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ID1012203100

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    Plenarprotokoll 10/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9009 A Bericht zur Lage der Nation Dr. Kohl, Bundeskanzler 9009 B Dr. Apel SPD 9017 C Dr. Dregger CDU/CSU 9023 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9027 C Hoppe FDP 9030 D Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 9033 D Büchler (Hof) SPD 9037 A Genscher, Bundesminister AA 9039 D Schlaga SPD 9043 D Lintner CDU/CSU 9045 C Handlos fraktionslos 9047 C Schneider (Berlin) GRÜNE 9049A Dr. Haack SPD 9050 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 9053 B Dr. Vogel SPD 9054 B Nächste Sitzung 9058 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9059* A Anlage 2 INFCE-Empfehlungen betr. den Anreicherungsgrad des Urans bei der Produktion von Kernbrennstäben MdlAnfr 5, 6 07.12.84 Drs 10/2587 Becker (Nienberge) SPD ErgSchrAntw PStSekr Spranger BMI . . 9059* B auf ZusFr Catenhusen SPD Anlage 3 Polnische Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland seit 1980 MdlAnfr 44 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU ErgSchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . 9059*D auf ZusFr Dr. Hupka Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 9009 122. Sitzung Bonn, den 27. Februar 1985 Beginn: 14.00 Uhr
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    Berichtigung 121. Sitzung, Seite 9005* C; nach der 21. Zeile ist nach dem Wort „vorgesehen" einzufügen: „steuerlichen Gleichbehandlung von eigengenutzten". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 1. 3. Breuer 1. 3. Büchner (Speyer) * 1. 3. Dr. von Bülow 28. 2. Dr. Bugl 28. 2. Cronenberg (Arnsberg) 27. 2. Ertl 1. 3. Gallus 1. 3. Frau Gottwald 1. 3. Haehser 1. 3. Dr. Hauff 1. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 2. Jung (Düsseldorf) 1. 3. Frau Kelly 1. 3. Dr. Kreile 27. 2. Frau Dr. Lepsius 1. 3. Lohmann (Witten) 27. 2. Mischnik 27. 2. Dr. Müller 1. 3. Polkehn 1. 3. Dr. Scheer 28. 2. Schlottmann 1. 3. Dr. Schöfberger 1. 3. Schröder (Hannover) 27. 2. Frau Simonis 1. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 1. 3. Stockhausen 1. 3. Uldall 27. 2. Voigt (Frankfurt) 27. 2. Weinhofer 1. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Ergänzende Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) zu der Frage des Abgeordneten Becker (Nienberge) (SPD) (Drucksache 10/2587 Fragen 5 und 6, 110. Sitzung, Seite 8210 B): Ihre Zusatzfrage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen in- Anlagen zum Stenographischen Bericht nerhalb weniger Jahre auf Brennelemente mit niedrig angereichertem Uran umgestellt werden könnte, ohne daß es zu einer Betriebsunterbrechung kommen müßte, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre Zielsetzung, hochangereichertes Uran möglichst wenig einzusetzen? beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Forschung und Technologie wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß eine Umstellung des THTR-300 vom beantragten und genehmigten Thorium/Uran-Kreislauf auf einen anderen Zyklus mit niedrigerer Anreicherung aus heutiger Sicht technisch innerhalb einiger Jahre möglich sein kann. Zu gegebener Zeit werden für den THTR-300 unter Auswertung der Betriebserfahrungen mit dem Betreiber die sicherheitstechnischen und betrieblichen Voraussetzungen einer Umstellung auf niedrig angereichertes Uran zu prüfen sein. Bei der Planung von Nachfolgerreaktoren dieser Linie wird der Einsatz von Brennelementen mit niedriger angereichertem Uran verfolgt. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 44, 114. Sitzung, Seite 8489): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1985 haben Sie im Anschluß an die Beantwortung der Frage 44 die Zusatzfrage gestellt, wie viele der dem Ausländerzentralregister zwischen 1980 und 1984 gemeldeten 20 952 polnischen Staatsangehörigen, die zugezogen sind, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, wieder zurückgegangen sind. Die Bundesregierung kann diese Frage nicht beantworten, weil ihr entsprechende Angaben nicht zur Verfügung stehen. Dies beruht zum einen darauf, daß nicht alle polnischen Staatsangehörigen, die in ihr Heimatland zurückkehren, sich bei den zuständigen deutschen Behörden abmelden und zum anderen darauf, daß bei der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland Zählkontrollen nicht durchgeführt werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dirk Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätte die Debatte heute doch richtig spannend sein müssen, wenn man bedenkt, um welches Thema es geht und wie es gelegentlich auch mit Worten beschworen wurde. Einige haben hier gesagt, es gehe um die deutsche Einheit, um das deutsche Schicksal, es gehe sogar um die Freiheit, die Freiheit grundsätzlich, die Freiheit der osteuropäischen Staaten. Also: schicksalsträchtige Worte hier.
    Und doch ist die Debatte nach meinem Eindruck nur so dahingeplätschert.

    (Baum [FDP]: Das können Sie jetzt ja ändern! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wir geben nicht viel auf Ihren Eindruck!)

    Sie hat wenig wirklich starke Inhalte und Kontroversen gebracht. Es war so etwas wie ein politischer Pudding. Manchmal sind zwar Kontroversen aufgeblitzt, z. B. dann, wenn Herr Genscher wieder einmal so richtig auf den GRÜNEN „herumgegeißlert" hat.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das hat Ihnen weh getan! — Berger [CDU/ CSU]: Seien Sie nicht so weinerlich! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ach du meine Güte!)

    Aber im allgemeinen muß ich sagen, daß meine Fraktion durch die geballte Ladung der politischen Leersprüche und Vorlesungen hier aus dem Saal herausgetrieben wurde. Aber das ist ja nicht nur meiner Fraktion so gegangen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie waren vorher schon gar nicht im Saal! Wo ist denn Frau Kelly, wo sind denn all die anderen? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Ich habe in West-Berlin vor kurzem an einer Diskussion mit Schülern teilgenommen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wo ist denn Frau Kelly, wo ist Frau Schoppe? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Schreien Sie doch bitte nicht so! Lassen Sie mich
    einmal etwas sagen. — Nach einer halben Stunde
    Politikersprüchen stand ein junger Mann auf und
    fragte: Was soll eigentlich dieses Thema „deutsche Frage"? Das ist doch abgehakt.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der hat einen GRÜNEN ais Lehrer gehabt! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Man kann es vielleicht auch anders ausdrücken und sagen: Die deutsche Frage ist nicht mehr offen. 40 Jahre Nachkriegszeit haben Fakten geschaffen, die unumstößlich sind.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nicht die GRÜNEN, Herr Genscher — er ist sicherlich nicht mehr da —, haben die Spaltung Deutschlands hervorgebracht, sondern wir sehen heute nur den konkreten Fakten ins Auge. Das tut, glaube ich, die Mehrheit der politischen Wortführer hier in diesem Raume nicht. Vielmehr versuchen sie immer noch, Illusionen zu verbreiten, Dinge in die Köpfe des deutschen Volkes — der Deutschen in der DDR und der Bundesrepublik — hineinzupumpen, die mit den Realitäten nichts mehr zu tun haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir sind für eine realistische Politik, und die — das müßten Sie sich doch auch alle einmal klarmachen — kann nur von den Fakten und von nichts anderem ausgehen. Der einzige, der von der Union heute wirklich konkreter geworden ist — im Gegensatz zu den anderen —, war meines Erachtens Herr Diepgen. Herr Diepgen hat für mich etwas Erstaunliches gemacht: Er hat nicht nur in Leerformeln geredet wie Herr Kohl, er hat dann Herrn Kohl auch nicht wieder mit Hinweisen auf Recht, Recht, Recht und Rechtspositionen konterkariert, wie Herr Dregger das getan hat, sondern Herr Diepgen hat das alles ein bißchen beiseite gelassen und sogar gesagt: Laßt uns nicht ununterbrochen auf den Rechtspositionen herumtrampeln, herumhacken und herumarbeiten, sondern laßt uns die Situation einmal genau und kritisch ansehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er hat sich etwas besser ausgedrückt, als wir es jetzt von Ihnen hören!)

    — Herr Diepgen guckt mich etwas erstaunt an,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Mit Recht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    aber ich glaube, daß er für die Union hier einen Ansatz dafür geboten hat, in welche Richtung sie denken sollte. Aber natürlich wird noch viel Wasser die Spree und auch andere Flüsse hinunterfließen, bevor die Union das — vielleicht — begreift, was Herr Diepgen gesagt hat: daß man sich auf die DDR ein bißchen zubewegen muß. Vielleicht hat Herr Diepgen begriffen, was die DDR ihm herübersignalisiert hat, als sie gesagt hat: Wer auf einer Insel lebt, der sollte sich das Meer nicht zum Feinde machen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Deswegen reden Sie auch!)

    Was Berlin angeht, heißt das, daß Berlin nicht damit auskommt, nur eine Politik des kalten Krieges
    zu treiben, Pfahl im Fleische zu sein und immer



    Schneider (Berlin)

    wieder das Feindbild zu beschwören. Berlin hat wirklich nur dann eine Chance, wenn es eine Versöhnungs- und Verständigungspolitik, von der hier nur geredet wird, für deren Verwirklichung aber nichts getan wird, bahnbrechend in Angriff nimmt. Das heißt, daß man mit der anderen Seite reden muß.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Was hat die CDU hier gemacht, besonders Herr Dregger?)

    Er hat wieder die Feindbilder aufgestellt. Er hat nur an dem Bild gearbeitet: Auf unserer Seite leben die anständigen Demokraten.

    (Dolata [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was Positives zum Thema!)

    Auf unserer Seite ist die vielleicht beste Demokratie der Welt. Bei uns sieht alles rosig aus. Aber dann guckt mal auf die andere Seite des Eisernen Vorhanges, wo die schwere Pranke des russischen Bären die osteuropäischen Länder in der Sklaverei hält

    (Dolata [CDU/CSU]: Tut sie das nicht?)

    und jegliche Menschenrechte erdrückt. — Angesichts dieses Abhebens auf Diktatur und Despotie auf der anderen Seite

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Meinen Sie, dort hätten Sie so eine Rede halten dürfen?)

    frage ich Sie, Herr Dregger: Wie wollen Sie jemals erreichen, daß Herr Kohl mit Herrn Honecker überhaupt einen Händedruck austauscht, wenn Sie wieder einmal so an dieser Feindbildprojektion arbeiten?

    (Reddemann [CDU/CSU]: Denken Sie mal über Hitler nach! Dann merken Sie, was Sie für eine merkwürdige Vorstellung haben!)

    — Herr Reddemann, ich will hier die DDR überhaupt nicht aus der Kritik nehmen. Das habe ich auch schon früher gesagt. Das haben die GRÜNEN sehr oft deutlich gemacht. Wir haben eine kritische Position zu den Gesellschaften sowohl auf dieser Seite als auch auf der Seite der DDR. Wir versuchen neue Wege zu beschreiten. Und wenn wir kritisieren, sagen wir es laut und deutlich. Aber wir versuchen nicht, eine solche Feindbildpolitik zu machen, die letztendlich Friedenspolitik, von der Sie reden, und Versöhnungspolitik, von der Sie reden, unmöglich macht und Ihre Worte zu reiner Heuchelei verkommen läßt.

    (Reddemann [CDU/CSU]: Das ist einen Ordnungsruf wert!)

    Ich möchte hier noch einmal daran erinnern, welches unsere Positionen in dieser Frage sind. Wir sagen: Man muß an das Verhältnis zwischen der DDR und der Bundesrepublik in einer gleichberechtigten Art und Weise herangehen. Man muß die DDR politisch anerkennen. Man muß sie völkerrechtlich anerkennen. Man kann nicht darauf beharren, eine Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik weiter für richtig zu erachten und weiter zu vollziehen, die der DDR die Staatsbürgerschaft eigentlich aberkennt.
    Herr Hennig, Sie freuen sich immer so und sehen so lustig aus, aber ich möchte Ihnen einmal sagen, daß meiner Ansicht nach die Bundesrepublik eigentlich gar keine Staatsbürgerschaft hat. Sie hat sich die Staatsbürgerschaft des alten Deutschen Reiches geborgt und benutzt das Staatsbürgerschaftsrecht von 1916, das unter Hitler 1941 geändert wurde. Aber eine eigene Staatsbürgerschaft hat sie nicht. Sie beansprucht eine Staatsbürgerschaft für alle Deutschen und damit auch für die in der DDR. Es ist aber unmöglich, die Staatsbürgerschaft der DDR zu akzeptieren und gleichzeitig diese Staatsbürgerschaftsdoktrin der Bundesrepublik aufrechtzuerhalten.
    Mein Votum, noch einmal wiederholt, ist: Dialog und Verständigung. Bahnbrechende Möglichkeiten zu Verhandlungen und zu Abmachungen mit der DDR

    (Reddemann [CDU/CSU]: Superleerformeln, was Sie da sagen!)

    werden sich nur ergeben, wenn man mit diesem Staat auf eine andere Weise umgeht, mit ihm verhandelt und ganz klare Abmachungen trifft, die den Menschen auf beiden Seiten nützen, ohne den Alleinvertretungsanspruch dabei noch beizubehalten. Man muß diesen aufgeben.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Reddemann [CDU/CSU]: Leerformel-Schneider!)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haack.

(Reddemann [CDU/CSU]: Endlich mal was Vernünftiges! — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Man ist ja nicht verwöhnt!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Dieter Haack


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich zunächst für den Zwischenruf des Vorsitzenden des zuständigen Ausschusses. Als er hörte, daß ich aufgerufen wurde, hat er gesagt: „Endlich mal was Vernünftiges". Er muß offensichtlich an die Rede seines eigenen Obmannes bei dieser Bemerkung gedacht haben.
    Meine Damen und Herren, es ist das erstemal, daß ich an einer Debatte über einen Bericht zur Lage der Nation teilnehme — ich glaube, das erste-mal gab es diese Debatte im Jahre 1970 —, bei der der zuständige Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen nicht gesprochen hat.

    (Lintner [CDU/CSU]: Er spricht noch!)

    Mein Freund Hans Apel hat vorhin als erster Redner unserer Fraktion festgestellt, daß Deutschlandpolitik nicht vom Parteienstreit bestimmt werden sollte. Ich stimme ihm zu. Eine gemeinsame Deutschlandpolitik dient den Interessen unserer geteilten Nation. Diese Gemeinsamkeit muß aber ernsthaft gewollt sein und zu Fortschritten in der deutschen Politik führen. So versteht jedenfalls unsere Fraktion ihren Entschließungsantrag. Wir wollen der Politik der Bundesregierung neue Impulse



    Dr. Haack
    geben, nicht aber Gemeinsamkeiten gefährden. Ich bedaure deshalb, daß Vertreter der Bundesregierung dies nicht erkennen oder wegen der unterschiedlichen Auffassungen in der CDU/CSU-Fraktion gegen die SPD polemisieren, um von eigenen Schwierigkeiten abzulenken.

    (Beifall bei der SPD)

    Gar nicht habe ich verstanden, Herr Kollege Lintner, was Sie zu unserem Entschließungsantrag gesagt haben. Sie haben uns sozusagen vorgeworfen, wir würden uns von der gemeinsamen Deutschlandpolitik entfernen, weil wir dem von Ihnen vorgelegten Entschließungsantrag nicht zustimmten. Ich muß Ihnen sagen: Auch dieser Entschließungsantrag ist etwas Einmaliges in der Geschichte des Bundestages. In diesem Antrag steht nämlich einfach: Wir übernehmen den Antrag des letzten Jahres. Das deutsche Parlament ist doch keine Gebetsmühle, die jedes Jahr dasselbe herbetet, sondern Politik bedeutet doch auch, sich auf weitere Entwicklungen einzustellen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Minister Schäuble, ich darf Sie kurz ansprechen. Ich finde es nicht gut, wenn gegen uns polemisiert wird, um von eigenen Schwierigkeiten abzulenken. Sie haben z. B. vor wenigen Wochen in einem Deutschlandfunk-Interview unsere Forderung nach einer Diskussion über die Staatsangehörigkeit kritisiert und daraus gefolgert, wir wollten die gemeinsame Deutschlandpolitik verlassen. Ich meine, daß eine solche Unterstellung nicht verantwortlich ist und die Vertrauensgrundlage für gemeinsames Handeln zerstört.
    Wir fordern in unserem deutschlandpolitischen Grundsatzpapier und in dem vorliegenden Entschließungsantrag unserer Fraktion — wir bitten Sie, das genau nachzulesen — eine öffentliche regierungsamtliche Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland niemanden für die Staatsbürgerschaft im Sinne des Grundgesetzes in Anspruch nehmen wird, der dies nicht will.

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Sie haben doch zugehört!)

    Eine solche Erklärung der Bundesregierung könnte folgendermaßen lauten. — Herr Werner, Sie sagen: Sie haben doch zugehört. Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, daß das, was ich als unseren Vorschlag vortrage, mit dem übereinstimmt, was der Bundeskanzler in seiner Rede gesagt hat, dann muß ich an Sie die Frage richten, warum Sie uns unterstellen, wir würden die Gemeinsamkeit verlassen. Dann müssen Sie das dem Bundeskanzler selbst unterstellen.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier stimmt etwas nicht in der Logik Ihrer Argumentation.
    Nach unserer Auffassung könnte eine solche Erklärung der Bundesregierung wie folgt lauten:
    Erstens. Das Festhalten an der deutschen
    Staatsangehörigkeit steht im Einklang mit dem
    Völkerrecht. Die deutsche Staatsangehörigkeit
    ist auch in den Rechten und Verantwortlichkeiten der vier Siegermächte für Deutschland als Ganzes begründet. Auf dieser eindeutigen Grundlage beruhen unsere Verfassungsbestimmungen zur deutschen Staatsangehörigkeit im Grundgesetz. Der Grundlagenvertrag hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verändert.
    Zweitens. Wir respektieren nach Art. 6 des Grundlagenvertrags die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der DDR in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten.
    Unsere Staatsangehörigkeit kann auf dem Gebiet der DDR keine Wirkung beanspruchen.
    Wir achten die Staatsbürgerschaft der DDR dadurch, daß wir keinen Bürger der DDR für die Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes gegen seinen Willen in Anspruch nehmen, weder auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland noch in anderen Ländern.

    (Reddemann [CDU/CSU]: Das ist die Praxis!)

    Drittens. Die neueste Forderung der DDR vom 30. Januar 1985, unser Grundgesetz zu ändern, ist völkerrechtlich unzulässig, widerspricht dem Grundlagenvertrag und steht in auffallendem Widerspruch zu den Äußerungen des Vorsitzenden des Verfassungs- und Rechtsausschusses der DDR-Volkskammer, Professor Weichelt, der vor wenigen Monaten im „Neuen Deutschland" feststellte, daß es die DDR nicht zur Voraussetzung bilateraler oder multilateraler internationaler Beziehungen mache, daß andere ihre innerstaatlichen Gesetze ändern.
    Meine Damen und Herren, eine solche Erklärung würde vor aller Welt unsere Haltung, wie wir sie seit Jahren praktizieren, klarstellen und die Staatsangehörigkeitsdiskussion von uns aus beenden. Ich vermag nicht einzusehen, wieso diese unsere Forderung — nichts anderes wird von uns gefordert — angeblich die gemeinsame Deutschlandpolitik in Frage stellen soll. Wenn so über die Gemeinsamkeit gesprochen wird, dann kann sie überhaupt nicht hergestellt werden. Vielleicht will man sie auch nicht herstellen.
    Meine Damen und Herren, Deutschlandpolitik erfordert Wahrheit, Klarheit und Realismus. In unserer Mittellage in Europa können wir unsere Interessen — darüber sind wir uns wohl alle im klaren — nur mit unseren Nachbarn, aber nicht gegen sie durchsetzen. Unsere Nachbarn im Westen und im Osten — das gehört zu dieser Klarheit und Wahrheit — sind nicht vorrangig an einer nationalstaatlichen Wiedervereinigung Deutschlands interessiert.
    Dennoch würde man uns, wie Golo Mann vor kurzem zu Recht festgestellt hat, in der Welt nicht mehr, sondern weniger achten, wenn wir aus unserem Grundgesetz die Präambel streichen würden, die uns die deutsche Einheit in Freiheit zum Ziel setzt.

    (Berger [CDU/CSU]: Das können wir aber nicht!)




    Dr. Haack
    — Nein, das wollen wir ja auch nicht. Ich weise Sie j a auf diese Schwierigkeiten hin. Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten müssen wir Politik machen.
    Daraus muß eben für unsere Politik folgen, daß wir das in der realen politischen Situation Machbare tun müssen und unsere nationalen Interessen mit den weltweit anerkannten Prinzipien des Friedens, der Freiheit, des Selbstbestimmungsrechts und der nationalen Identität eines Volkes in Übereinstimmung bringen müssen. Was heißt das? Wir sind als Deutsche in der jüngsten Vergangenheit sehr oft deshalb gescheitert, weil wir Politik gegen die Interessen unserer Nachbarn gemacht haben, weil wir glaubten, wir seien allein auf der Welt, wir könnten mit dem Kopf durch die Wand.

    (Beifall bei der SPD)

    Jetzt kommt es darauf an — das war der Inhalt unserer Ostpolitik und Deutschlandpolitik seit Ende der 60er Jahre —, daß wir eine deutsche Politik machen, die versucht, mit den Interessen der Nachbarn in Übereinstimmung zu kommen

    (Beifall bei der SPD)

    und von daher etwas für die eigenen Interessen im internationalen Kräftespiel herauszuholen.
    Wenn. man diesen Ansatz der Politik sieht, muß man sagen, daß alles das, was in den letzten Wochen in unserem Land diskutiert worden ist, was auch heute Teil der Debatte gewesen ist, kleinkariert ist. Das erweckt draußen in der Weltöffentlichkeit den Eindruck, daß wir Deutschen aus unserer jüngsten Geschichte nicht gelernt haben, sondern wieder in der Gefahr sind, in alte Fehler zurückzufallen.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb müssen wir deutlich machen, daß Deutschlandpolitik Friedenspolitik ist, daß es um Freiheit geht, um Selbstbestimmungsrecht und nationale Identität des deutschen Volkes. Das wird uns dann niemand bestreiten. Das setzt aber voraus, daß diese Politik glaubwürdig ist und nicht an einem Tag so und am anderen Tag anders geredet wird.

    (Reddemann [CDU/CSU]: Und daß die Kommunisten sie glauben wollen!)

    Wir sind uns auch darüber im klaren, daß diese Deutschlandpolitik in die West-Ost-Auseinandersetzung eingebettet ist und daß wir Deutschen uns — der Bundeskanzler hat darauf mit Recht hingewiesen — für die freiheitliche Ordnung des Westens entschieden haben. Daran gibt es nichts zu rütteln. Wir weisen aber — gerade auch in unserem Entschließungsantrag — genauso darauf hin, daß der Fortbestand der deutschen Nation eine von der Teilung unabhängige Realität ist, die sich in unserer gemeinsamen Geschichte und im Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in beiden deutschen Staaten ausdrückt. Auch hier haben wir die Zustimmung der Weltöffentlichkeit. In keinem europäischen Land hat bisher das europäische Bewußtsein das nationale Bewußtsein verdrängt. Insofern stünden wir ohne Festhalten an der deutschen Nation außerhalb der Normalität der anderen Völker.
    In Wirklichkeit will auch die SED langfristig die deutsche Teilung überwinden, wenn auch unter ihren eigenen, kommunistischen Vorzeichen. Die Umschreibung der deutschen Geschichte in der DDR ist auch eine Vorbereitung auf diese langfristige Zielsetzung. Ich meine, daß sich die Deutschlandpolitik damit mehr als bisher zu befassen hat, wenn wir in der geistigpolitischen Auseinandersetzung der Zukunft bestehen wollen.
    Deshalb muß es Aufgabe der heutigen und der zukünftigen Deutschlandpolitik sein — wie es die der vergangenen war —, die nationale Gemeinschaft zu stärken und eine Zusammenarbeit zu finden, die den Interessen der Menschen in einer geteilten Nation dient. Zwischen beiden deutschen Staaten sind noch viele Fragen zu regeln. Auf vieles ist heute bereits hingewiesen worden: Umweltschutz, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft. Die laufenden Verhandlungen müssen zügig fortgeführt und zu einem Abschluß gebracht werden.
    Der Reiseverkehr muß verbessert werden. Es geht vor allem um mehr Jugend- und Sportbegegnungen. Die Deutschen in der Bundesrepublik — das ist eine Aufforderung an uns — müssen sich mehr für die DDR interessieren. Wir müssen die uns gegebenen Reisemöglichkeiten besser nutzen.
    In unserer schulischen Bildung, in der Erwachsenenbildung muß die sachliche Information über die DDR einen höheren Stellenwert erhalten. Die DDR-Forschung muß verbessert werden. Das Institut für internationale Politik und Wirtschaft in Ost-Berlin, das dem Politbüro der SED unmittelbar zuarbeitet und sich vorrangig mit der Bundesrepublik Deutschland befaßt, hat allein 200 wissenschaftliche Mitarbeiter, die intensiv mit der Forschung der Situation in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sind. Auch hier müssen wir im Sinne des Wettkampfs der Systeme standhalten. Hier gibt es noch Nachholbedarf, den wir gemeinsam decken sollten.
    Von der SED fordern wir — das sage ich hier noch einmal ganz deutlich — eine Ausweitung der Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger, die Zulassung von Städtepartnerschaften, den Austausch von Zeitungen, die Abschaffung des Mindestumtauschs.

    (Berger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Wir fordern auch von der SED, Feindbilder abzubauen, vor allem in der vormilitärischen Ausbildung und Erziehung

    (Berger [CDU/CSU]: In der militärischen auch!)

    und im Wehrkundeunterricht.
    Wenn wir Zusammenarbeit auf allen Gebieten ernst nehmen, darf es auch bei uns keine Tabus geben, und in diesem Zusammenhang sehe ich auch die Notwendigkeit der Aufnahme von Kontakten mit der Volkskammer, und zwar im Rahmen eines immer enger werdenden Beziehungsgeflechts beider deutscher Staaten.

    (Beifall bei der SPD — Reddemann [CDU/ CSU]: Was wollen Sie denn mit einer InstiDr. Haack tution, die nichts zu sagen hat, verhandeln? — Zurufe von der SPD)




    — ich möchte zu Ihrem Zuruf keine ironische Bemerkung über die Einflußmöglichkeiten von Abgeordneten in frei gewählten Parlamenten machen.
    Im innerdeutschen Verhältnis bleibt noch viel zu tun. Allerdings dürfen beide deutschen Staaten ihren Spielraum nicht überschätzen und — das sage ich genauso deutlich — ihre Bindungen und Abhängigkeiten nicht vergessen.
    Ich möchte eine abschließende Bemerkung machen. Das amerikanische Aspen-Institut hat vor über zwei Jahren eine Gruppe früherer westlicher Regierungschefs und Minister, unter ihnen Helmut Schmidt, beauftragt, gemeinsam über eine neue Politik nachzudenken. Der Bericht dieser Gruppe ist vor etwa zwei Monaten vorgelegt worden. Unter dem Oberbegriff „Eine neue Objektivität" heißt es dort u. a.:
    Die Ost-West-Beziehungen werden weiterhin eine Mischung aus Wettbewerb und Kooperation mit wechselnden Akzenten bleiben. Kluge Politik bedeutet behutsame Steuerung des Wettbewerbs und unermüdliche Förderung der Zusammenarbeit. Die erste Pflicht der Staatsmänner und das Fundament der westlichen Politik ist die Verhinderung eines Krieges zwischen Ost und West.
    Diese Elemente einer neuen Objektivität bieten einen umfassenden Rahmen für gemeinsame politische Initiativen des Westens im Blick auf den Osten.
    Objektives Vorgehen schließt sowohl Gleichgültigkeit gegenüber moralischen Gesichtspunkten wie auch Kreuzzugsmentalität aus. Es ist weder Ausdruck eines wirklichkeitsfremden Optimismus noch Zeichen eines tristen Pessimismus. Diese neue Objektivität muß eine historische Perspektive aufzeigen. Wenn sie zum Erfolg führen soll, muß sie über eine lange Zeit, über Jahrzehnte hinweg, durchgehalten werden.
    Ich meine, auch die Deutschlandpolitik als Bestandteil dieser Ost-West-Beziehungen braucht eine historische Perspektive, und um sie sollten wir uns gemeinsam bemühen.

    (Beifall bei der SPD)