Rede von
Dagmar
Luuk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hatte in ihrem Antrag zur Situation in der Türkei im April dieses Jahres erklärt:
Der Deutsche Bundestag sieht insbesondere die Forderung nach der Sicherung der Grund-und Menschenrechte, die dieser Bundestag 1981 aufgestellt hat, als noch nicht erfüllt an.
Diesen Antrag — daran erinnern wir uns alle — haben die Koalitionsfraktionen abgelehnt. Heute morgen sehen wir einmal mehr, wie ungerechtfertigt diese Ablehnung war und wie recht die Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten mit ihrer Einschätzung der Lage in der Türkei hatte.
Ich meine auch, daß heute morgen recht deutlich geworden ist, daß die Kurden unter den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei weitaus am meisten zu leiden haben. Wir haben schon wiederholt gehört, daß es in der Türkei nach dortiger Definition keine Minderheiten gibt, sondern nur Türken. Wer wie etwa Armenier oder Kurden das Recht auf eine eigene kulturelle, sprachliche oder religiöse Identität beansprucht, wer sich als Angehöriger einer Volksgruppe fühlt, der gilt als Separatist, als Gefahr für die Einheit der Nation und den Bestand der Republik.
Staatspräsident Evren hat erst Ende August vor den Streitkräften seines Landes jene Menschen als Verräter bezeichnet, die im Dienst böser Mächte stünden und deren Ziel die Zerstörung der türkischen Nation sei.
Die Minderheiten der Armenier und Kurden werden mit Entschlossenheit und, wie die gegenwärtigen Ereignisse im Grenzgebiet zum Irak zeigen, auch mit Brutalität assimiliert — was allerdings nicht mit Gleichberechtigung zu verwechseln ist. Nicht ohne Bitterkeit pflegte sich der jüngst verstorbene Filmemacher Yilmaz Güney einen „assimilierten Kurden" zu nennen.
Eine Politik der Gleichberechtigung aller Volksgruppen hätte längst helfen müssen, Kurden und Armenier mit der türkischen Republik zu versöhnen. Unterdrückung aber fördert nur Haß und Konflikte.
Unter zusätzlichen Menschenrechtsverletzungen zu leiden haben die kurdischen Yezidi, die auch schon erwähnt worden sind, eine religiöse Minderheit unter den Kurden selbst. Ihre ganz besonders hoffnungslose Lage sollte eigentlich zur Folge haben, daß wir ihnen unseren Schutz gewähren. Diesen Appell möchte ich von hier aus ganz ausdrücklich an den niedersächsischen Innenminister Möcklinghoff richten: Schieben Sie die kurdischen Yezidi, die bei Ihnen um Asyl gebeten haben, nicht ab.
Seien Sie so großzügig, wie es die verzweifelte Lage dieser Menschen gebietet, und dulden Sie sie weiter in Ihrem Bundesland.
Was Kurden hinter den Mauern türkischer Gefängnisse erdulden müssen, löst Empörung aus. Dies gilt nicht nur für die Lage in den Zivilgefängnissen, deren Alltag schon Menschenverachtung prägt, sondern insbesondere für die in den Militärgefängnissen. Eine deutsche Delegation unter der Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Hirsch hatte die Gelegenheit, das Gefängnis im Kurdenzentrum Diyarbakir zu besuchen. Sie berichtet, der gesundheitliche Zustand der Häftlinge habe an die Beschreibungen aus den KZ erinnert.
Wir sollten unsere Proteste hier nicht zur Routine werden lassen. Ich habe die Hoffnung, daß das auch nicht der Fall ist. Wir sollten unsere Proteste allerdings auch so emotional äußern, wie es notwendig ist, um sie auch bei denen, die in der Türkei die Macht haben, ankommen zu lassen und um die Freiheit insbesondere der politischen Häftlinge zu erreichen.
Die Politik der Bundesregierung darf sich nicht darin erschöpfen — insofern kann ich wirklich froh sein, daß hier seitens der Regierung etwas andere Töne angeschlagen worden sind, als von den Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß —, die Türkei für ihre Bemühungen zur Wiedererrichtung der Demokratie zu belobigen und gleichzeitig die Augen vor den Verfolgungen, den Folterungen und den Morden an der kurdischen Minderheit zu verschließen. Wenn es wahr ist, daß internationale Zusammenarbeit unter Freunden untrennbar mit dem Ziel verbunden sein muß, zu Fortschritten im Bereich der Menschenrechte zu gelangen, muß diese Bundesregierung ihren Einfluß auf die Türkei ausüben und sie drängen, trotz der zweifellos vorhandenen Vielzahl von Problemen bei der Demokratisierung nach der Ära der Militärdiktatur die Menschenrechte auch gegenüber den Kurden wieder in Kraft zu setzen.