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ID1012200600

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    Plenarprotokoll 10/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9009 A Bericht zur Lage der Nation Dr. Kohl, Bundeskanzler 9009 B Dr. Apel SPD 9017 C Dr. Dregger CDU/CSU 9023 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9027 C Hoppe FDP 9030 D Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 9033 D Büchler (Hof) SPD 9037 A Genscher, Bundesminister AA 9039 D Schlaga SPD 9043 D Lintner CDU/CSU 9045 C Handlos fraktionslos 9047 C Schneider (Berlin) GRÜNE 9049A Dr. Haack SPD 9050 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 9053 B Dr. Vogel SPD 9054 B Nächste Sitzung 9058 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9059* A Anlage 2 INFCE-Empfehlungen betr. den Anreicherungsgrad des Urans bei der Produktion von Kernbrennstäben MdlAnfr 5, 6 07.12.84 Drs 10/2587 Becker (Nienberge) SPD ErgSchrAntw PStSekr Spranger BMI . . 9059* B auf ZusFr Catenhusen SPD Anlage 3 Polnische Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland seit 1980 MdlAnfr 44 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU ErgSchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . 9059*D auf ZusFr Dr. Hupka Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 9009 122. Sitzung Bonn, den 27. Februar 1985 Beginn: 14.00 Uhr
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    Berichtigung 121. Sitzung, Seite 9005* C; nach der 21. Zeile ist nach dem Wort „vorgesehen" einzufügen: „steuerlichen Gleichbehandlung von eigengenutzten". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 1. 3. Breuer 1. 3. Büchner (Speyer) * 1. 3. Dr. von Bülow 28. 2. Dr. Bugl 28. 2. Cronenberg (Arnsberg) 27. 2. Ertl 1. 3. Gallus 1. 3. Frau Gottwald 1. 3. Haehser 1. 3. Dr. Hauff 1. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 2. Jung (Düsseldorf) 1. 3. Frau Kelly 1. 3. Dr. Kreile 27. 2. Frau Dr. Lepsius 1. 3. Lohmann (Witten) 27. 2. Mischnik 27. 2. Dr. Müller 1. 3. Polkehn 1. 3. Dr. Scheer 28. 2. Schlottmann 1. 3. Dr. Schöfberger 1. 3. Schröder (Hannover) 27. 2. Frau Simonis 1. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 1. 3. Stockhausen 1. 3. Uldall 27. 2. Voigt (Frankfurt) 27. 2. Weinhofer 1. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Ergänzende Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) zu der Frage des Abgeordneten Becker (Nienberge) (SPD) (Drucksache 10/2587 Fragen 5 und 6, 110. Sitzung, Seite 8210 B): Ihre Zusatzfrage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen in- Anlagen zum Stenographischen Bericht nerhalb weniger Jahre auf Brennelemente mit niedrig angereichertem Uran umgestellt werden könnte, ohne daß es zu einer Betriebsunterbrechung kommen müßte, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre Zielsetzung, hochangereichertes Uran möglichst wenig einzusetzen? beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Forschung und Technologie wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß eine Umstellung des THTR-300 vom beantragten und genehmigten Thorium/Uran-Kreislauf auf einen anderen Zyklus mit niedrigerer Anreicherung aus heutiger Sicht technisch innerhalb einiger Jahre möglich sein kann. Zu gegebener Zeit werden für den THTR-300 unter Auswertung der Betriebserfahrungen mit dem Betreiber die sicherheitstechnischen und betrieblichen Voraussetzungen einer Umstellung auf niedrig angereichertes Uran zu prüfen sein. Bei der Planung von Nachfolgerreaktoren dieser Linie wird der Einsatz von Brennelementen mit niedriger angereichertem Uran verfolgt. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 44, 114. Sitzung, Seite 8489): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1985 haben Sie im Anschluß an die Beantwortung der Frage 44 die Zusatzfrage gestellt, wie viele der dem Ausländerzentralregister zwischen 1980 und 1984 gemeldeten 20 952 polnischen Staatsangehörigen, die zugezogen sind, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, wieder zurückgegangen sind. Die Bundesregierung kann diese Frage nicht beantworten, weil ihr entsprechende Angaben nicht zur Verfügung stehen. Dies beruht zum einen darauf, daß nicht alle polnischen Staatsangehörigen, die in ihr Heimatland zurückkehren, sich bei den zuständigen deutschen Behörden abmelden und zum anderen darauf, daß bei der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland Zählkontrollen nicht durchgeführt werden.
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    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Wir stellen ferner fest, daß der innerdeutsche Minister in Washington erklärt hat, daß die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten — „Kommunikation" hat er gesagt — auf allen Ebenen den Zusammenhalt der Nation stärken. Der Bundeskanzler hat heute wie in seinen Regierungserklärungen deutlich gemacht, daß die vertraglichen Grundlagen zwischen den beiden deutschen Staaten uneingeschränkt gelten, insbesondere der Grundlagenvertrag.
    Herr Bundeskanzler, damit haben Sie folgendes ausgesagt; ich will das hier zu Protokoll des Deutschen Bundestages geben. Sie haben damit ausgesagt, daß es Beziehungen geben muß zwischen den beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung, des Respekts, der Selbständigkeit, der Souveränität in den inneren und in den äußeren Angelegenheiten der beiden deutschen Staaten. Daran werden wir Sie erinnern, daran werden wir Sie festhalten, wenn es darum geht, praktische Politik zu machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben damit auch deutlich gemacht, daß die beiden deutschen Staaten eine ganz besondere Verpflichtung zur Friedenssicherung in Europa haben. Dann fragen wir uns von der Opposition als sozialdemokratische Bundestagsfraktion in der Tat, wenn wir Stichworte, Äußerungen auch aus der Bundesregierung, aus dem Kanzleramt von Kanzleramtsminister Schäuble hören, ob diese Grundlagen noch für alle gelten, ob es nicht in der Union — Sie haben ja gestern eine sehr lebhafte Fraktionssitzung gehabt — bereits eine ganze Reihe von abweichenden Meinungen gibt, die eben diese Festlegungen des Bundeskanzlers so nicht akzeptieren, sondern eine andere, eine veraltete Deutschlandpolitik wollen: zurück in die Gräben des kalten Krieges.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Recht am Ende Ihrer Ausführungen auf die gemeinsame Erklärung hingewiesen, die der Deutsche Bundestag vor knapp einem Jahr verabschiedet hat. Diese Erklärung bleibt weiterhin gültig. Inzwischen ist aber einiges passiert.
    Im April 1984 wird der von Helmut Schmidt am Werbellinsee verabredete deutsch-deutsche Jugendaustausch von der DDR aufgekündigt. Im August 1984 werden den Berlinern Reiseerleichterungen vorenthalten, die den Bundesbürgern eingeräumt werden. Im September 1984 trägt Bonn zur Absage des Honecker-Besuchs bei.

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Na, na, na! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, zunehmend werden die deutsch-deutschen Beziehungen durch Wortführer in den Unionsparteien dadurch belastet, daß unsere Ostverträge eben doch in Zweifel gezogen werden. Das gilt insbesondere für die polnische Westgrenze.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben dazu heute Ausführungen gemacht. Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion folgendermaßen verstehen.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Wir wollen gern wissen, ob diese Interpretation der Aussagen des Herrn Bundeskanzlers auch die Interpretation des Herrn Fraktionsvorsitzenden Dregger ist; das ist wohl von einigem Belang.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir verstehen die Aussagen des Herrn Bundeskanzlers folgendermaßen: daß es sich bei der polnischen Westgrenze eben nicht nur um eine politische und eine juristische Bindung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Volksrepublik Polen handelt, sondern daß diese Frage für den Bundeskanzler auch eine politische und moralische Bin-



    Dr. Apel
    dung des gesamten deutschen Volkes gegenüber dem polnischen Volk darstellt.

    (Beifall bei der SPD)

    So erklären wir die Aussagen des Bundeskanzlers. Wir wollen von Ihnen wissen, ob Sie diesen Eindruck, den wir aus Ihren Ausführungen gezogen haben, für die wir dankbar sind, bestätigen.
    Herr Bundeskanzler, Sie können die Änderungen in der Deutschlandpolitik, die sich in Teilen der Unionsparteien und in Teilen der Unionsfraktion ankündigen, nicht vom Tisch wischen. Es hat keinen Zweck, so zu tun, als wäre es vernünftig, hier tagtäglich nach dem Motto „business as usual" vorzugehen, sondern wir brauchen Antworten darauf, wie es weitergeht. Wir wollen insbesondere darüber debattieren, daß sich Fehlschläge, wie von mir dargestellt, seit dem letzten Jahr häufen. Wir bedauern das um so mehr, als wir uns eine Vorstellung davon machen können, was durch diese Politik alles nicht möglich wurde.
    Der innerdeutsche Minister hat von der Möglichkeit gesprochen, das Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bei gutem Willen zum Abschluß zu bringen, wenn Herr Honecker die Bundesrepublik Deutschland besucht haben würde. Wie steht es mit dem Kulturabkommen? Wie wir gehört haben, wird weiter verhandelt.
    Wir fragen uns ferner: Wie steht es eigentlich mit dem Abkommen mit der DDR über die Werra-Entsalzung? Ich will nur diese zwei wirklich wichtigen Themen nennen.
    Sicher, meine Damen und Herren, die beiden deutschen Staaten leben nicht auf einer Insel der Seligen. Sie sind jeweils in ihre Bündnis- und Wirtschaftssysteme eingebunden. Sie können sich weltpolitischen Entwicklungen nicht entziehen.
    In der Eiszeit zwischen den Supermächten ist es zur Verblüffung der Welt im deutsch-deutschen Dialog zunächst weitergegangen. Dann ist er nach und nach eingeschränkt worden. Heute, in einer Zeit, in der die Supermächte im Begriff sind, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden, stellen wir fest, daß zwischenzeitlich die Deutschlandpolitik ins Stocken geraten ist. Dabei haben sich doch die weltpolitischen Rahmenbedingungen für die Deutschlandpolitik eigentlich nicht verschlechtert.
    Der deutschlandpolitische Stillstand, den wir leider seit letztem Sommer feststellen müssen, mag sicherlich auch Moskauer Wünschen entsprechen. Aber er hat in weiten Teilen hausgemachte Ursachen. Er ist von führenden Unionspolitikern gewollt, mindestens aber — so von Herrn Dregger — leichtfertig herbeigeredet worden.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Er ist auch Konsequenz unzureichender Verhandlungsführung.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Herr Bundeskanzler, noch im Februar haben Sie an dieser Stelle ein deutsch-polnisches Jugendwerk für die Aussöhnung mit Polen als wichtiges Ziel Ihrer Politik bezeichnet. Wir unterstützen diesen Gedanken. Viel mehr ist dann aber ein deutschdeutsches Jugendwerk zur Erhaltung und Vertiefung menschlicher Bindungen zwischen den beiden deutschen Staaten geeignet.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe bereits daran erinnert, daß es Bundeskanzler Helmut Schmidt war, der am Werbellinsee diesen deutsch-deutschen Jugendaustausch verabredet hatte. Er ist 1983 angelaufen. 6 000 Jugendliche reisten nach Osten, 1 200 nach Westen, jeder mit 18 Mark pro Kopf und Tag ausgerüstet. Ich denke, das ist eine Politik, die den deutschen Zusammenhalt stärkt, der Perspektive für Deutschlands Zukunft bietet.
    Nun stellen wir aber fest, daß im letzten Verfassungsschutzbericht unter der Verantwortung des Herrn Zimmermann der Aufenthalt von DDR-Jugendlichen bei uns unter dem Kapitel „Westarbeit der SED" abgehandelt wird. Die DDR brach darauf den Austausch ab und machte seine Fortsetzung von einer Korrektur des Verfassungsschutzberichtes abhängig. Herr Zimmermann hat nicht korrigiert. Der zweiseitige Jugendaustausch ist damit wohl beendet.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist eine tolle Logik!)

    Panne oder Absicht, meine Damen und Herren von der Union? Wer sich so stur unter dem einheitlichen Dach der Bundesregierung verhält, will augenscheinlich einen wichtigen Ansatz deutsch-deutscher Zukunft zerstören. Denn, meine Damen und Herren, wir wissen doch, daß wir es in der DDR mit der SED zu tun haben. Soll deswegen der Jugendaustausch nicht mehr stattfinden?

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber den Verfassungsschutzbericht müssen wir schon selber schreiben, nicht Herr Honecker!)

    Den Vorgängen um die Absage des HoneckerBesuchs lag das gleiche Grundmuster zugrunde. Wir wollen die törichten Sprüche von Herrn Dregger nicht wiederholen. Aber eines hat Herr Dregger deutlich gemacht:

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Was soll denn das? Was ist das für ein Stil? So sollten Sie mit einem Ehrenmann nicht umgehen!)

    Er will die Repräsentanten der DDR so behandeln, daß die Grundlagen, die im Grundlagenvertrag formuliert sind — Gleichberechtigung und Respektierung der Souveränität der beiden deutschen Staaten —, in Zweifel geraten. Herr Bundeskanzler, haben Sie diese Linie nicht mit Ihren Erklärungen fortgesetzt? Waren es nicht Sie, der im Gespräch mit Herrn Honecker bei gewissen Themen weghören wollte? Wollten Sie allenfalls über andere Themen ohne Ergebnis diskutieren? Und das alles zu einer Zeit, in der es keinen bestätigten Besuchstermin und auch nicht die geringsten offiziellen Äußerungen der DDR zu einem baldigen Besuchstermin gab! Wir fragen Sie: Ist das die Form des Umgangs



    Dr. Apel
    mit der DDR, die der deutsch-deutschen Zukunft weiterhilft? So wurde dieser Besuch mit seinen deutschlandpolitischen Chancen stümperhaft und dilettantisch zerredet.

    (Beifall bei der SPD)

    Panne oder Absicht? Wer die Grundlagen deutschdeutscher Politik, wie im Grundlagenvertrag festgelegt, nicht beachtet, wird Deutschlandpolitik nicht gestalten können.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Diskussion in der CDU/CSU um die offiziellen Kontakte mit der Volkskammer machen Ihr Grunddilemma deutlich. Der Volkskammer, so sagen Sie, fehle die notwendige demokratische Legitimation,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt doch!)

    das notwendige parlamentarische Gewicht. Aber, Herr Präsident a. D. Barzel, gilt das gleiche nicht auch für das ungarische Parlament?

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Völkerrecht!)

    Kann man das ungarische Parlament besuchen, wenn man derartige Kriterien anlegt? Dort scheuen Sie vor offiziellen Kontakten nicht zurück.

    (Abg. Dr. Barzel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Keine Zwischenfrage.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Nun fragen Sie nach Statusproblemen. Sie sagen: Hier könnte es aber Statusprobleme geben. — Das war wahrscheinlich Gegenstand der Frage des Herrn Kollegen Dr. Barzel. — Dazu sage ich Ihnen: Wer Berlin in den Verhandlungen, auf die ich gleich zu sprechen komme, so behandelt, daß Berlin nicht Teil einer Lösung ist, die für die Bundesrepublik gilt, schafft sehr viel leichtfertiger Statusprobleme zu Lasten Berlins als der, der bereit ist, auch mit der Volkskammer in Gespräche einzutreten.

    (Beifall bei der SPD)

    Heute haben Sie, Herr Bundeskanzler, erneut davon gesprochen, daß für Sie Berlin Gradmesser der Deutschlandpolitik ist. Herr Bundeskanzler, Sie haben aber kein Wort darüber verloren, daß Sie, Ihre Regierung, Herr Staatsminister Jenninger im Sommer 1984 bei den mit der DDR ausgehandelten Besuchserleichterungen die Berliner schlichtweg vergessen haben. Das ist ein bisher einmaliger Vorgang.

    (Beifall bei der SPD)

    So ernst können Sie es also mit Berlin als Gradmesser Ihrer Politik nicht gemeint haben, wenn Sie Ihren Maßstab gleich bei der ersten Bewährungsprobe glatt vergessen. Sicher, Herr Bundeskanzler — wer bestreitet das eigentlich? —, die Einbeziehung Berlins in die Deutschlandpolitik ist das Schwierigste im deutschlandpolitischen Alltagsgeschäft. Sozialdemokraten haben aber lieber Schwierigkeiten auf sich genommen, als Berlin draußen vor zu lassen.

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir hatten schon Aschermittwoch!)

    Berlin ist nicht nur Gradmesser der Ost-West-Beziehungen; Berlin ist der Motor aller Deutschlandpolitik. Gäbe es Berlin nicht, dann hätten wir eine glatte Teilung entlang der Elbe, ähnlich wie in Korea entlang des 38. Breitengrads. Dann gäbe es wahrscheinlich keine Entspannungspolitik. Dann gäbe es kein Vertragswerk zwischen Ost und West. Dann gäbe es keine Gespräche zwischen den Bündnissen. Dann hätten wir solche Verhältnisse: kaum Verhandlungen, keine Verträge, keine Übereinkommen.
    Damit ist für uns Sozialdemokraten — aber ich denke, in diesem Punkt sind wir uns einig — der besondere Ausgangspunkt für Berlin deutlich geworden. Berlin braucht die Entspannungs- und Vertragspolitik mit dem Osten. Das ist seine zentrale Basis für seine Zukunft. Es waren doch die Notwendigkeiten der Stadt — Versorgung, Entsorgung, Transit —, die die Ost-West-Gespräche in Gang gesetzt haben, die die Entspannungspolitik vorangebracht haben, die die Vier Mächte für Berlin an einen Tisch gebracht haben und die die beiden deutschen Staaten immer wieder zu politischem Umgang miteinander zwingen. Aber da wir uns in diesen Fragen einig sind, Herr Regierender Bürgermeister, was die Westbindung anbelangt, die Präsenz der Schutzmächte und die volle Übernahme aller Bundesgesetze für Berlin anbelangt, verbitte ich mir Ihre billige Polemik, mit der Sie stets im Wahlkampf verleumderisch versuchen, die Sozialdemokraten in die Nähe einer anderen Gruppierung zu bringen. So geht es nicht unter Demokraten.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU)

    Aber da der Regierende Bürgermeister hier ja noch sprechen wird, sollte er eine Aussage des Bundeskanzlers richtigstellen. Der Bundeskanzler hat davon geredet, daß in Berlin vieles gut ist. Wer will das eigentlich bestreiten? Sozialdemokraten haben diese Stadt 30 Jahre lang regiert.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    30 Jahre haben wir für den Aufbau, die demokratische Einordnung, die Westbindung dieser Stadt gestanden — zu einer Zeit, als Sie mosernd im Abseits standen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: An der Erblast leiden wir heute noch, Herr Apel! — Was habt ihr hinterlassen?)

    Aber bei einem Punkt sollten Sie, Herr Bundeskanzler, einen Blick auf die Veröffentlichungen des Statistischen Landesamts werfen. Es ist falsch, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, daß die Zahl der Arbeitskräfte im verarbeitenden Gewerbe 1984 gegenüber 1983 im Jahresdurchschnitt zugenommen hat. Tatsache ist, daß die Zahl der Beschäftig-



    Dr. Apel
    ten im verarbeitenden Gewerbe 1984 gegenüber 1983 im Jahresdurchschnitt um 2 100 abgenommen hat. Ich führe das hier nicht ein, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Ich sage das nur, um deutlich zu machen, daß wir auch künftig gemeinsam jede Verpflichtung haben, für Berlin einzutreten, weil es keineswegs so ist, daß in Berlin alles schon so in Ordnung ist, daß es keine Sorgen über die wirtschaftliche Zukunft in der Stadt gibt.

    (Beifall bei der SPD — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber bei uns wird es besser!)

    Herr Bundeskanzler, ich habe bereits Ihre Äußerungen zum deutsch-polnischen Verhältnis angesprochen. Ich habe sie so interpretiert, wie wir sie verstanden haben. Ich stelle fest, daß Sie sich damit hinter die Aussagen des Abgeordneten Rühe gestellt haben; ich stelle fest, daß Sie die Äußerungen des Kanzleramtsministers Schäuble, der am Sonntag darauf die Äußerungen des Abgeordneten Rühe und auch die Unterstützung durch den Bundeskanzler wieder in Frage gestellt hat, ad acta gelegt haben. Wir sind dankbar dafür; wir werden darauf zurückkommen.

    (von Schmude [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht richtig verstanden!)

    Wir erwarten in dieser Debatte eine ebenso klare Äußerung der Unionsfraktion zu dieser lebenswichtigen Frage.
    Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle wissen doch, daß eine größere Einheit der Deutschen in ferner Zukunft in einem freien Europa nur mit der Zustimmung aller unserer Nachbarn zu erreichen sein wird. Wer heute für den späteren Zeitpunkt einer größeren Einheit der Deutschen die Westgrenze Polens in Frage stellt, der macht damit deutlich, daß er von niemandem in Ost und in West die Zustimmung zu einer größeren Einheit der Deutschen erwarten kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie so argumentieren sollten, dann haben Sie bereits heute die Chance für eine Überwindung der deutschen Teilung verspielt.

    (Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

    Mehr noch: Wer so argumentiert, wer diesen Eindruck erweckt oder gar erwecken will, wird erleben, daß jeder Schritt, den die beiden deutschen Staaten aufeinander zu tun, der die deutschen Staaten enger zueinanderbringt, als eine Bedrohung angesehen wird, weil dann in der Tat Entwicklungen zwischen den beiden deutschen Staaten, die sie möglich machen könnten, auch mit Argwohn verfolgt werden könnten. Auch deshalb ist im Interesse der Deutschlandpolitik absolute Klarheit, was die polnische Westgrenze heute und in der Zukunft anbelangt, von dringender Notwendigkeit.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Im übrigen sind die rechtlichen Grundlagen von Deutschlandpolitik zwischen uns unbestritten. Unsere Verpflichtung aus der Präambel des Grundgesetzes, „in freier Selbstbestimmung die Einheit Deutschlands zu vollenden", ist von uns immer wieder bekräftigt und erneuert worden. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Union, keiner kommt an den Fakten vorbei. Es gibt zwei deutsche Staaten, die jeweils einem der beiden großen Bündnissysteme zugeordnet sind. Wir haben uns für die Westbindung entschieden. Das entspricht unserer ehrlichen und festen Überzeugung. Wirtschaftlich und militärisch sind wir in einem Maße in den Westen integriert, daß eine Umkehrung nicht vorstellbar und auch nicht wünschbar ist; sie würde Europa mit Sicherheit destabilisieren.
    Aber, meine Damen und Herren, gleiches gilt doch für die Verflechtung der DDR mit dem Osten. Ich habe im Sommer dieses Jahres dieses Spannungsverhältnis aufgegriffen und Verfassungsauftrag und die Entwicklung der Realitäten gegenübergestellt.

    (Berger [CDU/CSU]: Ist das das Ergebnis einer freien Entscheidung dort?)

    Zusammengefaßt habe ich dies mit den Worten: Insofern — Einbindung hier, Einbindung dort, Schaffung von Realitäten, die weiterwirken und sich verstärken sollen —

    (von Schmude [CDU/CSU]: Das sind aber zwei Qualitäten!)

    ist die deutsche Frage nicht mehr offen.
    Meine Damen und Herren, ich behaupte überhaupt nicht, daß ich fälschungssicher argumentiert habe.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Halboffen geht nicht! Entweder offen oder zu!)

    Aber Sie haben das kräftig ausgenutzt, Sie werden das heute noch ausnutzen. Ich füge hinzu: Natürlich ist der Lauf der Geschichte stets offen. Wer aber wie wir alle, so denke ich, ein neutralisiertes Deutschland mit gutem Grund als politisches Ziel wegen der davon ausgehenden Gefährdungen für den Frieden und unsere Freiheit ablehnt, wer erkennt, daß Gewalt als Mittel der Politik für immer ausscheidet, wer Friedens- und Außenpolitik unter den Bedingungen des atomaren Zeitalters begreift, der weiß dann auch, welche Konsequenzen die von uns akzeptierte Unverletztlichkeit aller Grenzen in Europa und auch gegenüber der DDR heute und in Zukunft hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Art und Weise, wie Teile der Union die deutsche Frage heute wieder als „offen" hochspielen,

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Was soll denn das nun wieder? — Berger [CDU/CSU]: Ist sie für Sie nicht mehr offen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    stellt doch nicht nur einen Rückfall hinter die Grundlagen unserer Deutschland- und Ostpolitik dar. Wer unsere deutsche Wiedervereinigung proklamiert, ohne klarzumachen, welche Rolle dabei die beiden deutschen Staaten, die Bündnisse, unsere Nachbarn spielen müßten, welche weltpoliti-



    Dr. Apel
    schen Veränderungen damit verbunden sein müßten, der hat die deutsche Realität weder verstanden noch akzeptiert.

    (Beifall bei der SPD)

    Er kann die deutsche Teilung zum Schaden aller Deutschen nur vertiefen.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Golo Mann hat einmal von der verhängnisvollen Neigung der Deutschen gesprochen, Rechtsstandpunkte mit Politik zu verwechseln. Ich möchte das härter formulieren: Die Begrenzung auf Rechtsstandpunkte kann notwendiges politisches Handeln verhindern. Die Geschichte ist eben kein Amtsgericht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD — von Schmude [CDU/CSU]: Also wollen Sie Rechtspositionen aufgeben? Dann ändern Sie doch gleich das Grundgesetz! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wer es mit unserem Auftrag ernst meint, die Einheit zu vollenden, der kann im Atomzeitalter nicht von der Änderung von Grenzen sprechen; er kann sie nur durch Verständigung überwinden.

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: So ist das!)

    Die europäischen Völker können nur in einer Friedensordnung überleben,

    (von Schmude [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    die das Zusammenleben von Staaten unterschiedlicher Systeme sichert, ohne die Änderung der Systeme zur Voraussetzung zu machen.

    (von Schmude [CDU/CSU]: Nun treten Sie einmal für das Selbstbestimmungsrecht ein!)

    Die politischen Bemühungen müssen sich daher auf die allmähliche Überwindung des trennenden Charakters der Europa teilenden Grenzen konzentrieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Die so verstandene Überwindung der Teilung schließt eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten in irgendeiner Zukunft und — darauf kommt es an; der Bundeskanzler hat es auch so gesagt — unter Zustimmung aller europäischen Nachbarn und aller Verbündeten zwar nicht aus,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

    die Überwindung der Teilung kann aber auch schon eine Situation meinen, in der die Staaten mit ihren unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen fortbestehen und ein Interessenausgleich insoweit hergestellt ist, als menschliche Beziehungen erhalten bleiben, eine Reise von Deutschland nach Deutschland genauso unkompliziert ist wie eine Reise von Deutschland nach Frankreich.
    Die Deutsche Nation ist als Kulturnation lebendig. Die Eröffnung der Semper-Oper und das Luther-Jahr haben dies mehr als deutlich gemacht. Den Zusammenhalt der Nation durch Kommunikation auf allen Ebenen zu stärken, das ist Aufgabe und Verpflichtung verantwortungsvollen politischen Handelns — um so mehr, als wir doch wissen, daß Friedenssicherung und Umweltschutz gemeinsames Handeln unumgänglich machen.
    Wir Sozialdemokraten wollen der DDR die Auseinandersetzung über den Gegensatz der Systeme nicht ersparen. Wir führen sie aber nicht mit dem Ziel, die Spaltung zu vertiefen, die Souveränität der DDR geringzuachten oder markig oder lautstark alles besser zu wissen. Ruhig und selbstbewußt vertreten wir unsere Politik in der Gewißheit, daß unser System das bessere ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber, meine Damen und Herren, gilt dies auch noch, wenn Massenarbeitslosigkeit bei uns einen Nachkriegsrekord erreicht, wenn 2,6 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet sind und weitere 1,3 Millionen der stillen Reserve zugeordnet werden?

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Ach! — Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Ist das der Maßstab des Vergleichs zwischen den Systemen? — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie sind auch eine stille Reserve! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Jeder weiß doch inzwischen, daß ein wirtschaftlicher Aufschwung die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen wird. Deswegen fordern wir auch in diesem Zusammenhang eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Denn sie ist wichtig, um im Wettkampf der Systeme bestehen zu können.

    (Beifall bei der SPD)

    Und haben wir wirklich noch Freiheit von Not und Elend? Haben Sie nicht seit der Wende den sozial Schwächeren systematisch genommen, den Gutgestellten dafür gegeben?

    (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ist es nicht ein Zerrbild von Gerechtigkeit, wenn die von Ihnen gewollte Steuerreform das Kind des Großverdieners zweieinhalbmal soviel begünstigt wie das Kind des Durchschnittsverdieners?

    (Beifall bei der SPD — Dr. Olderog [CDU/ CSU]: Wir sind doch hier nicht im Wahlkampf! Hören Sie doch auf mit Ihrer Wahlkampfrede! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie können höchtens ein verlierender Bürgermeister sein, bestimmt kein Regierender!)

    In der Auseinandersetzung der Systeme ist Freiheit unser Trumpf. Wir müssen aber mit unserer Freiheit und unserem Selbstbestimmungsrecht verantwortlich umgehen. Freiheit ist für uns auch Freiheit von Not. Nicht umsonst berufen wir uns auf unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Sie geben uns die Maßstäbe für unsere grundgesetzliche und freiheitliche Gesellschaftsordnung.

    (von Schmude [CDU/CSU]: Sie malen doch ein Zerrbild der Wirklichkeit!)

    Wenn heute die Politik dieser Regierungskoalition
    gegen Gerechtigkeit und Solidarität verstößt, dann



    Dr. Apel
    berührt das auch die Überlegenheit unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir sehen in den Entwicklungsprozessen in der CDU/CSU Gefahren für die Deutschlandpolitik. Wir verkennen nicht, daß es Verantwortliche in der Fraktion wie in der Regierung gibt, die sich . ernsthaft bemühen, unsere Deutschland-, unsere Ostpolitik getreulich fortzusetzen,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: „Getreulich"?!)

    sich für die Menschen in beiden deutschen Staaten einzusetzen. Aber ist es nicht so, daß Sie, nicht zuletzt durch Ihre gestrige Fraktionsdebatte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren dabei?)

    zwar nicht krasse Abkehr von den öffentlich bekundeten Positionen wollen, aber daß Sie in quälender Langsamkeit einen Prozeß einleiten, der am Ende auch die Grundlagen unserer Deutschlandpolitik und den Grundlagenvertrag berühren könnte? Das Ergebnis ist dann Stillstand. Und dieser Stillstand ist dann weniger auf Pannen, Vergessen, mangelnde Koordination oder Dilettantismus zurückzuführen. Das ist dann die Folge der Zerrissenheit, die in der Union zu deutschlandpolitischen Fragen herrscht.

    (von Schmude [CDU/CSU]: Das wünschen Sie sich so!)

    Wir verstehen das. Sie haben 13 Jahre erbitterter Gegnerschaft zu unserer Deutschlandpolitik nicht von einem zum anderen Tag ungeschehen machen können. Viele von Ihnen übernehmen gerne Verantwortung für die Menschen in der DDR, aber sie werden auch in den Grundfragen von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt; denn sie haben es unterlassen, in den Jahren der Opposition und in den Tagen der Regierung Klarheit über die Deutschlandpolitik ihrer Partei zu schaffen. Sie haben es laufen lassen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Sie haben auf die normative Kraft des Faktischen vertraut und vielleicht auch augenzwinkernd darauf, daß die gesamten 13 Jahre deutschlandpolitischer Gegnerschaft weniger in der Deutschlandpolitik als im Parteienstreit ihre Ursache hatten.
    Herr Bundeskanzler, wir können Ihren Aussagen heute in weiten Teilen zustimmen.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Na endlich!)

    Aber, Herr Bundeskanzler, wir müssen Sie bitten, die Gefahren, die auch sichtbar werden in der Haltung von Teilen Ihrer eigenen Partei und Ihrer Fraktion, zu sehen. Deswegen fordern wir Sozialdemokraten Sie auf: Schaffen Sie Klarheit über die Deutschlandpolitik Ihrer Partei! Und schaffen Sie auch die Voraussetzungen für die Gemeinsamkeit, die wir brauchen, um unsere Deutschlandpolitik voranzubringen!
    Danke schön.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Konstruktive Opposition!)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation im geteilten Deutschland und billigt ihn in allen seinen Aussagen einmütig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Da grinst der Kanzler wieder genüßlich und selbstgerecht! — Dr. Vogel [SPD]: Mal was Neues!)

    Auf Grund der Diskussion gestern in der Fraktion, deren Zusammenfassung Ihnen vorliegt, kann ich diese Aussage ohne jeden Vorbehalt treffen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte drei Passagen aus diesem Bericht hervorheben, weil sie wie in einem Brennspiegel die Lage, die Chancen und die Ergebnisse unserer Deutschlandpolitik wiedergeben.
    Erstes Zitat:
    Weil die Freiheit der Kern der deutschen Frage ist, ist unser Platz an der Seite unserer Partner und Freunde im Westen. Unsere Freunde begreifen ihrerseits, daß sich durch uns die ganze deutsche Nation mit ihrem Anspruch auf freie Selbstbestimmung ihnen anvertraut.
    In der Tat: die ganze deutsche Nation. Wäre es anders, meine Damen und Herren, wäre die Führung der DDR nicht gezwungen, Grenzbefestigungen mitten durch Berlin und mitten durch Deutschland anzulegen,

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: So ist es!)

    die sich nicht nach außen, sondern nach innen gegen die eigene Bevölkerung richten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nur so konnte die Fluchtbewegung notdürftig gestoppt werden, die sich seit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches nur in einer Richtung vollzieht: von Ost nach West. Das zeigt: Wir, das ganze deutsche Volk, gehören nach Wertbegriffen und kulturellem Selbstverständnis zur freiheitlichen Lebensform des Westens; wir alle, alle Deutschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweites Zitat:

    Aus der DDR sind 1984 über 40 000 Deutsche zu uns übergesiedelt. Wir begrüßen dies im Interesse der betroffenen Menschen. Viele von ihnen sahen in einer Übersiedlung aus der DDR ihre letzte Hoffnung.
    Ein bewegender Satz.
    Das dritte Zitat:
    Zum ersten Male seit zehn Jahren hat 1984 die
    Zahl der industriellen Arbeitsplätze in Berlin
    wieder zugenommen. Die Entwicklung des



    Dr. Dregger
    Bruttoinlandsprodukts in Berlin übertraf 1984 den Bundesdurchschnitt ebenso wie die Zunahme von Investitionen, Auftragseingängen und Produktion.
    Darauf können Sie, Herr Regierender Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, Ihr Senat und Ihre Berliner stolz sein, und wir sind es mit Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Sie sind penetrant langweilig!)

    Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU kommt immer wieder nach Berlin; nicht, weil Berlin uns braucht, sondern weil wir Berlin brauchen, seinen Mut, seinen Geist, seine Tapferkeit, die sich in der Zeit der Luftbrücke so hervorragend bewährt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Im übrigen, meine Damen und Herren: Berlin ist die einzige Stadt, in der sich das Schicksal Deutschlands und Europas widerspiegelt:

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Vergessen Sie München nicht!)

    das Schicksal der Teilung, das Schicksal der Unterdrückung nebenan und des ideologischen Kampfes. Es mag, meine Damen und Herren, eine Friedensordnung denkbar sein, in der nach dem Beispiel Österreichs mehrere voneinander unabhängige deutsche Staaten vorhanden sind. Aber es ist keine Friedensordnung denkbar, die die Teilung ein und derselben Stadt, Berlins, legitimiert und gleichzeitig die Freiheit des freien Teils für die Zukunft garantiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb, Herr Kollege Apel, ist die Freiheit West-Berlins untrennbar mit der Offenheit der deutschen Frage und ihrer Lösung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts des einen, des ganzen deutschen Volkes verknüpft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer das nicht begreift, mag für viele Ämter verwendbar sein. Als Regierender Bürgermeister von Berlin wäre er eine glatte Fehlbesetzung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Das weiß er selber! — Das wissen auch die Berliner! — Dr. Spöri [SPD]: Formatlos!)

    Ich möchte noch ein letztes Zitat aus der Regierungserklärung bringen, weil es Gegenstände vertieft, über die gestern in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion debattiert worden ist.

    (Dr. Vogel [SPD]: „Einmütig"?!)

    Dieses Zitat aus der Regierungserklärung lautet: Diese Dokumente
    — dann wird alles aufgeführt, was sich an rechtsrelevanten Verträgen und Erklärungen auf Deutschland bezieht: vom Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland über den Deutschlandvertrag bis zum Grundlagenvertrag mit der DDR und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1973 und Juli 1975 —

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Ein Haufen Recht und keine Politik!)

    bekräftigen unmißverständlich die deutschen Rechtspositionen, das Festhalten am Friedensvertragsvorbehalt
    — Herr Kollege Apel, das hatten Sie vorhin übersehen —
    ebenso wie unsere Bereitschaft zum Ausgleich und zur Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Über die sich aus diesen Dokumenten ergebende Rechtslage Deutschlands besteht in meiner Fraktion volle Übereinstimmung.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Die normative Kraft der Akten! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Wie kommt es dann zu dem Streit?)

    — Ich habe von der Macht des Faktischen gesprochen, die natürlich eine Rolle spielt.
    Soweit einzelne Diskussionsbeiträge der letzten Wochen Ihnen Anlaß zu Mißverständnissen geboten haben sollten,

    (Zurufe von der SPD: Aha! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Bei Ihnen wohl auch?)

    so sind diese Mißverständnisse mit dieser Regierungserklärung, die wir einmütig billigen, ausgeräumt. Das, was der Bundeskanzler gesagt hat, hat er für uns alle gesagt. Das gilt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Diskussion gestern war im übrigen wertvoll. Diese große Fraktion kann diskutieren. Aber sie kann auch entscheiden, sie kann in allen wichtigen Fragen einmütig entscheiden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben gestern z. B. das Beschäftigungsförderungsgesetz mit all seinen Schwierigkeiten, Belastungen und Problemen einmütig verabschiedet.

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Einstimmig!)

    — Einstimmig verabschiedet. — Wir haben unseren Beschluß über die Nachrüstung einstimmig gefaßt. Wenn wir es nicht getan hätten, würde nicht zwischen den Weltmächten verhandelt, wie das jetzt vorgesehen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber, wie gesagt, wir können auch diskutieren, fair und der Sache zugewandt.
    Die Diskussion gestern hat gezeigt: Die Rechtslage des geteilten Deutschlands und seiner geteilten Hauptstadt ist ebenso kompliziert wie ihre tatsächliche Lage.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Was ist denn die geteilte Hauptstadt?)




    Dr. Dregger
    — Hören Sie einmal zu, Frau Vollmer, Sie haben es dringend nötig. —

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Ist Berlin unsere Hauptstadt?)

    Das wird so bleiben, bis Friedensverträge eine zweifelsfreie, allseits anerkannte völkerrechtliche Ordnung in Europa geschaffen haben. Oder wir würden sagen: Es mag alles so bleiben, wie es ist. Aber selbst diese Aussage würde diesen Effekt nicht herbeiführen, weil keine der Siegermächte bis heute bereit ist, auf ihre Position in Deutschland als Ganzem zu verzichten. Wir müssen also mit dieser komplizierten Rechtslage Deutschlands leben, und wir wollen auch damit leben, um die Zukunft offenzuhalten. Wir nehmen die Komplexität und die Kompliziertheit der deutschen Frage sicherlich als einen Nachteil für eine Demokratie hin, die ja in ihrer Politik auf öffentliche Zustimmung angewiesen ist. Da haben es totalitäre Staaten einfacher; dort ist die öffentliche Meinung gelenkt, und nur wenige Experten bestimmen das, was zu diesen Fragen gesagt wird.
    Um Ihnen, meine Damen und Herren, wenn Sie einen Moment zuhören wollen — es scheint der Fall zu sein — zu verdeutlichen, daß diese deutsche Frage nicht nur kompliziert ist, sondern in all ihren Teilaspekten im Zusammenhang gesehen werden muß, zitiere ich einige Sätze aus einem an mich gerichteten Brief von Professor Dr. Eckart Klein, Völkerrechtler in Mainz. Ich zitiere:
    Der Friedensvertragsvorbehalt spielt auch im Verhältnis zur DDR eine gewichtige Rolle. Wird er im Verhältnis zu Polen zur Farce, wird ihm auch im Verhältnis zur DDR nur ein entsprechend geringes Gewicht zukommen können. Der Fortbestand Deutschlands als Ganzes würde zunehmend schwer aufrechtzuerhalten sein. An diesem hängt aber letztlich das Institut der gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit.

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Die Deutschland zusammenhaltende Argumentation ist ein rechtlich höchst empfindliches Gebilde, das durch das Herausbrechen von einzelnen Steinen insgesamt schwer, vielleicht unheilbar, geschwächt würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Weil es auf tönernen Füßen steht!)

    Meine Damen und Herren, die Welt ist leider nicht so einfach, wie Sie sie haben möchten. Wir müssen uns auf die Lage einstellen, wie sie ist.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sie sind der größte Traumtänzer!)

    Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am Ende der Debatte aus dieser Lage, die wir gestern erörtert haben, zwei Schlußfolgerungen gezogen. Wir Politiker, die gewählten Abgeordneten des deutschen Volkes — das ist unsere Würde, unser Auftrag und der Maßstab unseres Handelns —,

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Mir kommen die Tränen!)

    müssen mit der Rechtslage Deutschlands vorsichtig und zurückhaltend umgehen. Das Thema eignet sich nicht zu Gefühlsausbrüchen in die eine oder in die andere Richtung oder zur Polemik oder zur Behandlung nur unter einem Teilaspekt.

    (Zurufe von der SPD)

    Zweite Schlußfolgerung: Wir dürfen unsere Rechtspositionen nicht aufgeben, aber wir müssen sie als Instrumente für Politik begreifen, die sie nicht ersetzen, für eine selbstverständlich realistische Politik, die die Welt so sieht, wie sie heute ist. Entscheidend sind daher unsere Perspektiven für Deutschland und Europa in Ost und West.
    Ehe ich, meine Damen und Herren, auf diese Perspektiven eingehe, muß ich noch wenige Bemerkungen zur Charakterisierung der sowjetischen Deutschland- und Berlinpolitik machen. Seit Abschluß der Ostverträge ist es das Ziel sowjetischer Politik, diese Verträge einseitig auszulegen und als Ersatz für einen Friedensvertrag darzustellen. Dabei geht es der Sowjetunion nicht um die Oder-Neiße-Grenze, sondern darum, die Teilung Deutschlands und Europas endgültig zu machen. Das ist der eigentliche Gegenstand.
    Der einzige operative Ansatz, dem entgegenzuwirken, ist das Festhalten an der Offenheit der deutschen Frage, ist der Friedensvertragsvorbehalt, der weder in Vergessenheit geraten noch in seiner Wirkung abgeschwächt werden darf.
    Es ist das Verdienst der damaligen CDU/CSU-Opposition und vor allem des Landes Bayern, daß mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts, das der Herr Bundeskanzler eben in seiner Regierungserklärung zitiert hat, klargestellt wurde: Die Ostverträge sind formalisierte Gewaltverzichtsverträge der Bundesrepublik Deutschland; sie ändern nicht die Rechtslage Deutschlands, auch nicht seine völkerrechtlichen Grenzen. Die Rechtslage Deutschlands kann nur durch einen Friedensvertrag geändert werden. Diese Position ist seinerzeit zum Gegenstand des Ratifizierungsverfahrens gemacht und damals von der Gegenseite nicht bestritten worden. Das war die Voraussetzung dafür, daß die Verträge die Probe vor dem Verfassungsgericht bestanden.
    Alle Bundesregierungen, auch die des Kollegen Brandt, haben diese Linie bis heute aufrechterhalten. Die Regierung Kohl hat wirklich nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Wir stehen in dieser Frage in der Kontinuität der Deutschlind- und Ostpolitik von Bundeskanzler Adenauer bis heute!

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE] und weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Frau Vollmer, es wäre für Sie sicherlich lehrreich, wenn Sie zuhören würden!

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Frau Vollmer ist nicht taub! — Gegenruf von der CDU/CSU: Man hat aber manchmal das Gefühl!)

    Die Methoden sowjetischer Politik sind besonders gut in Berlin zu studieren. Es ist eine Salamitaktik: Scheibchenweise, aber mit eiserner Konse-



    Dr. Dregger
    quenz wird versucht, entgegen dem Viermächtestatus von Berlin und den Sowjets beherrschten Teil, also Ost-Berlin, restlos in die DDR zu integrieren und die Bindungen des anderen Teils Berlins, nämlich West-Berlins, an die Bundesrepublik Deutschland zu lockern.
    Zur Zeit geht es um die Fußballeuropameisterschaft.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Der Ball ist rund! Ich wußte es doch!)

    Der Ausschluß Berlins hat gewiß keine sportlichen, er hat politische Gründe. Für die Sowjets ist alles Politik, selbstverständlich auch der Sport.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Das ist für Herrn Dregger doch genauso!)

    Der Präsident des Deutschen Fußballbundes will den Mißbrauch des Sports für politische Zwecke durch die Sowjetunion akzeptieren,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

    und er gibt dafür noch die Begründung, daß aus seiner Sicht der Dinge Politik und Sport nichts miteinander zu tun hätten. Das ist der Höhepunkt der Naivität, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Dumm! — Töricht!)

    Das ist geradezu umwerfend,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dummheit!) aber es ist leider kein Einzelfall.


    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Dazu hat Herr Apel auch nichts gesagt!)

    Deshalb sei mit Ernst gesagt, daß Naivität kein geeignetes Rezept für den Umgang mit totalitären Staaten ist. Unser freiheitliches System kann nur überleben, wenn sich seine Repräsentanten, zu denen natürlich auch die hohen Sportfunktionäre unseres — vom Staat in der Tat nicht gegängelten — Sports gehören, ihrer demokratischen und nationalen Verantwortung gewachsen zeigen. Darum geht es!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun zu den Perspektiven: Es ist die Schicksalsfrage unserer Zeit, ob es in den kommenden Jahren gelingt, die Sicherheits- und Zukunftsinteressen der Sowjetunion mit den Lebensinteressen eines freien Europa, insbesondere der Völker Ostmitteleuropas, in Übereinstimmung zu bringen. Das wird nur möglich sein, wenn die Sowjetunion bereit ist, ihre Nachbarvölker als gleichberechtigt anzuerkennen, und wenn sie auch ideologisch darauf verzichtet, sie in ein kommunistisches Weltsystem einzugliedern, das unter ihrer Herrschaft steht. Die Sowjetunion besitzt das größte Land der Erde. Ihre Energie- und Rohstoffreserven sind einzigartig und bisher weitgehend ungenutzt. Für sich selbst braucht die Sowjetunion das Land ihrer westlichen Nachbarn nicht. Je länger die Sowjetunion ihre Herrschaft über ihre Zwangsverbündeten — denken Sie an die Befestigungsanlagen in Berlin und in Deutschland — aufrechterhält, um so geringer wird für sie der Nutzen und um so größer die ökonomische und politische Last, die daraus für sie erwächst. Ein einiges und freies Europa, das mit der Sowjetunion eng zusammenarbeitet, könnte ihr nützlicher sein. Unsere Sache ist es, der Sowjetunion immer wieder klar zu machen, daß wir ihre Größe respektieren, ihre Macht und ihren potentiellen Reichtum, nicht aber ihre Herrschaft über andere Völker.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir unsererseits arbeiten für ein Europa, das seine Einheit in Freiheit und Vielfalt wiederfindet, das die Sperranlagen an den Grenzen überwindet, das sich öffnet für friedlichen Austausch. In Westeuropa ist dieses friedliche, freiheitliche Europa der Völker auf dem Weg, wenn auch noch unvollendet. Es auch in Osteuropa auf den Weg zu bringen ist die historische Aufgabe, die wir Deutschen allein nicht in Angriff nehmen können. Es ist die Aufgabe der Europäer insgesamt im Einvernehmen mit den beiden Weltmächten. Zur Erreichung — —