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ID1012201500

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    Plenarprotokoll 10/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9009 A Bericht zur Lage der Nation Dr. Kohl, Bundeskanzler 9009 B Dr. Apel SPD 9017 C Dr. Dregger CDU/CSU 9023 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9027 C Hoppe FDP 9030 D Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 9033 D Büchler (Hof) SPD 9037 A Genscher, Bundesminister AA 9039 D Schlaga SPD 9043 D Lintner CDU/CSU 9045 C Handlos fraktionslos 9047 C Schneider (Berlin) GRÜNE 9049A Dr. Haack SPD 9050 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 9053 B Dr. Vogel SPD 9054 B Nächste Sitzung 9058 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9059* A Anlage 2 INFCE-Empfehlungen betr. den Anreicherungsgrad des Urans bei der Produktion von Kernbrennstäben MdlAnfr 5, 6 07.12.84 Drs 10/2587 Becker (Nienberge) SPD ErgSchrAntw PStSekr Spranger BMI . . 9059* B auf ZusFr Catenhusen SPD Anlage 3 Polnische Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland seit 1980 MdlAnfr 44 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU ErgSchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . 9059*D auf ZusFr Dr. Hupka Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 9009 122. Sitzung Bonn, den 27. Februar 1985 Beginn: 14.00 Uhr
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    Berichtigung 121. Sitzung, Seite 9005* C; nach der 21. Zeile ist nach dem Wort „vorgesehen" einzufügen: „steuerlichen Gleichbehandlung von eigengenutzten". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 1. 3. Breuer 1. 3. Büchner (Speyer) * 1. 3. Dr. von Bülow 28. 2. Dr. Bugl 28. 2. Cronenberg (Arnsberg) 27. 2. Ertl 1. 3. Gallus 1. 3. Frau Gottwald 1. 3. Haehser 1. 3. Dr. Hauff 1. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 2. Jung (Düsseldorf) 1. 3. Frau Kelly 1. 3. Dr. Kreile 27. 2. Frau Dr. Lepsius 1. 3. Lohmann (Witten) 27. 2. Mischnik 27. 2. Dr. Müller 1. 3. Polkehn 1. 3. Dr. Scheer 28. 2. Schlottmann 1. 3. Dr. Schöfberger 1. 3. Schröder (Hannover) 27. 2. Frau Simonis 1. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 1. 3. Stockhausen 1. 3. Uldall 27. 2. Voigt (Frankfurt) 27. 2. Weinhofer 1. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Ergänzende Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) zu der Frage des Abgeordneten Becker (Nienberge) (SPD) (Drucksache 10/2587 Fragen 5 und 6, 110. Sitzung, Seite 8210 B): Ihre Zusatzfrage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen in- Anlagen zum Stenographischen Bericht nerhalb weniger Jahre auf Brennelemente mit niedrig angereichertem Uran umgestellt werden könnte, ohne daß es zu einer Betriebsunterbrechung kommen müßte, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre Zielsetzung, hochangereichertes Uran möglichst wenig einzusetzen? beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Forschung und Technologie wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß eine Umstellung des THTR-300 vom beantragten und genehmigten Thorium/Uran-Kreislauf auf einen anderen Zyklus mit niedrigerer Anreicherung aus heutiger Sicht technisch innerhalb einiger Jahre möglich sein kann. Zu gegebener Zeit werden für den THTR-300 unter Auswertung der Betriebserfahrungen mit dem Betreiber die sicherheitstechnischen und betrieblichen Voraussetzungen einer Umstellung auf niedrig angereichertes Uran zu prüfen sein. Bei der Planung von Nachfolgerreaktoren dieser Linie wird der Einsatz von Brennelementen mit niedriger angereichertem Uran verfolgt. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 44, 114. Sitzung, Seite 8489): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1985 haben Sie im Anschluß an die Beantwortung der Frage 44 die Zusatzfrage gestellt, wie viele der dem Ausländerzentralregister zwischen 1980 und 1984 gemeldeten 20 952 polnischen Staatsangehörigen, die zugezogen sind, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, wieder zurückgegangen sind. Die Bundesregierung kann diese Frage nicht beantworten, weil ihr entsprechende Angaben nicht zur Verfügung stehen. Dies beruht zum einen darauf, daß nicht alle polnischen Staatsangehörigen, die in ihr Heimatland zurückkehren, sich bei den zuständigen deutschen Behörden abmelden und zum anderen darauf, daß bei der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland Zählkontrollen nicht durchgeführt werden.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Von der FDP geduldeter CDUMinderheitssenat; eine SPD, die noch keine einheitliche Linie gefunden hat; eine kaputte Stadt, gebeutelt von Problemen, unter denen das der Hausbesetzung nur eines ist.
    Meine Damen und Herren, das war in der Tat der Augenblick, in dem ein CDU-Minderheitssenat die Verantwortung für die Stadt übernahm. Es war aber auch die Stunde, in der die Freien Demokraten mit den Abgeordneten ihrer Fraktion die Wahl Richard von Weizsäckers im Abgeordnetenhaus überhaupt erst möglich machten. Mit dem Eintritt der Freien Demokraten in den Senat wurde dann eine Politik stabilisiert, die sich am Dreiklang Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur orientiert, die den Bürgern in der Stadt wieder Selbstvertrauen gab, die wieder Sympathie für die Stadt gewann, die Arbeitsplätze schuf und zukunftsorientierte Branchen in die Stadt brachte.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, das Bild Berlins von heute im Vergleich zu 1981 spricht für sich, und es spricht wahrlich Bände. Sich zu diesem Anteil einer erfolgreichen Politik zu bekennen und für ihre Fortsetzung zu werben, fällt den Freien Demokraten wahrlich nicht schwer. Schließlich muß Berlin an der Nahtstelle zwischen Ost und West stabil bleiben. Nur dann werden die im Interesse der Menschen im geteilten Deutschland notwendigen deutschlandpolitischen Impulse auch künftig von Deutschlands Mitte ausgehen können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
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Das Wort hat der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin.

(Beifall bei der CDU/CSU — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Da kommt er angedakkelt!)


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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nation und Staat, das ist zweierlei. Wir Deutschen haben es wieder lernen müssen: Nation, das ist der durch Menschen verkörperte Wille zu Gemeinsamkeit, und ein solcher Wille ist trotz oder gerade wegen der Art und Weise der Teilung bei uns Deutschen da. Er ist stärker geworden, und das ist gut so. Aber ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl wird auf Dauer nur erhalten, wenn Bedingungen vorliegen, die Möglichkeiten für seine Entfaltung bieten, und das setzt ein hohes Maß an Kommunikation, an Begegnung, an Gesprächen, an denselben Fragen der Menschen und an ähnlichen Antworten voraus.
    Berlin, die Stadt, von der hier mehrfach die Rede war, Berlin-West und -Ost, das ist der Ort, wo deutsche Gesprächsfäden zusammenfinden. In Berlin verbindet sich die Offenheit der Metropole mit der Last und Enge der deutschen Teilung, und jenseits



    Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin)

    aller nationalen Aufgaben Berlins ist es vor allem dieses, was Leben und Arbeiten in Berlin so faszinierend macht. In Berlin werden Anstöße aus der DDR am ehesten aufgenommen. In Berlin ist gemeinsam erlebte Geschichte spürbar und gemeinsame Zukunft wenigstens vorstellbar. Gestatten Sie mir auch diesen Satz: Berlin ist auf vielfache Weise der DDR und ihren Bewohnern am nächsten.
    Mir sind hier vom Kollegen Apel zur Entwicklung in Berlin eine Reihe von Fragen gestellt worden, und ich bin aufgefordert worden, Anmerkungen zu der Rede des Herrn Bundeskanzlers zu machen. Mir wurde nahegelegt, etwas zu korrigieren. Herr Kollege Apel, ich habe keine Veranlassung, etwas zu korrigieren. Es war richtig, was dargestellt worden ist. Ich habe Veranlassung, seitens der Berliner, seitens des Berliner Senats der Bundesregierung für Engagement für Berlin und in der deutschen Frage zu danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gestatten Sie mir auch einen weitergehenden Hinweis. Der Tagesordnungspunkt, zu dem wir sprechen, heißt bewußt nicht: „Aktuelle Fragen der Deutschlandpolitik unter besonderer Berücksichtigung von bevorstehenden Wahlen". Ich will mich daran halten, daß dieser Tagesordnungspunkt nicht so heißt.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Deswegen, meine Damen und Herren, sehe ich meine Aufgabe hier heute darin, in der Debatte über die Lage der deutschen Nation vorwiegend von dem zu sprechen, was in Ost-Berlin und in der DDR die Menschen bewegt; denn die Aufmerksamkeit in der DDR uns gegenüber ist — vom einfachen Mann auf der Straße bis hin zum Generalsekretär der SED — um ein Vielfaches höher, als das umgekehrt der Fall ist. Meine Damen und Herren, was wir sagen und wie wir es sagen, mit welchem Engagement wir Deutschlandpolitik betreiben, all das wird in Magdeburg, in Rostock und in Ost-Berlin viel genauer registriert, als wir das umgekehrt tun.
    Ich möchte die westdeutsche Öffentlichkeit genau auf diesen Punkt hinweisen, und ich möchte hier vor dem Deutschen Bundestag ein Plädoyer halten, die DDR ernst zu nehmen. Ernst nehmen, das heißt natürlich nicht lieben, das heißt nicht vertuschen, nicht die Augen zudrücken, nicht schweigen. Ernst nehmen heißt eben auch, unterschiedliche Auffassungen über Freiheit, über Menschenrechte, über die Notwendigkeit einer unzensierten Presse laut und deutlich auszusprechen. Das ist hier in dieser Debatte vielfach auch getan worden; wir tun das, und wir müssen das auch weiter tun. Aber unterschiedliche Auffassungen dürfen nicht zum Hindernis dafür werden, gegenseitig interessierende Fragen miteinander auch lösen zu können.
    Die DDR ernst nehmen, das hat Konsequenzen. Das heißt z. B., nicht zu vergessen, daß es der DDR in der Tat an Anerkennung fehlt. Aber es ist nicht primär die Anerkennung von außen, sondern es ist vor allem die Anerkennung durch die eigene Bevölkerung, die der SED fehlt.
    Die DDR ernst nehmen, das heißt z. B. eben auch, besorgt — ich betone das: besorgt — das zur Kenntnis zu nehmen, was dort in Schulen an Feindbildern über uns gelehrt wird.
    Aber, meine Damen und Herren, heute in dieser Debatte kommt es mir auf etwas anderes an. Was wird denn in unseren Schulen über Deutsche in der DDR gelehrt?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine gute Frage!)

    Wird dort überhaupt etwas gelehrt? Ernst nehmen, das heißt für mich nicht, Deutschlandpolitik nur in Rechtskategorien zu betreiben, in der Diskussion über Begriffe wie „Anerkennung" und „Respektierung". Es geht nicht um juristisches Anerkennen oder Respektieren oder ähnliche Formulierungen und Interpretationsnotwendigkeiten, sondern um Menschen und um Entwicklung bei uns und im anderen Teil Deutschlands.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß das Leben in der DDR gerade für uns bunter, nuancenreicher und interessanter ist, als wir es uns vielfach vorstellen können oder viele sich vorstellen wollen.
    Ich sage auch dies: Das Leben in der DDR ist in weiten Bereichen vielleicht auch intensiver, tiefer, wacher und kritischer, als es bei uns der Fall ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)

    Lassen Sie mich das an einem Beispiel der jüngsten Zeit aus Dresden darstellen, und zwar ausgehend von dem Gedanken an die Zerstörung der Stadt vor 40 Jahren.
    Bischof Hempel predigte in der Kreuzkirche, und er sagte: Es lastet, es blutet, daß zwei deutsche Staaten entstanden sind mit ihrer schweren Grenze. Er gab dabei dann aber auch zwei Ratschläge, auf die ich hier hinweisen möchte. Wenn wir, so sagte er, weiterkommen wollen, dann müssen wir mehr Stille suchen; eine Kirche, die auf erschöpfte Menschen noch mehr Berge an Werken lastet, macht am Ende enttäuscht und bitter.
    Der zweite Ratschlag: Menschen wahrnehmen. Was wäre das, so sagte Bischof Hempel, sich nicht nur abzugrenzen, sondern in Gesichter zu sehen, nicht auf Abzeichen, sondern auf die manchmal klaren und manchmal müden Augen zu sehen?
    Wenn wir das tun, meine Damen und Herren, werden wir natürlich auch Enttäuschungen erleben, aber wir werden noch mehr Probleme entdecken, die wir miteinander haben, in einer geeinten, in einer einigen Nation. Wir werden auch erfreuliche Entdeckungen machen, nämlich einmal, daß wir viele gemeinsame Probleme haben. Vor allem werden wir entdecken, welche Fülle von deutschen Gemeinsamkeiten dieser gesellschaftlichen Gegenwart es gibt, die Sprache beispielsweise. Es wird oft gesagt, die Sprache in Ost- und Westdeutschland würde sich auseinanderentwickeln. Sie hat sich nicht wesentlich auseinanderentwickelt. Gerade vor kurzem haben Experten in Tutzing festgestellt, daß die bundesdeutsche Alltagssprache mehr mit der



    Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin)

    Sprache in der DDR gemein hat als mit der Sprache beispielsweise in Österreich oder im deutschsprachigen Teil der Schweiz.
    Ein anderes Thema: Frauen in Ost und West fragen ganz genauso nach der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kindererziehung, nach den Grundlagen einer partnerschaftlichen Ehe. In dieser einen deutschen Gesellschaft in den zwei deutschen Staaten gibt es ganz ähnliche Phänomene, die auch viele von Ihnen — möglicherweise sogar leidvoll — in ihrer Familie erfahren, nämlich daß Jugendliche insbesondere aus sogenannten guten Familien plötzlich zu „Aussteigern" werden. Zur deutschen Gemeinsamkeit, zu dieser einen deutschen Nation gehört auch, daß Udo Lindenberg, die Gruppe BAP oder die Phudys in Ost und West genauso beliebt sind. Und uns alle in Ost und West — ganz gleich ob in Tübingen oder in Weimar — bewegt die Umweltverschmutzung.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Und der Dackel!)

    Meine Damen und Herren, selbst der Versuch der SED, sich jetzt aus der ganzen deutschen Geschichte mit Hilfe einiger Argumentationskünste zu legitimieren, sich selbst zu legitimieren, wird im Ergebnis nur zu mehr Gemeinsamkeiten führen. Lassen Sie es mich einmal ganz einfach ausdrücken: Geschichtliche Fakten sind stärker als der, der sich auf diese geschichtlichen Fakten beruft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Macht der gemeinsamen Geschichte, meine Damen und Herren, wird auch die einholen, die gerade die Teilung mit der Geschichte rechtfertigen wollen.
    Meine Damen und Herren, die Kirchen sind ein ganz wichtiges Element der Gemeinsamkeit zwischen den Deutschen. Sie sind ein sensibles Element in der DDR. Gerade sie habe ich auch vor Augen, wenn ich dafür plädiere, die DDR ernst zu nehmen. Wenn z. B. in einem Hirtenbrief der katholischen Bischöfe an die Jugend der Mut zum Anderssein gefordert wird, dann wird sofort hinzugefügt, das heiße nicht — ich zitiere —, „gegen die anderen zu sein und in dauernder Opposition zu leben". Auch so kann man anders sein. Brauchen wir nicht auch bei uns genau in diesem Sinne eine Begriffsdefinition der Möglichkeit, anders zu sein: nicht gleich immer gegen zu sein, und zwar fundamental gegen zu sein?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein Wort zur evangelischen Kirche. Wie Sie wissen, postulieren die beiden Teile der evangelischen Kirchen — also die evangelischen Kirchen in West und Ost — trotz ihrer organisatorischen Trennung eine besondere Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland. Und der Präsident des evangelischen Konsistoriums in Ost-Berlin, Manfred Stolpe, benennt die Substanz dieser Gemeinschaft so — ich zitiere das —: Neben der „Gemeinsamkeit in Sprache, in Kultur, vor allem in deutscher Geschichte als einer Haftungsgemeinschaft" seien es die „Gemeinsamkeiten im Bekenntnis, in der Liturgie, im Gesangbuch und vor allem auch in der Friedensfrage". Ich denke, in dem, was hier aus dem Bereich der DDR „besondere Gemeinschaft" genannt wird, steckt ein wichtiges Stück gemeinsamer deutscher Nation.
    Aber, meine Damen und Herren, ich will auch nicht verschweigen, was Manfred Stolpe dann noch hinzugefügt hat:
    Besondere Gemeinschaft selbständiger und unabhängiger Partner, die dennoch zutiefst verbunden sind, wird sich auch darin üben müssen, kritisch miteinander mitzudenken, um sich gegenseitig zu helfen.
    Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist eine Aufforderung, der wir uns stellen müssen. Wir müssen kritisch miteinander mitdenken im geteilten Deutschland, gerade wenn wir uns helfen wollen und wenn die deutsche Nation in ihrer Einheit erhalten bleiben soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Lassen Sie mich noch ein paar Anmerkungen zur Wirtschaft machen. Ein an Ergebnissen orientierter Dialog, den Erich Honecker will — so formuliert er das immer — und den auch wir wollen — der Bundeskanzler hat es heute, Vertreter der Fraktionen haben es heute gesagt —, ist am erfolgreichsten in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit möglich. Damit es da keine Mißverständnisse gerade in bestimmten Zeiten gibt: Wir wollen die Zusammenarbeit nicht etwa nur auf wirtschaftliche Zusammenarbeit konzentrieren, sondern hier geht es um menschliche Erleichterungen. Hier geht es um mehr Kontakte, hier geht es um Reise- und Besuchsmöglichkeiten, hier geht es um Kulturabkommen, hier geht es um wirtschaftliche Zusammenarbeit, um Umweltschutz. Aber ich wiederhole: Ein an Ergebnissen orientierter Dialog kann am erfolgreichsten in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sein.
    Wie ist denn die Lage der DDR-Wirtschaft? Trotz aller Skepsis gegenüber jeder amtlichen Statistik, insbesondere einer Planwirtschaft, wird man doch sagen können, daß die DDR die höchstentwickelte Volkswirtschaft des RGW ist. Erstmals seit der drastischen Verteuerung der Rohstoffe durch die Sowjetunion hat die DDR wieder einen Exportüberschuß gegenüber der Sowjetunion erreicht. Ihre Verschuldens- und Devisenlage ist besser geworden. Viele auch in diesem Raum, die sich mit Deutschlandpolitik beschäftigen, mit Möglichkeiten gemeinsamer Projekte im Bereich der Wirtschaft, zerbrechen sich im Augenblick schon den Kopf über die Hamstermentalität der DDR-Führung im Bereich der Devisenwirtschaft.
    Meine Damen und Herren, also insgesamt kein von vornherein schlechtes Bild von der DDR-Wirtschaft, aber es gibt eine Reihe von Problemen. Auf ein Problem will ich hier insbesondere hinweisen, weil es für uns dabei Chancen geben kann. Es mangelt vor allem an Investitionen für Innovationen. Weniger Öl aus der Sowjetunion, weniger Steinkohle aus Polen, die forcierte Umstellung auf die heimische Braunkohle, all das hat die Investitions-



    Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin)

    tätigkeit der DDR betroffen, und zwar zutiefst. Mehr Braunkohle als Primärenergie belastet zudem die Umwelt beträchtlich, was insbesondere für die Region Berlin immer wieder eine schmerzhafte Erfahrung ist. Die DDR hat hier also eine Investitionslücke. Ihre wirtschaftlichen Entscheidungen der Vergangenheit gehen sehr stark auf Kosten der Umwelt. Dieses sage ich übrigens auch gerade vor dem Hintergrund sehr persönlicher Erfahrungen in der Umweltpolitik und in den Anregungen zur Umweltpolitik, zur gemeinsamen Umweltpolitik. Ich sage dieses ohne Besserwisserei. Denn was ein verschlafener Strukturwandel und was Umweltschäden durch Kraftwerke sind, das wissen wir hier genauso wie die Bürger irgendwo in Cottbus oder in Ost-Berlin. Mir geht es vielmehr darum, unser aller Aufmerksamkeit auf die Chancen zu richten, die in dieser Investitionslücke liegen, und zwar insbesondere dann, wenn man dabei den Zusammenhang mit den Entscheidungen für den nächsten Fünfjahresplan der DDR bedenkt. Es liegen Chancen darin, diese Lücke gemeinsam zu schließen. Wir sollten alle Kraft und mehr Phantasie dafür einsetzen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der DDR eben nicht nur — und nicht einmal der Eindruck darf entstehen — darauf zu konzentrieren, Kredite zu geben oder Jeans oder billige Möbel in der DDR zu kaufen. Wichtiger ist eine betriebsbezogene Zusammenarbeit zum beiderseitigen Vorteil, und zwar insbesondere bei Investitionsgütern. So haben wir ein Interesse daran, insbesondere von Berlin aus und auch über Berlin neue Märkte zu erschließen. Vor allem im Umweltschutz liegt uns daran, Umwelttechnik aus Berlin, verbunden mit den Anstrengungen, die in der Stadt selber vorgenommen werden, anderen anzubieten. Die andere Seite hat ein Interesse, ja, einen dringenden Bedarf an Umweltinvestitionen.
    Wir wissen, meine Damen und Herren, daß sich das Umweltthema ähnlich wie das Friedensthema in der DDR zu einer ganz sensiblen Frage entwikkelt. Das muß seine Auswirkungen auf den Umgang miteinander haben, aber nicht auf die Sache. Denn unsere Enkel werden uns nicht danach fragen, welche Ideologie wir hatten, unter welchen ideologischen Vorzeichen wir an bestimmte Probleme herangegangen sind, als der Wald starb, sondern sie werden schlicht und ergreifend fragen, was wir unabhängig von unserer gesellschaftspolitisch-ideologischen Einstellung getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie des Abg. Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE])

    Noch ein Wort zur Finanzierung. Jeder weiß doch, daß gerade in der Luftreinhaltung jede Mark mehr wert ist, je näher sie an der Quelle der Umweltbelastung ausgegeben wird. Diese Erkenntnis kann und soll ihre Auswirkung auf die Kostenverteilung haben, wenn z. B. die Vorteile eines sauberen Schornsteins den Menschen in Magdeburg, Helmstedt, Potsdam und Berlin gleichermaßen zugute kommen.
    Ich bin — meine Damen und Herren, das sage ich vor dem Hintergrund der finanz- und haushaltspolitischen Debatte — ein leidenschaftlicher Anhänger der Europäischen Gemeinschaft, des Baus einer politischen Union Europas. Wie wir alle wissen, kostet das Geld, kann es viel Geld kosten. Aber ich muß Ihnen gestehen: Ich bin genauso ein leidenschaftlicher Anhänger der Einheit der deutschen Nation. Was uns Europa dort wert ist, das ist uns auch die Einheit der deutschen Nation und das sind uns gemeinsame Projekte im Bereich von ganz Deutschland und Mitteleuropa wert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Diederich [Berlin] [SPD])

    Meine Damen und Herren, ich habe hier die Interessen Berlins zu vertreten. Diese bestimmen sich aus der Rolle als europäischer Metropole. Berlin braucht die Bindung zum Bund ebenso wie die Anwesenheit der westlichen Alliierten. Daran, daß die Alliierten in Berlin willkommen sind, darf kein Zweifel aufkommen. Das muß hier in jeder Debatte ausdrücklich unterstrichen werden. Denn wir von Berlin aus können unsere Aufgabe als ein Zentrum der Kommunikation zwischen Ost und West nur dann wahrnehmen, wenn wir in die westliche Wertegemeinschaft fest eingebunden sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Sonst entziehen wir dem die Grundlagen.
    Aber Berlin bestimmt sich eben auch aus der Nähe zur DDR. Unser Ziel ist es, die Breite und Tiefe der Zusammenarbeit mit Ost-Berlin und der DDR zu verbessern. Dies muß in klarer Kenntnis auch der uns trennenden Grundsätze und damit auch der Grenzen der Zusammenarbeit geschehen. Ich glaube nicht, daß es sinnvoll ist, immer über systemimmanente Grenzen der Möglichkeit von Zusammenarbeit zu diskutieren. Damit behindert man mehr das, was Erich Honecker ein am Erfolg, an den Möglichkeiten der deutschen Zusammenarbeit orientiertes Gespräch nannte. Man behindert durch manche Themen mehr das Vorwärtskommen im Sinne der Menschen.
    Aber wenn ich auf diese Grenzen hier auch hinweise, so wollen wir doch in ganz Deutschland so viel Gemeinsamkeit wie nur irgend möglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Debatte über den Bericht zur Lage der Nation erinnert uns alle daran, daß wir uns in der Deutschlandpolitik dem Wesentlichen zuwenden, nicht den Rechtsfragen, nicht der Juristerei, nicht den feingesponnenen Diskussionen um diese Themen,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    nicht den unüberwindbaren Systemgrenzen, sondern der geteilten Nation, dem Wunsch nach Begegnung, den Interessen der Beteiligten, meine Damen und Herren, eben den Menschen im geteilten Deutschland.
    Vielen Dank.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Beifall des Abg. Diederich [Berlin] [SPD])