klarheit und Wahrheit schaffen.Meine Damen und Herren, wir bekennen uns zur Sozialen Marktwirtschaft. Diese dient allen, den Unternehmern und den Arbeitnehmern wie auch denen, die auf Hilfe angewiesen sind. Die Revitalisierung dieser zutiefst menschlichen Wirtschaftsordnung ist unsere Aufgabe und unser Ziel. Ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung ist der Bundeshaushalt 1986.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Auhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mein Kollege Müller zur geheimen Wirtschaftspolitik gesprochen hat, will ich mich jetzt zur offiziellen Wirtschaftspolitik und dazu zum Aspekt der Arbeitslosigkeit äußern. „Den Aufschwung wählen", mit diesem Wahlslogan haben Sie von der CDU/CSU und FDP die Hoffnung vieler ihrer Wähler geweckt, die Arbeitslosigkeit rasch zu senken. Dafür hat sie am 6. März 1983 eine Mehrheit der Bevölkerung trotz Raketenstationierung gewählt. Die verschärfte Fortführung des sogenannten Konsolidierungskurses, den schon die Schmidt-Regierung begonnen hatte, haben Sie als Notmaßnahme begründet, die letztendlich den Arbeitslosen und den sozial Schwachen zugute kommen würde.Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihr Aufschwung hat stattgefunden: Die Gewinne der Unternehmen sind drastisch angestiegen, das Bruttosozialprodukt ist immerhin um über 2')/0 gestiegen, die Exporte haben mit 54 Milliarden DM 1984 einen Rekordstand erreicht, der dieses Jahr noch übertroffen werden wird.
— Dieses Jahr wird das noch übertroffen.Gleichzeitig ist der höchste Stand der Massenarbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik erreicht worden.
Die Massen- und Dauerarbeitslosigkeit — die stille Reserve und die Familien eingeschlossen — hat Millionen getroffen. Immer mehr Arbeitslose sind in Existenznot geraten und auf Sozialhilfeunterstützung angewiesen. Zugegeben, Herr Kollege Niegel: diesen Menschen hilft es natürlich sehr, wenn sie wissen, daß wir wieder wer in der Welt sind.„Aufgabe Nummer eins", meine Damen und Herren, „ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit. Hier geht es für uns nicht nur um ein wirtschaftliches Problem, sondern vor allem um ein Gebot der Mitmenschlichkeit."
— Ich wundere mich, daß es jetzt keinen Beifall von der CDU gibt. Ich zitiere — mit Verlaub, Herr Präsident — Helmut Kohl bei seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983.Welchen Stellenwert hat nun dieses Gebot der Mitmenschlichkeit für diese Regierung? Ich will dieser Regierung nicht vorwerfen, daß es das Problem der Arbeitslosigkeit gibt. Sie müssen sich aber die Frage gefallen lassen, welche Möglichkeiten Sie zumindest zur Verbesserung der Situation der Erwerbslosen genutzt haben, so anläßlich der Steuerreform.
Über eine Reform der Steuertarife kann diskutiert werden. Wer aber radikale Kürzungsmaßnahmen bei den Armsten dieser Gesellschaft mit der absoluten Notwendigkeit begründet hat, zu sparen, der steht jedenfalls bei so hochtrabenden Sprüchen in der Pflicht, den ersten sich bietenden Spielraum zur Hilfe für diese Bevölkerungsgruppen zu nutzen.
Die von Ihnen gern so genannten Arbeitsplatzbesitzer, und zwar diejenigen mit über 75000 DM Jahreseinkommen, bekommen 70 % dieser Entlastung. Dies zeigt den Wert Ihrer Krokodilstränen über das Schicksal der Arbeitslosen, meine Damen und Herren.
Wer wirklich an der Verbesserung der Situation der Arbeitslosen interessiert ist, muß, so fordern wir, diese Mittel zunächst für eine Grundabsicherung von mindestens 950 DM monatlich für diejenigen einsetzen, die trotz Anspruch auf Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosengeld auf die Zahlung von Sozialhilfe angewiesen sind. Arbeitslosigkeit darf nicht in die Sozialhilfe zwingen.Ein besonderer Skandal, der zeigt, wessen Handschrift Ihre Politik trägt, ist die Entscheidung, einen Teil der Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit zur Senkung der Beiträge zu verwenden.Nach diesen Schritten können Sie sich nicht mehr darauf hinausreden, daß es Geldmangel ist, der Sie zu dieser Politik zwingt. Auch Ihr sattsam bekanntes Argument, das insbesondere von Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, kommt, alle diese Gewinnsteigerungen und Entlastungen für die oberen Einkommen dienten letztendlich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, müßten Sie endlich einmal mit Fakten aus der Praxis belegen. Ich bin sicher: Verlangen Sie morgen die Halbierung der Arbeitslosenhilfe zur Steuerentlastung der oberen Einkommen und bleibt dies dann ohne Wirkung auf den Arbeitsmarkt, so werden Sie als Konsequenz übermorgen die völlige Streichung der Arbeitslosenhilfe fordern, weil — so Ihre Argumentation — der erste Schritt nicht aureichend war, um den Markt zu beleben.
Meine Damen und Herren — insbesondere von der FDP und vom Wirtschaftsrat der CDU —, wer
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Auhagenauf dem Elend und der Not der Erwerbslosen schamlos das Süppchen seiner Privilegieninteressen kochen will, dem können wir nicht mehr den guten Willen abnehmen. Hier handelt es sich nicht mehr um den Streit über den richtigen Weg, sondern Sie selbst erhärten den Verdacht, daß Sie die Arbeitslosigkeit gar nicht bekämpfen wollen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie durch Ihre Taten das Klima nicht so vergiften würden, ließe sich sachlich über eine Frage diskutieren, die Sie angeschnitten haben, nämlich über die Höhe der Arbeitskosten. In der Tat gibt es Bereiche, in denen die Gesamtarbeitskosten zur verstärkten Wegrationalisierung und Auslagerung von Produkten und Dienstleistungen geführt haben. Sachlich könnte diese Diskussion geführt werden, wenn zwischen Arbeitskosten und Nettolöhnen, die oft sogar viel zu niedrig sind, unterschieden würde;
denn die Kosten der Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen, die Kosten der Arbeitslosigkeit und der Umweltkrise, die überhöhten Krankheitskosten und Rentenbeiträge sind es, die die Lohnnebenkosten in die Höhe treiben und damit den Preis des Faktors Arbeitskraft verteuern. Sie beklagen das Problem der zu teuren Arbeit; warum lehnen Sie dann aber kategorisch eine arbeitskostenverbilligende Verlagerung der Lohnnebenkosten auf die Wertschöpfungssteuer ab?
Warum wird gerade von Ihrer Seite die Einführung von Energiesteuern und Steuern auf Naturressourcen tabuisiert, die die Faktorpreisrelation zwischen Arbeit, Rohstoffen und Kapital verändern würden?
Meine Damen und Herren, da die andere Seite des Aufschwungs, nämlich eine spürbare Senkung der Arbeitslosigkeit, trotz Exportrekorden und Gewinnsteigerungen ausgeblieben ist, gibt es eine Tendenz, die Schuld woanders zu suchen, nämlich bei den Betroffenen selbst. Versuch Nr. 1: die diffamierende Unterteilung in echte und unechte Arbeitslose, wie Ihr CSU-Held vorschlug. Dies ist ein infamer Versuch, Frauen das Recht auf Arbeit abzusprechen. Es handelt sich um ein großes Maß an Heuchelei und Unverschämtheit angesichts der Tatsache, daß es gerade auch in Ihrer Partei eine große Anzahl von Doppelverdienern gibt, nämlich solchen, die sowohl Abgeordnetendiäten oder Ministergehälter als auch Aufsichtsratsbezüge beziehen.
Wann thematisieren Sie eigentlich einmal dieses Problem der Doppelverdiener?Zweitens sind Sie, Herr Bangemann, ganz groß darin, die Arbeitslosigkeit als Problem mangelnder Qualifikation darzustellen, und das, obwohl nur120 000 offene Stellen einer Million Arbeitslosen mit abgeschlossener Berufsausbildung gegenüberstehen, von Lehrern und Köchen bis zu Facharbeitern und über 25 000 Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Wenn dieser Vorwurf richtig ist, wie kommt es dann, daß 14% der ausgebildeten Jugendlichen im Jahre 1984 keinen Arbeitsplatz fanden? Warum bemüht sich nicht die Industrie rechtzeitig um die entsprechenden Ausbildungsplätze? Die Behauptung mangelnder Qualifikation der Arbeitslosen stellt eigentlich ein Armutszeugnis für Ihre eigene Strukturpolitik dar.
Herr Bangemann — er ist nicht da — und andere aus Ihrer Fraktion schüren mit dieser Qualifikationsdiskussion Stammtischvorurteile gegen Arbeitslosigkeit.
— Woher wissen Sie denn das?Es gäbe einen riesigen Aufschrei der Empörung, wenn die niedergelassenen Ärzte pauschal als Krankenkassenbetrüger tituliert würden. Die Ärzte aber hätten genug Mittel und Einfluß, sich gegen solche Diffamierungen zu wehren. Aber Sie prügeln auf die Schwächsten ein!Noch überwiegt bei den meisten Arbeitslosen das Gefühl der Resignation. Allmählich aber schlägt dieses Gefühl der Ohnmacht und der Hoffnungslosigkeit zurück, und auf regionaler und Landesebene beginnt sich eine Bewegung der Arbeitslosen zu formieren. Es wird nicht eingesehen, warum diese so reiche Gesellschaft nicht in der Lage sein soll, allen zumindest eine menschenwürdige Existenz und eine Beteiligung an sinnvollen beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Mit einer rücksichtslosen Klientelpolitik, wie Sie von der FDP und vom CDU-Wirtschaftsrat sie betreiben, und mit einer permanenten Herabsetzung der Arbeitslosen schaffen Sie ein Klima, in dem die Betroffenen zu anderen Konfliktformen gedrängt werden.
Die Betroffenen müssen endlich zu Wort kommen. Wir GRÜNEN werden die Aktivitäten der sich formierenden Arbeitslosenbewegung mit aller Kraft unterstützen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Wartenberg.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Martiny-Glotz, Herr Auhagen, erlauben Sie mir bitte, daß ich mich von Else Stratmann wegwende und versuche, an den wirtschaftlichen Sachverstand zu appellieren.
Grundlage der heutigen Debatte sind der Bundeshaushalt 1986 und der Finanzbericht 1986, der denRahmen für die zukünftige Finanzpolitik absteckt
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Dr. von Wartenbergund in dem auch Rückschau auf das bisher Erreichte gehalten wird.Wenn man die Leistungen der vergangenen drei Jahre zusammenfaßt, dann werden diese Leistungen erst deutlich, wenn man sich einmal den Erwartungshorizont des Jahres 1982 vergegenwärtigt, der im letzten Finanzbericht des SPD-Finanzministers mit folgenden Passagen geschildert wurde — ich zitiere —:Angesichts anhaltender Strukturprobleme und internationaler Verteilungskämpfe wird es schon als Erfolg zu werten sein, wenn es gelingt, in der Bundesrepublik das erreichte Niveau des individuellen und des gesellschaftlichen Wohlstands zu sichern.Ich stelle fest, das Niveau ist gehalten, der Wohlstand vermehrt worden.
Ich fahre im Zitat Ihres Berichts 1982 fort:Neben der Bewältigung des Strukturwandels und seiner Freisetzungseffekte bei den Beschäftigten hat die Bundesrepublik ein demographisch bedingtes Anwachsen des Arbeitskräftepotentials zu verkraften. Noch unausgeschöpfte Produktionsreserven und demographische Faktoren lassen selbst bei höheren Wachstumsraten auf absehbare Zeit einen Abbau der Arbeitslosigkeit als unwahrscheinlich erscheinen.Meine Damen und Herren von der Opposition, klagen Sie bei uns nicht das ein, was Sie selbst unter Ihrer Regierungsverantwortung als unwahrscheinlich dargestellt haben.
Als Quintessenz aus all den traurigen Nachrichten über die eigenen Leistungen präsentierte der Finanzminister damals, also Mitte 1982, folgende Empfehlungen — ich zitiere —:Der Umstrukturierungsbedarf in der Wirtschaft erfordert steigende Investitionen. Die Hilfestellung, die der Staat dabei geben kann, ist begrenzt. Die Hauptarbeit muß im privaten Bereich geleistet werden. Die notwendigen Anpassungen brauchen Zeit. Darauf ist auch die Haushalts- und Finanzpolitik auszurichten.Dieser prinzipiell richtigen Empfehlung Ihres Finanzministers zu folgen, fehlte Ihnen damals die Kraft. Das hätte nämlich eine Abkehr von der Politik der Steuererhöhungen, der ständig steigenden Belastungen für die Wirtschaft bedeutet; es hätte ein Ende der Politik der Abqualifizierung von Leistung, der leichtfertigen Schuldenaufnahme bedeutet, also den Verzicht auf Rezepte, denen die SPD auch heute noch nachhängt.
Die Bürger und Unternehmen können nicht nachdrücklich genug vor diesen Anbiederungsversuchen gewarnt werden. In der SPD haben sich allemal jene durchgesetzt, die für mehr Staat, für mehr Steuern und für weniger privates Risiko und Gewinn plädieren. So wird der in den Strudel geratene Kollege Apel die Steuerpolitik der SPD nicht mehr bestimmen, sondern andere, deren Forderungen, wenn sie von dem üblichen Ballast entkleidet sind, letztendlich auf Steuer- und Abgabenerhöhungen hinauslaufen. Erlauben Sie mir, nur beispielhaft zu erwähnen: Wertschöpfungsabgabe, Umweltabgabe, Energiepfennig, Ergänzungsabgabe zur Lohn- und Einkommensteuer statt weiterer Steuersenkungen, ja, sogar der Verzicht auf die Hälfte oder auf die gesamte bereits beschlossene Steuersenkung zugunsten nutzloser Programme, Sparbuchsteuer, Maschinensteuer — all das sind Vorschläge aus den Reihen der SPD in der Sommerpause.Dies sind Rezepte, die im klaren Widerspruch zu unserer Finanzpolitik stehen, die auf Steuersenkungen, auf weniger Staat und mehr individuelle Freiheit ausgerichtet ist.
Unsere Finanzpolitik verzichtet auf Effekthascherei, sie verzichtet auf Geschenke aus geliehenem Geld, sie mutet allen Opfer zu, sie stärkt die Eigenverantwortlichkeit. Während die damit verbundenen Einschränkungen alsbald spürbar wurden — das sind die Proteste, denen wir gegenüberstehen —, zeigen sich aber auch zunehmend die Vorteile dieser soliden Politik. Geldwertstabilität und Senkung des Zinsniveaus bewirken für die Kaufkraft mehr als noch so schöne Programme und Geschenke.
Stabilitätspolitik so, wie wir sie verstehen, ist das beste Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm, das es gibt. 1 % mehr Geldwertstabilität bringt einen Kaufkraftgewinn von rund 11 Milliarden DM. Zusammen mit der Ermäßigung der Zinsen um 5 bis 6 % bedeutet dies seit Beginn unserer Regierungsverantwortung rund 50 Milliarden DM Zuwachs bei den verfügbaren Einkommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr, Herr Lutz.
Herr Kollege, ich hätte die Frage, ob Sie nicht der Meinung sind, daß uns die Nichtbeschäftigungspolitik der Regierung im Jahr 60 000 Millionen DM kostet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, wenn Sie heute den Tag über zugehört haben, ist Ihnen in Erinnerung, daß die Zahl der Arbeitsplätze steigt. Und letztendlich ist das ein Ausweis für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Oder nicht?
Die steigende Zahl der Arbeitsplätze bedeutet steigende Steuereinnahmen und damit auch steigendeBeiträge für die Bundesanstalt für Arbeit und damit
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11401
Dr. von Wartenbergendlich auch den Erwartungshorizont des Besseren.Und die Anzeichen mehren sich, daß neben dem Export und der Investitionsgüternachfrage auch der private Konsum anspringt und in den nächsten Monaten zur dritten Säule des Aufschwungs werden wird.Gerade die Zinsentwicklung und die Tendenzen auf dem Kapitalmarkt zeigen, wie fest gefügt das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft und in die Fortsetzung einer soliden Finanzpolitik im In- und im Ausland ist. Die Hypothekenzinsen, ganz entscheidend für den Bau, haben das seit sieben Jahren niedrigste Niveau erreicht.
Die Kapitalmarktzinsen liegen bei 7 %.Nur zur Erinnerung: Unter Ihrer Verantwortung war, auch wegen der von Ihnen betriebenen unverantwortlich hohen Kreditaufnahme, die Umlaufrendite der festverzinslichen Wertpapiere auf bis zu 11,7 % angestiegen — ein für die Investitionen tödliches Niveau.
Als Kennzeichen für das Vertrauen des Auslandes kann man auch die Entwicklung auf dem Kapitalmarkt heranziehen, den Kapitalverkehr und, eng damit verbunden, die Entwicklung des DM-Kurses. Hier hat eine bemerkenswerte Tendenzwende eingesetzt. In den ersten sieben Monaten des Jahres 1985 kauften Ausländer für netto 6,8 Milliarden DM deutsche Aktien, davon allein 2,5 Milliarden DM im Juni und Juli gegenüber 4,4 Milliarden DM im ganzen Jahr 1984 und 1,7 Milliarden DM im Durchschnitt der Jahre 1973 bis 1983. Also eine vierfach höhere Nachfrage des Auslandes nach deutschen Aktien als zu Ihrer Regierungszeit.
Von Januar bis Juli 1985 kauften ausländische Anleger für rund 16 Milliarden DM deutsche Rentenwerte. Dies hat ganz erheblich zur Normalisierung des DM-Kurses beigetragen und damit auch dämpfend auf die inländischen Zinsen gewirkt. Eine derartige Entwicklung hin zu Deutschland ist ein Zeichen des Vertrauens der ausländischen Kapitalanleger in die Stabilität und in die lang anhaltende Zuversicht zu dieser Regierungspolitik.Meine Damen und Herren, die Belebung des Aktienmarktes — die Umsätze haben sich 1983 und 1984 gegenüber 1981 und 1982 mehr als verdoppelt — belegen ebenfalls Zuversicht in die Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Mit den geplanten Verbesserungen des Börsenrechts, insbesondere der Einführung des geregelten Marktes, und mit dem Unternehmensbeteiligungsgesellschaften-Gesetz wird diese begrüßenswerte Tendenz zur Stärkung des Eigenkapitals unterstützt und gefestigt.Meine Damen und Herren, für uns als Fraktion ist die Zeit noch nicht reif, um in den Schönheitswettbewerb der Steuersenkungsmodelle einzugreifen. Wir halten daran fest, daß erst gerechnet und dann ausgegeben wird. Hierin liegt der deutlichste Unterschied zu unseren Vorgängern in der Regierungsverantwortung.
Aber die Richtung unserer Steuerpolitik ist klar, und diese Richtung stimmt mit der der FDP überein:
weitere Steuersenkungen für alle, ein leistungsfördernder Tarif, die Anerkennung der Leistungsfähigkeit der Steuerzahler, angemessene Grund- und Kinderfreibeträge, Entlastungen bei den Unternehmen, um im internationalen Wettbewerb der Steuersysteme mitzuhalten. Unsere Steuerpolitik wird neben der Haushaltspolitik ihren Beitrag zur gesunden Weiterentwicklung unserer Volkswirtschaft leisten. Deshalb, meine Damen und Herren, sind wir so zuversichtlich, und deshalb gibt es zu dieser Regierung auch keine Alternative.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keiner der Redner der Koalition und natürlich auch nicht der Bundeswirtschaftsoder Bundesfinanzminister haben es unterlassen, auf die stolze Leistungsbilanz hinzuweisen.
Es ist richtig: Die Leistungsbilanz der Bundesrepublik ist positiv. In den Berichten der Deutschen Bundesbank — der letzte ist von August dieses Jahres — stehen die Leistungs- und die Kapitalbilanz auf einer Seite in Spalten nebeneinander. Es wäre vielleicht wünschenswert, wenn der Bundesfinanzminister, der heute auf meinen Zwischenruf so anders geantwortet hat, das nachgelesen hätte. Ich habe ihm meine Hilfe angeboten. Es wäre gut gewesen, wenn er in seiner Zwischenbilanz darauf eingegangen wäre.
— Eben! Er hat meine Ferientätigkeit unterschätzt. Ich habe nämlich den Bundesbankbericht gelesen, der Bundesfinanzminister anscheinend nicht.
Sie müssen hier eines zur Kenntnis nehmen, vor allem Herr von Wartenberg, der hier von dem Vertrauen der ausländischen Kapitalanleger gesprochen hat. Der Bericht der Deutschen Bundesbank weist im Jahr 1985 in jedem Monat neu einen negativen Saldo aus. Das summiert sich von Januar bis Juni auf 24 Milliarden DM.
— Sie sagen „Na und?", Herr Lambsdorff. Was bedeutet denn ein negativer Saldo? Er bedeutet doch,
11402 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. Ehrenberg
daß deutsche Kapitaleigner sehr viel mehr deutsches Kapital im Ausland angelegt haben, als umgekehrt ausländische Kapitaleigner ihr Geld hier angelegt haben. Es zeugt nicht von Vertrauen in die Politik der Bundesregierung, wenn wir eine Kapitalflucht dieses Ausmaßes haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Kollege Ehrenberg, wollen Sie uns ernsthaft beibringen, daß es ein negatives Zeichen sei, wenn wir eine solche von Ihnen geschilderte Kapitalbilanz haben? Oder ist es nicht vielmehr richtig, daß ein hochentwickeltes Industrieland die Kapitalexportverpflichtung hat und daß dies ein Ziel ist, das wir anstreben müssen?
Herr Kollege Lambsdorff, merkwürdig ist nur, daß wir zu fast allen Zeiten, als Sie Wirtschaftsminister in unserer Koalition waren, in jedem Jahr einen zwischen 10 und 12 Milliarden DM schwankenden positiven Abschluß in der Kapitalbilanz gehabt haben und damals mit Recht auf diesen Vertrauensbeweis stolz waren. Die Argumentation kann so also nicht stimmen. Es ist ja wohl auch kein Zufall, daß diese Kapitalflucht im Jahr 1983 mit 16 Milliarden DM eingesetzt hat, im letzten Jahr 29 Milliarden DM und im ersten Halbjahr dieses Jahres 24 Milliarden DM betragen hat.
Ich will gar nicht moralisieren und sagen: die Kapitaleigner tragen ihr Geld nach draußen. Sie investieren deshalb draußen, weil diese Bundesregierung mit ihrer Konsolidierungspolitik die Gesamtnachfrage so zusammengeschlagen hat, daß die Kapitaleigner zu der Nachfrage bei uns kein Vertrauen haben und deshalb hier nicht investieren.
Wenn Sie das mit dem Zusammenschlagen der Nachfrage nicht glauben sollten — —
— Das ist keine Ideologie, das sind Fakten.
Ich empfehle Ihnen sehr, die gerade neu von Bundesarbeitsminister Blüm herausgegebene Arbeits-
und Sozialstatistik, dieses vorzügliche gelbe Heftchen, zu lesen, damit Sie etwas mehr über Nachfrage und Einkommen wissen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat gesagt, er habe seinen Haushalt mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit vorgelegt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gattermann?
Einen Satz später, bitte.
Bitte, schauen Sie in die Statistiken des Herrn Blüm hinein. Sie werden dort finden, daß wir in den letzten Jahren Jahr für Jahr sinkende Nettorealverdienste gehabt haben. Im Jahre 1984 ist der Nettorealverdienst der Arbeitnehmer auf dem Stand von 1977 angekommen und liegt damit um mehr als tausend D-Mark im Jahr unter dem Stand von 1980. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Sind Sie bereit für eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte sehr, Herr Kollege Gattermann.
Herr Kollege Ehrenberg, da Sie den Bundesbankbericht so sorgfältig gelesen haben, möchte ich Sie im Zusammenhang mit dem Vorthema Kapital/Auslandsinvestitionen fragen, ob vielleicht der Umstand, daß die Umsatzrendite trotz aller unserer Überlegungen in deutschen Unternehmen immer noch bei nur etwa 2 % liegt, während sie zwischen 1965 und 1970 so etwa bei 4 % gelegen hat, ein Zeichen dafür sein könnte, daß nicht noch mehr ausländisches Kapital hierhergeflossen ist. Und ist eigentlich die Bezeichnung für Kapitalinvestitionen im Ausland als Kapitalflucht korrekt?
Wenn das in diesem Ausmaß stattfindet, Herr Kollege Gattermann, kann man das, glaube ich, so nennen.Im übrigen: Das, worauf Sie hinweisen, stimmt. Aber auch das ist doch bitte das Ergebnis Ihrer Politik, zu der Sie stehen müßten. Wer hat denn die Umsatzrendite so zusammenschnurren lassen?
Wenn Sie das ändern wollen, sollten Sie bitte ein bißchen mehr auf unsere Steuervorschläge eingehen und nicht darüber hinweggehen, wenn Sozialdemokraten verlangen, daß der investierte 'Gewinn steuerlich günstiger behandelt wird als jede andere Gewinnverwendung, und wenn Sozialdemokraten verlangen, die Sozialabgaben an der Wertschöpfung zu bemessen, um lohnintensive Betriebe zu erleichtern. Wenn Sie das beides täten, hätten Sie auch eine bessere Umsatzrendite und die Umkehr der Kapitalströme. Aber zu beidem sind Sie nicht bereit.
Im übrigen, meine Damen und Herren, zu all dem, was hier an positiven Daten so ausgebreitet worden ist, muß ja wohl noch einmal gesagt werden: Allen optimistischen Voraussagen zum Trotz — der Bundeswirtschaftsminister hat hier im April von einem neuen, zweiten Wirtschaftswunder gesprochen —: dieses Wirtschaftswunder findet mit von Monat zu Monat steigenden Arbeitslosenzahlen statt. Im Schnitt ist von Januar bis August dieses Jahres die Zahl der Arbeitslosen wieder um 55 000
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11403
Dr. Ehrenbergim Monat gestiegen. Und Sie sprechen von einem Wirtschaftswunder.
— Sie haben „Wirtschaftswunder" gesagt. Ich kann Ihnen aus dem Bundestagsprotokoll vorlesen, wann Sie es gesagt haben, wenn Sie es genau hören wollen. Sie scheinen nicht mehr zu wissen, was Sie in diesem Hause am 18. April 1985 gesagt haben:Die deutsche Wirtschaft ist auf einem Wachstumspfad, der möglicherweise ein zweites ... Wirtschaftswunder herbeiführt.Und dieses Wirtschaftswunder ist ein Wirtschaftswunder mit steigenden Arbeitslosenzahlen.Sie haben allerdings gemeinsam mit dem Finanzminister einen Haushalt vorgelegt, als ob wir dieses Wirtschaftswunder hätten, einen Haushalt mit einer weit hinter dem Wachstum des Sozialprodukts zurückbleibenden Wachstumsrate und einem Rückgang der Investitionen um eine halbe Milliarde DM. Das ist ein Wirtschaftswunderhaushalt, der bremsen soll. Nur, wir haben kein Wirtschaftswunder, wir haben steigende Arbeitslosenzahlen. Und insofern ist der Haushalt der Situation nicht gerecht geworden.
Genausowenig werden Sie Ihrer Verantwortung der deutschen Nordseeküste gegenüber gerecht.
Dort gibt es das große Raffineriesterben. Selbst Ihre Kollegin Breuel in Niedersachsen, eine nun wirklich in der privatwirtschaftlichen Orientierung nicht mehr zu überbietende Dame, hat versucht, das Raffineriesterben an der Küste aufzufangen. Aber sie ist vom Wirtschaftsminister schmählich im Stich gelassen worden bei diesem Unterfangen. Und Ihre Antwort für die Küste ist der Kabinettsbeschluß von gestern, die Werfthilfen für die nächste Programmperiode um 23 % zu kürzen. Das ist der Ausverkauf der deutschen Küste durch diese Bundesregierung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte.
Bitte, Graf Lambsdorff.
Herr Kollege, meinen Sie wirklich, daß jemand, der „German Oil" in Wilhelmshaven gründet, an privatwirtschaftlicher Einstellung nicht mehr zu überbieten ist?
Außer diesem — in Frau Breuels Augen — Sündenfall spricht sie noch privatwirtschaftlicher orientiert als Sie, und dazu gehört etwas, Herr Kollege Lambsdorff.
Meine Damen und Herren, alles das führt nach drei Jahren Wendepolitik zu einer zwar traurigen, aber nicht zu verheimlichenden Zwischenbilanz. Dieser Haushalt wird die Bilanz für das nächste Jahr noch vergröbern. Sie haben einen Rückgang der Beschäftigtenzahl um mehr als eine halbe Million erreicht, seit Sie regieren, eine nur unzureichende Verbesserung der privaten Investitionen und einen — immer noch zu verzeichnenden — Rückgang der öffentlichen Investitionen, eine bereits im dritten Jahr anhaltende Kapitalflucht, die Erhöhung der Zahl der Sozialhilfeempfänger um 500 000, Jahr für Jahr ein Schrumpfen der Realeinkommen der Arbeitnehmer und der Rentner und einen nie vorher erreichten Stand an Insolvenzen. Das ist die Bilanz Ihrer Regierungszeit. Der Bundeshaushalt 1986 wird die negativen Tendenzen verschärfen, wenn er nicht noch verbessert wird. Er wird sie leider nicht verbessern.
Ich habe bei einem Teil der Redner das Gefühl gehabt, sie sind, von Wachstumsraten berauscht, nicht mehr bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß alles Wachstum unter 3 % die Beschäftigung nicht oder nur minimal verbessert, daß bei den bescheidenen Wachstumsraten von 21/2 % eine Besserung der Beschäftigung nicht zu erwarten ist. Als wir den Höchststand der Beschäftigung in diesem Land erreicht hatten — das war 1980 mit 22,9 Millionen Beschäftigten —, war dem ein Jahr mit einer Wachstumsrate von 4,2 % vorausgegangen. Dieses Wachstum war nicht vom Himmel gefallen, auch nicht durch die autonomen, geheimnisvollen Marktkräfte entstanden, sondern das Ergebnis — damals hat der Kollege Lambsdorff dabei noch aktiv mitgemacht — des gemeinsam beschlossenen Investitionsprogramms in Höhe von 16 Milliarden DM, das für die zweite Hälfte der 70er Jahre sichergestellt hat, daß die Zahl der Beschäftigten um mehr als eine Million gestiegen ist —
um die gleiche Größenordnung, um die Sie sie seit 1982 abgewirtschaftet haben.
Es wird erst wieder besser werden, wenn die Bürger Sie wie in Nordrhein-Westfalen auch in der Bundesrepublik als Ganzem dorthin weisen, wo Sie hingehören, nämlich im Tausch mit uns auf die Bänke der Opposition.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu zwei Dingen Stellung nehmen, und zwar einmal zu dem, was Herr Ehrenberg gerade gesagt hat, weil ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe, daß er versteht, was der Kollege Stoltenberg heute morgen gemeint hat.
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11404 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Bundesminister Dr. BangemannNiemand bestreitet hier, daß die Kapitalbilanz in den vergangenen Jahren negativ war. Etwas anderes hat auch der Kollege Stoltenberg nicht gesagt.
— Nein. Er hat vielmehr gesagt — Sie können das nachlesen —: In den letzten Monaten ist selbst diese Bilanz bei langfristigen und bei kurzfristigen Kapitalanlagen positiv geworden.
— Das ist die Veröffentlichung der Bundesbank, Herr Ehrenberg. „Wichtige Posten der Zahlungsbilanz" heißt die Überschrift. Wenn Sie dort unter II „Langfristiger Kapitalverkehr" und III „Kurzfristiger Kapitalverkehr" die Monate Juni und Juli ansehen, dann werden Sie feststellen, daß es in allen vier Spalten, für beide Monate und bei beiden Problemen, positive Zahlen gibt.
— Ich gebe Ihnen dieses Blatt nachher. Mit ostpreußischer Hartnäckigkeit halten Sie auch an falschen Urteilen fest. Da lassen Sie sich nicht übertreffen.
Ich gebe Ihnen das gleich.
— Das ist keine Statistik.
— Schauen Sie das an.
Das zweite Problem, Herr Ehrenberg: Die Kapitalbilanz kann natürlich aus ganz unterschiedlichen Gründen verschieden aussehen. Sie haben natürlich völlig recht, wenn Sie sagen: Wenn die Rendite aus Geldanlage die Rendite bei Sachanlagen erheblich übersteigt, dann ist es ja logisch, daß zunächst einmal ein Anreiz besteht, in eine Geldanlage zu gehen. Das kann dann auch Abfluß von Kapital bedeuten, insbesondere dann, wenn die Zinssätze für solche Geldanlagen unterschiedlich sind. Da ist es ja ohne jeden Zweifel so, daß unsere Zinssätze derzeit um vier oder sogar um noch mehr Prozent unter den Zinssätzen in Amerika liegen. Dies ist, da wir ja Gott sei Dank keine Kapitalverkehrskontrollen oder -behinderungen haben, natürlich ein Anreiz, solche Möglichkeiten wahrzunehmen, mindestens dann, wenn die Anlage in Sachkapital sich weniger rentiert. Aber auch da hat sich in den letzten Monaten ein Umschwung abgezeichnet. Es gibt inzwischen wieder eine rentierliche Anlage in Sachkapital. Aber gerade das diffamieren Sie ja ständig als Umverteilung von unten nach oben, als ungerechtfertigte Gewinne der Unternehmen. Im selben Atemzug beklagen Sie sich aber darüber, daß die Kapitalbilanz negativ ist. Das ist genau die Widersprüchlichkeit, die man Ihnen an jedem Punkt Ihrer Wirtschaftspolitik zeigen kann.Eine weitere Bemerkung muß ich zu Arbed Saarstahl machen, weil der Kollege Roth mich darauf angesprochen hatte. Ich will jetzt hier wirklich nicht — —
— Das wollte ich sagen. Ich will hier wirklich keine Parteipolitik machen. Deswegen verzichte ich auch darauf, zu beleuchten, was der jetzige Ministerpräsident des Saarlands vor der Wahl im Wahlkampf gesagt hat und was er hinterher gemacht hat. Ich vergesse das.Aber eines ist unbestreitbar. Wir haben vor der Wahl gegenüber der damaligen Landesregierung nichts anderes als das gesagt, was wir nun der jetzigen Landesregierung gesagt haben. Ein Vorwurf der Parteilichkeit kann gar nicht bestehen. Wir haben damals gesagt: Wir werden uns an der Entschuldung beteiligen, soweit der Bund Kredite garantiert hat oder Bürgschaften dafür übernommen hat. Dasselbe habe ich bei allen Gesprächen wiederholt und hat übrigens auch der Bundeskanzler bei seinem Gespräch mit Herrn Lafontaine wiederholt. Wir haben niemals etwas anderes gesagt. Ich habe auch nicht in dem Gespräch mit Herrn Rehberger etwas anderes gesagt. Was ich gesagt habe, war das, was ich jetzt in einem Brief wiederholt habe, den ich allen Beteiligten geschickt habe und den sie alle morgen bekommen werden — deswegen will ich ihn jetzt nicht wörtlich zitieren, nämlich dies: Es gibt das Problem, daß, solange die Regierung des Saarlands und die Unternehmensführung von Arbed Saarstahl solche Verhandlungen nicht beginnen, niemand sagen kann, wie groß der Rest sein wird, der der saarländischen Regierung verbleibt. Es gibt die Beteiligung des Bundes. Er wird — das hat er schon erklärt — seine verbürgten Kredite selbst übernehmen. Es gibt das Saarland. Es gibt aber auch die privaten Banken. Sie haben völlig zu Recht gesagt: Sie können nicht erwarten, daß sie ihre Kredite mit 100 % bedient bekommen. — Das habe ich öffentlich ständig wiederholt, Herr Roth. Es gibt letzten Endes — auch das ist bewußt mißverstanden worden — die IG Metall, den Betriebsrat und die Belegschaft, die natürlich ebenfalls gefragt sind, was sie denn für Vorstellungen haben, wenn ein weiterer Personalabbau um 3 000 oder 4 000 Belegschaftsangehörige durchgeführt wird; auch das kann ja erhebliche Belastungen für Arbed Saarstahl bedeuten. Weiter habe ich gesagt: Natürlich kann man die Entschuldung nicht auf Null bringen. Denn das wäre ein Wettbewerbsvorteil für Arbed Saarstahl, der durch nichts zu rechtfertigen wäre, gegenüber anderen deutschen Stahlunternehmen. Und, verehrter Herr Roth, ich habe Ihren Ministerpräsidenten im Saarland darauf hingewiesen, daß — —
— Der gehört Ihnen nicht. Aber gehört Ihrer Parteian — einstweilen noch; ich weiß j a nicht, wieweitdiese Absetzbewegung bei Ihnen geht; aber im Mo-Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11405Bundesminister Dr. Bangemannment wird es ja wohl so sein, daß er noch derselben Partei angehört.Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn überhaupt noch etwas geschehen kann, es bis Ende des Jahres geschehen muß. Das heißt, es ist dringend notwendig, daß die Beteiligten etwas unternehmen. Die unternehmerische Konzeption verlange nicht ich allein. Jeder vernünftige Mensch wird bei einer Entschuldung j a wohl erst wissen wollen, wie das Unternehmen sich nach der Entschuldung verhalten will und ob es überhaupt eine Chance hat. Die unternehmerische Konzeption hat bereits die EG-Kommission bei ihrer letzten Genehmigung der Zahlungen zur Bedingung gemacht. Wenn sie nicht nachgereicht wird, werden die schon genehmigten Subventionszahlungen rückgängig gemacht. Das ist die Situation von ARBED Saarstahl.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte sehr.
Wir haben doch die Tatsache zu verzeichnen — das ist der Vorsatz vor der Frage —, daß der unternehmerische Eigentümer, ARBED Luxemburg, gesagt hat: Das interessiert uns gar nicht mehr. Wer ist jetzt für ein ARBED-Saarstahl-Konzept verantwortlich? Herr Lafontaine darf, so wollen Sie es, nicht sagen, der Staat solle es machen, und Sie selbst sagen, daß Sie als Bundesregierung es auch nicht machen — für ein Strukturkonzept für ARBED Saarstahl zuständig?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber Herr Roth, das ist nun ganz einfach: Der Unternehmer, ARBED Luxemburg, hat sich bereit erklärt — das ist ja vertraglich festgelegt —, seine Anteile, wenn der Bund und das Saarland eine Option wahrnehmen, praktisch für nichts, für eine Mark, symbolisch aufzugeben. Das heißt: Die Unternehmensleitung, die Geschäftsführung hat völlig freie Hand —, sie ist auch die dafür anzusprechende Stelle —, ein unternehmerisches Konzept vorzulegen. Selbst wenn es im richtigen Sinne noch einen Eigentümer gäbe, wäre der ja nicht befugt, eine solche Konzeption zu entwerfen; das muß die Unternehmensleitung machen. Das wiederhole ich seit über einem Jahr. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich kann es nicht machen, und ich will es auch nicht machen. Die Bundesregierung wird keine unternehmerische Konzeption für ARBED Saarstahl entwerfen. Es ist eigentlich auch nicht Aufgabe der saarländischen Landesregierung, das zu tun. Aber die saarländische Landesregierung sollte wenigstens das Wort „Konkurs" nicht dauernd mutwillig und fahrlässig in den Mund nehmen und damit herumfuhrwerken, sondern die Beteiligten an einen Tisch bringen. Dann kann man AR-BED Saarstahl retten.
Das Wort hat Frau Dr. Skarpelis-Sperk.
Herr Bangemann hat mit seiner Intervention sicher geglaubt, unseren Kollegen Herbert Ehrenberg zu belehren. Das, was herausgekommen ist — abgesehen von einigen Zahlenbeispielen, die wir vernünftigerweise einmal im Wirtschaftsausschuß präzise durchgehen sollten; denn dort sind die Statistik-Diskussionen am Platz —, war inhaltlich eine Belehrung seines Koalitionskollegen von Wartenberg. Ich hoffe, er hat die Lektion verstanden.
— Belehrungen sind hie und da ganz nützlich. Vielleicht kann die CDU wenigstens die Belehrung eines FDP-Wirtschaftsministers akzeptieren.Was aber nun die Debatte selbst angeht, so muß ich wirklich sagen, daß sie von Regierungsseite — abgesehen von der gezielten Provokation, die Herr Finanzminister Stoltenberg gegen die Gewerkschaften losgelassen hat — von einer einzigartigen und nahezu gähnenden Langeweile war.
Eine so unendlich langweilige Gebetsmühle bekannter Schönfärbereien, eine so unangenehme Ansammlung von Selbstlob, eine solche Verbreitung vager Hoffnungen, eine solche Sammlung von Dreistigkeit statt Argumenten hat man in einer Haushaltsdebatte selten erleben müssen.
Selbst das zarte Pflänzchen der Differenzierung, das in der wirtschaftspolitischen Debatte des Frühsommers von Herrn Bangemann noch gepflegt worden ist — da hat er zwar die gesamtwirtschaftliche Lage als großartig und hoffnungversprechend eingestuft, aber immerhin zugestanden, es gebe noch in einer Reihe von Regionen Probleme; die Wahlkämpfe im Saarland und in Nordrhein-Westfalen standen schließlich vor der Tür —, wird jetzt nicht mehr gepflegt. Jetzt — die Wahlkämpfe sind vorbei — sind die Probleme im Ruhrgebiet, die Probleme im Saarland und die Probleme an der Küste offensichtlich verschwunden. Statt dessen gibt es eine einzigartige Orgie an Hoffnungen, an Optimismus, ja sogar ein Abbau der Arbeitslosigkeit erscheint unter diesen Umständen als möglich und prophezei-bar — und das, obwohl bereits mein Kollege Wolfgang Roth ausgeführt hat, daß selbst die gesamtwirtschaftliche Lage, zumindest was die Arbeitslosigkeit angeht, nicht nur keineswegs rosig ist, sondern daß wir in diesem August einen einzigartigen traurigen Rekord an Arbeitslosigkeit seit 1948 haben.
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11406 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Frau Dr. Skarpelis-SperkIn den letzten drei Jahren, also seit der „Wende", hat die Arbeitslosigkeit ganz erheblich zugenommen. Die Arbeitslosenquote ist um ein Viertel, nämlich von 7,2 % auf 9 %, angestiegen. Besser ist es in diesem Land nirgendwo geworden, auch nicht in den wenigen Arbeitsamtsbezirken, in denen die Arbeitslosenquote knapp unter 4 % liegt. Auch dort gibt es nämlich — was häufig und gern von Ihnen übersehen wird — das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit und die neue Armut durch Ausgrenzung aus der Arbeitslosenunterstützung, die insbesondere die Frauen trifft.Trotzdem — was hört man von Ihnen? Keine Zeichen von Nachdenklichkeit, obwohl der Winter bevorsteht; aber dort wird es ja wahrscheinlich wieder Eiseskälte und tiefe Temperaturen geben, die nahezu alles entschuldigen.Statt dessen wiederum ein Verzicht auf Beschäftigungspolitik! Ja selbst eine nur konjunkturpolitisch adäquate Globalpolitik findet bei Ihnen aus ideologischen Gründen weiterhin nicht statt. Die Haushalte werden nach wie vor restriktiv gefahren; die Geldpolitik bleibt weit hinter dem Möglichen und konjunkturpolitisch Erforderlichen zurück.Statt dessen dreiste Behauptungen, Gottvertrauen auf die Fortsetzung des Exportbooms und vor allem die Hoffnung, sich durch eine Bereinigung der Arbeitslosenstatistik aus der öffentlichen Diskussion zu ziehen.Mit Ihren vagen optimistischen Reden versuchen Sie selbst das Thema der Arbeitslosigkeit und vor allem der Jugendarbeitslosigkeit aus dem öffentlichen Verkehr zu ziehen. Monatelang haben Sie sich nun z. B. im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages um Antworten gedrückt. Da wurden Statistiken manipuliert, die Arbeitslosigkeit der 20-bis 25jährigen ausgeklammert, die Ausgebildeten ohne Arbeit aus dem Bewußtsein gedrängt, und es wurde auf Untersuchungen verwiesen, deren Ergebnisse erst ausgewertet werden müßten.Jetzt haben wir die Ergebnisse auf dem Tisch, und was sagen sie? Im Juni 1985 waren über 500 000 junge Menschen ohne Arbeit, weitere 300 000 von der Statistik überhaupt nicht erfaßt, und 15 % der jungen Menschen zwischen 20 und 25 Jahren sind ohne Arbeit, bleiben nach langen Jahren von Bildung und Ausbildung ohne berufliche Aussicht.
— Dies sind offizielle Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit.
— Daß es Dunkelziffern gibt, weisen viele Untersuchungen aus.
— Sie können doch nicht so tun, als gebe es in der Arbeitsmarktstatistik gerade bei jungen Leuten keine Dunkelziffer: Schauen Sie sich doch einmal in einem ländlichen Bereich um. Schauen Sie sich doch einmal um, was da junge Leute tun. SchauenSie einmal zu, wie viele in den Familienbetrieben des Handwerks und der Landwirtschaft unterkommen. So weit weg von der Realität können Sie doch gar nicht sein.
Da, meine Damen und Herren von der Regierung, bildet sich ein immer ernster und größer werdendes Problem. Qualifizierte, zum Teil hochqualifizierte junge Leute werden zu Außenseitern, zu Randgruppen der Gesellschaft gemacht. Sehr viele davon — der größte Teil — sind junge Frauen, was Sie aber, meine Herren von den Konservativen, nicht stört. Andere bauen dies offensichtlich in ihre Strategien mit ein, indem sie für die jungen Frauen in erster Linie einen Platz bei Kindern und Küche sehen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rossmanith?
Nein, ich gestatte die Zwischenfrage des Abgeordneten Rossmanith nicht.Können wir es uns wirklich leisten, auf so viele Begabungen — gerade auch der jungen Frauen — zu verzichten? Können wir es wirklich verantworten, einen wachsenden Teil einer ganzen Generation in die berufliche Perspektivlosigkeit zu treiben? Können wir es wirklich verantworten, einen zunehmenden Teil junger Leute zu einer im wahrsten Sinne des Wortes „verlorenen" Generation zu machen?Wenn wir uns erst aber die Regionen und nicht nur die schlimmen Globalzahlen ansehen, dann müssen wir feststellen, daß sich die Unterschiede zwischen den Regionen in der Krise nicht vermindert haben, sondern sich weiterhin verschärfen, ja daß ganze Regionen arbeitsmarktpolitisch regelrecht verkommen und herunterkommen.
In Emden und in Vechta z. B. hat der Umfang der registrierten Arbeitslosigkeit seit Ihrer Wende um annähernd 50 % zugenommen. Auch im Süden unseres Landes, den Sie so gern als den wachsenden und prosperierenden Teil hinstellen, haben sich die vom Ausgangsniveau her günstigeren Zahlen deutlich verschlechtert.
— Das sind die offiziellen Zahlen. Ich komme gern in Ihren Wahlkreis, Herr Kollege.In Schwandorf ist die Arbeitslosigkeit auf 10,4 % angestiegen. In meinem Bereich, in Memmingen, früher einmal konkurrenzlos günstig, ist die Arbeitslosigkeit in Ihrer Regierungszeit von 5,5 auf 7 % angestiegen. Wenn wir die Strukturkrise in der Bauwirtschaft nicht lösen werden, sind dort Zahlen von weit über 10 und 14 % angelegt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11407
Frau Dr. Skarpelis-SperkWas wird denn eigentlich, wenn es Winter wird, wenn in den ländlichen Regionen Niedersachsens, der Küste Schleswig-Holsteins, in der Eifel, in Ostbayern und in weiten Teilen des Zonenrandgebietes die saisonale Arbeitslosigkeit wieder ihr erschrekkendes Gesicht zeigen wird? Uns — und auch Ihnen — ist es klar. Sie wollen es nur nicht zugeben, weil Sie dann Ihre Untätigkeit nicht länger rechtfertigen könnten, das Scheitern Ihrer Politik und die weitgehende Untauglichkeit Ihrer Instrumente auch und gerade für die ländlichen Regionen und die Problemregionen zugeben müßten.
— Das glaube ich nicht nur, sondern ich will Ihnen überdies sagen: Ihre eigenen Kollegen im Unterausschuß für regionale Verbesserung der Wirtschaftsstruktur — Sie wissen es selbst, Herr Kollege Kunz, weil Sie einem „verwandten" Ausschuß vorsitzen, nämlich dem für Zonenrandförderung, in dem es um ernsthafte Probleme geht — beurteilen die unterschiedliche regionale Entwicklung dieses Landes außerordentlich kritisch. Sie wissen auch, daß wir bisher zusammengearbeitet haben, um dieses zu überwinden. Was Sie tun, ist objektive Krisenzeichen einer sich ausweitenden Verschlechterung gesundbeten und statt dessen Schönfärberei setzen.
— Wir bauen kein Horrorgemälde auf, wir beschäftigen uns mit nachprüfbaren Zahlen und Fakten.
Was Sie dagegen machen, das sind Schönfärbereien, vage Sprüche — in der Hoffnung darauf, daß es im Winter schon besser werden wird. Schauen Sie sich doch einmal die Rede an, die z. B. Ihr Kollege Bangemann hier gehalten hat!
Wo waren denn darin Zahlen und Fakten zur Arbeitslosigkeit? Wo hat er denn darin über die Problemregionen und darüber gesprochen, wie es weitergehen soll? Ich kann davon nirgendwo etwas entdecken — und schon gar keine Konzepte, wie es weitergehen soll.
Schauen Sie sich doch einmal an, was Sie bei den sektoralen Strukturkrisen in den Bereichen Kohle, Stahl und Schiffbau, aber auch in der Textil- und Bekleidungsindustrie anzubieten haben.
— Hören Sie mal! Beim Wirtschaftshaushalt hat sich heute der Bundesminister für Wirtschaft gerühmt, daß eine Milliarde Subventionen abgebaut wird, und zwar im Bereich Kohle und Stahl. Sie und ich wissen doch, daß das Augenwischerei ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich herzlich, die Sprecherin reden zu lassen. Es ist doch keine Art, die Zwischenrufe so stark zu machen, daß sie sich nicht auf ihren Vortrag konzentrieren kann.
Vielen Dank, Frau Präsident, aber das bin ich in diesem Hause gewöhnt. Sie wissen ja, daß bereits meine Kollegin Schmidt die Zwischenrufe vor allem männlicher Kollegen gegenüber Rednerinnen dieses Parlamentes analysiert hat. Diese Art und Weise des rednerischen Vorgehens und der Zwischenrufe überrascht mich nach meiner Erfahrung überhaupt nicht.
— Lesen Sie das einmal in diesem Protokoll nach, wie Sie und andere sich verhalten!
Sehen wir z. B. einmal beim Stahl die Situation näher an. Sie streichen — und verkünden das als Subventionsabbau-Erfolg — die entsprechenden Mittel im Bundeshaushalt. Es gehört nun weiß Gott keine Prophetengabe dazu — seit dem 31. Juli und den Ergebnissen in Brüssel wissen wir das doch wohl —, daß wir 1986 vor ähnlichen Problemen wie 1984 stehen werden: überhöhte Kapazitäten, stagnierender Stahlverbrauch und vor allem ein Weiterdrehen des munteren Subventionskartells — ob in Europa oder weltweit.Wenn Sie dann sagen, Sie zahlten einfach nicht weiter, wissen Sie auch, wen es als ersten treffen wird: Saarland und ARBED Saarstahl. Ob Sie das politisch verantworten können oder wollen, werden sicherlich weitere Debatten in diesem Hause ergeben.Auch die Atempause, die der Textil- und Bekleidungsbranche durch den Dollarkurs und die Verlängerung des Welttextilabkommens gewährt wurde, veranlaßt den zuständigen Minister zu markigen Sprüchen über eine notwendige Beendigung des Welttextilabkommens. Wieviel Arbeitsplätze in den strukturschwachen Gebieten ohne Alternative an Ersatzarbeitsplätzen werden in diesem Fall denn wegfallen, Herr Bangemann? Aber wahrscheinlich haben Sie das gar nicht überprüfen lassen.Zu diesen bekannten Strukturproblemen sind inden vergangenen Jahren weitere in der Bauindustrie und in der Mineralölwirtschaft getreten. Aber mit diesen Schwierigkeiten dürfte es nach all dem, was zu vermuten steht, noch nicht sein Bewenden haben. Sie und wir alle, die die Automobilindustrie aufmerksam betrachten, die weltweit und in Europa der zentrale Bereich — auch für die Bundesrepublik — ist, weil jeder siebte Beschäftigte in diesem Lande direkt oder indirekt mit der Herstellung oder Nutzung von Automobilen befaßt ist, müssen feststellen, daß wir bereits jetzt etwa eine Million Pkw Überkapazität in Europa haben. Wenn alle Rationalisierungsinvestitionen erfolgt sind, wenn alle neuen Werke in Europa gebaut sind, werden wir etwa zwei Millionen Pkw Überkapazität haben.
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11408 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Frau Dr. Skarpelis-SperkFür wen werden die weltweit ausgerichteten Neuanlagen in den USA und anderwärts sowie in den Schwellenländern produzieren? Was wird das für die Automobilbranche in der Bundesrepublik bedeuten? Trotzdem, man diskutiert es nicht, man berät es nicht. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, wenn man die Bedeutung der Automobilindustrie für Frankreich, für Italien, auch für Großbritannien bedenkt, sich vorzustellen, daß hier möglicherweise ein neues Dilemma, ein europäisches Dilemma wie bei der Stahlindustrie auf uns zukommt, mit möglichem Protektionismus, sich drehenden Subventionskartellen und Handelsbeschränkungen.
Nein, wie wir Ihnen schon gesagt haben, das bestehende Instrumentarium ist untauglich, weil Sie globalpolitisch Ihrer Verantwortung in der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik nicht gerecht werden, weil Sie regionale Probleme verschärfen, statt sie zu vermindern.Auch das, was Sie jetzt — man hat ja die Kabinettsbeschlüsse von gestern heute nachlesen können — an Verbesserungen in der regionalen Wirtschaftsstruktur vorschlagen, können Sie nicht als Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit verkaufen, wie Sie es getan haben. Das sind einige bescheidene Schrittchen, über die wir uns wie übrigens alle Experten im Wirtschaftsausschuß auch einig waren, die zur Fortentwicklung des bisherigen bescheidenen Instrumentariums notwendig sind.Hinzugehen und die Aufhebung des Kumulationsverbots bei der Investitionszulage und der Forschungs- und Entwicklungszulage als bedeutenden Schritt in der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu bezeichnen, wie man es in der „Süddeutschen Zeitung" und anderen Zeitungen nachlesen konnte, ist einfach absurd und lächerlich. Abgesehen davon: Ein paar administrative Erleichterungen im Genehmigungsverfahren — Sie wissen, daß wir da Ihrer Meinung waren —, einige kleine Schrittehen hier und eine Investitionsbegrenzung dort kann man ernsthaft aber nicht als einen Schritt vorwärts bezeichnen.Nein, Sie — und das ist das große Problem — betreiben nicht nur keine anständige und vorausschauende Globalpolitik; Sie betreiben auch keine vernünftige vorausschauende Krisenpolitik.
Europäische bzw. weltweite Branchenkrisen — wie in der Stahlwirtschaft, wie in der Bauwirtschaft — lassen sich eben nicht auf die Ebene von Bundesländern oder von regionalen Planungsregionen zurückverweisen.Nein, Sie handeln erst — das ist bei Ihnen leider Dauererscheinung —, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wenn es zum Handeln erstens zu spät ist und zweitens sehr, sehr teuer wird, nichtnur für den Staatshaushalt, sondern auch für die betroffenen Menschen und Regionen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Die Haushaltsvorlage des Einzelplans 15 für das Jahr 1986 hat die in absoluten Zahlen höchste Steigerungsrate von allen Einzelplänen. Dies zeigt, daß die Bundesregierung mit diesem Etat eine Politik für die Familie verfolgt, die alle bisherigen Bemühungen der verflossenen SPD-geführten Regierungen verblassen läßt.
Wenn die Opposition uns hier Augenwischerei vorwirft, dann nur deshalb, Herr Zander, weil ihr Urteilsvermögen durch die eigene übermächtige Sehnsucht nach solchen familienpolitischen Durchbrüchen getrübt ist.
Diese Politik der Bundesregierung ist richtig. Die mit diesem Etat zum Ausdruck gebrachte Förderung der Familie ist kein Almosen, sondern eine als notwendig und zuverlässig erkannte Investition in die Zukunft. Die Zukunft der Familie in der sogenannten sozialliberalen Regierungszeit war trist. Sie, Herr Zander, haben sie mit zu vertreten.
Die SPD wollte die Familie an eine anonyme Gesellschaft verhökern. Sie sollte eine Sozialisationsagentur werden. Dieser Versuch der SPD ist mißlungen. Drei Jahre konstruktiver Familienpolitik und Jugendpolitik unter Helmut Kohl und mit Reiner Geißler haben den Familien wieder eine Perspektive gegeben.
Der Stellenwert der Familie ist deutlich gestiegen.Dies drückt sich auch im Einzelplan 15 aus. Er ist ein Bekenntnis der Bundesregierung zu einer progressiven zukunftsorientierten Politik für Eltern und Kinder.
Dieser Etat anerkennt die Familienleistung von Vater und Mutter. Er bezieht die Sorgen der unvollständigen Familie und der Alleinerziehenden ein.Herr Ströbele, vielleicht wissen Sie nicht, was eine Familie ist. Dann kann ich Ihren Einwurf verstehen.
Die mit diesem Etat verfolgte Politik richtet den Blick auf die junge Familie, die sich ein Kind
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Dr. Hoffackerwünscht. Kinder sind nicht Gegenstände wohlplazierter Werbung, wie uns manche Plakate glauben machen wollen — ich denke an den letzten Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen —; Kinder sind ein Teil des Lebens, das uns zur Mitgestaltung aufgegeben ist.Wir dürfen uns nicht beliebig von ihnen trennen. Wer Kinder unter dem Aspekt eingeschränkter Lebensplanung sieht, verstellt sich den Blick für Glück und Leid. Beides gehört zur Wirklichkeit des Lebens.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es mir nicht angerechnet wird.
Nein, es wird Ihnen nicht angerechnet.
Bitte, Herr Ströbele.
Herr Kollege, was halten Sie von Glück und Leid ausländischer Familien? Was halten Sie beispielsweise davon, wenn in dem Fall, daß der Familienvater hier ist, Frau und Kinder aber in der Türkei sind und gern mit ihrem Vater bzw. Ehemann zusammen sein wollen, das durch diese Bundesregierung und die Gesetzgebung unmöglich gemacht wird?
Sind ausländische Familien für Sie keine Familien? Sind Ausländer für Sie nicht gleichberechtigte Menschen?
Herr Abgeordneter Ströbele, ich weiß nicht, warum Sie diese Unterschiede zwischen ausländischen und einheimischen Familien so hervorheben; denn für mich sind dies Menschen, um die ich mich kümmere. Wenn Sie dies auch tun, sieht es in Berlin noch besser aus.
— Als Familie, natürlich.
Meine Damen und Herren, Kinder sind selbstverständlich eine wirtschaftliche und finanzielle Belastung. Dieser Tatsache wird der Etat gerecht. Die Erhöhung des Kindergelds für Einkommensschwache ist im Gesamtansatz mit 650 Millionen DM veranschlagt worden. Für das neu eingeführte und einzuführende Erziehungsgeld sind 1,67 Milliarden DM vorgesehen. Das Erziehungsgeld beträgt 600 DM pro Monat für die Dauer von zunächst zehn Monaten nach der Geburt des Kindes. Ab 1987 wird es auf 12 Monate ausgedehnt.Die Gesellschaft erkennt damit die Erziehungsleistung der Familie an. Das Erziehungsgeld ist keine Geburtenprämie, wie manche materialistische Denkweise uns glauben machen möchte. Es erleichtert vielmehr die Entscheidung zum Kind. Es macht die Erfüllung des Wunsches der Eltern leichter, sich in den ersten Monaten dem Kind ungeteilt widmen zu können. Die Kündigungsschutzvorschriften geben zusätzliche Sicherheit.Hier sieht man, daß die angeblich emanzipatorisch geprägte Frauen- und Familienpolitik der SPD in Wirklichkeit eine Isolationspolitik ist. Sie hat dazu geführt, daß die Frau im Arbeitsprozeß zum Rivalen des Mannes stilisiert wird. Sie setzen die Frau einem erbarmungslosen Wettbewerb aus. Wenn die Frau ein Kind bekam, erhielt sie bislang ein Mutterschaftsurlaubsgeld; nicht, um sich auf ihr Kind zu konzentrieren, sondern um sich für den Arbeitsprozeß wiederherzustellen.Wir haben mit dem Erziehungsgeld auch die nicht berufstätige Mutter und ihr Kind im Blick gehabt. Alle Frauen bzw. die Väter erhalten jetzt bei der Geburt eines Kindes Erziehungsgeld; nicht nur die außerhäuslich erwerbstätigen Frauen.Die SPD hat die Leistungen der Frau und Mutter in der Familie zu einer Art unverzichtbarer Dienstleistung ohne eine familiale Gestaltungsmotivation herabgemindert. Sie versucht immer noch, unsere Familienpolitik als eine Politik der drei K — Küche, Kirche und Kinder — zu desavouieren. Sie mißversteht absichtlich unser Bemühen, eine Gleichwertigkeit zwischen den Berufen der Frau und Mutter in der Familie und am Arbeitsplatz herzustellen. Wir anerkennen die Leistungen in der Familie und am Arbeitsplatz als gleichwertige Leistungen. Deshalb das Erziehungsgeld; es ermöglicht eine Kombination beider Tätigkeitsfelder und wird damit den Wünschen vieler Frauen gerecht, zumal es ein Erziehungsgeld mit Kündigungsschutz ist.Wir dürfen Heiner Geißler für seine beharrliche Hartnäckigkeit danken, mit der er in Partei, Fraktion und Koalition für das Erziehungsgeld gearbeitet hat.
Damit hat er für ein wachsendes Bewußtsein für den Wert der Erziehungsleistung gearbeitet.
— Sie vertreten eine fast chauvinistische Vorstellung aus der „FAZ"! — Denn, meine Damen und Herren, Erziehung ist durchaus eine Leistung und eine Investition in die Zukunft. Der scheidende Bundesfamilienminister hat sich für diese Zusammenhänge unermüdlich eingesetzt.Die Liebe zum Kind beginnt nicht erst mit der Geburt. Wenn ich die Ausstattung der Stiftung „Mutter und Kind" mit 50 Millionen DM hervorhebe, dann deshalb, weil diese Stiftung sich bewährt hat.
Ich verhehle nicht mein Bedauern den Kolleginnen und Kollegen gegenüber, die diese Stiftung ablehnen. Ideal wäre es, wenn wir auf eine solche Stiftung verzichten könnten, aber Ideale weichen wohl immer von der Wirklichkeit ab. Weil ich die Wirklichkeit in Not geratener schwangerer Frauen kenne und weil ich sie nicht leugne, bejahe ich die Notwendigkeit dieser Stiftung.
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11410 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. HoffackerDer Stiftungszweck ist klar gefaßt. Es gibt Anfangsschwierigkeiten, weil der gute Wille, zu helfen, bisweilen das Geldvolumen übersteigt. Wir können feststellen, daß der Betrag aufgestockt werden sollte. In diesem Bewußtsein möchte ich meinen Haushaltskolleginnen und -kollegen den Vorschlag unterbreiten, für dieses Jahr den notwendigen Betrag bereitzustellen und eine Erhöhung zu überlegen und nach Möglichkeit zu beschließen.
Ich meine auch, daß wir damit all denjenigen gerecht werden, die die anspruchsvolle Tätigkeit der Beratung übernehmen. Damit wäre diese Tätigkeit, die weitgehend ehrenamtlich geleistet wird, gesichert. Von dieser Stelle aus darf ich all denjenigen danken — es sind namentlich Frauen —, die sich in diesem Bereich engagieren und so viel Gutes tun.Wenn ich mich für die Stiftung so sehr einsetze, dann auch deshalb, weil es in unserem Sozialstaat finanzielle Notlagen eigentlich nicht geben darf. Keine Mutter soll sich auf Grund materieller Engpässe dazu entschließen, ihr Kind vor der Geburt töten zu lassen. Wer sich über die Bundesstiftung empört, nimmt in Kauf, daß die Schwächsten für die Schwachen zahlen, und zwar mit ihrem Leben. So hat noch vor zwei Tagen der Münchener Philosoph Robert Spaemann die angebliche Hilfe umschrieben, die man den ratsuchenden Frauen anbietet, wenn man sie auf die Tötung ihres Kindes verweist.Deshalb haben wir mit dem Erziehungsgeld, dem Kindergeldzuschlag für einkommenschwache Familien sowie der Stiftung „Mutter und Kind" weitere Schritte getan, um der werdenden Mutter die Fortsetzung der Schwangerschaft zu erleichtern, einem Kind also die Möglichkeit zu geben — wie unsere Eltern es ausgedrückt haben —, das Licht der Welt zu erblicken. Es gibt zu denken, daß das Potential der Empörung über die hohe Zahl der Abtreibungen in umgekehrtem Verhältnis zum Abwehrpotential angesichts von Tierversuchen und Umweltverschmutzung steht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich generell anmerken, daß die Abtreibungsproblematik und ihre Lösung für uns nicht in erster Linie eine finanzielle Frage ist. Mit finanziellen Mitteln kann man nur eine verschwindend geringe Zahl von Konfliktfällen lösen. Dabei sollten wir nicht vergessen, daß das Bundesverfassungsgericht die soziale Indikation, wie sie genannt wird, unter der Voraussetzung für verfassungsmäßig gehalten hat, daß sie ebenso schwer wiegt wie die medizinische Indikation. Dieser Problematik ist mit Geld allein nicht beizukommen.Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz hat interessante und durchaus aussichtsreiche Lösungsansätze in die Diskussion gebracht. Wir sollten sie aufgreifen, so daß aus einer solchen Welleeine Woge der Zustimmung für den ungeborenen Menschen wird. Und was tut die Opposition?
— Herr Roth, diese Frage stand hier nicht zur Debatte. Es steht zur Debatte, daß eine politische Lösung uns hier weiterhilft. Deshalb bin ich dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten dankbar, daß er diese Schritte macht.
Ich darf jetzt Ihren ehemaligen Bundeskanzler Brandt zu Wort kommen lassen; vielleicht werden Sie dann etwas nachdenklicher. Er hat am 26. April 1974 formuliert: „Familienpolitik muß die konkrete Ausfüllung des Ja zum Leben sein." Sie haben am 26. April dazu Beifall geklatscht. Darf ich Sie fragen, wo Sie heute stehen?
— Dies müßten nicht Ihre Worte, Ihre schnell hergesagten Bekundungen beweisen, sondern, wie es früher hieß und auch heute gilt, Taten müssen das belegen.
Dem Bundesminister gebührt Dank für seine Bemühungen um die Entlastung der unvollständigen Familie. Konkret handelt es sich um die Ausgaben nach dem Unterhaltsvorschußgesetz. Mit dem Ansatz von 85 Millionen DM beträgt diese Summe ein Mehrfaches der letzten Jahre. Man kann dies bedauern. Aber der Ansatz zeigt, daß mit diesen Leistungen die schwierige Lebenssituation, in der alleinstehende Elternteile mit ihren Kindern unter sechs Jahren stehen, verbessert werden soll. Alleinstehende Alleinerziehende tragen ein hartes Los, weil der Miterzieher fehlt. Deshalb müssen sie vor der weiteren Belastung nach Möglichkeit bewahrt werden, die sich durch den Ausfall des anderen Elternteils als Unterhaltszahler ergibt.Gut ist, daß die Leistungen für die Aufgaben der freien Jugendhilfe um 2,5 Millionen DM angehoben werden. Ich betone dies deshalb, weil oft — mehr als gelegentlich — Kritik am Bundesjugendplan und an der Höhe dieser Kostenposition geübt wird. Es ist unangebracht, wenn pauschal von Verschwendung geredet wird, wie dies jüngst Hans Heigert in der „Süddeutschen Zeitung" getan hat. Daß die Bundesregierung mit diesen Beträgen umzugehen weiß, hat sie mit ihrer Absage einer Finanzierung für die diesjährigen Weltjugendfestspiele in Moskau bewiesen.
Mit der Anhebung des Kostensatzes für das Bundesamt für den Zivildienst auf etwa 138 Millionen DM straft der Minister all diejenigen Lügen, die behaupten, Heiner Geißler habe kein Verständnis
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Dr. Hoffackerfür Zivildienstleistende. Das Gegenteil ist der Fall. Durch diesen Haushalt wird die Möglichkeit eingeräumt, 55 000 statt bisher 49 000 Zivildienstleistende in ihren Plätzen zu belassen, sie einzustellen und zu begleiten.Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat in den letzten Jahren einen enormen Arbeitszuwachs durch neue Gesundheitsgefährdungen und Krankheitserreger erfahren. Herr Roth von der SPD wollte den Bundesminister schon zum „Giftmischer unserer Nation" machen. Ein Rohrkrepierer, scheint mir, wie er eigentlich selber zugeben muß. Ich kann die Schadenfreude überhaupt nicht verbergen, Herr Roth, daß Sie sich Herrn Geißler unterwerfen mußten. „Unterwerfen" ist für Sie schon entehrend; ich möchte mir das nicht zu eigen machen, aber ich freue mich doch ob der ätzenden Sprache der Juristen.
Nun möchte ich mich Frau Martiny zuwenden. Leider ist sie nicht mehr hier. Sie hat soeben etwas für mich ganz Unverständliches getan. Sie hat einen Affront gegen das eigene Geschlecht geritten, als sie Rita Süssmuth hier so in Frage stellte. Das verstehe ich überhaupt nicht, da doch die SPD sich jüngst — alle Damen waren versammelt, die ganze Schönheit der Bundesrepublik —
dafür ausgesprochen hat, daß 25% der Frauen in solche wichtigen Positionen der Politik hineinkommen müssen.Ich darf auch noch aus der Rede von Frau Dr. Skarpelis-Sperk zitieren. Ich kann das natürlich nicht mit dem anmutigen Timbre ihrer Stimme. Sie hat gefragt: Können wir auf solche Begabungen junger Frauen verzichten? Ich kann dies wirklich nur unterstützen.Meine Damen und Herren, wir hätten noch vieles zu bereden, aber die Zeit ist leider zu Ende. Herr Dr. Geißler wird sein Amt als Minister für Jugend, Familie und Gesundheit aufgeben.
Der Haushaltsplan für das Jahr 1986 trägt seine Handschrift. In Ihrer aller Namen — ich tue das auch in Ihrem Namen, da ich immer noch den guten Willen unterstelle — darf ich ihm sicher für seine unermüdliche Arbeit danken. Die Phase seiner Ministertätigkeit, die nach meiner Vorstellung viel zu kurz, aber so prägend war, zähle ich zu den glanzvollen Leistungen dieses Kabinetts.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Im Rahmen der Beratungen des Bundeshaushalts 1986, speziell des Einzelplans 15, des Einzelplans also, der sich mit den Ausgaben des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesund-heit beschäftigt, wird es ja wohl möglich und zulässig sein, in eine Gesamtwürdigung dessen einzutreten, was dieser Minister in diesem Amt geleistet hat,
zumal wir wissen, daß die Amtszeit des jetzigen Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit in wenigen Tagen zu Ende geht. Eine solche Würdigung hat Bundesminister Geißler sicherlich verdient, auf sie hat er Anspruch. — Jetzt hatte ich mir eigentlich Beifall von Ihnen vorgestellt.
Wenn Sie ihn nicht zollen, gehen Sie sicherlich davon aus, daß ich als Redner der SPD-Fraktion hier nicht die Habenseite dieses Kontos aufblättern werde, sondern die Sollseite.
Oder aber ich muß daraus den Schluß ziehen, daß Sie auf eine solche Würdigung Ihres Ministers gar keinen Wert legen.
Die Gesamtbeurteilung dessen, was Herr Minister Geißler geleistet hat, ist aus unserer Sicht eindeutig negativ.
Ich fange zunächst einmal damit an, daß ich für die SPD-Bundestagsfraktion feststelle, daß Herr Geißler seinen Rücktritt aus dem Amt spät, ja allzu spät eingeleitet hat.
Ein solches Amt, wie Sie es derzeit noch bekleiden, Herr Geißler, erfordert den Einsatz des ganzen Menschen, egal ob das eine Frau oder ein Mann ist. Sie ziehen sich j a nach allem, was man hören und lesen kann, nicht deswegen aus dem Amt des Bundesministers zurück, weil Sie erkannt hätten, daß Ihre Doppelbelastung als Generalsekretär der CDU und Bundesminister zu Lasten Ihrer Funktion als Bundesminister gegangen ist, sondern Sie ziehen sich deswegen zurück, weil Sie befürchten, als Generalsekretär nicht die nötige Zeit zu finden, um den Wahlkampf 1987 für die CDU ordnungsgemäß zu organisieren.
— Sicher, für Sie ist das sehr wichtig, aber es wirft doch ein Schlaglicht darauf, wie Sie eine solche Funktion wie die des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit beurteilen.
Lassen Sie mich nun den Vorwurf, die Bilanz dieses Ministers sei insgesamt negativ, an Hand der einzelnen Aufgabenfelder, für die er Verantwortung trägt oder zu tragen hat, im einzelnen darlegen.
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11412 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
JaunichZunächst einmal zum Bereich Jugendpolitik. Dieser Bundesminister war aus unserer Sicht kein Jugendminister. Hierfür fehlten im Ansatz bereits alle Voraussetzungen — nicht von seinem Lebensalter her, nein, nein, sondern wegen der mangelnden Empfindlichkeit für Probleme, die die jungen Menschen heute bewegen.
Herr Geißler, Sie waren in Ihrer Nebentätigkeit als Jugendminister genauso ausgrenzend und einseitig wie in Ihrem Hauptberuf als Generalsekretär.
Ihr Schwarz-Weiß-Verhältnis in der politischen Auseinandersetzung, Ihre Unfähigkeit, ohne ideologische Scheuklappen Politik zu machen, Ihre kalt und nüchtern berechnende, unter großer Selbstgerechtigkeit getarnte parteipolitische Instrumentalisierung Ihres Ministeramtes hat gerade auf dem Feld der Jugendpolitik eine verheerende Wirkung gehabt. Welche Glaubwürdigkeit kann eine Bundesregierung für die nachwachsende Generation haben, wenn ihr oberster Jugendschützer nur den Knüppel eines Kalten Kriegers kennt und sich als oberster Scharfmacher in der Politik aufspielt?
Sie haben großen Flurschaden angerichtet, und dieser ist eigentlich nur durch die Vernunft und Verantwortung vieler Jugendorganisationen in der Bundesrepublik begrenzt worden.In diesem Zusammenhang sei erinnert an Ihr skandalöses Auftreten, Herr Geißler, bei der Debatte des Deutschen Bundestages am 15. Juni 1983, als Sie zu unserem Entsetzen ausführten:Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.Herr Bundesminister Geißler, mit diesem Ausspruch haben Sie Ihre Legitimation verloren, als Jugendminister anerkannt zu werden.
Die Politik, die Opfer zu Tätern zu machen, haben Sie im übrigen nicht nur durch die Einbringung dieses Satzes in das Parlament vollzogen, sondern auf vielen Feldern — denken wir hier z. B. an die Sozialhilfe — immer wieder in der Realität umgesetzt.Auch die Bezeichnung der Sozialdemokratie als „fünfte Kolonne der anderen Seite" welche Sie in einer öffentlichen Veranstaltung am 19. September 1983 ausgesprochen habe, disqualifiziert Sie in dieser Hinsicht.Es ist kein kleinliches Rachenehmen, wenn ich Ihnen dies jetzt alles vorhalte, sondern das muß in dem Zusammenhang gesehen werden, daß ein Bundesminister für Jugend nicht die Aufgabe habenkann, Demokraten zu diffamieren, wenn er in die Jugend hineinwirken will. Seine Aufgabe muß ganz im Gegenteil sein, alle positiven Kräfte und Strömungen in unserem Staat zusammenzuführen. Zumindest wir Sozialdemokraten sehen das so.
Ich muß aber auch an die Oberflächlichkeit erinnern, mit der die Bundesregierung — auch in diesem Fall tragen Sie hierfür die Verantwortung — die Stellungnahme zum Bericht der Enquetekommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" verfaßt hat. Diese Stellungnahme strotzt vor Selbstbeweihräucherung und Schönfärberei. Mangelnde inhaltliche Tiefe ist das durchgängige Merkmal dieser sogenannten Unterrichtung durch die Bundesregierung.
Da die inhaltliche Auseinandersetzung mit den von der Enquetekommission aufgeworfenen Fragen ausblieb, verwundert es nicht, wenn Empfehlungen — die allgemeine Arbeitszeitverkürzung, Weitergewährung der Schülerausbildungsförderung, Meldepflicht und Ausbildungsumlage für den Ausbildungsstellenmarkt, Verständigung in der Hausbesetzerfrage — kurzerhand verworfen werden. Berechtigte Kritik an Bürokratisierung und Zentralisierung wird zum Aufhänger unsozialer und fragwürdiger Do-it-yourself-Ideologien zur Bewältigung des allgemeinen Lebensrisikos.Im offenkundigen Gegensatz dazu steht die Ablehnung der Ausweitung plebiszitärer Beteiligungsformen. „Überzeugend" ist es, wenn in dieser Stellungnahme umweltpolitisches Versagen dieser Bundesregierung — auszuweisen an den Beispielen Buschhaus und Abgaskatalysator — als anspruchsvolle Umweltpolitik bezeichnet wird.Im übrigen, Herr Geißler, ist es Ihr fragwürdiges Verdienst, das Instrument der Disziplinierung in die Förderung von Jugendverbänden eingeführt zu haben.
Schlagender Beweis dafür ist die Förderung einer Reise eines Jugendblasorchesters nach Südafrika auf der einen Seite. Aber Ihre Haltung wurde eben von Herrn Hoffacker hier im Hinblick auf die Weltjugendfestspiele in Moskau als lobenswert dargestellt.
— Ihre Geisteshaltung ist z. B. aus Ihren Zwischenrufen ablesbar.Was haben Sie denn für Gemeinsamkeiten mit Südafrika? Das frage ich Sie. Welche Gemeinsamkeiten haben Sie dort? Dort werden die Menschenrechte der schwarzen Bevölkerung nicht geachtet.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11413
JaunichAuch in Moskau werden die Menschenrechte nicht geachtet.
Das will ich überhaupt nicht verhehlen.Meine Damen und Herren, die Jugendorganisationen des Deutschen Bundesjugendrings und des Ringes politischer Jugend, die teilgenommen haben, wußten doch so gut wie Sie, meine Damen und Herren und Herr Geißler, welchen Stellenwert die Jugendfestspiele in den kommunistischen Ländern haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geißler?
Bitte!
Herr Kollege Jaunich, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Sie wie schon so oft auch hier einer Fehlinformation aufgesessen sind und der Zuschuß für Südafrika nicht gewährt wird?
Darf ich Sie dann darum bitten, daß Sie uns die zeitliche Abfolge dieser Ihrer Entscheidung bei Gelegenheit einmal mitteilen?
Im übrigen verwahre ich mich gegen Ihre Unterstellung, ich sei zum wiederholten Mal einer falschen Information aufgesessen. Dies müßten Sie beweisen.
Aber wir stellen das unter Beweis, was ich Ihnen als Person und Minister eben insgesamt vorgehalten habe.
Sie, Herr Geißler, wissen genauso gut wie wir, welchen Stellenwert die Weltjugendfestspiele in den kommunistischen Ländern haben. Aber gerade deshalb haben sich die Jugendverbände zur Teilnahme dort entschlossen, weil dadurch ein kritischer Dialog z. B. über Menschenrechtsfragen geführt werden konnte. Wir sind den Teilnehmern sehr dankbar dafür. Sie haben wertvolle Arbeit für unsere Bundesrepublik geleistet. Sie haben im übrigen für diese ihre Arbeit auch die Anerkennung unserer Botschaft in Moskau erfahren. Ihr Verhalten ist im übrigen auch nicht anders zu kennzeichnen, als daß Sie nur durch die ideologische Brille sehen können, wenn Sie verdrängen, daß vor wenigen Monaten in Moskau ein von der Bundesregierung bezuschußtes Filmfestival stattgefunden hat, in dem ein eigenständiger, als national deklarierter Beitrag von Berlin gezeigt wurde. Nein, Ihre Haltung ist unehrlich, meine Damen und Herren.
Die Delegationen aus dem Bereich des Deutschen Bundesjugendringes und des Ringes Politischer Jugend haben in Moskau mehr erreicht als je zuvor —
gerade in der Berlin-Frage. Die Teilnehmer aus West-Berlin waren voll gleichberechtigt in der bundesdeutschen Delegation. Die kommunistische Organisation aus West-Berlin wurde nicht als nationale Delegation anerkannt. Das sind bessere und realitätsgerechtere Regelungen als bei den Weltjugendfestspielen 1973, an denen Sie, Herr KrollSchlüter, und der jetzige Regierende Bürgermeister von Berlin teilgenommen haben. Wollen wir das doch einmal in die Erinnerung aller zurückrufen.
Bis auf den Flaggen-Zwischenfall — dafür ist eine entsprechende Erklärung hinterher erfolgt —
bleibt festzuhalten, daß die jungen Leute Mut bewiesen haben, daß sie sich trotz der gesperrten Zuschüsse an diesen Weltjugendfestspielen beteiligt haben und daß sie das Feld nicht jenen überlassen haben, deren mangelnde Respektierung von Menschenrechten wir zu beklagen haben. Wir fordern Sie deshalb auf: Bewilligen Sie endlich die Zuschüsse zur Finanzierung dieser Teilnehmer, verwechseln Sie nicht länger Jugendpolitik mit Ihrer parteipolitischen Brille.
Letztlich muß man auf dem jugendpolitischen Gebiet Herrn Geißler auch daran erinnern, daß er für die drastische Verlängerung des Zivildienstes die Verantwortung trägt, sie gewollt und durchgesetzt hat, ohne zugleich dafür zu sorgen, daß das unwürdige Gewissensprüfungsverfahren vollends abgeschafft wird.
Was den Zivildienst und die Bereitstellung von Plätzen anlangt: Auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit deutlich auseinander. Während auf der einen Seite 63 754 Plätze für Zivildienstleistende zur Verfügung stehen, sind derzeit davon nur 42 599 besetzt. Die Wohlfahrtsverbände warten seit langem darauf, daß diese 20 000 Plätze besetzt werden, weil es für die Aufgabenerfüllung einen entsprechenden Bedarf gibt.
Das Jahr 1985 ist bekanntlich das „Internationale Jahr der Jugend". Nun, was macht die Bundesregierung daraus? Auf eine Anfrage meines Parlamentskollegen Würtz vom 16. August hat sie kürzlich ausgeführt:Die Bundesregierung sowie öffentliche und freie Träger waren der Auffassung, daß wegen weiterbestehender und nicht mit Patentrezepten zu lösender jugendpolitischer Probleme wie das der Jugendarbeitslosigkeit das „Internationale Jahr der Jugend" nicht zur Abhaltung von Feierveranstaltungen im nationalen wie im internationalen Rahmen mißbraucht werden sollte.So weit, so gut, dies findet auch unsere Zustimmung. Nur, wenn die Bundesregierung dann weiter ausführt:
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11414 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
JaunichDa die Bundesregierung in Konsens mit den Regierungen anderer Länder sich mit dieser Auffassung durchsetzen konnte, wurde das Schwergewicht der Anstrengungen auf konkrete Lösungsversuche der nationalen Probleme gelegtmuß ich Sie fragen: Wo denn, wie denn, durch was denn?
Erinnern wir an die seinerzeit von Bundeskanzler Kohl gegebene Lehrstellengarantie, die er nicht eingelöst hat, mit der er sich allerdings einen Wahlsieg erschlichen hat.
Die Realität sieht, wie Sie alle wissen — das begegnet Ihnen ja täglich in Ihren Wahlkreisen —, anders aus. Die letzte verfügbare Statistik der Bundesanstalt für Arbeit weist für Juni 1985 — das wird dort vierteljährlich erfaßt — 505 778 Arbeitslose unter 25 Jahren aus. Das entspricht 11,8 % aller registrierten Arbeitslosen.
Die Vergleichszahl für Juni 1981 — ich liefere sie Ihnen sofort, Herr Kroll-Schlüter — lag bei 4,8 %. Also hat hier fast eine Verdreifachung stattgefunden. Das sind Ihre Erfolge, die Sie hier verkaufen wollen.
Ich wende mich nunmehr dem Kapitel Familienpolitik zu.
Schauen Sie sich die Statistik an. Sie ist Ihnen ja verfügbar. Allerdings kann ich aus Zeitgründen hier nicht umfänglich darauf eingehen. Aber wir werden ja in aller Kürze bei der Vorlage des Erziehungsgeldgesetzes Gelegenheit haben, darauf im einzelnen einzugehen. Nur eines: Das, was Sie als großen Wurf in der Familienpolitik bezeichnen, für den es keine Parallele in der Geschichte dieser Republik gebe, ist im Grunde ein Bluff, ein großer Bluff; denn Sie werden 1988, wenn die zweite Stufe Ihrer sogenannten Steuerreform voll in Kraft tritt, das Ausgabevolumen für Familienpolitik erreicht haben, das Sie bei Amtsantritt vorgefunden haben. Meine Damen, meine Herren, das ist dann Ihre große familienpolitische Leistung?
— Das bleibt alles noch abzuwarten. — Zum Stichtag der Übernahme Ihrer Regierungsverantwortung waren es 24,13 Milliarden DM. Nach Ihrer regierungsamtlichen Aussage werden es dann 24 Milliarden DM sein.
Die Charakterisierung Ihrer Familienpolitik könnte ich mir einfach machen, indem ich einenkürzlich gesendeten Kommentar des Bayerischen Rundfunks verlese, der von Ihnen sicherlich nicht als Rotfunk bezeichnet wird, einen Kommentar mit einer vernichtenden Kritik.
Ich will auch nicht den Familienbund der Katholiken über Gebühr strapazieren, schon aus Zeitgründen nicht.Ich will nur noch eines sagen. Geradezu unverständlich wird die Familienpolitik dieser Regierung, wenn man, wie heute morgen erneut geschehen, durch den Bundesminister der Finanzen erklärt bekommt, daß die einkommensabhängigen Kürzungen beim Kindergeld kein Instrument zur Krisenbewältigung waren, sondern bewußt als Instrument in die Familienpolitik eingeführt worden sind. Wenn man dann auf der anderen Seite sieht, daß der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung eines Erziehungsgeldes in der ersten Phase keinerlei Einkommensabhängigkeit vorsieht, dann muß man in der Tat nach der Zielstrebigkeit des Kurses in der Familienpolitik bei Ihnen fragen. Wenn man den bürokratischen Wirrwarr, den Sie durch Kindergeld, Zusatzkindergeld und Steuerfreibeträge angerichtet haben, noch hinzunimmt, wird es niemanden verwundern, wenn ich sage, daß auch auf dem Sektor der Familienpolitik die Bilanz, die wir hier zu ziehen haben, für Sie, Herr Geißler, negativ ausfällt.Ich komme nunmehr zur Gesundheitspolitik. Da muß ich zunächst daran erinnern, daß Sie Mitte der 70er Jahre, als Sie noch in Rheinland-Pfalz Verantwortung trugen, auf eine drohende Kostenexplosion im Gesundheitswesen hingewiesen haben. Sie ist in der Tat eingetreten. Sozialdemokraten haben hier, als sie Regierungsverantwortung trugen, echte Kostendämpfungspolitik betrieben. Sie wurden daraufhin von Ihnen diffamiert, hier finde keine Gesundheitspolitik statt, sondern nur Kostendämpfungspolitik. Heute, meine Damen und Herren, findet weder Kostendämpfungspolitik noch Gesundheitspolitik statt.
Auch Sie, Herr Bundesminister Geißler, hätten Möglichkeiten gehabt, gerade in Ihrer Zuständigkeit Kostendämpfungspolitik zu betreiben. Ich erinnere hier nur an das Arzneimittelwesen.Wenn wir über Gesundheitspolitik reden, muß ich Sie fragen: Wo bleibt im Rahmen Ihrer Leistungsbilanz Ihr Beitrag für die Psychiatriereform? Herr Bundesminister, am 31. Dezember dieses Jahres laufen die vom Bund geförderten Modelle aus. Eine Anschlußregelung ist nicht in Sicht. Wir Sozialdemokraten werden in den nächsten Wochen einen Gesetzentwurf einbringen, der eine Übernahme der bewährten Modelle in die Leistungspflicht der Reichsversicherungsordnung vorsieht. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach allerdings nicht zum 1. Januar in Kraft treten können. Von daher kann ich schon heute ankündigen, daß wir eine geringfügige Erweiterung der Modellphase um einige Mo-
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Jaunichnate beantragen werden. Denn es macht für uns alle keinen Sinn, daß als bewährt erkannte Institutionen und Einrichtungen in der psychiatrischen Versorgung am 31. Dezember dichtmachen und möglicherweise am 1. Juli nächsten Jahres wieder geöffnet werden.
— Herr Kroll-Schlüter, mogeln Sie sich bitte nicht aus der Verantwortung des Bundes zu diesem Thema heraus.Ich habe leider nicht mehr die Zeit, zu Glykol und anderen Unappetitlichkeiten, die uns in den letzten Wochen beschäftigt haben, hier Stellung zu nehmen. Ich möchte nur noch auf das verfehlte Modell Ihrer Konzeption hinsichtlich der Ärzteausbildung— bis hin zum Skandalphysikum dieses Jahres — und Ihre Haltung hinweisen. Die Frage der Weiterbildung der Hausärzte ist mit Ihrem Modell nicht geregelt. Im übrigen haben Sie schlampig gearbeitet; denn Ihre Nachbesserungsvorschläge liegen uns bereits vor. Die Pannenliste ließe sich also beliebig fortsetzen.Zum gesundheitspolitischen Bereich möchte ich nur noch ein paar Worte über das uns bewegende Thema AIDS verlieren. Herr Kollege Hoffacker, Sie haben es angesprochen. Wir alle miteinander sollten dafür sorgen, daß von uns aus kein Beitrag zur Hysterie geleistet wird. Hier ist sachliche, solide Aufklärung nötig. Es ist aber auch erforderlich, daß uns die Bundesregierung ein Gesamtprogramm, ein Gesamtkonzept vorlegt, wie wir diesen Gefahren begegnen können. Die jüngst herausgegebenen Aufklärungsblätter finden unseren Beifall. Sie sind ordentlich im Ton und fundiert in der Sache. Nur, dieses ungeordnete Gerede über „Meldepflicht — ja oder nein?" muß unverzüglich beendet werden. Ich bedaure genauso die Stimme des sozialdemokratischen Justizministers von Nordrhein-Westfalen, der sich hat hinreißen lassen, in der Öffentlichkeit etwas dazu zu sagen. Ich stelle hier fest: Für Sozialdemokraten stellt sich die Frage einer Meldepflicht im Zusammenhang mit diesem Thema nicht.
Ich müßte nun eigentlich ein paar Sätze auch dazu sagen dürfen, Herr Bundesminister Geißler, wie Sie sich dem Thema Randgruppen gestellt haben, insbesondere zu Ihrer Haltung zur Sozialhilfe und allem, was Sie da zu verantworten haben.Ich müßte Ihnen aber auch die Frage vorlegen, was Sie denn zu dem viele Menschen bewegenden Thema einer Absicherung der Kosten der Pflege alter und erkrankter Menschen initiiert haben. Auch hierzu kann ich zusammenfassend sagen: Die Bilanz ist negativ. Sie waren 1976 der Erfinder der sogenannten neuen sozialen Frage, und Sie haben die Armut in der Bundesrepublik beschrieben. Daß sich diese Armut in der Zeit, in der Sie Regierungsverantwortung tragen, drastisch erhöht und vertieft hat, kann nicht wegdiskutiert werden.
Nur, wenn heute Sozialdemokraten oder andere von neuer Armut reden, diffamieren Sie sie, das sei das größte Propagandainstrument der Sozialdemokratie.
Herr Bundesminister, auch in diesem Fall muß ich Ihnen Unredlichkeit vorwerfen. Ich kann die Bilanz, die Sie hier über Ihre Regierungstätigkeit vorlegen, insgesamt nur als negativ bezeichnen.
Wir werden Ihnen keine Träne nachweinen.Der in Aussicht genommenen Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Süssmuth, bieten wir unsere gute Zusammenarbeit an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren!
— Es gibt hier unterschiedliche Meinungen. Meine ehemalige Kollegin Frau Funcke legte immer Wert darauf, als „Frau Präsident" angesprochen zu werden. Das liegt vielleicht noch etwas in der Erinnerung.
— Wenn Sie wünschen — — Ich nehme an, die Frau Präsidentin wird mir sagen, wie sie in Zukunft angesprochen werden will.
Mein Kollege Hoffacker hat in seiner Rede eine eindrucksvolle Bilanz der Aktivitäten der Bundesregierung und dieser Koalition im Bereich der Familienpolitik und der Jugendpolitik gegeben.
Die SPD sollte es sich meiner Meinung nach in der Verteufelung dieser Arbeit nicht so leicht machen. Ich glaube auch, Herr Jaunich, Ihre Aufzählung
wird in der Negativbilanz — wie Sie es genannt haben — dem Menschen Geißler nicht gerecht.Natürlich ist es richtig, daß nicht nur in dieser Koalition und nicht nur in dieser Regierung Familienpolitik gemacht wird. Aber auf seiten der SPD gab es in der Vergangenheit doch wohl ideologische Einschränkungen, die in dieser Regierung und in dieser Koalition zum guten Teil beseitigt werden konnten.
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Eimer
Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Es ist ja immer gut, wenn man belegt, was man hier sagt. Ich denke z. B. an das verlängerte Mutterschaftsgeld, das nur für solche Frauen konzipiert war, die in lohnabhängiger Arbeit standen und zu Hause blieben. Sie wissen, daß wir damals eine Ausweitung wollten. Diese Regierung steht für ein anderes Konzept. Sie steht für das Konzept, daß dies für alle Frauen und alle Männer gelten soll und daß das ausgeweitet werden muß.
— Natürlich weiß ich noch genau, warum das so war.
— Ja; natürlich. Aber, Herr Kollege, Sie wissen doch ganz genau, daß man in jeder Koalition Kompromisse eingehen muß und daß wir auch hier Kompromisse eingehen müssen; und Sie wissen ganz genau, daß wir nicht in allem dem zugejubelt haben, was Herr Geißler als Minister gemacht hat. Aber man muß doch ehrlich sein und die Grundlinie bewerten, und die Grundlinie der Politik dieser Bundesregierung, auch und vor allem im Bereich der Familienpolitik, ist unserer Meinung nach positiv.
Ich komme auf das Beispiel zurück, das ich gebracht habe: Ausweitung über einen kleinen Teil von Frauen hinaus auch auf Männer, die sich der Erziehungsarbeit widmen wollen. Dies ist nicht nur eine finanzielle Verbesserung, sondern dies ist vor allem eine qualitative Verbesserung,
die wir in der vorigen Regierung nicht durchsetzen konnten.
— Natürlich haben wir es gefordert; Sie waren bei diesen Verhandlungen nicht dabei.Die Freien Demokraten halten den Weg, den diese Bundesregierung in der Familienpolitik von ihrer Zielsetzung her eingeschlagen hat, für richtig. Die Kritik der SPD in diesem Bereich ist oberflächlich und billig.Es gibt in diesem Bereich auch aus unserer Sicht sehr wohl Ansatzpunkte zur Kritik. Ich will hier auch gleich einen nennen. Da werde ich auf Widerspruch bei Ihnen und unserem Koalitionspartner stoßen. Ich denke z. B. an die Arbeitsplatzgarantie für Frauen. Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß dies den Frauen mehr schadet. Dies ist in erster Linie eine Meinung der Frauen innerhalb der FDP, nicht etwa der Männer. Gerade die Frauen in der FDP halten dies für frauenfeindlich.
Wir meinen auch, daß die organisatorische Ausgestaltung, der bürokratische Aufwand und die komplizierte Gesetzgebung im Bereich der Familienpolitik durchaus verbesserungsfähig sind. Das alles darf allerdings eines nicht verdecken: daß die Zielrichtung der Politik dieser Regierung, die Stärkung der Familie, und zwar nicht nur im finanziellen Bereich, unsere Zustimmung findet, daß sich die Koalitionspartner hier einig sind.Meine Damen und Herren, der vor uns liegende Haushalt zeigt das allerdings nicht in aller Deutlichkeit. Zwar fallen sofort einige Erhöhungen auf, z. B. die Erhöhung des Kindergeldes für Einkommensschwache, z. B. auch der Ansatz zum Erziehungsgeld; andere wichtige und schwergewichtige Maßnahmen der Familienförderung aber fallen nicht auf — ich denke da z. B. an die Freibeträge für kinderreiche Familien —, und zwar deswegen, weil dies Maßnahmen sind, die sich finanziell nicht im Haushalt des Familienministers, sondern im Haushalt des Finanzministers durch geringere Steuereinnahmen auswirken. Von dieser Seite gesehen — ich kann noch ein weiteres Beispiel anführen —, Herr Kollege Hoffacker, ist die Bilanz dieser Regierung besser, als Sie es in Ihrem Zahlenvergleich vorhin dargestellt haben.Ich würde mir allerdings für die weitere politische Arbeit wünschen, daß wir bei all den Maßnahmen, die wir im Bereich des Familienlastenausgleichs treffen werden, vom Finanzminister und vom Nachfolger von Minister Geißler in Zukunft zeitlich nicht mehr so unter Druck gesetzt werden. Ich glaube, daß diese Meinung auch vom Koalitionspartner geteilt wird. Durch den erhöhten zeitlichen Druck haben wir sicher nicht die optimale Lösung finden können, die möglich gewesen wäre. Deswegen also mein Wunsch — aber, wie gesagt, nicht nur an den zukünftigen Minister für Jugend, Familie und Gesundheit, sondern auch an den Finanzminister —, daß wir hier mehr Zeit haben, um etwas weniger bürokratische Gesetze gestalten zu können.Weitere positive Veränderungen im Haushalt fallen beim Bereich Jugend und Familie auf. Ich denke hier z. B. an die Erhöhung des Etatansatzes im Bereich des deutsch-amerikanischen Jugendaustausches. Auch wurde ein neues Programm zum Austausch von jungen Berufstätigen aufgelegt. Auch dieser Ansatz ist nicht in unserem Haushalt, also im Haushalt für Jugend, Familie und Gesundheit, enthalten, ist aber sehr wohl eine familienpolitische Maßnahme.Schwerpunkt der Erhöhung in diesem Haushalt ist aber ein Bereich des Bundesjugendplans, den Sie im Detail nicht angesprochen haben, Herr Kollege Hoffacker. Wir haben die Mittel für ein Programm zur arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit um mehr als eine Million DM erhöht. Angesichts der Jugendarbeitslosigkeit ist dies mit Recht ein Schwerpunkt. Hier ist ein gewichtiger Schwerpunkt gesetzt worden, der unsere volle Unterstützung bekommt.
Diese wenigen Zahlen zeigen, daß die Bilanz der Bundesregierung und dieser Koalition gut ist, daß sie besser ist, als es die SPD darstellen will, daß sie
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Eimer
sogar besser ist, als es aus den dürren Zahlen, die vorhin genannt worden sind, deutlich wird.Aber es gibt noch einen anderen Bereich, den ich jetzt noch ansprechen will und der gar nicht so sehr in die Finanzpolitik hineinreicht. Das, was im Bereich der Jugendpolitik, aber auch im Bereich der Familienpolitik vielleicht noch wichtiger ist, wird durch Haushaltsmaßnahmen nicht zu erreichen sein. Jugend braucht Mut für die Zukunft. Damit meine ich nicht, daß man bedenkliche Zustände, Schwächen in dieser Gesellschaft gesundbeten kann. Das sollte man nicht machen.
— Herr Kollege Gilges, die SPD war einmal eine Partei mit Zukunftsoptimismus. Das ist vorbei.
Ich muß Sie fragen: Wie können wir der Jugend Mut für die Zukunft machen, wie können wir sagen, daß die Probleme der Gegenwart in der Zukunft lösbar sind, wenn wir der Jugend einreden — und Sie und Ihre Leute machen das — und ihr bestätigen, daß man nur ergeben das Eintreffen von düsteren Prophezeiungen erwarten kann?Nein, meine Damen und Herren, diese Einstellung ist falsch. Wer der Jugend nicht den Mut läßt oder wiedergibt, der darf sich nicht wundern, wenn eine No-future-Mentalität aufkommt. Diese Entwicklung gab es leider in der letzten Koalition. Ich meine, auch hier ist eine Wende in der Politik zu verzeichnen. Wir halten das für den richtigen Weg, und wir unterstützen auch auf diesem Gebiet diese Regierung.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wagner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde gar nicht erst versuchen, eine Würdigung der Politik von Herrn Geißler vorzunehmen, nicht nur, weil mir dazu zuwenig einfällt, sondern auch deshalb, weil ich die Rotation für eine ganz normale Sache halte.
Ich will also gleich auf den Haushalt eingehen.Der Haushaltsplan des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit erhöht sich in der Tat um 2 Milliarden DM. Nachdem der Etat jahrelang stetig gefallen ist, nämlich um 18 %, steigt er nun um zirka 13 % an.
Von diesen 2 Milliarden DM entfallen 1,67 Milliarden DM allein auf das geplante Erziehungsgeld. Es lohnt sich also, hier einmal genauer hinzuschauen; denn der große Wurf der Bundesregierung und der Regierungsparteien soll den Frauen weismachen, daß die Regierung etwas Gutes für sie tun will.Nach genauem Studium des Gesetzentwurf es kann ich aber nur feststellen, daß es sich lediglich um einen erneuten Propagandacoup des Bundesfamilienministers handelt.
Denn ist dieses Gesetz tatsächlich eine entscheidende Hilfe für die Wahlfreiheit der Eltern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für berufstätige Frauen? Es ist keine Hilfe! Denn 600 DM Erziehungsgeld im Monat lassen den Eltern keine Wahlfreiheit mehr. In der Normalfamilie ist das Einkommen der Frau wesentlich geringer als das Einkommen des Mannes. Mit diesem geringen Fraueneinkommen plus 600 DM an Stelle des Einkommens des Mannes ist diese Normalfamilie nicht dazu in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Es werden also die Frauen sein, die das Erziehungsgeld beantragen, wenn sie es sich überhaupt leisten können, den neuen Elternurlaub ohne Arbeitsplatzgarantie in Anspruch zu nehmen. Durch die vielen Ausnahmeregelungen vom Kündigungsschutz, die laut Gesetzesbegründung möglich sind, wird die Kündigung während des Erziehungsurlaubs die Regel sein. Oder die Frauen werden schon vorher durch befristete Verträge ausgeschaltet. Damit wird die geschlechtliche Arbeitsteilung nicht abgebaut, sondern festgeschrieben.
So kann man den erwerbstätigen Frauen nicht unbedingt raten, von diesem Elternurlaub Gebrauch zu machen.
Für wen ist also dieses Geschenk gedacht? Es ist gedacht für die nicht erwerbstätigen Mütter. Ein Geschenk für die Hausfrau, die sparsam wirtschaften muß. Die geringe Höhe des Erziehungsgeldes wertet die Erziehungsarbeit dieser Frauen aber eher ab, als daß sie sie aufwertet. Was übrigbleibt, ist meiner Meinung nach eine Gebärprämie.Wer wirklich Wahlfreiheit der Eltern will, muß das auch durch die Höhe des Erziehungsgeldes dokumentieren! Wer wirklich die Wahlfreiheit will, muß eine uneingeschränkte Arbeitsplatzgarantie bieten! Wer wirklich die Wahlfreiheit will, muß auch nichtehelichen Vätern die Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Erziehungsgeldes und -urlaubes geben.
Da dürfen nicht scheinmoralische Schranken aufgebaut werden, die z. B. beim Bezug von Sozialhilfe, wo eheähnliche Verhältnisse als anspruchsmindernd anerkannt sind, locker fallen. Eigentlich darf es meiner Meinung nach da überhaupt keine Wahlfreiheit geben. Denn erst wenn die Männer zur Er-
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Frau Wagnerziehungsarbeit hingeführt werden, z. B. durch gesetzliche Maßnahmen,
werden sich die Väter auch an der Erziehungsarbeit beteiligen. Dafür gibt es doch genügend Beispiele in anderen Ländern!Erwähnen möchte ich auch, daß in diesem Gesetzentwurf männliche Soldaten vom Erziehungsgeld ausgenommen werden sollen. Die Schlagkraft der Streitkräfte geht der Bundesregierung — wen wundert das? — über die Familienpolitik.Diese Rangfolge kann man allerdings auch an der Höhe der Etats feststellen. Herr Geißler rühmt seine Regierung, mit insgesamt 10 Milliarden DM das größte Familienpolitikbudget seit Bestehen der Bundesrepublik verabschiedet zu haben. Ob dies stimmt, mag dahingestellt sein. Es ist aber lediglich ein Fünftel des Rüstungsetats des kommenden Jahres von 50 Milliarden DM.Eigentlich wollte ich jetzt noch etwas zu der Stiftung „Mutter und Kind" und zu Frauenhäusern sagen. Leider habe ich aber zu wenig Zeit dazu.
— Das finde ich auch, denn für uns GRÜNE ist der Schutz des ungeborenen Lebens gleichbedeutend mit dem Schutz des geborenen Lebens und mit dem Schutz mißhandelter Frauen und Kinder.Ich möchte dann zu einem anderen Thema kommen. Wir haben das Internationale Jahr der Jugend. Eigentlich immer ein beliebter Anlaß für schöne Reden. Um so überraschender ist es, daß sich der Herr Minister so ungewohnt bescheiden zurückhält. Daß er nichts Feierliches zu sagen hat, dürfte ihn doch nicht stören? Aber eine halbe Million arbeitslos gemeldeter junger Menschen plus die, die aus den Statistiken längst herausgefallen sind, sind wohl ein schlechtes Auditorium für solche Reden. Nach dem Motto „Probleme sind nur da, wenn man über sie spricht" heißt die Jugendpolitik der Bundesregierung: totschweigen.
Die Jugendlichen werden sich selbst überlassen in dem Glauben, sie seien für ihre Situation allein verantwortlich und sollten sich doch bitte am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen.Wo auf der arbeitsmarktpolitischen Ebene die berufliche Perspektive dem guten Willen der Unternehmer und der Bereitschaft zu unentgeltlicher Arbeit der Jugendlichen überlassen wird, antwortet die Geißlersche Politik damit, die Freiräume der Jugendhilfe zur selbstbestimmten Auseinandersetzung mit der eigenen belastenden Lebenssituation immer weiter zuzumauern und sozialpädagogische Hilfen zu Symptomkuriererei abzuwerten. Selbstverwaltete Jugendzentren werden geschlossen oder durch Kontrollen eingeschränkt, die Jugendverbände — als traditionelle Orte der gesellschaftlichen und politischen Beteiligung junger Menschen — massiv eingeschüchtert und in ihrer finanziellen Eigenständigkeit, wie sie der Bundesjugendplan vorgibt, eingeschränkt. Das aktuelle Beispiel dazuist schon genannt worden: die Weltjugendfestspiele in Moskau. Die Bewegungsfreiheit für eine Jugendhilfe, die nicht erst reagiert, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird immer enger.Nach dem vorliegenden Entwurf des Jugendwohlfahrtsgesetzes soll viel Sport und Musizieren die Jugendlichen von ihren Problemen ablenken. All die, die nach einer sinnvollen Tätigkeit suchen, dürfen das ruhig tun,
z. B. für monatlich 180 DM Taschengeld im freiwilligen sozialen Jahr oder mit dürftigen Übergangsgeldern oder Beihilfen in perspektivlosen Probejahren; denn das sind die einzigen Bereiche, die im Haushaltsentwurf etwas mehr bekommen.Von diesem Geschäft mit der Jugend profitieren aber nur die Betriebe. Ansonsten werden die jungen Menschen von Herrn Stoltenberg auf die sittliche Bedeutung der Familie verwiesen.
Sie soll all das auffangen, was eine verfehlte Ausbildungspolitik angerichtet hat.
Dabei spricht die Zahl der Kinder erwerbs- und arbeitsloser Eltern mit Schul- und Verhaltensstörungen für sich. Kinder und Jugendliche, die immer häufiger weglaufen und auf der Suche nach einer eigenständigen Existenzsicherung in die Sackgasse der Prostitution und Kriminalität geraten, werfen ein deutliches Licht auf die Hilflosigkeit der Familien gegenüber den verschärften Problemen ihrer Kinder. Selbst wenn sie wollten, könnten die Familien mit diesen billigen Trostprämien, die der Haushaltsplan anbietet, ihren Kindern nicht aus sich heraus eine lebenswerte Zukunft anbieten.
Wie glauben Sie eine Familienpolitik verantworten zu können, wenn Sie gleichzeitig auf dem Arbeitsmarkt jung und alt gegeneinander ausspielen? Wissen Sie, was es für einen 20jährigen heißt, den Eltern immer noch auf der Tasche zu liegen? Wissen Sie, was es für die Eltern bedeutet, ihren Kindern eine gute Ausbildung geboten zu haben und nun zu erleben, daß sie mit qualifiziertem Abschluß keine Chance bekommen? Wissen Sie, was es für junge Frauen bedeutet, statt einer Ausbildung und gleichen Chancen im Berufsleben ein Erziehungsgeld von 600 DM präsentiert zu bekommen? Familienpolitik muß auch die altersbedingte Ablösung vom Elternhaus ermöglichen. Neben dem Recht auf sinnvolles Arbeiten und Leben haben junge Menschen einen Anspruch auf eine finanzielle Existenzsicherung in selbstbestimmten Lebenszusammenhängen, wie z. B. Jugendwohngemeinschaften. Aber wo Jugendpolitik Hilfen und Auseinandersetzung anbieten müßte, hat das Bundesministerium im Internationalen Jahr der Jugend mit Einschüchte-Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11419Frau Wagnerrung, Verwahrungsmaßnahmen und Ignoranz geglänzt.
Ich fordere eine offene Diskussion über die Zukunft der Kinder und Jugendlichen, aber auch und insbesondere Folgerungen und Konsequenzen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will heute abend anläßlich der Einbringung des Etats meines Ministeriums, den ich für diese Legislaturperiode zum letztenmal dem Hohen Hause vorstelle, noch einmal kurz darstellen, wie ich meine Arbeit in den vergangenen drei Jahren gesehen habe
und wie sich diese Arbeit für mich und wie sie sich auch im objektiven Urteil der öffentlichen Meinung darstellt. Die Ausführungen der Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die ich mir angehört habe, stehen — ich habe nichts anderes erwartet — in einem bemerkbaren und deutlich erkennbaren Widerspruch zu dem, was die Öffentlichkeit zu dieser Arbeit in den letzten Tagen gesagt hat.
Die Ausführungen, die ich von der Opposition gehört habe, stehen im klaren Widerspruch z. B. zu den Urteilen der deutschen Publizistik.
— Es ist gut, wenn ich das hier einmal kurz sage. Ich möchte dies auch dem deutschen Parlament gegenüber und damit auch den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zu Protokoll geben, die dies dann nachlesen und auch überprüfen können.
Ich fange mit der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" an: „Er hat dem Haus ein größeres Gewicht gegeben." Der Kommentator schreibt: „... die frühere Bedeutungslosigkeit des Ministeriums" — das ist mit Sicherheit rückschauend zu unterstreichen — „überwunden", „die Arbeit für die Familie aufgewertet", „für mehr Gleichberechtigung für die Frauen gearbeitet".Der „Weser-Kurier"
— ich bringe Zeitungen, die Sie sicher auch lesen und akzeptieren können — schreibt: „Die wichtigsten familienpolitischen Zielsetzungen der Regierung Kohl für diese Legislaturperiode sind weitgehend erfüllt, das Herzstück, das Erziehungsgeld, dieBeschäftigungsgarantie für Mütter und Väter, über die Koalitionshürden gebracht."
Gut, es hat Probleme gegeben, aber wir haben die Sache verabschiedet.„Allgemeine Zeitung" aus Mainz: „Abschiedsbilanz, die sich sehen lassen kann". „Osnabrücker Zeitung": „Ansehnliche Bilanz". „Kölner Stadt-Anzeiger": „Geißler hat seine großen familienpolitischen Pläne bereits auf den Weg gebracht." Im „General-Anzeiger" werden die familienpolitischen Erfolge ausdrücklich hervorgehoben. „Westfälische Rundschau": „Er hat das Ressort gesellschaftspolitisch ungemein aufgewertet."
— Ja, ich bringe einmal Zeitungen, von denen Sie das zur Kenntnis nehmen müssen.„Die wichtigsten Vorhaben des Ministeriums sind erfüllt", steht in der „Stuttgarter Zeitung". In der „Rheinischen Post" ist eine umfassende Würdigung vorgenommen worden. Die „Niedersächsische Allgemeine": „Rundum eine positive Bilanz". — Ich will es damit einmal sein Bewenden haben lassen.
Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren: Sie hören das nicht gerne;
aber ich habe dies hier dargestellt, um deutlich zu machen, daß Sie von der Opposition eben offenbar nicht in der Lage sind, die politische Arbeit auch eines politischen Gegners objektiv zu würdigen, sondern daß Sie offenbar eine Arbeit, die von anderen, objektiven Beobachtern anders gewertet wird, ausschließlich negativ beurteilen können.
— Sie lachen darüber. Gut; das ist das Schicksal jeder Wahrheit, vor ihrer Anerkennung ein Gegenstand des Lachens gewesen zu sein, hat Albert Schweitzer einmal gesagt. Das trifft hier bei Ihnen ebenfalls zu.Ich rede jetzt von der Sozialdemokratischen Partei. Ich bin der Auffassung, daß auch im Interesse dessen, was an familien- und sozialpolitischer Zielsetzung eigentlich uns allen am Herzen gelegen hat und am Herzen liegen müßte, die familienpolitische Arbeit in den vergangenen drei Jahren eine andere Würdigung von Ihnen hätte erfahren müssen. Es ist selbstverständlich Ihre Aufgabe, die negativen Seiten, wie Sie sie als Opposition sehen, darzustellen; aber Sie wären glaubwürdiger, wenn Sie die anderen Entscheidungen und die Erfolge in dieser parlamentarischen Auseinandersetzung ebenfalls richtig gewürdigt hätten.
Ich bin fest davon überzeugt, daß die Familienpolitik — um mit diesem Kapitel zu beginnen — eine der zentralen Aufgaben der Gesellschaftspolitik nicht nur gewesen ist, sondern auch in der Zukunft
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Bundesminister Dr. Geißlerbleiben muß. Nach meiner Überzeugung ist einer der Hauptwidersprüche unserer Zeit darin zu sehen, daß nach wie vor die Interessen der Gegenwart gegenüber den Interessen der Zukunft dominieren und daß jede Politik den Versuch unternehmen muß, eine andere Gewichtung, und zwar zugunsten der Interessen der Zukunft, zu realisieren.Was heißt „Interessen der Zukunft"? Interessen der Zukunft — das sind die Interessen unserer Kinder, das sind die Interessen der Jugend. Infolgedessen ist Familienpolitik immer eine Politik, die für die Zukunft unseres Landes, für die Zukunft unserer Kinder investiert.
Von diesem Gesichtspunkt habe ich mich leiten lassen. Ganz sicher ist nicht alles erreicht worden — und es kann auch in zweieinhalb oder drei Jahren nicht erreicht werden —, was man sich bei dieser Zielsetzung vorstellt; aber in den vergangenen drei Jahren sind durch Entscheidungen der Bundesregierung — und ein Teil dieser Entscheidungen und Vorschläge ist ja auch vom Parlament bearbeitet, diskutiert, zum Teil verändert, verbessert und verabschiedet worden — frauen-, familien- und kinderfeindliche Strukturen dieser Gesellschaft abgebaut und ist die Bedeutung der Familie als der wichtigsten Gemeinschaft unserer Gesellschaft aufgewertet worden. Ich will nachher dazu im einzelnen noch etwas sagen.Ich bin auch der Meinung, daß wir als eine der bedeutendsten Veränderungen unserer Gesellschaft und unserer Zeit zur Kenntnis nehmen müssen, daß sich das Bewußtsein von Millionen von Frauen verändert hat, die heute in ihrer überwiegenden Mehrheit Familie und Beruf miteinander verbinden wollen, und zwar ohne daß ihnen irgend jemand eine Rolle vorschreibt, sondern in dem Sinne, daß sie selber entscheiden wollen, welche Aufgabe in welcher Lebensphase sie für sich persönlich für richtig halten. Nicht nur das Zehn-MilliardenPaket für die Familie, sondern auch konkrete politische Entscheidungen, die keine rein quantitative Fortschreibung, der bisherigen Frauen- und Familienpolitik, aber eine qualitative Veränderung der Gesellschaftspolitik beinhalten, haben dazu entscheidend beigetragen. Ich nenne vor allem die erstmalige Anerkennung von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung, die Einführung eines Erziehungsgeldes und Erziehungsurlaubs mit Beschäftigungsgarantie. Beide Entscheidungen haben ein neues Kapitel in der Familien- und Frauenpolitik eröffnet.Ich möchte einen weiteren wichtigen Punkt anführen. Zu den bedeutenden Widersprüchen unserer Zeit gehört ganz sicher die Tatsache, daß wir in vielen Bereichen einen rasanten technologischen Fortschritt haben, daß aber der soziale Fortschritt diesem technischen Fortschritt gegenüber sehr oft nicht Schritt halten kann. Der verstorbene langjährige Präsident Aurelio Peccei hat dies einmal „the human gap" — die menschliche Lücke — genannt. Ich glaube, daß gerade dieses Ministerium die Aufgabe gehabt und ebenfalls wichtige Beiträge dafür geleistet hat, diese menschliche Lücke zu schließen— zusammen mit anderen Ministerien, aber zum großen Teil auch ausgehend von meinem Ministerium — durch soziale Innovationen, die in den letzten drei Jahren begonnen wurden.Zu diesen verbesserten Voraussetzungen gehören die Entscheidungen hinsichtlich der Verbesserung der Arbeitsplatzteilung, der Teilzeitarbeit, der Wahlfreiheit von Mann und Frau, die verbesserte Möglichkeit, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, aber auch die Stärkung der Familiensolidarität, die ich für wichtig halte, dadurch, daß wir zum Beispiel die Mitglieder einer Familie in allen drei Generationen in die Solidarität einbezogen haben durch konkrete Entscheidungen zum Beispiel beim Wohngeld, durch die Frauenförderungsmaßnahmen, die in diesem Ministerium modellhaft durchgeführt worden sind, aber auch ihren Niederschlag in konkreten Entscheidungen bis hin zu wirksamen Verbesserungen der Sozialhilfe gefunden haben.Ich nenne in diesem Zusammenhang in der Jugendpolitik eine ganz wichtige Entscheidung. Die Jugendpolitik der Bundesrepublik Deutschland und die Glaubwürdigkeit der demokratischen Parteien waren vor drei Jahren besonders dadurch belastet, daß die vorhergehende Regierung mehrfach in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Inhalten, allerdings vergeblich, versucht hatte, eines der wichtigsten und schwierigsten Probleme zu lösen, nämlich eine Neuordnung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes. Alle Initiativen der alten Regierung in dieser Hinsicht waren gescheitert.Viel schlimmer als die desolate politische Situation war die Lage von über 100000 jungen Menschen, die wegen des Stillstands des Gesetzgebungsverfahrens über Jahre hindurch keine Entscheidung über ihren Antrag, vom Wehrdienst aus Gewissensgründen befreit zu werden, bekamen
und zu einer langanhaltenden Ungewißheit über ihre Berufs- und Lebensplanung durch die Unfähigkeit der damaligen, von der SPD geführten Regierung verurteilt worden waren.Wir, die neue Koalition von CDU/CSU und FDP, haben wenige Wochen nach der Übernahme der Regierungsverantwortung diesen unhaltbaren Zustand beseitigt und eine umfassende Reform der Kriegsdienstverweigerung verabschiedet, die zwar die Sozialdemokraten beim Bundesverfassungsgericht beanstandet haben; dieses Gesetz ist aber vom Bundesverfassungsgericht in allen Punkten — vom ersten bis zum letzten Paragraphen — als verfassungsrechtlich gut und richtig bestätigt worden.
Ich möchte, meine sehr verehrten Damen und Herren — nachdem Herr Jaunich zu dem Thema, das uns hier bewegt, nämlich zum Etat, relativ we-
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Bundesminister Dr. Geißlernig gesagt hat —, das wiederholen — ich gebe dies einfach dem Parlament gegenüber zu Protokoll —, was entschieden worden ist, was auf den Weg gebracht worden ist. Es gibt wieder Kindergeld für junge Menschen ab 18 Jahren ohne Ausbildungs- und Arbeitsplatz — von den Sozialdemokraten abgeschafft; wir haben es wieder eingeführt —,
den Kinderfreibetrag von 2484 DM pro Kind, einen Kindergeldzuschlag von 46 DM pro Kind und Monat für Familien mit geringem Einkommen, eine erstmalige gezielte Leistung für einkommenschwache Familien.
Wir haben das Kindergeld für Vollwaisen, Erziehungsgeld von 600 DM monatlich, für zunächst zehn Monate und dann ab 1988 für ein ganzes Jahr, Erziehungsurlaub mit Beschäftigungsgarantie für alle Mütter und Väter, Abschaffung des von der SPD geschaffenen Zweiklassenrechts für Mütter, die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, eine grundlegende neue Entscheidung für die Frauen und für unsere Familien, eine Grundentscheidung dahin gehend, daß wir die Arbeit in der Familie für die Erziehung der Kinder als der Arbeit in den bisher üblichen Berufen gleichwertig ansehen, eingeführt. Das Baukindergeld in Höhe von 600 DM wird verbessert und bereits ab erstem Kind gezahlt.Wir haben die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" eingeführt. Wir werden auf Grund der Erfahrungen in diesem ersten Jahr überprüfen, in welcher Höhe die Mittel aufgestockt werden müssen, wobei ich empfehlen möchte, daß die Länder — es sind vor allem die sozialdemokratisch geführten Länder — Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen endlich Landesstiftungen einführen, wie das in den christdemokratisch geführten Ländern längst gemacht worden ist.
Erhöhung der Einkommensgrenzen beim Wohngeld im Zusammenhang mit den Großeltern, die in die Familie aufgenommen werden können; Elternfreibetrag in Höhe von 2 400 DM beim Wohngeld bei Aufnahme der Großeltern in die Wohnung; Freibeträge von 4 000 bzw. 2 000 DM für Kinder von alleinstehenden Müttern und Vätern; Erhöhung der Ausbildungsfreibeträge; Verkürzung der Wartezeit in der Rentenversicherung von 15 Jahren auf 5 Jahre unter Einbeziehung der Erziehungszeiten mit der Folge, daß Millionen von Frauen heute mit einem eigenständigen Anspruch in der Rentenversicherung in die Ehe und die Familie gehen können;
gesetzliche Verbesserungen der Teilzeitarbeit, der Arbeitsplatzteilung und des Schutzes bei flexiblen Arbeitszeiten.Wir haben zusammen mit dem Bundesjustizminister die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wir dem Parlament eine gesetzliche Lösung vorschlagen werden, die eine Verbesserung des Versorgungsausgleichs beim Scheidungsrecht beinhaltet. Dasselbe gilt für den verbesserten Schutz im Strafverfahren für Frauen, die Opfer von Sexualverbrechen geworden sind.Wir haben erstmalig eine umfassende Finanzierung von Frauenhäusern vorgeschlagen, eine Finanzierung, die z. B. jetzt in der Stadt Bonn vorbildlich und erfolgreich verwirklicht wird.Wir haben zahlreiche Modelle zur besseren beruflichen Qualifikation von Frauen durchgeführt. Wir haben ein Modell für die Frauenförderungspläne im öffentlichen Dienst erarbeitet und stellen es allen öffentlich-rechtlichen Bereichen zur Verfügung. Verbesserung der beruflichen Qualifizierung für Frauen mit Kindern nach der Arbeit in der Familie.Die Reform des Kriegsdienstverweigerungsrechts und des Zivildienstes habe ich bereits erwähnt.Wir haben, was ebenfalls jahrelang liegengeblieben war, das Gesetz zum Schutz der Jugendlichen unter Einbeziehung der Videofilme und dem strafrechtlichen Verbot menschenverachtender Gewaltdarstellungen durchgesetzt — eine entscheidende Hilfe in unserer Jugendpolitik.
Die Verbesserung der ärztlichen Ausbildung durch Novellierung der Approbationsordnung unter Einführung einer zusätzlichen zweijährigen praktischen Ausbildung „Arzt im Praktikum"; ein neues Krankenpflege- und Hebammengesetz; die Verabschiedung eines Gesamtprogramms der Krebsbekämpfung und Einführung der regionalen Krebsregister in der Verantwortung der Länder.
— Hören Sie ruhig zu, die Liste ist sogar noch ein bißchen länger, aber Sie müssen es endlich einmal wissen, damit Sie nicht dauernd die Unwahrheit über die Regierungspolitik erzählen.
Verbesserung der personellen Ausstattung des Bundesgesundheitsamtes für die Neuzulassung von Arzneimitteln, Gefahrstoffverordnung mit europaweit beispielhaften Regelungen für Formaldehyd und Dioxin; eine neue Apothekenbetriebsordnung; Tierarzneimittelnovelle zum Schutz des Verbrauchers vor Rückständen in Lebensmitteln und eine ganze Reihe weiterer Verordnungen für den Verbraucherschutz.Für die Pflegebedürftigen haben wir als erste Stufe eines Gesamtkonzepts die Übernahme von Pflegeleistungen in die gesetzliche Krankenversicherung und Erleichterung für die Aufnahme pflegebedürftiger Eltern in die eigene Wohnung durch Einführung eines zusätzlichen Freibetrags im Wohngeldgesetz vorgeschlagen. Es wird noch in die-11422 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985Bundesminister Dr. Geißlerser Legislaturperiode zusammen mit den notwendigen Änderungen der Reichsversicherungsordnung verabschiedet werden.Jetzt komme ich zur Sozialhilfe. Wir haben von Ihrer Regierungszeit — die von der CDU/CSU regierten Länder waren hier mitverantwortlich; ich sage es ausdrücklich — die Deckelung der Sozialhilferegelsätze übernommen, die Abkehr vom Bedarfsdeckungsprinzip. Unter meiner Verantwortung ist bereits seit 1. Juli letzten Jahres das Bedarfsdeckungsprinzip wieder eingeführt worden, und die Länder haben mit uns zusammen seit 1. Juli dieses Jahres die Regelsätze in der Sozialhilfe um über 8 % erhöht, in Nordrhein-Westfalen leider Gottes nur um 6,5 %.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Nein, danke schön, Frau Präsidentin.
Vielleicht nachher. Ich bin nämlich noch nicht fertig mit der Aufzählung dessen, was diese Regierung, was Christliche Demokraten, Christlich-Soziale und Freie Demokraten für die Familien, für die Frauen, für die Jugend in unserem Lande in den letzten drei Jahren gemacht haben. Das müssen Sie sich anhören.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage jetzt noch ein Wort zur sogenannten neuen Armut. Ich habe — Sie können meine Reden hier im Parlament nachlesen — nie bestritten, daß es Armut in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Ich habe mich dagegen gewehrt, daß Sie den Begriff „neue Armut" so verwenden, als wäre diese Armut das Ergebnis des Jahres 3 der Regierung Helmut Kohl.
Bereits vor zehn Jahren habe ich diese neue Armut umschrieben. Sie haben die neue Armut geschaffen. Das ist die Wahrheit.
Kennzeichen dieser Armut waren und sind Kinderreichtum und Massenarbeitslosigkeit. Wir haben hier angesetzt. Durch unsere Familienpolitik werden die Familien zum erstenmal seit über zehn Jahren in einer bemerkenswerten Weise wieder in die Lage versetzt, unter besseren sozialen Bedingungen leben zu können.
Wir haben die Sozialhilfe durch unsere Maßnahmen — das habe ich gerade gesagt — um 8 % erhöhen können. Und was die Massenarbeitslosigkeit anbelangt: Die haben nicht wir geschaffen, sondern die haben wir von Ihnen geerbt, und unsere Maßnahmen — das ist heute morgen ja lange genug erörtert worden — zeigen, daß wir mit unserer Politik auch mit diesem Problem fertig werden können — aber nicht mit Ihren falschen, unbrauchbaren Rezepten des letzten Jahrzehnts.
730 000 junge Leute haben im letzten Jahr einen Ausbildungsplatz bekommen, und in diesem Jahr werden wir einen ähnlichen Lehrstellenrekord haben.
Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen hat, seit wir an der Regierung sind, abgenommen, während sie unter Ihrer Regierungsverantwortung zugenommen hatte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil hier immer wieder von den Kürzungen gesprochen worden ist:
Eine Reihe von Kürzungen, was das Bundesausbildungsförderungsgesetz anbelangt, halten wir nach wie vor für absolut richtig. In einer Zeit, wo 160 000 junge Leute arbeitslos sind und einen Arbeitsplatz im beruflichen Bereich suchen, kann man es Abiturienten, die ihre Schule am Wohnort der Eltern haben, zumuten, zu Hause bei ihren Eltern wohnen zu bleiben und nicht auf Kosten des Steuerzahlers noch eine Bude in der Stadt zu suchen.
Das BAföG ist für Schülerinnen und Schüler, die ihre Schule auswärts haben, nicht geändert worden. Sie haben nach wie vor die Möglichkeit, BAföG zu beziehen.Für die Studenten ist die Förderung umgestellt worden auf Darlehen. Das halte ich für eine richtige Entscheidung. Wer später keinen Beruf hat, wer als Akademiker arbeitslos bleibt, muß dieses Darlehen nicht zurückzahlen. Das wissen Sie ganz genau. Wer aber einen akademischen Beruf bekommt und später das Zwei- oder Dreifache von dem verdient, was diejenigen verdienen, die mit ihren Steuern dieses Darlehen finanziert haben, dem ist zuzumuten, daß er in 20 langen Jahren dieses Darlehen mit maximal 120 DM monatlich an das deutsche Volk zurückzahlt.
Die Diskussion können wir in jeder Betriebsversammlung durchführen. Wir wollen den Arbeitnehmern in der Bundesrepublik Deutschland einmal sagen, welche Position Sie bei dieser Frage einnehmen.Dann wurde von den Kürzungen geredet. Das ist gerade das Thema gewesen. Wenn Sie alles zusammenrechnen — dann müssen Sie schon alles zusammenkratzen, z. B. auch die BAföG-Kürzungen, zum Teil auch Kürzungen, die von Ihnen initiiert worden sind; die müssen nämlich hinzugefügt werden; wenn Sie an dieses Kapitel herangehen, dann
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Bundesminister Dr. Geißlersollten Sie auch das einmal in Ihren Publikationen verbreiten —, dann ergeben sich Kürzungen von etwas mehr als 2 Milliarden DM. Dem stehen Mehrleistungen für die Familien in Höhe von 8,6 Milliarden DM ab 1. Januar 1986 und in Höhe von 9,8 Milliarden DM ab 1988 gegenüber. Dabei sind nur die engeren Leistungen meines Ministeriums und die Steuererleichterungen eingerechnet. Ich bin der Meinung, daß wir, wenn wir hier die Dinge fair und objektiv betrachten, diese Fakten zur Kenntnis nehmen müssen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hat gerade auch in der Auseinandersetzung eine Rolle gespielt. Wir haben sicher auch gekürzt. Aber wir haben es anders gemacht, als es bei Ihnen der Fall war.Sie haben — das hat der Bundesfinanzminister heute morgen gesagt; ich wiederhole es, weil es wichtig ist — das Kindergeld für die Witwe, für die alleinstehende Mutter, für den Hilfsarbeiter genauso wie für den Generaldirektor gekürzt. Ich habe schon einmal gesagt: Frau Huber ist ehrenhafterweise — das muß man ihr zurechnen — deswegen zurückgetreten. Aber Sie haben es trotzdem getan. Sie haben alle Familien mit der Heckenschere einen Kopf kürzer gemacht. Das haben wir nicht getan. Wir waren immer der Auffassung: Wenn jemand mehr als 62 000 DM brutto verdient und zwei Kinder hat, dann ist ihm zuzumuten, daß er einmal für eine bestimmte Zeit auf 30 DM Kindergeld verzichtet. Das ist unsere Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren,
und das ist soziale Politik.Meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen Sie doch nicht mit den Steuererleichterungen. Diese Debatte haben wir jetzt lange genug geführt. Sie, Herr Apel, als ehemaliger Finanzminister sollten den Leuten auch sagen, daß sich die Parteispende, die Sie von Ihrer Ministerpension an die Sozialdemokratische Partei zahlen, in der Bilanz dessen, was Sie als Nettoeinkommen haben, höher auswirkt als der Parteibeitrag, den der Facharbeiter, welcher der SPD angehört, an Ihre Partei zu zahlen hat. Das ist nun einmal die Natur der Freibeträge. Wenn wir eine höhere Steuerentlastung durch Freibeträge haben, dann hängt das mit der schlichten Erkenntnis zusammen, die Ihnen offenbar verschlossen ist, daß diejenigen, die eine höhere Entlastung erfahren, diese deswegen haben, weil sie vorher höhere Steuern gezahlt haben.
Das muß man begreifen. Das begreifen alle Leute mit Ausnahme der Sozialdemokratischen Partei; von den GRÜNEN will ich hier gar nicht reden.
Nun komme ich zu einem anderen Gesichtspunkt. Sie reden von den Kürzungen. Das Thema haben wir gerade abgehandelt. Sie verschweigen vor allem eine Kürzung, die für unsere Familien aber entscheidend ist, nämlich die Kürzung der Preissteigerungsrate von nahezu 6 auf 2 %. 1 % weniger Inflation bedeutet 5 Milliarden DM mehr für die Familien. 3% weniger Preissteigerung als 1982 bedeutet für die Familien mehr Kaufkraft in der Größenordnung von 15 Milliarden DM, als wenn Sie an der Regierung geblieben wären und wir die Inflationsrate der SPD heute hätten. Das muß hier zusätzlich gesagt werden.
Unsere Antiinflationspolitik ist eine soziale Politik für die kleinen Leute und unsere Familien gewesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die Gesundheitspolitik betrifft, so habe ich als Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens eine umfassende Bestandsaufnahme und Bilanz vorgelegt. Wir werden darüber in einer größeren gesundheitspolitischen Debatte sprechen.Die öffentliche Diskussion über das Gesundheitswesen vermittelt manchmal den Eindruck, unser Gesundheitswesen stünde sozusagen vor dem Zusammenbruch, als würden wir alle der Gesundheitsgefahren nicht mehr Herr. Ein solches nun oft wohl nicht ohne Absicht gezeichnetes Bild ist einfach überzogen und falsch.
Erstens. Das Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland ist modern und leistungsfähig. — Passen Sie auf, sonst werden sie auch ein Rohrkrepierer.
— Ich habe nicht „Roth-Krepierer" gesagt, sondern „Rohrkrepierer".Es steht qualitativ auch im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau. Unser Gesundheitswesen wird von den Prinzipien der Subsidiarität, der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung geprägt. Es hat sich auch bewährt. Und dabei muß es bleiben. Wir lehnen ein bürokratisiertes oder sozialisiertes oder verstaatlichtes Gesundheitswesen ab. Dies wird auch für die Zukunft gelten.
Zweitens. Die gesundheitliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland hat sich entgegen allen Negativprognosen gebessert. Die Menschen leben heute wesentlich länger und fühlen sich auch im Alter gesünder und aktiver als früher. Die mittlere Lebenserwartung ist gestiegen. Die Säuglingssterblichkeit ist von 33,8 pro tausend Lebendgeborene im Jahre 1960 auf 10,2 im Jahre 1982 und 9,6 im Jahre 1984 zurückgegangen.Drittens gilt es festzuhalten: Die medizinische Wissenschaft hat in den letzten Jahren große Fort-
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11424 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Bundesminister Dr. Geißlerschritte für die Verbesserung der gesundheitlichen Situation der Bürger ermöglicht.
Die Entwicklung der medizinischen Technik und bei Arzneimitteln hat dazu geführt, daß viele früher unheilbare Krankheiten geheilt, gemildert oder hinausgeschoben werden können.
Darüber hinaus zeichnen sich Entwicklungen ab, die heute noch kaum vorstellbare Möglichkeiten in der Krankheitsbekämpfung erwarten lassen.Es ist unsere Aufgabe in der Gesundheitspolitik, die Gesundheit zu schützen und sie zu verbessern, die Krankheiten zu bekämpfen. Aber das ist nur die eine Seite und die halbe Wahrheit; denn die Vorsorge für die Gesundheit hat zwei Seiten. Es gibt ganz sicher umweltbedingte und auch gesellschaftsbedingte Krankheitsursachen. Aber zunächst einmal ist jeder persönlich für seine eigene Gesundheit verantwortlich. Der Staat kann nicht jedem einzelnen seine Gesundheit garantieren. Verantwortung des einzelnen und Verantwortung des Staates, beides gehört zusammen. Wir lehnen eine Mentalität ab, die die Sozialisierung des Gesundheitswesens und der Ursachen der Krankheit in den Vordergrund schiebt. Mißbrauch beim Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum und Bewegungsmangel sind die Hauptursachen vieler Krankheiten, führen oft zum Tode
und stellen eine wesentlich größere Gesundheitsgefährdung dar als die Umweltgefährdung, die im übrigen nicht zunimmt, sondern auf Grund wichtiger Entscheidungen der Bundesregierung abnimmt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der einzelne seine persönliche Verantwortung auf den Staat und die Gesellschaft abschiebt, kann natürlich der Kampf gegen die Krankheit nicht gewonnen werden.Ich sehe, daß die Zeit abgelaufen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte, weil dies hier angesprochen worden ist, nur noch etwas zu dem Vorwurf von Herrn Roth sagen — wenn ich das darf.
Herr Roth, Sie haben die Aussagen, die Sie gemacht hatten, zurückgenommen und revidiert. Deswegen mache ich Ihnen auch keinen Vorwurf mehr. Das gehört zu einer politischen Auseinandersetzung,
und ich akzeptiere dies.Ich will Ihnen zu diesem Thema folgendes sagen — Frau Däubler-Gmelin, weil Sie diesen Zwischenruf gemacht haben —: Ich habe im Gegensatz zu dem, was Herr Roth getan hat, weder Sie noch den Vorsitzenden der SPD noch Herrn Roth oder irgend jemanden persönlich diffamiert. Ich habe mich auseinandergesetzt — auch wenn Herr Jaunich dies anders angeführt hat — mit politischen Richtungen, mit der Politik der Sozialdemokratischen Partei, mit dem Pazifismus, mit der Friedensbewegung. Ich habe keinen Menschen persönlich diskreditiert und diffamiert. Dies ist der entscheidende Unterschied. Und dabei bleibe ich auch, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Sachauseinandersetzungen gehören zu einer Demokratie; ich lehne ein politisches Biedermeier ab, in dem man versucht, Konflikte auszuklammern, in die Schublade zu stecken. Ich bin für eindeutige, klare und harte Auseinandersetzungen. Ich werde mich auch in der Zukunft mit Ihrer Politik auseinandersetzen. Aber ich werde Menschen, den Politiker — ob er Roth oder Willy Brandt oder sonstwie heißt —(Bueb [GRÜNE]: Sind Pazifisten keineMenschen?)nie persönlich diffamieren. Das werde ich nicht tun. Das ist der Unterschied.
Das haben Sie getan. Sie haben es zurückgenommen. Das ist in Ordnung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Thema will ich Ihnen folgendes sagen.
— Ich habe, sobald uns handfeste und klare Beweise vorlagen, das getan, was meine Pflicht gewesen ist.
Nur habe ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Kenntnis nehmen müssen,
daß die Sozialdemokraten Lebensmittelskandale, die ihre Ursache in anderen Ländern haben, offenbar in die Bundesrepublik Deutschland importieren
und die Bundesregierung dafür verantwortlich machen wollen. Ob es sich nun um Diethylenglykolwein aus Österreich oder um Eis- oder Schaumwein aus Italien handelt, das Strickmuster ist immer das gleiche: Nicht die wirklichen Verursacher werden hier angeprangert, der Bundesgesundheitsminister, die Regierung werden denunziert.
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Bundesminister Dr. GeißlerLandauf, landab wird ein solcher Versuch unternommen.Ich stelle hier fest: Das Bundesgesundheitsministerium war die erste Stelle in der Welt, die vor den gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Wein mit Diethylenglykol gewarnt hat. Ihre sozialistischen Kollegen in Österreich — von woher Glykol in die Bundesrepublik Deutschland exportiert worden ist —, die seit November 1984 Bescheid gewußt haben, haben uns erst gar nicht, dann unvollständig und dann außerdem auch noch falsch informiert und haben erst zehn Tage, nachdem die Bundesregierung informiert hat, in Österreich die eigene Bevölkerung vor den Auswirkungen gewarnt.
Zu Ihrem konkreten Vorwurf.
Sie haben z. B. gesagt, ich hätte einen Brief verschickt. Sie wissen ganz genau, daß es ein amtliches Schreiben des zuständigen Referenten des Ministeriums gewesen ist.
— Moment; nehmen Sie doch zur Kenntnis, was da los war.
Ich habe es dem Ausschuß gegenüber erläutert. Verbreiten Sie hier nicht ständig die Unwahrheiten.
Das Ministerium hat im guten Glauben an die österreichischen Angaben diese Informationen weitergegeben. Hätten wir gleich dazusagen sollen, daß die amtlichen Angaben der österreichischen Behörden unwahr sind? Es entspricht den internationalen Gepflogenheiten, daß wir Angaben zuständiger offizieller Stellen ausländischer Behörden — wenn es sich nicht gerade um Staaten weitab in anderen Kontinenten handelt, wozu Österreich nicht gehört — glauben und daß wir uns darauf verlassen.Nicht 79 Tage nach einer österreichischen Warnung hat das Ministerium die Öffentlichkeit in Deutschland und letztlich in der ganzen Welt gewarnt, sondern wir waren weltweit die ersten.
Österreich hat dazu noch länger als zehn Tage gebraucht. Wenn wir auf die Österreicher hätten warten wollen,
dann gäbe es heute noch keine Warnung.
Warnen können wir nur bei ganz konkreten Anhaltspunkten für eine Gesundheitsgefährdung. Diese konkreten Angaben sind überhaupt erst dadurch zustande gekommen, daß das Ministerium auf Grund eigener Recherchen mit diesem Rundschreiben die Länder informiert und sie aufgefordert hat, das Ministerium unverzüglich über die eingeleiteten Maßnahmen zu informieren.
Sobald diese Informationen da waren — sie sind allerdings erst im Juli gekommen —, ist die Bevölkerung bei uns gewarnt worden. Wir haben es sofort getan. Gepanscht und vertuscht haben kriminelle Elemente in Österreich, einige wenige Abfüllkellereien in der Bundesrepublik Deutschland,
keine Winzer in der Bundesrepublik Deutschland. Ich nehme die Winzer hier in Schutz.Nachrichten zu panschen und zu vertuschen, wer letztlich für diesen österreichischen Weinskandal verantwortlich ist, versuchen Sie ständig. Ich verwahre mich dagegen, daß Sie aus gezieltem Interesse diesen österreichischen Skandal zu einem deutschen Skandal zu Lasten der deutschen Winzer machen wollen.
Es wird Ihnen auch nicht gelingen.Was Sie zur Jugendpolitik gesagt haben, widerlegt sich selber. Wir haben in den vergangenen Jahren eine Jugendpolitik gemacht,
die darauf zielte, den jungen Menschen bei Ihren konkreten und vordringlichen Problemen mit den Mitteln meines Ministeriums, die nicht die einzigen Mittel sind — die entscheidenden Mittel und Maßnahmen sind von der gesamten Bundesregierung, auch vom Bundesarbeitsminister, vom Finanzminister und vom Wirtschaftsminister bereitgestellt und getroffen worden —, durch die Ausweitung des Bundesjugendplans zu helfen. Ich bin fest davon überzeugt, daß ein Jugendminister, der Mitglied der Christlich Demokratischen Union ist, auch in der Zukunft seine Aufgabe nicht darin sehen wird, jedem, der irgend etwas für richtig hält, ob es nun Jugendverbände oder andere sind, nach dem Mund zu reden.
Wir vertreten eine Politik, die die Zukunftschancen der jungen Menschen im Auge behält. Der Bundesjugendplan
ist auch in dieser Hinsicht ständig ausgebaut worden.Nach Moskau konnte jeder fahren. Wir leben in einem freien Land. Bei uns kann jeder fahren, wohin er mag. Aber nicht jede Reise, vor allem, wenn sie von der anderen Seite gegen die deutschen Interessen ausgenutzt wird, muß mit den Mitteln der Steuerzahler finanziert werden.
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11426 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Bundesminister Dr. GeißlerDas wird auch in Zukunft so sein.Im übrigen: wir wollen keine Ängste schüren, auch nicht im Gesundheitswesen.
Wir lehnen es auch ab, daß ständig bei der Jugend Kriegsangst geschürt wird, wie es z. B. vorgestern bei dem sogenannten Antikriegstag geschehen ist. Krieg wird in Europa — lesen Sie Golo Mann! — deswegen nicht stattfinden,
weil die Länder des freien Westens durch ihre Verteidigungsbereitschaft und ihre Verteidigungsfähigkeit die Führung eines Aggressionskriegs der anderen Seite unmöglich gemacht haben. Wir haben hier in Europa seit 40 Jahren den Frieden. Das ist nicht das Ergebnis frommer Sprüche, sondern das Ergebnis der Verteidigungsfähigkeit der Länder des freien Westens. Deswegen: Kriegsangst schüren ist ein Anschlag auf die Interessen der jungen Menschen.
Die großen Probleme, die wir heute haben, sind die Verletzungen der Menschenrechte und der Hunger in der Welt. Mich bedrückt,
daß drei Milliarden Menschen auf dieser Welt um ihres Glaubens und ihres Gewissens willen unterdrückt, verfolgt, eingesperrt und gefoltert werden. Diese drei Milliarden Menschen haben eine Hoffnung für die Zukunft, auch die jungen Menschen dort, weil es in dieser Welt noch Demokratien gibt, die sich für die Ideale der Freiheit und der Gerechtigkeit einsetzen.Junge Menschen dafür zu gewinnen, daß sie diese Ideale leuchten lassen, auch als ein Signal der Hoffnung für Hunderte von Millionen junger Menschen, die diese Freiheit und diese Gerechtigkeit nicht haben, sich aber danach sehnen, dies scheint mir eine entscheidende Aufgabe deutscher Jugendpolitik für die Zukunft zu sein.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Meine Damen und Herren! Am Anfang der Rede des Noch-Bundesministers Geißler hatte ich ein ganz neues Geißler-Gefühl. Also, Herr Geißler, als Sie hier raufgekommen sind mit feuchten, traurigen Augen, die mich an meinen Cockerspaniel erinnert haben,
um dann zu klagen, niemand liebe Sie, da habe ich gedacht, wir müßten Sie tatsächlich trösten.
Der traurige ungeliebte Geißler, der, weil es soweit niemand tat, selbst die guten und positiven Zeitungsausschnitte über sich und seine Arbeit vortragen mußte, —
leid hätte er einem tun können.
Wenn es nicht so peinlich gewesen wäre und wenn er nicht nur die positiven Zeitungsausschnitte vorgelesen hätte, dann hätte ich meinen Freunden vielleicht sogar dazu geraten, diesen neuen Herrn Geißler ernstzunehmen. Sie haben sich schnell wieder umgestellt, Herr Geißler, und deshalb hatte ich zunächst beschlossen, Ihnen zu raten, sich doch auch einmal die Wertung — ich greife einiges zufällig heraus — der „Stuttgarter Zeitung" oder der „Süddeutschen Zeitung" vorzunehmen, die Ihnen vor allem eines bescheinigt hat: daß Ihr Auftritt vor der Bundespressekonferenz ein Auftritt voller Selbstlob gewesen sei. Aber als Sie dann den Zusammenhang, zwischen sich und Albert Schweitzer herstellten, — das war zuviel.
Deshalb mein Rat: Wenn Sie das nächste Mal diese Taktik wählen, dann sollten Sie Albert Schweitzer aus dem Spiel lassen.
Das wirkt dann einfach glaubhafter.Als Sie dann wieder den alten Geißler aus dem Rohr springen ließen, war das wieder der alte „Winkelried", wie Sie der Deutschlandfunk genannt hat, der Geißler, der — in juristisch möglicherweise nicht angreifbarer Weise, aber deswegen doch nicht weniger verwerflich — mit politischen Gegner persönlich abrechnet.
Halten Sie das für eine vernünftige politische Auseinandersetzung, Herr Geißler? Das ist doch nicht die notwendige Auseinandersetzung in der Sache. Das folgt doch genau dem Strickmuster, das Sie immer verfolgen, Sie haben das gefragt, warum Sie in letzter Zeit als Winkelried agieren, am 27. Mai so erklärt — das war einleuchtend, charakteristisch für Ihre Amtszeit, charakteristisch für die Musterbilanz, die Sie letzte Woche vorgelegt haben, und vor allen Dingen auch für die Rede, die Sie hier gehalten haben —: „Nicht die Taten, sondern die Worte über Taten sind es", die die Menschen bewegen.
Das heißt auf deutsch, man braucht nur geschickt genug Propaganda zu machen,
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11427Frau Dr. Däubler-Gmelinden Menschen ein X für ein U vorzumachen, und schon läuft die Sache.Meine Damen und Herren von der CDU, es mag ja sein, daß ein Partei-Generalsekretär Ihre Zustimmung findet, wenn er so vorgeht, um einen Wahlkampf zu gewinnen. Aber für einen Minister, ist das unzulässig, Herr Geißler. Wer in einem Bereich tätig ist, in dem jeder von uns, der Familie hat, Wert auf Anstand legt und darauf, daß in diesem Bereich, der so viel mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun hat, der, wie die Jugendpolitik von Vertrauen, und Glaubwürdigkeit, persönlicher Betroffenheit und echtem Engagement, gemeinsamen Lösungsversuchen und Zusammenarbeit beherrscht sein soll, um so die jungen Leute zu überzeugen, daß auch dies — neben der Auseinandersetzung zu den wesentlichen Merkmalen von Demokratie gehört, der muß sich anders verhalten als Sie. Ihre Taktik wirkt hier nicht nur peinlich, sondern sie ist hier auch demokratieschädlich. Und Herr Geißler, im Grunde genommen sind Sie viel zu klug, als daß Sie das nicht wüßten.
Das ist nicht mehr nur eine Frage des schlechten Stils, sondern das ist eine Frage, wie ernst Sie die Demokratie nehmen.Es hätte zu einer sachlichen Auseinandersetzung, zu einer vernünftigen Würdigung gehört,
daß Sie sich auch mit dem auseinandersetzen, was z. B. im Bereich der Familienpolitik die Betroffenen sagen. Nicht nur die Betroffenen und einzelne Sprecher, sondern nahezu alle Verbände, geben seit Jahren — seit Jahren! — ein eindeutiges Votum über Ihre Familienpolitik ab. Damit auch das, wie Sie das so schön ausgedrückt haben, dem deutschen Volk zu Protokoll gegeben wird, will ich eine Stellungnahme erwähnen. Sie stammt nicht von irgend jemandem, sondern von Professor Simon, der für die katholischen Familienverbände und — wie Sie, die Sie in diesen Bereichen arbeiten, wohl wissen — auch für die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände sprach.
Wissen Sie, was er seinerzeit sagte? Er sagte über Ihre Familienpolitik — nicht nur 1983 —, sie sei eine „schmerzliche Enttäuschung", gemessen an dem, was Sie — vor der Wende — alles versprochen hätten. Das sagte er zu Ihnen, zur CDU, die vor 1982 immer unsere sozialdemokratische Familienpolitik abqualifiziert hatte, und Herr Eimer, Sie waren doch auch jemand, der früher gemeinsam mit uns versucht hat, vernünftige Dinge durchzusetzen. Warum gehen Sie denn heute her und setzen pauschal das alles herab? Das finde ich nicht gut.
Familienpolitik ist notwendig. Jugendpolitik muß sein. Und — natürlich brauchen wir eine vernünftige Politik für Frauen. Keiner kann alles durchsetzen, aber viele geben sich Mühe. Wir streiten Ihnen Ihren Willen nicht ab. Sie haben nicht nur früher unsere Politik mit Anwürfen herabgesetzt; die Ihnen heute hoffentlich in den Ohren klingen. Sie müssen Ihnen klingen, wenn die Betroffenen und alle Verbände Ihre Familienpolitik nach dieser beschworenen Wende nicht nur als „schmerzliche Enttäuschung" — so Simon — charakterisieren,
sondern — ebenfalls Simon — auch erklären — und ich zitiere wörtlich —, „sie ist auf wirtschaftlichem Gebiet eindeutig schlechter als die der sozialliberalen Koalition".Und eine weitere Stellungnahme, damit Sie nicht nur Weihrauch schwingen: Frau Süssmuth, die jetzt als neue Familienministerin die Hinterlassenschaft von Herrn Geißler übernehmen soll, sagte 1983: „Minuspunkte gebe ich der Regierung vor allem, weil die Familien gegenwärtig nicht entlastet, sondern belastet werden."
— Ich habe mir schon gedacht, daß Sie so reagieren. Aber, Herr Geißler, das ist nicht so. Sie wissen es doch; wenn nicht, dann lassen Sie nachlesen. In der „Stimme der Familie" 8/85, also keine zwei Wochen vor Ihrer Presse-Jubelbilanz kommen die katholischen Familienverbände wiederum zu einem noch eindeutigen Urteil: Der Leitartikel sagt: Ihre Familienpolitik ist „kompliziert, bürokratisch und unvernünftig". Dann wird alles das aufgeführt, was Sie in Ihrer umgekehrten Echternacher Springprozession auf dem Felde der Familienpolitik in den letzten Jahren so praktiziert haben.
— Nur weiter so, meine Herren. Daß dies keineswegs eine einsame Stellungnahme ist, wissen Sie ganz genau. Aber gut, werten Sie es doch so, wie Sie wollen. Protestieren hilft Ihnen nichts. Ich werde den Familienverbänden dieses Protokoll zusenden, damit sie Ihre Zwischenrufe und Ihre Wertung zur Kenntnis nehmen. Auch im Hinblick auf die Jugendverbände sind vernichtende Urteile keine Einzelfälle. Und solche Stimmen gibt es auch, nicht erst nach Ihrer ideologisch verklemmten Entscheidung in bezug auf die Weltjugendfestspiele, Herr Geißler.Betrachten wir die Stimmung bei den Frauen: Daß der CDU die Frauen davonlaufen, weiß Ihre Partei seit der verdienstvollen Studie von Frau Wex. Die ist im letzten Jahr erstellt worden. Die Öffentlichkeit, Kollege Bohl, die weiß das seit den Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Sie brauchen das
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11428 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Frau Dr. Däubler-Gmelinhier nicht zuzugestehen. Aber nehmen Sie wenigstens zur Kenntnis, was da passiert ist: Die Frauen haben kapiert, wie Herr Geißler mit ihnen Politik macht. Die Frauen haben gesagt, wir wollen so etwas nicht, und sie haben der CDU die rote Karte gezeigt. Mir könnte es j a recht sein, wenn Sie das nicht sehen wollen und weitermachen wie bisher. Aber es ist traurig zu sehen, wieviel Glaubwürdigkeit und demokratischen Anstand Sie dadurch in Gefahr bringen.
Lassen Sie uns jetzt abklopfen, wie sich die Lage von Frauen und Familien tatsächlich verändert hat. Sie haben viel gekürzt. Der Katalog der Streichungen existiert. Da können Sie fünfmal an dieses Podium treten und sagen, das stimme alles nicht. Die Streichungen und Kürzungen sind nicht vergessen, schon deshalb nicht, weil sie von den Betroffenen, den Familien Tag für Tag erneut als Belastung empfunden werden.Ausbildungsvergütung. Da rühmt Herr Geißler seine Jugendpolitik. Er sagt, das sei alles in Ordnung. Herr Geißler, gehen Sie nur in die Betriebsversammlungen und reden Sie zu Arbeitnehmern über Ihre Streichungen bei der Ausbildungsvergütung. Die trifft genau die Kinder dieser Arbeitnehmer. Die werden Ihnen dann schon sagen, wie sie das sehen. Sie kennen doch die Zahlen. Sie wissen, daß die Zahl der Frauen von Arbeiterkindern an Universitäten stark zurückgeht. Das ist eine der Folgen Ihrer „Förderpolitik".Sie wissen, daß die Nahezu-Streichung der Ausbildungsvergütung die jungen Leute, die Mädchen besonders, und auch die Familien belastet. Das ist doch nicht mehr zu bestreiten. Und deswegen wäre es nicht nur ehrlicher, sondern auch besser, wir würden uns gemeinsam überlegen, wie wir den industriellen Umbruch, den technischen Wandel durch eine vernünftige Bildungspolitik so gestalten, daß jede Begabung gefördert und junge Leute möglichst qualifiziert ausgebildet werden.
— Wissen Sie, ich finde Ihre Zwischenrufe wirklich unheimlich intelligent. Aber jetzt würde ich doch ganz gerne ernsthaft weitermachen.Jetzt komme ich zu den jungen Frauen, die heute ihre Kinder bekommen. Mutterschaftsurlaub! Sie reden von Erziehungsgeld und Zweiklassenrecht; was für eine pfundige propagandistische Begrifflichkeit. Nur, Sie vergessen dabei, daß die Frauen wissen, daß die große Mehrzahl der Frauen, die heute Kinder bekommen, berufstätig ist oder sich in Ausbildung befindet. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie jeder dieser jungen Frauen 240 DM im Monat streichen und gleichzeitig treuherzig sagen können, das wirke sich im Familienetat nicht aus. Sie glauben doch nicht im Ernst, diese jungen Frauen wüßten nicht, was es für eine junge Familie bedeutet, jeden Monat 240 DM weniger zu haben. Diese Frauen können auch lesen. Und sie wissen schon, daß sie mit dem neuen Erziehungsgeld im Endeffekt unter dem Strich, wenn man Vor- und Nachteile vergleicht, schlechter dastehen werden.Wir werden noch Gelegenheit haben, dies alles zu diskutieren. Aber vielleicht denken Sie darüber einmal nach. 240 DM müßten sie eigentlich wieder zulegen: Von 510 DM zurück auf 750 DM. Dies wollen Sie nicht: 600 DM wollen Sie den Frauen nur geben. Und ihre sogenannte Arbeitsplatzgarantie! Die Frauen haben schon bemerkt, daß es Ihnen darum geht, die Errungenschaft im Kündigungsschutz, die wir eingeführt haben, wieder zurückzudrehen. Die FDP war damals sehr zurückhaltend; sie wollte den vernünftigen, weitergreifenden Kündigungsschutz nicht, den wir dann schließlich im heutigen § 9 a des Gesetzes um den Mutterschaftsurlaub verankert haben.Ihre Pläne bedeuten, daß die jungen Frauen, denen Sie 240 DM vom Mutterschaftsurlaubsgeld im Monat gekürzt haben, zukünftig 600 DM bekommen, aber dafür keinen sicheren Arbeitsplatz mehr haben. Und die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs-/Erziehungsgeldes, mit der Sie jetzt argumentieren, die bringt nur eines mit Sicherheit: Viel Bürokratie. Da müssen ganze Züge neuer Formulare ausgefüllt werden. Aber sie bringt auch für die Selbständigen und auch für die Landfrauen keineswegs so viele Vorteile oder Inanspruchnahmen, wie Sie das heute glauben.
Ihre Konzeption eines Erziehungsgeldes führt dazu — anders als die Formulierung, die wir früher vergeblich durchsetzen wollten; deshalb bringen wir sie wieder ein —, daß sie mithelfen, junge Frauen aus dem Berufsleben zu verdrängen. Lesen sie dazu einmal Ihre eigenen Presseerklärungen nach, meine Kollegen von der CDU/CSU.Da erklärt Herr Geißler in einer Mitteilung seines Ministeriums, die Zielprojektion sei, daß die Hälfte der etwa 300 000 Personen — sprich Frauen — pro Jahr, die Erziehungsgeld in Anspruch nähmen, nicht mehr in den Beruf zurückkehre. Klarer kann man das doch nicht ausdrücken, was er mit den Frauen vorhat.Wenn man dazurechnet, welche Verschlechterungen Sie den Frauen im Bereich des Arbeitsrechtes gebracht haben, dann müßten die Frauen wirklich Scheuklappen tragen, dann müßten sie wirklich nicht mehr rechnen können, wenn sie weiter auf ihre Politik hereinfielen.
— Nein, ich zitiere Herrn Geißler. Lesen Sie es doch nach, Herr Kroll-Schlüter. Beruhigen Sie sich und lesen Sie das nach!Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11429
Frau Dr. Däubler-Gmelin— Herr Geißler, wenn Sie noch ein bißchen warten, dann gerne. Ich möchte Sie aber jetzt bitten, noch etwa zehn Minuten zu warten. Einverstanden?
Gut.Im Gegensatz zu Herrn Geißler lasse ich Zwischenfragen gerne zu. Sie müssen mir aber schon gestatten, daß ich meine Sachen in meinem Zusammenhang vortrage.
— Selbst Sie, Herr Bohl.
Jetzt zur Sozialhilfe. Auch so ein scheinbares Ruhmesblatt ihrer Politik. Seit 1982 haben wir jedes Jahr neue Höchstzahlen von Menschen, die von Sozialhilfe leben müssen. Das sind die Folgen Ihrer Politik. Und da geht Herr Geißler her und redet von einer „Gesellschaft mit menschlichem Antlitz". Das ist doch peinlich, diese Geisterbeschwörung.Ein anderes Gebiet: Politik für alte Menschen. Sie tun so, als sei Ihre Altenpolitik ein Pluspunkt, Herr Geißler. Wie unwahr! Natürlich ist es richtig — da stimme ich Ihnen völlig zu —, daß Sie die Mindestzeiten für Frauen in der Rentenversicherung gekürzt haben. Aber warum sagen Sie denn nicht offen, wie wenig das bringt? Was bekommt denn eine Frau, die den Mindestbeitrag einzahlt, was die meisten Hausfrauen tun? Was kriegt sie nach fünf Jahren? Ganze 9,30 DM im Monat! Und wenn der Beitrag nach dem Durchschnittseinkommen der Versicherten bezahlt wird, was, wie Sie wissen, bei Frauen unwahrscheinlich, weil zu teuer ist, dann sind es ganze 159 DM im Monat. Davon können Sie im Alter auch nicht leben, nicht mal, wenn sie das, um Ihre Worte, Herr Geißler, zu gebrauchen, mit in die Ehe nehmen. Die doppelten Beiträge — Herr Kroll-Schlüter, dies müßten Sie eigentlich wissen —, die für die Frauen illusorisch sind, würden etwa 300 DM bringen. Das ist zuwenig. Und deshalb ist das Geld, das Sie dafür verwenden, falsch angelegt.
Diese Änderung führt nicht zu mehr sozialer Sicherung für Frauen, sondern zur Befriedigung Ihrer ideologischen Bedürfnisse. Das sind reine Schauregelungen, die lehnen wir ab.Aber es gibt wirklich etwas, was die alten Leute heute zunehmend beunruhigt. Wenn Sie draußen mit den alten Leuten reden, dann erzählen die Ihnen im Zweifel das gleiche, was sie mir sagen, nämlich, daß sie Angst haben vor der Abhängigkeit im Alter. Sie haben Angst, daß ihre Rente auch nach einem vollen Berufsleben nicht mehr reicht, um die Pflegekosten zu bezahlen, und sie haben Grund zu dieser Angst, weil die Pflegekosten davonlaufen. Da muß Abhilfe geschaffen werden, und das eilt. Deswegen haben wir Sie mehrfach aufgefordert, ein bundeseinheitliches Pflegeversicherungsgesetz vorzulegen. Das haben Sie nicht gemacht, Herr Geißler. Warum eigentlich nicht? Weil Sie hier wie vor jedem wirklich brennenden Problem zurückscheuen? Weil sie die Sorgen der alten Menschen nichternst nehmen? Weil Sie sie politisch abgeschrieben haben?
Sie erklären, Sie hätten sich besonders der älteren Frauen angenommen. Wenn man abwägt, was Sie gestrichen und gekürzt haben, ist das ziemlich zynisch: Sie haben sie nahezu vollständig aus der Erwerbs- und der Berufsunfallversicherung ausgesperrt, Sie haben sie vom Baby-Jahr ausgesperrt. Daher brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß sich die älteren Frauen heute mehr denn je an den Rand gedrückt sehen. Ich habe Ihnen das schon mehrfach vorgehalten und will es auch heute tun. Im „Marktboten" der Gemeinde Waldbröhl — dort arbeitet aus Ihrer Fraktion der Kollege Dr. Waffenschmidt — habe ich ein Gedicht gefunden. Eine Frau hat ihren Beitrag überschrieben: „Die Vergessenen". In dem Gedicht heißt es:Wir haben die Kinder geboren im Hunger, in Not und im Dreck, wir haben sie weinend verlorenim Eis, unterwegs auf dem Treck.Dies geht dann vier Strophen weiter, und dann kommt:So werden wir auch übergangen beim Rentenerziehungsjahr.Wir sind die vergessenen Mütter; wie schändlich ist es, wie wahr: Die Würfel sind schon gefallen, wir bleiben im Abseits stehen.Liselotte Hofein aus Waldbröhl, Herr Kollege Dr. Waffenschmidt, hat dies gedichtet. Solche Gedichte können Sie heute, wenn Sie die einschlägigen Zeitungen lesen, überall finden.
Dieses Lebensgefühl der alten Frauen ist traurige Realität, und an der sind Sie schuld.Da loben Sie die Steuer- und auch die Kindergeld- und Familienlastenausgleichsregelung, die Sie vorhaben.
Über diese Dinge werden wir in den Ausschüssen und in zweiter und dritter Lesung noch reden. Nur, Herr Geißler, alles, was Sie gesagt haben — das ist das Traurige an der Sache — ist nur die halbe Wahrheit. Ihre umgekehrte Echternacher Springprozession führt dazu, daß Sie im Bereich der Familiensubventionen, alles eingerechnet, auch das Kindergeld, 1988 wieder so weit sein werden, wie wir 1981 waren. Das Traurige ist, daß Sie so tun, obwohl die Tatsachen Sie widerlegen, als sei das anders.Steuerreform: Warum sagen Sie den Menschen nicht offen, daß ein Berufsanfänger mit zwei Kindern nach Ihren Plänen den Gegenwert einer Schachtel Zigaretten pro Woche und ein gut verdienender Älterer mit zwei Kindern das 45fache bekommen soll? Wenn Sie das sagen würden, meine Damen und Herren, dann — das wissen Sie ganz11430 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985Frau Dr. Däubler-Gmelingenau — würden die Leute nicht mal mehr fragen, ob das ein richtiger Umgang mit Steuergeldern ist.Herr Geißler, Ihre Bilanz ist, wenn sie ehrlich und ungeschminkt abgegeben wird, weder positiv noch günstig. Sie wissen das. Da Sie jetzt aus dem Amt scheiden, finde ich dieses Vorgehen ein bißchen unfair. Ich glaube, Sie haben Ihrer Nachfolgerin, der wir als Sozialdemokraten alles Gute wünschen, eine schwere Hypothek hinterlassen. Sie hinterlassen ihr — um mit Ihren Worten zu reden — eine Erblast, an der sie schwer, schwer, schwer zu knabbern haben wird.
— Nein. Wissen Sie, im Gegensatz zu Ihnen kenne ich Frau Süssmuth. Ich schätze sie auf einer persönlichen Ebene sehr.
Sie wissen ja: Es waren nicht Ihre Minister, die sie in den Beirat des Familienministeriums berufen haben.Aber das ist nicht der Punkt, sondern Frau Süssmuth hat, wie Ihr Zitat von 1983 beweist, den Vorzug, glaubwürdig sein zu wollen. Ich glaube, sie wird sich mit ihrer Glaubwürdigkeit bei Ihnen schwer tun. Sie wird aufpassen müssen, daß sie nicht als Propagandafigur mißbraucht wird, die jetzt, nachdem Herr Geißler als Familienminister weg ist, dazu benutzt wird, den Wählern zu sagen, daß die CDU alles besser mache.Ich habe den Eindruck, daß Ihnen dies nicht helfen wird. Wir werden aufpassen, und die Frauen werden aufpassen. Die Frauen merken heute sehr wohl, was tatsächlich gespielt wird.Wissen Sie, Herr Geißler, wenn Sie so großzügig darüber reden, daß die Frauen mehr gewürdigt werden müssen, und man liest dann in der Zeitung, daß Sie Ihre Amtsleiterin Ute Canaris nur durch Androhung von 300 DM Bußgeld pro Tag so behandeln, wie es eigentlich für einen Dienstherrn normal und üblich sein sollte, dann fällt den Frauen dieser Gegensatz auf.
Meine Damen und Herren, bei § 218, den Sie hier angesprochen haben, ist das nächste Trauerspiel zu verzeichnen. Glauben Sie doch nicht, daß die Frauen nicht merken, was hier gespielt wird. Da gingen früher Minister und viele von der CDU durch die Lande und sagten: In Zukunft machen wir das alles so viel besser, damit es keine Frau mehr nötig hat, in eine solche Notlage zu kommen, die sie zu einem Schwangerschaftsabbruch veranlaßt.Und was ist passiert? — Da wird — Geißlersches Propagandainstrument — eine Stiftung ins Leben gerufen. Heute wissen wir, daß es nicht wahr ist, wenn er von diesem Podium aus erklärt, daß die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen oder Hessen oder sonstwo schuld daran seien, daß es nichts genutzt hat. Die Kritik kommt genauso aus katholischen, genauso aus CDU-orientierten Beratungsstellen und Ländern. Baden-Württemberg beklagt sich, daß das Geld weg ist. Die Frage nach der Bürokratie wird ebenso ideologieneutral gestellt. Verstärkt wird die Ungerechtigkeitsfrage gestellt.Heute kann man sich doch nicht mehr hinstellen, Herr Geißler, und erklären, die anderen seien schuld. Sie müssen sich wirklich überlegen, ob nicht doch der Vorwurf zutrifft, daß Sie einfach am Bedürfnis der Frauen vorbeigeplant haben.
— Das Bedürfnis der Frauen — Herr Werner, ich weiß, Sie kümmern sich intensiv darum — geht dahin, langfristig abgesichert zu werden. Schauen Sie sich an, was in der Realität passiert — das Gegenteil und — es ist ein Trauerspiel, was Sie sich jetzt wieder zwischen München und Bonn und Mainz und Bonn leisten.Wissen Sie, die Frauen haben ein Gespür dafür, ob jemand den Grundsatz „Helfen statt strafen" tatsächlich ernstnimmt oder ob sich jemand nur nicht traut, an das Strafrecht heranzugehen, aber den Umweg über die Bestrafung der Betroffenen, derjenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, über die Bestrafung derjenigen Frauen, die wenig Geld haben, wohl gehen will. Das ist peinlich.
Wir werden Sie hier aus Ihrer Verantwortung nicht entlassen. Wir wissen sehr wohl, daß die Frauen das merken.Eigentlich sollte ich die Liste noch fortsetzen. Es gibt noch eine Menge zu sagen.
— Nein. Ich weiß, daß Sie das ungern hören. Sie leben lieber in Ihrem Wolkenkuckucksheim, Herr Hoffacker. Aber gerade deswegen reizen Sie mich dazu, daß ich jetzt noch die Frage der Vereinbarkeit — —(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Aber auch nurmit Ihrem Cockerspaniel!)— Wissen Sie, Sie haben keine solche Augen. Übrigens: Wir lieben unseren Cockerspaniel.
Damit nicht neue Mißverständnisse entstehen: Cockerspaniel sind süße Hunde, und sie gucken so traurig.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11431
Frau Dr. Däubler-Gmelin— Das tut mir leid. Habe ich Sie falsch angeredet? — Tut mir leid.
— Ich habe Sie mit Frau Augustin verwechselt.
— Wissen Sie, durch Behauptungen wird gar nichts besser. Ich bin im Gegensatz zu Ihrem Männlichkeits- und Ministergehabe überhaupt nicht verlegen, es zuzugeben, wenn mir ein Irrtum unterlaufen ist, das tut mir gar nicht weh.
Jeder von Ihnen, der alle Kolleginnen und Kollegen hier im Raum kennt, darf einen Stein auf mich werfen; aber die anderen sollen bitte ruhig sein.Frau Dempwolf, Sie haben gerade so ungläubig geguckt, und deswegen rate ich Ihnen jetzt: Gucken Sie sich einmal die Zahlen aus dem Ministerium von Herrn Geißler, der ja hinter Ihnen sitzt, oder auch die offiziellen Dokumente der Bundesregierung daraufhin durch, was die Bundesregierung als Arbeitgeber selber macht.
Dann werden Sie auf die folgende Zahl kommen — das können Sie in der Beantwortung der Großen Anfrage, die wir gestellt haben, nachlesen; ich hätte es auch lieber anders, aber es ist leider Gottes so —: Zwischen 1982 und 1984 — im Juni war der Endtermin der Statistik — ist der Anteil der Frauen bei den Neueinstellungen um mehr als 12 % abgesenkt worden. Und Sie gehen her und predigen uns die Vereinbarkeit von Beruf und Familie! Wissen Sie, wenn sich das seit dieser Zeit durch Ihre Bemühungen geändert haben sollte, dann sagen Sie es doch. Ich habe mich ja bemüht, die Fortschreibung der Zahlen zu bekommen. Ich wäre ja froh, wenn es eine Tendenzwende gäbe, aber die gibt es nicht, und das fällt auf, das fällt wirklich auf, und das müssen Sie tatsächlich ändern.Und die Ausbildungsstellensituation? Da ist es doch genau das gleiche. Wissen Sie, Herr Geißler, wenn man Ihnen wirklich etwas übelnehmen kann und wenn man Sie ernst nimmt — das wollen Sie ja zumindest gelegentlich vor den Fernsehkameras auch —, dann muß man Sie fragen — —
— Wollen Sie nicht ernstgenommen werden? — Er äußert sich nicht. Lassen wir es offen.
Es geht um die Frage, was mit den Ausbildungsstellen in den letzten beiden Jahren passiert ist. Das ist eine Frage, die werden Sie beantworten müssen. In jeder einzelnen Statistik, die von Ihnen vorgelegt wird, stellen wir wieder fest, daß nicht nur die Arbeitslosigkeit von Frauen nicht abgebaut wird — das steht auch in den Statistiken, die dieser Tage wieder kommen —, sondern daß auch die Zahl der Mädchen, die Lehrstellen nachfragen, steigtund daß die Zahl der jungen Frauen, die keine Lehrstelle bekommen, ebenfalls steigt. Zwei Drittel derer, die leer ausgehen, sind seit 1982 Mädchen, und die fragen Sie, Herr Geißler — und darauf sollten Sie sich vorbereiten —, was Sie eigentlich dagegen getan haben. Ja, was haben Sie eigentlich dagegen getan? Was haben Sie getan, um diesen jungen Frauen zu helfen? Gerade deshalb, weil Sie dazu so peinlich betreten schweigen oder so vielberedt darüber hinwegreden, ist Ihre Glaubwürdigkeit bei den Frauen und bei den Jugendverbänden einfach weg,
und gerade deswegen wird — das kann ich Ihnen ziemlich genau sagen — der Artikel in der „Stimme der Familie" von 1985 nicht der letzte sein.
Gerade deswegen ist es so furchtbar schwer, Familienpolitik mit Ihnen sachlich zum Nutzen der Bürger voranzuentwickeln.Wenn Sie ein bißchen weniger Selbstlob, ein bißchen mehr Ehrlichkeit und ein bißchen mehr persönliches Engagement für die alten Menschen, für die Frauen, für die Jungen und ihre Familien im Lande hätten, könnte man gemeinsam viel mehr erreichen. Bei Ihnen war das nicht der Fall. Das ist bedauerlich. Wir hoffen, daß es mit Ihrer Nachfolgerin besser sein wird.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir steht es nicht zu, hier meine Vorrednerin zu kommentieren, denn ich werde zu einem anderen Arbeitsschwerpunkt reden. Nur, Frau Däubler-Gmelin, ich empfehle Ihnen, in einer ruhigen Stunde — nicht so verbissen, ein bißchen locker — einmal die Rede des Familienministers Geißler und danach Ihren Beitrag zu lesen.
Wenn das die Substanz der Familienpolitik der SPD war, wird damit nur bewiesen, welch hervorragender Familienminister in den letzten drei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland amtiert hat,
und ich möchte im Namen unserer Fraktion diesem Familienminister danken, der ja aus freien Stücken nach drei Jahren zurücktritt.
Obwohl er damit in der Riege der Minister nicht die längste Dienstzeit erreicht, wird er mit Sicherheit mit dem, was auf den Weg gebracht ist, was verabschiedet ist und was geleistet ist, hervorragend dastehen. Ich meine, man sollte auch vom politischen Gegner wenigstens erwarten können, daß er gesetz-
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11432 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Gerster
liche Maßnahmen und Tatsachen sachlich wertet. Sie werden sehen, dieser Mann wird auf Dauer Anerkennung bei allen finden. Wir haben einen guten Familienminister gehabt; das hat Ihre Rede bewiesen.Meine Damen, meine Herren! Der Umweltschutz bleibt im Bundeshaushalt 1986 Schwerpunktaufgabe der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition. Ich habe den Auftrag, zu diesem Bereich und insgesamt zur Innenpolitik zu sprechen. Ich werde allerdings in Absprache mit meinem Kollegen Dr. Laufs und mit Frau Seiler-Albring von der FDP-Fraktion nur diesem Schwerpunktbereich einige Äußerungen widmen.Wer den Haushalt im einzelnen durchgeht, wird sehen, daß dem Bereich Umweltschutz von der Qualität her, aber auch von der Quantität her — immerhin wird er sich in diesem Haushalt wieder um rund 10 % steigern — nachweisbar eine ganz zentrale Bedeutung zukommt. Nun hat sich die umweltpolitische Diskussion in den letzten Monaten auf den Katalysator konzentriert. Zu kurz gekommen sind dabei in der öffentlichen Diskussion die anderen bedeutenden umweltpolitischen Vorhaben der Bundesregierung. In allen Bereichen des Umweltschutzes, der Luftreinhaltung, dem Gewässerschutz, der Lärmbekämpfung, der Abfallwirtschaft und dem Bodenschutz, ist in den vergangenen drei Jahren Hervorragendes geleistet und auf den Weg gebracht worden.
Was in der Entgiftung der Autoabgase in nur zwei Jahren in die Wege geleitet worden ist, ist geradezu beispiellos.
Auch die eifrigsten Umweltschützer hätten zu Beginn der Regierung Kohl wohl kaum anzunehmen gewagt, daß sich folgende Bilanz, die ich nur kurz nennen will, aber auch aufzählen kann, wenn Sie das wünschen, ergibt:Erstens. Alle deutschen Automobilhersteller bieten heute in allen Fahrzeugklassen und bei den meisten Modellen umweltfreundliche Versionen an.Zweitens. Der Anteil der Umweltautos an den Neuzulassungen wird 1986 50 % und 1987 sogar 75 % betragen.
So jedenfalls sagen es die Marktanalysen der deutschen Automobilindustrie aus, und Sie können sicher sein, daß sie sehr wohl weiß, worauf sie sich in ihren Planungen und Produktionen einzustellen hat.Drittens. Ein ganz erheblicher Fortschritt ist, daß unsere europäischen Nachbarn bei der Einführung des schadstoffarmen Autos mitmachen. Und was sehr oft übersehen wird: Die EG hindert uns nicht mehr daran, daß wir durch steuerliche Anreize das schadstoffarme Auto freiwillig und vorzeitig einführen.Viertens. Steuerliche Anreize sorgen auch dafür, daß schon im Verkehr befindliche Autos nachgerüstet werden. Wer hätte übrigens früher daran gedacht, durch ein breit angelegtes Programm die Schadstoffreduzierung der Altfahrzeuge zu veranlassen? Wohl keiner, schon gar nicht während der Regierungszeit der Sozialdemokraten.Fünftens. Die jährliche Abgassonderuntersuchung vermindert zusätzlich die Emission von Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen bei den im Verkehr befindlichen Fahrzeugen. Auch hier sind wir nachweisbar führend.Sechstens. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es inzwischen flächendeckend Tankstellen für bleifreies Benzin. Es sind zur Zeit etwa 2 500, und es werden von Tag zu Tag mehr.
Siebtens. Wir können auch heute schon beziehungsweise in aller Kürze im Ausland bleifrei tanken. Dies gilt für die EG-Staaten ebenso wie für die skandinavischen Staaten, die Schweiz, Österreich, die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, j a, sogar zum Teil bereits für die DDR.Dies alles sind Entwicklungen, die natürlich durch die politische Diskussion, durch politische Maßnahmen und Entscheidungen dieser Bundesregierung direkt oder mittelbar in die Wege geleitet wurden, zum Teil gegen harte Widerstände im In-und Ausland. Man muß berücksichtigen, daß die Bundesregierung beim Punkt Null anfangen mußte. Gerade Sie, meine Damen und meine Herren von der SPD, haben sowohl bei der Übernahme der Regierungsverantwortung durch uns nichts vorzuweisen als auch bei der vor allem europäischen Diskussion nichts anderes zu tun gehabt, als dieser Bundesregierung wiederholt in den Rücken zu fallen.Dieses schadstoffarme Auto ist aber nur ein Teil der Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung. Alle Verschmutzer — die Energiewirtschaft, die Industrie, der Verkehr und die privaten Haushalte — werden von zahlreichen weiteren Maßnahmen erfaßt.
Dabei weiß natürlich jeder, der die Materie kennt, daß eingeleitete Maßnahmen nicht von heute auf morgen wirken können, sondern daß bei nüchterner Betrachtung gewisse Vorlaufzeiten notwendig sind.Die 1983 verabschiedete GroßfeuerungsanlagenVerordnung beginnt entgegen der von Ihnen oft vorgetragenen Kritik und Skepsis inzwischen voll zu greifen. Die Sanierung der von der Verordnung erfaßten 200 Altanlagen geht zügig voran. Die Unternehmen der öffentlichen Stromversorgung werden unverzüglich drei Viertel ihrer Kraftwerke umrüsten und den Rest stillegen. Das Ergebnis für die Umwelt ist: Der jährliche Ausstoß von Schwefeldioxid aus Großfeuerungsanlagen wird bis 1988 bereits um eine Million Tonnen verringert, und der Stickoxidausstoß wird von einer Million Tonnen jährlich auf etwa 300 000 Tonnen gesenkt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11433
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Die Neufassung des Emissionsteils der TA Luft, den die Bundesregierung vor wenigen Wochen verabschiedet hat, wird über Jahre hinaus die Luftreinhaltung in der Bundesrepublik Deutschland prägen. Praktisch wird der gesamte Industriebereich — insbesondere Hochöfen, Stahlwerke, Zementwerke, Glashütten, Kokereien, Chemieanlagen, Raffinerien — harten Umweltschutzauflagen unterworfen. Das Ergebnis für die Umwelt wird folgendes sein:Erstens. Der Ausstoß von Schwefeldioxid aus den von der TA Luft erfaßten Anlagen wird um etwa ein Drittel gesenkt.Zweitens. Der Ausstoß von Stickoxiden wird um etwa 100 000 Tonnen im Jahr gesenkt.Drittens. Der Auswurf von Staub wird um etwa 160 000 Tonnen im Jahr gesenkt; das sind 40 % weniger Auswurf als 1982.Viertens. Auch die Schwermetalle werden um 40 % vermindert.Man könnte die Reihe der Vorhaben, die die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung derzeit vorantreiben, natürlich noch fortsetzen. Das Spektrum reicht von der Luftreinhaltung über den Gewässerschutz und die Abfallwirtschaft bis zum Bodenschutz, wofür gerade im Februar dieses Jahres eine umfassende Schutzkonzeption vorgelegt worden ist.
Es steht wohl außer Zweifel: In nur drei Jahren hat die jetzige Bundesregierung in der Umweltpolitik bedeutend mehr geleistet als die frühere Regierung in 13 Jahren zuvor.
Diese Erkenntnis ist nicht neu, wird aber bei Sozialdemokraten offenbar immer noch unterschlagen, weshalb ich Ihnen empfehle, sich immer wieder ein Zitat Ihres Genossen Rolf Dietrich Schwartz aus Ihrem Parteiorgan „Vorwärts" vom 8. Dezember 1984 vor Augen zu halten.
— Ich lese den „Vorwärts" und habe den Eindruck, daß ich ihn gründlicher lese als die Masse der Sozialdemokraten. Und ich bin sehr interessiert, was der „Vorwärts" in der nächsten Woche über Herrn Wischnewski schreiben wird.
Dieses Zitat lautet:Auf kaum einem anderen Gebiet wiegen die historischen Versäumnisse sozialdemokratischer Regierungsverantwortung so schwer wie gerade im Bereich des Umweltschutzes.
Sie sehen: auch ein Sozialdemokrat kann einmal etwas Wahres zum Ausdruck bringen.Was haben Sie, die Sozialdemokraten, denn zur Reinhaltung der Luft getan? Seit 1974 ist in diesem Bereich praktisch nichts mehr geschehen. Die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft, die — was übrigens gar nicht bekannt ist — bereits 1964 von einer CDU-geführten Bundesregierung erlassen wurde, haben Sie nach der Novellierung 1974 acht Jahre lang liegen lassen. Dabei hatten bereits 1978 Experten in einem Hearing des Umweltbundesamtes eine sofortige Überarbeitung dieser für die Luftreinhaltung so bedeutenden Vorschrift gefordert. Auch hier bedurfte es des Regierungswechsels, um etwas auf den Weg zu bringen.Was haben Sie von den Sozialdemokraten getan zur Entschwefelung und Entstickung der Kraftwerksabgase? Seit Verabschiedung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes im Jahre 1974 war die damalige Regierung ermächtigt, eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung zu erlassen. Es bedurfte jedoch auch hier des Regierungswechsels, um die Kraftwerksabgase wirksam zu vermindern.Was haben Sie von der Sozialdemokratischen Partei zur Entgiftung der Autoabgase getan, wo doch die Amerikaner bereits 1972 beschlossen hatten, die Katalysatortechnik einzuführen und wir bereits damals — wie auch heute — führend in der Automobilindustrie waren und dies ohne Not ebenfalls hätten angehen können?Noch im Juni 1982, als der Begriff Waldsterben bereits in aller Munde war, hat sich der damalige Verkehrsminister Volker Hauff gegen die obligatorische Ausrüstung von Autos mit Abgasreinigern ausgesprochen. Es bedurfte auch hier des Regierungswechsels und des Zupackens des Innenministers Zimmermann, um endlich auf diesem Gebiet tätig zu werden.Was haben Sie von der SPD zum Schutze des Bodens getan? Nichts! Auch in diesem Bereich nichts. Auch beim Bodenschutz mußte die derzeitige Bundesregierung nach 1982 beim Punkte Null anfangen.Man könnte diese Liste beliebig fortführen. Doch, meine Damen, meine Herren, wer halbwegs die umweltpolitischen Debatten verfolgt, weiß, daß hier nichts als die reine Wahrheit gesagt wird, daß die Sozialdemokraten auf diesem Bereich entscheidend versagt haben — in den so entscheidenden siebziger Jahren.
— Herr Kleinert, ich habe vorhin das Datum 1964 genannt. Die CDU/CSU-Regierung — vor dem Wechsel 1969 — war bereits auf umweltpolitischem Gebiet tätig, als viele Ihrer Mitglieder und auch viele der hier im Parlament Anwesenden fast noch in den Windeln gelegen haben.
Glauben Sie doch nicht im Ernst, daß Umweltschutzvon Ihnen erfunden wurde! Glauben Sie nicht, daß
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11434 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Gerster
Ihre Politik überhaupt geeignet ist, im Bereich des Umweltschutzes zu Erfolgen zu führen!
— Ihre Politik lebt doch davon, möglichst vielen Leuten nur Angst zu machen — und mehr nicht.
Sie sind Katastrophenprediger, aber keine Politiker, weil Sie nicht das Mögliche anpacken, sondern von dem Unmöglichen träumen.
Ich will die Gefährdungen durch Umweltverschmutzungen nicht bagatellisieren; ich will die Gefahren gar nicht bagatellisieren, die durch Umweltverschmutzungen zweifellos vorhanden sind. Wir müssen hierbei alle Risiken beachten und berücksichtigen. Wir dürfen sie jedoch nicht dramatisieren. Durch Schüren von Emotionen wird kein konkretes Umweltproblem gelöst.
Umweltschutz ist keine Ideologie; Umweltschutz ist eine Sachaufgabe, die sachbezogen und mit Sachverstand angepackt werden muß.
Umweltschutz bedeutet den Einsatz neuester umweltschonender Techniken, deren Entwicklung und Einsatz Beträge in Milliardenhöhe erfordern.
Wer das nicht sieht, wer aus der Industriegesellschaft wie Sie von den Grünen aussteigen will, der führt uns nicht nur in eine ökonomische, sondern auch in eine ökologische Katastrophe.
Die Union hat nicht nur von Umweltschutz geredet, sondern wir haben konsequent gehandelt, und zwar sofort bei der Regierungsübernahme 1982. Natürlich hat es dabei unvorhersehbare Schwierigkeiten gegeben, etwa auf dem europäischen Sektor. Natürlich wäre es uns auch lieber gewesen, wir hätten in manchen Bereichen noch schneller handeln können.
Aber es zeichnet eben die Grünen aus, daß sie sich von den Realitäten lösen und nicht in der Lage sind, Schwierigkeiten, wie sie sich etwa auf europäischer Ebene ergeben können, tatsächlich in das Kalkül einzubeziehen. Wir haben nicht nur geredet, wir haben gehandelt, und zwar sofort.
Dabei lösen wir die Umweltprobleme mit einer Politik, die versucht, die Probleme an den Wurzeln anzupacken. Dies zeigen zahlreiche Ergebnisse, die ich Ihnen bereits vorhin im einzelnen vortragen konnte.
Ich wiederhole: Keine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat mehr für den Umweltschutz getan als die jetzige Regierung. Wir verfügen heute über die strengsten Luftreinhaltevorschriften in Europa. Das sollten alle die bedenken, die glauben, dennoch unmäßige Kritik üben zu sollen. Wichtige Gesetze wurden bereits verabschiedet, wichtige Vorschriften erlassen;
andere werden folgen.Mit diesen Maßnahmen werden wir bis Anfang der 90er Jahre das derzeit vordringliche Umweltproblem in den Griff bekommen. So werden bis 1993 die jährlichen SO2-Emissionen um 2,1 Millionen Tonnen gesenkt. Im Vergleich zu 1980 entspricht dies einer Verminderung um mehr als 60%. Dabei müssen sämtliche umweltpolitischen Entscheidungen gesamtpolitisch verantwortet werden. Das sollten auch Sie von den Grünen nicht vergessen, aber auch nicht einzelne Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion, die oft in einer Art Überbietungswettbewerb mit den Grünen den Eindruck erwecken, als lägen Milliardenbeträge, die für den Umweltschutz aufgebracht werden müssen, auf der Straße und brauchten nur aufgesammelt zu werden.
Umweltpolitik kostet Geld, kostet viel Geld. Auch hier muß aber gesehen werden, daß die Bürger nicht unbegrenzt belastungsfähig sind, daß die Belastungen der Bürger, vor allem der Arbeitnehmer, in Grenzen gehalten werden müssen. Nur wer den Umweltschutz neben anderen berechtigten Interessen — wie die Beseitigung der Arbeitslosigkeit oder die Sicherung einer ausreichenden Energieversorgung — sieht, garantiert einen Erfolg.Wir werden die umweltpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung, insbesondere des Bundesinnenministers, bei den bevorstehenden Einzelberatungen im Haushaltsausschuß sehr kritisch und konstruktiv beraten und weiterentwickeln.
Dabei weise ich noch einmal darauf hin, daß nach Meinung auch der Koalitionsfraktionen diesem Umweltschutz im Geschäftsbereich des Bundesinnenministers, aber auch im Aufgabenkatalog der gesamten Bundesregierung, eine besondere Priorität zukommt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985 11435
Gerster
Wir sind gespannt auf konstruktive Vorschläge der Oppositionsfraktionen,
die wir bisher ja auch im Bereich der Innenpolitik vermissen mußten. Ich bin gespannt, welche Vorschläge kommen werden, die wir natürlich prüfen werden. Allerdings glaube ich nach der geschilderten Vorgeschichte, daß sehr viel auf diesem Gebiet von der SPD — von den Grünen ganz zu schweigen — nicht zu erwarten ist. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihr Redebeitrag, Herr Kollege Gerster, war verräterisch, vor allem in den letzten drei Minuten, weil er nicht nur Ihr Umweltverständnis deutlich machte, sondern auch das der Regierung. Es fehlt nämlich an einer umfassenden Umweltschutzkonzeption, die die beiden Hauptherausforderungen der Innenpolitik — Arbeitsplätze und Bewahrung, Wiedereroberung der Umwelt — miteinander verbindet.
Ich will diese Behauptung an drei Aussagen von Ihnen, die verräterisch sind, belegen. Da stellen Sie sich dahin und sagen: Der Bürger muß wissen, Umweltschutz kostet Geld, und wir können Umweltschutz nur so weit betreiben, wie die finanzielle Belastung es zuläßt. Wer so argumentiert und nur einen Teil der Argumentationspalette vorbringt, zeigt, daß er nichts von Umweltschutz versteht. Warum? Natürlich kostet Umweltschutz Geld. Aber unterlassene Umweltschutzmaßnahmen sind volkswirtschaftlich allemal teurer als vorbeugender Umweltschutz.
Deswegen müssen wir dem Bürger sagen: Das Geld, das wir für Umweltschutzmaßnahmen anlegen, wofür wir von dir entsprechende Beiträge verlangen, ist eine notwendige volkswirtschaftliche Investition, die auch in deinem Geldbeutelinteresse liegt. Muß ich Ihnen etwa sagen, daß schon heute als Folge der Luftverunreinigungen ein volkswirtschaftlicher Gesamtschaden von mehr als fünf Milliarden DM entstanden ist, behutsam geschätzt?
Muß ich Ihnen sagen, daß darin mögliche Krankheits-Folgekosten noch nicht erfaßt sind, „weil bei uns die Wissenschaft noch nicht so weit ist"? Allein dieser Satz ist entlarvend, Johannes Gerster. Da können Sie noch vier, fünf Verordnungen aufzählen. Der Bürger kann Ihnen nicht abnehmen, daß Sie die Dimension der ökologischen Herausforderung verstanden haben. Genau das ist die Politik Ihrer Regierung.Ich will ein zweites Beispiel in diesem Zusammenhang nennen. Sie sagen, wir müssen achtgeben, daß wir Umweltschutz nicht überbetonen. Wir müssen auch eine sichere Energieversorgung als Gegensatz mit hinzunehmen. Haben Sie diesen Satz gut durchdacht?
Nein. Ich sage Ihnen, warum nicht. Umweltpolitik ist Energiepolitik, und Energiepolitik muß Umweltpolitik sein, wenn ein Gesamtkonzept vorhanden ist. 90 % der vom Menschen verursachten Luftverunreinigungen sind im weitesten Sinn auf Energieumwandlungsprozesse zurückzuführen. Jetzt frage ich Sie: Wo sind Ihre Energieeinsparprogramme?
Sie lassen die Programme auslaufen. Sie fördern nicht weiterhin Nahwärmeprogramme oder Fernwärmeprogramme.
Jede Energieeinsparung und jede Energieeinsparungstechnologie, die wir fördern, sind ein Stück wirksame Umweltschutzpolitik.
Denn wir erreichen beides: Wir entlasten die Umwelt, weil wir weniger Energie verbrennen, und schonen die Ressourcen.
Haben Sie eigentlich in Ihrer Energiepolitik, Herr Gerster — bleiben wir bei der Energieeinsparpolitik; über Kohle will ich nicht reden —, irgendwelchen Ansatz gemacht, um der — wie ich sage: vorübergehenden — Senkung bei den Energiekosten zu begegnen? Glauben Sie tatsächlich, wir könnten auf Dauer, weil gegenwärtig die Mineralölpreise sinken, so tun, als ob diese Ressourcen unendlich wären? Haben Sie eigentlich nichts von der Wende in der Energiepolitik 1973 und 1977 begriffen? Also auch hier fehlt das Gesamtkonzept.
Da können Sie noch eine Verordnung aufzählen. Das ändert nichts an Ihrem Defizit.Ich will einen dritten Punkt nennen. Sie haben in Ihren Schlußbemerkungen gesagt: Wir müssen sehen, daß wir nicht nur Umweltschutz machen dürfen, sondern auch an die Arbeitsplätze denken müssen. Das ist in der Umwelt- und Arbeitsmarktpolitik eine Position, die seit mindestens drei Jahren nur noch jemand nachbeten kann, an dem die Diskussion völlig spurlos vorbeigegangen ist.
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Schäfer
Wir wissen doch: Umweltschutz und Arbeitsplätze sind volkswirtschaftlich — im einzelnen Betrieb kann sich das durchaus bitter entgegenstehen — keine Gegensätze, im Gegenteil. Umweltschutztechnologien und Umweltschutzmaßnahmen schaffen Arbeitsplätze. Der Herr Bundesinnenminister hat recht, wenn er in Sonntagsreden sagt, im Bereich der Umweltschutzindustrie und der Umwelttechnologie gebe es mehr Beschäftigte als beispielsweise im Bereich der Druckindustrie.
Und dann reden Sie von der CDU/CSU noch so.Meine Damen und Herren, ich will jetzt Ihr Stichwort aufgreifen und etwas zu den Erfolgen sagen. Ich mache das in nur wenigen Sätzen, weil es in diesem Bundestag schon mehrfach, fast als Ritual, wechselseitig getan worden ist.Keine der in diesem Hause vertretenen Fraktionen hat Anlaß zur Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit, was die Umweltpolitik der letzten Jahre angeht,
keine
— Sie von der CDU/CSU am allerwenigsten. Ich habe Ihnen schon einmal vorgerechnet, daß von 1972 bis 1977, als die freidemokratischen Umweltminister gemeinsam mit uns nach dem damaligen Erkenntnisstand wegweisende Umweltschutzgesetze gemacht haben, nicht eine einzige Initiative von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion oder von einem CDU-regierten Bundesland in dieses Haus eingegangen ist, die mehr Umweltschutzmaßnahmen gefordert hätte. Übrigens war das bis 1982 nicht anders. Denken Sie daran, wenn Sie von unterlassenem Umweltschutz in der Vergangenheit sprechen.
Ich sage noch einmal: Niemand hat Grund zur Selbstzufriedenheit, auch wir nicht.
Aber so zu tun, als ob mit Herrn Zimmermann ein neues Zeitalter im Umweltschutz begonnen hätte,
und das noch positiv zu werten, meine Damen und Herren,
dazu gehört schon ein großes Maß entweder an Selbsttäuschung oder an übertreibender Unverfrorenheit.
Ich nenne noch ein Beispiel, das zeigt, daß von einer übergreifenden Umweltschutzpolitik bei Ihnen nicht die Rede sein kann. Ich nehme Ihre Bodenschutzkonzeption vom Februar, die ja nur ein Papier ist und bislang noch keine Folgerungen hat. Darin steht lang und breit und zu Recht: der Landschaftsverbrauch muß eingeschränkt werden. Da wird zu Recht die Gefahr der Versiegelung der Böden beschworen. Und dann höre ich den Herrn Dollinger, der sagt: Wir müssen partout neue Autobahnen und neue Landstraßen bauen. Das paßt doch nicht zusammen: eine Bodenschutzkonzeption hinlegen, den Landschaftsverbrauch beklagen und seine Reduzierung verlangen und gleichzeitig in der Verkehrspolitik den Weg des weiteren Ausbaus gehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, vielen Dank.
Ich will an dieser Stelle die vielen Debatten um das sogenannte abgasarme Auto nicht wiederholen. Deswegen dazu nur drei kurze Anmerkungen.Erstens — ich wiederhole es nicht, Sie wissen es —: Ankündigungen von Zimmermann, was er alles machen wolle, von einem nationalen Alleingang und wie stark er eigentlich verhandeln wolle.
Was herausgekommen ist, wissen wir. Soll ich Ihnen das Wort „Buschhaus" noch zurufen? Reicht's nicht mit dem EG-Auto?
Zweitens — zur Umweltentlastung. Wir wissen seit 1981 — genau: seit Sommer 1981 —: Stickoxide tragen wesentlich zum Waldsterben bei. Der chemische Prozeß dabei meine ich, ist bekannt. Wir wissen aber auch, daß nach den Beschlüssen, die Sie jetzt als umweltpolitischen Durchbruch feiern,
bis zur Jahrhundertwende der Anteil der Stickoxide durch den Verkehr nicht abnehmen, sondern zunehmen wird, weil Sie Ihren eigenen Maßstäben, was die Abgasentgiftung angeht, nicht gerecht geworden sind.
Bundesminister Zimmermann hat einmal — damals noch voll Stolz — ausgeführt, 80 % seiner Tätigkeit dienten nur dem Bereich des Umweltschut-
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Schäfer
zes, 20 % widme er anderen wichtigen Aufgaben seines Ressorts.
Ich bin nicht so vermessen, zu glauben, wenn er in die anderen Bereiche statt 20 % seiner Arbeit 40% investieren würde, wären die Ergebnisse besser. Da würde man Herrn Zimmermann falsch einschätzen. Aber eines will ich doch sagen. Man merkt nicht nur bei dem, was gestern in der Debatte über die Dienstaufsicht des Innenministers über nachgeordnete Behörden gesagt worden ist, Ihre innenpolitische Lustlosigkeit, Herr Zimmermann. Ich gucke den ganzen Bereich der Innenpolitik an. Ich fange beim öffentlichen Dienst an. Da müssen sie sich an Ihren vollmundigen Erklärungen messen lassen. Ein kleines Gesetz liegt vor, das nicht einmal im mindesten die sozialen Härten für den einfachen Dienst mildert. Es ist doch wirklich unerträglich, daß es Einkommen im öffentlichen Dienst gibt, die unter dem Sozialhilfesatz liegen. Dazu gab es eine Anfrage und eine Antwort der Bundesregierung. Herr Waffenschmidt wird sie kennen. Er hat unterschrieben. Es reicht nicht aus was Sie vorschlagen.
— Also, lieber Johannes Gerster, das war in der Zeit, als du noch im Innenausschuß warst,
manchmal übrigens recht kooperativ. Ich erinnere mich noch daran, wie wir gemeinsam das 2. BesVNG beschlossen haben und wie wir beide gesagt haben: Was dort an Forderungen unserer Bundesregierung zur Strukturverbesserung für den einfachen Dienst, für den mittleren Dienst, für den gehobenen Dienst, für den höheren Dienst drin ist, ist für diese Periode wirklich das Letzte, was wir gemeinsam finanzieren können. Nur, wie habt ihr denn in der Opposition geredet? Ich bin doch gemeinsam mit dem Herrn Spranger — er ist jetzt nicht da — beim Beamtenbund. Wieso wird denn der Herr Spranger, der als Oppositionsredner immer mit Beifall überschüttet worden ist, dort mit recht unfreundlichen Zwischenrufen bedacht? Weil man euch vorhält, was ihr vor der Regierungsübernahme erklärt habt und was ihr jetzt tut. Das reicht nicht aus, was jetzt vorgelegt wird. Ihr habt unseren Antrag abgelehnt: Es sollte ein Bericht im Innenausschuß vorgelegt werden, was man im öffentlichen Dienst tun kann, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Ihr wart nicht einmal bereit, den Bericht vorzulegen.Dann gab es das Sommerloch. Da hat das Kanzleramt gedacht, daß man es füllen müsse, und gesagt, der Vorruhestand für den öffentlichen Dienst sei dafür gut. Wir haben dazu gesagt: Wir sind bereit, über alle Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst zu reden: Über den Vorruhestand wie auch über die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Aber dann war plötzlich Funkstille. Wo war denn da der Innenpolitiker Laufs, der gesagt hat: Jawohl, wir müssen im Bereich der Arbeitszeitverkürzung etwas tun, um auch im öffentlichen Dienst einen Beitrag zur Entlastung des Arbeitsmarktes zu leisten? Wo war denn der Herr Bundesinnenminister?
— Nein, damals war er noch da. — Wo waren seine Äußerungen? Wo war der liebenswerte Herr Waffenschmidt? Er hat so geguckt wie jetzt: liebenswürdig.
Aber eine Aussage, eine Äußerung ist nicht gekommen, meine Damen und Herren. Ich bin gespannt, wie Sie die Ankündigung von Herrn Schäuble betreffend den öffentlichen Dienst, die plötzlich zur Prüfung wurde, realisieren werden, wenn die Tarifverhandlungen anstehen. Sie, Herr Zimmermann
— Lachen kann auch eine Art von Schutz sein, und das gönne ich Ihnen —,
werden sich — wie Sie ja gemerkt haben, ist es wirklich schwierig, Verantwortung zu tragen — an jeder Ihrer Ankündigungen messen lassen müssen.Bislang ist die Bilanz für Sie — jetzt nenne ich nur Stichworte — mehr als negativ. Was das Ausländerrecht angeht, so soll bei Ihnen schon seit langem ein fertiger Entwurf im Panzerschrank liegen.
Das Parlament hat davon noch nichts gesehen. — Ich beziehe mich auf die Ankündigung dieses Entwurfs. Im übrigen — da gebe ich Ihnen sogar recht — sind wir alle froh, wenn er im Panzerschrank bleibt. —Was den Datenschutz betrifft, so wird Herr Laufs nachher sagen: Wir sind in der Koalition jetzt so weit und werden den Gesetzentwurf vorlegen. Das sagen Sie schon seit zwei Jahren. Ich hoffe, er kommt.
Das Verfassungsschutzgesetz wird auch kommen. Das sagen Sie auch schon seit zwei Jahren.Abgesehen vom Volkszählungsgesetz — dabei haben wir Ihnen aus staatspolitischer Verantwortung geholfen — haben Sie im Bereich der 20 %, wie Sie sagen, praktisch nichts durchs Parlament gebracht — nichts in dritter Lesung.
— Hier wird gerufen, ich solle nicht so ungeduldig sein. Wenn es darum geht, Bürgerrechte tatsächlich auszuweiten und abzusichern, ist Ungeduld am Platze, lieber Herr Kollege Laufs.
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Da kann man sich nicht zurücklehnen und versuchen, schwere Versäumnisse in der Spionageabwehr, wie im Fall Tiedge geschehen, mit der durch nichts belegten Behauptung zu entkräften, der Datenschutz habe den Fall Tiedge erst möglich gemacht. Eine unsinnige Behauptung!
— Der Herr Spranger hat es gesagt, nicht Sie, das ist wahr. Aber wenn Sie sich hiermit von Spranger distanzieren, nehme ich das gerne zur Kenntnis. —
Meine Damen und Herren, ich will jetzt zum Schluß kommen.
— Ich hatte mir nicht vorgenommen, etwas aufzuschreiben, Johannes — etwa die vielen Gesetze, die wir beschlossen haben —, sondern ich wollte nur einen Debattenbeitrag leisten
und auf das eingehen, was Du gesagt hast. — Zum Schluß: Herr Bundesinnenminister Zimmermann, wenn ich Sie — Sie können hier jetzt gleich wieder lächeln, vorher oder nachher, das steht Ihnen frei — in Ihrer Politik sehe, seitdem Sie das Amt des Innenministers übernommen haben, dann kann ich für meine Fraktion nur eines sagen: Sie haben schwach angefangen und stark nachgelassen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich Haushälterin bin, werde ich mir erlauben, hier heute abend eine Haushaltsrede zu halten. — Meine Damen und Herren, wenn sich die Berichterstatter zum Einzelplan 06 in den nächsten Wochen zu den intensiven Beratungen des vorliegenden Haushaltsplanes zusammensetzen, werden Sie sich mit einem Einzelplan befassen, der sich — wie wenig andere — durch eine Fülle unterschiedlichster politischer Themenbereiche auszeichnet. Hier ressortieren, wie wir schon den ganzen Tag gehört haben, der Umweltschutz, weiter der Sport, Kultur und Medien, der Bundesgrenzschutz, das Bundeskriminalamt, der Verfassungsschutz, die Zuständigkeit für Vertriebene und Flüchtlinge und vieles mehr.
Ich möchte mich hier heute abend im wesentlichen auf einige wenige Aspekte zweier Themenbereiche beschränken, die mir besonders wichtig und aktuell erscheinen.
Der Einzelplan 06 weist mit einem Ansatz von 3,8 Milliarden DM eine Steigerungsrate von 3 % auf und bleibt damit über der Steigerungsrate des Gesamtetats. Die höchste Steigerungsrate weisen auch in diesem Haushalt die Mittel für den Umweltschutz auf. Sie entsprechen mit 9,5% den politischen Prioritäten.
Die Ausgabenentwicklung wird geprägt durch den steigenden Bedarf für die Forschung sowie für die Förderung von Modellanlagen zur Verminderung von Umweltbelastungen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß zur Zeit 300 laufende Forschungsvorhaben mit einem Gesamtvolumen von zirka 75 Millionen DM an Projektmitteln im Bereich der Ursachen- und Wirkungsforschung gefördert werden. Da für einen langfristig erfolgreichen Umweltschutz die vorausschauende ökologische Wirkungsforschung von erheblicher Bedeutung ist, wird die Bundesregierung diesen Bereich auch 1986 wieder verstärken.
Frau Kollegin SeilerAlbring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Suhr?
Im Moment nicht. Vielleicht nachher, wenn wir dann noch Zeit haben.Während in der Vergangenheit lediglich die Sanierung von Altanlagen gefördert werden konnte, ist für den Bereich der Abfallwirtschaft ab 1986 auch die Förderung fortschrittlicher Verfahren in neuen Anlagen vorgesehen. Forschungsschwerpunkte sind weiter die Überwachung und Bekämpfung der Luftverschmutzung, Umweltchemikalien, Gewässer- und Bodenschutz. Konsequenterweise haben wir in diesem Jahr 20 neue Stellen für das Umweltbundesamt in Berlin bereitgestellt.Wenn der demnächst ausscheidende Kollege Kleinert in seinem heutigen — man muß wohl sagen — Schwanengesang behauptet hat,
daß der Bund im Bereich der Umweltpolitik untätig sei, muß man das wohl im Fach Feldgeschrei ablegen. Er müßte doch eigentlich wissen, welcher Maßnahmenkatalog auf der Habenseite dieser Regierung steht.
— Regen Sie sich nicht auf, Herr Kleinert. Wir vertragen uns im allgemeinen doch viel besser, als Sie jetzt hier so tun.Ein sehr wichtiger Teilbereich — das ist etwas, was Sie sicherlich auch unterstützen werden, und ich bedanke mich schon im voraus für diese Unterstützung während der Haushaltsberatung und im Rahmen der Berichterstattung — der umweltrelevanten Aufgaben ist meines Erachtens im vorliegenden Entwurf aber nicht befriedigend berücksichtigt worden, nämlich der Schutz der Nordsee. Nimmt man das Nordsee-Gutachten von 1980 und die Forderungen der internationalen Nordseekonfe-
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Frau Seiler-Albringrenz 1984 ernst, sehen wir hier einen akuten Handlungsbedarf, um die zunehmende Verschmutzung der Nordsee zu stoppen. Wir wissen, daß durch verantwortungsloses Ablassen von 01 und Chemikalien ein besorgniserregender Stand der Schadstoffbelastung des Meeres zu verzeichnen ist.Der Bundesgrenzschutz nun — damit komme ich zum eigentlichen Bezug zum Einzelplan 06 — nimmt neben seinen sonstigen Funktionen in der Nordsee auf dem Gebiet des Umweltschutzes als integrierter Bestandteil des Sicherheitsverbundes Nordsee wichtige Aufgaben wahr, zum Teil in gemeinsamer Zuständigkeit mit dem Zoll, Herr Dr. Voss, aber zum Teil eben auch ausschließlich. Nur, bei schwerem Wetter fällt die Verfolgung — leider, leider — von Umweltstraftaten auf hoher See buchstäblich ins Wasser, weil — das ist einhellige Meinung aller Fachleute — die Auslegung der vorhandenen Boote einen Einsatz jenseits von Windstärke 5 unmöglich macht.Sollen unsere Erklärungen zum Schutz der Meere nicht tatsächlich vom Wind verwehte Forderungen sein und sollen die schwarzen Schafe, die ihr übles Geschäft mit Altöl und Chemikalien ja nicht unter strahlender Sonne abwickeln, nicht auch in Zukunft fröhlich auf eine steife Brise hoffen können, müssen wir den Bundesgrenzschutz mit modernen Booten ausrüsten, deren Auslegung und technische Ausstattung einen größeren Aktionsradius und höhere Seetüchtigkeit gewährleisten. Wir werden bei den Beratungen die Beschaffung dieser Boote — es sollen drei an der Zahl sein — ansprechen und kommen damit u. a. auch dem Petitum des Innenausschusses des Deutschen Bundestages nach. Nur so kann nach unserer Meinung endlich eine effiziente Verfolgung von Straftaten gegen den Umweltschutz im gesamten Bereich des Festlandsockels gewährleistet werden.
Allerdings werden wir das Haus auffordern, seinen Beitrag zur Finanzierung mit Einsparungen im Haushalt zu leisten.Der zweite Punkt, auf den ich eingehen möchte, betrifft die Personallage der Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf und die damit in engem Bezug stehende problematische Situation im Asylbereich. Aufgrund der ursprünglich für 1984 prognostizierten sinkenden Zahl der Asylanträge wurden im Haushalt 1985 13 Stellen aus der Bundesanstalt in Zirndorf in das Bundesumweltamt nach Berlin verlegt, wo natürlich auch ein Bedarf bestand. Die tatsächliche Entwicklung der Zahl der Asylanträge und der Asylbewerber übertraf die Prognosen, nicht zuletzt wegen der sich rapide verschlechternden innenpolitischen Situation in Sri Lanka, erheblich und zeigt auch heute keine abnehmende Tendenz.Dieser verstärkte Zustrom wirft erhebliche Probleme für die Betroffenen, für die aufnehmenden Gebietskörperschaften, die Bevölkerung und nicht zuletzt für die Mitarbeiter der Bundesanstalt in Zirndorf auf, die oft am Rande der zumutbaren physischen und psychischen Belastung stehen.Die Diskussion um das Recht um Asyl wird hierzulande mit großer Emotion geführt, was zum Teil verständlich ist. Aber Emotionen verstellen den klaren Blick für die Realitäten, z. B. für die Tatsache, daß seit 1953 96 000 Asylbewerber in der Bundesrepublik anerkannt worden sind, daß die Anerkennungsverfahren viel zuviel Zeit in Anspruch nehmen, daß die Verwaltungsgerichtsverfahren in den Bundesländern unterschiedlich verlaufen und zum Teil ausgesprochen lang sind und daß die Länder schließlich aber über 60 % der abgelehnten Asylbewerber nicht abschieben. Die Position meiner Fraktion zum Asylrecht ist eindeutig. Wir lassen am Gehalt und Sinn von Art. 16 des Grundgesetzes nicht rütteln. Das Grundrecht auf politisches Asyl muß auch künftig erhalten bleiben. In dieser Auffassung wissen wir uns in Übereinstimmung mit den beiden großen Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden und den anderen Organisationen.
— Wie sie sicherlich wissen dürften, Herr Mann, ist diese Initiative von den CDU-geführten Bundesländern eingebracht worden. Die Position meiner Fraktion ist hierzu ganz eindeutig.
Das Asylverfahren muß bei voller Beibehaltung der rechtsstaatlichen Garantien weiter beschleunigt werden. Deshalb werden von den bislang 119 genehmigten neuen Stellen für das Bundesinnenministerium 70 nach Zirndorf gehen, die, verstärkt um weitere 40 z.A.-Beamte und 16 Aushilfskräfte, dafür sorgen sollen, daß über diese Asylanträge zukünftig schneller als bisher entschieden wird, so daß offensichtlich unbegründete Asylanträge zur Vermeidung von Mißbrauch so bald wie möglich von den Anträgen jener, die politisch wirklich Asyl suchen, unterschieden werden.Der Innenminister als Dienstherr für den öffentlichen Dienst und die Beamten wird unsere Unterstützung bei sinnvollen Strukturverbesserungen im öffentlichen Dienst und bei der Gestaltung einer leistungsgerechten Besoldung finden. Dazu gehört die Gleichstellung mit den Landesbeamten hinsichtlich der Altersgrenze, die meine Fraktion seit langer Zeit fordert.Bei so wichtigen Vorhaben wie etwa der Einführung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubes werden wir darauf achten, daß die beamteten Mütter und Väter nicht schlechter als die übrigen Arbeitnehmer gestellt werden. Die Überlegungen, die der Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde liegen, müssen sich entsprechend auch in der Altersversorgung der Beamten niederschlagen.Ich komme zum Schluß. Die Personalsituation im Bundeskriminalamt und beim Bundesgrenzschutz werden wie sehr sorgfältig diskutieren. Personalumfang und Personalstruktur müssen dem wachsenden Aufgabenumfang, wie z. B. im Bereich des Bundeskriminalamtes durch die verschärfte Situa-
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Frau Seiler-Albringtion bei der Bekämpfung des Terrorismus und der internationalen Rauschgiftkriminalität, entsprechen. Die Berichterstatter der Koalition sind bereit, das Notwendige zu tun.
Das heißt allerdings nicht, daß wir die Forderungen nicht peinlich genau prüfen werden. Dies sage ich gleich, um Begehrlichkeiten bestimmter Art vorzubeugen.Der Haushalt geht jetzt in die Beratung im Haushaltsausschuß und bei den Berichterstattern. Wir werden ihn sorgfältig, aber auch sehr kritisch erörtern. Dies sind wir unseren Wählern schuldig.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bewertung eines Haushaltsplanes richtet sich für uns danach, ob er neben den menschlichen und sozialen auch den Anforderungen des Naturhaushaltes im Sinne einer umfassenden Umweltvorsorge gerecht wird.
Der uns vorliegende Entwurf für 1986 trägt diesen Kriterien in keinster Weise Rechnung.
Was sich da so schön als Maßnahmen mit umweltverbessernder Wirkung liest, entpuppt sich bei näherem Hinsehen zu großen Teilen als direkte Umweltzerstörung. Liebe Frau Seiler-Albring, ich kann da Ihren schönfärberischen Ausführungen in keinster Weise folgen. So sind etwa im Einzelplan 10 unter der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" insgesamt 1,3 Milliarden DM für Flurbereinigungen, Drainage von Feuchtgebieten, Wegebau, Beseitigung von Feldgehölzen, Eindeichung des Wattenmeeres usw. eingeplant, und das fällt bei Ihnen unter die Rubrik Umweltschutz. Welch ein Zynismus!
Welch ein Zynismus ist es, Herr Innenminister, wenn Sie zu Anfang der Legislaturperiode, nämlich am 5. Mai 1983, den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu einer der wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung erklären, die dafür bereitgestellten Finanzmittel in Höhe von 1,6 Milliarden DM aber lächerliche 0,6 % des Gesamthaushaltes ausmachen. Gleichzeitig werden dem Fernstraßenneubau mit 6,2 Milliarden DM weitere 95 Millionen DM mehr als im Vorjahr zugeschustert. Hier zeigt sich doch in aller Deutlichkeit, daß trotz der katastrophalen Entwicklung in lebenswichtigen Umweltbereichen keine Mittelverschiebung erfolgt.
Hier zeigt sich doch, daß die Betonpolitik der Bundesregierung auch im nächsten Haushaltsjahr weiter fortgesetzt werden soll.
Wir haben nicht erwartet, daß sich die totale Umorientierung der Wirtschafts-, Energie- und Verkehrspolitik in Ihrem Haushaltsplan konzeptionell niederschlagen werde; aber nicht einmal der von Ihnen ständig proklamierte technische Umweltschutz, mit dem Sie angeblich Wirtschaftsinteressen mit Umweltbelangen verknüpfen wollen, kann durch diese kläglichen 1,6 Milliarden DM finanziert werden.Bestes Beispiel ist die Katalysatorpleite. Hier wird sich in der Zukunft auch eines der größten Finanzdebakel im umweltpolitischen Bereich abspielen. Herr Zimmermann, erklären Sie doch den Bundesländern einmal, welche Kosten ihnen im Laufe der nächsten Jahre durch das Gesetz zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens aufgebürdet werden. Dieses Gesetz ist doch langfristig der ökonomische Tod des Katalysators. Nach einer ersten Grobeinschätzung, die in der „Zeit" vom 5. Juli 1985 gegeben wurde, werden durch dieses Gesetz Defizite für die Länder in Höhe von 10 Milliarden DM innerhalb der nächsten fünf Jahre entstehen. Eine Deckung für diesen Fehlbetrag ist bis jetzt noch nicht in Sicht. Das Finanzministerium hat die Luxemburger Abgasresultate gar nicht erst daraufhin durchgerechnet, wie sie sich auf die Kfz-Steuereinnahmen der Länder auswirken würden, und eine entsprechende Bitte der Bundesländer wurde vom Finanzministerium mit der wohl einmaligen Begründung abgelehnt: Dazu haben wir keine Zeit mehr.Doch damit nicht genug: Sie streichen im Haushalt Mittel für die Forschung auf dem Wassersektor zusammen. Sie schaffen Gesetzeslücken im Wasserhaushaltsgesetz, die es zulassen, daß die Landwirtschaft das Trinkwasser, unser wichtigstes Lebensmittel, mit Nitrat verseuchen kann. Ein Umweltminister, der vor den Großbauern derart zu Kreuze kriecht, gehört im wahrsten Sinne des Wortes auf den Mist, Herr Zimmermann.
Doch das ganze Ausmaß der Geringschätzung Ihrer Politik gegenüber dem Gewässerschutz zeigen die neuerlichen Skandale um hydrazinverseuchtes Trinkwasser. Es kann doch nur perverses technisches Denken sein, das diesen Krebserzeuger in unmittelbare Nachbarschaft von Trinkwasser bringen konnte, als ob Störfälle nicht auftreten könnten. Das ist für mich die gleiche Selbstüberschätzung, die uns in das Zeitalter der Atomtechnologie und des Schnellen Brüters hineinmanövriert hat. Mich verwundert es auch nicht, daß die gleichen leitenden Herren von den Wasser- bzw. Stadtwerken — wie in Frankfurt oder Wiesbaden — es sind, die einerseits in fahrlässiger Weise nicht einmal die Betriebswässer der Fernheizungswerke einfärben, obwohl dies vorgeschrieben ist. Möglicherweise wollen sie dadurch verhindern, daß derartige Lecks den Trinkwasserkonsumenten bekanntwerden. Und Sie, Herr Zimmermann, lassen so etwas zu!
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Frau HönesWer dies nicht akzeptieren kann, wer höhere Maßstäbe an die Reinhaltung von Wasser, Boden und Luft anlegt, wie wir GRÜNEN dies tun, darf nicht nur schärfere Gesetze verlangen, sondern muß auch im Haushalt entsprechende Gelder bereitstellen. Beides ist nicht geschehen. Im Haushalt sind derartige Mittel nicht enthalten.
Wie wir schon in den Vorjahren zur Haushaltsdebatte betont haben, brauchen wir eine neue Politik, die sowohl haushalts- als auch umweltstabilisierend wirkt und gleichzeitig den Sozialabbau vermindert. Diese alternative Politik der ökologischen und sozialen Verträglichkeit der Investitionen ist gekennzeichnet durch eine rationellere Rohstoff- und Energienutzung sowie durch eine hohe Eigenversorgung. Das finanzpolitische Instrument zu ihrer Durchsetzung besteht in den ökologischen Zukunftsinvestitionen. Diese haben nicht nur positive ökologische Wirkungen, sondern auch positive Beschäftigungseffekte. Sie konsolidieren damit den Staatshaushalt.Sie müssen, Herr Zimmermann, mittels Sofortmaßnahmen meist technischer Art die gegenwärtige Umweltmisere auf ein ökologisch und volkswirtschaftlich erträgliches Mindestmaß zurückschrauben. Aber Sie müssen darüber hinaus bereits jetzt die Weichen für das Einleiten einer neuen Umweltvorsorgepolitik stellen.Der uns vorliegende Finanzhaushalt hat die Rechnung ohne den Wirt, nämlich den Naturhaushalt, gemacht. Der Wirt legt jetzt die ersten Rechnungen vor. Der jedem sichtbare Zusammenbruch des Waldes beweist, daß die erste ökologische Krise bereits da ist. Mit dem drohenden Umkippen der Nordsee kündigt sich bereits die zweite Umweltkatastrophe an. Und immer noch schreibt dieser Haushalt die wachsende Ausbeutung der Ressourcen, die Vernichtung von natürlichem Lebensraum, die Vergiftung von Luft, Wasser und Boden fest.Einem solchen Haushalt können wir nicht zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Vielen Dank für die freundliche Begrüßung, Herr Kollege Schäfer. Ich bin gespannt, ob Sie nach meiner Rede auch noch Beifall klatschen.Der Haushalt 1986 der Koalition der Mitte gibt uns einen willkommenen Anlaß zu einem Rück- und Ausblick auf innenpolitischem Gebiet. In der Kürze der Zeit kann ich ergänzend nur wenige Themen aufgreifen.Meine Damen und Herren, die Beamten, Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, die unsere Gesetze ausführen, haben ein Recht auf diebesondere Beachtung durch die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen.
Ich möchte zum vorliegenden Haushaltsentwurf feststellen, daß es trotz der nach wie vor drückenden Staatsschulden mit einer täglichen Zinslast des Bundes von 80 Millionen DM, die wir von der CDU/ CSU nicht zu verantworten haben — Herr Kollege Schäfer, dies vergessen Sie immer bei Ihren Ausführungen hier —, daß es trotz des darum nach wie vor unabweisbaren Zwangs zur Haushaltskonsolidierung keine neuen Sparmaßnahmen zu Lasten des öffentlichen Dienstes gibt.Im Gegenteil: Wir haben die von der SPD geführten Bundesregierung 1981 geschaffene volle Rentenanrechnung auf die Versorgungsbezüge der Ruhestandsbeamten entschärft. Bezüglich der Berechnungen der Versorgungsbezüge aus der letzten Funktion haben wir eine großzügige Regelung getroffen. Wir werden mit einem Besoldungsstrukturgesetz, das im kommenden Haushaltsjahr wirksam werden wird, insbesondere die Situation der Beamten des einfachen Dienstes verbessern.
Wem das nicht ausreicht, der muß erkennen, daß der öffentliche Dienst nicht besser, aber auch nicht schlechter behandelt werden darf, als es die allgemeine Wirtschaftsentwicklung zuläßt.
— Herr Kollege Schäfer, Sie wissen, daß parallel zu diesem Vorhaben auch die Sätze der Sozialhilfe stark erhöht worden sind. Wir haben hier ein Problem. Wir werden noch Gelegenheit haben, weiter darüber zu diskutieren.Wir wollen hier feststellen, daß wir bereits doch einiges für die Beamten des einfachen Dienstes unternommen haben.
Wer hier Kritik übt, sollte auch sehen, daß wir in einer Zeit großer Probleme auf dem Arbeitsmarkt versuchen, die Zahl der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu halten. Anders als in vergangenen Jahren verzichten wir darauf, die durch Eintritt in den Ruhestand freiwerdenden Stellen zu streichen. Dieser Beitrag zur Stabilisierung der Beschäftigungslage könnte nach meiner Auffassung noch gesteigert werden, wenn sich die Bundesregierung entschlösse, die Antragsaltersgrenze für Beamte von 63 endlich auf 62 Jahre zu senken. Die Innenpolitiker meiner Fraktion würden eine derartige Regelung, die auch eine Gleichstellung der Bundesbeamten mit den Landesbeamten mit sich brächte, sehr begrüßen.Wir setzen darauf, daß der von der Bundesregierung und uns eingeschlagene Kurs, dessen Erfolg durch steigendes Wirtschaftswachstum, Abbau der
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11442 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Dr. LaufsNeuverschuldung und ein hohes Maß an Preisstabilität deutlich gekennzeichnet ist, die Rahmenbedingungen schafft, die es uns in den kommenden Haushaltsjahren ermöglichen, die Lage des öffentlichen Dienstes weiter zu verbessern.Frau Kollegin Seiler-Albring, Ihre Ausführungen zu den auch von den CDU/CSU-Innenpolitikern gewünschten 60-m-Nordseebooten für den Bundesgrenzschutz haben wir mit großem Interesse gehört. Herr Kollege Gerster, die Kollegen im Haushaltsausschuß können mit unserer nachträglichen Unterstützung rechnen, wann immer sie sich für die Belange des Bundesgrenzschutzes einsetzen.
Wir werden sehen, was unsere weiteren Beratungen noch erbringen können.
— Ja, wir werden sehen, wie wir das machen können.Meine Damen und Herren, nach Schätzungen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen gibt es gegenwärtig auf der Welt 17 bis 20 Millionen Flüchtlinge. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres ist der Zustrom von Asylbewerbern ins Bundesgebiet wieder dramatisch angestiegen; insgesamt muß in diesem Jahr mit über 70 000 gerechnet werden. Die Bundesrepublik Deutschland beherbergt gegenwärtig mit rund 600 000 Personen unter allen westeuropäischen Ländern die meisten Flüchtlinge und hat im vergangenen Jahr für diese rund 2 Milliarden DM aufgewandt. Die weltweiten Fluchtbewegungen werden nach dem Urteil aller Sachverständigen zunehmen. Sie sind die Folge krisenhafter Entwicklungen insbesondere in der Dritten Welt.Vor diesem Hintergrund müssen sich alle politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland einmal nüchtern und unvoreingenommen überlegen, wie es mit der Asylgewährung weitergehen soll. Gewiß darf ein hochentwickelter Industriestaat gegenüber dem Flüchtlingselend nicht gleichgültig bleiben. Zusammen mit den anderen Industriestaaten müssen wir unserer humanitären Verpflichtung gerecht werden. Wir können aber die ganze Not und das Elend dieser Erde nicht allein im dichtbesiedelten Mitteleuropa heilen; wir dürfen uns nicht mit einer Politik der offenen Grenzen überfordern.Wenn etwa die Wohlfahrtsverbände für eine Aufnahme aller Flüchtlinge — gleich, aus welchen Gründen sie kommen — eintreten und auch abgelehnte Asylbewerber hierbehalten wollen, so ist das im Einzelfall sicher verständlich. Wir sollten aber auch sehen, daß die Menschen aus fremden Kulturen in den Industriestaaten Mitteleuropas kaum eine Lebensperspektive und auf unserem Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance haben. Wir müssen uns fragen, welche Verantwortung und welche Fürsorgepflichten wir auf Dauer für eine große Zahl von Menschen aus fremden Kulturkreisen übernehmen können, die sich in unserem Lande nur schwer oder gar nicht zurechtfinden.Wie der Ökumenische Rat der Evangelischen Kirche in einem Papier vom Mai 1984 festgestellt hat, besteht die beste Politik gegenüber Flüchtlingsströmen darin, die Entwicklung und den Schutz der Menschenrechte in den Entwicklungsländern selbst aktiv voranzutreiben. Wir dürfen nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß zwei Drittel der Asylbewerber, die zu uns kommen, nach wie vor nicht als politisch verfolgt anerkannt werden können. Frau Kollegin Seiler-Albring, es geht eben nicht zuerst um den Art. 16 unseres Grundgesetzes, den wir — wie Sie auch — selbstverständlich beachten.
Dieser Zustrom von Ausländern, die in Wahrheit als Einwanderer zu uns kommen, zeigt, daß wir innerstaatlich weiterdenken müssen. Die unionsregierten Bundesländer fordern mit ihrem Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Asylverfahrensgesetzes zu Recht, daß die nach wie vor bestehenden Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge verringert werden und den wirklich politisch Verfolgten ein schnelles Anerkennungsverfahren und eine menschenwürdige Aufnahme gewährleistet wird.
Mit der bloßen personellen Verstärkung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das in diesem und im nächsten Jahr weit über 100 neue Stellen erhalten wird, ist es nicht getan. Wir müssen uns der Frage stellen, ob wir Ausländer, die erst nach Monaten des Aufenthalts in anderen Ländern, in denen ihnen keine Verfolgung drohte, hierher kommen, weiterhin wie Asylbewerber aufnehmen können,
oder wie wir mit Ausländern verfahren sollen, die abgeschoben werden sollen und die sich plötzlich auf eine angebliche politische Verfolgung in ihrer Heimat berufen oder sogar selbst nachträglich Fluchtgründe schaffen. Wir müssen dem Mißbrauch unseres großzügigen Asylrechts gerade im Interesse der wirklich politisch Verfolgten wehren. Daneben muß eine gemeinsame Linie der Mitgliedstaaten der EG zur Behandlung von Asylbewerbern erarbeitet werden.Lassen Sie mich insbesondere nach den Ausführungen des Kollegen Schäfer noch ein paar umweltpolitische Bemerkungen machen. Seit Übernahme der Regierungsverantwortung haben wir größtes Gewicht auf eine rationale, wirksame Umweltpolitik gelegt.
Es geht schlicht um die Überlebensfähigkeit unserer modernen Industriegesellschaft. Die Zukunft wird den Produktionsverfahren und Erzeugnissen gehören, die nicht nur leistungsfähig und wirtschaftlich sind, sondern vor allem auch umweltschonend. Wer sich dieser Einsicht verschließt, handelt kurzsichtig und unverantwortlich. In den stän-
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Dr. Laufsdigen Aufgeregtheiten über einzelne Probleme, oft am Rande, über Buschhaus, Formaldehyd — erinnern Sie sich noch? —, über Katalysator und Tempolimit
sind die tatsächlichen Erfolge unserer Umweltpolitik nicht genügend wahrgenommen worden.
— Herr Kollege Schäfer, ich will gleich versuchen, es Ihnen darzustellen.Eine drastische Verringerung der Luftverschmutzung ist von uns sofort in Angriff genommen worden.
Ich muß hier noch einmal den Erlaß der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die Novellen der Technischen Anleitung Luft sowie das Bundes-Immissionsschutzgesetz nennen. Lassen Sie mich die Zahlen, die der Kollege Gerster vorhin im einzelnen genannt hat, noch einmal in einem größeren Zusammenhang darstellen.
In den 70er Jahren hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland einen Schwefeldioxid-Ausstoß von fast vier Millionen Tonnen jährlich.
— Das entzieht sich nun wirklich der parteipolitischen Polemik. Im Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre waren es drei Millionen Tonnen pro Jahr. In diesem Jahr, 1985, werden wir einen Ausstoß deutlich unter drei Millionen Tonnen haben.
— Vielleicht 2,6, vielleicht 2,7, deutlich unter 3 Millionen Tonnen.
— Ja, aber deutlich. Ich sage ja, im Durchschnitt der letzten 50 Jahre waren es 3 Millionen Tonnen, in diesem Jahr deutlich unter 3 Millionen Tonnen, und in wenigen Jahren sind wir mit wenig mehr als einer Million Tonnen im Jahr wieder dort, wo wir Anfang des Jahrhunderts waren.
— In fünf bis zehn Jahren.
— Meine Damen und Herren Kollegen von der Opposition, es wird Zeit, daß Sie sich überlegen, obIhre so simplen Schuldzuweisungen, was das Waldsterben und die 5 Milliarden DM Schäden pro Jahr angeht, noch plausibel sind.
Das, was Herr Kollege Gerster im einzelnen vorgetragen hat, zeigt diese Tendenz auch für die Stickoxide, die Schwermetalle und die Stäube.
Das Ergebnis ist ähnlich günstig. Freuen Sie sich doch darüber!
Der Großteil dieser Verbesserungen wird, wie ich sagte, innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre da sein.
Die dem neuesten Stand der Technik entsprechenden scharfen Emissionsgrenzwerte werden als Vorbild in den internationalen Bereich ausstrahlen. Eine solche Luftreinhaltepolitik ist weltweit ohne Beispiel. Das können wir doch einfach feststellen.
Einmalig ist insbesondere das vorgelegte Sanierungskonzept, nach dem alle bestehenden Anlagen in Abhängigkeit von dem Risikopotential der Schadstoffe innerhalb konkreter Fristen auf den Stand von Neuanlagen gebracht werden müssen. Das ist einmalig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Aber bitte.
Herr Kollege Laufs, ich finde, wir sollten wirklich mal versuchen, alle übereinstimmend, was das Waldsterben angeht, zu überlegen: Was können wir tun, um die dramatische Zunahme zu verhindern? Und da würde ich jetzt gern von Ihnen die Frage beantwortet haben: Wovon gehen Sie hinsichtlich der Stickoxidemission aus? Ich habe mich gestern für den Beitrag zur Debatte über den Rücktritt von Herrn Zimmermann noch einmal mit den Zahlen befaßt und wissenschaftliche Untersuchungen eingesehen. Danach müssen wir davon ausgehen, daß wegen der Verkehrsprognosen — die Zahl der Kraftfahrzeuge wird ja weiter in Richtung auf 30 Millionen, jetzt mal aufgerundet, zugehen — bis zum Jahre 2000 die Stickoxidemissionen wesentlich zunehmen werden. Das aber ist nach den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein ganz besonders brisanter Bereich.
11444 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1985
Mann
— Wir wollen doch gemeinsam etwas ändern. Sie werfen uns doch immer vor, wir würden dramatisieren.
Trotzdem, Herr Kollege Mann, müssen Sie eine Frage stellen.
Der Kollege Gerster hat Ihnen gesagt, daß allein die Wirkung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der TA Luft zusammen zu einer Reduktion von 0,8 Millionen Jahrestonnen Stickoxiden führen wird. Bei den Kraftfahrzeugen müssen wir sehen, wie schnell die Umstellung machbar ist. Auch hier sind viele hunderttausend Tonnen drin. Wir gehen davon aus, daß die Belastung der Atmosphäre auch durch Stickoxide drastisch zurückgehen wird — immer ausgehend von der Überlegung, daß die Luftschadstoffe für das Waldsterben einen wesentlichen Beitrag leisten, was ja bis heute keiner in einer wissenschaftlich belastbaren Kausalkette nachweisen kann. Also immer ausgehend von dieser Prämisse!
Nun, eine wesentliche Beschleunigung all dieser Maßnahmen ist leider schon wegen notwendiger Planungs- und Bauzeiten der benötigten Anlagen kaum möglich. Wir nehmen die Tatsache, daß die Luftverschmutzung in der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich ihren Höhepunkt überschritten hat und deutlich zurückzugehen beginnt, keineswegs zum Anlaß, in unseren Anstrengungen nachzulassen. Die Verringerung der Schadstoffemissionen aus Kraftfahrzeugen durch Einführung schadstoffarmer Autos und bleifreien Benzins ist ein Schwerpunkt unserer Luftreinhaltepolitik. Darüber hat Kollege Gerster schon ausführlich gesprochen. Wir haben schon viele Debatten dazu geführt, und wir werden sicher noch oft Gelegenheit haben, darüber zu sprechen.
Lassen Sie mich nur noch folgendes hinzufügen. Die unvermeidlichen und unvorhersehbar auftauchenden Schwierigkeiten und Stockungen bei der nicht von heute auf morgen vollziehbaren Umstellung des Kraftfahrzeugverkehrs auf umweltfreundliche Fahrzeuge sind für uns Anlaß, das System der Anreize zu verfeinern und zu verbessern. Entsprechende Vorschläge für die Mineralölsteuer haben wir bereits den zuständigen Bundesministern des Innern und der Finanzen gemacht. Wir halten eine stärkere Spreizung der steuerlichen Belastung von bleifreiem und unverbleitem Benzin als 4 Pfennig für erwägenswert. Wir werden sicher Gelegenheit haben, darüber noch ausführlich zu diskutieren.
Ich sehe, daß der heutige Debattentag zu Ende geht. Meine Zeit ist abgelaufen. Ich bitte um Verständnis, daß ich in meinem kurzen Redebeitrag nur wenige Fragen aus dem weiten Feld der Innenpolitik habe ansprechen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung liegen nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. September 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.