Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung soll die ärztliche Ausbildung verbessert werden. Seit Jahren wird von allen Beteiligten beklagt, daß die praktische Ausbildung im Medizinstudium in hohem Maße unzureichend ist. Unsere jungen Ärzte sind theoretisch gut, aber keinesfalls auch praktisch so ausreichend qualifiziert, daß sie die Befähigung besitzen, ihren Beruf, wozu sie die Approbation als Arzt berechtigt, eigenverantwortlich und selbständig auszuüben.
Das liegt vor allem daran, meine Damen und Herren, daß wir eine extrem hohe Zahl von Medizinstudenten haben. Die Zahl der Studienanfänger hat sich seit 1970 mehr als verdoppelt, liegt in den letzten Jahren bei über 11 000 und steigt immer noch an. Zwangsläufig haben sich unter diesen Umständen die Möglichkeiten für den praktischen Unterricht und die praktische Unterweisung im Medizinstudium immer mehr verrringert. Es wäre illusorisch, zu erwarten, daß sich hieran Wesentliches ändern ließe.
Es ist höchste Zeit, die praktische Befähigung der Ärzte zu verbessern, um drohenden Gefahren für die ärztliche Versorgung und unerträglicher Belastungen unseres Systems der sozialen Sicherung entgegenzuwirken. Ärzte, die den Anforderungen einer qualifizierten ärztlichen Versorgung nicht gewachsen sind, können zu einem erheblichen Risiko für den einzelnen Patienten und für die Volksgesundheit werden. Untragbare Kostensteigerungen können eintreten, wenn sie in ihrer verständlichen Unsicherheit falsche oder unangemessene teure Behandlungsmethoden anwenden.
Es muß schnell gehandelt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn wir das Ziel erreichen wollen, die praktische Befähigung aller Ärzte nachhaltig zu verbessern, gibt es keine Alternative zu dem im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Weg der Einführung einer im Anschluß an das sechsjährige Medizinstudium abzuleistende zweijährige Praxisphase. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß umfassende Verbesserungen im Medizinstudium wegen der hohen Zahl der Medizinstudenten nicht möglich sind.
Künftig würde es wegen der hohen Zahl der Ausbildungsabsolventen nur noch einem Teil der Ärzte möglich sein, nach dem Studium eine Stelle als Assistenzarzt zu finden. Die übrigen müßten sich notgedrungen ohne jede praktische Erfahrung in freier Praxis niederlassen. Wenn die Vorbereitungszeit für den Kassenarzt ausläuft, gibt es insoweit nicht einmal mehr Hürden für den Zugang zur Kassenpraxis. Diese Entwicklung zwingt dazu, sicherzustellen, daß alle Ärzte die notwendige Qualifikation im Rahmen ihrer Ausbildung erwerben können.
Das Ziel einer ausreichenden Befähigung aller Ärzte wäre nicht über den Weg erreichbar, den der von der Fraktion der SPD eingebrachte, heute ebenfalls zur ersten Lesung anstehende Entwurf eines Hausärzte-Weiterbildungsgesetzes vorsieht. Mir liegt die Verbesserung der primärärztlichen Versorgung sicherlich ebenso sehr am Herzen wie den Kollegen der SPD, die hinter diesem Entwurf stehen. Dieses Ziel kann aber auf dem von der Bundesregierung beschrittenen Weg auch und, wie ich meine, besser erreicht werden.
Mit allem Nachdruck muß ich deshalb feststellen, daß mit dem Modell, das der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vorsieht, in keiner Weise der Notwendigkeit Rechnung tragen wird, allgemein beste-
6536 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1984
Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
hende Ausbildungsdefizite abzubauen. Es liegt auch auf der Hand, daß durch eine Lösung, die für die Zulassung als Kassenarzt für eine allgemeinmedizinische Praxis eine abgeschlossene Weiterbildung zum Allgemeinarzt voraussetzt, nicht nur keine Verbesserung, sondern eine erhebliche Verschlechterung der primärärztlichen Versorgung bewirkt würde.
— Herr Egert, Sie dürfen auch gleich. — Bekanntlich sind die Weiterbildungsstellen in der Allgemeinmedizin so knapp, daß nicht annähernd so viele Allgemeinärzte herangebildet werden können, wie sie für eine ausreichende Versorgung im Bereich der Allgemeinmedizin gebraucht werden.
Was sollte im übrigen mit den Ärzten geschehen, die keine Weiterbildungsmöglichkeit finden? Sollte nur noch wenigen der Zugang zur Kassenarztpraxis offenstehen, obwohl wegen der steigenden Zahl der Ärzte auch die Möglichkeiten für eine Tätigkeit in Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen beschränkt sein werden? Auch dieses Problem müssen wir sehen.
Wir müssen an die vielen jungen Menschen denken, die sich in der Erwartung eines beruflichen Unterkommens einem langwierigen Studium unterziehen. Meine Damen und Herren, es muß schon verblüffen, daß sich eine Partei wie die SPD, die laufend den Abbau von Privilegien predigt, für Regelungen einsetzt, die zwangsläufig dazu führen würden, daß nur einem Teil der jungen Ärzte der Zugang zu einer auskömmlichen beruflichen Existenz offensteht. Auch aus dieser Sicht darf es nur eine Lösung geben, die die Zielsetzung hat, alle Ärzte ausreichend auszubilden. Dies sieht der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf vor.
Auch der Bundesrat begrüßt die Einführung der zweijährigen Praxisphase. Er hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die mit der Bereitstellung von 24 000 Stellen für Ärzte im Praktikum verbunden sind. Die Bundesregierung ist sich dieser Schwierigkeiten bewußt, hält sie aber bei einem gemeinsamen Einsatz aller Verantwortlichen für lösbar.
— Das ist richtig. Die Verbände, die an der Bereitstellung der Stellen entscheidend mitwirken, haben zugesichert, sich mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln dafür einzusetzen, daß die Voraussetzungen für die Durchführung der Praxisphase geschaffen werden. In dem mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Verbänden der gesetzlichen Krankenversicherung, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer abgestimmten Text der Begründung zum Gesetzentwurf zur Frage der Bereitstellung der Stellen sind diese Zusicherungen eingegangen. Sie sind eine entscheidende Grundlage für die weiteren Absprachen, für die sich die Bundesregierung einsetzt.
Die vielen Gespräche, die wir über die Praxisphase geführt haben, waren stets von der fachlichen Überzeugung bestimmt, daß heute die weitgehende Berechtigung, die die Approbation als Arzt beinhaltet, nur noch über eine zweijährige Praxisphase nach dem Medizinstudium verantwortet werden kann. Angesichts einer großen Bereitschaft bei Institutionen und Verbänden, die zweijährige Praxisphase zu realisieren, wäre es verfehlt, auf eine kürzere Dauer der Tätigkeit als Arzt im Praktikum zurückzugehen. Das schließt nicht aus, daß man den Vorschlag des Bundesrates, für eine Übergangszeit die Dauer der Praxisphase auf 18 Monate zu beschränken, aufgreift. Eine stufenweise Einführung erleichtert sicherlich die Bereitstellung der endgültig erforderlichen 24 000 Stellen für Ärzte im Praktikum.
Das Gesetz sollte so bald wie möglich verabschiedet werden. Wir brauchen eine schnelle Entscheidung des Gesetzgebers, damit die Praxisphase, die erstmals 1987 anlaufen soll, rechtzeitig vorbereitet werden kann. Stellen können erst geschaffen werden, wenn die geplante Regelung Gesetz geworden ist.
Die Verbesserung der ärztlichen Ausbildung ist eine vorrangige Aufgabe aller Beteiligten. Unsere Bemühungen dürfen sich nicht auf die Einführung der Praxisphase beschränken. Auch die Ausbildung im Studium sollte im Rahmen des Möglichen verbessert werden. Hierauf zielt die Fünfte Verordnung zur Änderung der Approbationsordnung für Ärzte, die zur Zeit vorbereitet wird. Sie ist vor allem auf eine Intensivierung der praktischen Ausbildung im Studium und auf Verbesserungen im Prüfungswesen ausgerichtet.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich habe mich an den Text gehalten, allerdings etwas schneller geredet, weil der Parlamentarische Geschäftsführer mich gebeten hat, in unser aller Interesse eben das zu tun, damit wir anschließend etwas eher nach Hause gehen können.