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ID1012200400

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    Plenarprotokoll 10/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9009 A Bericht zur Lage der Nation Dr. Kohl, Bundeskanzler 9009 B Dr. Apel SPD 9017 C Dr. Dregger CDU/CSU 9023 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9027 C Hoppe FDP 9030 D Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 9033 D Büchler (Hof) SPD 9037 A Genscher, Bundesminister AA 9039 D Schlaga SPD 9043 D Lintner CDU/CSU 9045 C Handlos fraktionslos 9047 C Schneider (Berlin) GRÜNE 9049A Dr. Haack SPD 9050 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 9053 B Dr. Vogel SPD 9054 B Nächste Sitzung 9058 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9059* A Anlage 2 INFCE-Empfehlungen betr. den Anreicherungsgrad des Urans bei der Produktion von Kernbrennstäben MdlAnfr 5, 6 07.12.84 Drs 10/2587 Becker (Nienberge) SPD ErgSchrAntw PStSekr Spranger BMI . . 9059* B auf ZusFr Catenhusen SPD Anlage 3 Polnische Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland seit 1980 MdlAnfr 44 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU ErgSchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . 9059*D auf ZusFr Dr. Hupka Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 9009 122. Sitzung Bonn, den 27. Februar 1985 Beginn: 14.00 Uhr
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    Berichtigung 121. Sitzung, Seite 9005* C; nach der 21. Zeile ist nach dem Wort „vorgesehen" einzufügen: „steuerlichen Gleichbehandlung von eigengenutzten". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 1. 3. Breuer 1. 3. Büchner (Speyer) * 1. 3. Dr. von Bülow 28. 2. Dr. Bugl 28. 2. Cronenberg (Arnsberg) 27. 2. Ertl 1. 3. Gallus 1. 3. Frau Gottwald 1. 3. Haehser 1. 3. Dr. Hauff 1. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 2. Jung (Düsseldorf) 1. 3. Frau Kelly 1. 3. Dr. Kreile 27. 2. Frau Dr. Lepsius 1. 3. Lohmann (Witten) 27. 2. Mischnik 27. 2. Dr. Müller 1. 3. Polkehn 1. 3. Dr. Scheer 28. 2. Schlottmann 1. 3. Dr. Schöfberger 1. 3. Schröder (Hannover) 27. 2. Frau Simonis 1. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 1. 3. Stockhausen 1. 3. Uldall 27. 2. Voigt (Frankfurt) 27. 2. Weinhofer 1. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Ergänzende Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) zu der Frage des Abgeordneten Becker (Nienberge) (SPD) (Drucksache 10/2587 Fragen 5 und 6, 110. Sitzung, Seite 8210 B): Ihre Zusatzfrage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen in- Anlagen zum Stenographischen Bericht nerhalb weniger Jahre auf Brennelemente mit niedrig angereichertem Uran umgestellt werden könnte, ohne daß es zu einer Betriebsunterbrechung kommen müßte, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre Zielsetzung, hochangereichertes Uran möglichst wenig einzusetzen? beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Forschung und Technologie wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß eine Umstellung des THTR-300 vom beantragten und genehmigten Thorium/Uran-Kreislauf auf einen anderen Zyklus mit niedrigerer Anreicherung aus heutiger Sicht technisch innerhalb einiger Jahre möglich sein kann. Zu gegebener Zeit werden für den THTR-300 unter Auswertung der Betriebserfahrungen mit dem Betreiber die sicherheitstechnischen und betrieblichen Voraussetzungen einer Umstellung auf niedrig angereichertes Uran zu prüfen sein. Bei der Planung von Nachfolgerreaktoren dieser Linie wird der Einsatz von Brennelementen mit niedriger angereichertem Uran verfolgt. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 44, 114. Sitzung, Seite 8489): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1985 haben Sie im Anschluß an die Beantwortung der Frage 44 die Zusatzfrage gestellt, wie viele der dem Ausländerzentralregister zwischen 1980 und 1984 gemeldeten 20 952 polnischen Staatsangehörigen, die zugezogen sind, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, wieder zurückgegangen sind. Die Bundesregierung kann diese Frage nicht beantworten, weil ihr entsprechende Angaben nicht zur Verfügung stehen. Dies beruht zum einen darauf, daß nicht alle polnischen Staatsangehörigen, die in ihr Heimatland zurückkehren, sich bei den zuständigen deutschen Behörden abmelden und zum anderen darauf, daß bei der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland Zählkontrollen nicht durchgeführt werden.
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    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Für viele Deutsche ist im Gegensatz zur Wende in der Sozial- und der Gesellschaftspolitik die Wende in der Deutschlandpolitik ausgeblieben. Es scheint so, als würde unsere Politik, die wir in der sozialliberalen Koalition entwickelt haben, ihre Fortsetzung in der Koalition von CDU/CSU und FDP finden.
    Herr Kollege Dr. Barzel, Sie haben am Tage des Mißtrauensvotums gegen den Bundeskanzler Helmut Schmidt damals, vor nun bald 29 Monaten, unsere Deutschlandpolitik als „Kasse gegen Hoffnung" bezeichnet. Sie wissen genau, Herr Kollege Barzel und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, daß diese Bezeichnung für unsere Deutschlandpolitik falsch war.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber richtig ist, daß Sie heutzutage in der Tat „Kasse gegen Hoffnung" als Element Ihrer Politik versuchen.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit 2 Milliarden DM verbürgter Kredite haben Sie versucht, Bewegung in die Deutschlandpolitik zu bringen.
    Man kann die Leistungen der DDR unterschiedlich beurteilen. Letztendlich aber sind Ergebnisse zustande gekommen, die wir begrüßen, weil sie den Menschen in beiden deutschen Staaten zugute kommen, z. B. 40 000 Ausreisen, allerdings — und das muß kritisch angemerkt werden — nicht nur aus humanitären Gründen. Es sind auch viele Bürgerinnen und Bürger aus der DDR ausgereist aus innerstaatlichen Gründen: weil es im Interesse der DDR richtig war, diese Bürgerinnen und Bürger zur Ausreise zu veranlassen. Damit bleiben eine ganze Reihe von wichtigen menschlichen Problemen der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland ungelöst.
    Wir verkennen auch nicht, daß die Senkung des Mindestumtausches für Rentner und Jugendliche möglich war. Der Bundeskanzler hat von dem Abbau der Todesautomaten gesprochen, auch wenn die Grenze durch die neuen Bauten unüberwindlicher geworden ist. Wir stehen auch nicht an, zu sagen, daß das neue Postabkommen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland sachgerecht und nützlich ist. Wir haben ihm zugestimmt, obwohl die von uns zu zahlende Postpauschale um 250 %, um das Zweieinhalbfache, gesteigert wurde. Ich möchte hier nur am Rande anmerken, was uns wohl passiert wäre, wenn wir als sozialliberale Koalition dieses Ergebnis vorgelegt hätten, mit welchem Wehgeschrei und Protestgeschrei Sie diese Entscheidung begleitet hätten.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber, meine Damen und Herren, damit das klar ist: Ergebnisse in der Deutschlandpolitik verlieren für uns nicht an Wert dadurch, daß eine andere



    Dr. Apel
    Bundesregierung sie erreicht. Aber wir bleiben dabei: Wir sind stolz darauf, daß wir die Grundlagen dieser Politik gelegt haben. Wir nehmen zur Kenntnis — und es bleibt historische Wahrheit —, daß Sie diese Politik 13 Jahre erbittert bekämpft haben. Aber Deutschlandpolitik ist zu wichtig, zu ernst und von zu großer Verantwortung gegenüber den Menschen in der DDR geprägt, als daß sie vom Parteienstreit bestimmt werden darf. Deshalb — und darauf lege ich nach Pressemeldungen, die ich heute morgen gelesen haben, großen Wert — bleibt es auch zwischen der Regierungskoalition und der Opposition unbestritten, daß wir unser Grundgesetz nicht ändern werden, um unser Staatsbürgerschaftsrecht zu modifizieren. Es geht um Respektierung, nicht um Änderung, und die DDR weiß ganz genau, daß es um Respektierung und nicht um Anerkennung geht.
    Nach der Wende haben führende Mitglieder der Union die wesentlichen Grundlagen unserer realistischen Deutschlandpolitik klar ausgesprochen, sich auf die Logik unserer Deutschland- und Ostpolitik berufen und diese Logik für ihre Politik in Anspruch genommen — erstmals nach 13 Jahren Gegnerschaft. Wir sind froh darüber. Lange genug hat das deutsche Volk auf diese Kehrtwendung gewartet.

    (Beifall bei der SPD)

    „Wiedervereinigung steht nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte", so der Bundeskanzler. Heute, Herr Bundeskanzler, habe ich Ihrem Bericht folgende Zitate entnommen: Es geht um Selbstbestimmung und Menschenrechte, es geht nicht um Grenzen und nicht um Souveränität. Herr Bundeskanzler, diesen Feststellungen, die Sie hier getroffen haben, möchten wir ausdrücklich zustimmen.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter Apel, gestatten Sie eine Unterbrechung. — Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die stehend im Saal sind, entweder den Saal zu verlassen oder sich zu setzen. Das gilt für alle Abgeordneten.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Wir stellen ferner fest, daß der innerdeutsche Minister in Washington erklärt hat, daß die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten — „Kommunikation" hat er gesagt — auf allen Ebenen den Zusammenhalt der Nation stärken. Der Bundeskanzler hat heute wie in seinen Regierungserklärungen deutlich gemacht, daß die vertraglichen Grundlagen zwischen den beiden deutschen Staaten uneingeschränkt gelten, insbesondere der Grundlagenvertrag.
    Herr Bundeskanzler, damit haben Sie folgendes ausgesagt; ich will das hier zu Protokoll des Deutschen Bundestages geben. Sie haben damit ausgesagt, daß es Beziehungen geben muß zwischen den beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung, des Respekts, der Selbständigkeit, der Souveränität in den inneren und in den äußeren Angelegenheiten der beiden deutschen Staaten. Daran werden wir Sie erinnern, daran werden wir Sie festhalten, wenn es darum geht, praktische Politik zu machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben damit auch deutlich gemacht, daß die beiden deutschen Staaten eine ganz besondere Verpflichtung zur Friedenssicherung in Europa haben. Dann fragen wir uns von der Opposition als sozialdemokratische Bundestagsfraktion in der Tat, wenn wir Stichworte, Äußerungen auch aus der Bundesregierung, aus dem Kanzleramt von Kanzleramtsminister Schäuble hören, ob diese Grundlagen noch für alle gelten, ob es nicht in der Union — Sie haben ja gestern eine sehr lebhafte Fraktionssitzung gehabt — bereits eine ganze Reihe von abweichenden Meinungen gibt, die eben diese Festlegungen des Bundeskanzlers so nicht akzeptieren, sondern eine andere, eine veraltete Deutschlandpolitik wollen: zurück in die Gräben des kalten Krieges.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Recht am Ende Ihrer Ausführungen auf die gemeinsame Erklärung hingewiesen, die der Deutsche Bundestag vor knapp einem Jahr verabschiedet hat. Diese Erklärung bleibt weiterhin gültig. Inzwischen ist aber einiges passiert.
    Im April 1984 wird der von Helmut Schmidt am Werbellinsee verabredete deutsch-deutsche Jugendaustausch von der DDR aufgekündigt. Im August 1984 werden den Berlinern Reiseerleichterungen vorenthalten, die den Bundesbürgern eingeräumt werden. Im September 1984 trägt Bonn zur Absage des Honecker-Besuchs bei.

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Na, na, na! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, zunehmend werden die deutsch-deutschen Beziehungen durch Wortführer in den Unionsparteien dadurch belastet, daß unsere Ostverträge eben doch in Zweifel gezogen werden. Das gilt insbesondere für die polnische Westgrenze.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben dazu heute Ausführungen gemacht. Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion folgendermaßen verstehen.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Wir wollen gern wissen, ob diese Interpretation der Aussagen des Herrn Bundeskanzlers auch die Interpretation des Herrn Fraktionsvorsitzenden Dregger ist; das ist wohl von einigem Belang.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir verstehen die Aussagen des Herrn Bundeskanzlers folgendermaßen: daß es sich bei der polnischen Westgrenze eben nicht nur um eine politische und eine juristische Bindung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Volksrepublik Polen handelt, sondern daß diese Frage für den Bundeskanzler auch eine politische und moralische Bin-



    Dr. Apel
    dung des gesamten deutschen Volkes gegenüber dem polnischen Volk darstellt.

    (Beifall bei der SPD)

    So erklären wir die Aussagen des Bundeskanzlers. Wir wollen von Ihnen wissen, ob Sie diesen Eindruck, den wir aus Ihren Ausführungen gezogen haben, für die wir dankbar sind, bestätigen.
    Herr Bundeskanzler, Sie können die Änderungen in der Deutschlandpolitik, die sich in Teilen der Unionsparteien und in Teilen der Unionsfraktion ankündigen, nicht vom Tisch wischen. Es hat keinen Zweck, so zu tun, als wäre es vernünftig, hier tagtäglich nach dem Motto „business as usual" vorzugehen, sondern wir brauchen Antworten darauf, wie es weitergeht. Wir wollen insbesondere darüber debattieren, daß sich Fehlschläge, wie von mir dargestellt, seit dem letzten Jahr häufen. Wir bedauern das um so mehr, als wir uns eine Vorstellung davon machen können, was durch diese Politik alles nicht möglich wurde.
    Der innerdeutsche Minister hat von der Möglichkeit gesprochen, das Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bei gutem Willen zum Abschluß zu bringen, wenn Herr Honecker die Bundesrepublik Deutschland besucht haben würde. Wie steht es mit dem Kulturabkommen? Wie wir gehört haben, wird weiter verhandelt.
    Wir fragen uns ferner: Wie steht es eigentlich mit dem Abkommen mit der DDR über die Werra-Entsalzung? Ich will nur diese zwei wirklich wichtigen Themen nennen.
    Sicher, meine Damen und Herren, die beiden deutschen Staaten leben nicht auf einer Insel der Seligen. Sie sind jeweils in ihre Bündnis- und Wirtschaftssysteme eingebunden. Sie können sich weltpolitischen Entwicklungen nicht entziehen.
    In der Eiszeit zwischen den Supermächten ist es zur Verblüffung der Welt im deutsch-deutschen Dialog zunächst weitergegangen. Dann ist er nach und nach eingeschränkt worden. Heute, in einer Zeit, in der die Supermächte im Begriff sind, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden, stellen wir fest, daß zwischenzeitlich die Deutschlandpolitik ins Stocken geraten ist. Dabei haben sich doch die weltpolitischen Rahmenbedingungen für die Deutschlandpolitik eigentlich nicht verschlechtert.
    Der deutschlandpolitische Stillstand, den wir leider seit letztem Sommer feststellen müssen, mag sicherlich auch Moskauer Wünschen entsprechen. Aber er hat in weiten Teilen hausgemachte Ursachen. Er ist von führenden Unionspolitikern gewollt, mindestens aber — so von Herrn Dregger — leichtfertig herbeigeredet worden.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Er ist auch Konsequenz unzureichender Verhandlungsführung.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Herr Bundeskanzler, noch im Februar haben Sie an dieser Stelle ein deutsch-polnisches Jugendwerk für die Aussöhnung mit Polen als wichtiges Ziel Ihrer Politik bezeichnet. Wir unterstützen diesen Gedanken. Viel mehr ist dann aber ein deutschdeutsches Jugendwerk zur Erhaltung und Vertiefung menschlicher Bindungen zwischen den beiden deutschen Staaten geeignet.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe bereits daran erinnert, daß es Bundeskanzler Helmut Schmidt war, der am Werbellinsee diesen deutsch-deutschen Jugendaustausch verabredet hatte. Er ist 1983 angelaufen. 6 000 Jugendliche reisten nach Osten, 1 200 nach Westen, jeder mit 18 Mark pro Kopf und Tag ausgerüstet. Ich denke, das ist eine Politik, die den deutschen Zusammenhalt stärkt, der Perspektive für Deutschlands Zukunft bietet.
    Nun stellen wir aber fest, daß im letzten Verfassungsschutzbericht unter der Verantwortung des Herrn Zimmermann der Aufenthalt von DDR-Jugendlichen bei uns unter dem Kapitel „Westarbeit der SED" abgehandelt wird. Die DDR brach darauf den Austausch ab und machte seine Fortsetzung von einer Korrektur des Verfassungsschutzberichtes abhängig. Herr Zimmermann hat nicht korrigiert. Der zweiseitige Jugendaustausch ist damit wohl beendet.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist eine tolle Logik!)

    Panne oder Absicht, meine Damen und Herren von der Union? Wer sich so stur unter dem einheitlichen Dach der Bundesregierung verhält, will augenscheinlich einen wichtigen Ansatz deutsch-deutscher Zukunft zerstören. Denn, meine Damen und Herren, wir wissen doch, daß wir es in der DDR mit der SED zu tun haben. Soll deswegen der Jugendaustausch nicht mehr stattfinden?

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber den Verfassungsschutzbericht müssen wir schon selber schreiben, nicht Herr Honecker!)

    Den Vorgängen um die Absage des HoneckerBesuchs lag das gleiche Grundmuster zugrunde. Wir wollen die törichten Sprüche von Herrn Dregger nicht wiederholen. Aber eines hat Herr Dregger deutlich gemacht:

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Was soll denn das? Was ist das für ein Stil? So sollten Sie mit einem Ehrenmann nicht umgehen!)

    Er will die Repräsentanten der DDR so behandeln, daß die Grundlagen, die im Grundlagenvertrag formuliert sind — Gleichberechtigung und Respektierung der Souveränität der beiden deutschen Staaten —, in Zweifel geraten. Herr Bundeskanzler, haben Sie diese Linie nicht mit Ihren Erklärungen fortgesetzt? Waren es nicht Sie, der im Gespräch mit Herrn Honecker bei gewissen Themen weghören wollte? Wollten Sie allenfalls über andere Themen ohne Ergebnis diskutieren? Und das alles zu einer Zeit, in der es keinen bestätigten Besuchstermin und auch nicht die geringsten offiziellen Äußerungen der DDR zu einem baldigen Besuchstermin gab! Wir fragen Sie: Ist das die Form des Umgangs



    Dr. Apel
    mit der DDR, die der deutsch-deutschen Zukunft weiterhilft? So wurde dieser Besuch mit seinen deutschlandpolitischen Chancen stümperhaft und dilettantisch zerredet.

    (Beifall bei der SPD)

    Panne oder Absicht? Wer die Grundlagen deutschdeutscher Politik, wie im Grundlagenvertrag festgelegt, nicht beachtet, wird Deutschlandpolitik nicht gestalten können.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Diskussion in der CDU/CSU um die offiziellen Kontakte mit der Volkskammer machen Ihr Grunddilemma deutlich. Der Volkskammer, so sagen Sie, fehle die notwendige demokratische Legitimation,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt doch!)

    das notwendige parlamentarische Gewicht. Aber, Herr Präsident a. D. Barzel, gilt das gleiche nicht auch für das ungarische Parlament?

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Völkerrecht!)

    Kann man das ungarische Parlament besuchen, wenn man derartige Kriterien anlegt? Dort scheuen Sie vor offiziellen Kontakten nicht zurück.

    (Abg. Dr. Barzel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Keine Zwischenfrage.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Nun fragen Sie nach Statusproblemen. Sie sagen: Hier könnte es aber Statusprobleme geben. — Das war wahrscheinlich Gegenstand der Frage des Herrn Kollegen Dr. Barzel. — Dazu sage ich Ihnen: Wer Berlin in den Verhandlungen, auf die ich gleich zu sprechen komme, so behandelt, daß Berlin nicht Teil einer Lösung ist, die für die Bundesrepublik gilt, schafft sehr viel leichtfertiger Statusprobleme zu Lasten Berlins als der, der bereit ist, auch mit der Volkskammer in Gespräche einzutreten.

    (Beifall bei der SPD)

    Heute haben Sie, Herr Bundeskanzler, erneut davon gesprochen, daß für Sie Berlin Gradmesser der Deutschlandpolitik ist. Herr Bundeskanzler, Sie haben aber kein Wort darüber verloren, daß Sie, Ihre Regierung, Herr Staatsminister Jenninger im Sommer 1984 bei den mit der DDR ausgehandelten Besuchserleichterungen die Berliner schlichtweg vergessen haben. Das ist ein bisher einmaliger Vorgang.

    (Beifall bei der SPD)

    So ernst können Sie es also mit Berlin als Gradmesser Ihrer Politik nicht gemeint haben, wenn Sie Ihren Maßstab gleich bei der ersten Bewährungsprobe glatt vergessen. Sicher, Herr Bundeskanzler — wer bestreitet das eigentlich? —, die Einbeziehung Berlins in die Deutschlandpolitik ist das Schwierigste im deutschlandpolitischen Alltagsgeschäft. Sozialdemokraten haben aber lieber Schwierigkeiten auf sich genommen, als Berlin draußen vor zu lassen.

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir hatten schon Aschermittwoch!)

    Berlin ist nicht nur Gradmesser der Ost-West-Beziehungen; Berlin ist der Motor aller Deutschlandpolitik. Gäbe es Berlin nicht, dann hätten wir eine glatte Teilung entlang der Elbe, ähnlich wie in Korea entlang des 38. Breitengrads. Dann gäbe es wahrscheinlich keine Entspannungspolitik. Dann gäbe es kein Vertragswerk zwischen Ost und West. Dann gäbe es keine Gespräche zwischen den Bündnissen. Dann hätten wir solche Verhältnisse: kaum Verhandlungen, keine Verträge, keine Übereinkommen.
    Damit ist für uns Sozialdemokraten — aber ich denke, in diesem Punkt sind wir uns einig — der besondere Ausgangspunkt für Berlin deutlich geworden. Berlin braucht die Entspannungs- und Vertragspolitik mit dem Osten. Das ist seine zentrale Basis für seine Zukunft. Es waren doch die Notwendigkeiten der Stadt — Versorgung, Entsorgung, Transit —, die die Ost-West-Gespräche in Gang gesetzt haben, die die Entspannungspolitik vorangebracht haben, die die Vier Mächte für Berlin an einen Tisch gebracht haben und die die beiden deutschen Staaten immer wieder zu politischem Umgang miteinander zwingen. Aber da wir uns in diesen Fragen einig sind, Herr Regierender Bürgermeister, was die Westbindung anbelangt, die Präsenz der Schutzmächte und die volle Übernahme aller Bundesgesetze für Berlin anbelangt, verbitte ich mir Ihre billige Polemik, mit der Sie stets im Wahlkampf verleumderisch versuchen, die Sozialdemokraten in die Nähe einer anderen Gruppierung zu bringen. So geht es nicht unter Demokraten.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU)

    Aber da der Regierende Bürgermeister hier ja noch sprechen wird, sollte er eine Aussage des Bundeskanzlers richtigstellen. Der Bundeskanzler hat davon geredet, daß in Berlin vieles gut ist. Wer will das eigentlich bestreiten? Sozialdemokraten haben diese Stadt 30 Jahre lang regiert.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    30 Jahre haben wir für den Aufbau, die demokratische Einordnung, die Westbindung dieser Stadt gestanden — zu einer Zeit, als Sie mosernd im Abseits standen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: An der Erblast leiden wir heute noch, Herr Apel! — Was habt ihr hinterlassen?)

    Aber bei einem Punkt sollten Sie, Herr Bundeskanzler, einen Blick auf die Veröffentlichungen des Statistischen Landesamts werfen. Es ist falsch, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, daß die Zahl der Arbeitskräfte im verarbeitenden Gewerbe 1984 gegenüber 1983 im Jahresdurchschnitt zugenommen hat. Tatsache ist, daß die Zahl der Beschäftig-



    Dr. Apel
    ten im verarbeitenden Gewerbe 1984 gegenüber 1983 im Jahresdurchschnitt um 2 100 abgenommen hat. Ich führe das hier nicht ein, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Ich sage das nur, um deutlich zu machen, daß wir auch künftig gemeinsam jede Verpflichtung haben, für Berlin einzutreten, weil es keineswegs so ist, daß in Berlin alles schon so in Ordnung ist, daß es keine Sorgen über die wirtschaftliche Zukunft in der Stadt gibt.

    (Beifall bei der SPD — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber bei uns wird es besser!)

    Herr Bundeskanzler, ich habe bereits Ihre Äußerungen zum deutsch-polnischen Verhältnis angesprochen. Ich habe sie so interpretiert, wie wir sie verstanden haben. Ich stelle fest, daß Sie sich damit hinter die Aussagen des Abgeordneten Rühe gestellt haben; ich stelle fest, daß Sie die Äußerungen des Kanzleramtsministers Schäuble, der am Sonntag darauf die Äußerungen des Abgeordneten Rühe und auch die Unterstützung durch den Bundeskanzler wieder in Frage gestellt hat, ad acta gelegt haben. Wir sind dankbar dafür; wir werden darauf zurückkommen.

    (von Schmude [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht richtig verstanden!)

    Wir erwarten in dieser Debatte eine ebenso klare Äußerung der Unionsfraktion zu dieser lebenswichtigen Frage.
    Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle wissen doch, daß eine größere Einheit der Deutschen in ferner Zukunft in einem freien Europa nur mit der Zustimmung aller unserer Nachbarn zu erreichen sein wird. Wer heute für den späteren Zeitpunkt einer größeren Einheit der Deutschen die Westgrenze Polens in Frage stellt, der macht damit deutlich, daß er von niemandem in Ost und in West die Zustimmung zu einer größeren Einheit der Deutschen erwarten kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie so argumentieren sollten, dann haben Sie bereits heute die Chance für eine Überwindung der deutschen Teilung verspielt.

    (Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

    Mehr noch: Wer so argumentiert, wer diesen Eindruck erweckt oder gar erwecken will, wird erleben, daß jeder Schritt, den die beiden deutschen Staaten aufeinander zu tun, der die deutschen Staaten enger zueinanderbringt, als eine Bedrohung angesehen wird, weil dann in der Tat Entwicklungen zwischen den beiden deutschen Staaten, die sie möglich machen könnten, auch mit Argwohn verfolgt werden könnten. Auch deshalb ist im Interesse der Deutschlandpolitik absolute Klarheit, was die polnische Westgrenze heute und in der Zukunft anbelangt, von dringender Notwendigkeit.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Im übrigen sind die rechtlichen Grundlagen von Deutschlandpolitik zwischen uns unbestritten. Unsere Verpflichtung aus der Präambel des Grundgesetzes, „in freier Selbstbestimmung die Einheit Deutschlands zu vollenden", ist von uns immer wieder bekräftigt und erneuert worden. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Union, keiner kommt an den Fakten vorbei. Es gibt zwei deutsche Staaten, die jeweils einem der beiden großen Bündnissysteme zugeordnet sind. Wir haben uns für die Westbindung entschieden. Das entspricht unserer ehrlichen und festen Überzeugung. Wirtschaftlich und militärisch sind wir in einem Maße in den Westen integriert, daß eine Umkehrung nicht vorstellbar und auch nicht wünschbar ist; sie würde Europa mit Sicherheit destabilisieren.
    Aber, meine Damen und Herren, gleiches gilt doch für die Verflechtung der DDR mit dem Osten. Ich habe im Sommer dieses Jahres dieses Spannungsverhältnis aufgegriffen und Verfassungsauftrag und die Entwicklung der Realitäten gegenübergestellt.

    (Berger [CDU/CSU]: Ist das das Ergebnis einer freien Entscheidung dort?)

    Zusammengefaßt habe ich dies mit den Worten: Insofern — Einbindung hier, Einbindung dort, Schaffung von Realitäten, die weiterwirken und sich verstärken sollen —

    (von Schmude [CDU/CSU]: Das sind aber zwei Qualitäten!)

    ist die deutsche Frage nicht mehr offen.
    Meine Damen und Herren, ich behaupte überhaupt nicht, daß ich fälschungssicher argumentiert habe.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Halboffen geht nicht! Entweder offen oder zu!)

    Aber Sie haben das kräftig ausgenutzt, Sie werden das heute noch ausnutzen. Ich füge hinzu: Natürlich ist der Lauf der Geschichte stets offen. Wer aber wie wir alle, so denke ich, ein neutralisiertes Deutschland mit gutem Grund als politisches Ziel wegen der davon ausgehenden Gefährdungen für den Frieden und unsere Freiheit ablehnt, wer erkennt, daß Gewalt als Mittel der Politik für immer ausscheidet, wer Friedens- und Außenpolitik unter den Bedingungen des atomaren Zeitalters begreift, der weiß dann auch, welche Konsequenzen die von uns akzeptierte Unverletztlichkeit aller Grenzen in Europa und auch gegenüber der DDR heute und in Zukunft hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Art und Weise, wie Teile der Union die deutsche Frage heute wieder als „offen" hochspielen,

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Was soll denn das nun wieder? — Berger [CDU/CSU]: Ist sie für Sie nicht mehr offen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    stellt doch nicht nur einen Rückfall hinter die Grundlagen unserer Deutschland- und Ostpolitik dar. Wer unsere deutsche Wiedervereinigung proklamiert, ohne klarzumachen, welche Rolle dabei die beiden deutschen Staaten, die Bündnisse, unsere Nachbarn spielen müßten, welche weltpoliti-



    Dr. Apel
    schen Veränderungen damit verbunden sein müßten, der hat die deutsche Realität weder verstanden noch akzeptiert.

    (Beifall bei der SPD)

    Er kann die deutsche Teilung zum Schaden aller Deutschen nur vertiefen.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Golo Mann hat einmal von der verhängnisvollen Neigung der Deutschen gesprochen, Rechtsstandpunkte mit Politik zu verwechseln. Ich möchte das härter formulieren: Die Begrenzung auf Rechtsstandpunkte kann notwendiges politisches Handeln verhindern. Die Geschichte ist eben kein Amtsgericht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD — von Schmude [CDU/CSU]: Also wollen Sie Rechtspositionen aufgeben? Dann ändern Sie doch gleich das Grundgesetz! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wer es mit unserem Auftrag ernst meint, die Einheit zu vollenden, der kann im Atomzeitalter nicht von der Änderung von Grenzen sprechen; er kann sie nur durch Verständigung überwinden.

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: So ist das!)

    Die europäischen Völker können nur in einer Friedensordnung überleben,

    (von Schmude [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    die das Zusammenleben von Staaten unterschiedlicher Systeme sichert, ohne die Änderung der Systeme zur Voraussetzung zu machen.

    (von Schmude [CDU/CSU]: Nun treten Sie einmal für das Selbstbestimmungsrecht ein!)

    Die politischen Bemühungen müssen sich daher auf die allmähliche Überwindung des trennenden Charakters der Europa teilenden Grenzen konzentrieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Die so verstandene Überwindung der Teilung schließt eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten in irgendeiner Zukunft und — darauf kommt es an; der Bundeskanzler hat es auch so gesagt — unter Zustimmung aller europäischen Nachbarn und aller Verbündeten zwar nicht aus,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

    die Überwindung der Teilung kann aber auch schon eine Situation meinen, in der die Staaten mit ihren unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen fortbestehen und ein Interessenausgleich insoweit hergestellt ist, als menschliche Beziehungen erhalten bleiben, eine Reise von Deutschland nach Deutschland genauso unkompliziert ist wie eine Reise von Deutschland nach Frankreich.
    Die Deutsche Nation ist als Kulturnation lebendig. Die Eröffnung der Semper-Oper und das Luther-Jahr haben dies mehr als deutlich gemacht. Den Zusammenhalt der Nation durch Kommunikation auf allen Ebenen zu stärken, das ist Aufgabe und Verpflichtung verantwortungsvollen politischen Handelns — um so mehr, als wir doch wissen, daß Friedenssicherung und Umweltschutz gemeinsames Handeln unumgänglich machen.
    Wir Sozialdemokraten wollen der DDR die Auseinandersetzung über den Gegensatz der Systeme nicht ersparen. Wir führen sie aber nicht mit dem Ziel, die Spaltung zu vertiefen, die Souveränität der DDR geringzuachten oder markig oder lautstark alles besser zu wissen. Ruhig und selbstbewußt vertreten wir unsere Politik in der Gewißheit, daß unser System das bessere ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber, meine Damen und Herren, gilt dies auch noch, wenn Massenarbeitslosigkeit bei uns einen Nachkriegsrekord erreicht, wenn 2,6 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet sind und weitere 1,3 Millionen der stillen Reserve zugeordnet werden?

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Ach! — Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Ist das der Maßstab des Vergleichs zwischen den Systemen? — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie sind auch eine stille Reserve! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Jeder weiß doch inzwischen, daß ein wirtschaftlicher Aufschwung die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen wird. Deswegen fordern wir auch in diesem Zusammenhang eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Denn sie ist wichtig, um im Wettkampf der Systeme bestehen zu können.

    (Beifall bei der SPD)

    Und haben wir wirklich noch Freiheit von Not und Elend? Haben Sie nicht seit der Wende den sozial Schwächeren systematisch genommen, den Gutgestellten dafür gegeben?

    (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ist es nicht ein Zerrbild von Gerechtigkeit, wenn die von Ihnen gewollte Steuerreform das Kind des Großverdieners zweieinhalbmal soviel begünstigt wie das Kind des Durchschnittsverdieners?

    (Beifall bei der SPD — Dr. Olderog [CDU/ CSU]: Wir sind doch hier nicht im Wahlkampf! Hören Sie doch auf mit Ihrer Wahlkampfrede! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie können höchtens ein verlierender Bürgermeister sein, bestimmt kein Regierender!)

    In der Auseinandersetzung der Systeme ist Freiheit unser Trumpf. Wir müssen aber mit unserer Freiheit und unserem Selbstbestimmungsrecht verantwortlich umgehen. Freiheit ist für uns auch Freiheit von Not. Nicht umsonst berufen wir uns auf unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Sie geben uns die Maßstäbe für unsere grundgesetzliche und freiheitliche Gesellschaftsordnung.

    (von Schmude [CDU/CSU]: Sie malen doch ein Zerrbild der Wirklichkeit!)

    Wenn heute die Politik dieser Regierungskoalition
    gegen Gerechtigkeit und Solidarität verstößt, dann



    Dr. Apel
    berührt das auch die Überlegenheit unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir sehen in den Entwicklungsprozessen in der CDU/CSU Gefahren für die Deutschlandpolitik. Wir verkennen nicht, daß es Verantwortliche in der Fraktion wie in der Regierung gibt, die sich . ernsthaft bemühen, unsere Deutschland-, unsere Ostpolitik getreulich fortzusetzen,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: „Getreulich"?!)

    sich für die Menschen in beiden deutschen Staaten einzusetzen. Aber ist es nicht so, daß Sie, nicht zuletzt durch Ihre gestrige Fraktionsdebatte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren dabei?)

    zwar nicht krasse Abkehr von den öffentlich bekundeten Positionen wollen, aber daß Sie in quälender Langsamkeit einen Prozeß einleiten, der am Ende auch die Grundlagen unserer Deutschlandpolitik und den Grundlagenvertrag berühren könnte? Das Ergebnis ist dann Stillstand. Und dieser Stillstand ist dann weniger auf Pannen, Vergessen, mangelnde Koordination oder Dilettantismus zurückzuführen. Das ist dann die Folge der Zerrissenheit, die in der Union zu deutschlandpolitischen Fragen herrscht.

    (von Schmude [CDU/CSU]: Das wünschen Sie sich so!)

    Wir verstehen das. Sie haben 13 Jahre erbitterter Gegnerschaft zu unserer Deutschlandpolitik nicht von einem zum anderen Tag ungeschehen machen können. Viele von Ihnen übernehmen gerne Verantwortung für die Menschen in der DDR, aber sie werden auch in den Grundfragen von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt; denn sie haben es unterlassen, in den Jahren der Opposition und in den Tagen der Regierung Klarheit über die Deutschlandpolitik ihrer Partei zu schaffen. Sie haben es laufen lassen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Sie haben auf die normative Kraft des Faktischen vertraut und vielleicht auch augenzwinkernd darauf, daß die gesamten 13 Jahre deutschlandpolitischer Gegnerschaft weniger in der Deutschlandpolitik als im Parteienstreit ihre Ursache hatten.
    Herr Bundeskanzler, wir können Ihren Aussagen heute in weiten Teilen zustimmen.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Na endlich!)

    Aber, Herr Bundeskanzler, wir müssen Sie bitten, die Gefahren, die auch sichtbar werden in der Haltung von Teilen Ihrer eigenen Partei und Ihrer Fraktion, zu sehen. Deswegen fordern wir Sozialdemokraten Sie auf: Schaffen Sie Klarheit über die Deutschlandpolitik Ihrer Partei! Und schaffen Sie auch die Voraussetzungen für die Gemeinsamkeit, die wir brauchen, um unsere Deutschlandpolitik voranzubringen!
    Danke schön.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Konstruktive Opposition!)