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ID1010405700

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    Plenarprotokoll 10/104 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 104. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 28. November 1984 Inhalt: Benennung des Abg. Bohl als Stellvertreter im Wahlprüfungsausschuß 7629 A Wahl des Abg. Bohl zum ordentlichen Mitglied und des Abg. Seiters zum Stellvertreter im Vermittlungsausschuß 7629 A Nachträgliche Überweisung zweier Vorlagen an Ausschüsse 7629 B Begrüßung der Knesset-Abgeordneten Frau Shulamit Aloni 7640 D Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksachen 10/1800, 10/2250 —Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksachen 10/2306, 10/2330 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksachen 10/2326, 10/2330 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 10/2324 — Schäfer (Offenburg) SPD 7630 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 7634 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 7637 D Frau Seiler-Albring FDP 7640 D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7643A Dr. Nöbel SPD 7647 D Dr. Riedl (München) CDU/CSU 7651C Dr. Hirsch FDP 7654 C Kühbacher SPD 7656D, 7662 A Dr. Laufs CDU/CSU 7659 A Baum FDP 7663A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksachen 10/2307, 10/2330 — in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksachen 10/2316, 10/2330 — Dr. Emmerlich SPD 7664 B Austermann CDU/CSU 7666 C Frau Reetz GRÜNE 7669 D Kleinert (Hannover) FDP 7672 B Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7674A Frau Nickels GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 7675C II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. November 1984 Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — Drucksachen 10/2311, 10/2330 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten — Drucksache 10/2103 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 10/2401 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/2492 — in Verbindung mit Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksachen 10/2315, 10/2330 — Frau Fuchs (Köln) SPD 7676 C Dr. Friedmann CDU/CSU . . . . 7681 D, 7721 C Frau Seiler-Albring FDP 7685 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7687 C Glombig SPD 7691C Jagoda CDU/CSU 7696 A Hoss GRÜNE 7699 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 7703 C Peter (Kassel) SPD 7705 D Rossmanith CDU/CSU 7707 C Jaunich SPD 7710 A Eimer (Fürth) FDP 7714 B Deres CDU/CSU 7716 B Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 7717 C Dr. Diederich (Berlin) SPD 7721 D Frau Schoppe GRÜNE 7723 B Frau Kelly GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 7723C Namentliche Abstimmung 7725 B Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksachen 10/2321, 10/2330 — Zander SPD 7727 B Dr. Stavenhagen CDU/CSU 7729 D Frau Dr. Bard GRÜNE 7732 C Kohn FDP 7735 B Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 7737 C Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksachen 10/2322, 10/2330 — Dr. Rose CDU/CSU 7740 C Dr. Diederich (Berlin) SPD 7743 B Neuhausen FDP 7746 B Dr. Jannsen GRÜNE 7749 A Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7751 B Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksachen 10/2319, 10/2330 — Purps SPD 7753 D Echternach CDU/CSU 7756 D Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 7759 D Grünbeck FDP 7762C Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7764 C Nächste Sitzung 7769 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7771*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 7771*C Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. November 1984 7629 104. Sitzung Bonn, den 28. November 1984 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 102. Sitzung: Auf Seite III, linke Spalte und auf den Seiten 7485 und 7486 ist jeweils bei den Anlagen 14, 15 und 16 statt „Parl. Staatssekretär Dr. Schulte" zu lesen: „Staatssekretär Bayer". Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 30. 11. Dr. Enders * 30. 11. Erhard (Bad Schwalbach) 30. 11. Ertl 28. 11. Dr. Faltlhauser 28. 11. Dr. Glotz 30. 11. Dr. Haack 29. 11. Haase (Fürth) * 28. 11. Hauser (Esslingen) 30. 11. Frau Hoffmann (Soltau) 30. 11. Frau Huber 28. 11. Jung (Düsseldorf) 30. 11. Dr. Müller * 30. 11. Dr.-Ing. Oldenstädt 28. 11. Polkehn 30. 11. Frau Renger 30. 11. Frau Schmidt (Nürnberg) 30. 11. Schmidt (Wattenscheid) 30. 11. Frau Dr. Skarpelis-Sperk 30. 11. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 28. 11. Dr. Spöri 30. 11. Dr. Sprung 30. 11. Dr. Stark (Nürtingen) 30. 11. Vahlberg 30. 11. Vosen 30. 11. Weirich 28. 11. Weiskirch (Olpe) 30. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 13 Titel 656 03 - Zuschuß des Bundes an die knappschaftliche Rentenversicherung - (Drucksache 10/2288) zuständig: Haushaltsausschuß Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 16. November 1984 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt: Gesetz über den Abbau von Salzen im Grenzgebiet an der Werra Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1984 (Nachtragshaushaltsgesetz 1984) Drittes Gesetz zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes Der Vorsitzende des Ausschusses für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 14. November 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen hat: Stimulierung von Zusammenarbeit und Austausch im wissenschaftlichen und technischen Bereich in Europa, Plan 1985-1988 (Drucksache 10/1510 Nr. 10) Vorschlag für einen Beschluß des Rates für ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm im Bereich der Optimierung der Erzeugung und Verwendung von Kohlenwasserstoffen 1984 bis 1987 (Drucksache 10/1691 Nr. 23) Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 14. November 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Berichterstattung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung über die nachstehende Vorlage absieht: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Prüfung der Anhebung der Renten wegen Contergan-Schadensfällen (Drucksache 10/1651) Der Vorsitzende des Rechtsausschusses hat mit Schreiben vom 26. November 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Berichterstattung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung über die nachstehende Vorlage absieht: Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu Überfällen auf Lastkraftwagen und Diebstählen von innerhalb der Gemeinschaft beförderten Gütern (Drucksache 10/936)
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dietrich Austermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Fuchs hat sich gestern Gedanken über die Physiognomie der Kollegen in der ersten Reihe bei der CDU gemacht. Ich möchte heute sagen: Herr Emmerlich, man hat Ihrem Gesicht angesehen, wie peinlich Ihnen das war, was Sie hier vorgetragen haben. Sie haben zum Teil alte Argumente aus dem Jahre 1983 wiederholt, zum Teil versucht, die Amnestiedebatte nachzuempfinden,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Mit vielen Fremdwörtern, die kein Arbeiter versteht!)

    und als Vorschlag für die Rechtspolitik empfohlen, daß wir viele Gesetze in der Gruselküche der ideologischen Reformeiferer weiter kochen mögen, wie das in der Vergangenheit der Fall war.
    Ich glaube, wir haben heute ganz andere Aufgaben, wenn wir uns den Bundeshaushalt 1985 ansehen. Er ist für mich in zweierlei Hinsicht von Bedeutung, zum einen von der finanziellen Seite, zu der Sie bemerkenswerterweise überhaupt nichts gesagt haben,

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Davon verstehen die auch nichts!)

    zum anderen auch von der rechtspolitischen Seite, nämlich von der Frage, ob es uns gelingt, den Bürger wieder mit seinem Rechtsstaat zu versöhnen.
    Gemessen am Gesamtvolumen des Bundeshaushaltes nimmt der Einzelplan Justiz einen Anteil von 0,15 % ein, davon 90 % für Personalkosten der obersten Justizbehörden. Damit sind wir gewissermaßen bei dem ersten zentralen Thema, nämlich der Frage, wie die personelle Situation der Gerichte aussieht, welcher Zeitraum heute für Gerichtsverfahren erforderlich ist.
    Die Reformlawine der 70er Jahre hat eine Fülle neuer Vorschriften in der Verantwortung sozialde-



    Austermann
    mokratischer Justizminister gebracht, die zu einem weiteren Steigen der Arbeitsbelastung der Gerichte geführt hat, ohne daß damit im Bewußtsein der Bevölkerung der Rechtsstaat qualitativ gewonnen hätte.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Genau so ist es!)

    Im Jahre 1980 mußte deshalb beim BGH ein zusätzlicher Familiensenat als Folge der Familienrechtsreform 1977 eingerichtet werden, um die Belastung des Gerichts aufzufangen. Die Arbeitsbelastung besteht weiter fort. Die zusätzlichen Richterstellen müssen eine Weile weiter bestehen.
    Beim Bundesfinanzhof sieht die Geschäftslage weit schlimmer aus. Zur Zeit besteht ein Rückstand von etwa 5 000 Verfahren. Das heißt, daß dem Staat etwa 125 Millionen DM nicht zufließen können. Der Steuerbürger muß neun Jahre auf sein Recht in der letzten Instanz warten. Bedenkt man, welche Bedeutung dies hat, nimmt sich die zusätzliche Zahl von zwei Richterstellen relativ bescheiden aus. Bedenkt man vor allen Dingen, daß dahinter auch Musterprozesse mit einem Gesamtvolumen von 5 Milliarden DM stehen, dann zeigt das, wie notwendig es war, daß wir hier gehandelt haben. Vor allen Dingen müssen wir von der Politik der vergangenen Jahre weg, Steuergesetze ständig zu ändern. Wir müssen das Steuerrecht vereinfachen. Dies wird unsere Aufgabe sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Maßnahmen zur Begrenzung der Revision müssen erfolgen. Wir erwarten, daß die Regierung entsprechende Vorschläge vorlegt.
    Ähnlich wie beim Bundesfinanzhof und beim Bundesgerichtshof sieht es auch beim Bundesverfassungsgericht aus. Da ist die Bilanz, Herr Emmerlich, durchaus für Sie negativ. 1956 hatten wir die gleiche Zahl von Personal wie heute beim Bundesverfassungsgericht. Dagegen hat sich die Zahl der Verfahren von 1 500 im Jahre 1970 auf 4 000 im Jahre 1983 erhöht. Der wesentliche Sprung, die wesentliche Steigerung trat Mitte der 70er Jahre ein, sicher kein Beweis für eine besondere Qualität und für das Vertrauen in die damals, Mitte der 70er Jahre, gemachten Gesetze.
    Ich bedaure, daß Sie auf der einen Seite die Überlastung der Gerichte, die Dauer der Verfahren beklagen und dann hier große Anfragen einreichen, gleich vier Stück im letzten halben Jahr, zur Geschäftsbelastung der Gerichte. Darin fragen Sie dann bis ins einzelne, wie das mit den Verfahren 1965 in der ersten, zweiten und dritten Instanz mit der Abwicklung aussah. Da sitzen jetzt Legionen von Inspektoren in den Gerichten, um nachzurechnen, um Ihre Frage zu beantworten. Das bedeutet doch nur: Entweder kennen Sie die Arbeitsbelastung der Gerichte nicht,

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Die Beschäftigungspolitik der SPD!)

    was bedenklich wäre, oder die Arbeitsbelastung der Gerichte ist Ihnen gleichgültig. Das halte ich für viel schlimmer.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine weit bedeutsamere Position im Justizhaushalt ist das Projekt JURIS. Darüber haben Sie nicht gesprochen, nachdem es interessanterweise unterschiedliche Positionen auch in der SPD zu diesem Vorgang gibt. Der Bund hat für die Erstellung eines EDV-gestützten juristischen Informationssystems, das allen am Rechtsleben beteiligten Anwälten, Prozeßbeteiligten, Gerichten dienen soll, bisher knapp 100 Millionen DM aufgewendet. 450 000 Urteile, Leitsätze, Vorschriften, Literaturbeiträge wurden gesammelt. Wir wollen, daß aus JURIS ein marktorientiertes und privatorganisiertes Dienstleistungsunternehmen wird, das sich in absehbarer Zeit selbst trägt und das zu schnellen und guten Entscheidungen hilft.

    (Zustimmung des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

    Wir begrüßen es, daß zum 1. Januar 1985 eine Verselbständigung dieser Institution eintreten soll und daß eine Verlagerung an einen Ort außerhalb Bonns erfolgen soll, obwohl ich es begrüßt hätte, wenn ein anderer Ort als die jetzt gewählte Stadt ausgesucht worden wäre. Ich muß allerdings anerkennen, daß die Stadt Saarbrücken, wo JURIS künftig seinen Sitz haben soll, vom Bund bisher stiefmütterlich behandelt worden ist.
    Arbeitsmöglichkeiten der Gerichte, Gesetze und Änderungen von Gesetzen müssen nach dem bisher Gesagten das Ziel haben, den Bürger schneller zu seinem Recht kommen zu lassen — ohne einen kurzen Prozeß zu machen — und die Rechtsnormen wieder mit der Grundüberzeugung der Bevölkerung in Einklang zu bringen. Dabei ist es wohl wichtig, Minderheitenrechte zu schützen. Aber die Rechtsauffassung der Mehrheit darf nicht — wie das in Berlin zu Zeiten des Vogel-Senats bei Hausbesetzungen galt — zum Maßstab für die gesamte Rechtsordnung werden.
    Dazu gehört auch, daß man sich — wie der letzte Juristentag vorgeschlagen hat — wieder mehr Gedanken über die Opfer und weniger über die Täter in einem Strafverfahren macht, auch nicht nur über die Ausländer, wie Sie das in Ihrem Antrag vorsehen.

    (Dr. de With [SPD]: Dann können Sie unserem Gesetz zustimmen. Ganz einfach!)

    Nach der Neuregelung der Juristenausbildung — die Sie offensichtlich verschlafen haben, Herr Emmerlich —, nach der Reform des Mietrechts,

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Jämmerlich verschlafen!)

    nach der Neuregelung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung — das zu zurückgehenden Verweigerer-Zahlen geführt hat —, nach der Verlängerung des Asylverfahrensrechts stehen weitere Reformen an, die die rechtspolitische Diskussion im Jahr 1985 prägen können.



    Austermann
    Wir haben im Haushalt des Justizministers den Titel verstärkt, der der Gesetzesforschung dient. Nicht, um Reformeuphorie wie in der Vergangenheit zu ermöglichen oder gar eine Versuchsküche für den Justizminister zu schaffen, wie eine Zeitung schrieb, auch nicht — um das eindeutig zu sagen —, um linke Institute mit sozialkritischen Aufträgen zu versorgen, wie manch ein Ministerialrat noch meint. Das Ziel dieser Maßnahme lautet: im Recht wieder mehr die Tatsachen zu berücksichtigen.
    Was sich diese Koalition vorgenommen hat, ist eine Rechtspolitik der Seriosität, der Stetigkeit und der Akzeptanz in der Bevölkerung, nachdem das Bundesverfassungsgericht reihenweise Vorschriften aus dem neuen Familienrecht des Dr. Vogel aufgehoben hat. Herr Emmerlich, wenn Sie sich Gedanken über die Reform des Ehescheidungsrechts machen, empfehle ich Ihnen: Lesen Sie doch einmal die Leserbriefspalten der Frauenzeitschriften. Dann werden Sie wissen, was Frauen zu dem Problem denken, und daß sich das wesentlich von dem unterscheidet, was Sie hier vortragen, gestützt auf alte Überzeugungen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Weniger „Vorwärts", mehr „Brigitte"! — Gegenruf von der SPD: Das ist Ihre Lektüre!)

    Die Koalition hat sich auf den Regierungsentwurf zur Neuregelung des Scheidungsfolgenrechts geeinigt, die im Unterhaltsbereich im Einzelfall und beim Versorgungsausgleich mehr Gerechtigkeit bewirken soll.
    Mit der vorgesehenen Änderung des § 125 des Demonstrationsstrafrechts soll eine Fehlentwicklung der Vergangenheit korrigiert werden.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das wurde auch Zeit!)

    Das Demonstrationsrecht der friedlichen Bürger erfährt damit eine Stärkung und keine Schwächung.
    Ein Schwergewicht unserer Rechtspolitik liegt darin, die Gerichte aller Zweige so weit wie möglich zu entlasten, die Verfahren zu straffen und effektiver zu gestalten. Bei diesem Vorhaben hat der Justizminister unser volles Vertrauen. Wir unterstützen ihn dabei. Dem dient der Regierungsentwurf eines Strafverfahrensgesetzes, einer Novelle zur Zivilprozeßordnung.
    Durch Gesetzesvereinfachung soll nach unserer Meinung Bürokratie abgebaut werden. Dazu zählen die Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts, das Statistikbereinigungsgesetz und die Vereinfachung des Baurechts, die 1985 abgeschlossen werden soll. Alsbald in Kraft treten kann die Neuregelung des Jugendschutzrechts, mit dem Videoschund und -schmutz eingegrenzt, Alkoholmißbrauch Jugendlicher eingedämmt und der Jugendschutz insgesamt ausgebaut werden soll.
    Ich glaube, allein der Hinweis auf diese notwendigen Gesetzesänderungen zeigt, welchen Scherbenhaufen, welche Erblast Sie gerade im Bereich der Rechtspolitik hinterlassen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD — Dr. Emmerlich [SPD]: Herr Engelhard hat daran kräftig mitgewirkt! — Zander [SPD]: Das geht voll in die FDP, was Sie gesagt haben!)

    Im Bereich des Wirtschaftsrechts sind das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, die Urheberrechtsnovelle, das Gesetz für Maklerverträge und die Reform des Insolvenzrechts in Arbeit.
    Wichtig scheint mir persönlich auch zu sein — das ist der einzige Punkt, bei dem ich Ihnen zustimmen kann —, daß wir bald gesetzliche, ethisch legitimierte Grenzen für Manipulationen an Erbanlagen, für künstliche Befruchtung und für Leihmütter aufrichten. Der Staat muß gerade in diesem Bereich rechtsfreie Räume verhindern.
    Die große Zahl rechtspolitischer Korrekturvorhaben zeigt den Handlungsbedarf für das Jahr 1985, zeigt, welche wichtige Aufgabe wir noch in dieser Legislaturperiode zu erfüllen haben. Dennoch glaube ich, daß neben diesen Themen andere Entwicklungen wesentlichen Einfluß auf die rechtspolitische Diskussion haben werden. Dazu gehört sicherlich der Prozeß, der am 10. Januar 1985 vor dem Landgericht in Bonn öder das Zustandekommen von Steuerbefreiungen zu Zeiten der Regierung Schmidt beginnt.
    Die SPD wird im Verlauf des Prozesses, der sich ja mindestens über ein halbes Jahr hinziehen wird, glauben machen wollen, selbst von Brauchitsch sei Mitglied des Kabinetts Kohl gewesen und sie habe mit der damaligen Regierung nichts zu tun.

    (Zander [SPD]: Er war Mitglied des Küchenkabinetts Kohl!)

    Ich bin überzeugt davon, daß die Verfahren mit Freisprüchen mindestens mangels Beweisen enden werden.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Eingriff in die Rechtspflege!)

    Wenn das so ist, sollten wir uns Gedanken darüber machen, wie die Diskussion, die neben den Verfahren läuft, so fair geführt wird, daß vorher nicht unübersehbarer Schaden für den freiheitlichen Rechtsstaat entsteht.
    Ferner werden wir uns 1985 mit der Fortsetzung der Rotationsdiskussion bei den GRÜNEN befassen müssen. Es stellt sich ja nun im März die Frage: Wer geht freiwillig? Wer muß gehen? Wer will gehen? Vor dem geplanten kollektiven Verfassungsbruch kann nur gewarnt werden, wenn nur einer von Ihnen das Wort „Rechtsstaat" noch überzeugend in den Mund nehmen will.

    (Krizsan [GRÜNE]: Keiner muß!)

    Eine erhebliche Rolle im Verlauf der rechtspolitischen Diskussion im ländlichen Raum — ich freue mich, daß der Landwirtschaftsminister hier ist — wird die voraussichtliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit



    Austermann
    der Milchgarantiemengenverordnung spielen. Zum erstenmal muß unser höchstes Gericht darüber entscheiden, inwieweit die EG-Verordnungsgeber unmittelbaren Einfluß auf Grundrechte unserer Bürger nehmen können.
    Dann folgt ein neuer Aufguß der Diskussion über die Volkszählung, es folgt die weitere Diskussion über Parteispendenverfahren. Ich bin der Meinung — das hat überhaupt nichts mit Amnestie oder anderen Dingen zu tun, deretwegen Sie die Regierung hier verdächtigt haben, Herr Emmerlich —, wenn man die Gesetze genau liest — Sie kennen mit Sicherheit § 396 der Abgabenordnung —, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß geradezu ein Zwang der Strafgerichte besteht, die Angelegenheit an die Steuerverwaltung weiterzugeben und von einer Verweisung an das zuständige Gericht Gebrauch zu machen. Wenn Sie das Gesetz lesen, werden Sie mir zustimmen,

    (Zurufe von der SPD)

    so ehrenwert das Gerechtigkeitsstreben eines manchen erstinstanzlichen Amtsrichters aus der APOZeit auch sein mag.
    Diese Auffassung teilt interessanterweise auch Ihr moralischer Vorkämpfer, der Herausgeber eines großen Magazins. Ich darf Ihnen einmal vorlesen, was Herr Augstein antwortete, als er nach einer Spende gefragt wurde, die er an eine Organisation geleistet hat. Augstein sagte:
    Da muß ich sagen: Die Spender können nicht kontrollieren, was Vereine mit Geldern tun, wenn die Finanzämter diesen Vereinen alljährlich bescheinigen, sie seien gemeinnützige Vereinigungen. Das ist nicht unsere Sache.
    Frage des Fernsehinterviewers:
    Aber Zweifel sind schon aufgetaucht, auch bei den Finanzämtern.
    Darauf Augstein:
    Das geht mich nichts an. Die Finanzämter haben nicht Zweifel zu haben; sie haben Bescheide auszustellen, und wir haben uns an diese Bescheide zu halten.
    Das war Herr Augstein im Jahre 1982, als er selbst betroffen war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist Augstein?)

    — Der moralische und rechtspolitische Vordenker für Herrn Emmerlich.
    Meine Damen und Herren, bemerkenswerterweise hat in diesem Zusammenhang die Frage, wie es zum Vertrauensbruch durch die Weitergabe von etwa 9,60 m Akten aus der nordrhein-westfälischen Justiz gekommen ist, noch keinen Journalisten nachdrücklich interessiert.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Dabei wäre es doch schon wert, zu wissen, ob ein Hamburger Magazin — jetzt bitte ich zuzuhören — tatsächlich versucht hat, namhafte Beträge für Bestechung in diesem Zusammenhang als Betriebsausgaben gemäß § 160 der Abgabenordnung von der
    Steuer abzusetzen. Immerhin standen ja schon 1962 bestimmte Leute auf der Pay-roll eines bestimmten Magazins.
    Meine Damen und Herren, die Diskussion um den Justizhaushalt ist eine Diskussion um die richtige Rechtspolitik. Über die Haltung der SPD habe ich gesprochen. In reinen Finanzfragen bestand in den Beratungen, Frau Kollegin Zutt, weitgehend Übereinstimmung.
    Die GRÜNEN haben sich an den Beratungen in diesem sensiblen Bereich überhaupt nicht beteiligt.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Weil sie davon auch nichts verstehen!)

    Herr Kleinert ist auch wieder nicht hier. Ich möchte aufgreifen, was der Kollege Riedl gesagt hat. Wie Ihr Verhältnis zum Rechtsstaat ist, zeigt, glaube ich, die Tatsache, daß fast alle Ihre Abgeordneten in dieser Legislaturperiode mindestens ein Immunitätsverfahren hinter sich haben; fast alle haben mindestens ein Strafverfahren hinter sich. Von den 37 Verfahren in dieser Legislaturperiode entfallen 25 auf die GRÜNEN. Sie haben 26 Kollegen hier in diesem Hause.

    (Zuruf des Abg. Schneider [Berlin] [GRÜNE])

    So bleibt es die Aufgabe dieser Regierung und unserer Koalition, weiter auf dem Weg fortzuschreiten, die Rechtsordnung so zu konsolidieren, daß das Vertrauen des einzelnen in den sozialen Rechtsstaat gestärkt und wieder gefestigt wird, daß der Bürger mit dem Rechtsstaat wieder versöhnt wird.
    Der Haushaltsentwurf der Einzelpläne 7 und 19 ist unseres Erachtens dazu ein guter Beitrag. Wir bitten für die CDU/CSU, diesen Vorlagen zuzustimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Reetz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Christa Reetz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Einzelplan 07 — ist von allen Bundesministerien der kleinste Haushalt. Mein Vorredner hat es gerade gesagt. Er macht 0,15 % des Gesamthaushalts des Bundes aus; in absoluten Zahlen sind dies 377 302 000 DM.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ein Haufen Zeug!)

    — Das steht ja in dem Plan drin.
    Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe z. B. weist Ausgaben in Höhe von 12 842 000 DM aus. Dies nenne ich deshalb, weil Rundfunkkommentatoren in den letzten Tagen darüber informiert haben, daß klagende Bürger beim Bundesverfassungsgericht in Zukunft mit sogenannten Unterliegensgebühren rechnen müssen. Auf derart drastische Weise soll die Flut der anstehenden Verfahren eingedämmt und den total überlasteten Richtern Luft gemacht werden.
    7670 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. November 1984
    Frau Reetz
    Der Bundesjustizminister hat diese Maßnahme übrigens schon im vergangenen Juni angekündigt.

    (Zander [SPD]: Der braucht immer so lange!)

    Rechtspolitik eigne sich nicht für Experimente und kurzatmige Tagespolitik, hat er einmal postuliert; eine breite Mehrheit aller politischen Kräfte solle Gesetzesvorhaben tragen. Daß dem nicht so ist, wird unter anderem durch die Prozeßlawine in Karlsruhe dokumentiert. Diese Lawine durch hohe — vielleicht sogar sehr hohe — Gebühren aufhalten zu wollen ist wahrhaftig keine gute Rechtspolitik. Vielmehr müßten sich doch wohl alle die, die mit Recht zu tun haben, fragen, woher es denn kommt, daß die Leute klagen, ob sie nicht in ihrem tagtäglichen Leben gar keinen Bezug mehr zu den Gesetzen finden, die ihnen Halt und Orientierung geben sollten.
    Es gab in diesem Parlament auch keine breite Mehrheit aller politischen Kräfte für die angebliche Reform der Juristenausbildung. Obwohl die parallel zur traditionellen Ausbildung an einigen Universitäten über ein Jahrzehnt hinweg laufenden einstufigen Ausbildungsgänge weitgehend positiv beurteilt wurden, haben die Regierungsparteien alle wesentlichen Reformziele wieder über Bord geworfen. Dabei wäre es doch notwendig gewesen, der Juristenausbildung durch die Einbeziehung von Nachbarwissenschaften und durch stärkere Vermittlung der sozialen Hintergründe rechtlicher Regelungen eine neue Qualität zu geben. Statt dessen wurde ein fragwürdiger Ausbildungsgang festgeschrieben. Er ist in der Tat fragwürdig, wie auch Mitglieder des Rechtsausschusses in einer Diskussion mit Kollegen von der französischen Nationalversammlung kürzlich gewahr wurden. Es ist ein Ausbildungsgang vorbei am einhellig wiederholt und mit Nachdruck artikuliertem Votum der Berufs- und Standesorganisationen der Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, wie es der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Ihnen, Herr Minister Engelhard, bereits am 2. September vorigen Jahres mitteilte.
    Rechtspolitik erschöpft sich nicht im Neuschaffen und Ändern von Gesetzen, auch die Pflege des Rechts- und Unrechtsempfindens gehören dazu, sagte der Kollege Helmrich im letzten Jahr in der Haushaltsdebatte. Die Bundesregierung hat aber das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger gerade in diesem Jahr mit Füßen getreten.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Na, na!)

    Denken Sie z. B. an den 4. Mai dieses Jahres, als die Regierung auf dem ungewöhnlichen Weg über den Finanzausschuß ihren dreisten Selbstbegünstigungsversuch unternahm und den Begriff der Amnestie in Verruf brachte.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Nun einmal nicht so dick!)

    Nur die tiefgehende, bis weit in die Reihen der konservativen Wählerschaft hineinreichende Empörung hinderte die Regierung daran, in beispielloser Weise Unrecht in Recht zu verkehren.

    (Zander [SPD]: Sie sind immer noch da dran!)

    Haben Sie es sich denn wirklich nicht klargemacht, in welchem Maß Sie durch eine derartige Politik das von Ihnen doch für so wichtig erachtete Rechtsbewußtsein der Bevölkerung in Frage stellen? Wohl kaum. Die Parteispenden- und Flickdebatte macht es noch mehr offenbar. Selbsterkenntnis kommt bei Ihnen nicht vor und schon gar nicht beim Bundeskanzler, der nach wie vor nicht die geringste Einsicht gegenüber dem Tatbestand zeigt, das Rechtsempfinden seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger empfindlich verletzt zu haben.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die jüngste Entscheidung, die Internationale Seerechtskonvention nicht zu unterzeichnen, sehen die Leute denn auch ganz nüchtern als ein Mitbringsel Helmut Kohls nach Washington für Ronald Reagan an.

    (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Aber der ißt keinen Hummer!)

    In dieses Bild passen auch die Nachrichten über ein mögliches neues Bubenstück, eine Amnestie durch die kalte Küche eines zwingenden Vorrangs von Besteuerungsverfahren vor Strafverfahren durch Änderung von § 396 der Abgabenordnung. Wie treffend zitierten Sie doch, Herr Minister Engelhard am 16. November in diesem Haus aus Erich Kästners Gedicht „Moral":
    Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
    Wenn Sie Ihren Amtseid ernst nehmen, sollten Sie Ihren Verbleib im Kabinett Kohl davon abhängig machen, daß derartige Anschläge auf den Rechtsstaat ein für allemal unterbleiben. Was diese Pläne für eine verdeckte Amnestie angeht, so möchte ich den Kollegen Dr. Haussmann daran erinnern, daß er hier ebenfalls am 16. November sagte: Mit den Freien Demokraten wird es in diesem Zusammenhang keine Ansätze zu Amnestieplänen geben. — Ich hoffe nur, daß die Zeitungsmeldungen von heute zutreffen und wir diesen neuerlichen Amnestieversuch endgültig vom Tisch haben.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da gibt es auch andere Zeitungsmeldungen!)

    Ich sage Ihnen gewiß nichts Neues, wenn ich behaupte, daß Gesetze, in der Vergangenheit als sozial fortschrittlich und emanzipatorisch begrüßt, nun systematisch, eines nach dem anderen, der Wende zum Opfer fallen.

    (Austermann [CDU/CSU]: Weil sie Schaden angerichtet haben!)

    „Roll back", nennt es Herr Kollege Dr. Emmerlich und meint damit Ihre Vorstellungen, Herr Bundesjustizminister zur Neuregelung des nachehelichen Unterhaltsrechts, des Scheidungsfolgenrechts, z. B. Statt sich hier auf die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Nachbesserungen, insbesondere die Novellierung der Härteklausel hinsichtlich des



    Frau Reetz
    § 1579 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, zu beschränken, setzt die Bundesregierung, wiederum gegen den Rat aller Fachverbände, an, einen familien- und rechtspolitisch unerträglichen Zustand der Rechtsunsicherheit herbeizuführen. Sie untergräbt die Unterhaltsansprüche vor allem von Frauen mit Kindern durch die geplante Beschränkung der Unterhaltsansprüche nach Billigkeit, insbesondere unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe. Eine Frau, die für ihre Kinder da ist und den Haushalt führt, geht bei solchen Gesetzen ein unkalkulierbares Lebensrisiko ein.

    (Austermann [CDU/CSU]: Na! Na!)

    Die Bundesregierung öffnet auch ein Einfallstor für die Rückkehr zum Schuldprinzip

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Sehr wahr!)

    durch die, noch dazu verfälschte Übernahme der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum offensichtlich schwerwiegenden, eindeutig beim Unterhaltsberechtigten liegenden Fehlverhalten. Wird diese Gesetzesänderung beschlossen, dürfte es mit der Funktionsfähigkeit der Gerichte nicht mehr weit her sein,

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    ganz gleich, ob die Prozesse durch höhere Kosten, Unterliegensgebühren oder andere Regelungen erschwert würden. Hunderttausend Prozesse erwarten Mitglieder des Deutschen Richterbundes.
    Ein demokratischer Rechtsstaat braucht ein liberales Demonstrationsrecht. Werden wir da die breite Mehrheit aller politischen Kräfte finden?

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Für ein ordentliches j a!)

    Am 12. Dezember wird dazu die große Anhörung des Rechtsausschusses stattfinden. Dieses Datum liegt genau fünf Jahre nach dem des unseligen NATO-Doppelbeschlusses.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Warum „unselig"?)

    Von seiten der Bundesregierung, nicht von der Friedensbewegung, wurde der Herbst des vergangenen Jahres als der „heiße Herbst" bezeichnet.

    (Kolb [CDU/CSU]: Von uns doch nicht! — Austermann [CDU/CSU]: Kam doch von Ihnen! Sie müssen mal die Flugblätter lesen!)

    — Nicht von uns, von der Bundesregierung, in entsprechenden Informationen der Bundesregierung in vielen, vielen Glanz- und sonstigen Blättern, die da verbreitet wurden.
    In diesem Herbst nun geht es um die juristische Aufarbeitung. Gegenwärtig werden Tausende von Mitgliedern der Friedensbewegung, darunter viele Grüne und auch fast alle Mitglieder unserer Fraktion mit Strafverfahren

    (Kleinert [Hannover] [FDP]: Das geht nicht!)

    vor allem wegen Nötigung überzogen. Sie haben den Verlust der Immunität vorhin angesprochen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Warum haben Sie die Gesetze nicht beachtet? — Austermann [CDU/CSU]: Hausfriedensbruch! Landfriedensbruch!)

    Auch ich gehöre dazu.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie sind sonst eine so sympathische Frau! — Austermann [CDU/CSU]: Omas Demo!)

    Und ich muß Ihnen sagen: Ich frage mich, ob unsere jetzige Justiz noch so unabhängig ist, die Konfliktlage der Angeklagten, die ihr Demonstrationsrecht ausgeübt haben, zu erkennen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie haben mehr gemacht, als Ihr Demonstrationsrecht auszuüben!)

    — Ich nehme mein Demonstrationsrecht in Anspruch wenn ich mich auf die Straße setze und verhindern will — —

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie haben mitgemacht! — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Was hat sie denn gemacht? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und den GRÜNEN)

    — Vielleicht lassen Sie mich doch ausreden.
    Ich sehe es so, daß ich dann, wenn ich mich um meines Lebens willen auf die Straße setze, wenn ich verhindern will, daß lebenszerstörende Maßnahmen durch Stationierung der Pershing II und der Cruise Missiles ergriffen werden, mein Demonstrationsrecht wahrnehme, das im Grundgesetz verbürgt ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich möchte Ihnen sagen, daß ich es angesichts der vielen offenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Nachrüstung — ich verweise auf die Vielzahl der Verfassungsbeschwerden und auch die Organklage unserer Fraktion — für notwendig halte, politisch über die Kriminalisierung von Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik zu diskutieren, für die Gewaltfreiheit eine Handlungsmaxime ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN) Hier brauchen wir eine Amnestie.


    (Lachen und Widerspruch bei der CDU/ CSU)

    Hier brauchen wir eine Rechtsprechung, von der z. B. Thomas Dehler, den Sie vorhin zitiert haben, sagte: Die Aufgabe des wahren Rechts ist durch die Jahrtausende bis in unsere industrialisierte und technisierte Zeit hinein die gleiche geblieben: Dem Menschen die Freiheit zu geben, er selbst sein zu können,

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie sind sehr selbstgerecht!)

    seine eigene Sphäre, seine Würde, seine Persönlichkeit zu wahren.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Christa, die haben Angst vor dir! — Lachen bei der CDU/CSU)

    — Das wollen wir nicht annehmen.



    Frau Reetz
    Dem Recht in seiner Schutzfunktion für das Individuum, für Minderheiten kommt angesichts einer fortschreitenden Anonymisierung der Gesellschaft, angesichts von Computererfassung und Datenspeicherung eine immer größere Bedeutung zu. Das Kabinett berät aber Pläne, wonach die vor wenigen Jahren eingeführte Prozeßkostenhilfe z. B. zu Lasten sozial schwacher Bürger eingeschränkt wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch!)

    Recht ist das Recht des Stärkeren. Das sagen jetzt schon viele Menschen, und sie richten sich darauf ein.
    Stärker sind die Zwänge, die Sachzwänge, denen sowohl einzelne wie Gruppen und Parteien gehorchen zu müssen glauben. Wenn sich Gesetzgebung und Rechtsprechung aber Sachzwängen unterwerfen, ist es um die Demokratie geschehen. Das ist meine Meinung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Argumente aus Sachzwängen heraus werden in immer größerer Eilfertigkeit aufgetürmt

    (Kleinert [Hannover] [FDP]: Beispiel!)

    — ich bin gerade dabei —, sei es, man brauche einen Personalausweis als fälschungssichere, maschinenlesbare Kontrolle — aber für wen denn eigentlich?; für das Bundeskriminalamt, für die Sicherheitsdienste; für wen sonst noch? —,

    (Kolb [CDU/CSU]: Haben Sie etwas zu verbergen?)

    oder sei es, man brauche ein Asylrecht, das dem Asylanten nach einem verfassungsrechtlich äußerst bedenklichen Verfahrensgesetz die Inanspruchnahme des Rechtsweges insofern verwehrt, als er bereits vor einem rechtskräftigen Verfahrensbeschluß über seinen Asylantrag mit öffentlicher Gewalt außer Landes gebracht werden kann.
    Die Geringfügigkeit des Haushaltes des Justizministeriums im Vergleich zu dem Mammuthaushalt der Republik ist, wie ich hoffen möchte, kein Ausdruck dafür, daß die Bedeutung des Justizbereiches ebenso gering eingeschätzt wird. Wir schätzen sie nicht so ein. Wir lehnen aber die Rechtspolitik dieser Bundesregierung ab, weil sie weder den von der Regierung selbst gesetzten Maßstäben noch den Vorstellungen eines liberalen Rechtsstaates entspricht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir stimmen deshalb dem Haushalt des Justizministeriums nicht zu.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)