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    Plenarprotokoll 10/89 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 89. Sitzung Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 Inhalt: Nachträgliche Überweisung eines Gesetzentwurfs an den Rechtsausschuß . . . . 6559 A Wahl des Abg. Dr. Soell als Stellvertreter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates 6559 A Aktuelle Stunde betr. Folgen der Regierungspolitik für die Berufsausbildung Kuhlwein SPD 6559 B Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . . 6560 C Dr. Jannsen GRÜNE 6561 B Neuhausen FDP 6562 A Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 6563 A Frau Odendahl SPD 6564 C Rossmanith CDU/CSU 6565 B Kastning SPD 6566 A Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6566 D Weisskirchen (Wiesloch) SPD 6567 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 6568 D Schemken CDU/CSU 6570 D Vogelsang SPD 6571 C Feilcke CDU/CSU 6572 C Daweke CDU/CSU 6573 C Kastning SPD (Erklärung nach § 30 GO) 6574 B Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Niederlassung von Ausländern (Niederlassungsgesetz) — Drucksache 10/1356 — in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Schröer (Mülheim), Frau Fuchs (Köln), Dreßler, Lutz, Wartenberg (Berlin), Schäfer (Offenburg), Frau Steinhauer, von der Wiesche, Bernrath, Duve, Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Kiehm, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Reuter, Tietjen, Dr. Wernitz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Fortentwicklung des Ausländerrechts — Drucksachen 10/1330, 10/2071 — Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 6574 D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 6578 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 6581 B Genscher, Bundesminister BMA . 6583 D, 6596 C Dr. Olderog CDU/CSU 6587 C Fink, Senator des Landes Berlin . . . 6590 C Wartenberg (Berlin) SPD 6591 D Baum FDP 6594 B Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 6596 A Vizepräsident Wurbs 6583A, C Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Situation in der Türkei — Drucksache 10/1297 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung in der Türkei II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung in der Türkei zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Sofortiger Stopp der Türkeihilfe zu dem Antrag der Fraktion der SPD Türkei — Drucksachen 9/2213, 10/998, 10/107, 10/149, 10/1386 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Reise einer Delegation des Deutschen Bundestages in die Türkei — Drucksache 10/1613 — Voigt (Frankfurt) SPD 6597 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6599 A Reents GRÜNE 6600 A Schwarz CDU/CSU 6601 C Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Keine Wiederaufnahme der staatlichen Entwicklungshilfe an Chile — Drucksache 10/1617 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Lage in Chile — Drucksache 10/1959 — Brück SPD 6603 D Klein (München) CDU/CSU 6604 D Frau Gottwald GRÜNE 6606 A Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ . 6608A Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6609 A Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten — Drucksache 10/1729 — 6610A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung rechtlicher Vorschriften an das Adoptionsgesetz (Adoptionsanpassungsgesetz) — Drucksache 10/1746 — 6610 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entschädigung für Zeugen und Sachverständige — Drucksache 10/1919 — 6610 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Neunzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — — Drucksachen 10/1672, 10/2009 — . . 6610C Nächste Sitzung 6610 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6611*A Anlage 2 Leerung von Briefkästen am Sonnabend MdlAnfr 2, 3 28.09.84 Drs 10/2051 Frau Roitzsch (Quickborn) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Rawe BMP 6611*C Anlage 3 Rückgang der Wohngeldleistungen seit 1982 MdlAnfr 4, 5 28.09.84 Drs 10/2051 Dr. Sperling SPD SchrAntw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . 6611* D Anlage 4 Verwirklichung der Freiheitsrechte des polnischen Volkes als Voraussetzung für Grenzregelungen MdLAnfr 19 28.09.84 Drs 10/2051 Dr. Czaja CDU/CSU SchrAntw StMin Möllemann AA . . . . 6612*B Anlage 5 Zumauern von Sprengschächten in Brükken; Strafrechtliche Beurteilung; Manöverbehinderungen durch die Friedensbewegung; Strafrechtliche Beurteilung MdlAnfr 29, 30 28.09.84 Drs 10/2051 Dr. Wittmann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Erhard BMJ . . . . 6612*C Anlage 6 Steuerliche Entlastung bei Einstellung weiblicher Jugendlicher als Haushaltshil- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 III fen oder im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres MdlAnfr 32 28.09.84 Drs 10/2051 Austermann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Häfele BMF . . . 6613* D Anlage 7 Veräußerung des Reduitgebäudes der ehemaligen Festung Wilhelmsburg an eine Wohnungsbaugesellschaft; Verhandlungen mit Baden-Württemberg und Ulm wegen der Nutzung des Festungsbauwerks MdlAnfr 33, 34 28.09.84 Drs 10/2051 Frau Zutt SPD SchrAntw PStSekr Dr. Häfele BMF . . . 6614*A Anlage 8 Gefährdung des zivilen Luftverkehrs über Hamburg durch Tiefflüge der Bundesluftwaffe; Reaktionen der DDR auf die Aufnahme des Tiefflugverkehrs MdlAnfr 51, 52 28.09.84 Drs 10/2051 Heyenn SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . 6614* D Anlage 9 Lärmbelästigung durch neue Mehrzweckkampfflugzeuge auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein MdlAnfr 55 28.09.84 Drs 10/2051 Dr. Kübler SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . 6615* B Anlage 10 Stellen für „Ärzte im Praktikum" MdlAnfr 63 28.09.84 Drs 10/2051 Dr. Lammert CDU/CSU SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 6615*C Anlage 11 Verbesserung der Sicherheit beim Transport sperriger und schwerer Güter in Pkw und Kleintransportern MdlAnfr 69, 70 28.09.84 Drs 10/2051 Pauli SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . 6616* C Anlage 12 Verlust der Landeszuschüsse für die regionalen Verkehrsträger durch Einführung von „Umweltschutzkarten" im öffentlichen Personennahverkehr; Änderung des Personenbeförderungsgesetzes MdlAnfr 71, 72 28.09.84 Drs 10/2051 Dr. Schroeder (Freiburg) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . 6617*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 6559 89. Sitzung Bonn, den 5. Oktober 1984 Beginn: 8.00 Uhr
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    Berichtigung 88. Sitzung, Seite 6528 D: In der dritten Zeile ist statt „110 000 Tonnen" zu lesen „110 Tonnen". Vier Zeilen weiter ist „180 000 Tonnen PVC" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 5. 10. Antretter * 5. 10. Frau Dr. Bard 5. 10. Brandt 5. 10. Buckpesch 5. 10. Büchler (Hof) 5. 10. Dr. Enders * 5. 10. Engelhard 5. 10. Gansel * 5. 10. Gattermann 5. 10. Gerstl (Passau) * 5. 10. Grünbeck 5. 10. Günther 5. 10. Haase (Fürth) * 5. 10. Dr. Hackel * 5. 10. Frau Dr. Hartenstein 5. 10. Dr. Hauchler 5. 10. Hedrich 5. 10. Horacek 5. 10. Dr. Hornhues * 5. 10. Kittelmann * 5. 10. Dr. Klejdzinski * 5. 10. Kolb 5. 10. Dr. Kreile 5. 10. Kroll-Schlüter 5. 10. Dr. Graf Lambsdorff 5. 10. Lemmrich * 5. 10. Lenzer * 5. 10. Frau Dr. Lepsius 5. 10. Dr. Mertes (Gerolstein) 5. 10. Dr. Mitzscherling 5. 10. Dr. Müller * 5. 10. Dr. Müller-Emmert 5. 10. Neumann (Bramsche) * 5. 10. Niegel 5. 10. Pesch 5. 10. Pfuhl 5. 10. Polkehn 5. 10. Porzner 5. 10. Frau Renger 5. 10. Reschke 5. 10. Reuschenbach 5. 10. Roth (Gießen) 5. 10. Dr. Scheer 5. 10. Frau Schmedt (Lengerich) 5. 10. Schmidt (Hamburg) 5. 10. Schmidt (München) * 5. 10. Frau Schoppe 5. 10. Schröder (Hannover) 5. 10. Schulte (Unna) 5. 10. Schwarz * 5. 10. Frau Simonis 5. 10. Dr. Soell 5. 10. Dr. Solms 5. 10. Dr. Spöri 5. 10. Dr. Stark (Nürtingen) 5. 10. Stobbe 5. 10. Stockleben 5. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Stücklen 5. 10. Dr. Unland * 5. 10. Waltemathe 5. 10. Weiskirch (Olpe) 5. 10. Wilz 5. 10. Windelen 5. 10. Wischnewski 5. 10. Dr. Wulff 5. 10. Zierer * 5. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rawe auf die Fragen des Abgeordneten Frau Roitsch (Quickborn) (CDU/ CSU) (Drucksache 10/2051 Fragen 2 und 3): Ist der Bundesregierung bekannt, daß es unzählige kleine und mittelständische Betriebe gibt, die auch noch am Sonnabend arbeiten müssen und deshalb darauf angewiesen sind, daß ihre Geschäftspost auch am Wochenende noch befördert wird? Sieht sich die Bundesregierung in der Lage sicherzustellen, daß in jeder größeren Gemeinde wenigstens ein Briefkasten noch in den Abendstunden des Sonnabends geleert wird, um zu gewährleisten, daß die Postzustellung zum darauf folgenden Montag erfolgen kann? Ja, der Bundesregierung ist bekannt, daß auch am Wochenende ein Bedürfnis für die Beförderung von Briefsendungen besteht. Eine Leerung einzelner Briefkästen in den Abendstunden des Sonnabends erübrigt sich aber, weil die Deutsche Bundespost sonntags generell eine Kastenleerung bei sämtlichen durch einen roten Punkt gekennzeichneten Briefkästen durchführt. Die Sonntagsleerung findet allgemein vormittags oder mittags statt. Im einzelnen ist die Leerungszeit so festgesetzt, daß aus dieser Leerung stammende Briefe, Postkarten und Briefdrucksachen im gesamten Bereich der Deutschen Bundespost am Montag beim Empfänger eintreffen. Im übrigen leert die Deutsche Bundespost die Briefkästen der Zustellpostanstalten auch noch morgens vor Beginn der Zustellung. Nach der sonntäglichen Kastenleerung in diese Kästen eingelegte Sendungen für Empfänger im selben Ort kommen somit ebenfalls noch am Montag zur Auslieferung. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Jahn auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Sperling (SPD) (Drucksache 10/2051 Fragen 4 und 5): Trifft es zu, daß die Wohngeldleistungen seit 1982 real um über 20 v. H. zurückgegangen sind und bis 1986 weiter zurückgehen werden? 6612* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 Wenn ja, wie vereinbart die Bundesregierung dies mit ihrer Auffassung, daß das Wohngeld zu den wichtigsten Instrumenten einer sozialen Wohnungspolitik gehört? Im Zeitraum zwischen den Wohngeldanpassungen reduzieren sich üblicherweise die Wohngeldleistungen wegen des starren Bemessungssystems. Das ist ein normaler Vorgang. Ein Rückgang von real über 20 % ist allerdings bei weitem nicht eingetreten. 1982 hat der Bund 1 335 Millionen DM für Wohngeld aufgewendet. Dieser Betrag ist auch im Haushaltsplan 1984 vorgesehen, weil die Bedeutung des Wohngeldes als Element der sozialen Sicherung gewachsen ist. Preisbereinigt würden damit die Wohngeldausgaben nur rund 8 % zurückgehen. Allerdings zeichnet sich ab, daß die tatsächlichen Wohngeldausgaben in diesem Jahr hinter dem veranschlagten Betrag zurückbleiben werden. Wieweit dies der Fall sein wird, läßt sich gegenwärtig noch nicht übersehen. Bis 1986 werden sich die Wohngeldleistungen weiter reduzieren. Deshalb wird das Wohngeld 1986 an die Entwicklung der Mieten und Einkommen angepaßt. In der Finanzplanung für 1987, dem Jahr der vollen Wirksamkeit der Novelle, ist daher ein Betrag von 1,6 Milliarden DM für Wohngeld vorgesehen. Anlage 4 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Frage des Abgeordneten Dr. Czaja (CDU/CSU) (Drucksache 10/2051 Frage 19): Wird die Bundesregierung sich im Verhältnis zum Ostblock „nach den von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Verträgen" richtend (Plenarprotokoll 10/86 S. 6326), gemäß dem auch vom Osten unberührt hingenommenen Artikel 7 des Deutschlandvertrags, einig mit den USA, diesen Verbündeten darin unterstützen, daß vor oder zusammen mit jeder dauerhaften „Regelung für ganz Deutschland" und der aufgeschobenen „endgültigen Festlegung der Grenzen Deutschlands", unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Deutschen, auch die Freiheitsrechte des polnischen Volkes verwirklicht werden müssen, die nach der Krim-Konferenz allen neuen Gebietsregelungen vorangehen sollten? Wie ich Ihnen bereits auf Ihre Frage vom 21. September 1984 (Drucksache 10/1979, Frage 70) schriftlich geantwortet habe, richtet sich die Bundesregierung in ihren Beziehungen zu den Staaten des Warschauer Pakts nach den von der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Verträgen, der Schlußakte von Helsinki und der Satzung der Vereinten Nationen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Erhard auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Wittmann (CDU/CSU) (Drucksache 10/2051 Fragen 29 und 30): Welche Straftatbestände sieht die Bundesregierung in objektiver Hinsicht als verwirklicht an, wenn die der Verteidigung unseres Landes dienenden Sprengschächte in Brücken zugemauert werden, wie dies z. B. am 16. September 1984 in Frankfurt/Main geschah, und was kann die Bundesregierung innerhalb ihres Verantwortungsbereichs unternehmen, wenn sie feststellen sollte, daß zuständige örtliche Behörden die Unbrauchbarmachung derartiger Einrichtungen zulassen, obwohl die Verhinderung möglich und geboten war? Welche Straftatbestände sieht die Bundesregierung in objektiver Hinsicht als verwirklicht an, wenn entsprechend den öffentlich bekanntgewordenen Aufrufen der sogenannten Friedensbewegung zu Manöverbehinderungen militante Gegner unserer Landesverteidigung Fahrzeuge der Bundeswehr am Marsch zu ihren Einsatzorten hindern und mit Parolen besprühen oder zahlreiche große, mit Gas gefüllte Luftballone an über 100 Meter langen Leinen am Rand von militärisch genutzten Flugfeldern aufsteigen lassen, wie es z. B. am 15./16. September diesen Jahres am Flughafen Frankfurt/Main versucht wurde, und sieht die Bundesregierung die geltenden rechtlichen Regelungen als ausreichend oder als im Interesse der Landesverteidigung änderungsbedürftig an? Zu Frage 29: Die Bundesregierung sieht davon ab, zu den Vorkommnissen am 16. September in Frankfurt Stellung zu nehmen, da die rechtliche Würdigung dieser Vorfälle ausschließlich Aufgabe der hierfür zuständigen Strafverfolgungsbehörden des Landes Hessen ist. Zur Rechtslage bezüglich der Unbrauchbarmachung von Sprengkammern kann jedoch ganz allgemein folgendes festgestellt werden: Das Unbranchbarmachen von Sprengschächten in Brücken durch Zumauern oder mittels ähnlicher Methoden erfüllt den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 StGB). Das Zumauern hat zur Folge, daß die Sprengkammern beschädigt oder zerstört werden; ihre Gebrauchsfähigkeit wird nämlich entweder völlig aufgehoben oder zumindest beeinträchtigt. Nach § 303 StGB können solche Aktionen, sofern ein Strafantrag gestellt ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden. Auch der Versuch ist strafbar. Ob daneben auch der Tatbestand des § 109 e StGB (Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln) erfüllt ist, hängt von der jeweiligen Gestaltung des Einzelfalles ab. Bei Sprengkammern, die in Brükken eingelassen sind, dürfte es sich um Einrichtungen oder Anlagen i. S. des § 109 e StGB handeln, die ganz oder vorwiegend der Landesverteidigung dienen. Zur Tatbestandsverwirklichung ist jedoch weiter erforderlich, daß durch das Unbrauchbarmachen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe oder Menschenleben gefährdet werden. Dabei muß es zu einer konkreten Gefährdung kommen, d. h. zu der Herbeiführung eines Zustandes, in dem der Eintritt des Schadens naheliegt. Eine derartige Gefahr wird wohl durch Aktionen der von Ihnen angesprochenen Art nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 6613* sein. Hierdurch müßten sich nämlich spürbare Auswirkungen auf den Gesamtzustand der Sicherheit oder aber auf die Gesamtschlagkraft der Truppe ergeben. Die Bundesregierung hat keine rechtlichen Möglichkeiten, darauf hinzuwirken, daß die örtlichen Polizeikräfte die Unbrauchbarmachung derartiger Einrichtungen verhindern. Da hier allein präventivpolizeiliche Maßnahmen in Betracht kommen können, ist kraft Verfassungsrechts die Zuständigkeit der Länder gegeben. Die jeweiligen Landesbehörden sind im Rahmen ihrer Zuständigkeit in der Regel verpflichtet, Straftaten zu verhindern. Im Einzelfall ist es jedoch durchaus denkbar, daß die Polizeibehörde — etwa zum Schutz übergeordneter Rechtsgüter (z. B. Leib und Leben) — von ihrem Entscheidungsermessen dahin gehend Gebrauch macht, daß sie von einem sofortigen Eingreifen absieht. Der Klarheit halber möchte ich noch darauf hinweisen, daß die Polizei einschreiten muß, wenn erst einmal Straftaten begangen worden sind. Ermittlungen zum Zwecke der Strafverfolgung unterliegen dem sich aus der Strafprozeßordnung ergebenden Legalitätsprinzip. Zu Frage 30: Die Behinderung von Fahrzeugen durch sog. „Sitzblockaden" oder durch die Errichtung von Hindernissen kann den Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllen, da diese Aktionen gewaltsam die freie Willensentschließung und Willensbetätigung der Fahrzeugführer beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung ist zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „Gewalt" nicht erforderlich, daß der Handelnde unmittelbar seine körperlichen Kräfte gegen den Genötigten einsetzt; es reicht vielmehr aus, daß der Täter einen Zustand schafft, der auf den Genötigten einen psychischen Zwang ausübt. Dies ist bei den sogenannten „gewaltfreien Sitzblockaden" regelmäßig der Fall. aa) Werden aus einer Menschenmenge heraus bei einer Blockadeaktion mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen verübt oder werden Menschen mit Gewalttätigkeiten bedroht, so kann der Tatbestand des § 125 StGB (Landfriedensbruch) erfüllt sein. Nach der Rechtsprechung kann schon die Errichtung einer Barrikade eine Gewalttätigkeit im Sinne dieser Vorschrift sein. Diese Auffassung ist allerdings nicht unbestritten. Teile der Literatur sehen in dem Bau von Barrikaden noch keine Gewalttätigkeit im Sinne des § 125 StGB, da es an einem aggressiven Handeln gegen Personen oder Sachen fehle. bb) Sofern es sich bei den agierenden Gruppierungen um Vereinigungen handelt, die sich zur Störung der Bewegungen von Bundeswehrfahrzeugen für eine gewisse Dauer zusammengeschlossen haben, kann ferner § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen) verwirklicht sein. Diese Vorschrift sieht Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. cc) Denkbar ist schließlich auch, daß Blockaden der in Frage stehenden Art einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr darstellen (§ 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB). Dies wäre der Fall, wenn auf öffentlichen Straßen Hindernisse bereitet und dadurch Leib oder Leben etwa der Soldaten oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet würden. Nach § 315b Abs. 4 ist die Tat auch dann strafbar, wenn die Gefahr nur fahrlässig verursacht wird. Das Besprühen von Fahrzeugen mit Parolen erfüllt in aller Regel den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 StGB). Lassen Demonstranten mit Gas gefüllte Luftballons an über 100 m langen Leinen am Rand militärisch genutzter Flugfelder aufsteigen, können sie den Tatbestand des § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr) erfüllen, falls diese Aktionen zu einer Gefährdung von Menschen oder von Sachen mit bedeutendem Wert führen. Auch können solche Verhaltensweisen als Nötigung (§ 240 StGB) strafbar sein, wenn beispielsweise Tiefflieger zum Ausweichen gezwungen werden. Nach alledem sieht die Bundesregierung die geltenden strafrechtlichen Regelungen als ausreichend an, um auf die geschilderten Aktionen entsprechend reagieren zu können. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Häfele auf die Frage des Abgeordneten Austermann (CDU/CSU) (Drucksache 10/2051 Frage 32): Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, kinderreichen Familien, anderen Privatpersonen oder Betrieben, die junge Mädchen als Haushaltshilfe oder im „freiwilligen sozialen Jahr" für soziale Dienste einsetzen und damit u. a. zur Entspannung der Ausbildungssituation beitragen, durch steuerliche Entlastung zu helfen? Vergütungen an Arbeitnehmer oder Auszubildende im gewerblichen, freiberuflichen oder land-und forstwirtschaftlichen Bereich sind Arbeitslohn, der im Rahmen einer steuerlichen Einkunftsart gezahlt wird. Sie sind betrieblich veranlaßt und deshalb im Rahmen der Gewinnermittlung als Betriebsausgaben abziehbar. Die Beschäftigung einer hauswirtschaftlichen Kraft in einem privaten Haushalt dient demgegenüber nicht der Einkünfteerzielung, sondern ist Teil der Einkommensverwendung. Dementsprechend sind Aufwendungen für die Beschäftigung einer hauswirtschaftlichen Kraft in einem privaten Haushalt — wie andere private Aufwendungen auch — steuerlich grundsätzlich nicht abziehbar. Sie können nach geltendem Recht nur ausnahmsweise un- 6614* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 ter dem Gesichtspunkt der zwangsläufigen Beschäftigung einer Hausgehilfin oder Haushaltshilfe wegen Alters oder Krankheit bis zu einem Betrag von jährlich 1 200 DM als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Nach dem Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres können Privatpersonen, Familien und Betriebe keine Helfer im „freiwilligen sozialen Jahr" einstellen. Arbeitgeber ist allein der den Einsatz vermittelnde Träger des freiwilligen sozialen Jahres. Eine unmittelbare Einstellung durch Privatpersonen ist nicht vorgesehen. Soweit Einrichtungen der Familienhilfe ausnahmsweise den Einsatz in Familien vorsehen und diese Familien für die Unkosten aufkommen, kommt eine steuerliche Anerkennung unter dem Gesichtspunkt der außergewöhnlichen Belastung in Betracht. Weitere steuerliche Entlastungen wegen Aufwendungen für Dienstleistungen in der privaten Hauswirtschaft begegnen grundsätzlich Bedenken. Abgesehen davon soll nach dem Beschluß der Koalition vom 3. Juli 1984 der ohnedies enge Spielraum für steuerliche Entlastungen für eine Verbesserung der Familienbesteuerung sowie für einen gerechteren Lohn- und Einkommensteuertarif genutzt werden. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Häfele auf die Fragen der Abgeordneten Frau Zutt (SPD) (Drucksache 10/2051 Fragen 33 und 34): Ist es zutreffend, daß die Bundesregierung das Reduitgebäude der als militärisches Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung eingestuften ehemaligen Festung Wilhelmsburg an eine Wohnungsbaugesellschaft veräußert hat, ohne zuvor ein Einvernehmen mit dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Ulm herzustellen? Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um mit dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Ulm zu einer Nutzung des Festungsbauwerkes zu gelangen, die seiner besonderen militärbauhistorischen Funktion und denkmalpflegerischen Bedeutung entspricht? Zu Frage 33: Der Bund hat das Reduitgebäude mit Kaufvertrag vom 5. Juni 1984 an die Firma Treuboden GmbH, Baden-Baden, verkauft. Der Vertrag bedarf der Genehmigung des Bundesministers der Finanzen, die erteilt werden wird, sobald Bundestag und Bundesrat die gemäß § 64 Bundeshaushaltsordnung wegen der besonderen Bedeutung der Liegenschaft erforderliche Einwilligung zur Veräußerung erteilt haben. Zum Verkauf war das Einvernehmen mit dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Ulm nicht erforderlich. Wegen der Bedeutung des Bauwerks hat der Bund jedoch von Anfang an enge Fühlung mit Land und Stadt gehalten, die an mehreren Besprechungen mit den Kaufinteressenten teilgenommen sowie unmittelbare Gespräche geführt haben. Stadt und Land haben zwar schon früher zu erkennen gegeben, daß sie es lieber sähen, wenn der Bund Eigentümer der Liegenschaft bliebe. Für das Land hat jedoch der seinerzeitige Kultusminister Professor Dr. Roman Herzog erklärt, das Land spreche sich nicht gegen den Verkauf des Gebäudes und eine private Nutzung aus. Auch die Stadt Ulm stand einer Herrichtung des Reduitgebäudes zu Wohnzwecken aufgeschlossen gegenüber. Der Bund ist daher überrascht, daß Stadt und Land nunmehr ihre Meinung geändert haben und sich jetzt einem Verkauf widersetzen. Zu Frage 34: Die Bundeswehr, in deren Ressortvermögen sich die Liegenschaft bis 1981 befand, hat geprüft, ob sie das Reduitgebäude weiterhin nutzen kann. Sie hat schon 1972 versuchsweise Baumaßnahmen für rund 100 000,— DM durchgeführt, um zu prüfen, ob das Bauwerk mit vertretbarem Aufwand für ihre Zwecke hergerichtet werden kann. Die Versuche sind leider ungünstig verlaufen. Eine andere Verwendung für Zwecke des Bundes ist nicht erkennbar. Das gilt auch für ein etwa noch zu gründendes Zentralarchiv für Lastenausgleichs-unterlagen. Derzeit ist nicht einmal entschieden, ob ein solches Archiv überhaupt geschaffen wird. Falls es dazu kommen sollte, kann das Reduitgebäude als Standort wegen der besonders hohen Ausbaukosten nicht in Betracht kommen, zumal andere Interessenten mit günstigen Unterbringungsmöglichkeiten werben. Da für den Bund keine Verwendungsmöglichkeit besteht, wurde die Liegenschaft dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Ulm unentgeltlich angeboten. Beide haben jedoch abgelehnt. Deshalb hat sich der Bund um private Kaufinteressenten bemüht. Das Regierungspräsidium Tübingen nahm das Reduitgebäude in einen Katalog über zum Verkauf stehende Baudenkmale auf. Durch den Verkauf werden denkmalpflegerische Belange nicht berührt. Die gesetzlichen Einwirkungsmöglichkeiten der Denkmalschutzbehörden bestehen ungeschmälert fort. Der Denkmalschutz erfordert nicht, daß Baudenkmale Eigentum der öffentlichen Hand sein müssen. Falls es aber ausnahmsweise zweckmäßig sein sollte, das Reduitgebäude nicht an einen Privaten zu veräußern, sollte das Land Baden-Württemberg als Träger der Kulturhoheit das Eigentum erwerben. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen des Abgeordneten Heyenn (SPD) (Drucksache 10/2051 Fragen 51 und 52): Hält die Bundesregierung Tiefflugverkehr durch die Bundesluftwaffe angesichts der östlich von Hamburg verlaufenden Einflugschneisen des Flugverkehrs Hamburg-Fuhlsbüttel im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung des zivilen Luftverkehrs für unbedenklich? Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 6615* Wie beurteilt die Bundesregierung mögliche Reaktionen der DDR auf die Aufnahme des Tiefflugverkehrs durch die Bundesluftwaffe in einem Raum, der nur 20 bis 40 Kilometer von der Grenze der DDR entfernt ist, und wie beurteilt sie einen solchen Vorgang unter dem Gesichtspunkt der zwischen den Blöcken vereinbarten vertrauensbildenden Maßnahmen? Zu Frage 51: Ein möglicher militärischer Tiefflugverkehr würde im unkontrollierten Luftraum und in ausreichendem Abstand zur Flughafenkontrollzone stattfinden müssen, das heißt, außerhalb des von an-und abfliegenden Luftfahrzeugen genutzten Luftraumes. Im übrigen verweise ich auf meine Antworten auf die Fragen des Abgeordneten Kuhlwein in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 3. Oktober 1984. Zu Frage 52: Grundsätzlich stände es der Bundesregierung frei, den Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland auch im grenznahen Bereich zu nutzen. Selbstverständlich müssen die besonderen Probleme grenznaher Flüge auch vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage analysiert und bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Dies ist, wie Sie den Antworten auf die Fragen des Abgeordneten Kuhlwein in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 3. Oktober 1984 entnehmen können, erfolgt. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage des Abgeordneten Dr. Kübler (SPD) (Drucksache 10/2051 Frage 55): Ist durch die für den Luftwaffenstützpunkt Ramstein in der Pfalz vorgesehene Stationierung von insgesamt 72 neuen Mehrkampfflugzeugen vom Typ F-16 auch mit einer verstärkten Lärmbelästigung durch vermehrte Tiefflüge im südhessischen Raum zu rechnen? Die Kampfflugzeuge F-16 ersetzen im Rahmen der Umrüstung des in Ramstein stationierten Verbandes der amerikanischen Luftstreitkräfte ältere Luftfahrzeugtypen. Eine Erhöhung der Anzahl der Tiefflüge im südhessischen Raum wird im Zusammenhang mit der Umrüstung nicht erwartet. Die F-16 ist im übrigen geräuschärmer als das Vorgängermuster. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die Frage des Abgeordneten Dr. Lammert (CDU/CSU) (Drucksache 10/2051 Frage 63): Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß die für die geplante zweijährige Praxisphase erforderlichen Stellen so rechtzeitig und so vollständig zur Verfügung stehen, daß nach dem ohnehin überdurchschnittlich langen Medizinstudium nicht Wartezeiten bis zum abschließenden Teil der Ausbildung entstehen, und daß die mit Stellen versorgten „Ärzte im Praktikum" auch tatsächlich ausgebildet werden und nicht für selbständige Stationsdienste ohne eine entsprechende kontinuierliche Betreuung durch Chefärzte, Oberärzte und festangestellte Assistenzärzte ohne entsprechende Bezahlung eingesetzt werden? Wie bereits in meiner Antwort vom 19. September dieses Jahres dargelegt, haben die Verbände, die an der Bereitstellung der Stellen für Ärzte im Praktikum entscheidend mitwirken, zugesichert, sich mit allen Mitteln dafür einzusetzen, daß die Voraussetzungen für die Durchführung der zweijährigen Praxisphase nach dem Medizinstudium geschaffen werden. Die Verhandlungen mit den Verbänden, insbesondere mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Verbänden der gesetzlichen Krankenversicherung, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer werden auf dieser Grundlage mit dem Ziel weiterer und ins einzelne gehender Absprachen fortgesetzt. Es werden ca. 24 000 Stellen für Ärzte im Praktikum benötigt. Diese Stellen können, wie in der Begründung zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung ausgeführt, dadurch bereitgestellt werden, daß die in den beiden ersten Jahren des Anlaufens der Praxisphase jährlich freiwerdenden ca. 5 000 Arztstellen in den Krankenhäusern in Stellen für Ärzte im Praktikum umgewandelt und — etwa im Verhältnis 1 : 3 — in Stellen für Ärzte im Praktikum aufgeteilt werden. Die Bundesregierung kann dies erforderlichenfalls durch Anrechnung von Ärzten im Praktikum auf die Stellenpläne der Krankenhäuser in der Bundespflegesatzverordnung regeln. Ca. 2 000 Stellen können in den Praxen niedergelassener Ärzte geschaffen werden, und weitere Stellen stehen in den Sanitätszentren der Bundeswehr und anderen Einrichtungen zur Verfügung. Die Bundesregierung strebt auch gesetzliche Regelungen zur Sicherung eines ausreichenden Stellenangebots für Ärzte im Praktikum an. Schon nach geltendem Recht kann die Bewilligung von Fördermitteln an Krankenhäuser nach dem KHG mit Nebenbestimmungen, zum Beispiel mit der Übertragung von Aufgaben der Ausbildung von Ärzten und sonstigen Fachkräften des Gesundheitswesens verbunden werden (§ 14 KHG). Daran anknüpfend sieht der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung (BR-Drucksache 391/84) ausdrücklich vor, daß durch Landesrecht, das das Nähere über die Förderung nach dem KHG bestimmt, auch geregelt werden kann, daß Krankenhäuser besondere Aufgaben bei der Ausbildung von Ärzten und sonstigen Fachkräften des Gesund- 6616* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 heitswesens zu übernehmen haben. Damit können die Länder erforderlichenfalls im Rahmen ihrer Krankenhausgesetzgebung die notwendigen Instrumentarien für entsprechende Maßnahmen zur Unterbringung von Ärzten im Praktikum schaffen, soweit es um die Ableistung der Praxisphase in Krankenhäusern geht. Eine verstärkte Fluktuation der Ärzte in der Weiterbildung erleichtert die Unterbringung der Ärzte im Praktikum. Die Bundesregierung wird sich ohnehin um die Aufnahme einer Regelung in die Bundesärzteordnung bemühen, die die Befristung von Arbeitsverträgen mit Ärzten in der Weiterbildung betrifft. Für den Bereich der Hochschulkliniken sieht der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen bereits Regelungen vor. Im Weiterbildungsrecht der Länder wird die Anrechenbarkeit von Zeiten einer Praxisphase, die denen einer ärztlichen Weiterbildung entsprechen, geregelt werden. Durch eine solche Anrechnung verkürzen sich die Weiterbildungszeiten. Dadurch werden nicht nur überlange Aus- und Weiterbildungszeiten vermieden. Es wird auch verhindert, daß Weiterbildungsmöglichkeiten in einem stärkeren Maße eingeschränkt werden. Die Bundesregierung erwartet, daß die benötigten Stellen für Ärzte im Praktikum so rechtzeitig und vollständig bereitgestellt werden, daß keine unzumutbaren Wartezeiten für die Absolventen des Medizinstudiums entstehen. Es kann nicht erwartet werden, daß die erforderlichen Stellen schon jetzt, also bereits zu einem Zeitpunkt zur Verfügung stehen, in dem die gesetzlichen Regelungen über die Einführung der zweijährigen Praxisphase sich noch in der parlamentarischen Beratung befinden. Nach allen bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung von neuen gesetzlichen Ausbildungsregelungen kann davon ausgegangen werden, daß die Voraussetzungen für die Durchführung der Praxisphase zügig geschaffen werden, sobald das Vierte Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung erlassen ist. Die Praxisphase soll Mitte des Jahres 1987 anlaufen, so daß noch ausreichend Zeit besteht, ihre Durchführung vorzubereiten. Wenn der Deutsche Bundestag dem Vorschlag des Bundesrates folgt, die Dauer der Praxisphase für eine Übergangszeit, das heißt für die Studienabsolventen, die bis zum 31. Dezember 1988 die Ärztliche Prüfung bestehen, auf die Dauer von 18 Monaten zu beschränken, besteht zunächst ein wesentlich unter 24 000 liegender Stellenbedarf, so daß das Stellenpotential nach und nach aufgestockt werden kann. Bei den weiteren Verhandlungen mit den für die Bereitstellung der Stellen Verantwortlichen wird die Bundesregierung insbesondere auch darauf hinwirken, daß die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig ergriffen werden. Desgleichen ist zu erwarten, daß sich die Länder dafür einsetzen werden, daß die Durchführung der Gesetzesnovelle rechtzeitig vorbereitet wird. Der Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung ordnet die zweijährige Tätigkeit als Arzt im Praktikum ausdrücklich der Ausbildung zu. Es ist vorgesehen, daß die Ärzte im Praktikum nur unter der Aufsicht von Ärzten tätig werden dürfen, die eine Approbation als Arzt oder eine Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs nach § 10 Abs. 1 der Bundesärzteordnung besitzen, also ihre Ausbildung vollständig abgeschlossen haben. Damit wird von Gesetzes wegen sichergestellt, daß der Arzt im Praktikum von erfahrenen Ärzten betreut werden muß und nur mit der Übernahme solcher ärztlichen Aufgaben betraut werden darf, die dem Stand seiner Kenntnisse und Fähigkeiten entsprechen. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Pauli (SPD) (Drucksache 10/2051 Fragen 69 und 70): Sind der Bundesregierung die Ausführungen des Sachverständigen Beratenden Ingenieurs Wolfram Bläsius in diversen Fach- und Autozeitschriften bekannt, wonach zwar Millionen von Verkehrsteilnehmern in ihrem Personenkraftwagen, Personenkraftwagen-Kombi, Kleinbus sowie auf Dachlastträgern oder in Personenkraftwagen-Anhängern teilweise große und schwere Güter befördern, ihnen aber keine ausreichende Informationen über die richtige Sicherung dieser Güter zur Verfügung stehen, um sich und andere im Falle einer Vollbremsung, eines leichten Auffahrunfalls oder bei einem plötzlichen Ausweichmanöver vor herabfallenden oder kippenden Ladungen zu schützen, und welche Initiativen hat die Bundesregierung in diesem Teilbereich der Verkehrssicherheit bisher ergriffen? Reichen nach Auffassung der Bundesregierung das Prinzip der Eigenverantwortung sowie die bestehende StVO bzw. StVZO aus, um die Verkehrsteilnehmer dazu anzuhalten, Schäden und Unfälle durch auf oder in Personenkraftwagen etc. stehende Güter zu verhindern, bzw. hält die Bundesregierung in diesem Bereich entsprechende Initiativen für erforderlich? Zu Frage 69: Die Ausführungen von Herrn Bläsius sind der Bundesregierung bekannt. Dabei wurden die Vorschläge zur Ladungssicherung eingehend vom Bundesminister für Verkehr geprüft. Bereits am 12. April dieses Jahres wurde dem Kollegen Daubertshäuser zu ähnlichen Fragen mitgeteilt, daß die Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung als ausreichend angesehen werden. Dies gilt in gleichem Maße für das hier angesprochene spezielle Problem der Ladungssicherung des privaten Gütertransports mit dem Pkw. Darüber hinaus prüft die Bundesregierung derzeit gemeinsam mit den Ländern, ob in Zukunft im Rahmen der Straßenverkehrsunfallstatistik Unfälle mit Pkw und Anhängern gesondert ausgewiesen werden können. Sie wird entsprechende Untersuchungen veranlassen, um dann über Gefährdungen durch diese Verkehrsteilnehmer berichten zu können. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1984 6617* Zu Frage 70: Wie bereits ausgeführt, reichen nach Ansicht der Bundesregierung die bestehenden Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung aus. Die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung enthält keine Aussagen zur Ladungssicherung. Über die angesprochenen Untersuchungen zur Ermittlung der Unfälle mit Pkw und Anhänger hinaus sind keine Maßnahmen im Bereich „Sicherung der Ladung beim privaten Pkw" vorgesehen. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Schroeder (Freiburg) (CDU/ CSU) (Drucksache 10/2051 Fragen 71 und 72): Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Einführung von übertragbaren „Umweltschutzabonnements" nach dem Basler Modell im Straßenbahn- und Busverkehr deutscher Städte auf Schwierigkeiten stößt, weil dadurch die Ausgleichszahlungen der Länder nach § 45 a des Personenförderungsgesetzes ganz oder teilweise entfallen? Hält die Bundesregierung eine entsprechende Änderung der Vorschriften des Personenförderungsgesetzes dergestalt für angezeigt, daß die Einführung von Umweltschutzkarten im öffentlichen Personennahverkehr nicht zu einem Verlust der für die regionalen Verkehrsträger existenznotwendigen Landeszuschüssen führt? Zu Frage 71: Der Bundesregierung ist lediglich bekannt, daß die Stadt Freiburg beabsichtigt, in Anlehnung an einen in Basel im März 1984 gestarteten Versuch zum 1. Oktober 1984 übertragbare „Umweltschutzabonnements" (Monatskarten) im Straßenbahn- und Busverkehr einzuführen. Soweit durch dieses Pilotprojekt in Freiburg die Ausgleichsregelung im Ausbildungsverkehr nach § 45 a Personenbeförderungsgesetz berührt ist, soll es in der Diskussion zwischen dem Land BadenWürttemberg und der Stadt Freiburg bereits Lösungsansätze geben, für die Dauer des Versuchs angemessene Regelungen zu finden. Zu Frage 72: Die Bundesregierung hält es für verfrüht, bereits jetzt Wertungen und Schlußfolgerungen aus diesem versuchsweise in Freiburg eingeführten Sondertarif im Zeitkartenbereich zu ziehen. Dies erscheint erst sinnvoll, wenn erste Erfahrungen mit dem bis zum 31. Dezember 1985 befristeten Pilotprojekt vorliegen. In diesem Zusammenhang darf verwiesen werden auf die Antwort der Bundesregierung vom 25. April 1984 auf die Fragen Nr. 53 bis 56 des Herrn Kollegen Bamberg zu dem Baseler Tarifmodell (BT-Drucksache 10/1374), auch dieser Versuch ist noch nicht abgeschlossen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Jürgen Reents


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Es tut mir leid. Bei zehn Minuten, Herr Schäuble, ist das nicht möglich.

    (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Aber falsche Dinge behaupten!)

    Es ist nicht die Schuld der Antragsteller,

    (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Man kann ja verleumden in diesem Parlament! Einvernehmlich durchgesetzt!)

    daß einige dieser Anträge Begründungen enthalten, die nicht mehr aktuell sind. Aber es liegt darin offensichtlich etwas Generelles: ein Versagen dieses Parlaments, auf wichtige Dinge wirklich schnell
    zu reagieren, wichtige Entscheidungen sofort zu treffen. Das ist aber offenbar von der regierenden Mehrheit so gewollt.
    Wenn sich die SPD ein weiteres Mal auf dieses Spiel einläßt, zeigt das nach meinem Gefühl auch ein Stück Mithaftung dafür, daß über die Türkei hier zwar schon mehrmals gesprochen worden ist und immer wieder darauf hingewiesen wird, welche Menschenrechtsverletzungen es gibt, daß es aber tatsächlich zu keinerlei Konsequenzen seitens des Parlaments kommt, die in irgendwelche eindeutige Aufforderungen an die Bundesregierung münden können, jetzt und heute zu reagieren.

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Das war zu vorherigen Zeiten auch schon so!)

    Bei der Bestandsaufnahme der jetzigen Situation in der Türkei darf man nicht vergessen, daß uns amnesty international eindeutig sagt: Folterungen und Mißhandlungen von Gefangenen haben nicht aufgehört. Man darf nicht vergessen, daß das Kriegsrecht nur in 13 der 67 Provinzen in der Türkei wirklich aufgehoben worden ist. In acht davon ist es noch durch Notstandsregelungen ersetzt.

    (Zuruf der Frau Abg. Dr. Hamm-Brücher [FDP])

    wobei jetzt — Frau Hamm-Brücher, darauf beziehen Sie sich offensichtlich in Ihrem Zwischenruf — die Notstandsregelungen verschärft worden sind, damit man das Kriegsrecht in weiteren Provinzen aufheben kann. Das sieht dann nach außen nicht mehr nach Kriegsrecht aus, bedeutet faktisch aber ebenfalls, daß beispielsweise der Gouverneur in den entsprechenden Regionen jederzeit für drei Monate Streiks verbieten und jederzeit für drei Monate die Tätigkeit politischer Parteien und Vereine unterbinden und ähnliches mehr anordnen kann.

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Drum wird das keine Demokratie!)

    Wer mit Journalisten aus der Türkei spricht, weiß auch, daß die Pressezensur nach wie vor nicht abgeschafft ist, daß es in der Türkei die Selbstzensur gibt, die vor die Zensur vorgeschaltet wird, die notfalls vom Nationalen Sicherheitsrat ausgeübt wird, und daß Parteigründungen nach wie vor der Genehmigung durch den Nationalen Sicherheitsrat bedürfen, daß Parteien weiterhin mit Verboten rechnen müssen, wenn sie sich aus der vom Militär gewollten politischen Richtung zu weit herausbewegen, und daß etliche Personen sich nach wie vor in der Türkei überhaupt nicht politisch betätigen können.
    Zur Situation in der Türkei gehört noch etwas, was leider meist unerwähnt bleibt, nämlich die Tatsache, daß es einen Krieg gibt, einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei. Erst kürzlich, im August dieses Jahres, haben wir wieder eine Meldung lesen müssen, daß 4 000 türkische Soldaten sogar in den Iran und in den Irak vorgestoßen sind, bis 22 km, andere Meldungen sagen bis 50 km, um dort Kurden zu verfolgen, die in der Türkei eine Autonomie ihrer Region verlangen und dafür kämpfen. Dieser Krieg gegen die Kurden findet seit Jahren statt, er gehört zu den ganz vergessenen Geschichten, wenn man über Menschenrechtsver-



    Reents
    letzungen in der Türkei spricht, aber er widerlegt vielleicht auch am deutlichsten, was es heißt, wenn die Bundesregierung heute mit ihrer Argumentation aufwartet, die Verteidigungshilfe sei an die Türkei zu leisten, weil es dort um die Verteidigung der westlichen Sicherheit geht.
    Nun haben wir insgesamt hier eine grundlegende Kontroverse zwischen unserer Fraktion und mehr oder weniger dem Rest des Hauses, was überhaupt die Frage solcher NATO-Hilfsleistungen betrifft. Wir lehnen das ab. Wir sehen auch überhaupt nicht ein, daß dort in der Türkei irgend etwas im Zusammenhang mit der NATO für die Bundesrepublik verteidigungswert ist.

    (Berger [CDU/CSU]: Das können Sie auch nicht verstehen!)

    Aber ich glaube, daß der Hinweis wirklich wichtig ist, daß mit den Zahlungen, die von der Bundesrepublik an die Türkei geleistet werden, 130 Millionen DM pro Tranche in der NATO-Verteidigungshilfe, auch der Krieg gegen die kurdische Bevölkerung finanziert wird,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    daß damit auch geholfen wird, die kurdische Bevölkerung in der Türkei umzubringen.
    Ich weiß natürlich, daß bislang kein Argument ausgereicht hat, um in diesem Haus wirklich eine Änderung der Haltung herbeizuführen, um dafür zu sorgen, daß von diesem Parlament aus mit Mehrheit tatsächlich diese Verteidigungshilfe, diese Militärhilfe an die Türkei endlich gestoppt wird. Es ist auch — das muß man immer dazu erwähnen, lieber Karsten Voigt — nicht so, daß die SPD ihre Haltung in dieser Frage im Dezember 1980 geändert hat, als der Militärputsch stattgefunden hat, sondern es ist so, daß die SPD ihre Haltung geändert hat, als sie in die Opposition gekommen ist.

    (Zustimmung der Frau Abg. Nickels [GRÜNE])

    Ich nehme das schon ab und nehme das jetzt beim Wort, daß ihr das momentan so meint. Aber man muß schon daran erinnern, daß die rund 1,3 Milliarden DM NATO-Verteidigungshilfe, die an die Türkei geleistet wurden, in Höhe von ungefähr 400 Millionen DM seit dem Militärputsch geleistet wurden, wobei noch einmal 600 Millionen DM Rüstungssonderhilfe hinzugekommen sind. Sowohl diese 600 Millionen DM Rüstungssonderhilfe als auch die ersten Anteile dieser 400 Millionen DM nach dem Putsch sind von der SPD/FDP-Regierung seinerzeit und mithin von der SPD zu verantworten.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Ein Batzen Mitschuld!)

    Ich muß zum Schluß kommen. Wir werden selbstverständlich weiterhin fordern, daß diese Militärhilfe eingestellt wird. Wir wissen — dazu hat es die Abstimmung in den Ausschüssen schon gegeben —, daß die Mehrheit dieses Parlaments dem nicht folgt. Vielleicht hat das in gewisser Weise sogar etwas Gutes für die Öffentlichkeit, daß es nämlich durchaus berechtigt ist, daß die Mehrheit, die CDU/ CSU und FDP in diesem Haus, demonstrieren
    möchte: Ja, wir sind mitverantwortlich für den Terror in der Türkei. Ja, wir sind mitverantwortlich für die Vernichtung der kurdischen Bevölkerung und den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Quatsch! Mit 300 Toten am Tag, das war Terror! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Da haben Sie guten Grund, diese NATO-Verteidigungshilfe weiter zu leisten.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir würden es — ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident — lieber sehen, wenn es irgendwann in diesem Parlament tatsächlich möglich wäre, das Mindestmaß an Konsequenz auf die Menschenrechtsverletzungen und Krieg hier wirklich mit einer größeren Mehrheit durchzusetzen. Da das nicht der Fall ist, dokumentieren Sie bitte schön weiterhin, auf welcher Seite Sie stehen. Aber hören Sie dann auf, überhaupt von Menschenrechtsverletzungen zu reden!

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwarz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heinz Schwarz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich muß von den lieben Kollegen den Herrn Reents ausnehmen und das in aller Deutlichkeit. Hier zu behaupten, wir hätten uns oder wir würden uns am Terrorismus in der Türkei beteiligen, ist schlicht und einfach eine Unverschämtheit, die in dieser Form hier nicht stehenbleiben darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei den GRÜNEN)

    Wenn es Terrorismus in der Türkei gegeben hat, dann waren es zum Teil Leute, mit denen Sie heute koalieren und reden, die mit dafür verantwortlich sind, daß im Jahre 1980 5000 Menschen in der Türkei, Frauen und Kinder darunter, in terroristischen Akten zu Tode gekommen sind. Das sind Ihre Gesprächspartner!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich glaube, daß es nicht haltbar ist, zu sagen, daß man in der Türkei Krieg gegen das kurdische Volk führt. Das ist eine sehr problematische Frage. Es ist schwierig, auch mit befreundeten Türken, über die Kurdenfrage zu reden. Nur der Krieg dort findet nicht gegen das kurdische Volk statt. Es gibt Auseinandersetzungen mit extremistischen Separatisten, kommunistisch geprägt. Dort tut die Polizei, dort tut im Rahmen des Ausnahmezustandes auch die Armee ihre Pflicht.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Sie haben aber überhaupt keine Argumente mehr!)

    Das ist nicht das, was man unter Terrorismus verstehen kann.

    (Berger [CDU/CSU]: Auch nicht unter Krieg!)




    Schwarz
    Lassen Sie mich zu einer Feststellung kommen, von der ich glaube, daß sie nützlich ist. Ich freue mich, daß Herr Kollege Voigt deutlich gemacht hat, daß wir — die GRÜNEN muß man hier ausgrenzen wie in anderen Fragen auch — im Hinblick auf die Türkei noch einiges an Gemeinsamkeit haben: den Respekt vor dem Land, den Respekt vor der Geschichte, den Respekt vor dem Willen zur Demokratie, und daß wir auch die Tatsache zur Kenntnis genommen haben, daß in der Türkei mit der Durchführung der Wahlen erste Schritte auf dem Wege zur Demokratie gegangen worden sind. Ich halte es für wichtig, diese Gemeinsamkeiten festzuhalten.
    Bei der weiteren Bewertung zeigen sich dann allerdings wesentliche Unterschiede. Während die Sozialdemokraten die Entwicklung in der Türkei mehr statisch sehen und meinen, daß sich dort nichts tut, sehen die Regierung und die Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP, daß sich dort eine Entwicklung zu mehr Demokratie abzeichnet. Wir, die Koalitionsparteien, befinden uns in dieser Bewertung in guter Übereinstimmung mit weiten Gruppen des Europarates, und zwar nicht nur mit Gruppierungen, die den Koalitionsparteien in diesem Hause nahestehen, sondern auch mit repräsentativen und wichtigen Gruppen unter den Sozialdemokraten.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das ist sehr zweifelhaft!)

    Der Politische und der Rechtsausschuß des Europarates haben im April dieses Jahres eine Inspektionsreise in die Türkei gemacht, und der Berichterstatter des Politischen Ausschusses hat nach der Reise einen Bericht vorgelegt. Ich glaube, es wäre sehr nützlich, wenn diese Berichte Eingang in die Debatte und in die Information auch dieses Hauses finden würden. Ich war bei dieser Inspektionsreise dabei. Die Berichterstatter haben auch über die Situation in Gefängnissen in der Türkei berichtet, auch über das Gefängnis in Diyarbakir. Es waren ein Liberaler, ein Sozialist und ein Konservativer in diesem Gefängnis.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Man hat ihnen die Wahrheit gar nicht gezeigt!)

    Sie haben berichtet, wie es dort aussieht. Sie haben nichts Gutes berichten können.
    Hier liegt aber meines Erachtens ein Fehler, den Kollege Voigt macht, wenn er sagt, daß wir, indem wir die Türkei unterstützen, zustimmen, die Entwicklung bejahen, auch das, was dort zu kritisieren ist. Natürlich ist es richtig, daß viele unter Kriegsrecht Verhaftete auf ihr Urteil warten, daß die Gefängnisse überfüllt sind. Natürlich ist es richtig, daß es keine Gewerkschaftsfreiheit, keine volle Pressefreiheit gibt; aber ich meine, es ist auch unübersehbar, daß die Große Nationalversammlung der Türkei und daß die Regierung des Ministerpräsidenten Ozal konkrete Schritte getan haben, der Folter in der Türkei Herr zu werden. Was die Generale — das muß man Ihnen sagen — begonnen haben, setzt diese Regierung fort. Es ist nicht zu bestreiten, daß die Gefangenen in Diyarbakir, die uns vorgeführt wurden und gesagt haben, sie seien gefoltert worden, seit 1983, seitdem es dort eine andere Regierung gibt, nicht mehr gefoltert worden sind. Jedenfalls so die Aussage der Betroffenen, der Gefangenen, die selbst gesagt haben, daß sie gefoltert worden sind.
    Leider müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, daß Amnesty International uns Personen genannt hat, die tot seien, während diese Personen noch leben und zum Teil aus der Haft entlassen worden sind. Ich bedaure, daß uns solche falschen Informationen von Amnesty International gegeben worden sind. Das kann dem guten Ruf dieser Institution nur schaden, und das heißt, daß wir solchen Informationen vernünftigerweise besser nachgehen.
    Die Frage, die sich uns stellt, ist, wie wir die Entwicklung in diesem Lande bewerten. Wir müssen zur Kenntnis nehmen — ich muß das auch für mich sagen; ich habe meine Position gegenüber den Generälen von diesem Platz aus sehr deutlich gemacht —, daß General Evren ein Wahlergebnis akzeptiert hat, das er so nicht gewollt hat. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, daß die nicht unter demokratischen Konditionen durchgeführte Wahl von 1982 doch dazu geführt hat, daß es wieder ein Parlament, daß es wieder eine Regierung gibt, die vom Parlament getragen wird. Dieses Parlament hat auch seine Konflikte mit der Regierung.
    Ich meine, wer dem türkischen Volk helfen will, muß jetzt dieser gewählten Großen Nationalversammlung helfen, der muß dieser Regierung helfen. Das ist der Beitrag, den wir leisten sollten und den wir leisten können, und zwar auf allen Feldern. Ich sage bewußt: auf allen Feldern.
    Die Bundesregierung sollte uns — das gilt vor allem für den Auswärtigen Ausschuß — immer wieder über die Entwicklung unterrichten.
    Wenn wir ja sagen zur Hilfe für die Türkei auf allen Gebieten, müssen wir als Freunde, als Partner in der NATO und im Europarat allerdings auch die Erwartung aussprechen können, daß das Kriegsrecht Schritt für Schritt abgeschafft wird. Es ist schon ein wesentlicher Unterschied, ob Kriegsrecht herrscht oder ob vom Parlament der Ausnahmezustand beschlossen wird. Das ist schon ein wesentlicher Unterschied im Sinne unseres Verständnisses von Demokratie. Wir sollten fordern, daß die Untersuchungshaft, die ohne richterliche Entscheidung 45 Tage betragen kann, abgeschafft wird. Wir sollten Pressefreiheit, wir sollten Gewerkschaftsfreiheit fordern. Wir sollten eine politische Amnestie fordern, und zwar eine zweifache: für die, die in Haft sind, und für die, denen verboten worden ist, sich jetzt öffentlich zu äußern. Das halte ich für wichtig.
    Wir sollten die Einladung annehmen, die der Präsident der türkischen Großen Nationalversammlung — wenn ich richtig unterrichtet bin — an den Präsidenten des Deutschen Bundestages geschickt hat. Allerdings sollten wir eine Reise zur Information und nicht zur Inspektion machen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)




    Schwarz
    Ich halte es für den richtigen Weg, einem partnerschaftlich verbundenen Land zu begegnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben eine deutsch-sowjetische Parlamentariergruppe, über die sich niemand aufregt. Wenn ich mir die Situation der Menschenrechte, die Situation der parlamentarischen Demokratie in der Sowjetunion vor Augen halte und mir dann ansehe, was in der Türkei geschieht, muß ich sagen: Es müßte eigentlich dem Stolz eines jeden Türken zuwiderlaufen, daß es zwar eine deutschsowjetische, aber keine deutsch- türkische Parlamentariergruppe gibt.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Die Sowjetunion ist doch nicht in der NATO!)

    Wir sollten uns dieses Instrument schaffen, das wir 1980 nach dem Putsch nicht wiederbelebt haben — das war richtig —, als eine Basis für Gespräche mit unseren Kollegen in der türkischen Nationalversammlung, aber auch als Plattform für Gespräche mit Ecevit, Demirel, mit den Vorsitzenden der neu zugelassenen demokratischen Parteien. Das halte ich für einen positiven Weg.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Niemand in der Türkei, weder jemand von der Sodep noch jemand von der Dogru Yol Partisi, der Partei des richtigen Weges, rät uns ab, jetzt Türkeihilfe zu leisten. Deshalb meine ich, daß wir das jetzt tun sollten.
    Wir begrüßen den Bericht der Bundesregierung. Wir lehnen den Antrag der Sozialdemokraten auf Grund der unterschiedlichen Bewertung ab. Wir lehnen auch den Antrag der GRÜNEN ab, eine Inspektionsreise in die Türkei zu machen.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Das haben wir nie beantragt!)

    Allerdings wollen wir partnerschaftlich, freundschaftlich darauf hinweisen, daß wir unseren Beitrag leisten, um den Kräften in der Türkei zu helfen, die auf dem Wege zur Demokratie sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN)