Rede von
Dr.
Nils
Diederich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Rossmanith, wir anerkennen die Rolle der Vertriebenenverbände nach dem Krieg bei der Eingliederung und bei der Betreuung der Vertriebenen. Wir erkennen auch die Pflege des Heimatgedankens, wir erkennen auch ihre sonstige Arbeit an. Meines Erachtens können sich die Vertriebenenverbände auch an jene wenden, die in unser Land zuwandern.
Wir wissen auch, daß die Mehrheit dieses Hauses das Füllhorn staatlicher Finanzierung nunmehr über die Vertriebenenverbände zu ihrer Wiederbelebung ausschüttet.
Wir verstehen und billigen jedoch nicht, daß in diesem Zusammenhang auch der Zugriff auf eine neue Klientel eröffnet werden soll.
Herr Rossmanith, wir glauben, daß gerade die Erstbetreuung der hier Angekommenen, die j a unsere Gesellschaft noch gar nicht kennen, die erst auf die soziale, wirtschaftliche und menschliche Eingliederung vorbereitet werden sollen, eine Aufgabe der Wohlfahrtsverbände ist und nicht der Vertriebenenverbände sein darf.
Die Wohlfahrtsverbände können ihre Aufgabe erfüllen, weil sie erstens, wie gesagt, über ausgebildetes, geschultes und erfahrenes Personal verfügen und sich zweitens ohne politische, ohne parteiliche oder andere Interessenlagen zunächst aus humanitärer und christlicher Verpflichtung der sozialen Aufgabe zuwenden. Das wird für jedermann spürbar ohne Hintergedanken getan.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. November 1984 7723
Dr. Diederich
Wir fürchten, daß selbst bei bestem Willen eine Aufgabenvermengung unvermeidlich bleibt; denn die Vertriebenenverbände haben bei allen kulturellen, gesellschaftlichen und wohltätigen Aktivitäten doch auch, und zwar vorrangig, eine gesellschaftspolitische, eine politisch wirksame Aufgabenstellung. Wir wollen nicht, daß humanitäre und soziale Leistungen in den Verdacht geraten, sie dienten politisch-agitatorischen Zwecken.
Wir wollen, daß die Aussiedler unbeanstandet und möglichst unkompliziert in unser Land einreisen können, wenn sie es wünschen. Wenn in einem Haushaltstitel des Bundes, der sich mit diesem Personenkreis befaßt, die Vertriebenenverbände offiziell beteiligt werden, bleibt zu befürchten, daß vor allem die Arbeit des Roten Kreuzes in den Herkunftsländern der Aussiedler unnötig erschwert wird. Zu allen Hemmnissen, die bereits bestehen, würden weitere politisch motivierte Hemmnisse aufgebaut. Wir wollen keine Mitverantwortung für eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zu unseren osteuropäischen Nachbarn tragen.
Wir appellieren daher an Sie alle, den gut gemeinten, aber eilfertigen Beschluß der Mehrheit des Haushaltsausschusses zu revidieren und die Regierungsfassung der Zweckbestimmung des Titels wiederherzustellen.
Ich beantrage für meine Fraktion namentliche Abstimmung.