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ID1012201200

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    Plenarprotokoll 10/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9009 A Bericht zur Lage der Nation Dr. Kohl, Bundeskanzler 9009 B Dr. Apel SPD 9017 C Dr. Dregger CDU/CSU 9023 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9027 C Hoppe FDP 9030 D Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 9033 D Büchler (Hof) SPD 9037 A Genscher, Bundesminister AA 9039 D Schlaga SPD 9043 D Lintner CDU/CSU 9045 C Handlos fraktionslos 9047 C Schneider (Berlin) GRÜNE 9049A Dr. Haack SPD 9050 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 9053 B Dr. Vogel SPD 9054 B Nächste Sitzung 9058 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9059* A Anlage 2 INFCE-Empfehlungen betr. den Anreicherungsgrad des Urans bei der Produktion von Kernbrennstäben MdlAnfr 5, 6 07.12.84 Drs 10/2587 Becker (Nienberge) SPD ErgSchrAntw PStSekr Spranger BMI . . 9059* B auf ZusFr Catenhusen SPD Anlage 3 Polnische Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland seit 1980 MdlAnfr 44 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU ErgSchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . 9059*D auf ZusFr Dr. Hupka Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 9009 122. Sitzung Bonn, den 27. Februar 1985 Beginn: 14.00 Uhr
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    Berichtigung 121. Sitzung, Seite 9005* C; nach der 21. Zeile ist nach dem Wort „vorgesehen" einzufügen: „steuerlichen Gleichbehandlung von eigengenutzten". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 1. 3. Breuer 1. 3. Büchner (Speyer) * 1. 3. Dr. von Bülow 28. 2. Dr. Bugl 28. 2. Cronenberg (Arnsberg) 27. 2. Ertl 1. 3. Gallus 1. 3. Frau Gottwald 1. 3. Haehser 1. 3. Dr. Hauff 1. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 2. Jung (Düsseldorf) 1. 3. Frau Kelly 1. 3. Dr. Kreile 27. 2. Frau Dr. Lepsius 1. 3. Lohmann (Witten) 27. 2. Mischnik 27. 2. Dr. Müller 1. 3. Polkehn 1. 3. Dr. Scheer 28. 2. Schlottmann 1. 3. Dr. Schöfberger 1. 3. Schröder (Hannover) 27. 2. Frau Simonis 1. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 1. 3. Stockhausen 1. 3. Uldall 27. 2. Voigt (Frankfurt) 27. 2. Weinhofer 1. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Ergänzende Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) zu der Frage des Abgeordneten Becker (Nienberge) (SPD) (Drucksache 10/2587 Fragen 5 und 6, 110. Sitzung, Seite 8210 B): Ihre Zusatzfrage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen in- Anlagen zum Stenographischen Bericht nerhalb weniger Jahre auf Brennelemente mit niedrig angereichertem Uran umgestellt werden könnte, ohne daß es zu einer Betriebsunterbrechung kommen müßte, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre Zielsetzung, hochangereichertes Uran möglichst wenig einzusetzen? beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Forschung und Technologie wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß eine Umstellung des THTR-300 vom beantragten und genehmigten Thorium/Uran-Kreislauf auf einen anderen Zyklus mit niedrigerer Anreicherung aus heutiger Sicht technisch innerhalb einiger Jahre möglich sein kann. Zu gegebener Zeit werden für den THTR-300 unter Auswertung der Betriebserfahrungen mit dem Betreiber die sicherheitstechnischen und betrieblichen Voraussetzungen einer Umstellung auf niedrig angereichertes Uran zu prüfen sein. Bei der Planung von Nachfolgerreaktoren dieser Linie wird der Einsatz von Brennelementen mit niedriger angereichertem Uran verfolgt. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 44, 114. Sitzung, Seite 8489): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1985 haben Sie im Anschluß an die Beantwortung der Frage 44 die Zusatzfrage gestellt, wie viele der dem Ausländerzentralregister zwischen 1980 und 1984 gemeldeten 20 952 polnischen Staatsangehörigen, die zugezogen sind, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, wieder zurückgegangen sind. Die Bundesregierung kann diese Frage nicht beantworten, weil ihr entsprechende Angaben nicht zur Verfügung stehen. Dies beruht zum einen darauf, daß nicht alle polnischen Staatsangehörigen, die in ihr Heimatland zurückkehren, sich bei den zuständigen deutschen Behörden abmelden und zum anderen darauf, daß bei der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland Zählkontrollen nicht durchgeführt werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Antje Vollmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemanden unter Ihnen, der eingeweiht ist, wird es verwundern, daß ich auf meine kurze Rede neulich anläßlich der Aktuellen Stunde über das Schlesier-Motto die allerheftigsten Reaktionen bekommen habe. Ich hatte damals gesagt, ich hielte Verzichtspolitik heutzutage für die ernsthafteste Friedenspolitik. Nicht indem ich z. B. für die Bäuerin aus Schlesien auf ihren Buchsbaum-Garten und ihre Sauerkirschbäume verzichten könnte — zu dieser Art von Verzicht auf heimatliche Vertrautheiten muß sich jeder schon selbst durchkämpfen —, aber doch in dem Sinne, daß ich meine, daß Verzicht auf Gewalt, Verzicht auf Grenzrevisionen und Verzicht auf Gebietsansprüche heute für einen Politiker allerdringendste und allerernsthafteste Friedenspolitik wären.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Auch hatte ich die Vertriebenen gebeten, 40 Jahre nach Kriegsende den Begriff „Vertriebene" zu überdenken und sich als Zeichen praktischer friedenschaffender Politik umzubenennen mit einem Namen, der die Charta von Stuttgart wirklich im Namen ausdrückt und damit auch Frieden schafft.
    Was mir bei diesen Reaktionen zu denken gegeben hat, waren nicht so sehr die Empörung, die Beschimpfungen und der Haß, der darin stand, sondern es war in manchen Briefen eine besondere Form sadistischer Gewalttätigkeit, mit der uns nicht nur Tod und Vertreibung, sondern auch ein besonders qualvolles, langandauerndes Verrecken, säuberlich ausgemalt, angekündigt wurde. Ich weiß, daß Politiker aus allen Parteien solcherlei Briefe kriegen, wenn auch die Art von sexistischen Phantasien, in der uns Grünen Frauen wechselweise Feindbilder wie „Russen" oder „Neger" über den Leib gejagt werden, um uns zur Räson zu bringen, schon unser besonderes Los zu sein scheint. Ich weiß, daß man darüber normalerweise nicht spricht. Aber ich spreche darüber, weil ich laut fragen will, ob diese Briefe so auch in anderen Völkern geschrieben werden und ob sie nicht mit unserer ganz besonderen deutschen Form von Vergangenheitsbewältigung zu tun haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wirklich unerträglich! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ CSU]: Was haben Sie denn bei der Nachrüstung geschrieben und schreiben lassen?!)

    Damit bin ich bei meinem Thema. In diesem Jahr, dem 40. Jahr nach der Befreiung vom Hitler-Fa-



    Frau Dr. Vollmer
    schismus, hat uns die Vergangenheit mit voller Wucht eingeholt. Alle sind davon eingeholt worden, wir GRÜNEN in besonderer Weise, teils, indem wir uns selber als Erben dieser deutschen Vergangenheit begreifen, teils, indem sich an uns und unserer Bewegung eine eigenartige Form von Vergangenheitsbewältigung abarbeitet mit Anschuldigungen und Vergleichen, die uns wechselweise als Nazis, als Kommunisten oder als „Pazifisten, die Auschwitz erst ermöglicht hätten" (so Heiner Geißler) beschimpfen.
    Statt einer ehrlichen Vergangenheitsbewältigung gab es in dieser Republik viele kleine und große Fluchten und eine Verdrängung in den Mythos in unterschiedlicher Weise.
    Der erste Mythos sieht so aus: Der 8. Mai war die Stunde Null, der absolute Neuanfang, nach der Melodie: Alles neu macht der 8. Mai. Das ist die Methode von Helmut Kohl, der von sich sagt: Ich war damals 15 Jahre alt. Der Logik dieses Ansatzes entspricht es, daß alles nivelliert wird. Da heben sich Auschwitz und Dresden gegeneinander auf, die Ausrottung des Warschauer Ghettos und die Bombardierung Hamburgs. Da kniet man nicht mehr nieder, sondern gibt sich die Hand über den Gräbern von Verdun, punktum. Da plant man sogar, sich die Hand in Danzig zu geben. Da wird ein Mahnmal für alle Toten gemeinsam geplant: für die ehemaligen Opfer wie für die ehemaligen Täter. Das Vergangene wird sozusagen im Weitergehen behandelt, mit wohlgemuter Zuversicht auf die optimistische Wende, daß wir es schon wieder zu etwas bringen werden in der Welt, wenn nur die anderen erst einmal die Leichtigkeit unseres Vergessens erlernt haben.
    Die zweite Methode der Vergangenheitsbewältigung ist auf den Mythos gestützt: Braun ist gleich rot. Dies war die vorherrschende Form der Vergangenheitsbewältigung in der frühen Nachkriegszeit und ist heute noch entschieden die Methode von Herrn Dregger bis zu Herrn Hupka. Durch die Gleichsetzung „kommunistische Diktatur" gleich „Faschismus" mogelt man sich als überzeugter Antikommunist selbst flugs zum Antifaschisten um. Umgekehrt gehört dazu bis heute hin, daß der gesamte antifaschistische Widerstand der Kommunisten, der Sozialisten und auch der Sozialdemokraten nicht anerkannt oder doch in seiner Bedeutung unterschätzt wird. Der einzige hochgeschätzte Widerstand gegen den Nationalsozialismus blieb so der aus konservativer oder religiöser Grundhaltung, weil er am bruchlosesten in die CDU-Nachkriegspolitik einging. Die Legitimation für wahrhaften Antifaschismus nach dieser Version ist außer wehrhaftem Antikommunismus heute, daß wir uns — wir haben es heute auch von Herrn Kohl und Herrn Dregger gehört — für die Werte des Westens, für die NATO und neuerdings auch für die eilige Beteiligung an der Weltraumrüstung der Amerikaner starkmachen. Letzteres ist mir eine wirklich gespenstische Lehre aus unserer deutschen Geschichte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der dritte Mythos der Vergangenheitsbewältigung ist schön ausgedrückt in einem Satz von Herrn Mertes: Zu große nationale Schuldgefühle würden den Pazifismus und Neutralismus hierzulande verstärken. Also brauchen wir nationale Entlastung. Es entstand der Mythos des verführten Volkes, klassisch in der Formulierung: Hitler beging seine Verbrechen im Namen des deutschen Volkes. So wäre dann das deutsche Volk daran nur in der Form beteiligt gewesen, daß es seinen guten Namen mißbrauchen ließ! Ganz nebenbei ermöglicht dies wiederum einen guten bruchlosen Bezug zu allen nationalen Traditionen — eben mit Ausnahme des zwölfjährigen Unfalls —, also z. B. zu den Preußen, und zu Bismarck und zum Kaiserreich allemal.
    Alle diese Verdrängungsmythen sind untauglich, die einzige, die wirkliche deutsche Frage zu lösen, die nach dem Ende dieses Krieges offengeblieben ist: wie man als Deutscher mit einer solchen nationalen Vergangenheit überhaupt leben kann, wie man sie bewältigen und bearbeiten kann und wie man daraus eine Zukunft entwickeln kann.
    Wenn Hitler und die Deutschen gesiegt hätten, dann gäbe es hier und jetzt in Europa nichts mehr, was nur von fern her an Kultur, an Demokratie und Humanität erinnerte. Dann existierte ein mächtiges und barbarisches Reich, das aus einem einzigen gewaltigen Friedhof bestünde: Deutschland, Deutschland über alles. Millionen redeten mit einer Stimme. Minderheiten, das wäre ein Name aus dem Geschichtsbuch, Jude ein historischer Begriff in einem Land, dessen Thingstätten, Ruhmeshallen und Totenburgen sich bis weit nach Asien hinein erstreckten.
    Die große Schwierigkeit an dem historischen Datum des 8. Mai 1945 war die: Der westliche Teil Deutschlands mußte nach diesem Krieg eine Demokratie mit zu wenigen Demokraten aufbauen, der östliche Teil einen Sozialismus mit zu wenigen Sozialisten. Heute, vierzig Jahre später, stehen wir da und räumen immer noch Trümmer weg, seelische und geistige Trümmer, und kommen nicht mehr auf den Grund.
    Da ist noch so viel verschüttet. Männer sind nachts schweißgebadet aufgewacht, ohne über ihre Beteiligung an Erschießungen, Plünderungen, Folterungen, an der Politik der verbrannten Erde in der Sowjetunion reden zu können. Frauen haben lieber zur Flasche gegriffen als mit ihren Männern über ihre Vergewaltigung reden zu können. Wir Jüngeren wissen so gut wie nichts über die Geschichten unserer Eltern und haben irgendwann aufgehört nachzufragen. Die DDR hat alle ehemaligen Nazis als im Westen wohnend erklärt. Die damaligen Juristen blieben irgendwann in Amt und Ehren. Herr Flick und BASF sind wieder tätig, weltweit und mit zweistelligen Zuwachsraten.
    Es gibt Dinge, die wird man nie verstehen, am wenigsten diese ungeheure, diese buchhalterische, diese typisch-deutsch-gründliche Vernichtung und Verarbeitung von Millionen Juden und Polen und Zigeunern und Kommunisten und Homosexuellen und Behinderten in den Gasöfen von Auschwitz bis zur fabrikmäßigen Verarbeitung ihrer Körperbe-



    Frau Dr. Vollmer
    Standteile, von Haaren und Goldzähnen und sogar des Körperfetts für Wehrmachtsseife. Wenn da noch eine Steigerung möglich ist: Fast noch unfaßbarer ist mir die Tatsache, daß heute, vierzig Jahre nach Auschwitz, die winzigen Reste der Juden in Deutschland unter Polizeischutz ihre Gottesdienste abhalten müssen.

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Das liegt an Ihnen!)

    Um es gleich zu sagen: Auch wir haben nur Lösungsansätze, keine fertigen Lösungen, die wir für die Bearbeitung der deutschen Vergangenheit, und zwar der ganzen Vergangenheit, vorschlagen.
    Erstens schlagen wir vor, unseren Platz unter den Völkern Europas so einzunehmen, daß wir gründlich Abstand nehmen, nicht nur von den faschistischen Allmachtsfantasien der Weltherrschaft der germanischen Herrenrasse, sondern auch von der nationalistischen Variante des nationalistischen preußischen Bismarckreiches, also von jeglicher Variante der Bedrohung unserer Nachbarvölker im Osten wie im Westen. Mögen andere Völker aus dem Krieg gegen das faschistische Deutschland die Lehre gezogen haben, daß sie für immer dagegen militärisch gewappnet sein müssen, für uns, für dieses Volk ist der Weg der militärischen Stärke kein Weg mehr,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    auch nicht in der Variante der Beteiligung an einer deutsch-französischen oder an einer westeuropäischen Nuklearstreitmacht à la Helmut Schmidt, und schon gar nicht in der Form der voreiligen Beteiligung an der amerikanischen Weltraumstrategie à la Helmut Kohl.
    Es erscheint mir mehr als erstaunlich, daß es in diesem Land fast 30 Jahre gebraucht hat, bis mit uns wieder eine Partei aufgestanden ist, die Neutralität, Blockunabhängigkeit und Verzicht auf militärische Rüstung wieder auf ihre Fahnen geschrieben hat,

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Weil wir 30 Jahre Frieden haben! Sie mit Ihrer Selbstgerechtigkeit!)

    wo dies doch die vorherrschende Meinung aller überlebenden Deutschen des letzten Kriegs gewesen war,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    und wo es doch das Vernünftigste und Nächstliegende für dieses Land ist, nicht nur auf Grund seiner Geschichte, sondern auch auf Grund seiner geographischen Lage heute zwischen den Militärblökken.
    Zweitens schlagen wir vor, unsere Realitäten, wie sie im Jahre 1985 aussehen, voll zur Kenntnis zu nehmen und in ihnen sogar eine große Chance für eine kommende Neuordnung Europas zu erblicken. Zu diesen Realitäten gehört, daß es in Ost wie in West weder heute noch in Zukunft irgendein Land gibt, das irgendeine Veränderung unserer Grenzen oder der Grenzen der DDR hinnehmen würde. Zu diesen Realitäten gehört, daß in Schlesien, in Ostpreußen und in Pommern heute Polen und zum Teil auch Russen ihre Heimat haben und haben werden. Jeder, der etwas anderes behauptet, betrügt die Vertriebenen und macht ihren Verlust durch falsche Hoffnungen schwerer. Zu diesen Realitäten gehört, daß es auf deutschem Boden heute zwei Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen gibt, denen man weder durch Flucht noch durch Leugnung der Wirklichkeit entfliehen sollte. Auf friedlichem Wege hat sich in den letzten Jahrhunderten eben kein einheitlicher deutscher Nationalstaat herstellen lassen, der auf Dauer in Frieden mit seinen Nachbarn leben konnte. Entwickelt hatten sich aber statt dessen auf deutschem Boden verschiedene stabile dezentrale Kultur- und Wirtschaftszentren. Darin liegt auch eine große Chance für ein Europa, das die Nationalstaaten insgesamt als historische Epoche überwinden will und überwinden muß. Denn die Zeit der Nationalstaaten ist eigentlich schon vorbei.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    In Kreisen der GRÜNEN, aber auch innerhalb der SPD ist die Diskussion darüber entstanden, daß es 40 Jahre nach Kriegsende Zeit ist, endlich einen dauerhaften Friedensvertrag zwischen den ehemaligen Feindstaaten und den beiden deutschen Staaten zu schließen. Dieser Friedensvertrag, zu dem ich Ihnen die Grundüberlegungen vorstellen will, würde folgendes bewirken und beinhalten:
    Es wird endlich auch rechtlich verbindlich Frieden geschlossen. Der Friedensvertrag-Vorbehalt, den wir heute so oft haben klingeln hören, würde endgültig entfallen.
    Beide deutsche Staaten sind Rechtsnachfolger des ehemaligen Deutschen Reiches und übernehmen damit ihren Teil Verantwortung — auch die DDR.
    Die Bundesrepublik Deutschland erkennt die DDR und ihre Staatsbürgerschaft an, und die Hallstein-Doktrin landet damit endgültig auf dem Müllhaufen der Geschichte.
    Die bestehenden Grenzen werden damit endlich auch rechtsgültig anerkannt, und jeder weiteren Spekulation wird der Boden entzogen.
    Beide deutsche Staaten werden gleichzeitig aus ihren Militärblöcken entlassen und bauen ihre militärischen Offensivwaffen ab.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Edle Einfalt!)

    Damit werden sie statt des Todesstreifens in einem möglichen neuen Krieg — denn Raketen sind und bleiben Magneten — zu einem Sicherheitspuffer zwischen den Blöcken.
    Drittens schlagen wir vor, die fortdauernden Feindbilder aufzuspüren, die über das Ende des Faschismus hinaus Menschen in diesem Land ungebrochen weiterhin zu Opfern machen. Auschwitz gehört immer noch zu unserer deutschen Identität. Mitglieder fremder Rassen und Völker werden im-



    Frau Dr. Vollmer
    mer noch gesetzlich und in der Alltagspraxis verachtet.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Unglaublich, was Sie da behaupten!)

    Gerade hier läge doch ein Bereich, an dem die einstmals vertriebenen Deutschen aus ihrer eigenen Lebenserfahrung eine besondere Sensibilität für tagtägliches Unrecht einzubringen hätten. Behinderte leben bei uns immer noch in Ghettos und auf der Rampe des Eingestuftwerdens, bis hin zu der Tatsache, daß die Wahrscheinlichkeit von Behinderungen ein Abtreibungsgrund ist, bis hin zu der Tatsache, daß die Zwangssterilisierung von Behinderten von weiten Teilen der Bevölkerung immer noch als vernünftig eingeschätzt wird.

    (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)

    Nach den Experimenten eines Eugenetikers wie Dr. Mengele gibt es kein Erschrecken über die Genmanipulationen in Forschung und Industrie, sondern Herr Riesenhuber meint, wir brauchten dabei baldmöglichst den Anschluß an die Weltspitze —

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie schmeißen hier wieder Birnen und Äpfel durcheinander! Das ist unglaublich!)

    obwohl es in diesem Land einmal die Praxis gegeben hat, Frauen zu Rassenzuchtexperimenten zu mißbrauchen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das hat doch mit Genmanipulation nichts zu tun!)

    Sinti und Roma und Homosexuelle bleiben in ihrer verachteten Isolierung und sind bis heute nicht in die Wiedergutmachung eingeschlossen. Hier haben wir ein weites Feld für beispielhafte Aufarbeitung, die uns immer noch möglich bleibt.
    Viertens sagen wir trotz alledem: Die Geschichte der Deutschen in diesem Jahrhundert zeigt auch, daß es in immer neuen Wellen basisdemokratische und ökologische Bewegungen mit großer Ausstrahlungskraft gerade auf junge Menschen gegeben hat und daß sich dieses Volk Schritt um Schritt wirkliche Demokratie von Grund auf aneignen wollte und aneignen will. Das waren im Kaiserreich sowohl die Arbeiterbewegung, die Frauenbewegung als auch Teile der Wandervogelbewegung, die dann im Ersten Weltkrieg verbluteten. Das war in der Weimarer Republik die freideutsche Jugendbewegung mit ihren Reformbewegungen der Siedlungen, der Naturfreunde, der Alternativkultur und der freien Schulen, die dann in der bündischen Jugend brutal in ihr Gegenteil verkehrt und zum Kanonenfutter getrimmt wurden. Das waren in der ersten Nachkriegszeit in der militärfreiesten Republik, die es je auf deutschem Boden gegeben hat, die Ostermarschbewegung und die antimilitaristischen Strömungen bis hin noch zum Ahlener Programm. Das war die Studentenbewegung bis zu ihrer Erschöpfung, an der leider diese uralte, elende sozialdemokratische Obrigkeitspraxis der Berufsverbote und Gewerkschaftausschlüsse nicht unschuldig war.
    Und das ist die heutige Friedens-, Frauen- und Ökologiebewegung, deren Teil auch wir sind.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Das sind nicht nur die GRÜNEN, das sind viel mehr!
    Ich sehe es immer noch als eine der erstaunlichsten Gegebenheiten in dieser Republik an, daß dies gelungen ist, daß diese Bewegungen nicht auf ewig zur außerparlamentarischen Existenz verurteilt sind und verurteilt waren, sondern so stark wurden, daß wir in diesem Parlament auf Ihrer Ebene, Herr Dregger, vom Volk gewählt, Sitz und Stimme und Rederecht haben. Wenn es auch Tendenzen gibt, die dies gern rückgängig machen wollen,

    (Dr:Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie rotieren doch freiwillig! Was soll denn der Unsinn!)

    wie z. B. Franz Josef Strauß, der wieder einmal diesen ganzen „Sumpf" trockenlegen will: auch er wird wie alle zur Kenntnis nehmen müssen, daß dieser Wille nach radikaler und basisnaher Demokratie

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das repräsentieren Sie doch nicht!)

    in den letzten Jahren stärker und drängender geworden ist. Es bleibt dies eine der größten Hoffnungen auf demokratische Freiheit und Lebendigkeit in dieser Republik. In diesem Sinne, Herr Bundeskanzler, ist Freiheit wirklich eine ganz zentrale Frage der Deutschen.
    Wir werden alles tun — und dabei hoffentlich nicht allzu große Fehler machen —, daß die Politik dieses Landes nicht noch einmal die eigenen Kinder frißt.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ihre Selbstgerechtigkeit stinkt zum Himmel! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und die Diskussionsbeiträge in der Aussprache haben bei all ihrer Verschiedenartigkeit doch deutlich gemacht, daß Deutschlandpolitik heute mehr und mehr unter dem Aspekt Friedenspolitik begriffen wird, ja, daß das eine mit dem anderen gleichgesetzt wird. Zu dieser friedensstiftenden Funktion unserer Deutschlandpolitik hat das demokratische Nachkriegsdeutschland seinen Beitrag wahrlich geleistet. Es bedarf dazu keines „alternativen" Nachhilfeunterrichts durch die GRÜNEN.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich verstehe zwar die menschliche Betroffenheit, aber die zukunftsgestaltenden politischen Lösungen müssen friedenstiftend, national und praktikabel sein.
    Die Friedenspolitik haben wir Freien Demokraten auf diesem Feld seit langem vertreten, ja, auf ihr bauten wir den Entwurf unseres Generalver-



    Hoppe
    trages mit der DDR auf. Der FDP-Bundesvorstand hat dann 1983 in seiner Wiesbadener Erklärung noch einmal bekräftigt:
    Deutschlandpolitik ist für uns europäische Friedenspolitik. Wir wissen, ein Rückfall in den Kalten Krieg würde keinem Volk mehr schaden als dem deutschen Volk in West und Ost.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir wissen aber auch, Fortschritte bei Entspannung, Zusammenarbeit und Abrüstung nützen keinem Volk mehr als dem deutschen.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr richtig!)

    Der Saarbrückener Parteitag der FDP hat diese Position noch einmal unterstrichen und aktualisiert.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Meine Damen und Herren, so hat dann auch die Fraktion der Freien Demokraten dem Grundlagenvertrag mit der DDR in der Überzeugung zugestimmt, damit den Menschen in den beiden Staaten Deutschlands und zugleich dem Frieden in der Welt zu dienen. In der Aussprache des Deutschen Bundestages am 9. Mai 1973 habe ich für meine Fraktion ausgeführt:
    Mit der Ratifizierung des Grundlagenvertrages ... leisten wir im Zusammenhang mit den Verträgen von Moskau und Warschau unseren Beitrag zur Wiedergewinnung des Friedens in Europa ... Es hat schmerzlicher Einsichten bedurft, um zu erkennen, daß ein Interregnum zweier Staaten in Deutschland hingenommen werden muß.
    Das Bekenntnis zum Gewaltverzicht und zur Aussöhnung konnte nur dadurch glaubwürdig werden, daß wir uns dazu verstanden haben, keine Ansprüche mehr auf das Gebiet jenseits von Oder und Neiße geltend zu machen.
    Meine Damen und Herren, zur gleichen Zeit hat Egon Bahr in einer Kommentierung des Moskauer Vertrages folgendes ausgeführt:
    Wenn der Frieden in Europa sicherer und die Zusammenarbeit verstärkt werden soll, dann müssen die Grenzen, die es nun einmal gibt, auch wenn uns ihr Verlauf gar nicht gefällt, geachtet werden und unverletztlich sein. Aber diese Verpflichtungen, so ernst, so ehrlich und notwendig sie sind, müssen begrenzt sein. Das ,Ziel der Bundesrepublik Deutschland, wie es im Grundgesetz verankert ist und wie es unserer Überzeugung entspricht,
    — so immer noch Egon Bahr —
    bleibt unverändert die staatliche Einheit und die freie Selbstbestimmung.

    (Beifall bei der FDP)

    Der Versöhnung mit den Völkern des Westens kann eine Aussöhnung mit den Völkern des Ostens nur folgen, wenn dem deutschen Volk das Ziel seiner Einheit nicht versperrt wird.
    Meine Damen und Herrn, wer dazu heute den Herrn Bundeskanzler mit seinem klaren und eindeutigen Bekenntnis gehört hat, der muß feststellen, daß die Positionen der Deutschland-, Ost- und Friedenspolitik unverrückbar und kontinuierlich Gültigkeit behalten haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Alle Revanchismus-Vorwürfe gehen damit ins Leere. Selbst wenn Moskau diese Platte weiter auflegen sollte, bleiben doch nur Agitation und Propaganda übrig. Es war deshalb auch folgerichtig, die gemeinsame Entschließung von SPD, CDU/CSU und FDP des vorigen Jahres zur Deutschlandpolitik zu erneuern.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Um so unverständlicher muß es bleiben, daß die SPD ihren Alleingang ausgerechnet an der Frage der deutschen Staatsangehörigkeit aufhängt. In der Praxis gibt es hier keine Konfliktlage mehr. Aber wenn die SPD gerade jetzt mit dem Stichwort Respektierung der Staatsangehörigkeit in die politische Arena springt, muß das doch verwundern. Es muß nämlich deshalb verwundern, weil die DDR dies nun gerade jüngst mit der Forderung nach einer Grundgesetzänderung zu einem für uns alle inakzeptablen Dollpunkt gemacht hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nein, meine Damen und Herren.

    Und wenn der Kollege Apel

    (Reddemann [CDU/CSU]: Wer ist das?)

    heute — fast würde ich ja bedauernd sagen — in einer gequälten Pflichtübung an dieser Front noch eine Fortschreibung angebracht hat,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er tut mir leid!)

    ist das wirklich kaum zu verstehen. Nach seinen Ausführungen hat Bonn zur Absage Honeckers beigetragen.

    (Dr. Apel [SPD]: Das wissen doch Sie wie wir!)

    Meine Damen und Herren, der Staatsratsvorsitzende weiß es besser!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht nur der!)

    Und wenn Sie mit Gewalt den deutschlandpolitischen Stillstand in Bonn zeigen wollen und dazu feststellen, die internationalen Rahmenbedingungen hätten sich nicht geändert und deshalb sei Bonn verantwortlich,

    (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Das ist dilettantisch!)

    kann ich nur sagen: Klarsicht und Orientierungsvermögen müssen Ihnen völlig verlorengegangen sein.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist schließlich für alle erkennbar, daß die internationale Entwicklung und die Interessenlage der Supermächte die Deutschlandpolitik einholten. Moskau will die Federführung auf diesem Feld be-



    Hoppe
    halten, und Moskau will seinen Führungsanspruch im Ostblock deutlich machen, meire Freunde.

    (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Das ist der wahre Grund!)

    Die Führung der DDR, so scheint mir, bewältigt diese vorhandene Schwierigkeit offensichtlich be-ser als die SPD.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Aber gerade sie mit ihren langjährigen Erfahrungen auf diesem Feld sollten wissen, daß die DDR in Zeiten, in denen ihr Handlungsspielraum — unserer übrigens auch — enger wird, Pausenfüller braucht. Und die Geraer Forderungen sind dazu das geeignete Instrumentarium.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wir sollten uns dann nicht auch als Pausenfüller betätigen und uns darin verbeißen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Nein, meine Damen und Herren, wir sollten diese Phase für eine konzeptionelle Vorarbeit in der Deutschlandpolitik nutzen, damit der bevorstehende neue Anlauf wirklich zu einem stubstantiellen Erfolg für die Menschen in unserem geteilten Land werden kann.
    Und deshalb sage ich noch einmal allen, die gemeinsam diese Politik konzipiert haben: Nachdem es uns im vergangenen Jahr gelungen ist, zu einer gemeinsamen Formulierung zu kommen, ist auch jetzt das Gebot der Stunde Schulterschluß und nicht Abriß.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Debatte über die Lage der Nation findet in einer gewissen Atempause statt, genauer gesagt: in einer Phase der Vorbereitung auf neue Schritte und Initiativen im Ost-West-Verhältnis — und das international wie national. Die amerikanisch-sowjetischen Gespräche, die im März in Genf beginnen, stehen dafür als herausragendes Beispiel. Sie signalisieren, daß vier Jahre Entfremdung und relative Sprachlosigkeit zwischen den entscheidenden Mächten in Ost und West zu Ende gehen könnten.
    Die berechtigte Hoffnung auf eine Wiederbelebung des Ost-West-Dialogs sollte unsere Erinnerung an die Ursache der Unterbrechung nicht trüben. Es war nämlich der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan, ein Schock, der in der westlichen Welt wie auch in vielen Entwicklungsländern bis heute nachwirkt; denn das Unrecht der Besetzung Afghanistans und die Zufügung von Leid an ungezählten Menschen halten bis heute an. Damit kann sich niemand abfinden, der die Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte als grundlegendes Prinzip und als Ziel aller Politik begreift.
    Der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates darf auf keinen Fall relativiert werden. Dies würde uns in die machtpolitische Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit führen. Nichteinmischung — das muß von Vietnam und Kambodscha, dessen Leiden offensichtlich kein Ende nimmt, über Afghanistan und Polen bis nach Nicaragua Gültigkeit behalten. Der Geist der Verständigung und des bewußten Verzichts auf jede aggressive Note in der Politik hat die von der FDP betriebene Deutschlandpolitik von Anfang an bestimmt.
    Meine Damen und Herren, Realitätssinn ist gefragt, Verständigung über das Wirkliche, Nutzung des Möglichen und auch die Wahrnehmung von Erfreulichem. Die Eröffnung der Semper-Oper in Dresden gehört dazu. Das Ereignis am 13. Februar war auch ein Beitrag zur Pflege des gemeinsamen deutschen Erbes,

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    und dokumentierte die eine Nation, deren Kern die Geschichts- und Kulturgemeinschaft ist.
    Der Begriff der Verantwortungsgemeinschaft kommt hinzu, die Verpflichtung für die Deutschen in beiden Staaten, alles für den Frieden Mögliche zu tun. Dieser Auftrag weist über die selbstverständliche Konsequenz aus den Erfahrungen zweier Weltkriege hinaus, daß von deutschem Boden aus nie mehr ein Krieg ausgehen darf. Wir müssen friedensstiftend leben, reden und handeln.
    Meine Damen und Herren, der Liebe wie dem Haß und der Gewalt wohnt die Grenzenlosigkeit inne. Wer sich auf die Seite des Dunklen und Destruktiven schlägt, der ist verschlagen. Er wird sich im Bösen verlieren und anderen Böses zufügen. Dieses elementare Gesetz hat sich vor über 50 Jahren aufs Furchtbarste entfaltet. Es hat die Gesetze der politischen Gesittung, der Moral, der Menschlichkeit hinweggefegt und unvorstellbare Verbrechen hervorgerufen. Der erste Bundespräsident dieser Republik, Theodor Heuss, sagte:
    Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat, ist dies gewesen, daß er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen den Namen Deutsche zu tragen.
    Scham und Trauer über die Menschenverachtung, über die maßlose Zerstörungswut und die Folgen erfüllen uns noch heute.
    Der historischen Wahrheit willen gilt es, im Zusammenhang mit dem mörderischen Krieg den zuvor abgeschlossenen Hitler- Stalin- Pakt zu registrieren. Diese Tatsache entlastet nicht die Deutschen, aber sie zeigt aufs Beklemmendste das unheilvolle Zusammenspiel tyrannischer und menschenverachtender Kräfte.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Beseitigung der Hitler-Herrschaft hat uns den Weg geöffnet zu einem Leben in Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das Bittere daran ist, daß dieser Weg bis zum heutigen Tage 17 Millionen Menschen in Deutschland verschlossen ist. Das Grundgesetz aber verpflichtet uns, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Dieses Bekenntnis erhält seinen besonderen Rang durch die ausdrücklich von der Bundesrepublik Deutschland erklärte,



    Hoppe
    vertraglich bekundete und praktisch betriebene Friedenspolitik der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die Aussöhnung mit Frankreich hat dabei ihre herausragende Bedeutung; auch unsere Politik der Verständigung mit Israel und Polen. So gilt denn auch heute noch, was Walter Scheel vor sieben Jahren als Bundespräsident im Plenarsaal des Deutschen Bundestages festgestellt hat:
    Wenn dieser Staat beharrlich der Freiheit nach innen und außen dient, wenn er seine geistigen, politischen und wirtschaftlichen Mittel einsetzt, nicht um zu herrschen, sondern um zu helfen, wenn er konsequent auf der Seite der Gerechtigkeit gegen die Ungerechtigkeit steht — dann wird sich auch die Angst vor einem vereinigten Deutschland verlieren, dann könnte es sein, daß eines Tages unsere Nachbarn ein vereinigtes Deutschland wünschen, weil es, auch in ihrem Interesse, sein größeres Gewicht auf die Waagschale des Friedens legen könnte.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    So weit Walter Scheel.
    „Die Berlin-Frage ist untrennbar mit der deutschen Frage verknüpft. Bis zu deren Lösung bleibt Berlin Ausdruck und Sinnbild der als Folge des Zweiten Weltkrieges entstandenen Trennung der Deutschen und eine Aufforderung an alle politischen Kräfte, die Teilung auf friedlichem Wege zu überwinden."

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    „In Ihrer Funktion als bedeutende europäische Metropole, die von der Weltoffenheit, dem Fleiß und der unerschöpflichen Lebenskraft ihrer Bürger getragen wird, kann die Stadt ihren Beitrag zur Verbesserung der Ost-West-Beziehungen leisten. Der Friede in Europa wird dadurch gewinnen.
    Das Vertrauen der Berliner in die Sicherheit und Zukunft der Stadt ist die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg einer jeden Maßnahme. Das Bild, das Berlin bietet, hat wesentlichen Einfluß auf die Bereitschaft zum privaten Engagement, auf das die Stadt dringend angewiesen ist." Ich bitte auch die SPD, hier zurückhaltend zu sein; denn das, was ich gerade zitiert habe, ist der Willenserklärung der Parteivorsitzenden vom 19. Juni 1978 entnommen, die sich damals beim Bundespräsidenten zu einer geschlossenen berlinpolitischen Demonstration zusammengefunden hatten.
    Und doch hat dieser gemeinsame Impuls nicht verhindern können, daß für Berlin noch einmal schwierige Zeiten anbrachen. Im „Vorwärts", dem Parteiorgan der Berliner SPD, fand man unter dem 22. Oktober 1981

    (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Der BundesSPD!)

    — gut, der Bundes-SPD; aber von der wollen Sie
    sich doch ganz gewiß nicht distanzieren; also im
    „Vorwärts", dem Parteiorgan der SPD — dazu eine
    Lagebeschreibung, die Uwe-Karsten Heye verfaßte, nachdem er sich zuvor einen Monat in Berlin umgesehen hatte. Die dem Artikel vorangestellte Zusammenfassung lautete: